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Meeressturm

von

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Verbündet - Verfeindet

„Ich nehme das, was Abernathy immer trinkt.

Resigniert lehnt Finnick sich an den Bartresen in der Lounge und lächelt der diensthabenden Avox matt zu. Sich betrinken ist nicht die beste Idee, aber die Einzige. Die stumme Dienerin weicht seinem Blick aus, als sie ihm ein Glas klarer Flüssigkeit zuschiebt.

„Ich würd dir wirklich nicht empfehlen das zu trinken, Junge“, erklingt eine Stimme hinter ihm. „Das zieht dir den Boden unter den Füßen weg.“

Da steht Haymitch Abernathy selber, die Hände in den Hosentaschen. Sein Haar ist gekämmt, der Bart rasiert und das Hemd richtig zugeknöpft. Kein Vergleich zu dem Haymitch von früher.

„Das braucht’s nicht mehr“, entgegnet Finnick, vielleicht eine Spur zu schroff.

Aber der ältere Mentor ist Heftigeres gewöhnt. Er zieht nur eine Augenbraue hoch. „So schlimm?“

Finnick bleibt ihm die Antwort schuldig, da er sein Glas in einem Zug leert. Das Zeug brennt sich seinen Weg hinab in den Magen und es schüttelt ihn.

„Ich sag’s ja“, grinst der ältere Mentor, „das ist was für Erwachsene.“

„Bist du nur hier, um zu nerven, oder willst du was?“

Haymitch zieht seine Stirn in nachdenkliche Falten. „Ich wollt eigentlich mit dir über unser frisches Bündnis reden. Aber wenn’s dir grad nicht passt, kann ich auch später wiederkommen?“

„Entschuldige. Klar können wir darüber reden. Ich würd tatsächlich gern erfahren, was da vor sich geht und warum ich nicht eingeweiht war“, beschwichtigt Finnick ihn. „Es ist nur –“, er schüttelt den Kopf und dreht sich zurück zum Tresen. „Geben Sie mir noch einen von den netten Drinks mit Schirmchen und so, bitte?“

Mit seinem zweiten Getränk in der Hand suchen er und Haymitch sich eine ruhige Ecke in der brechend vollen Lounge, was dadurch erschwert wird, dass sie alle paar Meter von einem Sponsoren aufgehalten werden. Nicht wegen ihm, sondern wegen Haymitch. Auf einmal scheint die gesamte Kapitol-Elite brennend daran interessiert, seine Hand zu schütteln.

Ein Mann, der letztes Jahr noch von ihm angepöbelt wurde, ist nun ganz heiß darauf, Katniss zu sponsern. Dass Haymitch zudem auch den Mageninhalt auf seine Schuhe entleert hat, scheint er völlig vergessen zu haben. Und eine kleine Frau mit tätowierten Augenbrauen und schlaff herabhängenden Mundwinkeln klebt förmlich an seinem Arm. Inbrünstig schwärmt sie davon, wie sehr sie seine Tribute liebt.

Finnick muss zweimal hinsehen, um sie als Iphigenie Wilcox wiederzuerkennen. Die Frau, die einst an seinen Lippen hing, würdigt ihn keines Blickes.

„Da gibt’s nichts zu holen“, raunt er seinem Begleiter ins Ohr, ehe dieser seine Zeit an sie verschwendet.

Als Haymitch sie höflich abwimmelt, bohren sich ihre Augen wütend in Finnicks und allein der Hass für sie bringt ihn dazu, ihr zuzuzwinkern. Zumindest diese kleine Rache gönnt er sich.

„War das nicht eine ehemalige Flamme von dir?“, fragt Haymitch neugierig, sobald sie endlich eine kleine private Ecke ergattert haben.

„Solange sie Geld hatte. Daher weiß ich auch aus erster Quelle, dass sie eine hoffnungslose Spielerin ist. Von ihr bekommst du höchstens noch genug für ein nasses Streichholz.“

Haymitch lacht. „Dann muss ich mich wohl bei dir bedanken.“ Sein Lachen wird zu einem Seufzen. „Ich weiß, dass ich all diese Leute kennen müsste, aber ... naja, die Erinnerung meint es nicht unbedingt gut mit mir.“

Finnick nickt. „Kein Ding. Ich kenne diese Leute in- und auswendig. Manche besser, als mir lieb ist.“ Er nimmt einen Schluck von seinem Drink. Dieser brennt schon weit weniger in seiner Kehle, aber immerhin genug, um ihn von dem Gedanken an Annie abzulenken. Zum Glück sieht er Titania nirgends. Sie würde gerade noch fehlen.

„Siehst du ihn dadrüben?“, er deutet auf einen Mann, breit wie hoch, der in einen samtenen Anzug gekleidet ist. „Everard Notting. Der alte Sack hat Geld wie das Meer Fische. Aber er hasst es, auf die Mentoren zuzugehen. Wenn du ihn allerdings nach seiner preisgekrönten Koizucht fragst, läuft die Sache wahrscheinlich schneller, als du Koi sagen kannst – oh, aber er sponsort nur weibliche Tribute.“

„Da ist er nicht der Einzige“, entgegnet Haymitch verdrießlich. „Alle wollen Katniss und keiner Peeta.“

