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end the world as we know it

von

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VI

Die Kätzchenbox zog nicht in Mr Knights Buchregal.

Als Percy am Dienstag aus der Mittagspause kam, stand sie unter Terrys Tisch. Das Ding sah nur entfernt wie ein Pappkarton aus, mit seinen plüschigen Decken und dem kleinen Berg an Spielzeugmäusen. Terry hexte noch daran herum, als Percy eintrat. Oder zumindest versuchte er das, denn Ceylon hatte andere Pläne. Gerade kauerte sie auf der Tischplatte und beobachtete jede Bewegung. Ihr Schweif peitschte abwechselnd gegen den Becher mit Federkielen und ein offenes Tintenfässchen. Kaum hob Terry seinen Zauberstab zu weit nach links, stürzte sie sich auf ihre Beute. Klatscherkatze und Hand kollidierten, Terry schrie auf und Lestrange, der das ganze mit einem Sandwich in der einen und seinem Gehstock in der anderen Hand beobachtete, lachte.

Percy zog die Augenbrauen zusammen.

»Nur um dem Protokoll genüge zu tun, möchte ich darauf hinweisen, dass das gegen neun Regeln der Hausordnung verstößt.«

Terry, der gleichzeitig jammerte, kicherte und sich die Zauberstabhand rieb, verstummte. Er murmelte etwas, das verdächtig nach »Spaßbremse!« klang.

Lestrange warf ihm einen langen Blick zu.

»Sie haben das doch nicht etwa nachgeschlagen?«

Und ob Percy das hatte. Gestern war er - sehr zu Gillians Leidwesen - während der Mittagspause die Hausordnung durchgegangen. Sie hatte sich die ganze Zeit über beschwert. Über das Steak, das mehrfach versucht hatte, von ihrem Teller zu fliehen. Über den siebenhundert Seiten schweren Wälzer, der auf dem Kantinentischchen mehr Platz einnahm als ihr Tablett. Darüber, dass Percy zu ihren Beschwerden kaum mehr als »Hm« und »Wenn man sie erwischt, wird man uns alle feuern« zu sagen hatte.

Doch das war es wert gewesen. Er konnte sie jetzt zitieren. Alle.

§ 343:              Das Halten von magischen wie nichtmagischen Tierwesen in den Räumen des Zaubereiministeriums ist verboten. Eulen für das Versenden von Nachrichten und Lieferungen werden durch die Zweigstelle in der Winkelgasse bereitgestellt.

§ 344:              Das Mitbringen von Haustieren, auch temporär, ist untersagt. Dies gilt auch für Eulen, Katzen und Kröten. (Das Zaubereiministerium ist nicht Hogwarts!!!)

§ 475:              Tierwesen, die durch die Abteilung zur Führung und Aufsicht Magischer Geschöpfe beschlagnahmt wurden, dürfen für den Zeitraum der Untersuchung in den dafür vorgesehenen Räumen untergebracht werden.

§ 635:              das Aufbewahren lebender Zaubertrankzutaten ist nur in den dafür vorgesehenen Laboratorien gestattet.

Lestranges Anwesenheit schwand aus seinen Gedanken. Als er zu ihm sah, grinste der Todesser noch immer.

Percy schnaufte hörbar.

Die Einzige, die ihn dafür nicht schief von der Seite ansah, hatte sich von ihrer Beute losgesagt - sicher weil Terrys Zauberstab nun reglos auf dem Parkett lag - und strich ihm um die Beine. Er beugte sich zu ihr und kraulte sie hinter den Ohren.

»Dir würden diese Regeln nicht gefallen«, sagte er, während er über ihren Rücken strich. »Nein, würden sie wirklich nicht. Diese beiden sind unverantwortlich.«

»Meowww«, antwortete Ceylon und drehte schnurrend eine weitere Runde um seine Waden. Heute war sie selbst für Ceylon-Verhältnisse anhänglich.

»Er will uns ein schlechtes Gewissen einreden«, warf Terry ein. »Das tut er immer.«

Zur Antwort biss Lestrange von seinem Sandwich ab. Auf Entfernung sah der Belag ziemlich grün aus, doch Percy hatte nicht vor, sich auch noch damit zu beschäftigen. Regeln zum Verzehr von Lebensmitteln gab es in der Hausordnung ziemlich sicher auch.

