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Blue Wolve

von

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Heartbeats and suction cups


 

1
 

Als der Morgen schließlich mit heftiger Unerbittlichkeit anbricht und das penetrante Schrillen des Weckers jegliche Hoffnung, doch noch ein Augen zuzubekommen, haltlos ersterben lässt, gibt Logan ein mehr als verstimmtes Knurren von sich. Sekunden später jagen seine scharfen Adamantiumkrallen durch die schutzlosen Eingeweide des kleinen Zeitmessers auf seinem Nachttisch und beenden sein klägliches Dasein damit abrupt. Das letzte, nahezu verzweifelte Läuten verzerrt sich dabei zu einem fast schon menschlich anmutenden Todesschrei.
 

Für gewöhnlich stört es den Jäger ja überhaupt nicht, eine schlaflose Nacht hinter sich zu bringen, doch sein Kopf konnte diesmal einfach nicht wie gewöhnlich abschalten und in diese tröstliche Leere eintauchen, die ihn trotz Schlafmangel entspannen lässt. Die scheinbar endlosen Stunden bis zum Weckruf dachte er praktisch ununterbrochen an Kurt, und das hat ihn dermaßen aufgewühlt, dass er sich nun so fühlt, als hätte er mehrere Tage lang durchgesoffen und sein Heilfaktor hätte sich in dieser Zeit auch noch einen wohlverdienten Urlaub genommen, um den Kanadier für all den rücksichtslosen Missbrauch seiner unsterblichen Gesundheit zu bestrafen. Das kann nicht gut sein, ganz und gar nicht, und daher sollte er sich dringend etwas einfallen lassen, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen, ehe er wirklich noch etwas Unüberlegtes anstellt, das nicht nur Charles gegen ihn aufbringen würde...
 

Mit knirschend zusammengebissenen Zähnen erhebt er sich schließlich aus seinem völlig zerwühlten Bett und streckt sich, was gefühlt jeden einzelnen Knochen in seinem Leib unschön zum Knacken bringt. Gähnend reibt er sich über das zerknitterte Gesicht – wobei er sich tatsächlich einmal so alt fühlt, wie er es eigentlich ja auch schon ist – und betrachtet einen Moment seine Klamotten, die er gestern Nacht wie so oft einfach achtlos zu Boden hat fallen lassen. Anschließend zuckt er gleichgültig mit den Schultern und verlässt sein Zimmer nur mit Boxershorts bekleidet.
 

Auf dem Flur kann er die morgendlichen Geräusche der anderen Mutanten gedämpft durch deren Zimmertüren hören. Langsam kommt Leben in das große Haus und ein neuer Tag für die X-Men beginnt. Mit einem weiteren Gähnen ignoriert er das Ganze gekonnt und schlurft zu Nightcrawlers Tür hinüber. Schlaksig pocht er an das Holz, bekommt jedoch keine Antwort. Vermutlich schläft der Bengel noch, weil er keinen dieser nervtötenden Wecker hat, der ihn aus seinem wohlverdienten Schlaf reißt – zumindest noch nicht. Doch das wird sich heute definitiv ändern. Ein leicht fieses Grinsen huscht über Wolverines Gesicht. Unweigerlich stellt er sich vor, wie der Elf gleich einer Katze vor Schreck an die Decke springt, wenn der verdammte Wecker das erste Mal zu schrillen beginnt. Das würde er zu gern miterleben! Schnell verzieht sich das Grinsen allerdings wieder, wenn er daran denkt, dass dem wirklich so sein könnte, und unweigerlich breitet sich wieder einmal ungewollt Mitleid in dem Jäger aus. Für Kurt sind solche Dinge einfach nicht normal und das bekümmert Logan auf eine fast schon unbekannte Art und Weise.
 

Der Schwarzhaarige stößt ein schweres Seufzen aus und öffnet dann einfach unaufgefordert die Tür. Schnell stellt er jedoch fest, dass der Elf schon auf ist. Wie ein kleines Kind kniet er allerdings vor seinem Bett und scheint schon wieder zu beten. Leise kann Logan ihn in dieser fremden Sprache reden hören. Und obwohl Logan nach dieser Nacht absolut keinen Nerv mehr dafür hat, bleibt er dennoch mit verschränkten Armen unter der Türzarge stehen und lässt dem Bengel seinen Willen.
 

„Oh Gott, du hast in dieser Nacht so väterlich über mich gewacht. Ich lob und preise dich dafür und dank für alles Gute dir. Bewahre mich auch diesen Tag vor Sünde, Tod und jeder Plag. Und was ich denke, rede und tu, das segne, bester Vater du. Bewahre auch, ich bitte dich, du heiliger Engel Gottes mich. Maria, bitt an Gottes Thron für mich bei Jesus deinem Sohn, der hochgelobt sei allezeit von nun an bis in Ewigkeit. Amen.“
 

Verträumt blickt der blaue Mutant nach den letzten Worten zur Decke empor, als würde er dort seinen Erlöser tatsächlich zu sehen hoffen. Ein sanftes Lächeln huscht über seine Züge, ehe er leicht erschrocken feststellt, dass er nicht mehr allein ist. „Oh, guten Morgen, mein Freund.“, gibt Nightcrawler etwas atemlos von sich. Wolverine kommentiert das Ganze nur mit fragend erhobener Augenbraue. Zuerst scheint Kurt seinen Gesichtsausdruck nicht deuten zu können, dann geht ihm auf, was wohl falsch war. Einen Augenblick grübelt er nach, sucht scheinbar nach den richtigen Worten, und entscheidet sich dann doch um. „Hallo, Logan.“, meint er schließlich etwas beschämt.
 

Die Züge des anderen glätten sich wieder und er löst seine abwertende Haltung auf. „Hallo, du Elf. Gut geschlafen?“ „Ich denke schon.“ „Prima, denn jetzt beginnt dein erster Tag hier und der wird sicher kein Zuckerschlecken.“ Nun ist es an Kurt unverständlich zu gucken. „Was bedeutet dieses Zuckerlecken?“, fragt er ratlos. „Zuckerschlecken. Das bedeutet, dass etwas nicht einfach wird. Nicht angenehm. Auf dich wartet heute eine Menge anstrengender Arbeit, will ich damit sagen.“, versucht es ihm der Ältere irgendwie begreiflich zu machen. Der Angesprochene versteht zum Glück, was er sagen will und nickt mit einer faszinierenden Mischung aus Ernsthaftigkeit und kindlicher Neugierde, abgerundet von einem kleinen Hauch Furcht, die ihn wohl noch eine ganze Weile begleiten wird, wie der Krieger fürchtet. Doch wenn er seine Aufgabe als Kurts Lehrer auch nur halbwegs gut macht, wird dieses unschöne Gefühl immer weiter in den Hintergrund gedrängt werden und irgendwann – so hofft er zumindest – ganz verschwinden. Gleichermaßen hofft Wolverine, dass es ihm mit diesem seltsamen Funken genauso gehen wird. Oder aber, dass er einen Weg findet, ihm freien Lauf zu lassen, ohne den Bengel unnötig zu verschrecken oder sich weiteren Zorn von Charles aufzuhalsen.
 

„Gut, fangen wir mit etwas Einfachem an. Geh erstmal duschen. Ich werde mich in der Zwischenzeit ebenfalls fertigmachen, und dann hole ich dich zum Frühstück ab.“ „In Ordnung.“ „Schön, dann komme ich in so etwa zwanzig Minuten wieder.“, meint Logan noch und verlässt dann das Zimmer, um selbst unter die Dusche zu steigen – eiskalt, was ihm hoffentlich helfen wird, diese lästige Müdigkeit zu vertreiben und einen klareren Kopf zu bekommen...
 


 

2
 

Wie von dem Kanadier erhofft, hilft die kalte Dusche doch ziemlich gut. Nun fühlt er sich erfrischt, wach und im Geiste um einiges geordneter. Allerdings ändert sich das schon wieder schlagartig, als er erneut die Tür zu Kurts Zimmer öffnet und den blauen Mutanten vor sich stehen sieht. Und was er dort sieht, verschlägt ihm für eine Sekunde glatt die Sprache, und er hat es wohl auch nur seiner hohen Lebenserfahrung zu verdanken, dass er nicht gleich völlig die Beherrschung verliert – auch wenn es zugegebenermaßen sehr schwer ist, den pochenden Gedanken in seinem überforderten Schädel nicht augenblicklich nachzugeben.
 

Nightcrawler scheint sich seiner Situation jedoch gar nicht bewusst zu sein. So steht er völlig ungeniert mitten im Raum und das auch noch im Adamskostüm! In seinem seidig-weichen, kurzen Fell glitzern noch perlend hauchfeine Wassertröpfchen, ebenso in seinen dunklen Haaren. In Verbindung mit der Deckenbeleuchtung funkeln sie wie winzige Diamanten und verleihen dem Jungen auf nahezu mystische Weise das Aussehen eines magischen Wesens aus einer anderen Welt. Dadurch wird Logan einmal mehr bewusst, warum er ihm von Anfang an den Spitznamen Elf gegeben hat, weil er gerade auch ganz genauso wirkt. Zudem lächelt er so voller Unschuld und nahezu kindlicher Freude, dass Wolverine förmlich das Herz in der Brust zerspringen könnte. Der Ältere schluckt einmal überaus hart und fängt sich dann wieder halbwegs.
 

Ein freches Grinsen stiehlt sich auf sein Gesicht. „Also ich hätte ja überhaupt nichts dagegen, wenn du mir jeden Morgen so entgegenkommen würdest. Könnte mich echt daran gewöhnen, Junge. Aber du solltest dir vielleicht doch immer ein Handtuch umbinden, wenn du aus der Dusche kommst. Kann ja schließlich sein, dass nicht ich es bin, der reinkommt. Stell dir nur mal vor, es ist eines der Mädels, und du präsentierst dich ihr so nackt.“, gluckst Wolverine hin- und hergerissen zwischen sichtbarer Schadenfreude, versucht tadelndem Ausdruck und zweifelhafter Erregung.
 

Im ersten Moment betrachtet Kurt ihn völlig verständnislos. Dabei ist sich Logan nicht ganz sicher, ob es womöglich daran liegt, dass er nicht alle Worte verstanden hat, die ihm der Ältere zuteilwerden ließ, oder ob er es einfach nicht anders kennt und daher nicht ganz begreift, was sein Gegenüber von ihm will. Der Moment dauert erstaunlich lange und Wolverine ist schon darauf und dran es anders zu formulieren. Doch dann weiten sich die seelenlosen Augen des jungen Mutanten plötzlich, Erkenntnis huscht über sein jugendliches Gesicht hinweg, und seine pelzigen Wangen tauchen sich in ein dunkles Purpur. „Oh...“, macht er schließlich sichtlich von Peinlichkeit ergriffen und tastet etwas hilflos nach der Bettdecke, um seine Blöße doch noch zu verbergen.
 