„Wem sagst du das. Die Jungs habens oft schwer.“ Erinnerungen an Edy drängen in Finnick hoch und er wechselt lieber schnell das Thema. „Aber für Peeta wüsste ich auch schon jemanden. Shania da drüben – auch eine alte Bekannte von mir – hat ein Faible für blonde, muskulöse Tribute. Sie sponsert wahrscheinlich Cato, aber du kannst ihr Peeta genauso schmackhaft machen, wenn du ihr nur genug Komplimente für ihren überragenden Intellekt machst. Nur solange Peeta bei den Karrieros ist, wird ein Teil des Geldes in die Gemeinschaftskasse wandern und dann kannst du zusehen, wie Cashmere alles ausgibt. Ich spreche da aus leidiger Erfahrung.“

„Womit wir wieder beim Thema Bündnis wären.“

Nickend nimmt Finnick einen weiteren Schluck. „Also, worüber wolltest du sprechen?“

Haymitch beäugt für einen Moment das Glas Alkohol, dann lehnt er sich mit verschränkten Händen zurück. „Ich glaube, unsere beiden Tribute sind nicht wirklich willkommen unter den Karrieros.“

„Richtig.“ Abwartend schwenkt Finnick das Getränk in seinem Glas umher.

„Es war eine Schnapsidee von mir, den Jungen da rein zuschicken. Im wahrsten Sinne des Wortes. Die Entscheidung ist ihm nicht leichtgefallen. Deswegen konnt‘ ich dich nicht warnen. Der Deal mit Eins und Zwei stand erst in der Nacht vor den Spielen endgültig. Aber ich will ehrlich mit dir sein, Finnick. Er ist nicht da, um den Karrieros zu helfen, Katniss zu jagen. Er will sie beschützen, weil er verdammt gut weiß, dass sie auf ihrer Liste ganz oben steht. Sie ist gut, das weiß er. Aber eben auch alleine.“

Überrascht ist Finnick nicht. Selbst wenn Peetas Handeln am Füllhorn ihn verwundert hat, so hat er keinen Moment geglaubt, dass Haymitch die Liebesgeschichte einfach über Bord werfen würde. Dafür ist sie viel zu meisterhaft inszeniert.

„Was mich zu dem Punkt führt: dein Mädchen ist auch nicht so übel. Sie hat den Jungen aus Fünf getötet und Peeta diese Tat erspart. Cato hat ihren Partner auf dem Gewissen. Wenn sie das erfährt, ist das Bündnis Geschichte.“ Haymitch legt die Fingerspitzen aneinander und holt Luft. „Wenn es so weit ist – warum dann nicht gemeinsam abhauen?“

Tief ausatmend sieht Finnick in die Ferne, über das Meer aus Mentoren und Sponsoren hinweg. Natürlich hat er letzte Nacht gesehen, wie Peeta das Mädchen aus Distrikt acht in den Tod begleitet hat. Er hat es nicht in sich, zu töten. Das ist spätestens seit gestern klar. Aber er ist fest entschlossen, Katniss zu retten.

Und wenn Thresh es nicht schafft, ist Distrikt zwölf eventuell die nächstbeste Wahl, überlegt er. Zumindest ist da etwas an ihr, dem Flammenmädchen, was ihn nicht in Ruhe lässt. Eine vage Hoffnung, aber besser als nichts.

Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Cordelia herausfindet, wer Edy umgebracht hat. Dann ist sie auf sich gestellt. Ihre Chancen würden sich mit einem Verbündeten erheblich verbessern.

„Aber wäre Peeta überhaupt bereit, gemeinsame Sache mit ihr zu machen? Immerhin ist sie für ihn auch nur eine weitere Karriero.“

„Jetzt noch nicht, aber wenn ich ihm einen Hinweis schicke, warum nicht? Ich habe ihm versprochen, dass ich nüchtern bleibe während der Spiele und er mir, dass er auf mich hört, wenn Katniss schon so stur ist. Und an Sponsoren mangelt es mir – ausnahmsweise – einmal nicht.“

Das erklärt zumindest, warum er nicht mehr nach Alkohol riecht.

„Was hältst du von einem Brötchen? Eins mit – was backt ihr noch gleich in eure fischigen Brötchen?“, fragt Haymitch.

„Algen. Was willst du damit?“ Skeptisch die Augenbraue erhoben, trinkt Finnick einen kleinen Schluck. Der Geschmack bleibt widerlich.

Ein durchtriebenes Grinsen erscheint auf Haymitchs Gesicht. „Eine nette Botschaft überbringen, ganz altmodisch. Wir wollen ja nicht die Regeln verletzen. Er ist nicht blöd, er wird schon wissen, was ich ihm sagen will. Wenn er nachts Wache hält, wird es keiner mitbekommen. Und andersrum für deine Tributin.“ Selbstzufrieden fährt er sich über das glattrasierte Kinn. „Ja, jetzt, wo ich so drüber nachdenke, könnte diese verrückte Idee tatsächlich funktionieren. Ich dachte immer, ich wäre ein Genie, wenn ich getrunken habe, aber vielleicht hat Elfchen recht und ich bin besser, wenn ich nüchtern bin.“

Finnick zuckt mit den Schultern. „Klingt zumindest nicht verrückter, als andere verzweifelte Pläne. Eine Frage habe ich trotzdem noch“, er lehnt sich vor und senkt seine Stimme leicht, „Warum vertraust du ausgerechnet mir? Immerhin ist Distrikt vier doch genauso schlimm, wie die anderen Karrieredistrikte.“

