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Was damals war

von
Koautor: Calafinwe

Vorwort zu diesem Kapitel:
Nach einer gefühlten Ewigkeit (und mehrmaligen Überarbeitungen) geht die Story endlich weiter. Ich wünsche euch viel Spaß!

Die Aufgaben zu diesem Kapitel finden sich im Nachwort. Komplett anzeigen

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Zwischen Pflichten, Peinlichkeiten und Problemen

„Kadetten, aufgestanden! Morgenappell beginnt um 0530! Marsch marsch!“, dröhnte eine Lautsprecher-Stimme gefühlt vielleicht eine Stunde nachdem ich ins Bett gefallen war, und riss mich somit aus dem Schlaf der Gerechten. Und das wo ich gerade so einen schönen Traum hatte, in dem ich wieder meiner gewohnten Arbeit nachging...mutete seltsam an, ich weiß. Dabei war es eigentlich in jüngeren Jahren immer mein Traum gewesen, Ivalice live und in Farbe zu erleben. Mein jüngeres Selbst wäre wohl besser mit alldem klargekommen...wobei...

Während ich mich aufsetzte und darüber nachgrübelte, waren die anderen fünf Damen längst dabei, sich zu waschen und anzukleiden, zumindest hörte man das hektische Auf- und Zugehen von Schranktüren. Ich starrte derweil lieber wie hypnotisiert auf meine Bettdecke...wie war die denn da hingekommen? Egal. Hauptsache, ich hatte gestern nicht vergessen, mich abzuduschen.

Ich erinnerte mich dunkel, dass Delwyn mich zu den Mannschaftsduschen geschleift hatte, aber danach lief alles gefühlt auf Autopilot und jetzt saß ich noch halb schlafend in einem mir unbekannten Bett.

Ich glaube, mein jüngeres Selbst wäre wahrscheinlich eher verzweifelt, als-

„Estrid, was machst du denn? Komm, raus mit dir!“

Eine mir unbekannte, weibliche Stimme drang an meine Ohren und eine Hand schnappte nach meinem Oberarm, um mich aus dem Bett zu ziehen, damit ich wohl in die Gänge kam, doch das erledigten die blauen Flecken schon ganz gut, die durch das Anpacken protestierend pochten.

Autsch! ...achja, die blauen Flecken von gestern...hoffentlich hat Noah nicht mehr so schlechte Laune...

„I-Ist ja gut...ich mach ja schon...“, kam es noch dezent verpennt aus meinem Mund und ich ließ mich aus dem Bett ziehen. Das leicht unscharfe Gesicht einer jungen Frau direkt vor meiner Nase blickte mich an. Ich konnte ein paar braune Augen und schwarze kurze Haare erkennen, aber dieses junge Ding vor mir war mir gänzlich unbekannt und trat nun auch aus meinem Sichtfeld.

Energisch schob mich diese Unbekannte zu meinem Schrank, zumindest konnte ich ihre Hände nunmehr in meinem Rücken spüren und setzte mich selbst in Bewegung.

„Geht ihr schonmal vor, wir kommen sofort nach! Estriiid, nun mach, ich dachte echt das hätten wir hinter uns... Beeil dich! Der Captain wird nur sauer wenn jemand zu spät kommt!“

Kannten wir uns etwa auch? Schwer zu sagen, in einer Kaserne voller unbekannter Menschen konnte es durchaus sein, dass da noch mehr 'bekannte Gesichter' auf mich warteten.

Ich will in meinem Tempo wach werden...meeeh...

„T-Tut mir...leid, ich...mach ja schon“, kam es zerknirscht und müde über meine Lippen.

Bedingt durch die gestrige 'Tortur' von einem Trainingsduell war ich noch dezent gerädert und begann mich, wenngleich es mir ziemlich unangenehm war, unter Anwesenheit der verbliebenen jungen Dame umzuziehen. Zwar etwas schneller, aber noch ein wenig verschlafen. Schlussendlich steckte ich in einer sauberen Version der Uniform von gestern, setzte die Brille auf die Nase, bürstete durch die Haare und langte nach dem Haarband, das am Haken in der Schranktür hing. Die Haare zurück zu binden ging besser von der Hand, als ich dachte, auch wenn es schwieriger war als mit einem simplen Haargummi.

An einem weiteren Haken war, was ich noch erspähen konnte, noch immer ein Stück Papier 'befestigt'. Ich hatte jedoch auch jetzt keine Zeit und nicht wirklich den Nerv, mir eben dieses genauer anzuschauen. Meine Antreiberin war ja auch immer noch da und schloss den Schrank etwas energischer, ehe sie mich hektisch mitzog.

Ich rieb mir derweil mit einer Hand den Schlaf hinter der Brille aus den Augen und versuchte Schritt zu halten.

Soweit ich das mit meinem noch nicht ganz wachen Kopf beurteilen konnte, schlug sie den Weg zum Übungsplatz ein. Dort sollte wohl der Morgenappell stattfinden und anscheinend kamen wir gerade noch rechtzeitig an. Eine Uhr hatte ich bisher nirgendwo gesehen...wie konnte man da also so sicher sagen, wann man zu spät war und wann nicht? Gute Frage, die mir mein mieses Zeitgefühl auch nicht beantworten konnte.

 

Die Sonne war gerade dabei, über Archadis aufzugehen und hätte ich gekonnt, würde ich jetzt viel lieber genau diesen Sonnenaufgang beobachten, doch nein. Stattdessen mussten wir stillstehen, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, während mehrere Soldaten in Rüstung die Reihen durchgingen und abzählten, ob auch wirklich jeder da war.

Anwesenheitskontrolle, fast als wären wir kleine Kinder die einfach abhauten.

„Was ist denn los mit dir?“, zischte die schwarzhaarige Unbekannte, kaum dass ein Soldat uns passiert hatte.

„Müde...“ Ich unterdrückte ein herzhaftes Gähnen nach dieser kleinlauten Äußerung.

„U-Und außerdem...uhm...naja...hab ich gestern ziemlich...einstecken müssen“, gab ich noch kleinlauter zum Besten als eben schon.

„Ach, deshalb die ganzen blauen Flecken“, stellte sie leise fest, jedoch konnte ich nicht wirklich etwas darauf erwidern, da just in diesem Moment erneut ein Soldat an uns vorbeimarschierte und kurze Zeit später wurden wir auch schon zum Frühstück entlassen, da wohl alle vollzählig waren.

 

Frühstück...

Allein bei dem Gedanken zog sich alles in mir zusammen. Ich frühstückte nur selten bis garnicht, andererseits hatte ich seit gestern nichts Vernünftiges mehr zwischen den Zähnen gehabt, also...folgte ich meiner schwarzhaarigen Antreiberin einfach, deren Namen ich immer noch nicht kannte.

Wir sprachen dabei kein einziges Wort – auch wenn mir gefühlt tausend Fragen auf der Zunge lagen, die ich gern loswerden wollte. Doch da funkte das nicht wirklich vorhandene Selbstbewusstsein dazwischen und ich hätte mir wieder einmal in den Arsch beißen können. Himmel, ich kam mir wieder vor wie eine junge Erwachsene, dabei war ich doch schon so viel älter, hatte sogar schon die 30 geknackt. Manche Dinge änderten sich eben nie...wobei, früher war es noch schlimmer als jetzt, wo ich zumindest wieder ein halbwegs normales Verhältnis zu meiner Familie pflegte. Aber halt, das gehörte hier jetzt wirklich nicht hin.

 

Mittlerweile hatten wir eine Art simpel eingerichtete Großkantine erreicht.

Ich unterdrückte erneut ein Gähnen und sah mich ein wenig um, ehe ich es den anderen gleichtat und mir ein Tablett schnappte, sowie einen bereits vorbereiteten Teller. Viel Auswahl, was die erste Mahlzeit des Tages anging, gab es nicht. Brot, etwas Käse, Wasser, ein wenig Obst – oder zumindest etwas, das so aussah wie Trauben. Ich rollte nur unmerklich mit den Augen.

Och nee...kein Käse...wobei...woraus machen die den hier überhaupt? Vielleicht kann ich den ja...nein, kein Risiko eingehen.

Am Ende vertrug ich den Käse hier auch nicht wie schon einen Großteil anderer Milchprodukte und bereitete mir immense Magen- sowie andere Probleme. Also blieb ich beim kläglichen Rest, sortierte den Käse von meinem Brot weg und suchte mit dem Tablett in Händen nach einem freien Plätzchen, um in Ruhe essen zu können...da schallte auch schon eine vertraute Stimme zu mir herüber:

„Estrid! Komm und setz dich her!“ Es war Delwyn, der am einem der hölzernen Tische mit langen Holzbänken saß und mich wohl erspäht hatte. Er winkte mich energisch zu sich herüber und grinste dabei breit.

Oh Himmel steh mir bei...ach egal, ein bisschen Gesellschaft schadet echt nicht und er wirkt ja ganz okay...vielleicht kann er mir ja helfen...zumindest ein bisschen.

Ein ergebenes Seufzen später hatte ich ein höfliches Lächeln aufgesetzt und mich neben ihm niedergelassen.

 

„Na, gut geschlafen? Siehst immer noch ein bisschen zerknittert aus“, kam es in frechem Ton von dem anderen Kadetten. „Hat Ana dir Beine machen müssen? Die ersten paar Tage hat sie das immer getan und mich hinterher dann vollgemeckert... Als könnte ich was dafür, wenn manche Leute nicht in die Gänge kommen.“

Ana? Moment...War das vielleicht die junge Frau von vorhin, die mich so mitgezogen hat?

Ich knabberte nachdenklich an meinem traubenförmigen Obst herum, das ungewöhnlich süß schmeckte – wie eine Mischung aus besonders fruchtigen Erdbeeren und Kiwi. Ungewöhnlich, aber definitv genießbar soweit ich das beurteilen konnte.

„Uhm...ja, denke schon“, murmelte ich schließlich unsicher, sowie etwas abwesend und griff nach dem Brot, ehe ich meinem Sitznachbarn mit dem Deut der freien Hand den grob geschnittenen Käse anbot, der direkt daneben lag.

„Willst du? Ich...mag heute keinen Käse.“

Was tue ich da eigentlich?

Vielleicht, so dachte ich mir weiter, war das ein verzweifelter Versuch in sozialer Interaktion, und die sollte nicht ohne Folge bleiben. Der Kadett neben mir blinzelte zunächst erstaunt, nahm dann aber den Käse.

„Klar, danke! Auch wenn du den sonst immer verschlingst und ihn mir sogar klaust, wenns welchen gibt.“

Neugierig geworden zog ich eine Augenbraue nach oben, schwieg jedoch und kaute an meinem trockenen Brot, als gäbe es nichts Besseres. Wie gerne würde ich Delwyn jetzt mit Fragen löchern wollen...aber daraus wurde nichts und das nicht nur, weil ich den Mund voll hatte.

Der Braunhaarige neben mir hatte den angebotenen Käse bereits verschlungen und quasselte nun wieder wie ein Wasserfall, gefühlt für drei Leute.
 

„Wir sind jetzt schon gut zweieinhalb Monate hier, fühlt sich eher an wie ein halbes Jahr wenn du mich fragst, so wie Captain Ainsworth teilweise drauf ist... Wir haben noch soo viel Zeit...fast sechs Monate. Dann erst wird mit nem speziellen Test festgelegt, in welche Richtung man später geht, ich würde ja wirklich gern Scharfschütze werden.“ Die theatralische Art, wie Delwyn das Ganze erklärte und mir von seinem Ziel berichtete, ließ mich ein wenig schmunzeln. Doch ich zwang mich rasch zur Ordnung und frühstückte nebenbei weiter.

Er...Scharfschütze...eine der Eliteeinheiten der archadianischen Armee? Das passt irgendwie so gar nicht...

Soweit zumindest meine Gedanken zu dem Ganzen, aber vielleicht überraschte er mich ja noch mit anderen Seiten seiner Persönlichkeit – wie der ernsten Stimme of Doom, die ich gestern schon mitbekommen hatte.

„Wir müssen heute Abend unbedingt was unternehmen...andererseits isses gegen die Regeln sich nach Einbruch der Dunkelheit außerhalb der Kaserne rumzutreiben, wenn es nicht gerade triftige Gründe oder einen Befehl gibt. Wirft angeblich ein schlechtes Licht auf die Armee. Zumal wir nicht anders rausdürfen als in dem Aufzug hier.“ Der Braunhaarige zupfte an seinem Hemd, verdrehte dabei leicht die Augen und schüttelte den Kopf.

„Schwachsinnig wenn du mich fragst. Also, wie wärs? Du kannst nicht immer nur mit der Nase zwischen Büchern hängen wie dieser Noah Gabranth. Immer nur am Trainieren oder lernen der Gute. Naja egaaal. Sollte mir eigentlich 'nen Beispiel an ihm nehmen, wo ichs schonmal aus dem Höllenloch von Altstadt geschafft habe.“ Delwyn streckte sich und verschränkte die Arme hinter dem Kopf – mit einem Grinsen im Gesicht, dass man meinen könnte die Sonne würde nochmal aufgehen.

Dass 'wir' schon gut zweieinhalb Monate hier waren, war schonmal gut zu wissen, und ebenso, dass es wohl eine Art Sperrstunde zu geben schien. Aber noch sechs Monate würde ich nicht überleben, niemals. Nicht wenn das so wie gestern weiterging... Andererseits musste man irgendwo anfangen und es konnte doch nur besser werden.

Oder schlechter, wenn ich dem pessimistischen Stimmchen in den Untiefen meines Oberstübchens glaubte. Mal abgesehen davon brachten mich die Worte meines Bekannten ins Grübeln – wieder einmal, sei dazu zu sagen.
 

Ach Noah...irgendwie wünsche ich mir, dass du diesen Weg nicht gehst. Basch hat nichts falsches getan... Andererseits...isses wohl besser so... Und Delwyn, er...meint er etwa das Alte Archadis? Gibts diese trostlose Gegend von einer Altstadt hier ebenfalls?

Offenbar gab es die und ich wollte nicht so taktlos sein und nachbohren, welche Entbehrungen der junge Mann neben mir auf sich hatte nehmen müssen, von seiner Familie ganz zu schweigen. Wenn er denn überhaupt eine hatte. War er vielleicht deswegen so...überschwänglich?

Innerlich schwer seufzend stopfte ich mir den letzten Rest Brot in den Mund und spülte es mit einem Schluck Wasser hinunter, ehe ich gedachte eine Antwort zu geben.

„Ich denke darüber nach...keine Ahnung, was man hier...sonst so machen kann. I-Ich meine...ach...egal.“

Idiot! Du solltest doch besser die Klappe halten...

Meine Antwort schien den Jüngling neben mir zu irritieren, denn er setzte sich wieder normal hin. Offenbar hatte ich etwas Falsches gesagt...oder doch nicht? Kurze Zeit später kehrte ein keckes Grinsen zurück.

„Du hast Zeit bis zur Mittagspause ums dir zu überlegen. Iss auf und schnapp dir deine Trainingsklamotten, wir müssen gleich los zum Training. Sonst macht der Captain uns persönlich Beine. Glaub mir, ich habs einmal versäumt, und er hat mir danach über eine Stunde einen Vortrag gehalten von wegen ich würde mich zu sehr gehen lassen...und mir zur Strafe das dreifache Pensum aufgebrummt. An einem freien Nachmittag.“

Ich blickte Delwyn an wie ein Reh, wenn es blitzte. Training? Niemals! Und überhaupt, was für Training?

Ich will niiicht...

Schon gleich dreimal nicht, wenn ich das Gefühl hatte, trotz Frühstück noch immer nicht zu hundert Prozent wach zu sein. Das nervte mich am Meisten – neben der Tatsache, dass mein Training gleich welcher Art eigentlich nur aus Yoga-Übungen bestand. Für mehr hatte ich schlicht keine Zeit aufgrund meiner Arbeit.

Wobei, eigentlich sollte ich mir die Zeit nehmen...aber...ach egal.

 

„Du solltest mal dein Gesicht sehen, Estrid. Das war kein Witz. Jeden Tag nach dem Frühstück geht’s zum Training und danach unterrichtet uns der Captain höchstselbst oder wir dürfen raus und uns im Dienst erproben“, konstatierte Delwyn in halb amüsiertem, halb ernstem Ton. Wenigstens wartete er, bis ich alles restlos verputzt hatte – was nun auch nicht allzu lange dauerte. Dann brachten wir gemeinsam unsere Tabletts zurück. Es war, wie ich an einer großen Wanduhr über den offenen Schwingtüren der Kantine ablesen konnte, mittlerweile viertel nach sechs Morgens. Normalerweise wäre ich um diese Zeit bereits auf dem Weg zur Arbeit – oder wenigstens zur Haustüre draußen, um mich auf den Weg dorthin zu machen.
 

Delwyn würde mich nahe des Eingangs zur Kaserne erwarten, und zwar in fünfzehn Minuten.

Da mein Zeitgefühl nun wirklich nicht das Beste war und ich bisher nur eine große Wanduhr über dem Ein- und Ausgang der Kantine gesehen hatte, beeilte ich mich, zurück zu den Gemeinschafts-Schlafräumen zu gelangen.

Vielleicht fand sich ja dort in meinem Schrank etwas. Gestern hatte ich nicht darauf geachtet – aus sehr gutem Grund wohlgemerkt!

Zum Glück habe ich mir den Weg einigermaßen gemerkt...glaub ich...

Aufgrund der Tatsache, dass die meisten Gänge gefühlt gleich aussahen, dauerte es trotzdem etwas länger, bis ich den richtigen Raum gefunden hatte. Hastig, um keine weitere Zeit mehr zu vergeuden, ging ich zu meinem Schrank und scannte diesen etwas hektisch von oben nach unten und tatsächlich – in einem der oberen, größeren Fächer stand eine gepackte Ledertasche mit eingebranntem Moogle-Kopf und dem archadianischen Wappen direkt daneben.

