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Spiel ohne Limit

von

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Ihre Arme sanken nach unten. Sie rechnete mit vielem. Lumina und einer Gruppe schwarz gekleideter Subs oder zwei zwielichtige Kerle mittleren Alters, die für eine Zigarette und Rins Spezialkaffee hergekommen waren. Nichts, womit die junge Frau nicht schon ein paar Mal überrascht worden wäre. Damit wusste Rin umzugehen. Aber ihre Mutter?!

Yukiko Yamamori, die auf einem der bunt gewürfelten Stühle saß, erhob sich. Ihre weiße Bluse mit dem knielangen braunen Faltenrock harmonierte perfekt zu den hochgesteckten Haaren, die mit einer hölzernen Spange festgehalten wurden. Die Strähnen waren wieder einmal akkurat eingearbeitet worden, der Kamm hatte ganze Arbeit geleistet und hatte die blonden dicken Strähnen stramm und glatt nach hinten geschoben. Wenn die Haare aus dem Gesicht waren, wirkte Yukikos Gesicht geradezu frisch und mädchenhaft. Die weichen, runden Züge und dazu das dezente Makeup (ihre Mutter hatte noch nie viel Schminke nötig gehabt) hatten ihr oft Komplimente eingebracht, dass sie nicht nur einmal für Rins ältere Schwester oder die junge Tante gehalten wurde. Wie sie sich elegant von ihrem Platz erhob, dabei den Rock glättete, dass keine Knitterfalte eine Chance gehabt hätte, verkörperte sie in einer einzigen Pose die Generation von Frauen, für die viele Nachfolgenden ihr Respekt und Neid entgegenbrachten.

Der Ausdruck war weniger Zeugnis ihrer guten Stube. Vielmehr war er einer Reihe von Ereignissen und Entscheidungen geschuldet, die Yukiko Yamamori zu einer ehrgeizigen und überfürsorglichen Mutter gemacht hatten, die das Wesentliche aus den Augen verloren hatte.

Die Empfindungen hinter dem scheinbar perfekten Gesicht waren Rin nur allzu gut bekannt. Die Vorwürfe und das Entsetzen - sofort versteifte sich die junge Frau. Alles in Rin schrie nach Abwehrhaltung.

"Was machst du hier?", fragte sie kühl, noch bevor ihr Kopf den Satz vervollständigt hatte.

"Was ich hier mache?!", Yukikos Stimme hob sich. So wie sie es immer tat, wenn sie nervös oder aufgebracht war. Mittlerweile konnte Rin ihre Mutter gut genug einschätzen. Sie wusste, wann ein Gesichtsausdruck zur Sorge veranlasste oder nur ein Automatismus ihre Mutter dazu trieb, so ernst und vorwurfsvoll auszusehen, und gerade war Yukiko nicht bloß auf eine ihrer routinemäßigen Floskeln aus.

Aus dem Augenwinkel warf Rin ihrer besten Freundin einen irritierten Blick zu, welcher von Lumina einfach ignoriert wurde, in dem die Schwarzhaarige auf den Aschenbecher vor sich starrte. Mit den Fingern puhlte sie an der rosanen Spinne herum, als würde sie das Ganze nichts angehen.

"Wann hattest du vor, es mir zu sagen?", die Stimme ihrer Mutter zwang Rin dazu, sich wieder ihr zu widmen.

"Wovon redest du?"

"Von deinem Krankenhausaufenthalt", piepste Yukiko. Die Wangen glühten, eine Mischung aus Zorn und Kummer, die bald die ersten Tränen einfordern würden. Damals hatte es auch so begonnen. Vor vier Jahren, als ihre Mutter ins Zimmer gestürmt war, das Telefon in der Hand und Rin zur Rede gestellt hatte.

Wie kann sie davon wissen? Die Presse hat es doch erfolgreich vertuscht. Warum-?!

Mit offenem Mund starrte die junge Frau zu ihrer Mutter herüber.

