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Die Legende von Coleman ó Muireadhaigh

Als die Fabelwesen Irland retteten
von

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Die Schlacht von Cair Donnach

Ein kleiner Weiler, verschneit und abgelegen. Das Wasser im steinernen Becken war seltsamerweise nicht gefroren, trotz der eisigen Temperaturen, die herrschten. Die kleine Lichtung lag gut versteckt in einem dunklen Wald. Dieser Ort war im nahegelegenen Dorf Cair Donnach eine Art Heiligtum. Man nannte ihn „Glade na sióga“, die Lichtung der Feen.

Nahe dem Becken stand eine Holzschale mit noch dampfendem Irish Stew und einem Humpen Bier. Im Weiler selbst glitzerten Kupfer- und Silbermünzen. Ungewöhnlich, war Cair Donnach nicht unbedingt ein reiches Dorf. Die Bewohner gaben aber das Wenige, das sie hatten, und das sogar bereitwillig, wie auch zahllose Reisende und Pilger.
 

Dieses Refugium im Wald war die Heimat von Coleman ó Muireadhaigh. Sein Name war jedem Kind und Erwachsenen in Cair Donnach, aber auch in großen Teilen Irlands, ein Begriff. Der Far Darrig wurde als Held gefeiert. Das Essen verschwand tatsächlich, genauso wie auch die metallenen Opfergaben; und so lebte die Legende von Coleman ó Muireadhaigh weiter. Die Geschichte hatte sich nämlich so zugetragen:
 

Am Rande des Weilers stand ein kleiner Kobold. Er war ganz in Rot gekleidet; Schuhwerk, Mantel, Umhang, sogar der Dreispitz mit seiner imposanten Feder. Der Hut verdeckte die Glatze des feuerroten Haares und unterstrich den gepflegten Backenbart, der im Dunkeln leuchtete.

Gesicht und Haut waren fleckig und dreckig. Die langen, gebogenen Fingernägel hatten einen gelblichen Farbton, was am Tabak lag, den der kleine Mann in seine Pfeife zu stopfen pflegte. Diese fehlte natürlich auch nicht – er paffte sie fleißig.
 

Vor ihm hatte sich ein ganzes Heer an Fabelwesen versammelt. Da waren zuallererst einmal Banshees: Weißgekleidete Frauen, mit langen, schwarzen Haaren. Ihre Augen waren aufgequollen und rot, vom vielen Weinen, die Stimmen heiser und doch kräftig, ob der Schreie, die sie ausstießen und die den heranrückenden Tod ankündigten.
 

Eine Horde Leprechauns schnatterte wie wild. Sie waren alle kleinwüchsig und in grün gekleidet. Die Iren versuchten vergeblich, einen von ihnen zu fangen; wem es gelang, dem war der Goldschatz der kleinen Wesen zugedacht. Einige von ihnen gestikulierten aufgebracht, während andere sich darüber ausließen, dass ihr Schatz gerade jetzt ungeschützt war.
 

Pookas hatten sich nahe der Horde niedergelassen. Die schwarzen Pferde waren den Iren gefürchtet. Sie besaßen zwar die Fähigkeit, auch als Ziege, Hund oder Schaf aufzutreten, schwarz gefärbt versteht sich, doch meist waren Pferde und Ponys das, was die Pookas als Erscheinungsbild bevorzugten. Sie zertrampelten Ernten und Felder, Ziegen, Schafe und Kühe gaben keine Milch mehr, genauso wie Hühner keine Eier legten, wenn sie auf einen Pooka trafen.
 

Die Merrows, Meerjungfrauen und Männer, tummelten sich im Weiler hinter Coleman. Die schönen Meerjungfrauen hielten sich von ihren hässlichen, männlichen Gegenstücken fern. Diese waren bedeckt mit Seetang und Schlamm. Letztere besaßen auch keine Flossen anstelle der Beine, sondern wirklich zwei Füße mit Zehen, zwischen denen sich Schwimmhäute spannten. Ihr dunkles Haar war von Schlamm und Treibgut durchzogen.
 