„Entschuldigung...“, murmelt Kurt dann noch und schlägt unsicher die Augen nieder. Er schämt sich innerlich doch schon ziemlich für seine ganzen Fehltritte. Aber das hier ist alles so fremd und will gar nicht in seinen überforderten Kopf hinein. Lässig winkt der Jäger ab. „Lass mal stecken. Bei mir brauchst du dich nicht zu entschuldigen oder dich hinter deiner Decke verstecken. Ich bin schließlich auch ein Mann und weiß, wie das aussieht. Zudem standen schon mehr nackte Burschen vor mir, als du dir wahrscheinlich vorstellen kannst.“, grinst Wolverine weiter. Allerdings verkneift er sich auch den letzten Teil seines Gedankens, da er den Bengel nicht gleich noch mehr verunsichern will. ‚Und du glaubst gar nicht, wie viele Burschen schon nackt unter mir lagen!‘ Nein, das wäre nun wirklich im Moment etwas zu viel des Guten – doch später einmal hoffentlich wieder einen Gedanken wert...
 

Missmutig lässt Nightcrawler die Schultern hängen. „Nun mach mal nicht so ein Gesicht, Elf. Das wird schon! Du brauchst nur etwas Zeit, um dich an alles zu gewöhnen, also sei nicht so streng mit dir selbst. Ich bin schließlich hier, um dir alles Wichtige beizubringen und Fehler machen gehört nun mal dazu. Das kriegen wir schon hin. Und jetzt zieh dich erst mal an, damit wir dann frühstücken gehen können. Kriegst du das hin?“, meint Logan und deutet dabei auf den gelbblauen Kampfanzug am Fußende. „Ich – denke schon.“, erwidert der Blauhäutige seufzend und greift nach der Boxershorts.
 

Der Rest funktioniert besser, als erwartet. Als Kurt jedoch beim langen Reißverschluss des Anzugs angelangt ist, verzweifelt er sichtlich, da sich das dumme Ding auf halbem Weg nach oben irgendwie immer wieder verklemmt. „Hey, ganz ruhig...“, weist Logan ihn an, woraufhin der Junge die nervösen Hände resignierend sinken lässt und der Ältere übernimmt. Aufmerksam beobachtet Nightcrawler, wie Wolverine scheinbar völlig mühelos den Reißverschluss wieder in die richtige Bahn lenkt und schließlich langsam bis zum Hals nach oben zieht. Dabei ziert ein väterlich-führsorglicher Ausdruck sein erfahrenes Gesicht. Für eine Sekunde fällt dem Jäger dabei seine ermordete Tochter wieder ein, und wie oft er genau das Gleiche bei ihr gemacht hat, bis sie den Bogen schließlich raushatte. Vehement vertreibt er das schmerzliche Gefühl, das sich dabei in seiner Brust festzusetzen versucht. An dessen Stelle schleicht sich dafür aber wieder dieser unüberwindbare Funken. Fast schon hypnotisiert starrt er daher auf die noch blanke Brust des Jungen vor sich, hält für einen Sekundenbruchteil in seinem Tun inne, ehe er den Reißverschluss doch noch an sein Ziel bringt. ‚Ich würde das verdammte Ding lieber wieder öffnen. Nackt hat er mir weit besser gefallen, als in diesem dämlichen Strampelanzug...‘, geht es ihm unweigerlich durch den Kopf.
 

Als sich ihre Blicke schließlich treffen, räuspert sich Logan etwas verkrampft und tritt einen Schritt zurück. „Sieht doch gut aus.“, meint er locker heraus und hofft, dass es halbwegs ehrlich klingt. Unverhohlen betrachtet er den Elfen dann etwas ausgiebiger und stellt fest, dass es wirklich nur halb so schlimm aussieht, wie er befürchtet hat. Wolverine selbst hasst diese dümmlichen Kampfanzüge schon von Anfang an, auch wenn sie manchmal ganz praktisch sind, sind sie in seinen Augen nun einmal auch schrecklich albern. Kurt sieht damit ebenfalls dämlich aus, was aber hauptsächlich den Farben zugetan werden kann, die sich irgendwie mit seiner Erscheinung beißen. Doch es ist ja nur ein vorläufiger Anzug und für den richtigen wird sich Logan schon etwas einfallen lassen, indem Nightcrawlers Vorzüge besser zur Geltung kommen – immer vorausgesetzt der Bengel hat nicht schon eine eigene Idee dafür. Vielleicht etwas in rot oder schwarz? Mal sehen.
 

Der einzige Vorteil, den der Anzug jetzt hat, ist, dass er schon mal die richtige Größe zu haben scheint und allen anderen mit den Farben Gelb und Blau deutlich sichtbar zeigt, dass er hier der Neue ist. Wie er es soll, sitzt er hauteng und ermöglicht einem so ein Höchstmaß an Bewegungsfreiheit. Unweigerlich wandert der Blick des Älteren hinab und klebt dann regelrecht dort fest. „Wirklich?“, fragt Kurt etwas unsicher und bewegt sich leicht unbehaglich in dem engen, aber dennoch überaus flexiblen Anzug. Dabei dreht er Wolverine auch den Rücken zu, sodass dieser einen perfekten Blick auf den Hintern des Jungen hat. Fast schon hörbar holt der Jäger Luft und versucht seinen Körper dabei nachdrücklich zu überzeugen, dass er nun ganz sicher kein Eigenleben entwickeln darf. Vehement versucht er sich von diesem überaus erregenden Anblick loszureißen.
 

Es gelingt ihm allerdings erst, als ihm ein entscheidender Fehler an dem Anzug auffällt: Es ist nämlich kein Platz für den Schweif des Elfen. „Bleib mal kurz stehen.“, fordert Logan ihn daher auf, als dieser ihm wieder den Rücken zudreht. Kurt verharrt und schreckt dann leicht zusammen, als der Ältere mit spitzen Fingern den Stoff über seinem Steiß, unter dem der zusammengerollte Schweif steckt, etwas anhebt. „Nicht bewegen!“, knurrt der Schwarzhaarige schon fast, und dann vernimmt Nightcrawler dieses leise, aber überaus gefährlich wirkende Geräusch, das immer dann zu hören ist, wenn Wolverine seine Krallen ausfährt. Snikt! Wie erstarrt rührt sich der Jüngere daraufhin nicht mehr. Kurz darauf hört er ganz leise ein Reißen, als sich Logans Kralle vorsichtig in den Stoff frisst, um ein präzises Loch zu erschaffen, das gerade groß genug ist, dass der Schweif des Jungen hindurchpasst. Anschließend fingert er etwas in dem Loch herum, findet schließlich die dreieckige Spitze, woraufhin Nightcrawler leicht zusammenzuckt, und zieht sie vorsichtig durch das Loch. Wie eine aufgebrachte Schlange windet sich der Rest des Schweifs hinterher ins Freie und Kurt entspannt sich wieder sichtlich.
 

„Jetzt ist es perfekt...“, raunt Wolverine ihm schwer ins Ohr, woraufhin ein Schauer den Rücken des Elfen hinabgleitet – allerdings ist es kein unangenehmes Gefühl. Er schluckt hart und ein seltsames Empfinden schleicht über sein Herz hinweg. Er weiß nicht, was es genau zu bedeuten hat, doch etwas tief in ihm würde Logans Stimme gern noch einmal so nah an sich spüren wollen. Es ist, als könnte der Jäger seine Gedanken lesen. Zumindest hat sich etwas am Geruch des Blauhäutigen verändert – nur ganz leicht, selbst für den erfahrenen Jäger kaum wahrnehmbar, aber dennoch deutlich. Etwas, das eine gewisse Bereitschaft signalisieren könnte, auch wenn sich der Bengel dessen ganz sicher nicht bewusst ist, und der Veteran deswegen nichts überstürzen sollte. Dennoch nimmt es ihn für einen Moment völlig ein, sodass er den kurzen Abstand zu Kurt überbrückt und sich ganz leicht von hinten gegen ihn schmiegt.
 

Dabei wird ihm deutlich der Größenunterschied zwischen ihnen bewusst, was Logan ein wenig frustriert. Es ist wirklich lächerlich, als Mann so klein zu sein, wie der Kanadier. Erst recht, wenn diese Tatsache anderen immer wieder einen Anstoß für Sticheleien gibt. Besonders, weil sie wissen, dass sich der Jäger dann immer so herrlich darüber aufregt. Fast wie auf ein Stichwort – oder als hätte Kurt tatsächlich den gleichen Gedanken wie er – sinkt Nightcrawler etwas weiter in den Knien ein, sodass Logan schließlich bequem seinen Kopf auf der Schulter seines Vordermannes ablegen kann. Warmer Atem streift dabei wieder das Ohr des Jüngeren und der Duft, den Wolverine an ihm wahrgenommen hat, scheint kaum merklich stärker zu werden, was ihn regelrecht um den Verstand zu bringen droht. Nahezu fordernd legen sich daher seine Hände auf die schmalen Hüften des Jungen. Bevor sich seine wachsende Erregung allerdings verräterisch gegen die Kehrseite des Elfen zu drücken beginnt, durchbringt ein Geräusch erstaunlich nachdrücklich die Szene: Kurts Magenknurren.
 

In diesem Moment wird sich Wolverine dem Ganzen dann doch wieder bewusst, weshalb er sich schließlich von ihm entfernt, sich angestrengt räuspert, innerlich einen Vollidioten schimpft und seinen ruhelosen Körper ein ums andere Mal verflucht. „Wir – wir sollten jetzt zum Frühstück gehen, ehe du mir noch verhungerst.“, scherzt Logan noch etwas verkrampft und wendet sich der Tür zu. „Okay...“, meint Kurt nur leise und folgt ihm schweigend. Für eine Sekunde liegt dabei ein Ausdruck in seinen leeren Augen, der Bedauern gleichkommen könnte...
 