Er erhob sich wieder.

»Ich habe Ihre Akten vollständig sortiert und entsprechend weitergeleitet. Miss Nguyen wird heute Nachmittag mit der Bearbeitung beginnen und sich bei Ihnen melden, sobald sie fertig ist. Die für Sie bestimmten Ordner finden Sie in Ihrem Posteingang, Mr Lestrange«, sagte er. »Zudem bin ich mit der Bearbeitung der ersten Akten fertig. Wenn Sie wünschen, bringe ich sie zum Gegenzeichnen in Ihr Büro.«

Den Mund immer noch voller Sandwich, nickte Lestrange zustimmend.

»Sie kommen klar, Terry?«, fragte er, nachdem er geschluckt hatte. Mit einem Wink seines Sandwichs bedeutete er Percy, ihm in sein Büro zu folgen.

»Natürlich, Sir.« Terry wollte die Hand schon zum Hexen heben, als er verstand, dass sein Zauberstab ihm nicht von allein zurück in die Finger fliegen würde. Fluchend drehte er sich um und tastete hinter sich.

Ceylon nahm dies zum Anlass, sich von Percys Beinen abzuwenden. Percy beobachtete sie noch einen Moment dabei, wie sie auf den Boden kauernd in Richtung Zauberstab schlich, dann wandte er sich kopfschüttelnd ab.

 

Eine Viertelstunde später saß er Lestrange gegenüber, einen Stapel rosafarbener Pergamentordner zwischen ihnen. Während der Todesser immer noch aß, drehte sich Percys Magen mit jeder Minute, die verstrich, ein bisschen mehr um. Ein Teil von ihm wäre am liebsten aus dem Büro geflohen. Dem anderen Teil war bewusst, dass es nicht half, wenn er sich jetzt verkroch.

Keine Gefallen, hatte Lestrange gesagt.

Die Frage war nur, was Lestrange als Gefallen definierte.

Wenn der Todesser Percys Nervosität bemerkte, ging er nicht darauf ein. Er blätterte nur ungerührt weiter. Schließlich, auf der letzten Seite angekommen, legte er sein Mittagessen zur Seite. Er griff nach einer seiner Federn und tunkte sie in ein bereitstehendes Tintenfass.

Seine Hand zitterte kaum merklich, während er seine Signatur unter den Bericht setzte. Dennoch: Seine Handschrift war viel filigraner, als Percy es von einem Todesser - einem Todesser, der in Askaban eingesessen hatte, überdies - erwartet hätte. Verdammt, er nutzte sogar einen angeschnittenen Federkiel, mit dem er die Strichstärke variieren konnte.

Rabastan L. Lestrange

Selbst überkopf war der Schriftzug gut lesbar.

Er besiegelte Percys Arbeit - und ein Schicksal.

Ein pelziger Geschmack breitete sich in Percys Mund aus. Er schluckte, doch die Übelkeit verschwand nicht. Das Geräusch klang laut genug in seinen Ohren, dass er sich sicher war, dass auch Lestrange es gehört haben musste. Der jedoch schlug nur ungerührt den Ordner zu und griff nach dem nächsten.

Der Name Penelope Clearwater leuchtete ihm schwarz auf rosa entgegen. Das Bedürfnis, dieses Büro zu verlassen und sich irgendwo zwischen seinem Schreibtisch und Nguyens Magical BBQ zu verstecken, wurde größer.

Mit aller Seelenruhe überflog Lestrange die Seite mit den persönlichen Angaben. Vor- und Nachname. Namen der Eltern. Geburtstag und -ort. Zauberstab. Hogwartshaus und beruflicher Werdegang. Pennys Bewerbungsfoto blickte zu ihm hoch. Damals, nach dem Schulabschluss, hatte sie sich die Haare ganz kurz schneiden lassen. Auf dem Bild trug sie den taubenblauen Umhang, den sie extra für ihre Bewerbungen gekauft hatte. Er fragte sich immer noch, woher das Ministerium das Foto hatte.