Eine Schar von Dullahans wartete auf ihren schwarzen Pferden. Die kopflosen Reiter, gänzlich in dunklen Farben gehalten, trugen ihre Köpfe unter dem rechten Arm. Dutzende, leere, bleiche Augenpaare waren auf Coleman gerichtet. In der anderen Hand hielten sie eine Peitsche, mit der sie die Iren auf einem Auge vorzugsweise blendeten, wenn diese nicht bereits beim bloßen Anblick starben.
 

Zu guter Letzt war da noch Abhartach, der legendäre Zwergentyrann Irlands. Die Menschen fürchteten ihn mehr als alle anderen Fabelwesen zusammen. Abhartach, der mächtige Zaubersprüche beherrschte, stand neben Coleman und begutachtete den Haufen. Er strich sich dabei durch den dunklen Zwergenbart. Die Iren glaubten, er würde den Unvorsichtigen das Blut aussaugen.
 

„Meine Freunde!“, rief Coleman mit magisch verstärkter Stimme aus. Schlagartig wurde es auf der Lichtung still. Alle Augenpaare richteten sich auf den Far Darrig, der genüsslich an seiner Pfeife zog.

„Ich weiß, wir arbeiten normalerweise alleine, jeder von uns. Es bereitet uns große Freude, die Menschen ins Unglück zu stürzen, unseren Schabernack mit ihnen zu treiben oder…“, dabei wanderte sein Blick zu den Meerjungfrauen hinter sich „auch einmal nett zu sein.“ Diese kicherten und lachten, was jeden Iren verzückt hätte.
 

„Ich habe euch heute nicht hierhergerufen, weil ich mit meiner Zeit nichts anzufangen weiß. Teure Gefährten, fremde Invasoren bedrohen das Land. Sie kommen von fern der Meere und bringen Tod und Verderben mit sich. Der Hochkönig kann sich nur mit Mühe in seiner Burg verteidigen, während die Normannen brandschatzend durch das Land ziehen. Es wird nicht mehr lange dauern, dann werden sie auch uns ins Visier nehmen.“

Um seine Worte zu unterstreichen, stampfte der Far Darrig mit dem Fuß auf den steinernen Weiler unter ihm. Das kühle Nass war einer der Zugänge in die Welt der Feen.

„Cair Donnach soll unser Brückenkopf sein. Der Feind unseres Feindes muss nicht zwangsläufig unser Freund werden. Mir sind die bekannten Iren lieber, als die fremden Normannen!“
 

Die Menge stimmte in Colemans Worte ein. Sie jubelte, kreischte, weinte oder wieherte.

„Ich habe den Heerzug gesehen, Coleman. Ihre Armee ist schier endlos“, meldete sich ein Dullahan zu Wort.

„Ich weiß, ich weiß“, entgegnete der Far Darrig und hob beschwichtigend die rechte Hand. „Das ist auch kein Kampf, den wir einfach gewinnen werden. In einer offenen Feldschlacht unterliegen wir natürlich.“

Unruhe machte sich in der Meute breit. Gerade die Pookas und Dullahans wollten sich das so nicht gefallen lassen. Viele von ihnen waren mutige Kämpfer und die Iren fürchteten sie aus gutem Grund. Bei den feindlichen Invasoren sah die Situation aber schon anders aus. Sie wussten nichts von den Schrecken, die die heimischen Bewohner heimsuchten, doch das würde sich bald ändern.
 

„Meine Freunde, ich habe einen Plan ersonnen, wie wir uns der lästigen Normannen entledigen werden. Dafür brauche ich aber die Hilfe jedes Einzelnen von Euch.“ Coleman zog erneut an der Pfeife und ließ seine Worte wirken. Aufgeregt unterhielten sich die einzelnen Fabelwesen untereinander. Zusammenarbeiten? Für die Menschen? Das war Wahnsinn. Noch nie in der Geschichte Irlands hatten sich zwei Feenwesen zusammengetan.
 