Gott, war das peinlich! Hatte 'ich' etwa ein Moogle-Faible?

Nichts gegen Gardy oder Nono, bei allem was mir heilig war, aber das war doch ein wenig zuviel des Guten.

Ich musste mich leicht strecken und auf die Zehenspitzen stellen, um die Tasche aus dem Fach ziehen zu können und riskierte einen kurzen Blick hinein. Darin befanden sich Trainingsklamotten in den Farben der Kadetten-Uniform und ein extra Paar Schuhe, samt mindestens eines Handtuchs und etwas das aussah wie eine Seifenbox. Kurz überlegte ich, ob Shampoo oder Duschgel hier nicht existierten, denn bis jetzt war Kernseife das Einzige, was mir gewissermaßen über den Weg gelaufen war. War Archadis nicht die fortschrittlichste Stadt von ganz Ivalice? Wobei...sollte ich mir wirklich den Kopf über solchen Kleinkram zerbrechen, statt herauszufinden, ob das vielleicht doch nur ein Traum war, aus dem ich mich weigerte aufzuwachen?

Obenauf lag eine Feldflasche in der Sporttasche, und sie war sogar noch gut gefüllt, denn es schwappte verdächtig als ich das Ding kurz in die Hand nahm.

Delwyn meinte, es geht jeden Tag zum Training... Was immer da drin ist, sollte also noch okay sein.

Es war offenbar alles vollständig – hoffte ich zumindest. Wenn nicht...sei es drum, das nannte man dann persönliches Pech.
 

Kurz bevor ich den Schrank einfach wieder zuwarf, blieb mein Blick erneut an dem Zettel hängen, den ich heute Morgen nicht genauer hatte betrachten können und mir stockte kurz der Atem.

„Golmore-Dschungel“, las ich leise vor und schloss den Schrank fast schon reflexartig – mit etwas mehr Nachdruck als ich eigentlich wollte, denn die Tür vibrierte leicht.

Wieso stand der Name dieses Dschungels auf diesem Zettel, in dieser seltsamen Schrift die in Ivalice verbreitet war? Wieso konnte ich das lesen und was zur Hölle war das schon wieder für ein kryptischer Hinweis? War es überhaupt einer, oder interessierte 'ich' mich einfach nur für diesen Dschungel?

Da liegt doch das Dorf Elt, aber...weiß sie...ich das auch? Und warum kann ich die Schrift hier lesen? Das kam mir gestern in der Bibliothek schon seltsam vor.

Mehr Rätsel taten sich hier gerade auf, als gut für meinen müden Kopf waren, und ich schob das alles vorerst beiseite. Delwyn hatte vorhin angedeutet, dass 'ich' wohl ein Bücherwurm war...hatte das etwas damit zu tun? Je mehr ich hier herausfand, desto unklarer wurde alles irgendwie – oder kam mir das nur so vor?

Wieso hat diese doofe Tasche eigentlich keinen Schultergurt? Das ist echt unpraktisch!

Tief seufzend und mit diesen absolut abwegigen Gedanken im Hinterkopf machte ich mich mit der Sporttasche in der rechten Hand auf den Weg zu unserem Treffpunkt, wo der junge Mann schon auf mich wartete...und noch eine Person, die ich nicht kannte.

Das Gesicht kam mir jedoch bekannt vor! Es war die gleiche junge Frau, die mich heute Morgen so energisch umhergezogen und -gescheucht hatte – und sie schimpfte den größeren Delwyn offenbar, ehe sie von dannen stapfte.

Genau verstanden, was da gesprochen worden war, hatte ich nicht, da ich ein wenig zu weit weg war.
 

Unsicher näherte ich mich und tippte ihn an, woraufhin er leicht zusammenzuckte. Es dauerte einen kurzen Moment, da war auch wieder das kecke Grinsen präsent – als wäre es nie weg gewesen.

„Da biste ja. Na dann lass uns keine Zeit verlieren! Ich glaube, mit deinen blauen Flecken solltest dus etwas ruhiger angehen lassen als sonst“, meinte Delwyn und hob seine am Boden stehende Sporttasche hoch, während ich ein wenig mürrisch den Mund verzog.

„Geht schon wieder, es...tut gar nicht mehr weh“, beteuerte ich in einem ebensolchen Tonfall, wie meine Miene vermuten ließ. Der Versuch, möglichst neutral zu klingen, war also grandios gescheitert.

Dass das zudem gelogen war und ich mich tatsächlich ziemlich gerädert fühlte – immer noch sei anzumerken – musste ja keiner wissen. Denn ich wollte keine Extrawurst, nur weil Noah gestern die Wörter Zurückhaltung oder Rücksicht offenbar glatt vergessen hatte.

„Na gut...gehen wir?“, wollte Delwyn wissen und setzte bereits dazu an, in seiner überschwänglichen Manier loszumarschieren, da tauchte erneut eine junge Dame bei uns auf, als hätte sie nur darauf gewartet, dass wir uns aufmachten.

Und sie wirkte kein bisschen amüsiert. Ein miesepetriger Gesichtsausdruck war es, den sie da spazieren trug. Nein, es war nicht die Selbe wie vorhin. Fast so groß wie Delwyn war sie – und noch dazu ein Tomboy wie er im Buche stand, wenn man mal von der Uniform absah.

Dazu passten auch die kurzen, rotbraunen Haare und die fast schon stechend dunkelblauen Augen. Irgendwie wirkte sie in der Damen-Uniform ein wenig deplatziert, aber das war nur meine persönliche Meinung.

Eine, die ich brav für mich behielt, denn Delwyn plapperte schon wieder gut gelaunt los:

„Kristine! So eine Überraschung! Estrid und ich waren gerade auf dem Weg zum Training, willste nicht mitkommen?“
 

Ein grimmiges Nicken folgte auf die Frage des Kadetten hin und sie warf einen etwas finsteren Blick in meine Richtung, sodass ich einen Moment wie erstarrt dastand. Sollte ich versuchen, ein Gespräch mit dieser Kristine anzufangen, oder eher nicht?

„Ich...bin Estrid. Freut mich...Kristine!“, brachte ich ein wenig stockend hervor und rang mich zu einem schiefen Lächeln durch, dann machten wir uns auf den Weg und ich persönlich war doch etwas baff, als wir am Ende ein Fitnessstudio betraten, das unweit der Kaserne lag, wenn auch in einem etwas höheren Stockwerk.

Obgleich es hier ein wenig altmodischer aussah, als in den wenigen Studios die ich so kannte, konnte man sofort sehen, wo man hier gelandet war.

Als wir die Treppe und den Eingangsbereich hinter uns gelassen hatten, begann zu unserer Linken, unweit einer Fensterfront mit atemberaubender Kulisse, auch schon der weitläufige Gerätebereich, erneut verteilt auf mehrere Ebenen. Dort befand sich allerhand, von altmodischen Laufbändern bis hin zu den mir bekannten Hanteln. Staunend sog ich die Eindrücke auf wie ein Schwamm, obgleich mir durchaus noch andere Dinge Kopfzerbrechen bereiteten...doch die rannten ja nicht weg – zumindest wagte ich das doch stark anzuzweifeln.

Archadis ist ja eine fortschrittliche Stadt dank der ganzen Gilden, die sich hier niedergelassen haben, aber das hier hätte ich nun wirklich am Wenigsten erwartet. Das glaubt mir kein Mensch...wenn das hier wirklich kein Traum ist.

Ein freundlicher Herr grüßte uns – und wir waren nicht die ersten, die sich in diesen riesigen, auf zwei Ebenen verteilten Räumlichkeiten aufhielten. Etliche andere Gestalten, vornehmlich Kadetten, wie man an deren Kleidung erkennen konnte, hatten die Geräte in Beschlag, wärmten sich auf, machten Pause oder standen beieinander und redeten.

„Willkommen im 5XL-Fitnessstudio! Die Herrschaften sind ebenfalls Kadetten, nehme ich an. Die Umkleiden befinden sich in dieser Richtung.“ Der Empfangsmann wies mit der rechten Hand auf zwei verschiedene Abzweigungen in einigen Metern Entfernung an einer holzgetäfelten Wand.

Holz, hier? Oder bilde ich mir das ein? Das ist doch total unhygienisch!

Kristine marschierte zielstrebig los in Richtung der linken Abzweigung – und ich folgte natürlich, hatte ich doch keine Ahnung wo hier was war.

„Bis gleich!“, rief Delwyn uns noch hinterher...und ich betete derweil im stillen, dass diese Unbekannte...pardon, Kristine vor mir nicht spontan dazu überging, mich zu fressen. Denn nach wie vor sprach der Rotschopf kein Wort, bis wir die Umkleiden erreichten – die wiederum sehr zu meiner Erleichterung gefliest waren. Sah man von einigen Bänken in der Mitte des großen Raumes ab, waren die Wände voll mit metallenen Spinden in simplem grau mit roten Türen – manche davon offen, manche verschlossen. Des Weiteren gab es einen anderen Durchgang, von dem aus man leise das Rauschen von Wasser vernehmen konnte.
 

„Uhm...Kristine?“, versuchte ich erneut, ein Wort mit dem Rotschopf zu wechseln, der...gerade dabei war sich umzuziehen. Himmel, hatte die denn kein Schamgefühl? Es gab Leute, denen war sowas peinlich! Mir zum Beispiel...aber gut, egal.

Mit hochrotem Kopf wandte ich mich also ab, stellte meine Tasche auf den Boden und begann ebenfalls damit, mich umzuziehen. Erleichtert, endlich wieder Hosen und halbwegs normale, wenn auch etwas altmodisch wirkende, kurzärmelige Shirts tragen zu können, faltete ich meine Kadetten-Uniform fein säuberlich zusammen und packte sie samt Tasche und den Stiefeln in einen freien Spind, nahm nur die Feldflasche heraus und stellte diese zu meinen Füßen ab.

 

Zum Glück musste man hier kein Geld in den Spind einwerfen, damit man abschließen konnte, denn ich hatte keinerlei Münzen bei mir – weder Euro noch Gil. Ich band mir den Schlüssel ums Handgelenk, prüfte noch einmal den Sitz der schwarzen Halbschuhe an meinen Füßen, nahm dabei die Feldflasche wieder in die Hand, drehte mich um und...hätte beinahe einen Herzinfarkt bekommen, denn Kristine stand direkt vor meiner Nase und sah zu mir herunter. Sie hatte nach wie vor nicht den Mund geöffnet, um etwas zu sagen.

„Uhmm...k-kann es sein, dass du...vielleicht...nicht sprechen kannst? Oder...eh...starrst du gern...Leute an?“

Narf! Ich sollte wirklich meine Klappe halten, das ist doch nicht zum Aushalten.

„Nein“, kam schließlich eine ziemlich trockene Antwort auf mein verunsichertes Gepiepse. Erstmal wieder schön blamieren und zeigen, dass man sozial inkompetent war. Sehr gut gemacht Madame...grandios! ...im ironischen Sinne, natürlich.

Was hatte ich mir dabei nur gedacht? Das hier war nicht meine Arbeitskollegin, mit der ich jeden Tag herumwitzelte und die in etwa wusste wie ich tickte, sondern ein fremder Mensch.

Wie schon eine gewisse, weiße Laborratte immer zu sagen pflegte: Narf!

„I-In Ordnung...uhm...dann...gehen wir?“, kam es kleinlaut aus meinem Mund...und es kehrte wieder Stille ein, als die größere Kristine mit einem grimmigen Gesichtsausdruck nickte und sich dann auf den Weg zurück zu den Trainingsgeräten machte.

Yikes...die ist wirklich unheimlich.

Ich folgte in einigem Abstand – Sicherheitsabstand – und traute mich bis auf weiteres nicht näher als zwei Meter an diese...Frau heran, die sich da nun abseits der Geräte aufwärmte und dehnte, als gäbe es nichts Schöneres.

Aufwärmübungen, richtig...aber ich mag nicht...meeeh...

Andererseits hatte ich ebenso wenig Lust, mir Ärger einzufangen, also atmete ich kurz ein und aus, und ging im Kopf die mir von zuhause bekannten Aufwärmübungen durch. Die würden hier sicher nicht groß anders sein. Wäre auch schön blöd und kontraproduktiv, wenn doch.

Ich war gerade dabei, meine Oberarme zu dehnen, da leistete Delwyn uns auch schon wieder Gesellschaft – offenbar hatte er Kristine und mich gesucht. Zu der ich im Übrigen noch immer zwei Meter Sicherheitsabstand hielt.

Ich war außerdem froh, dass er ausnahmsweise seinen Schnabel halten konnte und sich konzentriert an seine Aufwärmübungen machte.

Überraschenderweise verlief das folgende Training halbwegs in geordneten Bahnen und ich blamierte mich nicht völlig – nicht so wie gestern. Ja, auch wenn ich hinterher vermutlich noch mehr Muskelkater bekäme vom Hanteltraining oder Laufen, sowie Gewichtheben und altmodischen Sit-ups, so tat es doch gut, wenigstens ein klein wenig Erfolge zu feiern und sogar, trotz der blauen Flecken vom Vortag, so etwas wie Spaß an der Sache zu entwickeln.

Delwyn zeigte mir sogar einen kleinen Kniff bei den Laufbändern, wenn diese einmal nicht ganz rund liefen. Woher die Quasselstrippe von Mann das wohl wusste? Nun, vielleicht war er experimentierfreudiger und handwerklich talentierter als meine Wenigkeit. Aber gut, wie auch immer.

Dass die Zeit so wie im Flug verging, fiel mir dabei nicht einmal auf, erst als der Herr unseres illustren Trios sich in die Männer-Umkleide verabschiedete um zu duschen und sich umzuziehen, wurde mir klar, dass wir hier wohl fertig waren – und das ohne größere Zwischenfälle.

Heureka!

Frisch abgeduscht ging es nur wenig später – ich schätzte höchstens eine Viertelstunde – wieder zurück in Richtung Kaserne, wobei ich erneut ein Gähnen unterdrücken musste, trotz der körperlichen Ertüchtigung und der damit verbundenen Adrenalinausschüttung. Vielleicht, nein, hoffentlich legte sich das wieder, denn ich hatte keine Lust einzuschlafen und mich noch mehr zu blamieren oder gar Captain Ainsworth einen Grund zu geben, mir irgendwelche Strafen aufzubrummen.

„Jetzt ist noch Theorie angesagt. Ich glaub der Captain hält heute 'nen Vortrag über Kriegsstrategien für Anfänger...wenn ichs richtig in Erinnerung hab. Oder, Kristine? War doch so, ne?“, plapperte Delwyn auf dem Rückweg wieder los und ich seufzte tonlos. Theorie...gestern hatte der Captain etwas in der Richtung erwähnt, aber nichts Genaueres spezifiziert.

Also, wenn Kristine die Gruselige nichts Gegenteiliges verlauten ließ, war dem wohl so.

Von der etwa ebenfalls einen halben Kopf größeren Frau folgte auf die Worte des Braunschopfs nur ein Nicken.

 

„Uhm...Delwyn, wo genau...war der Vortrag nochmal?“, funkte ich unsicher dazwischen und wünschte mir daraufhin wieder einmal, einfach meine Klappe gehalten zu haben. Oh, und im Boden versinken wäre auch ganz nett, aber man gönnte mir weder eine Zeitreise, noch spontan vom Erdboden verschluckt zu werden. So musste ich zumindest Delwyns erstaunten Blick über mich ergehen lassen. Kristine schien es hingegen entweder mit Fassung zu tragen, oder aber sie ließ sich nichts anmerken.

Ein heftiges Kopfschütteln meinerseits folgte daraufhin.

„A-Ach egal, schon gut...i-ich bin nur...“

Nur...was? Nervös? Wuschig? Vergesslich? Orientierungslos? Ein Idiot? So viele Möglichkeiten! dachte ich mir nur dazu und seufzte schwer, während ich mich an der Sporttasche festklammerte und nunmehr den Boden anstarrte. Unterdessen betraten wir dann auch wieder die Kaserne und zumindest ein Paar stiefelbewehrter Füße entfernte sich.
 

„Wir müssen uns echt mal unterhalten, Estrid. Seit gestern bist du irgendwie komisch drauf. Hast du das Schwert beim Üben gestern gegen den Kopf gekriegt? Muss ich Noah Manieren beibringen?“, kam es von – wie sollte es anders sein – Delwyn. Und der ernste Unterton of Doom war zurück.

Ich bin eindeutig ein Idiot...wieso hab' ich nicht einfach die Klappe gehalten?

Andererseits, so meine weitere Überlegung, konnte ich das nicht so stehenlassen. Denn meiner Meinung nach gab es ja nichts zu reden. Man würde mich wahrscheinlich wirklich für verrückt erklären, würde ich die Wahrheit ausplaudern.

Also hob ich den Kopf wieder und zwang mich zu einem leichten Lächeln.

„Es ist alles...in Ordnung. Wirklich, Delwyn. D-Du...machst dir...zu viele Sorgen. Wir treffen uns dann...gleich, ja? I-Ich bringe nur...nur meine Tasche zurück und uhm...hole Schreibsachen.“ Wohin Kristine derweil verschwunden war, blieb mir ein Rätsel, aber die Vermutung lag nahe, dass sie bereits vorgegangen sein könnte.

War ehrlich gesagt auch ganz gut so, denn sonst wäre die Stimmung, meiner Meinung nach, noch seltsamer als ohnehin schon, wo meine Bekanntschaft mich ein wenig unschlüssig musterte und schließlich nickte. Dabei kehrte das kecke Grinsen des Kadetten auch wieder zurück.