 

3
 

Den Weg hinab zur geräumigen Küche legen die beiden schweigend zurück. Logan kämpft innerlich noch mit dem Gedanken an das, was eben hätte passieren können, hätte Kurts Hunger ihn nicht zurückgehalten. Der Jäger schien seinem Ziel – seinem tiefsitzenden Wunsch – in diesem Moment auf so erschreckend einfache Weise nähergekommen zu sein, dass es ihn selbst– jetzt, wo er sich dessen wirklich bewusstwird – regelrecht erschüttert. Es kam ihm so vor, als wollte sich Kurt ihm richtiggehend unterwerfen, was ihn sehr nachdenklich macht. Hat der Junge womöglich gewusst, was auf ihn zukommen könnte und war damit sogar einverstanden? Oder war es lediglich eine Schreckreaktion, die ihn dazu veranlasst hat, sich zu fügen, damit es möglichst schmerzlos für ihn endet? Nein, so kam es Logan nicht vor. Hätte Kurt Angst gehabt, hätte er es gerochen und augenblicklich damit aufgehört – so viel Selbstbeherrschung hat er dann doch noch. Also war Nightcrawler wirklich damit einverstanden? Wolverine würde diese Frage zu gern mit Ja beantworten, doch er traut seinem Gefühl in diesem Fall nicht so ganz. Dafür ist das alles einfach noch viel zu neu für den Elfen, sie sich auch noch zu fremd, um sich hundertprozentig festlegen zu können. Auch wenn der Kanadier absolut nichts gegen einen Quickie oder One-Night-Stand einzuwenden hätte.
 

Doch das Gefühl, das er scheinbar immer in der Nähe des Jüngeren verspürt, verbietet ihm diesen schnellen und unpersönlichen Gedanken geradezu. Das Schicksal scheint etwas anderes mit ihnen beiden vorzuhaben, womöglich etwas Längerfristigeres, und das möchte Logan nur zu gern glauben. Auch wenn er nicht an so etwas Lästiges wie Liebe denken will. Das schmerzt nur und führt letztendlich doch zu nichts. Gegen eine rein körperliche Beziehung kann und will er allerdings nichts sagen, würde sie sogar sehr begrüßen. Fragt sich nur, was der Bengel dazu sagen würde?
 

Schweigend stößt er ein Seufzen aus und versucht das alles ein ums andere Mal zu verdrängen. Ist ja nicht so, als hätte er so ein nagendes Verlangen zum ersten Mal, doch irgendwie lässt es sich bei dem Blauhäutigen schwerer unterdrücken als sonst, und das bereitet ihm Sorge. Immerhin will er den Bengel nicht verschrecken und ihm schon gar nicht wehtun – auf welche Weise auch immer. Er musste schon genug leiden, da braucht er das nun wirklich nicht auch noch. ‚Du bist sein verfluchter Lehrer, verdammt noch mal! Also benimm dich endlich mal dementsprechend!‘, harscht er sich innerlich selbst an und für den Moment scheint es auch zu funktionieren. Fragt sich nur, wie lange es anhält...
 


 

4
 

Schließlich erreichen sie die Küche, in der sich schon alle anderen Bewohner der Mansion versammelt haben. An drei Tischen sitzen sie in kleinen Gruppen beisammen und unterhalten sich leise, während der herbe Duft von heißem Kaffee wie eine wohlige Decke in der Luft hängt. Auf einer Theke neben dem Herd steht allerhand verschiedenes Essen bereit, sodass sich jeder nach seinem Geschmack bedienen kann. An einem vierten Tisch sitzt Charles ganz allein und wartet scheinbar schon auf die beiden. Alle anderen sind mit sich selbst beschäftigt und reagieren gar nicht sonderlich darauf, als Logan Kurt in die Küche führt. Allerdings weiß der Jäger nur zu gut, dass die versammelten Mutanten vor Neugierde regelrecht zu platzen drohen, sie Xavier aber ausdrücklich angewiesen hat, sich zurückzuhalten, um den scheuen Neuankömmling nicht zu verschrecken. Im Laufe des Tages, wenn Kurt zwischen verschiedenen Aufgaben etwas Luft zum Atmen hat, wird er sicher noch genug Gelegenheit haben, jeden Einzelnen von ihnen kennenzulernen. Doch bis es soweit ist, müssen sie sich wohl oder über zusammenreißen.
 

Diese Tatsache wird Wolverine auch dadurch bewusst, dass Scott nicht wie üblich am Tisch mit dem Professor sitzt, sondern dazu verdonnert wurde, den Platz bei seinen Teamkollegen einzunehmen. Soll Logan nur recht sein, er kann diesen selbstgefälligen Möchtegern von einem Anführer sowieso nicht leiden und begreift auch beim besten Willen nicht, warum ausgerechnet er der Liebling von Charles ist, und auch noch Leader der X-Men sein darf. Nicht selten geraten Wolverine und Cyclops wegen Scotts Führungstechniken heftig in Streit. Logan ist nun einmal nicht der Typ, der sich einem anderen unterordnet, und schon gar nicht einem mit so einem Ego. Aber das ist eine andere Geschichte und der Veteran nur froh, den Tisch jetzt nicht mit ihm teilen zu müssen.
 

Zielstrebig nähert er sich daher Xavier und brummt ein Guten Morgen in sich hinein. Herzlich lächelnd erwidert der Mann im Rollstuhl das Ganze, mustert ihn einen Moment über seine dampfende Tasse Kaffee hinweg, denkt sich dabei wahrscheinlich seinen Teil über Logans sichtlich schlaflose Nacht und blickt dann zu Tür hinüber.
 

Unsicher verweilt Nightcrawler unter der Zarge und blickt sich mit großen, scheuen Augen in dem großen Raum um, in dem so viele fremde Gesichter vorherrschen. Er wirkt schrecklich verloren und hilflos, und der Schwarzhaarige ist schon drauf und dran rüberzugehen und ihn – wenn nötig – an die Hand zu nehmen. Charles bedenkt ihn aber mit der stummen Bitte, dem Jungen noch einen Moment Zeit zu gönnen, weiß er doch nur zu gut um die Ungeduld des eigensinnigen Kriegers. Abwartend verschränkt Logan die Arme vor der Brust und verharrt neben dem Tisch. Auffordernd mustern seine dunklen Augen den Elfen. Xavier hat schon recht, immerhin muss Nightcrawler das letztendlich alles allein hinbekommen, um seine Scheu zu verlieren.
 

Abgesehen von Beast müssen Kurt alle Anwesenden wie ganz normale Menschen vorkommen, und dass verunsichert ihn sicherlich am meisten. Da kann man ihm noch so oft sagen, dass hier alle durchweg Mutanten sind. Fast schon instinktiv suchen seine seelenlosen Augen nun Logans Blick und etwas darin muss ihn dann doch überzeugen, sich in Bewegung zu setzen. Ob es sich dabei um schlichte Strenge oder etwas anders handelt, ist allerdings nicht ersichtlich. Es reicht aber aus, dass er dann auf alle Viere hinabsinkt und praktisch ungesehen wie eine Katze hastig und lautlos an den anderen vorbeihuscht. Dabei bemerkt er die etwas irritierten Blicke des Teams jedoch nicht. Sie äußern sich dazu aber auch nicht und gehen schnell wieder ihren eigenen Gedanken nach, um ihn nicht unnötig zu verunsichern.
 

Am Tisch abgekommen, sieht Kurt etwas nervös über die Schulter zu den anderen hinüber. Als sich Logan schließlich räuspert, wendet sich Nightcrawler ihm aber zu. „Steh auf und setz dich auf den Stuhl. Du musst nicht den ganzen Tag wie ein getretener Hund am Boden entlangkriechen, völlig egal, ob man dich Nightcrawler schimpft oder nicht.“, meint der Ältere und deutet nachdrücklich auf besagten Stuhl. Charles beobachtet das Ganze schweigend, wobei er sich allerdings noch nicht ganz sicher ist, ob das für den blauen Mutanten alles so einfach ist, wie Wolverine es sich vorstellt. Bei seinem ungewöhnlichen Körperbau ist es für den Elfen vielleicht auch einfacher, sich auf allen Vieren fortzubewegen, und hat daher nicht zwingend etwas mit seiner möglichen Furcht und seiner erniedrigenden Vergangenheit hinter Gitterstäben zu tun. Doch das wird sich im Laufe der Zeit sicher zeigen.
 

Langsam erhebt sich Kurt nun aber unter dem fast schon forschen Blick des Kriegers und setzt sich dann auf den Stuhl. Oder besser gesagt, er kauert sich darauf, wobei er die langen Beine anzieht und die Füße auf der Sitzfläche platziert. Sein Schweif schlingt sich elegant um seine Knöchel, und so wirkt er wie eine übergroße Katze, die an einem Tisch sitzt. Logan gibt ein Seufzen von sich. Leicht angefressen tauscht er einen Blick mit Xavier aus, doch der kahlköpfige Mann betrachtet das Schauspiel vor sich nur mit sichtlicher Gelassenheit, ehrlicher Neugierde und einem überaus sanften und verständnisvollen Lächeln. Ein kaum hörbares Brummen ertönt von dem Schwarzhaarigen und er sieht wieder zu dem Bengel vor sich. Ohne es wirklich zu wollen, kommen in Logan wieder so etwas wie väterliche Gefühle hoch, die in so starkem Kontrast zu dem stehen, was er glaubt, wirklich Nightcrawler gegenüber zu empfinden, dass es ihn schon fast selbst abstößt. Allerdings kann er nicht abstreiten, dass der Elf nun einmal etwas von einem großen Kind hat, so unbeholfen wie er sich noch gibt, und dass erinnert den Jäger unweigerlich an seine eigenen Kinder, die so grausam aus seinem Leben gerissen wurden.
 

Somit glätten sich seine Züge von ihm selbst unbemerkt und sein Tonfall wird deutlich sanfter. Eine Tatsache, die der Professor bisher nur selten an ihm erlebt hat, sodass er immer wieder von der nahezu zwiegespaltenen Persönlichkeit in ihm überrascht ist. „Gut. Aber du musst die Füße auf den Boden stellen. So sitzt man nicht in Anwesenheit anderer auf einem Stuhl, Junge.“, meint Logan dann überraschend sanft und legt geduldig die kräftigen Hände auf die schmalen Schultern des Blauhäutigen. Mit großen Augen wendet Kurt ihm den Blick zu, scheint etwas in seinem Gesicht zu suchen, und sieht dann wieder vor sich auf die Tischplatte. Einen Moment später rollt sich sein Schweif wie von Geisterhand zurück, schlingt sich dann um eines der Stuhlbeine, als wolle er verhindern, dass sein Besitzer möglicherweise hinunterfallen könnte, und er setzt dann langsam die bloßen Füße auf den Boden. „Geht doch. Okay, bleib sitzen, ich hole das Frühstück.“, kommt es anschließend vom Ältesten, der sich kurz darauf dem Tresen zuwendet.
 