Auf den weiteren Seiten folgten mehr persönliche Angaben, als Percys Meinung nach in einer solchen Akte hätten stehen sollen. Das meiste war bereits vorausgefüllt gewesen, ein Teil davon wirkte nicht neu. Nur die Angaben zu ihren Eltern stammten aus Percys Recherchen. Die Mutter Muggel, der Vater ein gewisser David Smith. Amerikaner. Nach einem Zwischenfall in Ilvermorny war er in den Sechzigern nach Hogwarts gewechselt. Nach seinem Abschluss hatte er für eine Weile in der Abteilung für magische Unfälle und Katastrophen gearbeitet und sich schließlich mit einem Laden in der Winkelgasse selbstständig gemacht. Eines Tages war sein Labor explodiert und er mit ihm. Die Unterlagen von seiner Zeit im Ministerium existierten noch. Unter ihnen waren Bilder, die ihn mit einem jungen Mädchen zeigten, aber keinen Hinweis darauf, dass das Mädchen seine Tochter war. Percy hatte sie dennoch an seinen Bericht angehangen.

Andere Unterlagen aus der Zaubererwelt gab es nicht. Das St.-Mungo-Hospital führte keine Dokumente über ihre Geburt, da sie in einem Muggelkrankenhaus in Stoke-on-Trent geboren worden war. Pennys magisches Leben begann mit ihrer Einschulung in Hogwarts.

Auf der anderen Seite des Schreibtisches streckte Lestrange sich wie eine Katze. »Also?«, fragte er schmatzend, »Wer ist dieses Mädchen?«

Percy riss den Kopf hoch. Bei Merlins Bart, woher hatte er-? Wie hatte er-?

Er öffnete den Mund, schloss ihn wieder.

»Hören Sie auf, meine Gedanken zu lesen«, sagte er schließlich. Im Nachhinein betrachtet war das vielleicht nicht die beste Verteidigung, die er hätte vorbringen können.

Lestrange lachte.

»Ich lese nicht Ihre Gedanken, Percy, ich lese Ihr Gesicht.«

Percys Nackenhaare stellten sich auf.

»Ich weiß nicht, wovon Sie reden.«

Zur Antwort rollte Lestrange mit den Augen.

»Sehen Sie? Genau das ist das Problem, Mr Weasley«, sagte er. »Sie mögen ein passabler Okklumentiker sein, aber sind ein furchtbarer Lügner.«

Unter dem Tisch ballte Percy die Hände zu Fäusten. Protest brodelte in seinem Rachen und zu gern hätte er widersprochen, doch er spürte, wie ihm die Hitze in die Ohren schoss. Vermutlich glühten sie bereits wie zwei überreife Tomaten. Gillian wusste, was das bedeutete. Deborah wusste, was das bedeutete. Verdammt, vermutlich wusste es selbst Terry und der interessierte sich sonst nur für seine Akten und graue, klatscherförmige Katzen.

»Also, wer ist sie?«

»Das geht Sie nichts an.«

Er spürte Lestranges Blick auf sich, doch dieses Mal hatte er nicht das Gefühl, dass der Todesser versuchte, in seinen Geist einzudringen. Er wartete.

»Wir waren gemeinsam auf Hogwarts«, sagte er schließlich. »Ich habe ihr keinen Gefallen getan.«

»Aber Sie wollten ihr einen Gefallen tun.«

Percy schnaubte. Seine Handflächen brannten, dort, wo sich seine Fingernägel in seine Haut bohrten.

»Ich habe versucht, über das North Staffordshire Royal Infirmary Angaben bezüglich ihrer Geburt zu erhalten. Der Aufbewahrungszeitraum ist verstrichen. Wenn es Unterlagen gab, wurden diese bereits vor Jahren vernichtet. Ich nehme an, dass Pen…elope Clearwater im Besitz ihrer Geburtsurkunde und weiterer Unterlagen ist, ging allerdings davon aus, dass es nicht gewünscht ist, dass ich selbige anfordere. Also nein, ich habe ihr keinen Gefallen getan.«

Jedes Wort schmeckte nach Verrat. Obwohl Gillian - die in Heilzaubern deutlich besser war als ihre Schwester - sich seiner Wange angenommen hatte, kribbelte seine rechte Gesichtshälfte. Anklagend.