„Wie gesagt, du kannst mit mir über alles reden! Dafür sind Freunde da, Dummchen. Wir machen diese Ausbildung gemeinsam und nicht jeder für sich. Merk dir das. Wir sehen uns gleich!“ Der junge Mann stupste mir frech auf die Stirn und zog von dannen...und ich für meinen Teil war nun dezent verwirrt, um es freundlich auszudrücken.

Was...sollte das denn jetzt?

Nicht vorhandene Sozialkompetenz ließ grüßen...war der andere Kadett etwa nicht böse? Nun, offenbar nicht, aber so wirklich sicher war ich mir da gerade nicht mehr.

Mit der Tasche in einer Hand rieb ich mir über die Stelle, die Delwyn gestupst hatte, und verschwand zurück zu den Gemeinschafts-Schlafräumen, wo ich meine Tasche erstmal nur stumpf zurück in den Schrank räumte und diesen nach Schreibsachen oder Vergleichbarem absuchte.

Auf dem Weg stellte ich zu meinem eigenen Ärger fest, dass nirgendwo Lagepläne, Karten oder vergleichbare Dinge aushingen – von Wegweisern ganz zu schweigen. Also musste man sich alles so merken...klasse.

Eigentlich war so etwas kein Problem, wenn ich mich zumindest ansatzweise auskannte und nach dem Weg zu fragen war selbst für eine graue Maus wie mich kein Problem. Aber hier, in dieser...ja, Kaserne innerhalb der Mauern der kaiserlichen Hauptstadt war das etwas komplett anderes, noch dazu wenn man wohl nicht erst seit gestern hier war.

Seufzend stellte ich mich auf Zehenspitzen und tastete die oben liegenden Fächer ab, ehe ich fündig wurde.

Der metallene Schrank war nebenbei bemerkt ziemlich ordentlich gehalten. Es gab mehrere schmale Fächer für persönliche Dinge und Bücher, ein paar simple Schubfächer für Unterwäsche und Socken, eine Art Kleiderstange, an denen mehrfach die Kadettenuniform hing und ein etwas schmaleres Fach direkt darüber für ein paar Garnituren der Sportkleidung. Ein weiteres großes Fach darüber für die Tasche und direkt daneben noch ein paar Fächer, deren Inhalt ich aufgrund meiner tollen Körpergröße leider nicht sofort erkennen konnte – falls dort etwas war.

Gerade in dem Moment, als ich mit meinen Fingern den Rand eben dieser Fächer entlangstreifte, fiel mir etwas auf meine Stiefel: Eine Taschenuhr an einer metallenen Kette. Sie tickte nicht. Zumindest war nichts zu hören, als ich das gute Stück stirnrunzelnd hochhob und an der Kette vor meinen Augen baumeln ließ. Wieso zum Chocobo fiel mir das Ding jetzt vor die Füße und nicht schon heute früh, wo ich es besser hätte gebrauchen können, um meinem miesen Zeitgefühl auf die Sprünge zu helfen?

Musste man das wirklich verstehen? Nein. Vorerst hängte ich mir das Ding um den Hals und steckte es unter mein Hemd.
 

Während meiner Suche und der Ablenkung durch die aus dem Schrank gefallene Taschenuhr musste mir entgangen sein, dass noch jemand hier war, oder den Raum betreten hatte. Denn es trat jemand von der Seite an mich heran und ich drehte den Kopf leicht dorthin, nur um meine schwarzhaarige Antreiberin von heute Morgen – Ana, wie ich durch Delwyn wusste – dort stehen zu sehen.

Sie hatte die Arme hinter dem Rücken verschränkt und ein leichtes Grinsen im Gesicht – etwas, womit ich wieder einmal nicht gerechnet hatte. Nicht nach dem ersten Eindruck von heute Morgen.

Schließlich war die Schwarzhaarige da noch eine harte, unerbittliche Antreiberin gewesen...und jetzt das? Das war fast ein Unterschied wie Tag und Nacht.

„Oh...Ana. Moment, ich...hole nur eben meine Schreibsachen.“ Ein altmodisches Notizbuch fiel mir in die Hände, kaum dass ich mich wieder dem Schrank zuwandte und das Fach an dem ich eben noch tastete, noch ein drittes Mal unter die Lupe nahm.

In Leder gebunden war das gute Notizbuch, hatte allem Anschein nach nicht wenige Seiten und war auf dem Einband mit dem archadianischen Wappen versehen. Zudem fand ich ein ebenfalls ledernes Mäppchen, aus dem es hölzern klimperte als ich es leicht bewegte – vermutlich Stifte.

Oder aber Mikado-Stäbe...aber gut, das war wohl eher unwahrscheinlich... Gab es dieses Spiel hier überhaupt?

Ich konnte derweil noch eine weitere Tasche am Boden des Schranks neben einer Art Sack für die Dreckwäsche ausfindig machen – wieder etwas aus Leder, aber viel kleiner, ähnlich eines Messenger Bags. Diese hatte einen Schultergurt, wie ich feststellte, fühlte sich aber ungewöhnlich leicht an als ich sie hochhob und prüfend daran roch, ob sich der Schweiß der Dreckwäsche nicht darin festgesetzt hatte...und zum Glück war das – noch – nicht der Fall.

Offenbar wurde diese Tasche bisher nicht oder nur selten benutzt, denn der Ledergeruch war ziemlich prominent als ich die Schreibsachen dort hineinpackte und – nach kurzem Überlegen – noch einmal die Sporttasche herauskramte, um die Feldflasche ebenfalls einzupacken. Sie hatte mir schon beim Training gute Dienste geleistet, also würde ich den Teufel tun sie nicht wieder mitzunehmen.

Die Sporttasche wanderte im Anschluss wieder in ihr angestammtes Fach zurück. Später würde ich vielleicht fragen müssen, wo man hier seine Sachen waschen konnte, denn der Sack wirkte nicht unbedingt leer.
 

„Fleißig wie immer!“, kam es während meiner Einpack- und Umräumaktion von der Seite. Mir entwischte auf Anas Aussage hin ein leichtes Kichern, was sie wohl zum Anlass nahm den Kopf schiefzulegen. Zumindest fiel mir das bei einem kurzen Seitenblick ins Auge. Einen Kommentar ließ sie dazu jedoch nicht ab...ganz anders als gewisse andere Leute es wohl getan hätten.

Ich schloss den Schrank wieder, ebenso die Lederschnallen der Tasche und hängte mir diese ähnlich einer Umhängetasche um, dann marschierten wir los, machten dabei einen kurzen Abstecher zu den Toiletten. Eine gute Idee wie ich feststellte, denn es wäre verflucht peinlich sich ins Höschen zu machen, darüber war man als erwachsene Frau längst hinaus.

Ich nutzte dabei die Gelegenheit, die Feldflasche an einem der altmodisch wirkenden Waschbecken zu füllen.
 

Hinterher, als wir unseren Weg fortsetzten, gesellte sich Kristine erneut zu uns, auch sie bewaffnet mit einer ähnlichen Tasche wie Ana und ich. Als ich auf Sicherheitsabstand gehen wollte, entwischte der Kleinsten unseres illustren Trios ein Kichern und sie schüttelte den Kopf.

„Angsthase“, meinte sie nur und klang dabei gut gelaunt. „Kristine ist vollkommen in Ordnung. Sie reißt dir schon nicht den Kopf ab, nur weil sie nicht so viel plappert wie andere Mädchen.“

Kam mir aber vorhin nicht so vor als wäre sie in Ordnung...na egal. Muss der erste Eindruck gewesen sein – oder was auch immer.

So machte sich unser Dreiergespann auf den Weg die Flure entlang, nahmen unweit des Hauptflurs eine Steintreppe nach oben...und noch eine, und noch eine. Im Gegensatz zu den unteren Stockwerken waren die Wände hier mit hellem Holz getäfelt und es gab mehrere Räume an der Ostseite, in die auch fleißig Kadetten strömten. Von Außen konnte man lediglich einen kleinen Teil sehen, jedoch wirkte es so als handelte es sich bei diesen Räumen um kleine Hörsäle.

Ana deutete auf die letzte Tür an der Ostseite des Flurs, wo auch jemand zu warten schien wie bestellt und nicht abgeholt.

„Da müssen wir hin und schau...Delwyn ist auch da!“

Ich winkte dem eben Erwähnten zu und setzte mein bestes Lächeln auf, aber irgendwie wollte es nicht so recht klappen und wurde mehr zu einem schiefen Grinsen.

„Kriegsstrategien für Anfänger – Vortrag von Captain Darek Ainsworth“ stand da auf einem Zettel, der neben der großen, schwer aussehenden Holztür befestigt war.

Gemeinsam betraten wir den Raum – geordnet hintereinander, natürlich. Es waren bereits einige Kadetten anwesend, aber noch war der – wie sich herausstellte – kleine Hörsaal nicht einmal zur Hälfte besetzt.
 

Mehr aus Gewohnheit suchte ich mir einen Platz in der zweiten Reihe. Ähnlich wie in meiner alten Uni aus Studiumszeiten gab es hier wohl eine Art Ablagefläche für die Schreibsachen, die man mitbrachte und zwei große Tafeln warteten frisch geputzt darauf, beschrieben zu werden. Des Weiteren gab es vorne wohl einen massiven hölzernen Tisch, auf dem eine Schachtel mit – was man gerade so erkennen konnte – weißer Kreide lag. Ob etwas davon wirklich nötig war? Nun, man würde ja sehen. Ich setzte mich eher an den Rand der zweiten Reihe. Sehr zu meinem Erstaunen nahmen sowohl Ana, als auch Kristine und Delwyn in der gleichen Reihe ihre Plätze ein und jeder legte seine Schreibsachen vor sich auf die polierte Holzplatte.

Die Tasche wanderte unter meinen Sitzplatz, nachdem ich meine Schreibsachen ebenfalls herausgezogen und vor mir platziert hatte.

„Ich bin echt gespannt“, hörte man den Herrn 'unseres' Quartetts gut gelaunt reden, und ich ließ den Blick schweifen. Der ganze Raum war mit hellem Holz verkleidet und mehrere Deckenlampen sorgten für Licht, des weiteren konnte man ein leises Surren von irgendwoher vernehmen.

Gab es hier drin etwa Klimatisierung?

Nun, nach dem Fitnessstudio würde mich hier nichts mehr wundern...oder fast nichts, außer vielleicht fliegenden Schweinen.

Eine Uhr an der äußeren rechten Seite der Wand verriet zudem, dass es kurz vor halb Neun war und ich besann mich auf die Uhr an der Kette um meinen Hals, nahm diese ab und studierte das kleine runde Ding. Normalerweise wurden diese Uhren durch Drehen aufgezogen...ob das hier auch so war? Gute Frage. Probieren ging über studieren...also stellte ich durch drehen am kleinen Knauf auf der Oberseite die richtige Uhrzeit ein, drückte diesen leicht nach unten und zog die Uhr bis zu dem Punkt auf, an dem der Widerstand zwischen den Fingern am Größten war, hielt das Ding anschließend prüfend an mein rechtes Ohr.

Es hatte funktioniert!

Das Uhrwerk arbeitete, und das erstaunlich leise, sodass das Ticken kaum zu hören war. Der Sekundenzeiger bewegte sich ebenfalls, wie ich feststellte und die kleine Uhr an ihrer Kette kurzerhand neben dem Ledermäppchen platzierte.

 

Irgendwo weiter hinten konnte ich bei einem weiteren Blick durch den Raum Noah erkennen und winkte diesem kurz zu, doch der Gute hatte wohl andere Dinge im Kopf, denn er nahm keine Notiz von meiner Geste. Das konnte ja durchaus vorkommen, also regte ich mich nicht weiter auf und schaute mich lieber noch ein wenig um.

Hier isses fast so wie daheim, als ich noch studiert habe...aber nur fast. Archadis ist wirklich unglaublich weit, kein Wunder...hmm...vielleicht...nein, aus! Bleib bei der Sache, nicht irgendwohin abdriften!

Im nächsten Moment schritt Captain Ainsworth unter metallischem Klappern die wenigen Treppenstufen zu den Tafeln hinunter und man konnte hören, wie die Türe geschlossen wurde, während aufgeregtes Murmeln sich ringsum erhob.

Da stand er nun, erneut in seiner blankpolierten Rüstung vom Vortag, jedoch fehlte dieses Mal der Helm und zeigte somit ein schon etwas älteres Gesicht mit grauen Augen, leichten Augenringen und graubraun-melierten Haaren im allseits beliebten Kurzhaarschnitt. Er nahm sich einen Zeigestock, der wohl neben den Tafeln gelehnt hatte, und richtete seinen strengen Blick direkt in Richtung der anwesenden Menschen.

 

„Ruhe, Kadetten!“, donnerte es daraufhin durch den kleinen Saal und es war schlagartig mucksmäuschenstill geworden. Der Mann hatte zwar immer noch ein sehr lautes Organ, aber wenigstens brüllte er dieses Mal nicht, dass einem die Ohren klingelten. Das war schonmal etwas Positives, denn ansonsten hätte ich mir für das nächste Mal Ohrenstöpsel gebastelt. Ich ließ mich nämlich, egal von wem, ungern anschreien.

Nicht nur, weil es dann sehr schnell dazu kam, dass ich entgegen meiner sonstigen Gewohnheiten anderen gegenüber emotional wurde, nein. Ein weiterer Grund war das ohnehin ständig präsente hohe Hintergrundfiepen in meinen Ohren, das sich besonders in Stresssituationen deutlich hervorhob und meinte, sich wichtig machen zu müssen.

Scheiß Tinnitus, geh weg.

„Sie werden heute neben den Grundlagen einige simple Kriegsstrategien kennenlernen. Damit eng zusammen hängen die Elementar- und angewandten Taktiken. Kann sich jemand denken, worin der Zusammenhang besteht?“ Es herrschte daraufhin einhellige Stille und man hätte in den nächsten Minuten eine Stecknadel fallen hören können, theoretisch.

Der Captain jedoch schien von dieser Grabesruhe nicht wirklich begeistert zu sein und verengte missbilligend die Augen zu Schlitzen, ehe sich seine Miene so spontan wieder aufhellte, wie sie sich

verfinstert hatte.

„Kadett Gabranth, nach vorn. Der Rest sollte sich schämen! Kein Freies Arbeiten in der Bibliothek mehr, wenn Ihnen offenbar die nötige Disziplin fehlt, selbstständig Wissen zu erarbeiten!“, donnerte der gute Ainsworth dezent missgelaunt los. Tatsächlich rettete Noah die doch sehr peinliche Situation und erklärte, kaum vor der Menge stehend, in strengem Ton den von Captain Ainsworth gefragten Zusammenhang. Währenddessen war das leise Kratzen von Stift auf Papier zu hören, da sich jeder wohl Notizen machen wollte – oder zumindest diejenigen, denen das Ganze auch wirklich ernst genug zu sein schien.

Hmm...

'Kriegsstrategien sind per Definition eher globale Planungen, während Taktiken lokale Planungen darstellen' notierte ich mir knapp, während der Blondschopf zurück zu seinem Platz ging.

Ich persönlich hätte mich das nie getraut...einfach so spontan vor versammelter Mannschaft zu sprechen. Es brauchte meinerseits einen Haufen körperliche und geistige Vorbereitung, spontan ging da garnichts und unter Druck sowieso nicht...oder nur sehr schwer und stockend, sodass ich es dann meist lieber ganz bleiben und anderen den Vortritt ließ, wenn möglich.

Wie ich es im Leben dann überhaupt zu irgendwas bringen konnte? Gute Frage, manchmal erwischte ich mich in der Vergangenheit dabei, wie ich genau über das nachdachte. Mir mussten die Leute immer helfen...jedes Mal. Auch wenn ich nicht darum gebeten hatte – gerade dann. Aber gut, das war gerade kein guter Zeitpunkt, in solche Gedanken abzudriften, also schüttelte ich den Kopf, schob die Brille zurecht und wandte meine Aufmerksamkeit wieder dem Vortrag zu.
 

Da der gefragte Zusammenhang wohl geklärt war, fuhr der Captain mit etwas anderem fort – den, wie ich aus dem Kontext wenig später erraten konnte, verschiedenen Teilen des archadianischen Militärs. Von altgedienten Chocobo-Reitern, über Bogen- und Gewehrschützen, bis hin zu Kampfmagiern, Sprengstoffexperten und Luftschiffpiloten war fast alles dabei, darunter auch einiges was mir bekannt vorkam. Beispielsweise die Elite-Fußsoldaten, oder auch die Bestienmeister, wie ich sie für mich immer genannt hatte. Letztere trainierten und kommandierten eigens abgerichtete Hunde, sogenannte Maistiffs, was laut dem Captain oft einige Jahre in Anspruch nehmen konnte.

Bleib mir bloß mit denen vom Hals.

Des Weiteren schnitt Ainsworth kurz die verschiedenen Luftschiff-Flotten der kaiserlichen Armee und deren Eigenheiten an, und im Anschluss begann der eigentlich spannende Teil: den ganzen Aufbau als Grundgerüst zu nutzen, um daraus eine simple Taktik zum Erstürmen einer Burg zu entwickeln. Ich hatte mir diesen Vortrag zwar etwas...trockener und theoretischer vorgestellt, aber gut bitte. Man war ja immer offen für Neues, also beklagte ich mich nicht und hörte weiterhin brav zu.
 

„Nehmen wir folgenden Aufbau an: Eine nicht durch magische Schilde geschütze Burg liegt vor Ihnen und Ihren Truppen. Sie haben keinerlei Luftunterstützung zur Verfügung, dafür Magi, Sprengstoffexperten und zwei Einheiten Fußsoldaten. Der Feind hat Bogenschützen und eigene Magi auf den Mauern aufgestellt und seine restlichen Truppen im Inneren der Burg zusammengezogen. Das Tor ist fest verschlossen, stabil und gibt bisherigen Aufbruchsversuchen nicht nach. Es gibt einen Abwasserkanal, der den Außen- und Innenbereich der Festung miteinander verbindet. Wie überwinden Sie den Wall, um in das Innere vorzudringen?“

Irgendwie...erinnert mich das dunkel an etwas...