Ungerührt verharrt Kurt wie befohlen, hebt aber den Blick, um den Professor anzusehen. „Guten Morgen.“, kommt es mit einem verhaltenen Lächeln von dem Jungen. Charles erwidert das Lächeln sanftmütig. „Dir auch einen guten Morgen, Kurt.“ Xavier hat zwar nicht ganz verstanden, was der Jüngere gesagt hat, doch er verkneift es sich, dahingehend in seinen Gedanken nachzuforschen. Aber der Klang der Worte lässt für ihn keinen anderen Schluss zu, als dass es sich um diesen Gruß gehandelt haben muss.
 

Kurz darauf wandert der Blick des Elfen ein weiteres Mal zu den anderen Mutanten im Raum. Seine seelenlosen Augen scheinen sie genau zu studieren. Plötzlich wendet ihm eine junge Frau mit milchkaffeebrauner Haut und langen, weißen Haaren den Blick zu. Ihre strahlend blauen Augen drücken eine so tiefgreifende Güte aus, wie es Kurt noch nie in den Seelen eines anderen gesehen hat, und etwas, das wie liebevolle Neugierde wirkt. Ihr Lächeln ist nahezu zauberhaft, sodass ein merklicher Schauer seinen Rücken hinabgleitet.
 

Ihr Gesicht ist wach und rege, lebhaft und schön. Es ist keine klassische Schönheit, dazu ist die Kinnlinie nicht klar genug, und der im Profil sichtbare Wangenknochen ist ein wenig zu sanft. Ihre Schönheit liegt in der königlichen Haltung ihres Kopfes, verbunden mit dem unabweisbaren Eindruck, dass sie ebenso gutherzig wie fähig ist. Wenn er ihre vollen Lippen sieht, bleibt ihm fast das Herz stehen, und unter dem katzenhaften Leuchten ihrer blauen Augen werden seine Knie weich. Sein Blutdruck scheint zu hoch zu sein, seine Wangen fühlen sich zu heiß an. Er weiß nicht genau, was diese ganzen Empfindungen bedeuten, doch er weiß, dass sie ihn augenblicklich zu ihrem Sklaven machen, und seltsamerweise hat er nichts dagegen.
 

Sie kichert kaum sichtbar hinter vorgehaltener Hand und winkt ihm dann damenhaft zu. Kurts Wangen färben sich augenblicklich purpurn und er schluckt hart. Das Herz schlägt ihm bis zum Hals, hat er doch noch nie eine so schöne Frau vor Augen gehabt, die bei seinem Anblick nicht schreiend die Flucht ergriffen hat. Mit einem leichten Zittern hebt er ebenfalls grüßend die Hand und versucht sich fast schon vergebens an einem Lächeln. Er merkt gar nicht, wie Logan vor ihm einen vollen Teller und ein gefülltes Glas abstellt. Fast schon verwundert folgt der Krieger dann seinem Blick und erkennt schnell den Grund für seine Ablenkung. Ein vielsagendes Grinsen huscht über seine harten Züge hinweg, dann setzt er sich auf den Stuhl neben ihn und beugt sich dicht an sein Ohr heran. „Mach langsam, Romeo, sonst bleibt dir noch die Luft weg!“, neckt er ihn ein bisschen, woraufhin Kurt mehr als nur ertappt zusammenzuckt und ihn dann erschrocken ansieht.
 

Logan grinst nur wieder. „Süß, die Kleine, nicht wahr?“, fragt er Nightcrawler dann gerade heraus. Dieser schluckt nur abermals hart. „Das ist Ororo. Eine Wahnsinnsfrau, sag ich dir. Allerdings solltest du bei ihr vorsichtig sein. Sie ist eine echte Prinzessin aus seinem fernen Land in Afrika, und so solltest du sie auch stets behandeln. Sie hat Temperament und Feuer, und wenn du es dir mit ihr verscherzt, wird dir auch dein Gott nicht mehr helfen können, denn sie ist fast selbst schon eine Göttin. In ihrer Heimat hat man sie zumindest regerecht so angebetet. Sie hat nämlich die Macht über das Wetter zu herrschen, und wenn du ihr gegen den Strich gehst, jagt sie dir einen Blitz in den Hintern. Glaub mir, ich weiß genau, wovon ich rede, Junge. Niemand, außer ihr, hat die Kerle hier so dermaßen unter Kontrolle, sag ich dir. Sie ist wie eine strenge Mutter, aber sie kann auch ganz anders, wenn man sie richtig anpackt.“, vielsagend zwinkert Wolverine ihm zu und grinst fast schon dreckig in sich hinein. Leicht verwundert legt Kurt den Kopf schief und sieht dann zu Charles hinüber, als suche er Bestätigung für Logans Worte bei ihm. Der Professor bedenkt ihn aber nur weiterhin mit seinem sanften Lächeln und forschender Neugierde in den Augen. Wolverine lässt er allerdings einen schon ziemlich mahnenden Blick zuteilwerden, den der Kanadier allerdings nicht mitbekommt. Der Schwarzhaarige spürt dafür aber, wie der Mann im Rollstuhl versucht, in seine Gedanken einzudringen, um ihn womöglich zu tadeln, doch der Jäger lässt ihn nicht gewähren, macht sich aber gedanklich selbst eine Notiz, sich in der Gegenwart der anderen mit seinen Worten vielleicht doch etwas zurückzuhalten – aber nur vielleicht.
 

„In Ordnung...“, meint der Elf dann leicht verhalten und schielt erneut zu Storms Tisch hinüber. Allerdings ist sie mittlerweile wieder in das Gespräch mit ihrer Sitznachbarin vertieft und schenkt ihm im Moment keine Beachtung mehr. Fast schon enttäuscht besieht sich Kurt daher den Teller vor seiner Nase. Darauf befindet sich ein nahezu unverschämt gewaltiger Berg Rührei. Noch ein Löffel mehr und die Hälfte des Ganze würde wohl haltlos zu Boden fallen. Zudem gibt es ein Glas Orangensaft. Nightcrawler fällt auf, dass der Professor nur eine Tasse Kaffee trinkt, Wolverines Teller sieht hingegen genauso aus wie sein eigener. Der Jäger schiebt sich nun nachdenklich das Essen in den Mund, während er verbissen eine Zeitung studiert, die jetzt zwischen ihnen ausgebreitet ist.
 

Neugierig wirft Nightcrawler ebenfalls einen Blick auf die buntbedruckten Seiten. Er betrachtet aber hauptsächlich die Bilder und die großen Überschriften. Er kommt schlichtweg auch gar nicht dazu, einen ganzen Artikel zu lesen, da blättert der Jäger schon weiter. Doch das stört den Jüngeren überhaupt nicht, ist es doch schon Jahre her, dass er überhaupt eine Zeitung vor sich hatte. Stattdessen greift er auf den überfüllten Teller und stopft sich nebenbei das Rührei in den Mund. Mit erhobener Augenbraue blickt Logan ihn daraufhin an. „Nimm die Gabel zum Essen, Junge.“, fordert er den Blauhäutigen auf und wedelt dabei mit der seinen, als fürchte er, dass Kurt nicht verstehen könnte, was er meint. Erst jetzt entdeckt Nightcrawler dasselbe Gerät neben seinem Teller. Etwas umständlich ergreift der Blauhäutige die Gabel schließlich. Es wirkt alles andere als elegant, und er braucht auch eine Weile, ehe er halbwegs sicher damit umgehen kann. Ist aber vermutlich auch kein Wunder, wo er doch nur zwei Finger und den Daumen zur Verfügung hat, zudem seit seiner frühen Kindheit dergleichen nicht mehr in Händen hatte. Nicht zum ersten Mal wird ihm selbst – und auch Logan und Charles – bewusst, dass er im Zirkus schlichtweg nur wie ein dummes Tier behandelt wurde und ihm somit die einfachsten Dinge fremd sind.
 

Nahezu mitleidig betrachten seine beiden Tischgenossen seine fast schon hilflose Bemühung mit der Gabel umzugehen. Stur blickt Kurt nun auf seinen Teller, um halbwegs die Konzentration zu behalten, obwohl er schon gern weiterhin mit in die Zeitung schauen würde. Nach ein paar Momenten legt sich Logans Hand schwer auf die Schulter des blauen Mutanten, sodass dieser leicht zusammenschreckt und beinahe die Gabel fallenlässt. „Schau nicht so verbissen. Das machst du schon ganz prima! Und es wird besser, glaub mir. Man gewöhnt sich an so ziemlich alles.“, zuversichtlich lächelt ihm der Jäger zu, was Kurt auch ein kleines Schmunzeln entlockt. „Logan hat recht. Du hast hier alle Zeit der Welt, um dich an dein neues Leben in Freiheit zu gewöhnen, Kurt. Also versuch dich zu entspannen und erzwinge nichts, nur weil es beim ersten Mal nicht so richtig funktionieren will.“, meint nun auch Xavier. „In Ordnung. – Es ist nur alles so komisch. Doch ich schaffe das schon irgendwie, ganz sicher!“ Entschlossenheit funkelt in seinen seelenlosen Augen auf und erhellt praktisch sein ganzes Gesicht.
 

Bis zum Ende des Essens herrscht dann größtenteils Schweigen zwischen ihnen. Nach und nach erheben sich die anderen Mutanten um sie herum und ziehen sich zu ihren täglichen Aufgaben zurück. Nightcrawler beachtet sie allerdings nicht mehr wirklich, da er weiterhin mit seiner Gabel beschäftigt ist oder doch das ein oder anderen Mal in die Zeitung linst, wenn Wolverine ihm einen interessanten Artikel oder ein Bild zeigt, oder sich schlichtweg über irgendetwas darin aufzuregen beginnt.
 

Schließlich erheben sich die beiden dann auch, um das Geschirr zur Spüle zu bringen. Der Professor verabschiedet sich von ihnen und fährt zurück in sein Büro. Als Logan und Kurt dann gleichfalls gehen wollen, steht Storm auf einmal vor ihnen. Den beiden war gar nicht aufgefallen, dass sie überhaupt noch hier ist, doch es scheint, als hätte sie absichtlich darauf gewartet, dass die anderen alle verschwinden. „Hallo! Ich bin Ororo. Es freut mich sehr, dass du hier bist und ich hoffe, dass du dich bei uns bald sehr wohlfühlen wirst.“, lächelt sie sanft und reicht Nightcrawler zum Gruß die Hand. Kurt betrachtet die junge Frau vor sich allerdings nur mit großen Augen und offenem Mund. Es scheint, als wäre er bei ihrem Anblick zu Stein erstarrt.
 