„Ruhe“, fauchte Abhartach und schnippte mit den Fingern. Ein lauter Knall ertönte, der die Versammlung zum Verstummen brachte. Der alte Zwergenkönig wurde nicht nur von den Iren gefürchtet.

„Seid Ihr bereit, mir zu folgen? Meinen Plan durchzuführen und die Normannen aus Irland zu werfen, damit wir endlich wieder in Ruhe und Frieden leben können? Ich für meinen Teil möchte in meinem Weiler bleiben, den ein oder anderen Reisenden erschrecken und mein Dasein friedlich weiterfristen.“
 

Auch wenn es nicht allen schmeckte, Coleman hatte Recht: Die Iren waren zwar nicht ihre Freunde, doch auch nicht ihre Feinde. Sie fürchteten sie und ließen die Fabelwesen in der Regel auch in Ruhe. Ein paar Wagemutige gab es immer, die versuchten an den Schatz eines Leprechauns zu gelangen, oder eine Meerjungfrau aus dem Wasser zu ziehen. Das waren aber Ausnahmen. Die Menschen waren meist mit sich selbst und ihren Belangen beschäftigt.

„Ja, Coleman, wir wollen dir zuhören und dir folgen!“, rief ein Chor aus Stimmen.
 

„Gut“, lächelte der Far Darrig und deutete mit dem Pfeifenstiel auf die Banshees. „Ihr, meine Damen, werdet das tun, was Ihr am besten könnt: Wehklagen. Schreit euch die Seele aus dem Leib, weint und kreischt, wie ihr es noch nie zuvor getan habt. Die Normannen sollen keine ruhige Minute mehr haben. An Schlaf oder Rast soll nicht zu denken sein. Eure Rufe sollen sie begleiten, Tag und Nacht, und sie in den Wahnsinn treiben.“
 

„Die Pookas“, und damit wandte sich Coleman den schwarzen Pferden zu, „werden auf die Vorräte der Invasoren losgehen. Zertrampelt in der Nacht, wenn euch keiner sieht, Getreide und Rationen. Den Tieren tut ihr aber nichts zuleide.“

Schnaubend stemmten sich die Rösser in die Höhe. Warum sollten sie nicht auch die Tiere unter ihren mächtigen Hufen zertreten?

„Kühe, Schafe und Ziegen werden keine Milch mehr geben, die Hühner keine Eier legen. Sie werden sie schlachten müssen, um etwas Essbares zwischen die Zähne zu bekommen. Wie trostlos die Lager der Normannen sein müssen, wenn erst einmal sämtliche Tiere von eigener Hand geschlachtet worden sind?“, beantwortete der rotgekleidete Kobold die unausgesprochene Frage seiner Mitstreiter.
 

Coleman drehte sich um, zu den Meerjungfrauen und Männern. „Merrows, das bringt mich zu euch. Ziegen, Kühe und Schafe geben normalerweise Milch, müssen aber auch getränkt werden. Die Fremdlinge werden sich entscheiden müssen: Milch oder Fleisch? Ihr werdet nämlich jeden, der töricht genug ist, sich in die Nähe eines Gewässers zu wagen, in die Tiefe ziehen. Sie sollen das Wasser meiden, vor lauter Angst, ein kaltes Grab zu bekommen.“
 

Der Far Darrig drehte sich wieder um und sah auf die Leprechauns herab. „Die Normannen sind gekommen, um Reichtümer nach Hause zu bringen. Geben wir ihnen, was sie wollen. Lasst sie in Gold ertrinken.“

Die grüngekleideten Gnomen bliesen die Backen auf. Was sollten sie? Ihr ganzes Gold opfern? War dieser Coleman verrückt geworden? Das würden sie nie machen! Niemals!

„Ihr alten Geizkragen könnt es sowieso wieder an seinen angestammten Ort zurückzaubern. Also habt euch nicht so!“

Ein wütender Blick Abhartachs, der hinter Coleman stand, ließ die Leprechauns verstummen. Schon gut, sie lenkten ja ein, es war schließlich zu einem größeren Wohl. Außerdem hatte Coleman Recht.
 