Ich notierte mir die wichtigsten Punkte in sauberen, lateinischen Buchstaben, kritzelte ein simples Schaubild mit einer simplifizierten Mauer, Kreuzen für die gegnerischen Truppen, einem X für den Abwasserkanal und einen großen Blob für unsere Truppen in mein Notizbuch und fing an zu überlegen. Die Bogenschützen und Magi unserer Feinde hatten durch ihre erhöhte Position oben auf dem Wall einen entscheidenden Vorteil, das sollte jedem Idioten klar sein...aber woher kam mir dieses mögliche Szenario in seinen Ansätzen nur bekannt vor? Konnte das vielleicht nur ein dummer Zufall sein? Ich überlegte eine kleine Weile, kaute dabei etwas auf meinem Stift herum und dann schien es mir wie Schuppen von den Augen zu fallen.

...aber natürlich! Die Schlacht von Helms Klamm im zweiten Film zu Herr der Ringe...da war das Szenario ähnlich!

Normalerweise, so meine weitere Überlegung, hatte jede Burg oder Festung doch einen Schwachpunkt, an dem sie am verwundbarsten war und genau dort musste man ansetzen, um sie knacken zu können. In Rabanastre war es, zumindest meiner Meinung nach, der Zugang über die Garamseys-Kanalisation, und hier...der Abwasserkanal.

Wir haben zwei Einheiten Fußsoldaten. Eins davon sollte theoretisch eine Ablenkung schaffen können... Die Sprengstoffexperten müssen mit den Magi zu diesem Schwachpunkt, dem Abwasserkanal...gebracht werden, um dann beim Kanal mit einer Art Bombe ein Loch in die Mauer zu reißen.

Dadurch konnte man, dachte ich mir weiter, nicht nur ins Innere gelangen, sondern hatte, je nachdem wie geschickt man sich anstellte, auch noch das Überraschungsmoment auf seiner Seite.

Doch sollte ich das Ergebnis meiner Überlegungen laut mitteilen oder nicht? Am Ende blamierte ich mich sicher nur wieder, das war alles noch ungewohnt und dementsprechend...ja, übervorsichtig war ich auch. Bei meiner Arbeit als Sekretärin hatte ich eine gewisse Sicherheit und Routine, da ich den Job ja nicht erst seit gestern machte, aber hier...war das etwas völlig anderes. Außerdem war da die tief verwurzelte Angst vor Vorträgen jeglicher Art, die ich halten musste.

 

Dennoch, so überlegte ich weiter, konnte es ja nicht sein, dass ich mich hier genauso duckmäuserisch und passiv verhielt wie 'zuhause'...auch wenn es meist tatsächlich einfacher war, als seine Meinung zu vertreten und sich damit eventuell den Unmut seiner Mitmenschen zuzuziehen. Ich war in der Vergangenheit schon öfter böse damit auf die Schnauze gefallen, auch wenn mein damals bester Freund mir seinerzeit zustimmte und mich bestärkte – so scheiße kitschig sich das jetzt anhörte.
 

Noch ehe ich es überhaupt selbst realisierte, hatte ich meine Hand gehoben und wollte diese gerade in einem Anflug von Muffensausen wieder nach unten nehmen. Doch der Captain hatte schon erspäht, dass da jemand scheinbar einen Lösungsansatz hatte.

Der Blick, mit dem er mich taxierte, wirkte streng und unnahbar...was er wohl gerade dachte?

„Soso...Kadettin Tasker, nach vorn. Der Rest hört zu und korrigiert wenn nötig.“

Ich will nicht...Idiot, wieso hast du dich gemeldet? Wiesoooo?

Ich hätte mir in diesen Momenten, wo ich mein Notizbuch zuklappte und mit einem dicken Kloß im Hals in Richtung Tafeln marschierte, wieder einmal wünschen können einfach im Erdboden zu versinken.

Ein einziger Vortrag in meinem Leben war mir bisher gut gelungen. Einer. Und darauf hatte ich mich wochenlang neben der Schule vorbereitet, vor dem Spiegel und mit einer Klassenkameradin damals geübt...

Jetzt war ich so lebensmüde, spontan und ohne jegliche Vorbereitung etwas zu erklären, das ich nur aus Büchern und Filmen kannte...das konnte ja nur schiefgehen. Ich war einfach nicht der Typ für solche Spontan-Aktionen.

Nein, definitiv nicht.

Hier ging es nicht um Nanotechnologie und deren Nutzen im Alltag, sondern um militärisches Wissen.

 

Meine Beine fühlten sich an wie Wackelpudding, als ich da nun vorne stand und das hohe Fiepen in meinen Ohren raubte mir beinahe die Nerven.

Das Herz schlug mir bis zu Hals und meine Hände zitterten als ich diese nervös knetete, während meinen Augen einen Fixpunkt suchten. So versuchte ich, mich zu beruhigen und nicht einfach wegzurennen. Nicht, dass das überhaupt funktioniert hätte.

Ich...Ich kann das nicht...

Die Blicke der anderen Kadetten fühlten sich in diesem Moment an wie tausend Nadelstiche. Manch einer könnte meinen ich übertrieb, aber dem war nicht so. Da half es auch nicht, dass Captain Ainsworth ungeduldig wurde und mit Nachdruck forderte, dass ich endlich anfangen sollte. Nein, das half überhaupt nicht.

Im Gegenteil, es machte alles nur noch tausendmal schlimmer...ich wollte hier raus...weg. Mich irgendwo verkriechen bis es vorbei war, doch das war mir wohl nicht vergönnt.

„Es hat mit einem Schwachpunkt in oder an der Mauer zu tun, richtig?“, fragte da plötzlich jemand.

Diese Stimme...

Halb panisch, halb suchend wanderte mein Blick durch den kleinen Hörsaal und blieben bei einem leicht gebräunten jungen Mann in einer der hinteren Reihen hängen, der sich interessiert vorgebeugt hatte.

Irgendwie kam mir diese Stimme bekannt vor, doch ich konnte und wollte gerade nicht darüber nachdenken woher, sondern nickte mit zugeschnürter Kehle.

„R-Richtig“, kam es zögernd aus meinem Mund, der sich so trocken anfühlte wie eine Wüste und man konnte regelrecht hören, dass ich Angst hatte, überhaupt auch nur einen Ton zu sprechen.

Beruhig dich, Idiot...

„Man muss...die gesamte Aufmerksamkeit der gegnerischen Truppen auf der Mauer...auf...die Fußsoldaten lenken...“, fuhr ich noch immer zitternd und sehr unsicher fort zu erklären – und wohl nicht gerade laut. Unterdessen hatten die Kadetten im Saal angefangen zu tuscheln.

„Sprechen Sie lauter, Mädchen! Der gesamte Saal will hören was Sie sagen, nicht nur die erste Reihe... Ruhe!“

Schlagartig herrschte wieder eine Grabesruhe, kaum dass der Captain in barschem Befehlston darum 'bat' und ich war irgendwo erleichtert, dass er das tat. Andererseits konnte ich wiederum unmöglich laut werden.

Wenn er schon verlangte dass ich lauter sprach, sollte ich dann so schreien wie er gestern auf dem Übungsplatz? Das...war nicht mein Stil. Ich war kein Befehlshaber, keine Selbstbewusstseinsbombe, kein...wasauchimmer.

Aber es musste wohl sein, zumindest etwas die Stimme zu heben – auch wenn ich nach wie vor das Gefühl hatte, jeden Moment panisch kreischend das Weite suchen zu müssen – wahlweise auch ohne das Gekreische. Und das nur, weil mich die ganze Situation schlicht überforderte.

Aus einem simplen Impuls heraus gehandelt zu haben, etwas anders machen zu wollen, war keine gute Idee gewesen...absolut garnicht. Wäre dieser Einwurf vorher nicht gewesen, hätte ich vermutlich wirklich die Flucht ergriffen.

Nächstes Mal wäre es wirklich nicht verkehrt, vorher gründlich darüber nachzudenken, wie immer.

 

Zögerlich holte ich erneut Luft um zu sprechen, ging dabei zu dem Tisch um mit zitternden Fingern eine Kreide aus der Schachtel zu holen.

Sie rutschte mir beim ersten und zweiten Versuch auch glattweg aus den Fingern.

Dann jedoch festigte ich den Griff um das weiße Ding und ich begann, mein Schaubild aus dem Notizbuch auf eine der Tafeln zu malen. Es war wirklich kein Kunstwerk, aber war das gerade so wichtig? Wohl kaum.

„W-Wie...der Kamerad eben schon...sagte... Es...steht und fällt...mit der Mauer. Captain, der...Zeigestab. Bitte.“ Der Versuch meinerseits, laut zu sprechen, kam eher einem nervösen Krächzen gleich und teilweise konnte man amüsierte Gesichter sehen. Ich versuchte jedoch einfach krampfhaft, diese zu ignorieren, während ich mir den Zeigestab selbst von Captain Ainsworth holen musste.

„Wir sprechen uns morgen früh, Kadettin. Unter vier Augen, in meinem Büro“, zischte der Vorgenannte mir zu und klang dabei alles andere als freundlich.

Was bitte war denn in den gefahren, hatte ich irgendwas verbrochen oder war es nur weil ich hier seine Zeit verschwendete?

Musste das wirklich sein? Oder konnte ich auch ablehnen?

Hör auf zu zittern...und wieso will er überhaupt reden? Narf...es gibt nichts zu reden...ich habe niemandem irgendwas zu sagen...

Zumindest nicht, wenn es nach mir ging – aber das tat es ja sowieso nicht. Ergo führte mich mein Weg kommentarlos zurück zu dem 'kunstvollen' Schaubild, noch immer sichtlich nervös und mit einem unangenehmen Fiepen in den Ohren, das partout nicht mehr verschwinden wollte und sich dreist im Vordergrund hielt, wo man es nicht ignorieren konnte.

Dezent zittrig deutete ich mit dem Zeigestab die Mauer entlang, hob erneut die Stimme.

„Das Beispiel ist simpel... Mauern...dieser Art...haben zumeist einen...Schwachpunkt, wie den...den Abwasserkanal in diesem Fall. Man...“ Ich schluckte schwer und kniff die Augen zusammen, um mir meine Gedanken wieder in den Kopf zu rufen, doch sie rannten mir gewissermaßen davon. Das war nicht gut, garnicht gut.

„Man muss...diesen finden und...zum Vorteil nutzen, während die...die Fußsoldaten...die Aufmerksamkeit auf sich ziehen...während...die Sprengmeister zusammen...m-mit den...Magi...versuchen zu dem Abwasserkanal zu...gelangen. I-Ich gehe davon aus, dass gewisse...Materialien...Sprengstoffe mitgeführt werden. Oder etwas in der Art.“

Redekunst frei nach meiner Wenigkeit in Vollendung... Hätte ich gekonnt, würde ich mich hier und jetzt in Luft auflösen wollen, aber das...funktionierte sicher nicht.
 

Reiß dich am Riemen, verdammt nochmal! Krieg deinen Akt zusammen, Idiot!

Dass das leichter gedacht als getan war, hatte man bereits gehört und gesehen, und je länger ich hier vorne stand, desto schlimmer wurde es.

„Man schafft also...mit einer der Einheiten eine...Ablenkung, während das andere...wartet, bis die Sprengmeister und Magi...ihre Arbeit erledigt haben. W-Wenn man davon ausgeht, d-dass die Ablenkung erfolgreich...ist...dann...ähm...kann das zweite Bataillon der...Fußsoldaten...das Überraschungsmoment nutzen und...dem Feind über...über...das entstandene Loch...in den Rücken fallen... So...denke ich, l-lässt sich das...Tor umgehen.“

Mir rauschte das Blut förmlich in den Ohren, kaum dass ich aufgehört hatte zu sprechen, vom hohen Fiepen ganz zu schweigen.

Wenigstens, so schoss es mir mit einem ironischen Unterton durch den Kopf, wenigstens war ich nun hellwach.

 

Ehrlicherweise hatte ich mehr als nur ein bisschen Angst, dass mir plötzlich die Worte fehlten...aber, wusste der Himmel wie, es war geschafft, und ich ebenfalls. Ich legte den Zeigestab einfach auf den Tisch und schlich mit hängendem Kopf auf meinen Platz zurück, ohne abzuwarten was Ainsworth wohl zu sagen, oder ob noch jemand etwas zu ergänzen hatte.

Mir reichte das für heute, definitiv.

Darf ich jetzt bitte im Boden versinken? Ja?

Natürlich wurde mein Gedanke nicht erhört, warum auch? Das hatte vorhin schon nicht funktioniert, wieso zur Hölle ging ich davon aus, dass es jetzt anders war?

Ich legte die Hände in den Schoß und starrte hinunter auf mein Notizbuch und die danebenliegende Uhr, versuchte das Zittern wieder unter Kontrolle zu kriegen und normal zu atmen. Es war vorbei und ich lebte noch – mehr oder weniger.

Wenn man mal davon absah, dass der Captain mich für den nächsten Morgen zu sich zitiert hatte – warum auch immer – dann war es besser gelaufen, als ich mir selbst ausgemalt hatte.

Nur eine mittelschwere Blamage, statt sich bis auf die Knochen zu blamieren wie sonst immer.

Doch das ging besser...ich hatte es ja schonmal hinbekommen.

Ob der Captain es irgendwann noch einmal zuließ, mich vor versammelter Mannschaft sprechen zu lassen? Der Witz war gut, verdammt gut. Nur lachen konnte ich für meinen Teil nicht darüber.
 

Der restliche Vortrag zog an mir vorüber, doch aufpassen oder zuhören ging gerade wirklich nicht, ganz zu schweigen davon einen Blick in Richtung Delwyn, Ana oder gar Kristine zu wagen. Da war das Notizbuch wesentlich interessanter...und sich mit den Gedanken an Luftschiffe abzulenken.

Ich würde so gern mehr über den Stand der Dinge bezüglich der YPA-GB47 wissen.

Schließlich war sie ein Prototyp – der Einzige, der eigentlich verschrottet werden sollte, hätte Balthier das gute Stück nicht gestohlen.

Wie weit man hier wohl mit der Entwicklung war? Hatte man gar schon begonnen es zu bauen oder steckte es noch in der Planung? Sich ausgerechnet darüber den Kopf zu zerbrechen, war wesentlich interessanter. Ich kam nicht umhin, mir ein paar Stichpunkte in mein Notizbuch zu schreiben – natürlich auf einer neuen Seite.

Dieses vermaledeite Schaubild wollte ich heute nicht mehr sehen – eigentlich nie wieder!

Am Ende waren es zwar nur vier einsame Punkte, doch es waren Dinge, die mich eher interessierten, als das was vorne gesprochen wurde:

- wie weit YPA-GB47?

- Blaupausen vorhanden?

- Material für Bau?

- andere Luftschiffe, wie die Bahamut? Ifrit? Leviathan? Shiva?

 

Es interessierte mich brennend, welche Arten von Luftschiffen man hier bereits konstruiert hatte – auch wenn ich den Kriegsschiffen der archadianischen Luftflotten nicht wirklich Sympathien entgegenbringen konnte. Sie hatten nichts als Tod und Zerstörung gebracht in einem Krieg, der vermutlich erst noch ausgefochten werden würde.

Jemand tippte mich an, sodass ich meine Gedanken nicht weiter verfolgen konnte. Stattdessen hätte ich beinahe einen Luftsprung gemacht.

Das unkontrollierte, etwas erschrockene „Iek!“ meinerseits gab es so oder so gratis dazu.

Gott ist das peinlich! Wer...?

„Estrid! Na endlich, du hast den ganzen Vortrag verpasst. Wars wirklich so schlimm da vorn zu stehen oder wieso krakelst du in deinem Notizbuch rum? Was ist das für eine Schrift?“ Die mittlerweile nur zu vertraute Stimme eines gewissen Kadetten drang an meine Ohren, klang irgendwie amüsiert, aber irgendwie auch nicht. Ich warf einen verstohlenen Blick nach rechts, der Saal hatte sich tatsächlich fast geleert, zumindest soweit mein Blick gerade reichte.

„W-Wie, was?“ Mein Kopf drehte sich daraufhin in Richtung Delwyn, ein irritierter Blick verriet nur zu gut die Verwirrung meinerseits, dann kam die Erleuchtung.

Zu hören, dass ich den ganzen restlichen Vortrag nur mein Notizbuch angestarrt und nachgedacht, sowie dort hineingeschrieben hatte, war äußerst peinlich und gleichzeitig so sinnfrei, dass ich mir wieder einmal in den Arsch hätte beißen können.

Ganz toll hingekriegt...wirklich. Wieder einmal blamiert, so kam es mir zumindest vor.

„Ehhh...Entschuldige, Delwyn... Ich 'krakele' nicht herum. Das ist meine...Geheimschrift“, muffelte ich vor mich hin, nickte aber auf seine erste Frage. „Ich wär...am Liebsten im Boden versunken...oder rausgerannt. Eher letzteres...“, kam es noch hinterher, ehe ich hastig mein Notizbuch zuklappte, den Stift ins Mäppchen räumte und beides zu der Feldflasche in die Tasche unter meinem Stuhl packte, dann nach der Kette der Uhr griff und sie mir um den Hals hängte.

Ich griff nach dem Schultergurt der Tasche, stand auf und hängte sie mir um wie vorhin.

