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Die Lüge

von

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All Hallows' Eve

"You're hoping Castiel will return to you.

I admire your loyalty. I only wish he felt the same way."

Naomi zu Dean 8x19
 

 
 

Die Sonne war bereits untergegangen. Sie hatte weichen müssen für abertausende von Sternen, die nun die Dunkelheit des Firmaments durchbrachen. Ihr fahler Schein fiel auf die Brüder herab und tauchte die Lichtung des sonst so dichten Waldes in kühle Farblosigkeit. Es war wirklich wahr, Blut sah im Sternenlicht schwarz aus.
 

„Was wollt ihr von mir?“, wiederholte Dean seine Frage. Ein ersticktes Keuchen drang aus seiner Kehle. Der metallische Geschmack in seinem Mund wollte nicht verschwinden. Er war zahlenmäßig weit unterlegen und das Engelsschwert außer Reichweite.
 

Schon am Morgen waren sie zur Jagt aufgebrochen. Das würde ihn beruhigen, hatte Dean gesagt. Er hatte an etwas anderes denken wollen als an das, was Cas heute Nacht tun würde. In dieses Naturschutzgebiet hatten sie den Rugaru verfolgt. Doch dann bei Anbruch der Dämmerung waren die Engel aufgetaucht. Noch immer umringten sie die beiden Jäger. Sie schienen auf etwas zu warten.

Sam lag einige Meter neben ihm und rührte sich nicht. Mit einer Berührung an der Schläfe hatten sie ihn in die Bewusstlosigkeit geschickt. Offenbar waren sie nicht an seinem jüngeren Bruder interessiert, stellte Dean ein wenig erleichtert fest, sondern nur an ihm, immerhin.
 

Naomi sah abschätzig auf ihn herab: „Dachtest du sein Diebstahl bliebe unbemerkt?“ Also hatte Castiel es geschafft, er hatte die Hand Gottes, eine mächtige Waffe. Dean straffte seine Schultern. Wenn sie ihn nun entführen wollten, um Cas zu erpressen, würde er nicht kampflos aufgeben.

„Keine Sorge, wir halten ihn nicht auf. Gegen sein Vorhaben haben wir keine Einwände. Wir sind neugierig, was passieren wird“, teilte sie ihm mit. Ihre kalten Augen streiften über sein Gesicht. „Der Zauber, musst du wissen, nährt sich von seiner Lebenskraft. Die Überlebenschancen sind, sagen wir, gering.“
 

Augenblicklich verlor Dean den Halt, es war als hätte man ihm den Boden unter den Füßen weggezogen. Panik erfasste ihn, eine Woge aus Furcht drohte ihn zu überrollen. Er hörte sein eigenes Blut dumpf in seinen Ohren rauschen. „Wo ist er?!“ Niemand antwortete. „Wo ist Castiel?!“, schrie er den Engeln entgegen in die Nacht hinaus. Es interessierte den Jäger nicht, wie armselig verzweifelt er klang, wie weit er unterlegen war und wie er es hier raus schaffte. Nur eines war sicher, er würde es schaffen, er musste.

Wieso waren die Engel hier? Bloß um sich an seinem Leid zu ergötzen? Nein, um ihn von Cas fernzuhalten, traf Dean die Erkenntnis. Schon damals hatte Naomi die Verbindung ihres Soldaten mit diesem Menschen als größte Bedrohung wahrgenommen. Das hatte sich nicht geändert.
 

Dunkle Wolken zogen auf, erstes Donnergrollen war in weiter Ferne zu hören. Naomi lächelte. „Es ist zu spät, er hat bereits begonnen. Du wirst es nicht mehr aufhalten können.“
 

Mit einem Flügelrauschen verschwanden die Engel und ließen die Brüder einfach in der Nacht zurück. Nur eine von ihnen war bei ihnen geblieben. Graue Jacke, helle Haut, schulterlanges braunes Haar. Hannah. Einen Moment lang zögerte sie. „Die Kirche, in der dein Bruder versucht hat die Tore der Hölle zu schließen.“ Sie hatte Dean nie gemocht, aber Castiel war ihr noch immer wichtig.
 

„Danke, Hannah.“ Er versuchte sich an einem Lächeln.
 

„Viel Glück, Dean“, sagte sie, doch was er in ihrem Gesicht sah, war keine Hoffnung, es war Mitleid und Trauer. Er wollte das nicht sehen.
 