»Es wird nicht reichen, habe ich recht?«

Lestrange blickte nach unten auf das Foto einer fünfjährigen Penny, die in die Kamera strahlte. Percy fragte sich, ob sie wusste, dass diese Bilder existierten. Lestrange hatte kein Recht, sie sich anzusehen. Sie beide hatten kein Recht, sie sich anzusehen.

»Ich bin nicht derjenige, der das entscheidet«, antwortete Lestrange.

Percy sprang schneller aus seinem Stuhl auf, als er hätte nachdenken können. Er schlug mit den Fäusten auf den Tisch. Sein Blick fiel wieder auf die Bilder. Penny mit fünf. Penny mit sieben. Penny lachend und winkend.

Nenn mich nicht Penny.

»Sie sind hier der verdammte Todesser! Wenn Sie das nicht entscheiden, wer dann?!«

Lestrange schloss den Ordner. Sein Blick glitt über Percy, über seine glühenden Ohren, über seine bebenden Schultern, über seine kalkweißen Hände. Das dünne Lächeln, von dem er vermutlich glaubte, dass es aufmunternd sei, erstarb.

»Nein«, sagte er. »Nein, es wird nicht reichen. Nicht so. Nicht auf lange Sicht. Nicht in diesem Land.«

Percy öffnete den Mund, doch bevor er etwas hätte sagen können, stand Lestrange auf. Sein Stuhl knarrte über das Parkett. Sie waren beinahe auf gleicher Höhe.

»Denken Sie wirklich, dass Sie irgendjemanden mit ein paar Änderungen in einem rosafarbenen Ordner retten können? Ein paar Zeilen hier? Ein falscher Name dort?«

»Diese Akten dienen als Grundlage für die Arbeit der Registrierungskommission für Muggelstämmige-«

»Diese Akten sind nicht mehr als ein Haufen Papier. Sie sind aufwendig in der Pflege und wenn man sich ihrer entledigen will, brennen sie wie Zunder.«

»Aber, die Regeln-«

»Ja, die Regeln. Gesetze. Richtlinien. Verordnungen. Noch mehr Papier. Percy? Da liegt ihr Fehler. Sie glauben immer noch an das Ministerium. Sie glauben immer noch, dass das hier eine Anomalie ist. Dass das hier nichts weiter als ein Todesser ist, der sich ins Ministerium geschlichen hat und den irgendwer früher oder später seiner gerechten Strafe zuführen wird.«

Percy biss die Zähne aufeinander. Während seiner Zeit in Hogwarts hatte er sich selten wie ein Gryffindor und meistens wie ein Hochstapler gefühlt. Ein Schwindler. Ein Irrtum. Selten hatte er sich so sehr wie ein Gryffindor gefühlt, wie jetzt. Vage war er sich bewusst, dass das der falsche Zeitpunkt war.

»Ist es das nicht? Ihr Lord«, er spie das Wort aus. »Sie und Ihresgleichen haben Scrimgeour ermordet und die Macht an sich gerissen. Und jetzt sitzen Sie hier hoch und trocken und jagen Muggelgeborene!«

Lestrange schüttelte den Kopf. Seufzend fuhr er sich mit der linken Hand über seine Schläfen. Percys Blick blieb an den fünf Punkten oberhalb seines Daumens hängen.

»Das hier ist keine Anomalie, Percy. Es ist die logische Fortsetzung. Glauben Sie wirklich, dass diese Akten«, er ließ seine Hand auf Penelopes Namen sinken, »eine neue Erfindung sind? Nein. Die Farbe mag eine andere sein, aber so einen Ordner gibt es auch mit meinem Namen. Mit dem meines Bruders. Dem meiner Schwägerin. Dem ihrer Schwestern. Vermutlich auch mit Ihrem Namen, Percy, und den Namen Ihrer Eltern. Diese Akten sind nicht neu. Die Prozesse sind nicht neu. Mein Bruder und ich hatten nicht mehr als einen Scheinprozess. Dasselbe gilt für Augustus Rookwood. Rowan Montague. Phoenix Selwyn. Sirius Black hatte gar keinen Prozess. Die beiden Letztgenannten waren unschuldig und Montague zumindest nicht für das verantwortlich, für das man ihn verurteilt hat. Vor unserer Generation traf es die Squibmärsche und davor die Magier, die sich gegen Archer Evermondes Notfallgesetzgebung auflehnten.«