"Denkst du, es war eine Freude erfahren zu müssen, dass die einzige Tochter im Begriff ist, ihr Leben wegzuwerfen?", Yukiko schüttelte den Kopf, dass eine blonde Strähne aus ihrer Spange glitt. "Nicht, dass ich es nicht von dir gewohnt wäre, dass du dich lieber sinnlosen Spielereien hingibst, als etwas Anständiges aus dir zu machen. Aber das…!", sie schluckte, "wie konntest du es mir verheimlichen, Rin?"

"I-ich-", Rin wusste nicht, was sie sagen sollte. Ihre Mutter war die letzte, die von den Duell gegen von Schroeder erfahren sollte.

"Wag' es nicht, dich herauszureden, Rin!", Yukikos Augen weiteten sich, nur um die Tränen zu unterbinden - oder um zu demonstrieren, dass sie kurz davor war zu weinen, in der Hinsicht konnte sich Rin nie sicher sein.

"Ich habe von Anfang an gewusst, dass dieser Beruf nichts für dich ist, aber dass du dafür auch noch deine Zukunft opferst-"

"So ist das nicht", erhob Rin ihre Stimme. Sie hatte Mühe, nicht wie das eingeschüchterte siebzehnjährige Mädchen zu klingen, das seit Jahren versuchte, ihrer Mutter gerecht zu werden, "dass ich im Krankenhaus war, hat nichts mit der Arbeit zu tun. Es war ein Unfall."

"Lüg' mich nicht an!", eine Träne kullerte Yukikos rechte Wange hinab, "du wusstest, dass ich nicht damit einverstanden bin, dass du dein Leben als billige Servicekraft, Barkeeperin oder was auch immer du dir die Jahre hast einfallen lassen, um mich zu ärgern, verschwendest."

"Ach, so hast du das also gesehen?", entgegnete Rin und warf die Kiste neben sich auf den Boden, "dass ich das gemacht habe, um dich zu ärgern? Entschuldige, aber es geht nicht um dich! Es geht um mein Leben, und ich entscheide, wie ich es führe. Wann verstehst du das endlich?"

"Nicht, wenn es heißt, dass ich dich die nächsten Male im Krankenhaus besuchen muss", ließ ihre Mutter einfach nicht locker. Die Tränen waren versiegt, aber auch nur, weil die Hitze ihren gesamten Kopf und die Wangen in Beschlag genommen hatten. Ihrer bleichen Haut verlieh der Röte ein extra Leuchten, dass nicht viel zur überreifen Tomate fehlte. "Oder was geschieht als nächstes?", warf sie direkt einen nach, "wird irgendwann die Polizei vor meiner Haustür stehen? Werde ich über die Zeitung von deinem Tod erfahren? Willst du das wirklich, Rin?"

"Übertreib doch nicht ständig, Mutter. Wenn du endlich aufhören würdest, nur das Schlechte zu sehen-"

"Wie kann es da etwas Gutes geben?", Yukikos Stimmung wechselte sekündlich. Ihr wimmern brachte Rin beinahe dazu, Mitleid zu empfinden. Aber dann dachte sie an ihre Mitbewohnerin, ihre beste Freundin, die wie eine Statue auf ihrem Platz hockte, und die Wut kehrte mit einem Ruck zu ihr zurück.

"Rin", beschwor sie ihre Mutter, "ich will doch nur das Beste für dich."

"Das Beste für mich, ist aber nicht das, was du dir darunter vorstellst, Mutter", knurrte Rin und ballte die Hände zur Faust. "Der Unfall war eine einmalige Sache", sie atmete tief ein, senkte den Blick, um nicht vollkommen die Beherrschung zu verlieren. Gerade galt ihr Zorn nicht nur ihrer Mutter, doch diese badete aus, wozu ihre beste Freundin nicht imstande schien. "Ich weiß, dass du dir nur Sorgen machst und das kann ich auch verstehen, wirklich. Aber, du kannst es nicht ändern. Lass' es auf sich beruhigen, okay? Ich verspreche, ich werde dir nicht noch einmal so einen Schrecken einjagen." Das letzte brachte sie gerade so mit zusammengepressten Zähnen hervor.

"Du weißt gar nicht, wie oft ich diesen Satz früher hören musste", entgegnete Yukiko und sah ihre Tochter flehend an, "wie oft dein leiblicher Vater-"

"Mein Vater", spie Rin aus und funkelte ihre Mutter wütend an, "lass' ihn da raus!"