 

Es wäre nur halb so schlimm gewesen, hätte ich mich nicht gemeldet. Zwei Konjunktive zuviel...definitiv. Aber ändern konnte ich es nun auch nicht mehr und seufzte stattdessen nur, ehe ich meinen Blick in Richtung ders Braunschopfs wandte.

„Geheimschrift? Oho!“

Eine bessere Notlüge fiel dir jetzt auch nicht ein, oder?

Es musste dazu gesagt werden, ich hatte mir das Lügen eigentlich komplett abgewöhnt, weil ich unter anderem niemanden mehr enttäuschen wollte, doch hier musste ich notgedrungen...einige Tatsachen verdrehen, um es freundlich auszudrücken.

Die Wahrheit hinter meinem 'komischen Verhalten' wie mein Mit-Kadett vor mir es bezeichnete, oder die Sache mit der 'Geheimschrift'...das waren Dinge, deren Wahrheit niemand herausfinden durfte, weil man mich sonst als verrückt klassifizieren würde. Ganz sicher.
 

Ein Seufzen kam mir über die Lippen – erneut. Und dann meldete sich auch noch mein Magen mit einem leisen Grummeln, was den Jüngling mit dem Kinnbart wiederum dazu brachte zu lachen – und mir die Peinlichkeitsröte ins Gesicht trieb.

Also wirklich! Wie konnte man über so etwas nur lachen?

Das fragte ich mich in dem Moment, als ich in besagtes Gelächter einstimmte, für einen Moment meine Anspannung und Sorgen vergaß. Normalerweise passierte mir so etwas nur in Gegenwart meiner Kollegen, oder wenn ich alleine war und es mir 'erlauben' konnte.

Lachen soll ansteckend sein, sagte ein Sprichwort...und es war gerade einmal mehr wahr geworden.

„Gehen wir? Ich geb dir später gern meine Notizen, dann kannst du alles nachlesen. Aber erst wird gegessen und dann gehts zum Wachdienst, was ich so gehört hab'!“

Meine Augenbrauen schnellten regelrecht nach oben...Wachdienst? War das Delwyns Ernst?

Wir machten uns nun auf den Weg, die wenigen Stufen nach oben zum Ausgang des kleinen Hörsaals. Kaum im Flur angekommen konnte ich keine paar Schritte machen, da legte sich eine Hand auf meine rechte Schulter. Ich zuckte merklich zusammen und klammerte mich an den ledernen Gurt meiner Tasche.

Erneut musste ich zudem dem Drang eines Luftsprungs widerstehen, drehte nur den Kopf leicht in Richtung der Hand und hielt inne. Es war der leicht gebräunte junge Mann von vorhin.

„Meine Güte... Ihr seid ja noch schreckhafter als ich dachte, junge Dame.“

Die Stimme zu hören, auch wenn sie wesentlich jünger klang als ich sie in Erinnerung hatte, ließ etwas in meinem Hinterkopf klingeln, symbolisch natürlich. Vorhin, bei all der Aufregung und Panik, hatte ich es nicht wirklich registriert, wer da genau gesprochen hatte und nun stand dieser Kerl neben uns, einfach so. Unverhohlen neugierig musterte ich sein Erscheinungsbild, die Uniform in der er steckte. Auch er war gut und gern einen halben Kopf größer als meineeine.

Die große, meiner Meinung nach schwer aussehende Silberkette um den Hals, der stämmige Körperbau, die wie im Spiel weißen, wenn auch wesentlich kürzeren Koteletten...und nicht zu vergessen die Glatze.

Ja, das war eindeutig Foris Zecht...Reddas, der Delwyn und mich dort freimütig anlächelte und sich mit uns gemeinsam auf den Weg machen wollte.

Eigentlich sollte ich mich doch freuen, ihn jetzt hier zu sehen – lebendig, genau wie Drace und Noah. Doch mein Kopf war da anderer Meinung.

Foris Zecht?! Noch jemand der eigentlich tot sein sollte...das ist doch nicht mehr normal.

Stattdessen geisterten mir solche nervigen Gedanken wie dieser durch den Kopf und getrieben von eben diesem konnte ich nicht verhindern, dass sich diese Ungläubigkeit nun noch stammelnd verbalisierte:

„Das...kann nicht sein. Du...du solltest doch...tot sein... Genauso wie...Drace.“ In dem Moment, da ich das ausgesprochen hatte, und mir mehr als nur irritierte Blicke der beiden jungen Männer einfing...in diesem Moment kamen die Kopfschmerzen. Heftige, stechende Kopfschmerzen, als würde jemand von innen mit einem Vorschlaghammer und Meißel heftig gegen die Schädeldecke schlagen. Mehrmals hintereinander.

Hatte ich etwa etwas Falsches gesagt oder war das ein Zufall? Es stimmte doch, dass sowohl Foris Zecht, besser bekannt als Reddas, als auch Richterin Drace im Laufe des Spiels starben, also was sollten dann die Kopfschmerzen? Vielleicht weil ich nur einmal meinen Mund nicht halten konnte, wenn es eigentlich angebracht gewesen wäre?

War es das, oder, was ich gerade eher glaubte, nur ein dummer Zufall?
 

Noch bevor ich überhaupt bewusst daran dachte, hatten meine Beine sich schon in Bewegung gesetzt und ich lief los, die Finger fest in den Gurt der Umhängetasche gekrallt und versuchend den Kopfschmerz zu ignorieren. Den Flur entlang, die Treppen nach unten, beinahe schon fluchtartig den Weg zu den Toiletten einschlagend, die Rufe hinter mir ignorierend.

Dass das auch anderweitige Aufmerksamkeit auf sich ziehen könnte...nun, das kam mir gerade nicht in den Sinn, ich wollte nur weg, verdammt nochmal. Einfach weg.

Die Flucht nach vorn, wie ein gejagtes Tier... Zuhause hatte ich kaum die Möglichkeit gehabt, aus unangenehmen Situationen zu fliehen – hier hingegen schon, auch wenn es vermutlich nicht angebracht war.

Idiot! Idiot Idiot Idiot!

Ich sperrte mich in einer der Kabinen ein, lehnte mich mit dem Rücken an die hölzerne Kabinentür und versuchte die Kopfschmerzen zu ignorieren, die sich noch immer ziehend und stark pochend bemerkbar machten. Zusammen mit dem hohen Fiepen in den Ohren war das so ziemlich die nervigste Kombination, die ich persönlich mir gerade vorstellen konnte.

Wieso hatte ich meinen Mund dieses eine Mal nicht halten können, wieso nicht? Das war genauso wie die Aktion mit dem Vortrag, diese Blamage hätte man sich sparen können, hätte man einfach nichts getan, die Klappe gehalten.

Klasse...und jetzt...? Willst du die ganze Zeit hierbleiben und dich verstecken?

Mir war irgendwo durchaus klar, dass ich nicht ewig hier drin bleiben konnte...und als ich es kurz wagte, einen Blick aus der Kabine zu werfen, stellte ich fest, dass hier sonst niemand mehr war.

Waren mir die beiden Herren also am Ende doch nicht gefolgt? Besser so, wie ich still für mich feststellte und die Kabine verließ. Das Echo meiner Schritte hallte leicht in dem hohen Raum nach und das milchige Fenster zu meiner Linken verwehrte einem den Blick nach Draußen, während gleichzeitig Licht nach drinnen fiel.

Die Brille absetzend drehte ich einen der altmodisch wirkenden Wasserhähne auf und spritzte mir ein wenig davon ins Gesicht, tauchte meine Handflächen dann nochmal unter das Wasser und trank ein bisschen davon, trocknete das Ganze unwirsch mit einem Ärmel und setzte das Nasenfahrrad wieder auf.

Besser...ein bisschen zumindest.

Ein wenig zögerlich auf den Flur hinaus lugend, schlüpfte ich aus den Toiletten und stiefelte nun zügig durch die Gänge in Richtung Kantine. Eigentlich wäre jetzt doch Mittagspause, meinte Delwyn vorhin zumindest...oder?

Stumm seufzend beschloss ich, dass es besser wäre, eventuell noch eine Kleinigkeit zu essen – und dabei möglichst niemandem über den Weg zu laufen, den ich seit meiner 'Ankunft' hier kennen gelernt hatte.

Aber daraus wurde wohl nichts, denn keine zehn Minuten später erblickte ich eine nur zu vertraute Gestalt, die gerade ebenfalls die Kantine betreten wollte: Noah. Er wirkte, rein aufgrund seiner Haltung und der Mimik die ich erspähen konnte, nicht mehr so schlecht gelaunt wie gestern.

Als ich ihn mit einem kurzen Wink grüßte, reagierte er diesmal sogar, winkte zurück und gemeinsam gingen wir uns etwas zu Essen holen.

Trockenes, etwas zähes Chocobosteak und gedünstetes Bohnengemüse wie ich feststellen durfte, dazu das allseits beliebte Wasser.
 

Wir setzten uns gemeinsam an einen der vielen langen Tische, sprachen nicht ein Wort und vertilgten nur unser jeweiliges Essen.

Dass ich meine Tasche mitgeschleppt hatte...nun. Dumme Angewohnheit, aber ich ließ es dabei bewenden und hatte diese nur zwischen meine Füße gestellt.

Mir geisterte zudem leider immer noch ein wenig die verunglückte Begegnung mit Foris durch den Kopf...vielleicht sollte ich mich bei ihm für diesen unüberlegten Ausbruch entschuldigen, wenn ich ihm wieder über den Weg lief.

Das wäre das Mindeste, Blödkopf.

Die Kopfschmerzen waren mittlerweile fast komplett verschwunden, nur ein leichtes Ziehen und Pochen war noch geblieben, mehr auch nicht. Vielleicht hatte ich wirklich nur zu wenig getrunken.
 

Ehrlicherweise wusste ich nicht, was ich überhaupt zu Noah neben mir sagen sollte, nicht nachdem was ich mir ihm gegenüber gestern im Übungsduell geleistet hatte, die daraus resultierenden blauen Flecken...und zuvor der kleine Zwischenfall mit dem Buch in der Bibliothek.

Ein wenig nachdenklich schob ich einen letzten Bohnenstängel mit der Gabel auf dem Teller hin und her, pickte ihn auf und kaute darauf herum, stürzte dann das Wasser hinunter.

Ich sollte in Zukunft wirklich aufpassen bei ihm... Am Besten nicht zu sehr reizen...sonst passieren vielleicht noch schlimmere Dinge als nur blaue Flecken.

„Uhm...Noah? T-Tut mir Leid wegen...gestern. M-Meinst du vielleicht...wir könnten...ein bisschen mit dem Schwert üben...heute Abend...oder so?“, fragte ich schließlich ein wenig kleinlaut und starrte auf meinen abgesehen von Messer und Gabel leeren Teller, warf immer wieder einen nervösen Seitenblick auf den Blondschopf. Dieser war gerade noch mit einem letzten Stück Fleisch beschäftigt gewesen, nickte dann aber mit einem ernsten Gesichtsausdruck.

„Meinetwegen, Tasker. Wir treffen uns heute Abend auf dem Übungsplatz, nicht in Uniform. Ich organisiere ein Paar Schwerter“, meinte er etwas geschäftig, aber nicht unfreundlich und ich meinte, sogar kurz so etwas wie ein leichtes Mundwinkelzucken erkennen zu können.

Nein, war mit Sicherheit nur Einbildung. Noah Gabranth lächelte nicht. Nope, niemals.

Doch ich machte mir keinen weiteren Kopf darüber und nickte stattdessen.

„In Ordnung Noah...vielen Dank!“ Damit war es also beschlossene Sache...wenigstens einmal am heutigen Tag wollte ich die richtige Entscheidung treffen. Denn Delwyn wollte ich nach dem kleinen...ja, Zwischenfällchen von vorhin nicht unbedingt um mich haben, er würde sicher nur blöde Fragen stellen.

Apropos, wo steckte die Quasselstrippe überhaupt?

Ist doch egal jetzt...meh...

„Tasker...“, kam es noch unvermittelt von Noah, und ich blinzelte diesen verwundert an. „Ein gut gemeinter Ratschlag: Halte dich von Stout fern. Dieser schnatternde Tunichtgut, mit dem du dich immer abgibst.“
 

Diese Worte aus dem Mund meines Nebenmanns ließen meinen Mund wiederum ungläubig aufklappen und ich hatte wirklich Mühe, meine Mimik unter Kontrolle zu halten. Bittewas hatte Noah da eben von sich gegeben? Stout? Schnatternder Tunichtgut? Meinte er vielleicht Delwyn? Das war der Einzige, der mir spontan in den Sinn kam und welcher ungefähr auf diese...nicht sehr freundliche Beschreibung passte.

„Uhm...wieso sollte ich mich...von Delwyn fernhalten? Er ist doch ganz in Ordnung...“, wollte ich ein wenig verwundert wissen und versuchte, verunsichert Kontra zu geben. Letzteres schien nicht wirklich auf fruchtbaren Boden zu fallen.

„Halte dich einfach fern von ihm, er ist kein guter Umgang“, gab Noah nüchtern zur Antwort und erhob sich von seinem Platz, um sein Tablett wegzubringen. Ich hängte meine Tasche wieder um und folgte ihm samt Tablett in den Händen rasch, denn er schlug einen ziemlich schnellen Gang an.

Was war das bitte für eine Antwort? Ich blies während es Wegs zur Tablettrückgabe ein wenig schmollend die Wangen auf, hütete mich aber weiter nachzufragen.

Schließlich wollte ich den Jüngling nicht unbedingt wieder zu sehr reizen. Er musste seine Gründe haben, warum er das sagte – welche auch immer das waren.

Nachdem die Tabletts zurückgebracht waren, marschierte der blonde Kadett ziemlich zügig von dannen. Ich meinte dass er in Richtung Übungsplatz davonging...und folgte kurzerhand, da ich nicht wirklich wusste, wohin es als nächstes gehen sollte.
 

Meine Intuition sollte sich nicht täuschen. Auf dem Platz waren, ähnlich wie vor dem gestrigen Übungsduell, etliche Kadetten versammelt, die sich wieder einmal in Reih und Glied aufgestellt hatten.

Ich seufzte stumm, blickte dem Blondschopf hinterher und nahm meinen Platz ein – neben Ana, wie sich herausstellte, wie heute Morgen.

„Delwyn hat dich gesucht“, flüsterte sie in meine Richtung. „Meinte, er müsse mit dir reden.“

Uff...na wunderbar.

Blieb nur zu hoffen, dass er mich jetzt nicht fand, denn ich wollte nicht unbedingt unangenehme Fragen beantworten. Nicht jetzt. Und am Besten auch sonst nicht.

„Jetzt nicht...morgen. Oder...später...“, gab ich in der gleichen Lautstärke zur Antwort, richtete dann meinen Blick geradeaus, hielt die Hände hinter dem Rücken wie heute früh.

Erneut stand, wie man wenig später an der unverwechselbar 'freundlichen' Stimme erkennen konnte, Captain Ainsworth in voller Montur vorne und verkündete, was Delwyn vorher schon angedeutet hatte, dass anstand: Wachdienst, zusammen mit einem erfahreneren Soldaten wie ich weiter hörte.

Ich malte mir aus, dass das eine ziemlich dröge und langweilige Aufgabe sein musste, doch die weitere Erklärung des Captains verwunderte mich:

„Wachdienst bedeutet nicht nur still herumstehen, Kadetten! Je nachdem wo Sie sich befinden, fallen noch weitere Aufgaben an wie regelmäßige Kontrollgänge oder Einlasskontrollen. Weiteres wird Ihnen vor Ort erklärt, melden Sie sich einzeln in der Wachstube, dann bei dem Ihnen zugeteilten Soldaten! Marsch!“
 

Hmm, das klingt doch nicht so langweilig, wie ich dachte...

Ob es das wirklich nicht war, sollte sich etwa eine weitere halbe Stunde später herausstellen, nachdem ich in der Wachstube der Kaserne vorstellig geworden war und man mich tatsächlich...ins Draklor-Laboratorium schickte, wo ich mich bei einem gewissen Tarrian Spicer melden sollte. Wie dieser aussah, woran man ihn erkennen konnte...all das wusste ich natürlich nicht. Und wie man von hier aus zum Laboratorium gelangen sollte schon gleich dreimal nicht.

Wobei...doch, wusste ich schon, ungefähr jedenfalls. Es konnte aber nicht schaden, sich sicherheitshalber noch einmal zu erkundigen.

Die Lore zu Final Fantasy XII war wirklich reichhaltig, um es so zu sagen. Da jedes kleine Detail über die Zeit im Kopf zu behalten, war schwer. Gerade dann, wenn man noch X andere Dinge in seinem Oberstübchen herumschwirren hatte.

Daher war ich dankbar dafür, dass man mir den Weg tatsächlich erklärte – in kurzen, knappen Worten natürlich.

 

Mein Weg führte mich von der Kaserne aus den Weg zurück zur Bibliothek von gestern, und dann nach Nordosten, vorbei an diversen Verwaltungsgebäuden durch den Senobul-Bezirk. Wenn ich mich daran hielt, so die Worte eines Wachsoldaten am Eingang der Kaserne, konnte ich das Laboratorium eigentlich gar nicht verfehlen.

Die Bibliothek, Büro für Bürgerangelegenheiten...also, die Richtung stimmt schonmal.

Nach vielleicht zehn bis fünfzehn Minuten, geschätzt, kam nach einer weiteren Ecke tatsächlich die riesige, beeindruckende Front des Laboratoriums in Sichtweite und ich beschleunigte meine Schritte noch ein wenig mehr als ohnehin schon. Dass man hier viel Wert auf Pünktlichkeit zu legen schien, war schon seit dem Morgen klar, doch die Erkenntnis darüber traf mich erst jetzt. Ehrlich gesagt kein Wunder, schließlich hatte es so einige Dinge gegeben, die wichtiger gewesen waren. Und nun fiel mir auch wieder ein, dass das Draklor-Laboratorium eins der höchsten Gebäude in Archadis war – wenn nicht sogar das höchste.