„Unseren kopflosen Kollegen“, begann Coleman und deutete mit dem Pfeifenstiel ausladend auf die Dullahans, „werden in den Lagern für Angst und Schrecken sorgen. Erschlagt und blendet so viele Invasoren wie möglich. Die kopflose Kavallerie soll in die Geschichte eingehen, als der Schreck der Normannen! Bei Nacht und Nebel fegt ihr durch ihre Lager und verschwindet, bevor sie wissen, wie ihnen geschieht.“

Tobend hielten die Dullahans ihre Köpfe in die Höhe und brüllten wie wild.
 

Die gesamte Gruppe richtete ihren Blick nun auf Abhartach und Coleman. Was würden sie tun? Nur dastehen und zusehen, wie die anderen schufteten? Niemand wagte es, diesen Gedanken auszusprechen: Abhartach war ein äußerst böser Zwerg, der auch vor ihnen nicht Halt machte.
 

„Ich werde mir den König vornehmen, während Abhartach uns mit einer Armee versorgt, wie die Welt sie noch nie gesehen hat. Irlands Tote sollen sich ein letztes Mal erheben, als Fear Gorta. Unser Heer wird aus einer Schar niemals müder Krieger bestehen, die Tag und Nacht kämpfen werden!“
 

Einen kurzen Augenblick herrschte Stille, bevor ein Tosen auf der Lichtung ausbrach, wie es die Menschen noch nie gehört hatten. In Cair Donnach fürchtete man sich doppelt: Vor den Normannen und den schaurigen Lauten aus dem nahegelegenen Wald.

„Dann an die Arbeit!“, rief Coleman und klopfte seine Pfeife aus.
 

Knapp vor Cair Donnach hatte sich das Heer des Königs versammelt. Bis weit hinter die Hügel nahe dem Dorfe reiche sein Heerzug. Die Männer waren allesamt schwer gerüstet und gut ausgebildet. Er würde Irland erobern. Auch der Hochkönig würde fallen; die Krone Irlands gehörte ihm. Gerade, als er mit seinen Beratern im Zelt die nächsten Schritte diskutierte, war draußen ein Aufruhr zu hören.

„Was ist denn jetzt schon wieder?“, murrte der Kriegsherr und trat nach draußen. Ihm bot sich ein Bild des Schreckens.
 

Seine Soldaten stoben hin und her. Von den Hügeln hallte ein schauriger Chor. Es klang wie Frauen, die kreischten und weinten. Die Wachen hatten ihre Posten bereits verlassen. Manche hielten sich die Ohren zu, andere liefen in ihre Kameraden hinein. Die mitgeführten Tiere blökten und mähten, während die Pferde unruhig an den Geschirren zogen und sich losrissen.

„Eine Bande von Idioten“, brüllte der König quer durch das Lager. „Das sind irgendwelche Dorftrottel, die euch ängstigen wollen, und ihr fallt auch noch darauf herein. Holt die Pferde zurück, schickt neue Wachen auf ihre Posten und geht dann euren Aufgaben wieder nach. Wir werden morgen die Hügel überschreiten und weiterziehen.“
 

„Sehr gut“, lächelte Coleman, der auf einem der Hügel stand. Er hatte die rechte Hand auf den Schwertknauf gelegt und beobachtete, wie einfach keine Ruhe in das Lager des Königs einkehren wollte. Den anderen erging es ähnlich: Der ganze Heerzug wurde vom Klagen der Banshees heimgesucht. Die ersten Stimmen wurden laut: Das waren keine Menschen.
 