»Sie wollen sich nicht ernsthaft mit den Squibmärschen gleichsetzen.«

»Nein, nur die Methoden des Ministeriums. Das hier ist nichts, was nicht schon seit Jahrzehnten so war. Es richtet sich nur gegen andere Ziele. Verstehen Sie mich nicht falsch, Mr Weasley. Sie sind ein guter Mann. Ehrlich, loyal, bemüht, das Richtige zu tun. Sie glauben an das Ministerium. An Recht und Ordnung. Daran, dass das richtige Team schon gewinnen wird, wenn Sie nur nach den Regeln spielen. Es wird ihnen nur nichts nützen. Das hier ist nicht die Quidditchliga. Das hier ist dreckiger Hinterhof-Quodpot. Geben Sie es auf.«

 

 

»Du siehst aus, als würdest du bald etwas furchtbar Dummes tun.«

Ächzend ließ Percy sich auf den freien Stuhl in Gillians Bürozelle fallen. Seine Brille ignorierend vergrub er das Gesicht in seinen Händen.

»Habe ich schon.«

Stoff raschelte und die leere Teetasse auf Gillians Tisch klirrte, dann schob sich das Weinrot von Gillians Umhang in sein Blickfeld. Sachte berührte sie den Rahmen seiner Brille. Als er nichts sagte, zog sie das Gestell unter seinen Fingern hervor. In seinem Augenwinkel konnte er sie verschwommen dabei beobachten, wie sie die Gläser mit dem Saum ihres Umhangs putzte.

»Also«, sagte sie, während sie seine Brille gegens Licht hielt. »Rede.«

Percy presste seine Handballen auf seine Augen.

»Er weiß von Penny.«

»Dann weiß er mehr als ich.« Gillian senkte seine Brille, um eines der Gläser nachzupolieren. »Wer ist Penny?«

Percy löste die Hände weit genug von seinem Gesicht, um seine Stirn mit den Fingerspitzen massieren zu können. Sterne blitzten vor seinen Augen. Zwischen den Schatten, die seine Finger warfen, verschwamm Gillians Bürozelle zu einem bunten Chaos. Das Poster von den Weird Sisters erkannte er nur, weil er wusste, wo sie es aufgehangen hatte. Die blauen Aktenordner, mit denen sie noch nicht angefangen hatte, waren ein großer, blauer Fleck. Er atmete tief durch.

»Du erinnerst dich an die Frau aus dem BBQ?« Er biss sich auf die Unterlippe, doch jetzt war ohnehin alles zu spät. »Penny … Penelope Clearwater. Sie ist … meine Ex-Freundin.«

Noch während er sprach, blickte er auf. »Hat dir Hayley das nicht längst erzählt?«

Gillian schnalzte mit der Zunge. »Das mit dem Veilchen? Brühwarm. Das und dass du nicht die 73 bestellt hast. Ich bin enttäuscht.« Ihr Umhang raschelte, als sie den Arm senkte und seine Brille neben ihn auf den Tisch legte. »Alles andere? Nope. Wenn meine Schwester etwas mehr mag als Glitzereistee, dann sind es ihre Geheimnisse.«

An jedem anderen Tag hätte Percy bei der Erinnerung an diese scheußliche Schrumpelfeigenmischung gelacht, doch heute brachte er nicht mehr als ein Schnaufen zustande. Es klang ein bisschen so, als würde er ersticken.

»Ihre Mutter ist Sozialarbeiterin in Leeds. Ihr Vater war ein Magier. Ist vor über zehn Jahren zusammen mit seinem Labor explodiert.«

»Aber sie hat keine Beweise.«

Dumpf schüttelte Percy den Kopf.

»Sie hat Angst, dass die, die sie hat, nicht anerkannt werden.«

»Also hat sie dich darum gebeten, nachzuhelfen. Hast du nachgeholfen?«

Er atmete durch.

»Hätte ich das getan, wäre ich längst auf meinem Weg nach …«

Askaban.

Das Wort formte sich in seinem Hals zu einem Kloß, der sich nicht schlucken ließ. Nein, er hatte es nicht getan. Er war nicht auf dem Weg nach Askaban. Penny schon.