Wenn es vieles gab, das Rin ertrug - aber dieses Thema…

"Ich will dich doch nur beschützen, Rin. Ich will nicht, dass du dieselben Fehler begehst wie er!"

"Ich will nichts davon hören", die junge Frau fuchtelte mit den Armen und drehte sich um, "und ich will nichts über ihn hören. Nie wieder." Am liebsten hätte sie sich die Ohren zu gehalten.

"Rin", flüsterte Yukiko.

"Bitte geh' jetzt", Rin versuchte sich zu sammeln, doch vergebens. Es war ein heikles Thema - er war ein heikles Thema - und Rin wünschte, ihre Mutter hätte es nicht angeschnitten. Schon allein den Namen zu hören, brachte ihre Nerven an ihr Limit.

"Also schön", knickte Yukiko ein und schritt an ihrer Tochter vorbei, die ihr nicht ins Gesicht sehen konnte. "Ich werde dir etwas Zeit geben…bis du wieder zur Vernunft kommst", mit diesem letzten Dämpfer verschwand ihre Mutter. Vorsichtig fiel die Tür ins Schloss.

"Ist das dein Ernst?!", jetzt drehte sich Rin zu ihrer besten Freundin. Die Stimmung war angespannt, das Knistern in der Luft spürbar, dass Rin es in einer einzigen Geste zum Entladen brachte. "Du hast meine Mutter angerufen und ihr von dem Vorfall erzählt?!" Sie breitete den linken Arm aus. "Meine Mutter! Der letzte Mensch auf diesem Planeten, dem ich davon erzählen würde. Und seit wann verbrüderst du dich mit ihr? Oder kannst du mir vernünftig erklären, was dieser Mist sollte?"

"Was hätte ich denn deiner Meinung nach tun sollen?", entgegnete Lumina nicht minder aufgebracht als Rin, dass die junge Frau vor Überraschung die Augen aufriss. Lumina in einem derartigen Tonfall zu hören, war Rin nicht gewohnt.

"Sie ist die einzige, die dich noch auf den Boden der Tatsachen bringen kann."

"Wirklich?", fassungslos starrte Rin ihre beste Freundin an. Lumina stierte derweil weiter auf ihren Aschenbecher als würde die Spinne jeden Moment zum Leben erwachen.

"Meine Mutter, die Null Verständnis hat, die keine Ahnung hat, was ich will-"

"Was du willst?!", Lumina schob den Aschenbecher beiseite, "weißt du überhaupt noch, was du willst?" Die Schwarzhaarige drehte sich um, und obwohl ihr Gesicht von unzähligen Haaren bedeckt war, sah Rin das zornige Funkeln ihrer Seelenspiegel. "Du wolltest DuelMonsters Profi werden", sagte Lumina als wüsste Rin nichts von ihren Plänen, ihren Wünschen. "Du wolltest dein Geld mit deinem Talent und deinem Ehrgeiz verdienen. Was ist davon übrig geblieben, Rin? Sag' es mir!"

Die junge Frau antwortete nicht, aber Lumina schien auch auf keine Antwort abzuzielen. Ungehindert fuhr sie fort: "Hast du überhaupt noch den Durchblick? Was du dir und deinen Mitmenschen antust?"

"So denkst du von mir?", Rin wusste nicht ob sie wütend oder traurig sein sollte. Gerade würde sie liebend gerne etwas kaputt treten.

"Ich weiß gerade gar nicht, was ich von dir denken soll", erwiderte Lumina und verzog das Gesicht, "du hast dein Ziel völlig aus den Augen verloren. Du duellierst dich nicht mehr um deinetwillen, sondern…", das Ende des Satzes blieb sie Rin schuldig, doch die junge Frau konnte sich schon denken worauf die Schwarzhaarige hinaus wollte.

"Sei ehrlich, Lumina. Geht es hier überhaupt noch um mich, oder darum, dass du von Anfang an ein Problem damit hattest, wo ich arbeite?"