Zu späterer Stunde schlichen sich die Pookas in die Lager. Sie zertrampelten, unter dem Schutz der Schreie der Banshees, sämtliche Vorräte. Mit ihrem Wiehern verstörten sie die Tiere. Ziegen und Schafe hielten die Soldaten auf Trab, manche rissen sich los, andere bockten. Der König tat kein Auge zu, doch wollte er nicht so dumm sein, und auf die List der Iren hereinfallen. Er war schließlich der Anführer der Normannen, mit einem Heer, das die Erde erzittern ließ.
 

Am nächsten Tag war die Aufregung groß. Ein Soldat platzte in das Zelt des Königs: „Mein Herr! Unsere Vorräte sind vernichtet worden. Kein einziges Proviantpaket hat überlebt. Wir haben auch kein Wasser mehr.“

Schnaubend rieb sich der König die Schläfen. „Ihr seid eine Bande von Taugenichtsen, allesamt. Wie konnte sich jemand in unsere Lager schleichen? Peitscht die Wachen aus und schafft neue Vorräte heran. Schlachtet die dummen Tiere… Zieht in die umliegenden Gebiete aus, und tötet alles und jeden, der euch verdächtig vorkommt.“
 

So konnte der König seine Leute aber nicht weitermarschieren lassen. Sie mussten, gezwungenermaßen, einige Tage länger bleiben. Innerlich tobte er. Bisher war die Eroberung Irlands ein Kinderspiel gewesen. Seine Männer waren allesamt frisch und ausgeruht und hatten jeglichen Widerstand mühelos niederschlagen können. Jetzt, so knapp vor dem Sieg, da traten auf einmal Probleme auf.
 

„Ein sturer Zeitgenosse“, murmelte Coleman und paffte seine Pfeife. Noch wollte er den König nicht besuchen. Es war zu früh, er würde noch nicht kleinbeigeben. Die Gier stand dem Mann in die Augen geschrieben.
 

Wie der Far Darrig prophezeit hatte, schlachteten die Normannen reihenweise ihr Vieh. Trotz gutem Zureden, Pflege und jeglichen Tricks der mitgeführten Hirten, waren die Tiere nicht dazu zu bewegen, Milch und Eier zu produzieren. Dazu kam die Wasserknappheit. Mittlerweile traute sich niemand mehr auch nur in die Nähe eines Brunnens, Weilers oder Flusses.
 

„Ich habe ganz deutlich eine Frau gesehen, wunderschön, mein König. Sie hat Robert in den Tümpel hinabgezogen! Ich bin gerade noch mit dem Leben davongekommen.“ Der junge Soldat kniete vor seinem König und erzählte die Geschichte, die er tatsächlich so miterlebt hatte.

„Betrunken bist du, nutzloser Bengel! Peitscht ihn aus und unternehmt endlich etwas gegen dieses Gekreische. Davon wird man ja noch wahnsinnig.“
 

Auf Anordnung des Königs stopften sich alle Männer Schafswolle in die Ohren. Das dämpfte das Geschrei der Banshees zwar ab, machte sie aber auch unempfindlich für jegliche andere Laute. Wer mit seinem Nebenmann sprechen wollte, der musste ihm ins Ohr brüllen.

„Jetzt wird es ein Leichtes sein, das Heer zu dezimieren“, murmelte Coleman, der seinen Posten auf dem Hügel nicht verlassen hatte. Die Menschen konnten ihn nicht sehen, dafür aber etwas Anderes.
 

„Mein König“, schrie ein Soldat und rüttelte aufgeregt an der Zeltplane. „Mein König, das müsst Ihr sehen!“

Der Feldherr trat nach draußen und traute seinen Augen nicht. Berge von Gold waren im Lager erschienen. Mehr, als jeder von ihnen je gesehen hatte. Ein Friedensangebot der Iren?

„Ist es echt?“, fragte der König den Soldaten, der eifrig nickte. „Wir haben uns fast die Zähne ausgebissen. In den anderen Lagern sieht es ähnlich aus.“

Tatsächlich. Dutzende Boten berichteten vom vermeintlichen Goldschatz. Der König würde nicht aufgeben, doch, vielleicht würde er ein wenig gnädiger mit den Iren sein. Andererseits, wenn sie so viel Gold horteten, wie gut musste dann erst die Schatzkammer des Hochkönigs gefüllt sein?
 