Haymitch sieht ihn einen langen Moment an. „Ich sehe es in den Augen eines Menschen, wenn er wirklich, wirklich gerne tötet. Weder du, noch deine Tribute sind solche Menschen. Jeder von uns versucht, das Beste rauszuholen. Und außerdem haben wir, wenn ich mich recht entsinne, das gleiche Ziel.“ Mit klopfendem Herzen erwartet Finnick fast, dass Haymitch es ausspricht. Rebellion. Doch er sagt bloß ernst: „Überleben.“

„Hm“, brummt Finnick, „es gab schon Bündnisse mit weniger Grundlage, schätze ich.“

Er reicht Haymitch seine Hand. „Besiegeln wir es.“

Mit einem erfreuten Lächeln schlägt dieser ein. „Und solltest du dich entscheiden mich zu verraten, kannst du dir sicher sein, dass ich dich das nicht vergessen lasse.“

Freudlos lacht Finnick auf. „Keine Sorge, ich hab ohnehin gerade andere Probleme.“

Haymitch, der schon aufgestanden ist, sieht ihn mit gerunzelter Stirn an und setzt sich dann wieder.

„Ich hab mitbekommen, was passiert ist.“ In seinen grauen Augen schimmert Verständnis. „Es tut mir leid ...“, er wählt die nächsten Worte mit Bedacht. „Such dir nicht den einfachen Ausweg. Lass dir den Rat von jemandem geben, der sich mit dem Teufelszeug auskennt.“ Er deutet auf den Drink in Finnicks Hand.

„Ich weiß“, seufzt dieser geschlagen, „der Mist schmeckt ja nichtmal.“ Missmutig sieht er in die letzte Pfütze seines Getränks. „Ich hatte gehofft, es hilft beim Vergessen.“

Verlegen kratzt Haymitch sich am Hinterkopf. „Tut es nicht. Es betäubt, für eine Weile und dann ist alles wieder da, bis zur nächsten Flasche und zur nächsten ... und ehe du dich versiehst, kannst du nicht mehr ohne.“

Stumm sehen beide für einen Moment auf den Tisch zwischen sich, ehe Haymitch leise ergänzt:

„Gib sie nicht auf. Sie ist eine Kämpferin.“

Finnick spürt die Tränen in seinen Augen aufsteigen und sieht schnell fort. „Könnte ich niemals.“

„Gut. Also dann –“, ächzend erhebt Haymitch sich wieder, „ich werd‘ dich wissen lassen, wann ich die Botschaft abschicke.“ Die Andeutung eines Lächelns auf seinen Lippen, verabschiedet er sich und verschwindet in der Sponsorenmenge.

Mit hängenden Schultern lehnt Finnick sich in seinem Stuhl zurück. Er fragt sich, was er noch groß für Cordelia tun kann. Kraft, mit den Reichen und Schönen des Kapitols zu flirten, hat er keine. Die anderen Mentoren haben ohnehin fast alle abgeklappert.

Müde und ausgelaugt sieht er zu dem riesigen Fernseher, hoch oben an der Wand, auf dem das aktuelle Arenageschehen übertragen wird. Wenig Interessantes passiert an diesem Mittag. Die meisten Tribute durchstreifen den Wald.

Entweder auf der Suche nach Nahrung, oder auf der Jagd nach Opfern. Bis auf die Karrieros haben sich keine weiteren Allianzen gebildet. Angesichts der scheinbaren Ruhe überlegt er ernsthaft, ob er nicht einfach ins Bett gehen sollte.

Aber da wechselt das Fernsehbild unvermittelt und er sieht Caesar Flickerman, der in einem klinisch weißen Raum steht, hinter sich eine Runde ebenso hell gekleideter Männer und Frauen, die sich allesamt eifrig über leuchtende Schalttafeln beugen. In der Mitte von ihnen schwebt ein blasses Hologramm der Arena.

„Heute begrüße ich Sie, werte Damen und Herren, einmal nicht aus meinem Studio, sondern vom Ort des Geschehens, dem Hauptquartier der kreativen Köpfe hinter den Spielen – die Rede ist natürlich von der Zentrale der Spielmacher! Bleiben Sie dran für einen exklusiven Einblick in die Welt hinter der Arena!“

Interessiert verfolgt Finnick, wie Caesar Flickerman den Kreis aus Spielmachern entlang schreitet. Nur selten lassen diese jemanden von außen in ihr Zentrum, aus Angst, dass ein Geheimnis der Spiele zu früh offenbart wird.

Die 34. Hungerspiele sind heute noch allen Siegern ein Begriff. Nicht wegen der Arena oder den Tributen, sondern aufgrund des Mentoren Alastair Caulder aus Distrikt sechs. Dank eines unvorsichtigen Spielmachers, der während einer Fernsehübertragung im Hintergrund zu sehen war, konnte Caulder seinen Tribut vor dessen Falle warnen. Als sein Schützling die Spiele infolgedessen gewann, verschwand Alastair Caulder für immer und das Kapitol überprüft seitdem sorgfältiger, was es sendet.

Nichtsdestotrotz ertappt Finnick sich dabei, intensiv auf den Ring aus Spielmachern zu starren. Eine einzige kleine Information könnte alles ändern. Aber natürlich ist aufgeräumt worden. Er kann nur zusehen, wie die Tribute überwacht werden, hier ein Baum umgestürzt wird oder dort ein wilder Bär ausgesetzt.