Es hatte soweit ich mich entsinnen konnte 70 Stockwerke, inklusive dem Dach. Doch ich bezweifelte, dass man dort heute hinkommen würde. Oder vielleicht doch? Wohl eher weniger, das war Dr. Cids Bereich – zumindest im Spiel. Vielleicht konnte ich ja seinem Büro einen Besuch abstatten? Allein beim Gedanken daran quietschte ich leise, beinahe wie ein kleines Schulmädchen. Doch zurück zum eigentlichen Thema, dem Labor, auch wenn es schwer war, sich von dem Gedanken an Dr. Cids Büro und den Gegenständen sowie Aufzeichnungen darin loszueisen.
 

So beeindruckend der Bau von Außen auch war, ich hatte leider wenig bis keine Zeit ihn zu bestaunen – und wurde noch nicht einmal reingelassen, als ich den erstbesten Weg nehmen wollte: Durch den Vordereingang.

Die zwei hohen, spitz zulaufenden Torbögen wurden von insgesamt vier Soldaten bewacht und zwei davon versperrten mir mit ihren Lanzen den Weg. Das mussten einfache Infanteristen sein...oder ähnlich gestellte Soldaten. Auf jeden Fall war keiner vom anderen zu unterscheiden, außer vielleicht in der Größe und ungefähren Statur und irgendwo beschlich mich tatsächlich eine diffuse Angst. Die Rüstung machte sie gleich, nicht wirklich unterscheidbar – fast wie eine Einheit, das war mir schon in der Kaserne aufgefallen.

Wenn ich länger hier bin, das kein Traum ist und ich mich diesem Drill aussetze, werde ich dann auch so?

„Halt, kein Zutritt für Besucher ohne Autorisierung. Identifizieren Sie sich!“, donnerte mir eine tiefe Männerstimme entgegen, riss mich aus meinen Gedanken und ich konnte mir nicht helfen, zusammenzuzucken und zu salutieren. Schon wieder so jemand mit einem lauten Organ...war das etwa eine Art Krankheit, dass alle imperialen Soldaten so sprachen?

Meine Haltung versteifte sich zusätzlich merklich und ein dicker Kloß bildete sich wieder einmal in meinem Hals...nicht gut.
 

„K-Kadettin Tasker, Sir! I-Ich...soll mich bei...Tarrian Spicer melden. Einteilung z-zum Wachdienst.“ Dass sich meine Stimme wieder einmal eher nach einem Krächzen anhörte als ich versuchte laut und deutlich zu sprechen, musste wohl nicht erwähnt werden.

Erwähnt werden musste aber das tiefe, kehlige Lachen desjenigen, der mich angesprochen hatte, der linke der beiden Gestalten in Rüstung. Sein Kamerad und er schienen kurz einen Blick zu tauschen, ehe sich der Linke wieder mir zuwandte.

„Sie sind das? Die Wachstube ist dort drüben, Kadettin. Spicer wartet bereits, wegtreten!“

„J-Jawohl!“ Ich folgte dem Deut nach links mit meinem Blick...und hätte mir gern die Hand an die Stirn geklatscht für meine Blöd- und Blindheit. Das kleine, kastenförmige Gebäude hatte ich ehrlicherweise bei all dem Eindruck des Laboratoriums glatt übersehen. Vielleicht auch deswegen, weil es sich farblich gut in den Bau einzugliedern schien und so fast unsichtbar war.

Vielleicht ist das genau der Sinn dahinter. Auch wenn das Militär das Ganze unterstützt und beaufsichtigt, muss ja noch lang nicht jeder wissen, dass sie ständig präsent sind.

Was dann die Bewachung am Eingangsbereich sollte, war mir aufgrund meiner Gedanken schleierhaft und ich verwarf das ganze fürs Erste als völlig blödsinnig – wie so viele meiner Überlegungen.

Unmerklich mit den Augen rollend wandte ich mich nach links und marschierte zügig in die Richtung, die der Unbekannte mir gewiesen hatte. Eine futuristisch wirkende Tür erwartete mich keine dreißig Schritte entfernt. Eine Tür ähnlich denen zu den Räumen in den oberen Stockwerken des Labors. Sie öffnete sich automatisch, als ich mich nur noch wenige Schritte entfernt befand. Oder hatte man mein Kommen bereits bemerkt und die Tür absichtlich geöffnet?

Hirn! Hör auf so viel nachzudenken, beweg dich.
 

Seufzend schritt ich hindurch und fand mich in einem schmalen, einfach gehaltenen Vorraum wieder – gerade breit genug, dass vielleicht zwei Menschen aneinander vorbeipassten. Rechts führten drei Türen weiter – alle drei in der gleichen Machart wie die durch die ich eben gegangen war und mehrere rechteckige Fenster am oberen Ende der Wand zu meiner Linken ließen Licht hinein.

Als ich näher an die erste Tür zu meiner Rechten herantrat, konnte ich das daneben angebrachte Messingschild lesen und legte kurz irritiert den Kopf schief. War das hier wirklich eine Wachstube, oder nicht? Es wirkte nicht so.

Anmeldung für Personal...? Wo zum Geier bin ich denn hier gelandet?“, dachte ich laut vor mich hin und konnte gerade so ein Kopfschütteln verhindern, als auch schon – sehr zu meinem Unglück – jemand aus dem Raum trat, dessen Türschild ich eben noch angestarrt hatte wie ein Reh wenn es blitzte.

„Kadettin! Nicht herumstehen, mitkommen!“ Der Mann in Rüstung winkte mich heran und ich trat in den Raum. Er hatte sich ein wenig hektisch angehört, übellaunig – als würde ich ihn von der Arbeit abhalten. Verständlich, wenn man wie ich einfach nur dumm herumstand und sich über irgendwelche Türschilder wunderte.

Blamier dich halt noch mehr, Idiot.

„V-Verzeihung, Sir!“ Mein Magen zog sich wieder einmal unangenehm zusammen und ich folgte einfach, klammerte mich nervös am Gurt meiner Umhängetasche fest...warum zum Teufel hatte ich die eigentlich immer noch dabei? Die würde mir sicher nur im Weg umgehen. Andererseits...vielleicht war es doch nicht so unpraktisch. So hatte ich erstens etwas zu trinken dabei und zweitens Schreibzeug für...was auch immer. Sicher musste ich mir einige Dinge merken und ich hatte – nicht nur im Rahmen meiner Arbeit – gelernt, mir die wichtigsten davon aufzuschreiben, rein zur Sicherheit.

Frau hatte zwar ein gutes Gedächtnis, doch gerade wenn es stressig wurde, konnte das eine oder andere schonmal untergehen. Gerade wenn Kollegen auf etwas wichtiges warteten wie einen Rückruf oder dergleichen, war so etwas äußerst ärgerlich, wie ich schon des Öfteren feststellen musste.

Wie auch immer, der Raum den wir betreten hatten, wirkte ähnlich wie ein...Empfang, eine Art Anmelderaum wie ich es sonst nur aus Arztpraxen kannte, mit allem was so dazugehörte. Ein hoher, hölzerner Empfangstresen, der direkt dahinter in einen Schreibtisch mündete, etwas das aussah wie ein Telefon und...ein Becher aus dem es dampfte. Vielleicht Tee oder Kaffee.

Der Soldat, der mich eben in den Raum komplementiert hatte, setzte sich auf den für ihn fast schon zu schmalen Drehhocker und zog, was ich gerade so erkennen konnte, ein Klemmbrett heran.

„Name?“

„Estrid Tasker, Sir!“, kam es prompt aus meinem Mund, fast schon reflexartig und er schrieb meinen Namen auf. Lag zumindest nahe dass er es tat.

„Sie werden mit Tarrian Spicer zusammen Ihren Dienst antreten, Kadettin. Er wartet im Raum nebenan. Die dritte Tür führt Sie ins Innere des Labors. Ihr Dienst für heute beinhaltet unter anderem Kontrollgänge auf den unteren Etagen, die Bewachung des Eingangs und entsprechende Kontrollen sowie die Eskorte von Besuchern innerhalb des Gebäudes. Ihnen wird für die nächsten sechs Stunden die Lizenz erteilt, eine Lanze zu tragen, gehen Sie vorsichtig damit um! Und nicht wild damit herumfuchteln, sonst hat das Konsequenzen. Alles Weitere wird Spicer Ihnen erklären. Von ihm werden Sie auch die Waffe erhalten“, wurde mir erklärt.

Allerdings in einem Tonfall, dass es mir kalt den Rücken hinunterlief. Der gute Mann, wie immer er hieß, klang noch immer nicht allzu amüsiert – um nicht zu sagen gereizt.

„Und lassen Sie beim nächsten Mal Ihre Habseligkeiten in der Kaserne“ wurde noch schroff hinterhergeschmissen. Ich erwiderte nichts darauf – was wohl besser so war – und trollte mich wie ein geprügelter Hund und einem „Ja, Sir! Vielen Dank, Sir“ auf den Lippen wieder zurück auf den Flur beziehungsweise in den Vorraum, aus dem ich gekommen war.

 

Dort atmete ich erst einmal kurz tief durch und verfluchte mich selbst für mein Verhalten in diesem Moment, ehe ich an die mittlere Tür herantrat und diese sich fast noch im selben Augenblick wie von Geisterhand öffnete. Erschrocken von diesem Umstand, obwohl ich es doch eigentlich kennen sollte, zuckte ich leicht zusammen, nur um direkt von einer weiteren Gestalt in Rüstung empfangen zu werden, die mit zwei Lanzen in den panzerbehandschuhten Fingern auf mich zukam, sodass ich zur Seite treten musste, wollte ich einen Zusammenprall verhindern.

„Ah...Mister Spicer? Sir? Kadettin Tasker, melde mich...zum Dienst...“ Nein, ich konnte dieses Sir-Gequatsche gerade definitiv nicht abstellen – allein schon aus einem gewissen Unbehagen heraus nicht, eventuell jemanden zu verärgern, wenn ich diese 'Anrede' auch nur ein einziges Mal vergaß. Wie sollte es anders sein, überragte mich auch dieser imperiale Soldat in seiner Rüstung um mehr als einen Kopf und die Rüstung ließ ihn glatt noch einschüchternder wirken, als er ohne diese geschmiedete Blechbüchse mit Helm und hochklappbarem Visier vermutlich wäre.

Stumm wurde mir eine der langen und wie sich herausstellte schweren Lanzen in die Hände gedrückt. Der metallene Stab fühlte sich kalt zwischen meinen Fingern an, egal wo ich ihn hintastete und fast schon andächtig musterte ich die breite, keilförmige Klinge am oberen Ende.
 

Ich konnte nicht wirklich glauben, gerade eine echte Waffe in den Händen zu halten. Abgesehen vom Holzschwert meines jüngeren Bruders hatte ich bisher nichts in den Fingern gehabt, das auch nur im Entferntesten einer Waffe ähnelte – und Küchenmesser, sowie Gartenschaufeln oder Astschneider zählten meines Erachtens nicht.

Selbst hier waren die Schmiedegilden wohl sehr eitel gewesen und hatten das archadianische Wappen in die Klinge der Lanze geprägt. Oder ich hatte aufgrund meiner Brille einfach nur einen Knick in der Optik, als ich die feinen Vertiefungen dort bemerkte – oder sie mir eben nur einbildete. Doch Zeit, die Waffe eingehender zu betrachten und festzustellen, ob dort tatsächlich etwas graviert war, blieb mir nicht, denn der Mann marschierte mit strammen, zügigen Schritten auf die dritte und letzte Tür zu.

Ohne, dass man etwas sagen musste, folgte ich einfach. Dabei hielt ich die Lanze, die nebenbei bemerkt gut zwei Köpfe größer war als ich, mit beiden Händen auf der rechten Seite, was doch ein wenig seltsam anmutete. Das gute Stück war jedoch schwerer, als ich dachte und den richtigen Punkt zu finden, an dem ich die nicht ungefährliche Waffe einhändig tragen konnte, war gerade ein Ding der Unmöglichkeit.
 

„Wachstuben wie diese hier finden Sie im gesamten Laborkomplex verteilt. Wir sind zusammen mit einem dutzend anderer Soldaten für die ersten zehn Etagen und den Eingangsbereich verantwortlich. Diese sind sowohl durch Treppen, als auch Aufzüge miteinander verbunden“, erklärte die tiefe, aber nicht unfreundliche Männerstimme aus den Untiefen des Helms den groben Aufbau der Militärstruktur des Labors und ich blinzelte halb erstaunt, halb interessiert. Offenbar galt das mit den Treppen nicht für das gesamte Laboratorium oder man konnte diese im Spiel auf den oberen Etagen aufgrund der Sicherheitsschleusen einfach nicht erreichen. Doch das waren Dinge, die ich hier vermutlich nicht einmal wissen oder ahnen sollte, also hielt ich für dieses Mal einfach die Klappe. Ich wollte schließlich nicht schon wieder einfach irgendetwas in die Welt hinausposaunen und es dann hinterher sofort bereuen, überhaupt etwas gesagt zu haben oder in Aktion getreten zu sein. Die Blamagen und anderen Probleme für heute hatten eindeutig gereicht und ich brauchte nicht noch mehr davon, nein. Statt dessen hieß es einfach nur nicken, lächeln und folgen, wie man es von einem braven Mädchen...einer Kadettin wohl erwartete.
 

Das Innenleben des Labors glich exakt dem, was ich aus dem Spiel in Erinnerung hatte und sofort kamen Erinnerungen an das erste Mal hoch, als ich mit meiner Gruppe aus Balthier, Fran und Basch die Gänge erkundete, so manches Mal panisch die Flucht vor Imperialen ergreifend, weil sie schlicht in der Überzahl waren. Ein anderes Mal war ich an den roten und blauen Sicherheitsschleusen verzweifelt, weil ich die richtige Reihenfolge schlicht nicht herausbekommen hatte, um weiterzukommen. Da man die Karte nicht wirklich sehen konnte, war das doppelt ärgerlich gewesen, aber am Ende dann Dr. Cid gegenüber zu stehen...allein der Gedanke daran jagte mir eine Gänsehaut über den Rücken. Vielleicht würde ich ihn heute ja auch sehen und da Noah so jung war, konnte der Doktor zu dieser Zeit noch nicht in die Jakht Difohr gereist sein, um dort Venat zu begegnen.

Auch wenn ich den Occuria zu gern erlebt hätte, aber ich schob die Gedanken daran, was heute alles passiere könnte vorerst beiseite und atmete tief durch, während ich dem imperialen Soldaten namens Tarrian Spicer folgte.

Dieser war, im Gegensatz zu seinen Kollegen, eine ganze Spur umgänglicher und schrie einem nicht gleich die Ohren ab. Allerdings wedelte er mit einer Hand vor meinem Gesicht herum, als ich wohl nicht geantwortet hatte.

„Tasker, träumen Sie oder haben Sie mir gerade zugehört?“ Seine Stimme klang etwas forsch, aber nicht wirklich unfreundlich. Nicht so wie gewisse andere Herren, an die ich gerade nicht denken wollte. Bei einem davon musste ich morgen Vormittag auch noch vorstellig werden...aus welchen Gründen auch immer.

Vielleicht hatte der Captain auch einfach nur schlechte Laune, aber wer war ich schon, darüber zu urteilen? Mit der Sozialkompetenz eines Goldfischs war das alles andere als einfach, ganz zu schweigen davon, dass man einen Menschen nie vorschnell verurteilen sollte. Etwas, das ich schon früh verstanden hatte, aber dennoch nicht wirklich umsetzte, weil sich kaum Möglichkeiten ergaben, dieses Wissen zu bestätigen oder es zum Teufel zu jagen wie so viele andere Dinge.
 

Die nächste Stunde verbrachten wir hauptsächlich damit, die unteren Stockwerke zu patrouillieren – wobei ich mehrmals aufpassen musste, die Lanze nicht fallen zu lassen. Das Gewicht der Waffe in meinen Händen war eben etwas ungewohnt – auch, wenn man als Kadett während der Ausbildung sicher mit verschiedensten Waffen bekannt gemacht wurde.

Der erfahrene Soldat neben mir erklärte, dass es im Labor in letzter Zeit sehr ruhig gewesen war und eigentlich kaum nennenswerte Vorfälle gegeben hatte, abgesehen vom ausgebüxten Hauskaktor eines leitenden Wissenschaftlers, der für ordentlich Wirbel gesorgt hatte. Ich lauschte dem aufmerksam, während wir um eine Ecke bogen und auf eine Treppe nach unten zuhielten.

„Das kleine Biest hat uns ganz schön auf Trab gehalten und ist uns ständig entwischt. Kaktoren sind ziemlich linke Biester.“

Finde ich eher nicht. Die kleinen Kerle sind harmlos und niedlich.

Außerdem griffen einen diese 'Monster' nicht von sich aus an – im Gegensatz zu gewissen anderen Biestern auf Ivalice.

„Wenigstens wurden seit diesem Vorfall Gegenmaßnahmen ergriffen. Wenn jemand ein Tier ohne schriftliche Genehmigung mitbringt, müssen wir es konfiszieren und die betreffende Person hat ein Bußgeld von 1.500 Gil zu bezahlen.“

So weit, so nachvollziehbar. Trotzdem wurde ich irgendwie das Gefühl nicht los, dass es den Soldaten hier eher ein Dorn im Auge zu sein schien, auf eine zusätzliche Sache mehr zu achten.
 

„Dann...hoffen wir mal, dass die Leute es zukünftig verstehen“, meinte ich nur verunsichert und schritt mit der Lanze fest in beiden Händen die Treppe nach unten.