Coleman stand noch immer auf seinem Hügel, als es Nacht geworden war. Seelenruhig schritt er diesen hinab. An ihm zogen die Dullahans vorbei, jeder gieriger als der andere, sich mit den Normannen zu messen. Sie wurden von den Pookas unterstützt, während sich in den umliegenden Wäldern und Lichtungen langsam aber sicher die Fear Gorta bereit machten. Schlurfend traten sie aus dem Schutz der Bäume. Knochen ragten aus dem verfaulten Fleisch, die Kleidung nur mehr Fetzen und Lumpen, die an den Toten hingen.
 

„Wir werden angegriffen!“

Der König lief nach draußen. Erneut traute er seinen Augen nicht. Seine Männer kämpften gegen Ross und Reiter ohne Kopf. Das musste ein Trick sein! Ein schlechter Scherz.

„Zu den Waffen“, schrie er und zog sein eigenes Schwert. Der Feldherr stürmte den Abhang hinab und stieß dabei einen Leichnam zur Seite. Mit seiner Waffe durchbohrte er den Feind. Dieser stöhnte und gurgelte, bis er sich schlussendlich nicht mehr rührte.
 

Als der König sein Schwert aus dem Leib des Gegners zog, stutzte er. Da war kein Blut an der Klinge. Etwas packte ihn am Fuß. Der Mann bewegte sich noch. Wie war das möglich? Panisch stach der Feldherr auf seinen Feind ein, immer wieder, schneller, fester, doch dieser hörte nicht auf, sich zu bewegen. Das musste Hexerei sein! Die verfluchten Druiden und ihre Magie. Die Legenden waren wahr!

„Findet die Druiden und tötet sie, jeden Einzelnen!“, wies der König seine Männer an, was aber niemanden zu interessieren schien. Wer nicht den kopflosen Reitern oder den schwarzen Rössern zum Opfer fiel, der suchte sein Heil in der Flucht.
 

„Ihr werdet aber keine Druiden finden, mein König.“

Der Kriegsherr sah von der Leiche auf und erblickte einen kleinen Mann, dessen Bart und Haare im Dunklen zu leuchten schienen. Ein weiterer Trick der Druiden? Magie? Zauberwerk?

„Nicht die Menschen Irlands sind für die Vorgänge in Eurem Lager verantwortlich, sondern wir.“
 

„Wer oder was seid ihr?“, flüsterte der König, der ängstlich nach hinten stolperte. Furcht ergriff sein Herz, packte es, und ließ es nicht mehr los. Um ihn herum wurde es dunkel, dunkler, als die finsterste Nacht.

„Wir sind etwas, das Euer einfältiger Verstand nicht begreifen kann.“ Coleman hatte seine Pfeife noch immer im Mund, während er sprach. Auf den König prasselten Laute ein, die sich anhörten, als wären sie der Hölle selbst entstiegen. Mit jeder Sekunde, die verging, wurde er bleicher und bleicher.

„Von uns gibt es noch viel mehr. Nehmt Eure Männer und geht heim. Setzt nie wieder einen Fuß nach Irland, oder die Toten werden Euch verschlingen.“

Um seine Worte zu unterstreichen, trat der Kobold gegen den Kopf des Fear Gorta, der den König noch immer am Fußgelenk festhielt. Dieser lachte schaurig.
 

„Blast zum Rückzug, blast zum Rückzug!“, schrie der König aus voller Kehle. Nur zu gerne folgten die Männer seinem Befehl. Sie flohen um ihr Leben. Manche von ihnen griffen sich eine Handvoll Gold, bevor sie die Beine in die Hand nahmen. Selbst mit dieser kleinen Geste zeigten die Normannen, wie sie wirklich gestrickt waren. Der König selbst rannte zu seiner Kutsche, sprang auf und lenkte sie aus dem Lager. In ihrem Inneren klimperte es unentwegt. Wenigstens hatte er das Gold.
 