„Aber selbstverständlich ist das noch nicht alles, meine Damen und Herren. Heute Abend wird unser erste große Arenanacht stattfinden! Sein Sie dabei, wenn Mentoren, Stylisten, Sponsoren und Spielmacher aufeinandertreffen, um die ersten Tage der Hungerspiele zu besprechen. Merken Sie es sich besser gut vor!“

Ein leeres Studio mit einem großen Halbkreis aus gemütlichen Polstersesseln wird eingeblendet.

„Sie können sich auf einen absoluten Ehrengast freuen – unser oberster Spielmacher höchstpersönlich, Seneca Crane wird da sein! Und wenn Sie einer unserer fleißigsten Sponsoren sind, dann haben Sie sogar die Chance auf ein persönliches Treffen mit ihm! Spenden Sie jetzt für einen Tribut ihrer Wahl und Sie haben die Chance, ausgewählt zu werden. Je höher ihr Beitrag, desto größer die Chance!“

Überrascht hält Finnick die Luft an. Der höchstrangige Spielmacher wird ein Interview geben? Das ist ungewöhnlich. Üblicherweise sind sie nur darauf konzentriert, die Arena zu überwachen.

Aber für Seneca Crane ist es schließlich das erste Jahr. Er muss sich dem Kapitol noch beweisen. Bei den letzten Spielen war er zwar ein Assistent von Philus Ludovic, dem langjährigen Speichellecker Snows, doch dessen plötzlicher Tod beförderte ihn ungeplant schnell an die Spitze seiner Zunft. Zweifel an seinem Aufstieg sind die natürliche Folge.

Finnick hat nicht gerade Lust auf diese Scharade unter der Regie von Flickerman, aber wenn ein Treffen mit Crane in Aussicht steht, sehen die Dinge anders aus. Denjenigen kennenzulernen, der das Schicksal in seiner Hand hält, ist nie verkehrt.

Titania scheint ihm perfekt geeignet um diesen kleinen Bonus zu gewinnen. Und wo sie ist, da darf er sein ... schließlich will Snow selber es so.

Wie sagt Mags immer? „Sei gut über deine Verbündeten informiert, aber noch besser über deine Feinde.“

Und der Fernsehauftritt wird ihn – zumindest für den Moment – von Annie ablenken. Sich freiwillig zu melden wird ihm auf jeden Fall Bonuspunkte bei Cece einbringen. Was er wahrlich gebrauchen kann, nach dem Fiasko bei der Eröffnungsfeier.
 

Wieder im Apartment, zieht Finnick sich in sein Zimmer zurück und ruft Titania direkt an. Ihre Privatnummer ist für besondere Fälle reserviert, was unzweifelhaft einer sein dürfte. Lange muss er es nicht klingeln lassen, bevor es in der Leitung klickt.

„Tita, Liebes“, säuselt er, „ich weiß, wir waren erst für heute Abend verabredet, aber meine Sehnsucht nach dir ist unermesslich.“

„Oh, äh, hallo“, dringt ihre Stimme an sein Ohr. Das hört sich definitiv weniger freundlich an als erwartet.

„Alles in Ordnung bei dir?“

Verlegenes Lachen. „Ja, natürlich, ich bin nur gerade auf der Arbeit.“ Er hört förmlich, wie die Röte in ihre Wangen kriecht.

„Oh nein, verzeih, ich wollte dich nicht in Verlegenheit bringen. Warum musst du Arme arbeiten? Ich dachte, du hast Urlaub für die Spiele?“

„Nun, eigentlich ja. Leider ist ein Sonderfall dazwischengekommen.“

Interessant, schon wieder etwas Unvorhergesehenes im Innenministerium. Ob es erneute Brandstiftungen gab, oder geht es doch um Distrikt elf?

„Schade“, sagt er mit einem überdeutlichen Seufzen, „denn ich muss gerade ununterbrochen an dich denken und habe gehofft, wir könnten ein netten kleinen Ausflug machen. Du wirst es ja wahrscheinlich selbst sehen, die Tribute sind heute nicht besonders aktiv und es hier sooo langweilig, wenn man gerade frei hat.“ Er seufzt übertrieben. „Heute Abend muss ich an der Show von Flickerman teilnehmen, also werden wir nicht so viel Zeit zusammen haben. Sehen wir uns denn wenigstens da?“

Am anderen Ende der Leitung rauscht es, dann seufzt auch Titania.

„Ich habe ja genauso Sehnsucht“, gibt sie mit leiser Stimme zu. „Ich werde sehen, dass ich hier schnell wegkomme. Ministerin Egeria wird schon ohne mich klarkommen, hoffe ich. Immerhin ist das Problem quasi schon gelöst.“ Sie scheint einen Moment zu überlegen. „Ist es denn in Ordnung, wenn ich dich mit dem Wagen abhole und wir ... wohin gehen?“

Zufrieden lehnt Finnick sich zurück. „Keine Sorge, ich denke ich habe ein wenig Freigang bekommen.“ In schmeichelhaftem Tonfall fügt er hinzu: „Extra für dich habe ich Snow darum angefleht.“

Sie kichert. „Oh, das klingt wunderbar. Irgendwelche Vorstellungen wohin wir gehen sollen? Ein Café, Shoppen oder was anderes?“

Ihm schießt der Zoo in den Kopf, dessen Videos Annie so liebt. Eigentlich will er die Erinnerungen von ihr nicht mit Titania vermischen. Doch bei dem Gedanken, dass sie diese Tiere vielleicht nie sehen wird, drängt es ihn, sie wenigstens für sie anzusehen. Damit er ihr von ihnen erzählen kann, wenn sie wieder da ist.