Leicht verwundert sieht sie ihn an. Dann knufft Logan den Elfen in die Seite und Kurt fängt sich wieder. Vorsichtig ergreift er ihre Hand, lächelt sie erstaunlich aufreizend an, verbeugt sich dann elegant leicht mit einer Hand hinter dem Rücken und haucht ihr einen warmen Kuss auf den Handrücken, bei dem sie sich sofort wie die Prinzessin vorkommt, die sie ja eigentlich auch ist. Röte legt sich auf ihre Wangen und sie will ihn schon bitten, damit aufzuhören, als auch schon seine Stimme ertönt. Seine Tonlage verrät kein bisschen von seiner tiefsitzenden Angst vor all den neuen Gegebenheiten um sich herum, sondern sie symbolisiert den ganzen Stolz eines Mannes des 18. Jahrhunderts aus gutem Hause, der genau weiß, wie man mit einer Dame umzugehen hat. „Gab es etwa einen Ausverkauf im Süßwarenladen? Denn ich glaube, ich habe gerade eine köstliche Praline ergattert. Küss die Hand, schönes Fräulein!“ Noch bevor seine Stimme richtig zu ihr vordringt, fragt sie sich unweigerlich, wie sich wohl seine Haare anfühlen müssen. Dieses tiefe Schwarzblau, fast wie ein mitternächtlicher Himmel. Wassertropfen müssen darin unzweifelhaft wie Sterne funkeln. Röte steigt ihr immer mehr in die Wangen, und als sie seine netten, fast schon gehauchten Worte hört, wird ihr beinahe schwindlig.
 

Wolverine traut seinen Augen und Ohren ebenfalls kaum. Bis eben war der Bengel noch völlig unbeholfen, ängstlich und hat vor Schüchternheit ihr gegenüber kein Wort herausbekommen, und jetzt das? Es wirkt, als hätte jemand einen Schalter in ihm betätigt, der ihn augenblicklich in einen Adelsmann verwandelt hat. Er weiß vielleicht nicht, dass man sich nach dem Duschen ein Handtuch umhängen sollte, oder dass ein Schrank kein geeigneter Schlafplatz ist, aber Kurt scheint definitiv zu wissen, wie man mit einer Prinzessin umzugehen hat, oder einer Frau zumindest das Gefühl gibt, sie wäre eine.
 

„Oh, du liebe Güte! Du bist ja ein richtiger Charmeur!“, kichert sie angetan und mit glühenden Wangen, was sie wie einen schüchternen Teenager aussehen lässt, der gerade zum ersten Mal unverhofft von seinem Scharm angesprochen wurde. Wolverine kann sich nicht erinnern, sie jemals so gesehen zu haben. Allerdings glaubt er auch nicht, dass sie hier jemals so angesprochen wurde – wenn überhaupt jemals irgendwo zuvor. „Aber gewiss doch. Wie könnte ich einem so schönen Fräulein auch anders gegenübertreten?“ „Du bist wirklich sehr lieb. – Aber versteh mich nicht falsch. Diese beiden Worte. Das war kein Englisch. Verrätst du mir, was sie bedeuten?“, fragt die Windgöttin etwas peinlich berührt, während Kurt noch immer sanft ihre Hand hält. Leicht verwundert betrachtet sie der Elf und scheint kurz darüber nachzudenken. „Verzeih mir das. Es war Deutsch, meine Muttersprache. Allerdings weiß ich nicht genau, wie ich es in Englisch sagen soll, da es meiner Ansicht nach dann nicht mehr so melodisch klingt. Doch es bedeutet schlicht, dass ich finde, dass du eine wirklich hübsche, junge Frau bist.“, erklärt sich der Blauhäutige etwas umständlich.
 

„Das hast du aber schön gesagt. Doch ich finde, du hast recht. In Deutsch hört es sich irgendwie besser an!“, lächelt sie ehrlich. Dann beugt sie sich vor und haucht ihm einen zarten Kuss auf die pelzige Wange, was ihn augenblich wieder erstarren und purpurn anlaufen lässt. Es scheint, als wäre dieser mysteriöse Schalter in ihm ein weiteres Mal betätigt worden und der wohlgesittete Adelsmann wieder durch den unbeholfenen Straßenjungen ersetzt worden. „Willkommen, Kurt!“, meint sie zuckersüß lächelnd und entfernt sich dann ohne ein weiteres Wort aus der Küche.
 

Unwillkürlich gleiten Nightcrawlers Finger über seine Wange hinweg, wo sie ihn vor einer Sekunde noch so wundervoll berührt hat. Dann legt sich wieder Wolverines Hand auf seine Schulter. Warm spürt er seinen Atem am Ohr kitzeln – und er bildet sich sogar ein das Grinsen das Älteren dort zu spüren. „Vergiss nicht schon wieder Luft zu holen, Junge!“, gluckst der Krieger sichtlich amüsiert. „Ich weiß, sie ist der reine Wahnsinn, aber du musst dich jetzt wieder konzentrieren. Hank erwartet uns und wenn er mit seinen Untersuchungen fertig ist, wird dir jegliche Fantasie vergangen sein...“
 


 

5
 

Mit einem vorangehenden Klopfen betritt Wolverine die Krankenstation der Mansion, wo Beast bereits auf den Neuzugang wartet. Etwas scheu sieht Nightcrawler in den großen Raum hinein. Der Anblick ist schier unglaublich für ihn. Allein die Größe des Zimmers erschlägt den jungen Mutanten regelrecht. Die Krankenstation ist erheblich geräumiger als die Küche, und diese war ja schon nicht gerade klein in Kurts Augen. Allerhand nahezu undefinierbare Gerätschaften dominieren sein Sichtfeld und von vielen will er sich gar nicht so recht vorstellen, wofür sie genau sein sollen – er befürchtet aber, dass er es heute noch rausfinden wird. Die einzigen Dinge, die er mittlerweile zweifelsfrei identifizieren kann, sind gut ein Dutzend Tische in allen nur erdenklichen Größen und Ausführungen – mindestens die Hälfte davon hilflos überladen mit irgendwelchen mechanischen und elektronischen Gerätschaften – und nicht minder vielen Betten, die in zwei ordentlichen Reihen im hinteren Teil des Zimmers einander gegenüberstehen. Sie sind alle frisch bezogen und wirken einladend, auch wenn der Elf bezweifelt, dass man sich hier freiwillig zum Schlafen niederlegt. Zudem entdeckt er noch drei Türen, die vom Behandlungsraum abgehen. Eine ist mit Büro beschriftet, eine andere mit dem für ihn unverständlichen Buchstaben OP und die Letzte heißt Isolation und beunruhigt Nightcrawler auf seltsame Weise, obwohl er die Bedeutung des Wortes nicht ganz einordnen kann, doch irgendetwas daran klingt unschön...
 

An einem der überladenen Tische im vorderen Bereich des Zimmers steht der breitschultrige, blaue Mutant, den Logan Hank nennt, und schreibt etwas auf, während der Krieger zu ihm geht. Zwar kommt Kurt dieser ganze Raum, trotz seiner beachtlichen Größe, schrecklich erdrückend vor, dennoch keimt in ihm nicht dieselbe Furcht auf, wie er sie beim Anblick der Küche gespürt hat. Vermutlich liegt es an der Tatsache, dass sich hier nur eine ihm unbekannte Person aufhält und keine ganze Horde.
 

Schließlich scheint Beast seine Notizen beendet zu haben und wendet den Blick zur Tür. Eine geradezu lächerlich kleine Brille sitzt dabei auf seiner animalischen Nase. Würde sich das Licht der Deckenlampen nicht in dem fragilen Metallgestell brechen, würde man sie vermutlich gar nicht bemerken, so lange man nicht direkt vor ihm steht. Mit einer überraschend behutsamen Geste hebt Hank nun eine seiner gewaltigen, prankengleichen Hände und schiebt das Gestell mit Daumen und Zeigefinger etwas zurecht. Seine Finger sind allerdings so groß, dass Nightcrawler praktisch bildlich vor Augen sehen kann, wie sich das dünne Metall darunter bis zur Unkenntlichkeit verbiegt und die Gläser regelrecht unter der Krafteinwirkung explodieren. Doch das passiert nicht. Stattdessen legt sich ein sanftes Lächeln auf das Gesicht des blaufelligen Mutanten, das ihm ein überraschend freundliches Aussehen verleiht. Es wirkt, als könnte er, trotz seiner überaus beeindruckenden und auch ziemlich abschreckenden Erscheinung, keiner noch so kleinen Fliege etwas zu Leide tun.
 

Kurt würde das nur zu gern glauben. Doch sein bisheriges Leben hat ihn gelehrt, dass jemand noch so harmlos und schwach wirken kann – insbesondere, wenn dieser jemand lächelt –, im Inneren aber dennoch ein wahrer Teufel sein kann und es nur geschickt versteckt. Traurigerweise trifft das sogar auf Kinder zu. Allerdings hatte Charles es ja schon so treffend bei ihrer ersten Unterhaltung ausgedrückt, indem er sagte, Kurt solle ihm doch bitte vertrauen, er hätte Logan schließlich auch vertraut, obwohl dieser vor seinen Augen ein regelrechtes Massaker angerichtet hatte. Da ist in jedem Fall etwas dran. Wenn der Elf so darüber nachdenkt, weiß er nicht einmal so recht, warum er Wolverine überhaupt so wortlos vertraut hat, erst recht nachdem, was er getan hat. Schließlich hätte der Krieger Kurt ebenfalls töten können, ohne sich auch nur anstrengen zu müssen. Doch da war etwas, das sich der junge Mutant nicht ganz erklären konnte. Etwas in den dunklen und überaus erfahren wirkenden Augen des Kanadiers – Augen, die fast so alt wie die Zeit selbst wirken und daher so gar nicht zum jungen Aussehen des Schwarzhaarigen zu passen scheinen.
 

Diese Augen zeugen von endlosem Schmerz, tragischem Verlust, blanker Wut und sogar einem winzigen Fünkchen Furcht, und zwischendrin erscheinen sie immer wieder so sanftmütig wie die gütigen Augen eines stolzen Vaters. Wolverines gesamte Erscheinung und sein Auftreten stehen im scharfen Kontrast zueinander, sodass es richtiggehend unwirklich scheint, dass er überhaupt existiert, und dennoch tut er es auf so beeindruckende Weise, dass es Nightcrawlers Denken immerzu durcheinander zu wirbeln vermag.
 