Coleman und seine Mitstreiter beobachteten johlend, wie die Normannen ihre Zelte abbrachen und flohen. Die Invasoren waren vertrieben, endlich.

„Und ich musste nicht einmal kämpfen“, schmunzelte der Far Darrig und klopfte seine Pfeife aus. Das Schwert ruhte dort, wo es schon Tage zuvor, bei der Besprechung, seinen Platz hatte: In der Scheide. Klugheit und List waren natürlich mächtiger als die Klinge, das würde auch der fremde König noch merken.
 

Als dieser in seiner Heimat angelangte, versuchte er die Niederlage in einen Sieg zu verwandeln. Er hatte den Iren ihre Reichtümer geraubt. Damit konnte er genügend Kriege finanzieren und die Welt erobern, bevor er sich erneut Irland zuwandte. Doch als die Truhen geöffnet wurden, die Männer zuhause das erbeutete Gut vorzeigen wollten, fanden sie nichts, gar nichts. Es war verschwunden.

Der König stürmte aus dem Palast, direkt auf den Balkon, von dem er zu seinen Untertanen zu sprechen pflegte. Er riss die Hände in die Höhe, fiel auf die Knie und schrie voller Zorn:

„Verflucht seien die Iren und ihre Zauberei! Jeder Einzelne von Ihnen soll verflucht sein!“
 

Coleman beobachtete das Geschehen aus der Ferne, bevor er sich lächelnd umdrehte und mit der Pfeife gegen den Türrahmen eines Hauses klopfte. Als er über die Schwelle trat, war er wieder in seiner Lichtung.

„Freunde, ich glaube, der König hat seine Lektion gelernt“, lachte der Far Darrig. Alle stimmten ein, sogar der sonst so griesgrämige Abhartach.
 

Dies war das einzige Mal, dass sich die Fabelwesen Irlands versammelt hatten. Cair Donnach ist heute noch eine Pilgerstätte, und der Hochkönig selbst hat einmal eine Opfergabe dargebracht. Coleman beobachtete ihn, bevor er seinen Schabernack mit ihm trieb. Und so lebt die Legende von Coleman ó Muireadhaigh, und der Schlacht von Cair Donnach, weiter.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: irish_shamrock
2020-02-06T16:24:26+00:00 06.02.2020 17:24
Hallo die 2.,

vorab:
Mein Nickname ist KEINE FINTE!
Nichtsdestotrotz bedanke ich mich für dieses kleine, knuffige Original.
Die Aufmachung der PDF war schon schön anzusehen, auch wenn ich das im Kommentar zur YGO!-Story leider vergessen habe, zu erwähnen ._. ...
Aber die Geschichten hatten nicht nur tolle Cover, sondern auch schön gewählte Titel (nicht lachen, ich habe schon einige Wichtelgeschichten bekommen, bei denen es alles andere als geschmackvoll, geschweige denn strukturiert war!).

So,
da es Originale immer ein wenig schwer haben, eine Fanvase zu erreichen, freut es mich umso mehr, dass du nicht davon hast beeindrucken lassen und mir ein kleines, irisches Goldstück beschert hast ♥ ...
So viele Fabelwesen, Mythen und Legenden. Im Großen war alles dabei, was Rang und Namen hatte. Deine Darstellung der einzelnen Wesen war gut gelungen, auch hast du dem Hauptprotagonisten von Anfang bis Ende einen Charakter verpasst, der treffender nicht sein kann.
Tja, die Iren und Normannen ... welch Glück für die Iren, dass ihre treuen, wenn auch schalkhaft-bösartigen Kreaturen die Insel und deren Bewohner verteidigten.
Du hast das irische Flair definitiv gut rübergebracht ♥ und ich hätte wirklich mehr davon lesen wollen.
Schade, dass der Kampf ein so schnelles Ende fand.

Vielen Dank für dein kleines Werk.