Ein verächtliches Schnauben und Lumina sprang vom Stuhl auf. "Ich hatte kein Problem, dass du für eine machthungrige Firma arbeitest, die dich eigentlich nur ausbeuten will. Oder damit, dass deine Vorgesetzten Riesenarschlöcher sind. Ich habe ein Problem mit dir! Wie du einem narzisstischem Egomanen hinterher rennst und dir bereitwillig das Hirn wegblasen lässt, nur damit du dir weiterhin schön einreden kannst, dass es ja »rein beruflich« ist." Lumina machte mit Zeige- und Mittelfinger zwei Gänsefüßchen, dass Rin knurrend entgegnete: "So ein Schwachsinn!", sie wusste, dass sie eine Spur zu laut darauf reagiert hatte, aber um es zurückzunehmen, war es längst zu spät. "Ich mache das nicht für Kaiba, und das weißt du!"

"Oh doch, Rin. Oder warum hast du dich auf das Spiel gegen Zigfried von Schroeder eingelassen? Die Rin, die ich kenne, hätte sich niemals für einen Kerl geopfert, dem es scheißegal ist, was aus ihr wird."

Das stimmt nicht. Er-

"Du hast dich verändert", Lumina schlang die Arme um ihren Oberkörper. Das verletzliche, kleine Wesen war zurückgekehrt. Die Lumina, die nach Rins Duell zitternd und bleich nach Hause getrottet war.

"Ich dachte, du kennst mich", Rin war ganz leise geworden, der Groll saß tief, zu viele Gefühle prasselten gerade auf sie ein, "du kennst meine andere Seite. Mein Spieler-Ich."

"Mag sein", Lumina sah auf ihre Füße, "aber ich weiß nicht, ob ich sie weiterhin ertragen kann…"

Stille.

Beide Frauen verharrten schweigend. Ein Luftzug wehte durch die Küche, wirbelte schwarzes und braunes Haar sanft zur Seite.

"Was willst du mir damit sagen, Lumina?", Rin war die erste, die sich traute zu sprechen, auch wenn sie das eigentlich gar nicht wollte.

Lumina seufzte resigniert. "Ich kann das nicht, Rin", sagte sie und schloss kurz die Augen, "du riskierst dein Leben und ich kann nur tatenlos dabei zusehen. Diese ständige Angst um dich - sie macht mich noch kaputt."

"So wird es doch nicht immer sein", Rin machte einen Schritt auf ihre beste Freundin zu, "wenn erst einmal-"

"Was?!",redete ihr die Schwarzhaarige dazwischen und wich einen Schritt zurück, "du meinst, nachdem dich Paradius' Duellanten fertig gemacht haben? Ich habe gehört, was sie über Dartz' Technik erzählt haben! Ich kenne die Geschichten", sie schüttelte den Kopf, verdrängte die Erinnerung. Wie schlimm es um ihren schwarzhaarigen Lieblingswuschel stand, wurde ihr erst jetzt richtig bewusst. "Kannst du dir vorstellen, wie es ist, wenn die beste Freundin zusammenbricht, weil aus dem Duell ein Spiel ums Überleben geworden ist? Weißt du, was es heißt, Todesangst um den Menschen zu haben, der einem alles bedeutet? Nein, das kannst du nicht. Weil du nur noch damit beschäftigt bist, zu gewinnen, dir irgendetwas zu beweisen, von dem ich annahm, dass du es nicht nötig hättest."

"Das stimmt nicht, ich-"

"Schon gut", winkte Lumina ab, "es ist für uns beide wohl das Beste, wenn ich erst einmal Abstand von diesem ganzen kranken Mist gewinne."

"Ist das dein ernst?", Rin sah mit offenem zu, wie Lumina nach ihren Boots griff, die sie auf das Fensterbrett abgestellt hatte.

"Ich würde dir jetzt nur im Weg stehen", murmelte Lumina und band die Schuhe einen nach dem anderen zu. "Vielleicht kommst du irgendwann zur Vernunft, doch bis dahin…" Auch Lumina lief an Rin vorbei, das Gespräch zerrte nicht nur an der jungen Frau und mit schnell pochendem Herzen blickte sie ihrer besten Freundin hinterher, welche Rin schließlich hinter zugeschlagener Haustür verschwinden sah.



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