°*°
 

Ein tosendes Gewitter wütete am Nachthimmel. Wolken jagten getrieben vom Sturm über das Firmament. Kein Stern war mehr zu sehen. Ihr spärliches Licht war abgelöst worden von grellen Blitzen, die bis hinunter zur Erde zuckten, gefolgt vom Grollen des Donners.
 

Finstere Wälder und dunkle Häuser mit schlafenden Menschen darin zogen an ihnen vorüber, fernab der Lichter der Stadt. Weiße, gelbe und rote Lichter vermischten sich zu undefinierbaren Schlieren, die aufleuchteten, blendeten und dann wieder in der Dunkelheit verschwanden als wären sie nie da gewesen. Dean sah apathisch auf die Straße, sah zu wie die Welt an ihm vorüberzog und sah doch nichts. Seine Finger hielten das Lenkrad so fest, dass seine Knöchel weiß hervortraten. Sam auf dem Beifahrersitz versuchte nicht ihn zu beruhigen, tat es ihm gleich und schwieg, während Dean das Gaspedal durchdrückte.
 

Wie viel Zeit sie doch vergeudet hatten… Deans Kopf war voll, voll von Dingen, die er bereute, Dingen, die er getan hatte oder eben nicht getan hatte, Dingen, die er ihm nie gesagt hatte. Ich habe mich nie bei dir bedankt. Du bist nicht selbstverständlich. Ich will, dass du glücklich bist. Ich will dich nicht verlieren. Ein Widerspruch.
 

Wenn er Castiel angesehen hatte, hatte er stets alles gesehen, was er je gewollt hatte. Dean sah sich selbst an und sah nichts, was er verdiente. Er hatte Dinge getan… schreckliche Dinge. Wie konnte er zulassen, dass der Engel bei ihm blieb? Cas durfte nicht seinen Preis bezahlen müssen, den Preis seines Jobs, Cas durfte nicht sterben. Schon zu viele hatten das getan. Jeder, der ihm je etwas bedeutet hatte, war gestorben, manche sogar mehrfach, wie Sam und Cas. Er war wie Gift. Jeder, den er… gern hatte, war dem Untergang geweiht. Charlie, Kevin, Benny, Jo, seine Mutter, sein Vater, Bobby… sie alle waren tot. Lieben bedeutete zerstören. Durch seine Gefühle für Cas brachte er ihn in Gefahr. Eines Tages würde er sein Verderben sein, wenn er das nicht längst schon war.

Zu viel schon hatte Cas für ihn opfern müssen. Dean wusste, er müsste ihn gehen lassen, aber dazu fehlte ihm die Kraft. Stattdessen hatte er den Engel stets in seiner Nähe behalten, zwar immer mit einigem Abstand, jedoch nie gänzlich fort. Weil er ihn brauchte. Er brauchte ihn so sehr… Und das war das Egoistischste, das er je getan hatte. Abstand. Ja, er hatte ihn am ausgestreckten Arm verhungern lassen, gehalten und doch von sich weggestoßen. Dean hatte Angst. Angst ihn einzulassen und Angst, dass er ging. Aber das war keine Entschuldigung, denn er hatte dabei immer gewusst, was er Cas damit antat. Er hatte es gewusst und doch nie beendet.
 

Vor allem hatte er Angst gehabt, der Engel könnte seine Empfindungen nicht erwidern. Wie unwichtig das alles doch auf einmal war. Es war egal, egal wie sehr es wehtat, egal wenn Cas sich von ihm distanzieren würde, egal wenn der Engel ihn nie wiedersehen wollte, solang er lebte. Solang Cas überleben würde, war alles andere egal. Sie ließen in jedem Augenblick ihres Daseins etwas los, ohne das sie nicht leben konnten. Sie nannten es ausatmen. Wie leicht wog doch Castiels Ablehnung in Anbetracht von dessen Tod. Was man nie hatte, musste man auch nicht vermissten? Was man nie festhielt, musste man nicht loslassen? Das war eine Lüge.
 

