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Das Lied des Regens

von

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Kapitel 5 – Kay

Als es klopfte, glaubte Kay zuerst, es wäre der Wind, der den Regen besonders stark gegen die Seite des Hauses prasseln ließ. Erst einen Moment später begriff er, dass dort jemand an der Tür sein musste. Ohne lange zu zögern öffnete er und sah eine Frau, die mindestens so nass war wie Luca und er eben noch. Bereits bevor sie erklärte, wer sie war, spürte er, dass etwas an ihr anders sein musste. Im selben Augenblick, als sie aussprach, was sie war, formte sich das richtige Wort für sie in seinem Kopf.

Eine Fee …

Auf einer seiner Reisen hatte er einmal eine Gruppe von Gelehrten beschützt, die jede Menge Geschichten über das Volk der Fae erzählen konnten. An einem Abend, nachdem alle anderen bereits schliefen, hatte eine von ihnen ihn gewarnt, dass, wenn er jemals einer Fee gegenüberstehen sollte, er ihr auf keinen Fall trauen durfte. Dass sie gerne logen, einen gegeneinander ausspielten und nie Gutes im Sinn hatten.

Kay warf einen Blick zurück zu Luka. War es schlau eine Fee hier herein zu lassen? Wäre es sicher? Aber niemand sollte bei diesem Wetter länger als nötig draußen bleiben müssen … Wenn es zudem stimmte, dass sie Hilfe brauchte, wollte er sich ihr Problem wenigstens anhören. Ablehnen konnte er dann immer noch.

Kay öffnete die Tür noch weiter, so dass Calista eintreten konnte. „Komm herein“, sagte er. Sein Haus war nicht dafür gedacht, dass so viele Leute sich darin aufhielten. Langsam wurde es eng, vor allem, mit den nassen Sachen, die von den Leinen hingen und vor sich hin tropften. Der Gastgeber sah sich um, damit er Calista einen Sitzplatz anbieten könnte, aber die einzigen Möglichkeiten waren mit Kleidung belegt.

„Ich bin Kay und das ist Luca“, stellte er sie beide vor, während er die Tür hinter Calista schloss. „Ist etwas eng hier ...“, entschuldigte er den Zustand seines Hauses und deutete vor das Feuer, wo Luca sich niedergelassen hatte und die Suppe in der Kochnische brodelte. „Such dir einfach einen Platz, der dir gemütlich vorkommt.“ Da gab nicht viele zur Auswahl. „Leider kann ich auch nichts zum Abtrocknen anbieten, aber was zu essen?“ Er würde ihr auch etwas Wasser anbieten, aber davon hatten sie wohl alle derzeit erst einmal genug.

Kay selbst blieb vorerst stehen und lehnte sich lediglich an sein Regal, ohne Calista aus den Augen zu lassen. Sein Blick schwankte zwischen Neugierde, Sorge und Zweifel, dass er das Richtige getan hatte. „Und dann … Was ist das Problem?“

Calista, die nahe der Tür stehengeblieben war, sah mit leicht zusammengekniffenen Augen zu ihm. “Das ist leichter, als ich mir das ausgemalt habe”, sagte sie und wölbte überrascht ihre Augenbrauen. “Versteh mich nicht falsch”, fuhr sie rasch fort, “ich bin dankbar für die Gastfreundschaft und dein bisheriges Wohlwollen, dir zumindest mein Problem anzuhören, doch normalerweise schlagen einem die meisten Menschen aus Furcht vor Irrsinn die Türe vor der Nase zu oder holen gleich eine Jahresration Salz, um sie vor Tür und Fenster zu verstreuen – was”, sie verdrehte die Augen, “zwar so manches, aber mit Sicherheit keine Fee fernhalten würde. Doch das ist eine andere Geschichte.” Sie räusperte sich. “Was ich wohl eigentlich fragen wollte ist, woher die Hilfsbereitschaft? Nicht nur einer Fremden, sondern auch jemandem vom Andervolk gegenüber?”

Ihre direkte Frage überraschte ihn. Er musste sogar einen Moment überlegen, ob er sich nicht einfach hatte hinreißen lassen. „Ich würde gerne behaupten, ich weiß einfach, wie ich mich schützen kann, aber das trifft nur auf Menschen zu. Bei allem anderen kenne ich kaum mehr als Geschichten und somit entspräche die Behauptung schlicht nicht der Wahrheit.“

Kay schaute zu Luca, der fasziniert ins Feuer sah und doch ab und an zu der Fremden blickte, als wollte er sie abschätzen und gleichzeitig nicht auffallen.