„Was hältst du von dem Zoo?“

„Zoo?“, fragt Titania überrascht. Anscheinend hat sie selber nicht einmal an diese Möglichkeit gedacht. „Tja, warum nicht? Ich werde dich in einer Stunde ungefähr abholen kommen!“

 

Der Zoo ist an diesem Nachmittag unter der Woche recht leer, wie Finnick befriedigt feststellt. Nur vereinzelte Familien mit jungen Kindern schauen sich die Tiere an und sind zum Glück vollkommen auf sich konzentriert. Selbst die Hungerspiele, die auf großen Leinwänden an jeder Ecke übertragen werden, finden wenig Beachtung.

Trotzdem ist er dankbar für das hellblaue Oberteil mit der Kapuze, die ihn vor allzu neugierigen Blicken abschirmt. Nicht auffällig schlicht, da Roan sich natürlich an den allerneusten Trends orientiert hat, aber gerade richtig, um keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Für den ersten Eindruck sieht er aus wie ein einfacher Kapitolbewohner.

Titania an seiner Seite trägt ihre dezente Arbeitskleidung, sodass auch sie kaum Augen auf sich zieht.

Es ist schon einige Zeit her, dass er zuletzt das Trainingscenter verlassen hat, abgesehen von den Vorladungen bei Präsident Snow und Nächten in fremden Appartements. Interessiert beobachtet er die Menschen um sich herum, die fröhlich miteinander reden, Eis essen und frei von Sorgen scheinen.

Zwei kleine Jungen jagen den Weg entlang und ihr Lachen wärmt sein Herz. Wenn die Kinder in Distrikt vier doch nur öfter Anlass zum Fröhlichsein hätten. Er erinnert sich an seine Kindheit, in der es nie viel Freude gab.

„Ich kriege dich!“, ruft einer der Jungen. Die Wärme in Finnicks Innerem schwindet, als er sieht, dass beide Kinder kleine Plastikwaffen tragen, exakte Miniaturen von denen aus der Arena. Schwert und Speer sehen verkehrt aus in den Händen von knapp Sechsjährigen.

Der hintere Junge schließt zu seinem Bruder auf und stürzt sich unter Gebrüll auf ihn. Sein Plastikschwert bohrt sich in dessen Seite, aber so wie das Kind lacht, ist klar, dass es höchstens etwas kitzelt.

„Du bist tot“, ruft der Sieger triumphierend und tanzt ausgelassen in einem Kreis um den am Boden liegenden Jungen herum. „Hahaha, ich bin wie Cato, niemand kann sich mir in den Weg stellen“, brüllt er, bis seine Eltern aufschließen und die beiden einsammeln.

Titania folgt Finnicks Blick. „Kinder sind schon etwas Schönes“, stellt sie fest. „Manchmal sehe ich Kinder und wünschte, ich hätte eigene.“

Überrascht sieht er sie an. Er war ganz auf das traurige Spiel konzentriert, dass er nicht einmal überlegt hat, was andere dabei empfinden.

In Distrikt vier sind Kinder nichts Schönes, eher etwas Nützliches. Manche Leute versuchen regelrecht, es zu vermeiden, sie zu bekommen. Damit sie sich keine Sorgen über die Hungerspiele machen müssen. Aber natürlich ist das nicht immer möglich.

Er zuckt zur Antwort mit den Schultern. „Darüber hab ich ehrlich gesagt nie nachgedacht. Schließlich kann ich keine eigenen Kinder haben.“

Dafür hat das Kapitol gesorgt. Nicht, dass man ihn gefragt hätte, bevor er unfruchtbar gemacht wurde. Sie haben schlichtweg beschlossen, dass es das Risiko nicht wert ist, wenn nachher all seine Geliebten schwanger würden.

Und was er will, ist seit jeher nebensächlich. Es ist besser, nicht darüber nachzudenken. Mehr Kinder braucht diese elende Welt ohnehin nicht. Selbst liebende Eltern können ihren Nachwuchs nicht vor der grausamen Wirklichkeit beschützen.

„Oh“, erwidert Titania angemessen betreten, „nun, bei mir steht auch der Beruf im Weg.“

„Apropos Job – was hat dich heute so Schreckliches geplagt, dass du deinen Urlaub dafür unterbrechen musstest? Hat Ministerin Egeria wieder Probleme mit aufmüpfigen Getreidebauern?“, lenkt Finnick stattdessen das Gespräch in interessantere Bahnen.

„Oh, ach, das ...“, Titania wedelt mit ihrer Hand, „das hatte nicht wirklich was damit zu tun. Nur ein kleiner Notfall, aber jetzt haben wir alles unter Kontrolle, ja.“ Zur Bekräftigung nicht sie nochmal. „Ich will jetzt lieber nicht an die Arbeit denken.“

Enttäuscht kickt Finnick ein Steinchen vor sich her. Er hat fest darauf gebaut, dass sie ihm, wie sonst, all ihr Leid klagen würde. „Tita, du solltest auf dich achten, du arbeitest immer so hart. Was ist schon so wichtig, dass du dafür deinen Urlaub unterbrechen musst?“

Sie kichert. „Ach, du bist süß. Jetzt entspanne ich mich ja.“ Glücklich strahlt sie ihn an. „Nichts ist wichtiger, als ein Tag mit dir ganz alleine.“

Es fällt ihm schwer, die Enttäuschung aus seinem Gesicht fernzuhalten. Rasch nimmt er ihre Hand und zieht sie weiter, um das unangenehme Gefühl abzuschütteln, dass sie ihm etwas vorenthält.