Gillian verstand ihn auch so. In seinem Augenwinkel sah er, wie sie einen Blick auf ihre eigene Arbeit warf. Mit spitzen Fingern öffnete sie den obersten Ordner.

»Wenn das nicht das Dumme war, das du getan hast, was war es dann?«

Percy schluckte noch immer an dem Kloß in seinem Hals.

»Er hat mich nach ihr gefragt.«

»Und dann?« Sie ließ die Akte wieder zufallen. »Hast du sie angeschwärzt oder hast du das gegryffindort?«

»Beides.«

»Oh«, sagte sie. »Oh Percy.«

»Oh Percy! mich nicht.«

»Natürlich nicht. Würde mir im Traum nicht einfallen.«

Einen Moment lang schwiegen sie beide. Das Rascheln ihres Umhangs schreckte ihn auf. Er sah gerade noch rechtzeitig auf, um ihrer Hand dabei zuzusehen, wie sie sich auf Höhe seines Gesichts hob. Ihr Zeigefinger schob sich unter die Spitze ihres Daumens und dann-

»Au!«

»Oh Percy.«

Percy rieb sich über die Stirn.

»Wofür war das?«

In seinem Augenwinkel musterte Gillian gerade ihre Fingernägel. Sie behauchte den Nagel ihres Zeigefingers und rieb dann mit ihrem Daumen darüber.

»Gryffindorabwehrmechanismus.« Bevor Percy protestieren konnte, senkte sie ihre Hand. »Komm schon, Percy. Du hast den Kopf noch auf den Schultern und wir haben Feierabend.«

Er rieb sich erneut über die Stirn. »Es ist erst halb fünf.«

»Und du bist seit vor um acht hier. Also? Du siehst aus, als könntest du einen Feuertopf gebrauchen.«

Nicht auch das noch. Der von letzter Woche brannte sich immer noch durch seine Zunge. Seine Begeisterung musste sich in seiner Mimik spiegeln, denn Gillian hob beschwichtigend die Hände.

»Schon gut, schon gut. Wir könnten auch ins Waiter On The Way gehen. Dort kriegen wir zwar keinen Du-bist-meine-Lieblingsschwester-Rabatt, aber der neue Kellner ist heiß.«

»Wie kannst du jetzt an heiße Kellner denken?!«

»Ich kann immer an heiße Kellner denken. Du nicht?« Gegen seinen Willen tauchte Craigs Gesicht vor seinem inneren Auge auf. Und obwohl er nichts sagte, fühlte Gillian sich offensichtlich bestätigt. »Also. Außerdem ist Lestrange schon vor zehn Minuten durch diese Tür verschwunden. Wer soll uns schon verpfeifen?« Verschwörerisch senkte sie die Stimme. »Terry?«

Die logische Antwort darauf lautete: Unter den aktuellen Bedingungen mussten Sie wohl damit rechnen, dass jeder und die Hauselfen sie - beabsichtigt oder nicht - verraten würden.

Die Realität sah anders aus. Sie steckte gerade mit ihrem Kopf unter Terrys Schreibtisch und murmelte Dinge wie »Hier, Miezi-Miezi-Miez!«, »Komm, CeyCey, Thunfisch magst du doch?« und »Was ist nur mit dir los, Süße?«

Obwohl er Terry aus Gillians Bürozelle so oder so nicht hätte sehen können, folgte er ihrem Blick in Richtung ihres Kollegen. In seinem Augenwinkel zog Gillian die Augenbrauen hoch. Er griff nach seiner Brille.

»Schön, du hast gewonnen.«

 

Ceylon saß nicht, wie von ihrem Kollegen vermutet, hinter dessen Aktenschrank, sondern hatte sich in dem Wintermantel eingerollt, den Terry auf seinem Tisch hatte liegen lassen, und beobachtete ihn mit ihrem großen bernsteinfarbenem Auge. Percy strich ihr im Vorbeigehen über den Kopf. An Ceylon vorbei führte sie ihr Weg zu den Fahrstühlen und von dort ins Atrium. Als sie im zweiten Stock hielten, fürchtete Percy kurz, Yaxley würde zu ihnen steigen, doch es waren nur zwei Auroren. Die beiden diskutierten darüber, ob es der linke Haken gewesen war, der den Volltrottel (ihre Worte, nicht Percys) auf die Bretter geschickt hatte, oder der Confringo in seinen Rücken. Keiner der beiden Männer schenkten ihnen auch nur die geringste Beachtung.