Nun wirkt der zu kurzgeratene Kanadier aber wieder einmal ungeduldig und mustert den Elfen schon beinahe streng, weil dieser immer noch unschlüssig an der Tür verharrt. Als er jedoch zu einem Tadel ansetzen will, hält Beast ihn davon ab, indem er ihm einfach nur einen Seitenblick zuwirft, ohne dabei sein sanftes Lächeln einzubüßen. Kurt kann sich gar nicht vorstellen, dass sich der temperamentvolle Wolverine davon auch nur ansatzweise beeindrucken lässt. Umso größer ist die Überraschung des jungen Mutanten daher, als Logan einfach nur resignierend die Arme vor der kräftigen Brust verschränkt und den Mund wieder schließt, ohne ein Wort von sich zu geben.
 

Einen Moment später setzt Wolverine allerdings abermals dazu an etwas zu sagen und zwar, als er nun betrachtet, wie Kurt auf alle Viere sinkt, um in seiner so typisch geduckten Haltung den Raum zu betreten. Aus dem Kanadier kommt jedoch wieder kein Ton heraus, auch wenn er leicht genervt die Augen verdreht, hatte er dem Elfen doch schließlich gesagt, dass er hier nicht ständig wie ein geprügelter Hund am Boden entlangkriechen muss. Der blaufellige Arzt neben ihm verzieht allerdings keine Miene, als er die unterwürfig-scheue Haltung des jungen Mutanten sieht. Stattdessen hat er größtes Verständnis für sein Verhalten. Von Charles hat er schon direkt nach Logans Rückkehr etliche Informationen über Nightcrawler erhalten, zudem den Werbespot gesehen, der den Professor erst auf den Bengel aufmerksam gemacht hat. Von daher hat er schon ein ziemlich genaues Bild davon, was Kurt alles widerfahren sein muss und wie sein Ankommen hier abgelaufen ist.
 

Außerdem hat er am eigenen Leib erfahren müssen, wie grausam die Welt sein kann, wenn man eben nicht dem typischen Bild eines Menschen entspricht, stattdessen aussieht wie die lebendig gewordene Version des verzauberten Prinzen aus dem Märchen Die Schöne und das Biest, was mit ein Grund für seinen Mutantennamen war. Doch seine überaus kräftige Erscheinung, gepaart mit seinem doch recht abschreckenden Äußeren hält ihm die Menschen im Allgemeinen eher vom Hals, als alles andere. Kurt sieht zwar tatsächlich aus wie eine blaue Version des Teufels, doch sein ängstliches und zierliches Auftreten machen ihn eher zu einem willkommenen Opfer der menschlichen Abneigung, statt wohltuenden Abstand für ihn zu erlangen, und das bekommt allesgrößtes Mitleid seitens Hank.
 

So wartet er geduldig darauf, dass Nightcrawler zu ihm kommt, ohne der ungeduldigen Haltung des temperamentvollen Kanadiers auch nur Beachtung zu schenken. Scheu betrachtet Kurt die vielen Gerätschaften um sich herum. „Keine Sorge, Junge. Du musst dich von nichts hier im Raum beunruhigen lassen. Es sieht viel schlimmer aus, als es eigentlich ist. Nichts von alledem wird dir schaden oder sich auch nur ohne mein Zutun von der Stelle bewegen. Daher sei unbesorgt.“, lässt Beast ihm zuteilwerden und lächelt wieder sanft. Der Elf wendet ihm seine seelenlosen, schrecklich traurigen Augen zu, nickt kaum merklich und überwindet dann den restlichen Abstand zu ihm etwas sicherer, wenn auch trotzdem auf allen Vieren. Dabei wird er eindringlich von dem selbsternannten Arzt der X-Men gemustert. Gedanklich macht er sich schon etliche Notizen zu dem blauhäutigen Jungen. Sein Körperbau ist äußerst interessant und zu sehen, wie er sich bewegt, verrät Hank schon sehr viel über seine Anatomie.
 

Als Kurt schließlich vor ihm zum Stehen kommt, reicht Hank ihm die Hand. Etwas unsicher sieht der Junge zu ihm auf, erwidert dann aber erstaunlich schnell die Geste und lässt sich von ihm aufhelfen. Dabei wirkt es regelrecht so, als würde Nightcrawlers zierliche Hand von der großen Pranke des Älteren verschluckt werden. Dies scheint den Elfen überraschenderweise aber gar nicht zu verschrecken. Stattdessen halten sich die beiden Blauen noch einen Moment länger fest, fast so, als wären sie eine unsichtbare Verbindung mit ihren Händen eingegangen und würden nun irgendwelche streng geheimen Daten darüber miteinander austauschen.
 

„Hallo, Junge. Mein Name ist Henry McCoy, aber du darfst gern Hank zu mir sagen. – Oder einfach Beast, ganz wie du magst. Und wie heißt du, wenn ich fragen darf?“, kommt es sanft von dem breitschultrigen Mutanten, während er die Hand des Jüngeren wieder loslässt. „Ich heiße Nightcra – ich meine Kurt – Kurt Wagner.“, erwidert der Elf leicht durcheinander. „Sehr schön. Aber kein Grund nervös zu sein. Ich werde mich bemühen, das Ganze hier so schnell und angenehm wie möglich für dich zu machen. Ich fungiere hier als Arzt und da du neu bei uns bist, muss ich eine Akte von dir anlegen. Da drin steht alles Mögliche über dich. Besondere Merkmale, eine Auflistung deiner Mutantenkräfte, Gesundheitszustand und noch einiges mehr. Dafür brauche ich jedoch deine Hilfe. Teilweise werde ich dir einfach nur ein paar Fragen stellen, die du mir vielleicht beantworten kannst. Teilweise werde ich ein paar Tests an mit durchführen müssen. Davor brauchst du dich aber auch nicht zu fürchten. Es wird nicht wehtun. Wenn es doch zu heftig für dich wird, sag einfach Bescheid, dann machen wir eine Pause oder ich überlege mir etwas anderes. Hast du das soweit verstanden? Der Professor sagte mir, dass deine Muttersprache Deutsch ist und du manchmal Probleme hast, alles richtig zu begreifen, weil du die Worte womöglich nicht kennst. Doch ich versuche, es so einfach wie möglich auszudrücken und langsam zu sprechen. Tu dir aber keinen Zwang an und frage nach, wenn du dennoch etwas nicht verstehen solltest.“
 

„Ich denke, dass habe ich soweit alles verstanden. – Darf Logan denn hierbleiben?“, fragt Kurt etwas unsicher und wirft einen Blick zu dem anderen Mann hinüber, der sich bis jetzt erstaunlich ruhig aus allem herausgehalten hat. Dennoch vermittelt ihm der zu kurzgeratene Kanadier ein seltsames Gefühl von Sicherheit, wenn er in der Nähe ist, und das ist hier jetzt bestimmt hilfreich. Auch Beast wirft einen Blick auf Wolverine, der jedoch keine Miene verzieht – daher weder Zustimmung noch Ablehnung signalisiert. „Wenn du dich wohler fühlst, wenn er hier ist, kann er gern bleiben. Es steht euch beiden frei, das selbst zu entscheiden. Mir ist es einerlei, solange ich vernünftig meine Arbeit machen kann.“, entgegnet Hank und beendet damit das erste Kennenlernen.
 


 

6
 

Die Fragerunde gestaltet sich als kurz und ziemlich präzise, wie Kurt feststellt. Er weiß ja auch nicht, dass Hank schon fast alle notwendigen Informationen von Charles bekommen hat. Diese hatte der Professor allesamt in dem kurzen Moment aufgeschnappt, als er in Nightcrawlers Geist geblickt hat, und dann an Beast weitergegeben. Somit braucht der Arzt jetzt nur die Bestätigung durch die Antworten des Jungen dafür. Ein, zwei Dinge hat er allerdings noch nicht und trägt sie daher nach Kurts Ausführungen ein. So sehr die meisten Leute von Xaviers Fähigkeit, Gedanken zu lesen, auch abgeschreckt sein mögen, so gut findet der Arzt sie in diesen Momenten. So ist es für ihn und auch für seine Patienten zumeist einfacher und daher schneller vorbei.
 

Nach dem Frage- und Antwortspiel wird Nightcrawler gewogen und praktisch jeder Zentimeter seines Körpers vermessen und eingehend begutachtet. Sämtliche Narben, alle möglichen anderen Merkmale, ja praktisch jeder Farbtonunterschied seines kurzen Fells wird akribisch notiert. Die Gründlichkeit, mit der der Arzt seiner Aufgabe nachgeht, fasziniert den Elf regelrecht. Andererseits erschreckt sie ihn an manchen Stellen schon ein wenig, wurde er doch noch nie so unter die Lupe genommen. Ein bisschen kommt er sich daher wie ein Pferd oder dergleichen vor, das von einem potenziellen Käufer genauestens begutachtet wird, der nur die allerbeste Ware kaufen möchte, und das ist ihm doch schon etwas unangenehm. Dennoch beklagt er sich nicht darüber, sondern lässt alles schweigend über sich ergehen. Henry gibt sich auch alle Mühe, es ihm trotz der ungewohnten Situation so angenehm wie möglich zu machen, indem er sich gefühlt alle drei Minuten erkundigt, ob Kurt das Ganze ertragen kann, oder langsam müde wird. Obwohl Beast dem Jungen ansehen kann, dass es ihm durchaus an einigen Stellen etwas zu viel ist, verneint der Blauhäutige allerdings stets. Der Arzt geht nicht weiter darauf ein, solange sein Unwohlsein nicht noch ersichtlicher wird. Er kann immerhin ziemlich gut verstehen, dass Nightcrawler das alles hinter sich bringen will, um das Krankenzimmer im besten Fall erst dann wiederzusehen, wenn es ihm wirklich schlecht geht.
 

Anschließend soll Kurt auf ein Laufband, um seine Kondition, seine Bewegungsmuster und das Zusammenspiel von Herz und Lunge zu ermitteln. Hank fordert ihn dabei zuerst auf, nur auf seinen zwei Beinen zu rennen, was bei seinen anatomischen Besonderheiten doch etwas seltsam aussieht, ihm aber keine sonderlichen Schwierigkeiten bereitet. Außer vielleicht, dass ihm schnell die Puste ausgeht und er mit seinen langen Beinen mehrmals beinahe vom Band zu stürzen droht, dank seines Schweifs aber doch immer noch das Gleichgewicht wiederfindet. Dennoch wirkt er für seinen stromlinienförmigen Körperbau doch erstaunlich langsam und unelegant. Das ändert sich allerdings schlagartig, als Henry ihn nun anweist auf alle Viere zu gehen.
 