„Erm...abgesehen davon...Kaktoren sind eigentlich niedlich...w-wenn man die Stacheln außen vor lässt.“

Da mein Nebenmann das Visier seines Helms nicht hochgeklappt hatte, konnte ich seine Reaktion darauf nicht wirklich sehen – und wollte es davon abgesehen auch nicht so wirklich. Die Lanze gerade neben sich zu halten, während wir das Stockwerk wechselten, war eine Kunst für sich – oder eher für jemanden wie mich, der sich auch sonst nicht allzu viel zutraute.

Glücklicherweise war bisher noch nichts vorgefallen, das einen Anlass zur Sorge gegeben hätte, aber eine Sache interessierte mich dann doch.

„Mister Spicer...Sir, kennen Sie zufällig...“

Ich überlegte einen Moment, unsicher ob ich das jetzt wirklich fragen oder es lieber lassen sollte.

„...Cidolfus Demen Bunansa?“

Der Soldat neben mir hielt kurz inne, wir schritten nach wenigen Augenblicken jedoch still die restlichen paar Stufen nach unten. Nach wie vor ärgerte es mich, dass hier jeder Soldat sein Gesicht hinter diesem dummen Visier versteckte, doch das wurde brav für sich behalten.

„Ich habe den Namen schon einmal gehört, ja. Er ist ein bekannter Reliktforscher. Viel auf Reisen und sehr engagiert bei seiner Arbeit. Warum fragen Sie mich das, Tasker?“

Eher nebenbei stellte ich fest, dass wir mittlerweile wieder im Erdgeschoss angekommen waren und nun auf der anderen Seite des Eingangs standen.

Gute Frage, warum wollte ich das wissen? Vielleicht, weil ich keine Ahnung hatte, in welchem Jahr wir uns genau befanden? Weil es mich einfach interessierte?

Das müsste ja dann heißen, dass er Venat wirklich noch nicht begegnet ist. Vielleicht sehen wir ihn heute ja auch!

„Uhm...einfach so? Ich interessiere mich für seine Arbeit, das ist alles.“

Und abgesehen davon machte mich diese Stille wahnsinnig – auch wenn ich mich insgeheim schon wieder dafür verfluchte, überhaupt den Mund geöffnet und etwas anders gemacht zu haben als daheim. Das ging sicher wieder schief, so wie mit dem Vortrag und dem, was danach passierte.
 

Nur wenig später stand die Wachablöse am Eingang an. Soweit ich mitbekam, wurden kurz Namen von heute Nachmittag noch anstehenden Besuchen ausgetauscht, ungewöhnliche Vorkommnisse weitergegeben und nach einem weiteren Salut verabschiedeten sich die beiden Gestalten in Rüstung dann auch schon ins Innere des Labors.

„Unsere Aufgabe ist es jetzt, die Eingangskontrollen durchzuführen, Kadettin. Jeder muss sich eindeutig identifizieren können. Bei rückfragen müssen wir uns mit unserer Wachstube kurzschließen, da wir hier nicht alle Informationen vorliegen haben. Außerdem müssen Sie sich die Namen der ankommenden Personen merken. Soweit verstanden?“ Die Stimme war, wie ich schon einmal festgestellt hatte, nicht so laut und gebieterisch wie die der anderen Soldaten, dennoch musste ich leicht schlucken und nickte vorsichtig.

„Alles verstanden, Mister Spicer...Sir. Was...wenn sich jemand nicht identifizieren kann...oder will?“ Sicher, die Frage kam alles andere als leise über meine Lippen, aber trotzdem konnte man mir die Verunsicherung über das mögliche Prozedere in diesem Fall wohl zu deutlich anhören.

Während ich auf eine Antwort wartete – oder darauf, den Kopf abgerissen zu bekommen – verstaute ich rasch die Kette mit der Uhr daran in meiner Umhängetasche und nahm noch einen Schluck aus der Feldflasche. Dass sich die Lanze dabei laut klappernd auf den Boden verabschiedete, war eindeutig meine Schuld und irgendwie hatte ich kurz das Gefühl, einen bösen Blick auf mir zu spüren. Jedoch tat ich das als blödsinnig ab und stellte mich wieder gerade hin und versuchte, die Waffe nurmehr mit einer Hand zu greifen – ähnlich wie der erfahrene Soldat.

„Passen Sie mit Ihrer Lanze auf! Wie auch immer... Für den Fall einer Weigerung haben wir die Erlaubnis, die betreffende Person zu Boden zu bringen und in Gewahrsam zu nehmen, bis die Identität geklärt wurde“, erklärte Tarrian in leicht düsterem Ton. Oder mein soziales Goldfischgehirn bildete sich gerade schon wieder Dinge ein.

Der Griff um die für mich viel zu lange Waffe festigte sich und ich wollte schon salutieren, ließ das jedoch in letzter Sekunde bleiben, bevor mir die Lanze wieder aus der Hand fiel.

„Ich eh...ja...natürlich. Vielen Dank. Für die Information, meine ich.“

Im Ernstfall mussten die Soldaten hier also Leute festsetzen und mein Gehirn ratterte schon wieder mit irgendwelchen Gedanken über mögliche Horrorszenarien los, die ich mir eigentlich nicht bildlich vorstellen wollte.

Kopfschüttelnd zwang ich mich dazu, aufzupassen und richtete den Blick geradeaus, den Eingang des Draklor-Laboratoriums im Rücken.
 

Die nächste Stunde verlief eigentlich relativ ereignislos. Kaum jemand schien das Labor um diese Zeit zu betreten und ich gähnte gerade hinter vorgehaltener Hand, da erblickte ich etwas. Nein, es war jemand – eine einzige Person, um genau zu sein.

Vielleicht hatte ich einen Sonnenstich oder träumte gerade schon wieder, aber es war ein mir durchaus bekanntes Gesicht, das sich näherte – auch wenn er wesentlich jünger aussah, als ich ihn in Erinnerung hatte. Ein freudiges Quietschen war nicht zu verhindern, denn es handelte sich um Dr. Cid! Er war hier noch nicht in Weisheit ergraut, aber seine Kleidung war immer noch die Gleiche – auch wenn ich das Rot irgendwie nicht wirklich mochte. Eigentlich sollte er ja nicht hier sein – oder?

Hatte Tarrian mir nicht erzählt, er wäre viel auf Reisen?

Den Gedanken beiseite schiebend starrte ich gespannt auf den ankommenden Wissenschaftler.

„Identifizieren Sie sich!“, kam es von der linken Seite, sodass ich vor Schreck fast wieder einmal die Lanze fallen gelassen hätte.

Jetzt schreit er auch schon so herum...war wohl doch ein Irrglaube, dass nicht jeder Soldat so ist wie der Captain.
 

„Cidolfus Demen Bunansa, Wissenschaftler.“

Mein inneres Fangirl war gefühlt am durchdrehen, während Dr. Cid sich mit Tarrian austauschte. Ich wollte ihn eigentlich so viel fragen. Woher er gerade kam, wie seine Forschungen liefen, wie es Balthier ging...gaaaanz normale Dinge eben.

Jedoch sollte mir nicht vergönnt sein, mit ihm zu sprechen. Ich ließ ihn lediglich mit etwas nervös zitternden Fingern passieren und starrte ihm hinterher – vermutlich zu lange.

„Wenn Sie Fragen an Doktor Bunansa haben oder so dringend mit ihm sprechen wollen, schreiben Sie ihm. Wir müssen hier unsere Arbeit machen.“ Der strenge Tonfall machte unmissverständlich deutlich, dass ich wohl weniger hinterhergehen durfte.

Allerdings, so meine Überlegung, musste jeder normale Mensch auch einmal auf die Toilette und ich war seit dem Vortrag nicht mehr gewesen...

„Darf ich wenigstens die Toilette aufsuchen, Sir?“

Ein lautes Ausatmen folgte.

„Meinetwegen. Aber kehren Sie danach unverzüglich hierher zurück, Kadettin. Und lassen Sie ihre Lanze besser hier – nicht dass noch etwas passiert.“

Eine kurze Wegbeschreibung zu den Toiletten wurde mir auch noch mitgegeben, dann...folgte ich dem Doktor unauffällig. Er schritt geradewegs die Treppen nach oben, statt den Aufzug zu nehmen. Vorbildlich. Nun, da die Toiletten ohnehin irgendwo im ersten Stock zu finden waren, war mein Weg so weit nicht ungewöhnlich.

„Entschuldigung, Doktor Bunansa...haben Sie kurz Zeit?“

Der Angesprochene blieb stehen und legte den Kopf schief.

„Ah, die junge Frau von eben. Gibt es Probleme mit meiner Autorisierung?“, wollte er sogleich wissen. Seine Stimme hatte – zumindest für mich – etwas Beruhigendes. Keine Hektik, kein garnichts war herauszuhören. Glaubte ich jedenfalls wieder einmal.

„N-Nein, das nicht. Ich...wollte Sie etwas zum... Golmore-Dschungel fragen. W-Waren Sie schon einmal dort?“

Kaum war die Frage ausgesprochen, bereute ich es schon wieder, sie überhaupt gestellt zu haben.

„Ehrlich gesagt nicht, aber das wird sich in Zukunft sicher ändern. Einige Relikte deuten auf den Wald als eigenständiges Lebewesen hin und ich möchte dem nachgehen.“, begann er begeistert und ich hätte schwören können, dass seine Augen leicht aufleuchteten, als er sprach. Fast wie ein Kind an Weihnachten, wenn ich mir den Vergleich erlauben durfte. Dabei handelte es sich hier um einen erwachsenen Mann.

Wobei, ich sollte da mit meiner Begeisterung zum Schreiben eigentlich ganz still sein.

Trotzdem ließ mich seine Antwort ein wenig irritiert zurück.

Wiewas? Es gibt zwar die magischen Barrieren im Spiel und die Viera können mit der Natur kommunizieren, aber...reicht das wirklich, um den Wald als eigenständiges Lebewesen zu bezeichnen?

Sicher war es ungemein faszinierend, selbst eine solch kurze Ausführung von einem meiner Lieblingscharaktere zu hören, doch es warf wieder einmal Fragen auf, für die es – aus meiner Sicht – keine Antworten gab.

„Das klingt äußerst...interessant. Ich-“

Ich wollte mich eigentlich noch erkundigen, ob er mich auf dem Laufenden halten könnte, doch das wurde dreist unterbrochen, indem man mich einfach wegschleifte, sodass es mich beinahe lang legte.

„Hey!“

„Doktor Bunansa ist ein vielbeschäftigter Mann und Sie haben sicher Besseres zu tun, als hier herumzustehen. Zurück auf Ihren Posten, Kadettin. Sofort.“

Die Stimme kam mir äußerst bekannt vor, es war einer der Soldaten, die mich vorhin auf die Wachstube verwiesen hatten – und er klang nicht gerade amüsiert. Mein Blick wanderte wie auf Kommando gen Boden. Schon wieder ein eigentlich vermeidbarer Fehler.

Ich hätte mir ja denken können, dass das nicht gutgehen würde, aber nein...Fräulein will ja lieber ihr Glück herausfordern.

Was ich davon hatte, sah man ja jetzt: Eine Blamage mehr und vermutlich Ärger am Hals.

„N-Natürlich...Sir“, kam es kleinlaut aus meiner Richtung und als man mich endlich wieder losließ, war ich fast schon wieder am Eingang. Dort erwartete mich eine weitere Gestalt in Rüstung, doch das Visier verhinderte jegliche Deutung seiner eventuellen Laune.

Er drückte mir nur mit etwas Nachdruck die Lanze wieder in die Hände und ich stellte mich gefühlt klein mit Hut zurück auf meinen Posten.

 

So verlief fast schon der gesamte restliche Nachmittag. Mehrere Personen wollten dann noch tatsächlich das Labor betreten und zum Glück lief alles so weit glatt. Ich wagte es nicht, noch einmal nach einem Gang zum Klo zu fragen – außer in dem Moment, als unsere Ablöse ankam.

„Keine besonderen Vorkommnisse“, meldete ich auf Nachfrage. Denn es hatte ja auch keine gegeben, was die Einlasskontrollen anging.

Nachdem auch das endlich geklärt war, blieb uns nichts mehr, außer die Waffen zurückzugeben und da wurde mir dann endlich auch gestattet, das Klo aufzusuchen.

Es hätte so ein schöner Wachdienst werden können, aber nein...

Ich rollte nur mit den Augen bei dem Gedanken daran, während ich auf dem Klo saß und die Tür anstarrte.

Zum einen hatte es wenigstens keine neuen Verletzungen oder blauen Flecken gegeben, zum anderen auch keine Situationen, die potenziell gefährlich waren. Und das war doch gut, oder nicht?

Darüber ließ sich bekanntermaßen streiten und nachdem ich mir die Hände gewaschen und meine Feldflasche noch einmal aufgefüllt hatte, machte ich mich auf den Weg nach unten und verließ das Labor durch den 'Seiteneingang'.
 

Mit einem erleichterten Ausatmen ließ ich die Wachstube und das Laboratorium für heute hinter mir, darauf hoffend mir nicht noch mehr Blamagen für diesen Tag einzufangen. Schon schlimm genug, was heute vor dem Wachdienst passiert war und während ich so darüber nachdachte, ob das hier nun ein Traum war oder die Wirklichkeit, trugen mich meine Füße wie von selbst zurück in Richtung der Kaserne. Anders könnte ich mir zumindest nicht erklären, wie zum Geier sich meine Umgebung verändert hatte.

Aber wenn man mir ein paar Mal den Weg gezeigt hatte, konnte ich ihn seltsamerweise immer wieder finden – sofern er nicht zu kompliziert war. Keine Kunst, wenn man mich so fragte, die sich gerade erfolgreich darum gedrückt hatte, Delwyn anzusprechen. Der Jüngling mit seinem markanten Kinnbart wollte ja mit mir reden, hatte Ana zumindest erwähnt.

Doch ich hatte bereits nach der misslungenen Begegnung mit Foris beschlossen, ihm erstmal aus dem Weg zu gehen und das später zu klären...irgendwann, wenn ich die sprichwörtlichen Eier aufbringen konnte, mich seinen Fragen zu stellen. Klassische Aufschiebetaktik, wie ich sie manchmal auch zuhause praktizierte, um unangenehmen Gesprächen aus dem Weg zu gehen. Einfach so tun, als wäre nichts gewesen, war zwar nicht wirklich möglich, aber immerhin konnte ich mich erfolgreich an ihm und der Gruppe Kadetten vorbei stehlen, die gerade zusammenstanden und sich über irgendwelche Dinge unterhielten.

In aller Ruhe konnte ich so zu den Gemeinschaftszimmern gehen, um meine Tasche samit der darin verstauten Uhr aufzuräumen, noch einen Schluck Wasser aus der Feldflasche zu trinken und vor allen Dingen mich auf meine Trainings-Verabredung mit Noah vorzubereiten. Ich legte ein neues Set Trainingsklamotten auf meinem Bett bereit und zog mich schon einmal um, hängte die Uniform fein säuberlich in den Schrank zurück. Der Sitz der Klamotten wurde nochmal kontrolliert und ich blieb schließlich mit leicht schiefgelegtem Kopf vor dem geöffneten Möbelstück stehen, um den Zettel am Haken genauer unter die Lupe zu nehmen. Es fühlte sich an wie ein normales Blatt Papier, von dem man einfach nur eine Ecke abgerissen hatte, um random ein Wort darauf zu kritzeln und dieses aus welchen Gründen auch immer in seinen Schrank zu 'hängen' wenn man so wollte.

Vielleicht...nein, ich würde sicher niemanden fragen, was es mit diesem Zettel auf sich hatte.

Mein Bauchgefühl sagte mir, dass das keine gute Idee war und prompt war die Idee aus meinem Kopf verschwunden, als wäre sie niemals dort gewesen. Als hätte ich nie eine Sekunde daran gedacht, irgendjemanden in der Kaserne auszuquetschen und mit Fragen zu löchern. Sicher, ich konnte durchaus neugierig sein, manchmal sogar etwas ZU neugierig, aber ich konnte eben einfach nicht anders. Es war wie ein Fluch, eine Berufskrankheit oder wie immer man es nennen wollte.

 

Doch das hier war etwas ganz anderes. Es ging hier schließlich nicht um andere Menschen, zu denen man sich gewisse Eigenheiten einprägen sollte und dergleichen mehr, sondern um 'mich'...nunja nicht ganz. Eher um Estrid Tasker, die ich offenbar war...in diesem äußerst realistischen Traum, der mir nach diesem weiteren Tag noch weniger vorkam wie ein solcher. Eher wie ein wahrgewordener Traum eines Fangirls, das irgendwann einmal davon geschwärmt hatte, mit einem Luftschiff durch Ivalice zu fliegen.

Idiot...hör auf so abzuschweifen und geh essen, du hattest doch eine Verabredung.

Mit den Augen rollend hängte ich den Zettel zurück, nahm die Brille ab und bog den rechten Bügel vorsichtig ein wenig weiter in Richtung Ohr, ehe ich sie wieder aufsetzte, und schloss meinen Schrank wieder, bevor mein Blick für einen Moment an Ana hängenblieb, die mit einem Buch unter dem Arm gerade ihren Schrank geschlossen hatte. Den Titel konnte ich nicht erkennen, aber im Vergleich zu den klobigen, schweren Wälzern in der Bibliothek sah das nach einem wahren Leichtgewicht aus.

Las sie etwa gerne?

Nein, nicht ablenken lassen, aus, böse!