Schweigend wandern sie den hübsch gepflasterten Weg entlang, an einem Käfig voller fauler Affen vorbei, die in großen Hängematten dösen.

Finnick kennt die Tiere nur aus Schulbüchern und bleibt stehen, um ihnen eine Weile lang zuzusehen. Anders als die wilden Bestien, die regelmäßig in den Spielen eingesetzt werden, machen diese Affen keinerlei Anstalten, jemanden zu beißen. Wenn überhaupt scheinen sie gelangweilt.

Neben dem Käfig erregt ein großes Schild Finnicks Aufmerksamkeit.

 

Historischer Affenkäfig

Dieser Käfig ist Teil des umfassenden Restaurationsprogramms zur Erhaltung des traditionsreichen Kapitol-Zoos. Bis zu den dunklen Tagen wurden hier echte Japanmakaken gehalten. Nach Kriegsende blieben alle Bemühungen, diese ausgestorbene Rasse mittels Gentechnik nachzuzüchten, erfolglos.

In den Nachkriegsjahren wurden die Tribute der Hungerspiele in diesem Käfig verwahrt. Trauriger Höhepunkt dessen war der Tod von Arachne Crane, die während der Vorbereitung auf die zehnten Hungerspiele von einer Tributin hinterrücks erstochen wurde.

In Gedenken an Arachne Crane beherbergt dieser Käfig nun eine neue Affenart, hervorgegangen aus dem Genetikprogramm des Kapitols, die erstmals erfolgreich in den elften Hungerspielen eingesetzt wurde.

 

Ein bitterer Geschmack breitet sich in Finnicks Mund aus. Selbst hierhin verfolgen ihn die Spiele. Er ist dankbar, dass das Kapitol seine Tribute nicht länger in einem Käfig hält. Da drinnen zu stecken, muss die Hölle gewesen sein.

„Crane?“, fragt er Titania interessiert. „Doch nicht etwa wie Seneca Crane?“

Sie nickt. „Oh doch. Ich glaube, sie war die ältere Schwester seines Großvaters. Erklärt vielleicht, warum seine Familie so viele Spielmacher hervorgebracht hat.“

Eine Info über den jungen neuen Spielmacher, die Finnick sich einspeichert. Wer weiß, wann es einmal nützlich wird.

„Vermutlich. Weiß man sonst viel von Seneca Crane?“

Titania verzieht das Gesicht. „Wenn man der Klatschpresse Glauben schenkt, aber abgesehen davon ist er noch ein ziemlich unbeschriebenes Blatt. Kam völlig aus dem Nichts, dass ausgerechnet er der nächste oberste Spielmacher geworden ist. Alle haben mit Plutarch Heavensbee gerechnet.“ Sie schnaubt. „Ich war so überzeugt, ich hab Geld auf ihn gesetzt. Wenn du mich fragst“, sie lehnt sich näher an ihn, „dann hatte da jemand seine Finger im Spiel.“

Fast bricht Finnick in Lachen aus. Eher ist es andersrum – Distrikt dreizehn hat ein nicht unerhebliches Interesse, Heavensbee als obersten Spielmacher zu sehen. Ironisch, dass jetzt ausgerechnet Crane der Verdächtige ist.

„Ach wirklich“, murmelt er zurück. „Hast du schon mitbekommen, dass er heute Abend bei Flickermans Show sein wird?“

Sie nickt. „Ich finde es sehr merkwürdig, dass er seine Arena einfach den Angestellten überlässt. Hat er denn gar nichts Spannendes für die Zuschauer geplant? Wenn ich ehrlich bin, dann zweifle ich doch sehr an seinen Fähigkeiten als Spielmacher.“

„Du ... könntest ihn treffen und dir ein Bild davon machen“, sagt Finnick unverfänglich, den Blick wieder zu den Affen gerichtet.

„Und dafür Unmengen meines kostbaren Sponsorengeldes einsetzen?“ Titania schnalzt mit der Zunge. „Ich werd mir lieber erst anhören, was er in der Show zu sagen hat. Er muss mich erstmal mit seiner Arbeit überzeugen.“

Er sieht sich um, ob niemand sie beobachtet, und lehnt sich dann näher an sie heran, bis nur wenige Zentimeter Luft zwischen ihnen sind.

„Nicht einmal für mich? Für Cordelia, unsere Gewinnerin?“ Seine Hand gleitet in ihre und er zieht sie an seine Lippen, um einen zarten Kuss darauf zu hauchen. „Tita, Liebes, du würdest mich damit sehr glücklich machen.“

Zwischen ihren Augenbrauen zeichnet sich eine Falte ab. „Du weißt, dass ich alles für dich tun würde“, sie leckt sich die Lippen, „aber es ist noch zu früh in den Spielen, um so viel Geld zu setzen. Ich muss sehen, wie es sich entwickelt, wenn ich nicht wie Iphi enden will.“

Normalerweise zieht diese Taktik, aber er gibt nicht auf. Er schenkt ihr seinen besten, traurigen Blick, den er fast genauso gut drauf hat, wie das schmachtende Lächeln. „Tita, du brichst mir das Herz. Keine hat so wie du die Schönheit meines Distrikts erkannt, niemand ist so eine große Unterstützerin von uns, wie du.“

Ihre Hand in seiner wird zusehends schwitziger. „Oh Finnick, ich weiß, aber sieh mal ...“, sie lächelt vage, „Edy ist so früh gestorben, da musste ich überlegen, ob ich nicht noch einen anderen Distrikt ...“ Unsicher verklingt ihre Stimme. „Bitte, sei mir nicht böse.“ In ihren Augen schimmern doch tatsächlich Tränen.