Im Atrium, als Percy bereits hoffte, für heute keinen Todesser mehr sehen zu müssen, sah er Yaxley doch noch. Gillian und er hatten gerade das fürchterliche Monument in der Mitte der Halle passiert, da leuchtete sein platinblonder Zopf aus einer Gruppe schwarz gekleideter Männer hervor, die den Zugang zum Kaminbereich allein durch ihre Anwesenheit blockierten. Gerade verteilte einer der Männer Flugblätter an die Gruppe. Keiner von ihnen schien sich auch nur im Geringsten dafür zu interessieren, dass sie damit Besucher und Angestellte gleichermaßen behinderten.

Percy presste die Lippen aufeinander. Fest entschlossen, dem Kerl keine weitere Gelegenheit zu geben, ihn zu beleidigen, blickte er an der Gruppe vorbei auf die verbleibende Seite des Zugangs. Wenn sie jetzt einen Bogen schlugen-

Nein.

Da stand Lestrange, in ein Gespräch mit Gladys Adwater vom Internationalen Magischen Handelstandardausschuss vertieft. Im Gegensatz zu seinem Kollegen behinderte er zwar niemanden, doch er war trotzdem da.

»Kommst du?«, hörte er Gillian fragen. Als sie seinen Blick bemerkte, fügte sie hinzu: »Keine Sorge, er wird dich nicht fressen. Dazu müsste er dich sehen.«

Zwar nickte er, doch glücklich war Percy damit nicht. Da Yaxley zumindest im Moment das kleinere der beiden Übel war, nickte er Gillian zu und reihte sich mit ihr in den Strom von Besuchern ein, die sich an Yaxley und seinen Handlangern vorbeidrängelten. Die Männer trugen keine Uniformen, wie er jetzt feststellte. Vielmehr war es ein wirres Sammelsurium an Umhängen, die einen aus Leder, die anderen aus dicker Wolle und zumindest einer aus einem Hauch von Seide. Der Typ mit der Bisswunde war unter ihnen. Hier, jetzt, in diesem Kontext fragte er sich nicht mehr, wie er sich hatte beißen lassen können. Es waren Greifer.

»Haben Sie mich verstanden?«, schnarrte Yaxley über die Köpfe der Männer hinweg. »Wir bezahlen Sie weder fürs Herumlungern, noch für-«

Der Rest des Satzes ging in einem Ellbogen unter, den ihm eine Hexe mit langen, schwarzen Locken in die Rippen stieß. Bevor er sich hätte beschweren können, war sie bereits zwischen den Abreisenden vor ihm verschwunden. Nur eine Reihe von »Passen Sie doch auf!«-Rufen und Flüchen auf Merlins Gemächt wiesen noch darauf hin, dass sie tatsächlich da gewesen war.

»Diesmal keine Nasenexperimente«, hörte Percy einen der Greifer sagen. »Fick dich«, sagte ein anderer. Irgendwer lachte. »Fir Street«, sagte ein Dritter. Percy hätte ihn beinahe überhört. »Cadishead. Manch-«

Irgendwer trat ihm in die Hacken. »Au! Was soll denn das?!«, beschwerte er sich, doch dann hatte er den Engpass passiert. Wie ein Luftballon, aus dem die Luft entwich, spie der Zugang ihn in den Korridor. Zu seiner rechten und linken leuchteten im Sekundentakt Kamine auf. Er drehte sich einmal um sich selbst, desorientiert, doch wer auch immer ihn getreten hatte, war längst nicht mehr zu sehen.

»Percy! Hey! Können wir dann gehen?«

Immer noch eine Hand auf seinen Rippen, drehte Percy sich um. Es dauerte einen Moment, bis er Gillian zwischen zwei Reihen mit abreisenden Magiern entdeckte. Er blinzelte.

Sie verschränkte die Arme vor der Brust. »Träumst du?«

Was hatte er eben noch einmal gehört? Oh, richtig.

»Gillian-«, er schüttelte den Kopf. »Sie haben Pennys Adresse.«

»Hat sie einen Plan B?«

»Nein, aber deine Schwester.«



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