Logan hat ihn so zwar schon mal sprinten sehen, dennoch ist er nicht minder überrascht als Beast, wie gewaltig der Unterschied zwischen diesen beiden Bewegungsarten doch ist. Geschwindigkeit und Ausdauer steigern sich von einem Augenblick zum nächsten um ein Vielfaches. Trotz dieser Steigerungen verlangsamt sich sein Herzschlag interessanterweise deutlich und auch seine Lunge arbeitet in einem angenehmeren Bereich, was die gesteigerte Ausdauer perfekt erklärt. Somit scheint Kurts Körper weit besser an diese animalische Fortbewegungsart angepasst zu sein, als an die humanoide, und daher ist es wohl auch kein Wunder, dass er sich daher immer automatisch auf alle Viere begibt.
 

Nach dieser Einheit geht es für den Elfen in einen Kernspintomographen. Eine überaus erdrückende Erfahrung, die erst beim dritten Anlauf reibungslos durchgeführt werden kann, nachdem sich Nightcrawler allmählich daran gewöhnt hat, und Beast ihm schon angeboten hat, ihm ein leichtes Beruhigungsmittel zu spritzen, damit er es leichter ertragen kann. Auf diesen, eigentlich nur nett gemeinten Vorschlag, reagierte der Junge jedoch völlig panisch. Schließlich hat Logan dann doch einmal das Wort erhoben und Beast das erklärt, was der Elf in seinem aufgelösten Zustand nicht konnte. Wolverine erzählte dem Arzt, was am Ende der Zirkusvorstellung passiert ist, als dieser miese Getmann Kurt irgendetwas gespritzt hatte, was ihn völlig wehrlos machte. Schnell begreift Henry daher, was los ist und sie versuchen es noch einmal ohne Hilfsmittel und dann funktioniert es endlich. Somit hat er nun auch sämtlich Daten über das Innere seines Körpers und die Aktivitäten seines Gehirns.
 

Der letzte Teil der aufwendigen Untersuchung beinhaltet nun die Ermittlung der Mutantenkräfte. Da das Ganze bei Kurt aber erst vor Kurzem überhaupt erst an die Oberfläche getreten ist, kann es durchaus sein, dass Hank hier zu einem späteren Zeitpunkt noch Ergänzungen vornehmen muss. Doch mit diesem Gedanken will er den Jungen jetzt nicht belasten. Stattdessen konzentriert er sich nun auf die Dinge, die er von Charles schon erfahren hat und was Logan ebenfalls dazu beitragen kann. Einige Dinge sind für Nightcrawler so selbstverständlich, dass er sie gar nicht als eine besondere Fähigkeit wahrnimmt. Einzig diese seltsame Sache mit dem Teleportieren – so nennt es Wolverine zumindest – kommt ihm nicht normal vor. Dafür aber die Tatsache, dass sein Körper geradezu mit der Dunkelheit zu verschmelzen scheint oder, dass er mühelos an nahezu jeder Oberfläche entlangkrabbeln kann wie ein Käfer.
 

„Das ist wirklich überaus faszinierend...“, entkommt es Beast, während der Elf mit erstaunlicher Leichtigkeit an der Decke entlangläuft, als wäre es der Boden. „Komm doch bitte wieder runter. Ich würde mir das gern mal etwas genauer ansehen.“ Als Kurt wieder vor ihm steht, ergreift Henry seine Hand und betrachtet sie eingehender. Wie der Rest von Nightcrawlers Körper, ist auch sie mit dem kurzen, blauen Fell überzogen, doch dem Arzt kommt es nicht so vor, als wäre das der Grund für diese Fähigkeit. „Hm, ich denke, wir sollten uns das mal noch etwas genauer betrachten.“, meint er schließlich und wendet sich einem Gerät auf dem Tisch neben sich zu. „Das ist ein Mikroskop. Damit kann man sehr kleine Dinge sichtbar machen, indem man sich optisch vergrößert. Leg doch bitte deine Hand hierhin, damit ich sie mir ansehen kann.“, fordert er den Jungen auf, während er einige Einstellungen auf einem Monitor neben dem Mikroskop vornimmt.
 

Schweigend kommt Kurt der Aufforderung nach und platziert seine ausgestreckte Hand mit nach oben gewandter Innenseite unter der Lichtquelle des Mikroskops. Kurz darauf kann er seine Finger seltsam groß auf dem Monitor daneben betrachten. „Sehr schön. Okay, hier haben wir also deine einzelnen Finger. Die feinen Haare deines Fells sind deutlich zu sehen. Oh, und hier ist der Rest eines kleinen Schnitts zu erkennen, den du dir vor ein paar Tagen zugezogen haben musst.“, erläutert Beast und gleitet dabei lehrerhaft mit einem Stift über den Monitor, um ihm alles Genannte zu zeigen. „Das ist wirklich faszinierend...“, murmelt der Junge und zieht die Hand unter dem Mikroskop hervor, um sich die fast verheilte Wunde an seinem Finger betrachten zu können. Allerdings kann er sie mit bloßem Auge gar nicht wiederfinden, sie verschwindet schlichtweg in seinem Fell, und ist von vornherein schon ziemlich klein. Henry gönnt ihm diese Erkenntnis und wartet daher geduldig, bis der Junge seine Hand wieder unter das Gerät legt.
 

„Ich denke, es wird noch viel faszinierender, wenn ich die Vergrößerung erhöhe.“, erläutert er dann. Kurz darauf positioniert er den Tisch des Mikroskops mit Hilfe eines Rädchens so, dass sich die Spitze von Kurts Zeigefinger genau in der Mitte des Monitors befindet. Dann schenkt er ein anderes Objektiv ein, wodurch sich das Bild auf dem PC verändert. Nach ein paar Justierungen ist alles scharf zu erkennen. Kurts Fingerspitze nimmt nun den gesamten Raum des Monitors ein und geht sogar noch darüber hinaus. Sein kurzes Fell wirkt jetzt wie ein mystisch blauer Dschungel aus überaus rau aussehenden Baumstämmen, statt so seidig-weich, wie es sich sonst anfühlt. Mit offenem Mund betrachtet Nightcrawler diese Absonderlichkeit und bekommt sie dennoch kaum in den Kopf.
 

„Die Haare deines Fells sehen völlig normal aus, sodass sie in jedem Fall nicht dafür verantwortlich sein können, dass du an der Wand klebst wie ein Insekt. Also vergrößern wir das Ganze doch noch etwas mehr und sehen uns die Haut darunter an.“, erläutert der Arzt und dreht wieder am Revolver. Als das Bild scharf ist, sind die baumartigen Haare völlig verschwunden. Dafür bietet sich den dreien ein fremdartiger Anblick aus Lamellen, die mit einer Art winziger Saugnäpfe bedeckt zu seien scheinen. „Na, wenn das nicht die Antwort ist, dann weiß ich auch nicht.“, kommt es sichtlich vergnügt von Hank. „Was ist das?“, fragt Kurt sichtlich überfordert und nimmt damit auch Wolverine die Frage aus dem Mund.
 

Beast öffnet eine Schublade in der Nähe und zieht einen durchsichtigen Saugnapf mit einem kleinen Haken an der Rückseite heraus. „Das ist der Grund, warum du an der Decke gehen kannst und an so ziemlich jeder anderen Oberfläche klebst wie ein Kaugummi. Vereinfacht ausgedrückt, sind deine Finger und vermutlich auch deine Zehen mit unendlich vielen dieser Saugnäpfe bedeckt, die sich mit Hilfe von Unterdruck an praktisch jeder Oberfläche festsaugen können, wie der Name schon sagt. Eine ähnliche Technik benutzen zum Beispiel Geckos. Ganz genauso ist es bei vielen Insekten, die einfach so an einer glatten Scheibe entlanglaufen können. Du selbst merkst davon nichts, aber das ist etwas, das Menschen nicht können, weil ihre Haut ganz anders aufgebaut ist. – Wo du gerade da bist, leg doch mal deine Hand unter das Mikroskop, Logan, damit Kurt den Unterschied sehen kann.“
 

Kurz darauf tauschen die beiden den Platz und nach ein paar weiteren Einstellungen erscheint die Vergrößerung von Wolverines Fingerspitze auf dem Monitor. Der Unterschied ist deutlich sichtbar und bedarf daher eigentlich keiner weiteren Erläuterung, doch Hank kommt schon mal gern ins Erzählen, erst recht, wenn er jemanden findet, der sich wirklich für seine Worte begeistern kann. Kein Wunder, wo er in seinem früheren Leben doch tatsächlich Lehrer gewesen ist und seinen Schülern möglichst anschaulich und mit viel Begeisterung die Welt der Biologie, Chemie und des Sports versucht hat nahezubringen. Daher ist er erst recht darauf bedacht sein Wissen an die Jüngeren hier weiterzugeben, manchmal durchaus zum Leidweisen der anderen X-Men. Doch Kurt hat noch sehr viel zu lernen und da kann Henry gar nicht anders, wenn er den fragenden Ausdruck in den Augen des Jungen vor sich sieht. Beast legt sogar seine eigene Hand unters Mikroskop, um Nightcrawler zu verdeutlichen, dass auch sie anders aussieht, obwohl sie beide blaue Haut und ein Fell haben.
 

Nachdem dieses Rätsel also gelöst zu sein scheint, steht nun die Sache mit der Teleportation an. Etwas umständlich versucht Logan daher zu erklären, wie er das Ganze versteht und was er bisher beobachtet hat. Aufmerksam hört sich Hank alles an und versucht sich einen Reim darauf zu machen. Diese Informationen hat er von Charles nicht wirklich bekommen, da Nightcrawler sich in seiner Gegenwart nicht teleportiert hat, und er sich auch nicht wirklich einen Reim auf die Erinnerungen des Jungen daran machen konnte, von daher fällt es dem Arzt ein bisschen schwer, sich die Technik vorzustellen, so wie Wolverine es beschreibt. Ohne es selbst miterlebt zu haben, kommt es dem breitschultrigen Mutanten doch ziemlich haarsträubend vor, was vielleicht auch nur daran liegen mag, dass der Kanadier nicht gerade ein guter Erzähler ist. Kurt ist dabei auch nicht wirklich eine Hilfe, da er sich die Sache selbst nicht erklären kann und auch noch keinerlei Kontrolle darüber hat. Dennoch muss es Hank gelingen, diese Fähigkeit mit eigenen Augen zu sehen, damit er seine Akte vervollständigen und mögliche Auswirkungen auf Kurts Körper oder seine Umwelt feststellen kann.
 

