"John Wick", denn mindestens genau so grausam komme ich mir vor
Heute ist einer der wenigen Ausnahmen, in denen ich früher wach bin als Hide. Zumindest höre ich nichts. Als ich aus dem Fenster schaue, liegt auf dem Fensterbrett ein toter Vogel. Wow, noch nie etwas Schöneres gesehen, nachdem ich aufgewacht bin. Wie bedauerlich, dass er nicht mehr lebt, nur weil er keine Glasscheiben von Luft und Atmosphäre unterscheiden kann. Es ist tragisch, an etwas, das man nicht hätte kommen sehen, zu verenden. Ich seufze. Als ich auf meinem Schreibtisch nach länglichen Utensilien suche und fündig werde, überkommt mich eine Welle kleiner Traurigkeit. Weil ich den Vogel mit einem beinahe völlig aufgebrauchten Stift vom Fensterbrett stoße, damit er auf der Erde verwest und nicht vor meinem Bett. Obwohl daran nichts verwerflich ist, einen toten Vogel zu schubsen, fühle ich mich dennoch ein bisschen fies, ihn einfach von seinem Sterbeplatz zu vertreiben, auch wenn mir nichts Besseres einfällt. "Weichei.", murmle ich zu mir selbst, als ich mich anziehe und für einen weiteren Tag vorbereite. Ruhe in Frieden, gefiederter Kumpel. "Guten Morgen, Kyo! Bereit die Klausur heute? Nein? Ich auch nicht!", begrüßt er mich enthusiastisch und ich kriege bei dem Wort Klausur einen Herzinfarkt. Die... was?! Hide sieht meinen entsetzten Blick und daraufhin lachen wir beide. "Wird... wird schon schiefgehen, sind ja voll schlau, wir beide.", keuche ich lachend. Hide schnaubt und gibt sich Mühe nicht wieder in Lachen auszubrechen, weil wir wissen, dass wir durchfallen werden. Wegen des Vogels bin ich nun ein bisschen weniger traurig, auch wenn ich mich dafür ein wenig hasse, so leichtfertig mit dem Leben einer Amsel umzugehen. Es lebe der Galgenhumor.
"Was hast du bei Aufgabe 13 raus?", frage ich etwas platt nach dem Horror. Endlich Pause. "Furchtbar. Aber nichts toppt diese eine scheiß Aufgabe auf der Rückseite!", findet Hide. "Die... was?", daraufhin herrscht kurz Stille, ehe wir uns wieder über uns selbst kaputtlachen. "K-keine Sorge, ich habe die Rückseite. Ich meine, komm schon, auf diesen Trick fällt doch echt keiner mehr rein!", entschärfe ich die Bombe, was uns aber nicht unbedingt das Lachen trübt. Die Aufgabe 13 war schrecklich, aber tatsächlich habe ich trotz allem mehr geschafft, als ich dachte. Die Magie der Level-80-Magierin scheint mich wohl so ein bisschen gerettet zu haben. "Da fällt mir ein, Kyo, ich muss mal eben noch aufs Klo. Wartest du hier?", unterbricht Hide keuchend unsere Kicherei, vermutlich, damit nichts rauskommt, was es nicht sollte. "Klar, ich warte still und artig auf den großartigen Hide, der schlau genug ist, einem Lachflash beizuwohnen, während er pissen muss.", lache ich, ehe Hide die Augen verdreht und abdüst. Und so bin ich, stehe wie der letzte Dödel da und warte auf den einzigen Freund, den ich habe. Die anderen, die während meiner Abnahme ebenfalls so etwas wie Kumpels wurden, fühlen sich ohne Hide irgendwie komisch zum Ansprechen an. Trotz allem kann ich nicht einfach auf Knopfdruck meine Schüchternheit überwinden. Selbst wenn ich könnte, sie sind ja nicht mal hier. Hin und wieder starren mich ein paar Leute beim Vorbeigehen an und gehen dann weiter ihre Wege. So ist das, seit ich mit dem Training mit Hide angefangen habe. Insgeheim bin ich bekannt als der Kerl, der von Woche zu Woche was abnahm und jetzt nicht mehr mit dem anderen Kerl zu vergleichen ist, der er eigentlich auch mal war. Lange Beschreibung, ich weiß. Ich rede viel mehr, seit ich mit Hide befreundet bin. Hide ist das alles zu verdanken. Er ist der Allergrößte. Ich wüsste nicht, was ich ohne ihn tun würde. Deshalb versuche ich alles, um nicht aus seiner Schrägstrich meiner Wohnung zu fliegen, in dem ich als Kellner arbeite. Ich habe ein riesiges Stück weit mein Leben in den Griff bekommen. Mich sogar beim Vermieter, dem 'Wichser', entschuldigt, so grob zu ihm zu sein. Beste Freunde sind wir zwar immer noch nicht (vermutlich hasst er mich immer noch), aber ich denke mal, dass wir uns verbessert haben. Wie auch immer das passiert ist.