Ruckartig lehnt Finnick sich zurück, in dem Wunsch möglichst viel Distanz zwischen sie zu bringen. Jetzt bricht sie ihm wirklich das Herz. „So dankst du es mir also“, sagt er anklagender als beabsichtigt. „Na schön, raus damit, mit wem gehst du mir fremd?“

Titania beißt sich auf die tiefrot geschminkten Lippen. „Du kannst dir sicher sein, dass ich niemals jemanden außer dir lieben würde ...“

„Du weißt, wie ich das meinte.“

„Distrikt zwölf.“ Sie weicht seinem Blick aus. „Ich hab mich wohl geirrt, was ihren Erfolg anging. Trotzdem!“ Fest drückt sie seine Hand. „Ich setze immer noch darauf, dass Cordelia gewinnt. Ich wette nur darauf, dass ein Tribut aus Zwölf es unter die letzten Acht schafft. Dann kann Cordelia ihnen den Rest geben.“

Widerstreitende Gefühle kämpfen in Finnicks Brust miteinander. Einerseits will er Titania stehen lassen, andererseits ist es immerhin Distrikt zwölf, dem das Geld zugutekommt. Am Ende aber ist klar, dass er sie natürlich weiter umgarnen muss, für Snow, für Annie.

Er entringt seiner Kehle ein trockenes Lachen. „Und du hast mich einen Dummkopf geschalten, weil ich dir gesagt hab, Distrikt zwölf wäre Konkurrenz. Sieh mal einer an.“ Einen Finger unter ihr Kinn gelegt, sieht er ihr fest in die Augen. „Dann wird es dich sicher freuen zu hören, dass ich heute ein interessantes kleines Gespräch mit Haymitch hatte. Aber pssst.“ Mit einem Zwinkern gibt er ihr einen kurzen Kuss. „Behalte das bloß für dich.“

In seinem Kopf fangen die Räder wieder an zu rattern, auf der Suche nach einem anderen Weg, dem obersten Spielmacher auf den Zahn zu fühlen. Für den Moment fällt ihm nichts ein, daher konzentriert er sich lieber darauf, das zu tun, worin er am besten ist: Titania Creed umgarnen.

„Also, Tita, welche Tiere möchtest du dir ansehen?“, fragt er sie, um das Gespräch wieder in angenehmere Bahnen zu lenken.

Erleichtert atmet sie auf. „Ich muss ehrlich sagen, ich war ewig nicht mehr im Zoo. Die Pinguine vielleicht? Als Kind mochte ich die immer am liebsten.“

Wie Annie, realisiert Finnick mit einem Stich im Herzen. Rasch schiebt er den Gedanken fort.

„Pinguine also!“ Er hält Titania seinen Arm hin und sie hakt sich ein.
 

Der Nachmittag verfliegt förmlich. Nach den Pinguinen, die gemächlich durch ihr Wasserbecken tauchen, sehen Finnick und Titania sich alle anderen Tiere an, die meisten davon eigene Züchtungen des Kapitols.

Viele von ihnen kommen ihm aus den Hungerspielen bekannt vor – große Raubkatzen und farbenprächtige Schlangen etwa. Aber so interessant wie die Pinguine ist sonst keins der Zootiere. Die kleinen weiß-schwarzen Geschöpfe schließt er ins Herz, sobald er ihr ungeschicktes Watscheln sieht.

Auch wenn Finnick sich bemüht, Titania geschickt zu umgarnen, scheint selbst diese sein außergewöhnliches Interesse an den Pinguinen bemerkt zu haben. Mehr zum Scherz kauft sie ihm im Andenkenladen des Zoos einen kleinen Stoffpinguin, als Andenken an den Tag.

Für gewöhnlich würde er sich albern vorkommen, doch nicht dieses Mal. Er beschließt, ihn Annie zu schenken, wenn sie endlich wieder frei ist. Näher wird sie den Pinguinen vielleicht nie kommen.

Vom Zoo aus fahren er und Titania direkt zum Hauptgebäude des staatlichen Fernsehsenders. Die Sonne versinkt in der Ferne hinter den gläsernen Hochhäusern und sobald sie die kühle Lobby betreten, verschwindet der letzte Rest Wärme, den Finnick im Zoo empfunden hat.

Umgeben von Tieren und endlich außerhalb des Trainingscenters sind die Hungerspiele in die Ferne gerückt, aber angesichts der fleißigen Vorbereitungen auf die abendliche Show kehren alle seine Sorgen um Cordelia mit voller Wucht zurück.

Er verabschiedet sich von Titania, zumindest bis zum Ende der Veranstaltung. Danach wartet zweifellos eine weitere Nacht in ihrem Bett auf ihn.

In seiner Garderobe erwartet ihn dafür Cece, einen vorwurfsvollen Ausdruck im Gesicht.

„Finnick, schön, dass du dich auch nochmal blicken lässt“, pfeffert sie ihm entgegen. „Sieh lieber zu, dass du dich anziehst, in diesen Sachen können wir dich ja schlecht auf die Bühne lassen.“

Verwundert sieht er die Betreuerin an. Laut der Uhr auf einem Display an der Wand ist es noch eine Stunde bis zum großen Auftakt.