Ich konnte mir immer noch über all das Gedanken machen, wenn ich einen Tag Ruhe hatte...oder aus diesem Traum aufwachte. Doch da war es wahrscheinlicher, einen Tag Ruhe zu haben, als aufzuwachen, denn ich fühlte mich dank des Wachdienstes und der Ereignisse dort hellwach und hatte noch ein paar blaue Flecken mehr zu verbuchen. Alles nur, weil ich wieder einmal viel zu neugierig gewesen war und sowohl das Gewicht der Lanze, als auch meine eigene Nervosität heillos unterschätzt hatte.

 

Dabei wollte ich mir trotz allem stillen Gemecker meinerseits wirklich Mühe geben, obwohl ich ganz genau wusste, dass ich nie eine Militärausbildung durchhalten würde – nicht einmal mit viel Disziplin. Dazu war ich viel zu harmoniebedürftig und eigentlich auch friedfertig.

Dinge, die mir so durch den Kopf gingen, während meine Füße mich wieder einmal Gänge entlang trugen und ich mich schließlich in der Kantine wiederfand.

Dort war eine Art Buffet aufgebaut worden, an dem man sich selbst bedienen konnte – eine echte Überraschung im Vergleich zu heute Morgen und auch mittags, wo es kaum Auswahl gegeben hatte. Es war definitiv Zeit für eine kleine Stärkung, bevor ich mich mit Noah traf. Der eben Genannte saß bereits an einem der Tische und war mit Essen beschäftigt.

Ich schnappte mir ein Tablett, einen Teller und eine Schüssel und verteilte mir Brot, etwas das aussah wie Salami, sowie eine gute Portion geschnittenes Obst darauf. Dazu holte ich mir ein Glas Fruchtsaft, der aussah wie Orangensaft. Denn auch wenn es Milch gab und sogar Tee angeboten wurde, wollte ich lieber kein Risiko eingehen und mit dem fahren, was ich kannte. Frei nach dem Motto: 'Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht.'
 

So setzte ich mich alleine hin, um in Ruhe essen zu können. Im Gegensatz zum Frühstück, wo mir Delwyn gefühlt ein Ohr abgekaut hatte, war es nun still und irgendwo störte mich das doch – auch wenn ich es eigentlich nicht anders mochte. Führte nicht zu unangenehmen Situationen oder Smalltalk, den ohnehin kein Mensch interessierte.

Jedoch führte es andererseits dazu, dass meine Gedanken wieder zu dem schweiften, was heute nach dem Vortrag geschehen war und es kam zumindest gedanklich die Frage auf, wie ich mich Delwyn gegenüber erklären sollte – von Foris ganz zu schweigen. Letzterer hatte mir nämlich während des Vortrags gefühlt den Hintern gerettet und es ihm dann so zu danken, war freundlich gesagt suboptimal.
 

„Tasker“, sprach mich plötzlich jemand von hinten an. Allein die Stimme verriet schon, dass es sich um Noah handelte und ich legte rasch das halb aufgegessene Brot beiseite.

Ein Blick nach links über meine Schulter bestätigte nur, was ich bereits vermutete. Was könnte Noah denn jetzt, kurz vor unserer Trainings-Verabredung, noch von mir wollen? Und warum steckte er noch in seiner Uniform?

„Ja?“, kam es in verwundertem Ton von mir.

„Der Captain hat kurzfristig nach mir verlangt, unser Training muss leider ausfallen.“ Die Vorfreude, die ich bis vor wenigen Augenblicken noch glaubte zu haben, löste sich binnen weniger Augenblicke in Luft auf. Ich nickte lediglich – zunächst nicht wirklich fähig, einen Ton zu sagen. Da ging meine potenzielle Abendbeschäftigung hin.

„I-In Ordnung, dann...viel Erfolg. Wir...sehen uns morgen oder so.“ Wie gezwungen das Lächeln aussah, das ich aufsetzte, wollte ich in dem Moment lieber nicht wissen, aber ich wollte mir die Enttäuschung über diese kurzfristige Absage möglichst nicht anmerken lassen.

Davon abgesehen, eine passende Antwort auf seine Absage sah anders aus – so viel war selbst einem sozialen Goldfisch wie mir klar, während ich nunmehr mein restliches Abendessen vertilgte und dann das Geschirr zurückbrachte. Mir war zwar nicht mehr nach essen zumute gewesen, doch Lebensmittel zu verschwenden noch weniger.
 

Jetzt, wo meine Abendbeschäftigung ins Wasser gefallen war, musste ich mir notgedrungen etwas anderes einfallen lassen. Unter normalen Umständen hätte ich entweder zu einem Buch gegriffen und gelesen oder gezockt, doch Letzteres ging hier leider nicht.

Vielleicht könnte ich mir die Kaserne ein wenig anschauen, oder...nein, das war eine miese Idee. Delwyn oder Foris suchen und mich für meinen Fauxpas nach dem Vortrag entschuldigen? Kam auch nicht in die Tüte. Ich wüsste ja noch nichtmal, wie ich das alles erklären sollte – außer mit mehr Lügen und das war das letzte, was ich wollte. Vielleicht nach Drace fragen und ihr Nachhilfe in Magietheorie geben, von der ich selbst keine Ahnung hatte?

Narf...das ist auch keine gute Idee. Vielleicht lese ich einfach das Notizbuch durch, eventuell steht ja irgendwas Nützliches drin außer meinem eigenen Gekrakel.

Gedacht, getan. Zurück zu den Gemeinschaftszimmern also – auch wenn ich mich irgendwo im Hinterkopf fragte, was der Captain von Noah wollen könnte. Fing seine steile Militär-Karriere etwa schon jetzt an? Wundern würde es mich nicht wirklich, immerhin war er – meiner Meinung nach – ein 'Musterschüler' und niemand, den man leichtfertig reizen sollte.
 

Mittlerweile konnte ich mir zumindest einen Weg merken, wenn es schon keinen Lageplan gab.

Im Gemeinschaftszimmer angekommen, stellte ich fest, dass dieses leer war. Die Mädels waren vermutlich alle ausgeflogen und genossen den freien Abend.

Das Notizbuch aus der Umhängetasche holend, legte ich mich bäuchlings auf mein gemachtes Bett und blätterte darin.

Etwas Nützliches war dort zunächst nicht wirklich zu finden.

Notizen zu Verhaltensregeln, Kleiderordnung, dem generellen Tagesablauf, grobe Wegbeschreibungen zu verschiedensten Einrichtungen wie der Bibliothek, dem Fitnessstudio oder dem Draklor-Laboratorium.

Hm...

Letzteres machte mich schon ein wenig stutzig. Hatte Estrid etwa Familie, die vielleicht im Labor arbeitete? Davon hatte ich heute nichts mitbekommen. Niemand hatte die Kadettin – mich – erkannt. War das vielleicht nur ein harmloses Interesse, oder steckte mehr dahinter? Schwer zu sagen. Möglich war alles und nichts und da ich gerade niemanden hatte, den ich danach fragen konnte, wurde das erstmal beiseite geschoben.

Die nächste Doppelseite jedoch weckte mein Interesse.

„Magie und ihre Ursprünge“, las ich leise und schob die Brille nach oben, doch gerade als ich mich dem eigentlichen Inhalt der weiteren Notizen widmen wollte, wurde ich auf die Schulter getippt.

Wie sich herausstellte, war die Schuldige keine Unbekannte – es handelte sich um Ana.
 

„Liest du wieder deine Notizen?“, fragte sie und wenn es ein Vorwurf gewesen sein sollte, dann hatte er seine Wirkung nicht verfehlt. Mich ertappt fühlend klappte ich das Notizbuch zu und rollte mich aus dem Bett – nur um dann darauf Platz zu nehmen.

„Ja...ist das verboten?“, wollte ich wissen und bedeutete ihr, sich neben mich zu setzen – was Ana auch prompt tat. Sie hatte immer noch ein Buch dabei – und wenn ich mich nicht irrte, war es das Gleiche wie vorhin auch.

„Natürlich nicht,“ antwortete sie entschieden und legte den Kopf schief. „Es ist nur...ich frage mich manchmal, ob es wirklich das Richtige ist, was wir hier tun. Ich meine...wir tun alle unser Bestes, aber ich werde das Gefühl nicht los, dass das ein Fehler war.“

Bitte was? Woher kommt das denn auf einmal?

So hatte ich Ana beim besten Willen nicht kennen gelernt. Eher als treibende Kraft, die mir heute Morgen – und laut Delwyn wohl auch zu Anfang – quasi den Arsch rettete, indem sie mich nicht einfach weiterschlafen ließ.

„Militärdienst ist immer ein zweischneidiges Schwert, Ana“, begann ich ein wenig unsicher und wandte mich ihr zu – nervös meine Finger knetend, weil ich mir gerade etwas dämlich vorkam und überdem nicht der ideale Tröster war. „Wenn du merkst, dass du dich damit nicht wohlfühlst...“

„Das meine ich noch nicht einmal...ich will meinem Land einen Dienst erweisen, aber ich habe Angst vor der Zukunft. Vor dem, was sie mit dem Wissen anfangen werden.“
 

Okay...nun war ich wirklich verwirrt, von dem oder was genau die Kadettin neben mir gerade sprach. Redete sie vielleicht nur wirres Zeug, weil sie einen langen Tag gehabt hatte? Schwer zu sagen. Ehrlich gesagt wollte ich mich nicht weiter damit befassen und es dabei bewenden lassen, weil ich Anas Gefühle respektieren wollte, aber daraus wurde leider nichts. Mein Kopf fing von sich aus an zu arbeiten.

Von wem redet sie da? Ich will eigentlich nicht fragen, aber...nein, ich werd auch nicht fragen, so!

„Ich habe manchmal auch Angst, was die Zukunft bereithält, aber wer immer nur wegläuft, hat auch nichts gewonnen...wenn ich das so ausdrücken darf.“
 

Ein Teil davon stimmte sogar; ich war ein oller Angsthase, der sich gerade mehr schlecht als recht in zwischenmenschlicher Interaktion übte, aber manchmal hatte auch ich genug vom Wegrennen oder dem Kopf in den Sand-stecken. Auch wenn genau das zuweilen einfacher war, als zu versuchen, etwas anders zu machen. Es war der Weg des geringsten Widerstands, des kleinstmöglichen Restrisikos und davon abgesehen hatte ich keine guten Erfahrungen damit gemacht, Dinge anders anzugehen oder gar meine Meinung zu sagen. Entweder machten sich Leute über einen lustig oder beschimpften mich glattweg als nicht teamfähige Tratschtante. Aber gut, das gehörte hier nicht hin.

„Was auch immer dir Angst macht...du...solltest nicht davor wegrennen“, kam es leicht unsicher aus meiner Richtung und ich versuchte es mit einem aufmunternden Lächeln. Mein Gesicht musste jedoch ganz anders aussehen, denn ich erntete nur ein unterdrücktes Lachen von Ana.

„Du hast ja irgendwo recht, aber...ach egal. Danke für den Versuch, mich aufzumuntern. Und denk dran, Delwyn will immer noch mit dir reden.“

Da kann er lange warten. Ich hab keine Ahnung, wie ich das alles erklären soll.

„Ich...rede mit ihm, aber...nicht mehr heute“, murmelte ich ergeben.

Irgendwann vielleicht, wenn ich wirklich die Eier aufbringen konnte, mich den Fragen zu stellen, die dann vermutlich aufkommen würden. Oder die Schelte, die mich erwartete – oder was auch immer.

Warum hatte ich überhaupt solche Angst?

Eine Frage, die ich mir gefühlt schon das ganze Leben immer mal wieder stellte – und doch keine Antwort darauf parat hatte.
 

„Ah...ich hab da eine Frage...wegen unserer dreckigen Wäsche. Müssen wir...das selbst waschen?“ Warum mir diese Frage jetzt so vollkommen ohne jeglichen Zusammenhang einfach über die Lippen kam, wusste ich nicht zu sagen – ähnlich wie bei der Aktion mit dem spontanen Vortrag heute Vormittag.

Dass mir das weitere irritierte Blicke einbrachte, war mittlerweile gefühlt schon der Standard.

„Stand das nicht auch irgendwo in deinem schlauen Notizbuch?“, kam die prompte Gegenfrage und ich schüttelte den Kopf. Ausgerechnet das hatte – soweit ich wusste – nirgendwo Erwähnung gefunden.
 

„Na gut...ich sag es dir nur noch einmal. Die Sachen werden einmal pro Woche abgeholt und uns dann ein paar Tage später wieder gebracht – aber nur, wenn der Sack in deinem Schrank vor der Tür steht. Ich glaube, morgen war es auch wieder soweit.“ Man konnte sich das auch einbilden, aber Ana klang dezent angesäuert – gefühlt eine 180 Grad-Wende, wenn man ihre Stimmung von vorher bedachte. Wie alt sie wohl war? Sicher nicht in meinem Alter...oder? Es erinnerte mich irgendwie an jemanden in seiner Teenagerzeit. Ging mich das überhaupt etwas an?

Aber gut, ich war auch mit der sozialen Kompetenz eines Goldfischs ausgestattet – von daher sollte ich da eigentlich ganz still sein und keine Vermutungen anstellen.

„Du...Du hast wirklich was gut bei mir. Danke, Ana“, meinte ich lediglich und versuchte es erneut mit einem Lächeln.

„Schon gut“, kam die Antwort kurz darauf. „Merk es dir einfach für die Zukunft, ich kann auch nicht immer da sein.“

Wie sehr das stimmte oder nicht, wusste ich gerade noch nicht, aber spätestens morgen Vormittag, wenn der Captain mir vermutlich die Leviten lesen würde, wäre Gesellschaft wie Ana oder meinetwegen auch Kristine zur Unterstützung wirklich besser.

„Hast ja recht.“

Wir unterhielten uns im Anschluss noch ein wenig über Belanglosigkeiten wie unseren Nachmittag beim Wachdienst. Ana hatte in der kaiserlichen Werft vorstellig werden müssen, was mich zugegebenermaßen schon ein wenig neidisch machte. Da konnte ich mit meinem Wachdienst beim Draklor-Laboratorium wirklich nicht viel entgegensetzen – wenn man mal von dem kleinen Ausrutscher absah, den ich mir mit dem Ansprechen von Dr. Cid erlaubt hatte.
 

Ganz ehrlich, solchen Gespräche hatte ich abgesehen vom täglichen Büroklatsch lange nicht wirklich gehabt, aber nein, das würde jetzt zu weit führen. Der Abend war eine gute Ablenkung vom – in meinen Augen – eher negativ durchsetzten Tag und endete schließlich damit, dass wir uns brav die Zähne putzten und bettfertig machten. Für die Gemeinschaftszimmer schien es offenbar so eine Art Gemeinschaftsbad zu geben...oder wie immer man das nennen wollte.

Ich stellte das einfach nicht infrage, sondern nahm es als gegeben hin, dass es hier einfach so war – sonst würde ich am Ende wirklich noch durchdrehen.
 

So endete mein Tag dann auch, wo er begonnen hatte – und ich hoffte mit dem letzten wachen Gedanken, dass das alles wirklich nur ein Traum war.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Aufgaben:
1. Nach dem ersten, sehr verwirrenden Tag bist du hundemüde und mit blauen Flecken übersät ins Bett gefallen.

2. Am nächsten Morgen werdet ihr viel zu früh aus den Betten geholt, leider hast du dadurch keine Möglichkeit, „deinen“ Bereich der Kaserne zu erkunden. Das Frühstück findet gemeinsam in einer großen Kantine statt und ist relativ einfach gehalten. Delwyn heftet sich schon beim Frühstück an deine Fersen. Ihr scheint euch gut zu kennen, er erzählt dir das ein oder andere über euer Kadettendasein und über sich selber.

3. Danach geht’s erst einmal zum täglichen Training. Es gesellt sich noch eine dritte, dir unbekannte Person, zu dir und Delwyn und ihr trainiert gemeinsam in einem 5XL Fitnessstudio. Danach folgt eine Theoriestunde „Kriegsstrategien für Anfänger“ bei Captain Ainsworth, die bis zur Mittagspause geht. Pass auf, dass du im Unterricht nicht einschläfst.

4. Bei der Mittagspause läufst du dummerweise Gabranth über den Weg. Er ist zum Glück nicht mehr ganz so schlecht gelaunt, wie am Vortag. Trotzdem erinnern dich deine blauen Flecken daran, dass du ihn nicht zu sehr reizen solltest. Ihr unterhaltet euch kurz, ehe es weiter im Programm geht.

5. Etwas unerwartet erscheint die nächste Aufgabe im Programm: Die Kadetten sollen, in Kombination mit einem erfahrenen Soldaten, Wache stehen. Dabei hast du drei verschiedene Möglichkeiten und musst auf dein Glück vertrauen. Nimm einen sechsseitigen Würfel zur Hand und würfle, wohin es für dich geht:

1, 2 Draklor-Laboratorium; Dr. Cid ist schon ein wichtiger Wissenschaftler im Laboratorium, aber noch nicht der Chef des Ganzen. Venat wird er erst in ein paar Jahren in Giruvegan aufstöbern.
3, 4 Irgendwo in der Stadt; klingt zunächst uninteressant, aber dadurch bietet sich dir die Möglichkeit, Archadis etwas näher in Augenschein zu nehmen.
5, 6 In der Werft der Kaiserlichen Armee; dort kannst du viel über die kaiserlichen Luftschiffe lernen. Vielleicht erfährst du dort mehr über die YPA-GB47?

-> Ich habe eine 2 gewürfelt, damit ging es ins Draklor-Laboratorium

6. In jedem Fall wird sich das Wachestehen den ganzen Nachmittag hinziehen, weshalb ihr am Abend frei habt. Du bist entsprechend abgekämpft, aber endlich bietet sich dir die Gelegenheit, entweder die Kaserne zu entdecken oder etwas anderes zu tun. Denke aber dran, dass es auch für Kadetten entsprechende Verhaltensregeln gibt. Und vergiss das Abendessen nicht. Komplett anzeigen

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