„Um die Wahrheit zu sagen, finde ich, dass niemand bei diesem Wetter zu lange dort draußen bleiben sollte und vielleicht hoffe ich, dass meine Gastfreundschaft sich positiv auf alles auswirkt, was hier noch passieren wird. Was auch immer das sein wird.“ Immerhin ging es in vielen Geschichten darum, das Gastfreundschaft gebrochen wurde, was meist der Beginn einer sehr schlechten Zeit war.

Calista lächelte breit. Beinahe unnatürlich breit. Oder spielten ihm Licht und Schatten einen Streich?

„Ah, ein Romantiker also. Gefällt mir!“, sagte sie, während ihre Augen amüsiert funkelten. Sie ging zwei Schritte weiter in den Raum und ließ abermals ihren Blick wandern. Ihre Miene blieb dabei eine freundliche Maske, die schwer zu lesen war. Gefiel ihr, was sie hier sah? Kay konnte es nicht sagen.

„Nun, dann wollen wir sehen, wie weit sich deine Gastfreundschaft erstreckt: Ich bin in eurer Welt gestrandet, aber muss dringend wieder zurück. Ihr müsst wissen, dass es, nun ja, Brücken oder Pfade zwischen eurer und meiner Welt gibt und eine ist durch irgendetwas in die Brüche gegangen. Ich kann den Weg dort nicht benutzen, aber kann mit etwas tatkräftige Unterstützung selbst einen Pfad öffnen. Mit eurer Hilfe, wenn es euer Wohlwollen zulässt“, erklärte sie und sah von ihm zu Luka.

Er hatte sich noch nie als Romantiker gesehen, aber wenn sie es so nennen wollte. Auch weiterhin blieb Kay stehen wo er war und beobachtete sie. Ihr Blick zu Luka gefiel ihm nicht, genauso wie dieses unheimliche Lächeln.

„Wie könnten wir dir denn helfen? Mir wäre nicht bewusst, dass Luca oder ich das entsprechende Wissen oder die benötigten Fähigkeiten vorweisen können, oder?“

“Nicht im üblichen Sinne, nein.” Die Fee zögerte, aber schien sogleich zu einem Entschluss zu kommen. “Ich benötige eure Kraft. Nicht die eurer Muskeln versteht sich. Eure Quellkraft. Eure Magie, wenn ihr wollt.”

Kay lag eine zweifelnde Erwiderung auf der Zunge, als sie eilig beide Hände hob. Er verkniff sich die Worte und ließ sie weiterreden.

“Ich weiß, ich weiß: Ihr seid nur Menschen und besitzt so etwas nicht. Nun ja, Überraschung? Ihr besitzt sie schon, könnt nur nicht darauf zugreifen. Zumindest nicht immer und nicht bewusst.”

Calista ging ein paar Schritte weiter, ignorierte den Stuhl, über dessen Lehne ein Hemd zum Trocknen hing, und setzte sich stattdessen auf den Tisch.

“Habt ihr schon einmal ein Déjà-vu gehabt? Magie. Der Moment, als euch jemand eine offensichtliche Lüge tatsächlich abnimmt? Magie. Die Fähigkeit, allein einen Baumstamm anzuheben, unter dem ein Freund eingeklemmt ist? Magie. Ihr Menschen besitzt sie noch und mit ein bisschen Extraquellkraft, kann ich mir einen Weg zurück in die Anderwelt bahnen.”

Während sie aufzählte, wie Menschen eine scheinbar in ihnen liegende Kraft zu nutzen vermochte, kamen ihm unweigerlich Momente während seiner Reisen in den Sinn, die nun verdächtig nach Magie klangen: Er hatte verstanden, was jemand zu ihm sagte, obwohl er dessen Sprache nicht beherrschte. Auch hatte er die Angewohnheit, an heißen Tagen Wind herbeizusehnen, und ab und an passierte es tatsächlich, dass plötzlich eine frische Brise wehte. Ob das dazu gehörte? Oder waren es doch Zufälle?

Zum ersten Mal seit Calista den Raum betreten hatte, behielt Kai sie nicht im Auge. Sein Blick wanderte langsam zu Luca. Für ungeübte Augen sah es so aus, als starre der Junge ins Feuer, aber seine Körperhaltung verriet, dass er ganz genau zuhörte. Was er von dem ganzen hielt, konnte Kay nicht erahnen und so schwang seine Aufmerksamkeit schließlich wieder zu Calista.