Alles Liebe,
irish C:
Antwort von:  SuperCraig
07.02.2020 01:15
Hallo die 2te zurück!

Ich hatte sowas schon vermutet, wer Irland im Namen trägt, sogar mit der Flagge, der muss ein echter Fan sein.
Das mit den Covern war übrigens die Idee einer guten Freundin von mir, sonst hätte ich das fast verschwitzt. Bei Kaiba war es einfacher, hier schon ein wenig schwieriger.
Ich habe wirklich mal nachschauen müssen, welchen RGB-Code die einzelnen Farben der Flagge Irlands haben, dann noch den Farbverlauf hinbekommen, und eine Spiegelung, weil es sich auch ein wenig um den Weiler gedreht hat, das Tor in die Welt der Feen.

Wäre es ein anderes Land gewesen, ich hätte wahrscheinlich aus dem Nichts eine FF gestampft. Die Vergöttlichung Guan Yus, eine Geschichte rund um Kenshin und Bishamonten, wie Susanoo Orochi erschlägt, Fu Xi und Nuwa die Welt erschaffen, Ra und Apophis kämpfen - dabei ist es dann aber Irland gewesen. Damit hatte ich wenig am Hut, und war beim Recherchieren selbst erstaunt, wie viele verschiedene Fabelwesen in dem Fleckchen Land beheimatet sind.

Als ich über den kleinen Mann aus dem Cover gestolpert bin, war es schon um mich geschehen. So was Verschmitztes :D. Eigentlich hätte der Posten des Anführers Abhartach zustehen müssen, aber ich war in Coleman echt ein wenig verknallt. Außerdem war der in den Erzählungen nicht sonderlich teamfähig, und er hatte als eines der mächtigsten Fabelwesen überhaupt eine ziemlich schwierige Aufgabe, die Toten wiederzuerwecken. Da war Coleman als schlauer Kopf hinter den Taktiken besser geeignet.

Es gab da noch eine Geschichte über Werwölfe, die in Ossory beheimatet gewesen sind, da traute ich mich aber nicht drüber. Sie schlafen irgendwie und übernehmen dabei den Geist eines Wolfes, und wenn man sie beim Schlafen bewegt, dann findet die Seele in den Körper nicht mehr zurück, und sie müssen auf ewig Wölfe bleiben - da habe ich mich lieber an den anderen Fabelwesen orientiert. Ein Drache hat sich auch noch angeboten, aber der wurde von einem Mönch bezwungen.

Was ich bemerken durfte ist, dass die Iren eine sehr coole Sprache haben. Ruaidhrí Ua Conchobair wird wohl immer einer meiner Helden bleiben, in doppelter Hinsicht, obwohl das nicht wegen seines Amtes als letzter irischer Hochkönig ist, sondern, da er als Namensvater für den Schwertkönig in DSA diente, und anglisiert O'Connor mit Nachnamen heißt; Connor ist einer meiner Lieblingsnamen.

Gerade bei der FF hatte ich aber Bammel, dass sie dir nicht gefällt. Ich bin nie in Irland gewesen, und wusste wenig drüber. Darum ist sie dann ein wenig kürzer ausgefallen. Wahrscheinlich wäre sie noch ein wenig länger geworden, aber ich hatte bereits eine Version vorher fertig, die dann leider einen zu großen Nacherzählungscharakter gehabt hat. Alles noch einmal neu zu schreiben hat dann doch Zeit gekostet.
Tut mir leid, dass ich da ein wenig geschwächelt habe.

Dass ich hiermit wahrscheinlich wenige Leute erreiche, ist beim Wichteln absolut egal. Ich wollte meinem Wichtelkind eine Freude machen, was auch geglückt zu sein scheint. :)
Falls es dich interessiert, ich habe zum Schreiben der FF das Stück "Mount&Blade music travel vaegir" gehört. Für mich hat es ganz gut gepasst.

Danke auch hier für deinen lieben Kommi! Ich verbuche dieses Wichteln als einen vollen Erfolg.

Liebe Grüße
SuperCraig


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