„Ist irgendwas passiert, Cece?“

Sie schnaubt. „Ich hätte dich gerne vorbereitet auf dieses Interview! Oder braucht der große Finnick Odair seit Neustem keine Vorbereitung mehr?“

Er zieht sich sein Oberteil über den Kopf und Cece dreht sich taktvoll von ihm weg.

„Ist heute Abend irgendetwas anders, als in den letzten – lass mich überlegen – zwanzig dieser Sendungen?“

Zwar sieht er ihren Gesichtsausdruck nicht, dafür hört er, wie sich ihre Nasenflügel vor Entrüstung aufblähen.

„Jede Sendung ist einzigartig“, faucht sie. „Du musst für alle Eventualitäten gewappnet sein!“

Seufzend schlüpft er in das steife Hemd, das Roan für ihn designt hat und zieht das glänzende Jackett drüber. „Cece, es tut mir leid. Aber du weißt, Tita –“

„Oh, jetzt komm mir nicht mit deiner Liebschaft!“ Sie wirft einen Blick über die Schulter, um zu sehen, ob er fertig ist, sieht aber hastig weg, als er seine Hose runterzieht.

Finnick ist sich nicht sicher, ob es nur seine Abwesenheit ist, die sie so angefressen hat oder ob es etwas gibt, das sie ihm verschweigt.

„Lieb, dass du dir Sorgen machst, aber ich weiß schon, was ich tue. Das ist nicht die erste Arenanacht und auch nicht die letzte.“ Er zieht die Hose an und betrachtet sein Spiegelbild. In einem Anflug von Selbstironie schneidet er eine Grimasse. Titania wird der neue Anzug sicherlich gefallen.

Cece hat sich mittlerweile umgedreht und beäugt ihn kritisch. „Nein, es ist nicht dein erster Auftritt. Und trotzdem gibt es Dinge, die selbst gestandene Mentoren aus der Bahn werfen können.“

Misstrauisch zieht Finnick seine Augenbrauen zusammen. „Die da wären?“

Mit einem kleinen Seufzer wendet Cece sich wieder von ihm ab. „Ich sag einer der Stylistinnen Bescheid, dass sie sich um dein Make-Up kümmern soll.“ Ohne weitere Worte verschwindet sie aus der Garderobe.

Jetzt ist er sich sicher, dass sie ihm etwas verschweigt. Nur was?

Bis zum Beginn der Sendung wartet Finnick in seinem Raum, während er auf einem kleinen Bildschirm die Spiele verfolgt. Seit dem Mittag ist nichts Nennenswertes in der Arena geschehen.

Cordelia und die Karrieros haben ihre Vorräte zu einer Pyramide aufgetürmt, umgeben von den frisch verbuddelten Tretminen. Flickermans Show wird heute Abend höchstwahrscheinlich das Spannendste an den Hungerspielen sein.

Ein Gong ertönt – das Zeichen, dass alle sich auf der Bühne einzufinden haben. Da Cece nicht mehr zurückgekommen ist, macht Finnick sich alleine auf den Weg. Im Gewühl vor den Studiotüren findet er sie ebenso wenig, dafür ein paar andere Bekannte.

„Bitte begeben Sie sich sofort auf ihre Plätze, in einer Minute sind wir live“, herrscht eine Angestellte des Senders die Menge an und hastig suchen alle ihren Sitzplatz.

Erfreut stellt Finnick fest, dass er neben Beetee gelandet ist und keinem Sponsoren. Sie tauschen ein knappes Lächeln, da senkt sich bereits Dunkelheit über die Bühne. In allerletzter Sekunde huscht noch jemand auf den Platz zu Finnicks anderer Seite. Er hört das Klimpern von Armreifen.

„Hast dir ja ganz schön Zeit gelassen, Cece“, murmelt er aus dem Mundwinkel.

Keinen Augenblick zu früh, denn mit einem lauten Brummen erwachen die Scheinwerfer zum Leben. Geblendet kneift er die Lider zusammen.

„Herzlich Willkommen zur ersten großen Arenanacht“, brüllt Caesar Flickerman.

Finnick aber hat nur Augen für die Person neben ihm – die nicht Cece ist. Es ist Annie.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: irish_shamrock
2021-05-30T16:00:16+00:00 30.05.2021 18:00
Liebe Coronet,

wieder hast du ein aufregendes Kapitel geliefert. Die Parallelen zum Prequel amüsieren mich immer wieder und deiner Kreativität scheinen keine Grenzen gesetzt.
Selbst der Schlusssatz hat es in sich, sodass ich natürlich wissen muss, wie Annie nun an Finnicks Seite gelangte.
Im Übrigen gefällt mir das neue Cover sehr, obwohl das Vorherige auch passend war :') ...

Liebe Grüße,
irish C:
Antwort von:  Coronet
10.06.2021 17:54
Ich kann es mir einfach nie verkneifen, Anspielungen auf das Prequel einzubauen - es ist einfach zu verlockend! Es freut mich, dass dir diese Details auffallen, denn ich musste feststellen, dass viele andere Panem-Fans das Buch gar nicht kennen und da gehen die ganzen Anspielungen dann ins Leere :'D
Ich freue mich, dass dir das Cover gefällt. Ich mochte das alte auch, wollte allerdings einen einheitlichen Look für beide Teile zusammen und da ich nichts gefunden hab, habe ich notgedrungen etwas komplett neues zusammengeschustert ^^;
Lieben Dank für diesen tollen Kommentar!


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