„Was für Auswirkungen hätte es auf mich, wenn ich dir helfe? Und … wie kann ich dir überhaupt helfen, wenn ich doch nichts bewusst steuern kann?“

“Im ersten Moment? Ihr werdet euch erschöpft fühlen. Aber das vergeht mit ein oder zwei guten Nachtruhen und einem herzhaften Essen. Und andere Auswirkungen … Nun ja.” Calista legte nachdenklich den Kopf in den Nacken. “Es ist schwieriger zu erklären, wenn es für einen selbst so natürlich ist”, sagte sie, bevor sie ihn wieder ansah. “Aber die andere Auswirkung hängt damit zusammen, dass nicht ihr etwas bewusst steuert, sondern ich auf eure Quellkraft zugreife und sie zu mir umleite. Wie einer dieser schmalen Wassergräben, die ihr zu Mühlrädern leitet. Und durch diese Verbindung könnte es möglich sein, dass ihr in Zukunft ebenfalls eine leichtere und bewusste Verbindung zu eurer Quelle erlangen könntet.” Caliste warf ihm ein bedeutsamen Blick zu und grinste. “Übrigens einer der Gründe, warum Anderweltler nicht in Scharen durch eurer Welt ziehen und euch anzapfen.”

Luca drehte sich herum und sah Calista mit großen Augen an. Die Faszination stand ihm ins Gesicht geschrieben.

Kay fuhr sich mit der Hand übers Kinn. „Das würde dir gefallen, mh?“

Lucas Blick huschte kurz zu Kay, dann nickte er verlegen, zog die Beine fester an den Körper und schaute weiter zu Calista.

Kays Euphorie hielt sich in Grenzen. Natürlich klang es im ersten Moment verlockend, aber er war sich sicher, dass es sich im Alltag eher als hinderlich herausstellen könnte. Dennoch klang es erst einmal so, als hätte es keine schwerwiegenden langfristigen Folgen.

„Ich hätte noch ein paar Fragen, wegen der vielleicht besseren Verbindung zu dieser Quellkraft, aber zuerst würd ich noch wissen wollen, wie du diese Kraft anzapfen wirst. Hand auflegen? Nen Zauberspruch? Wie funktioniert das?“

Calistas leises Lachen floss wie eine Melodie durch den Raum, die so ansteckend war, dass sie sogar an seinen Mundwinkeln zupfte.

“So viele Fragen”, sagte sie und zwinkerte Luca verschwörerisch zu. “Aber ich verstehe die Vorsicht. Nur, auch hier … Es zu beschreiben wird schwer, und ein Vergleich … Hm. Vielleicht … ”

Calista neigte den Kopf zur Seite und ihr Blick verfing sich mit seinem. Sekunden verstrichen in denen nur das Knacken des brennenden Holzes zu hören war, als …

Im Augenwinkel sah Kay wie Luca sich im Sitzen aufrichtete und dann spürte er es: Ein Kribbel jagte von seinem Rücken bis in den Nacken, als eine warme, unsichtbare Wand gegen seine Beine, seine Brust und sein Gesicht drückte. Es war, als würde er im Hochsommer die Kühle seines Hauses verlassen und direkt in die Mittagshitze treten. Die magische Wärme fühlte sich zwar intensiv an, aber gleichzeitig war sie angenehmer … beinahe verführerisch … Wie ein warmes Rinnsal drückte sie nicht nur gegen ihn, sondern sickerte durch seine Haut. Tiefer und tiefer, bis–

Kay keuchte.

Die Wärme verschwand, ließ ihn in dem beheizten Raum kurz frösteln.

Calista saß lächelnd noch immer auf dem Tisch und zuckte entschuldigend mit den Schultern. “Es ist zu schwierig zu erklären. Und ungefähr so wird es sich anfühlen. Vielleicht noch intensiver und anstrengender, wenn ich eure Quellkraft zu mir leite.”

Nach diesem Erlebnis, brauchte Kay einen Moment, um sich zu sortieren. Zwar war es ungewohnt, aber nicht unangenehm, dennoch war er sich nicht sicher, ob er das wollte. Ein Teil in ihm war neugierig, ein anderer jedoch fand es zu riskant.

Luca hingegen starrte mit aufgerissenen Augen auf Calista, was Kay vermuten ließ, dass auch er gespürt hatte, was sie erwarten würde.

Noch bevor Kay Worte fand, stand der Junge auf und ging zu dem Tisch, wo Calista saß. Mit ein klein wenig Sicherheitsabstand, blieb er vor ihr stehen und nickte ihr zu. Das faszinierte Funkeln in seinem Blick war nicht zu übersehen.

Kay wollte am liebsten auf Luca einreden, ihn davon abbringen, so einfach der Fee zu vertrauen und helfen zu wollen, aber er stolperte über seine eigene Zustimmung. Es konnte keine gute Idee sein! Es war zu gefährlich – und dabei dachte er nicht einmal an die Prozedur an sich.

Und doch hörte er keine Ablehnung in seiner eigenen Stimme, als die Neugierde gewann.

„Wie es aussieht, helfen wir dir.“



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