„Okay. – Versuchen wir es einfach mal. Konzentrier dich, Junge! Mach deinen Geist frei und denk an – ich weiß auch nicht – den Ort, an dem du landen willst. – Versuch doch einfach von hier zum Bett dort hinten hinzukommen, ja?“, bittet ihn Beast. Überaus zweifelnd betrachtet Nightcrawler ihn und dann das Bett, zu dem er sich teleportieren soll. Tief holt er Luft und schließt die Augen, um sich besser konzentrieren zu können. Im Raum herrscht völliges Schweigen, weiter aber auch nichts. Minutenlang verharren die drei, doch nichts passiert. „Nun, es scheint wohl etwas schwieriger zu sein...“, meint Hank stirnrunzelnd. Allerdings ist es auch nicht sonderlich ungewöhnlich. Wenn ein Mutant gerade erst seine Fähigkeiten bemerkt hat – was meist aus heiterem Himmel und unter ziemlichem Stress passiert – ist er darauf nicht vorbereitet und es dauert daher meist eine ganze Weile, ehe es erneut passiert, und ziemlich lange, bis er irgendeine Kontrolle darüber hat. Deshalb muss ein Mutant immer und immer wieder hart üben und trainieren, um seine Fähigkeit irgendwann auf Kommando benutzen zu können, ohne daran denken oder unnötig viel Kraft dafür einsetzt zu müssen.
 

In sich gekehrt grübelt Henry darüber nach, wie er Nightcrawler doch noch zum Teleportieren bringen kann, ohne ihm allzu großem Stress auszusetzen. Der Blauhäutige ist eh schon ziemlich mit den Nerven am Ende, da will der Arzt es nicht unbedingt übertreiben. Der zu kurzgeratene Kanadier ist da aber wohl anderer Ansicht. Ihm scheint ziemlich schnell einzufallen, wie er Kurt zum Springen bringen kann, war er doch bisher jedes Mal dabei gewesen und hat somit schnell ein Muster dahinter erkannt. So zögert er auch nicht lange, als sich die nachdenkliche Stille über den Behandlungsraum senkt. Blitzschnell hebt er die geballte Faust direkt vor die Nase des Elfen und lässt dann seine langen, sichelförmigen Krallen hervorschnellen. Wie von ihm gewünscht, erschreckt sich der Bengel mit einem heiseren Aufschrei. Beast war so in Gedanken, dass er sich in diesem Moment ebenfalls ziemlich erschreckt. Doch er hat sich soweit im Griff, dass er das Schauspiel dennoch gut verfolgen kann.
 

Nightcrawlers Schreckenslaut ist noch gar nicht verklungen, da ertönt auf einmal ein seltsames Geräusch im Raum. Es ist ziemlich leise, in der Stille jedoch deutlich zu hören. Es klingt, als würde etwas nach innen gesaugt – implodieren. Bamf! Praktisch im selben Moment breitet sich an der Stelle, an der sich Kurt bis eben befand, eine dichte, purpurfarbene Wolke aus, die so beißend nach Schwefel riecht, dass Beast ein paar Atemzüge lang husten muss. Nur einen Sekundenbruchteil später ertönt das seltsame Geräusch an einer anderen Stelle des Raumes erneut, gefolgt von dieser stinkenden Wolke. Ein paar Augenblicke danach hat sich der Großteil davon wieder verzogen und Henry entdeckt den Elfen am anderen Ende des Zimmers an der Decke in einer Ecke kauernd. Seine seelenlosen Augen sind noch deutlich vom Schreck gezeichnet und er atmet hektisch.
 

„Na geht doch!“, kommt es fast schon grinsend von Wolverine, während er noch angewidert den Schwefelgeruch weg zu wedeln versucht. „Das – war fies...“, jammert der Elf sichtlich unwohl. „Tja, Kleiner. Ich würde ja sagen, dass es mir leidtut, aber hätte ich es nicht gemacht, würden wir morgen noch darauf warten, dass etwas passiert. Also schluck es einfach runter und sieh es als Gefallen an.“, erwidert Logan erstaunlich kalt.
 

„Ich bin beeindruckt!“, kommt es nun von Beast und die beiden wenden ihm das Gesicht zu. „Eine wirklich ganz erstaunliche Fähigkeit! Leider kann ich sie mir so gar nicht erklären. Doch es muss sich dabei um einen überaus komplexen Vorgang handeln. Teleportation trifft es da wohl tatsächlich am besten. Nur nicht so, wie man es aus Science-Fiction-Büchern her kennen mag. Schließlich schaffst du das ganz ohne ein Hilfsmittel. – Es kommt mir eher so vor, als wäre eine Art chemische Reaktion dabei beteiligt, möglicherweise auch so etwas wie eine Raum-Zeit-Krümmung. – Ich weiß auch nicht. Dieser beißende Schwefelgeruch irritiert mich dabei. Entfernt erinnert es mich an Rauchbomben oder dergleichen. So etwas, das Ninjas benutzen, um ungesehen zu flüchten, versteht ihr? Nur der Geruch und auch dieses Geräusch – so leise es auch sein mag – sind nicht sonderlich hilfreich für eine unauffällige Flucht, fürchte ich. Das Ganze ist mir noch ein ziemliches Rätsel. Doch ich bin sicher, irgendwann finden wir eine Antwort darauf...“
 

„Vielleicht hilft es ja, wenn ich ihn noch ein bisschen rumscheuche!“, grinst Wolverine angriffslustig und lässt erneut seine Krallen ausfahren. Irgendwie hat er gerade Gefallen an dem Gedanken gefunden. So als wäre eine primitive Art Spieltrieb in ihm entbrannt – oder schlichtweg sein animalischer Jagdinstinkt, der seine verängstigte Beute gern hetzt, bis sie nicht mehr weiterkommt und hilflos zu seinen Füßen liegt. Natürlich hat Logan nicht vor, dem Elfen wehzutun, aber etwas anderes würde er nicht ausschließen wollen. Selbstredend aber nur, wenn es ihm gelingen sollte, den Bengel irgendwo hinzutreiben, wo sie ungestört wären...
 

„Nein!“, kommt es nahezu panisch von Nightcrawler, dem die Vorstellung, auf diese Weise rumgescheucht zu werden, so gar nicht behagt. Nicht sonderlich erfreut betrachtet Beast die Reaktion des jungen Mutanten und dann Logans nahezu gehässigen Gesichtsausdruck, der ihm nur zu gut bekannt ist. Der Jäger in dem kleinen Kanadier meldet sich deutlich zu Wort und dass könnte ziemlich unschön enden, auch wenn Hank bei weitem nicht an dieselben Dinge denkt, wie der Schwarzhaarige. Schon aber, dass er den Elfen womöglich im Eifer ungewollt verletzen könnte. Oder, dass sie hier drinnen alle ersticken könnten, sollte sich der Raum ein ums andere Mal mit diesem beißenden Gestank füllen. „Ich denke nicht, dass das nötig sein wird!“, meldet er sich daher entschieden zu Wort und bedenkt Wolverine mit einem überaus mahnenden Blick.
 

Der Angesprochene zuckt nur lässig mit den Schultern und lässt die Krallen wieder verschwinden. „Selber schuld.“, meint er noch und lümmelt sich dann erneut auf seinen Stuhl. „Fürs Erste sollten wir vielleicht abwarten, bis du das Ganze etwas unter Kontrolle hast und nicht mehr auf Logans Hilfe angewiesen bist. Dann können wir uns alles noch einmal in Ruhe betrachten, und vielleicht fällt mir bis dahin auch ein, wie das Teleportieren möglicherweise funktionieren könnte. Daher sind wir an dieser Stelle erst einmal fertig und du kannst nun gehen, Kurt. Vielen Dank, dass du so lange und geduldig mitgemacht hast.“, bedankt sich Beast ehrlich bei ihm und beendet die Untersuchung damit.
 


 

7
 

Der Rest des Tages ist zum Glück weit weniger aufreibend und gibt Nightcrawler daher die Möglichkeit sich wieder etwas zu entspannen. Nach und nach lernt er dann auch die anderen Mutanten kennen, die zum Team der X-Men gehören. Allerdings suchen nur zwei direkt die Nähe des Elfen, um mit ihm zu sprechen, wie es Storm zuvor in der Küche getan hatte. Beim Rest ist es Kurt selbst, der sich ihnen vorsichtig nähert oder ihnen zufällig über den Weg läuft. Durch Charles nachdrückliche Anweisungen sind sie aber alle wohl darauf bedacht nicht zu stürmisch oder gar aufdringlich in seiner Nähe zu werden und daran halten sie sich auch streng. Daher fällt es Nightcrawler nach seiner anfänglichen Furcht und der Untersuchung bei Hank auch gar nicht so schwer, dass ebenfalls noch auf sich zu nehmen.
 

Alles in allem war es also ein ziemlich guter und erfolgreicher Tag. Mit jeder vergehenden Stunde glaubt Nightcrawler auch immer selbstsicherer daran, dass es sich hier sehr gut leben lassen wird und er nichts zu fürchten braucht – zumindest nicht, solange Logan nicht wieder einen fiesen Angriff plant, um ihn zu ärgern. Kurt kommt allerdings der Gedanke, dass es womöglich eine Art von Heimzahlung dafür geben könnte, sobald er in der Lage ist seine Teleportation richtig zu beherrschen. Ja, etwas womit er Wolverine vielleicht sogar erschrecken, oder aber zumindest ärgern könnte. Die Vorstellung gefällt ihm irgendwie ziemlich gut. Und so ist es nicht sonderlich verwunderlich, dass dieser vorfreudige Gedanke der letzte ist, den er an diesem Tag hat, bevor ihm am Abend die Augen zufallen und er in einen tiefen, aber überaus zufriedenen Schlaf abdriftet. Dafür muss er sich dann noch nicht einmal in seinem Schrank verstecken!


Nachwort zu diesem Kapitel:
Oh Gott, du hast in dieser Nacht so väterlich über mich gewacht. Ich lob und preise dich dafür und dank für alles Gute dir. Bewahre mich auch diesen Tag vor Sünde, Tod und jeder Plag. Und was ich denke, rede und tu, das segne, bester Vater du. Bewahre auch, ich bitte dich, du heiliger Engel Gottes mich. Maria, bitt an Gottes Thron für mich bei Jesus deinem Sohn, der hochgelobt sei allezeit von nun an bis in Ewigkeit. Amen.
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