°*°
 

Als das Geräusch des Motors erstarb, legte sich eine gespenstische Stille über sie, allein durchbrochen vom Heulen des Windes, der zwischen die Dichtungen pfiff, am Wagen rüttelte und sie einmal mehr daran erinnerte, dass dies keine gewöhnliche Nacht war. Dean hatte in einiger Entfernung zu der Kirche geparkt. Steil ragte ihr Glockenturm in den nächtlichen Himmel, als würde sie ihre Hand ausstrecken, auf ewig unergriffen, zu Stein geworden, erstarrt und unbeweglich. Einsam in ihrem ungehörten Hilferuf.
 

„Warte hier“, sagte er an seinen Bruder gewandt. Er musste das allein tun.
 

„Bist du dir sicher?“ Der Blick des Jüngeren war unergründlich.
 

Dean nickte und wunderte sich, dass Sam nicht darauf beharrte ihn zu begleiten. Gerade wollte er die Fahrertür öffnen, da hielt der Größere ihn am Arm zurück. „Dean? Bring ihn zurück, ja? Euch beide, lebend. Versprich mir, dass du zurückkommen wirst, egal was passiert.“
 

„Ich versprech’s.“ Beide wussten sie, dass das nicht wahr war, dass er nichts versprechen konnte. Und doch fühlten sie sich wohl in diesem kleinen Augenblick, dieser Illusion von Sicherheit.
 

Leise stieg Dean aus dem Wagen und ließ seinen Bruder zurück. Wind griff in seine Kleidung, bis er das Auge des Sturms erreicht hatte. Dort im Umkreis der Kirche war alles still. Die Nacht roch nach welkem Laub und nassen Straßen. In der Ferne bellte ein Hund. Dunkle Wolken hatten sich auch hier über das Firmament gelegt und verschluckten noch das letzte kärgliche Licht der Sterne. Nebel war vom See kommend aufgezogen und machte seine Kleidung unangenehm klamm. Die Schwaden legten sich in wallenden Fetzen um das Geäst der Bäume, die sich in die Finsternis streckten als ob sie sie willkommen hießen.
 

Dämonen umgaben die alte Kirche, schwarzer Rauch und besessene Körper. Sie belagerten das marode Gemäuer als spürten sie was darin vor sich ging. Noch hatten sie den Jäger nicht entdeckt.
 

In einer entschlossenen Bewegung zog Dean seine Pistole aus dem Gürtel. Das glatte Metall fühlte sich kühl in seinen Fingern an, sie lag schwer in der Hand. Dann legte er sie vor sich auf den laubbedeckten Boden. Es folgte der Dolch aus seinem Hosenbein und zuletzt das Dämonenmesser, bis er jede seiner Waffen niedergelegt hatte.

„Ich will einen Deal!“, rief er laut mit erhobenen Händen.
 

Unmittelbar flackerten dutzende Augenpaare zu ihm herüber und grobe Hände packten ihn, schleiften ihn über den feuchten Untergrund. „Nenn mir einen guten Grund, warum wir dich nicht auf der Stelle häuten sollten, Jäger!“, zischte eine der dunklen Gestalten dicht an seinem Ohr. Selbst für Dämonen war dieses Verhalten seltsam impulsiv und spiegelte ihre angespannte Lage wider.
 

Und dennoch, nicht ein Funken Angst fand sich im Blick des Menschen. Das, was er wirklich fürchtete, befand sich in dieser Kirche, nicht davor. „Im Gegensatz zu euch kann ich da reingehen. Ihr könnt die Schutzzauber und Sigillen nicht überwinden. Wir haben dasselbe Ziel, den Engel aufhalten.“
 

„Wieso solltest du das wollen? Du bist ein Jäger.“ Argwöhnisch musterten ihn die zehn Dämonen, die ihm am nächsten standen.
 

„Ich bin Dean Winchester und der Engel da drin ist Castiel!“, rief er und fügte leiser an, „Der Zauber wird ihn töten…“ Da ließen sie ihn los und schienen seinen Absichten mit einem Mal Glauben zu schenken. „Also haben wir einen Deal? Ihr lasst mich ungehindert in diese Kirche, dafür halte ich den Engel auf.“
 

„Deal“, bestätigte eine hübsche blonde Dämonin, trat näher und presste ihre Lippen auf seine. Ihre Zunge schob sich in seinen Mund und Dean wollte brechen. Der Vertrag war besiegelt, der Pakt war geschlossen. Und so traten die Dämonen zur Seite, säumten seinen Weg.

 
 

"Don't make me lose you too."

Dean zu Castiel



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