"Buh!", ich fahre zusammen und drehe mich um. Die Level-80-Magierin! "H-hi...", stammle ich und sie sieht mal wieder endlos heiß aus. "Was geht so?", fragt sie und blinkt mich mit ihren blauen Augen an. Was wohl Hide denken würde, wenn er sehen würde, wer da Schönes mit mir redet? Wie ich ihn kenne würde er sich tatsächlich eher für mich freuen, als dass er wegen seiner Ex neidisch wäre. "N-nicht viel... bei dir so?", will ich wissen und klinge piepsig. Verdammt. Was mache ich hier?! "Ach... nichts. Nur so... rumhängen...", gehen mir die Worte aus. "Nice.", bemerkt sie langgestreckt und zwinkert verführerisch. Dann fällt mir meine eigentliche Mission wieder ein. Dass ich dabei meine, Hides Schritte auf dem Weg zurück zu hören, hält mich nicht ab. Nein, ich werde mich nicht zurückhalten! "Du... ähm... Level-80-Ma-... Fuck, ich...", als sie mich verwundert ansieht, steigt mein Unbehagen ins Unermessliche. Ich schüttle den Kopf und beschließe, alles auf eine einzige Karte zu setzen. Der allerstärksten Yu-Gi-Oh-Karte in meinem Besitz. Ehe ich meinem Kopf benutzen kann, packe ich sie an den Schultern, ziehe sie an mich und küsse sie. Es fühlt sich an, als hätte ich sämtliche Dimensionen im Universum aufgerissen und wäre durch ein Wurmloch in eines hineingeflüchtet, in dem sogar für mich etwas erotische Energie vorhanden ist. Über diese Energie wird in Physik nicht geredet. Vermutlich, weil sie in den Augen der Physiker nicht existiert. Was nicht heißt, dass sie nicht existiert. Ich spüre sie und mir ist egal, dass ich mir diesen Begriff gerade ausgedacht habe, als ich die Level-80-Magierin sexuell belästigte. Doch wie jede Energie wandelt sich diese um und schneller als ich schauen kann, wird aus der erotischen Energie eine so langweilige und unscheinbare Wärme, die sich zugleich in meine Netzhaut einbrennt und mein Herz in einen Haufen Asche verwandelt. Hide. Ich habe sage und schreibe eine Sekunde die Augen geöffnet, um den Kuss vorsichtig zu beenden, da sehe ich ihn, fassungslos und verletzt, ohne, dass ich den Grund kenne. Dieser Blick reicht, dass ich an der Hitze der langweiligen Wärme aus dem Physikunterricht zugrunde gehe. "Yu... Yuki?! ... Kyo?!", stammelt er, als ich die Level-80-Magierin aka Yuki benommen vor Schock von mir schiebe. "Hide, es...", wieder bleiben mir die Worte im Hals stecken, als Hide sich umdreht, mir den Rücken kehrt und geht. Einfach so. Und ich bin ganz allein. Ich brauche keinen IQ im dreistelligen Bereich, um mir zusammenzureimen, was sich eben abgespielt hat. Ich, Taiyo Kyokei, habe den einzigen Freund, den ich je hatte, verloren, indem ich mit seiner Ex rumgeknutscht habe. Und es gibt keine Freundschaft, die so etwas überlebt.