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Summer of '99

Die Herren des Todes
von

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Der flammende Phönix

Der Flug auf dem neuen Besen war eine echte Wohltat. Raus aus dem Haus und raus aus dem Dorf, das war nun die Rettung! Seine Flugbahn führte Albus über den kleinen Friedhof von Godric’s Hollow, und kurz hielt er darüber inne. Sollte er dem Grab seiner Mutter einen Besuch abstatten? Nein, lieber nicht, er war zu aufgewühlt, zu wütend! Kendra verdiente etwas Besseres, als einen Sohn, der sich an ihrem Grab über seinen Bruder im Besonderen und die Welt im Allgemeinen ausließ.

Die kühle Frühsommerluft fuhr durch sein rotbraunes welliges Haar und zupfte fast unternehmungslustig an seinen weiten weißen Hemdsärmeln, als er den Besen wieder Richtung Dorfrand wendete und weiterflog. Ihn fröstelte, denn er hatte in seiner Wut nicht an seinen Umhang gedacht und lediglich den Zauberstab in die Weste gesteckt.

Doch er dachte nicht daran, noch einmal umzudrehen. Im Gegenteil, dass ihm nun kalt war, machte ihn gleich noch etwas wütender! Also spornte er den Besen an und schoss über die Friedhofsmauer hinweg in Richtung der Felder, bis die Lichter von Godric’s Hollow nur noch als kleine Punkte in der Ferne zu erkennen waren.

Albus landete auf einer Wiese hinter den Feldern in der Nähe eines alten Baumes. Die Nacht war angebrochen, und bald würde ihn die nächtliche Schwärze vollständig einhüllen. Gut so! Er hatte wenig Interesse an Zuschauern.

Vorsichtig lehnte er den Besen an den Stamm des Baumes und fuhr noch einmal mit der Hand über die schönen Ornamente.

Aberforth, du bist wirklich ein Banause!

Albus krempelte die Ärmel hoch und entfernte sich einige Schritte von dem Baum. Er zückte seinen Zauberstab und ließ seinen unruhigen Blick über die Felder schweifen. Wo anfangen? Zu Hogwarts-Zeiten hatte er seine Wut gerne beim Zauberer-Duell ausgelassen, meist gegen deutliche ältere Schüler, denn von seinen Altersgenossen war ihm keiner gewachsen. Und auch die Älteren hatte er schlussendlich besiegt, nicht zuletzt wegen seines spektakulären Eröffnungszaubers: Zu Beginn eines Duells liebte es Albus, seinen Patronus, einen mächtigen Schutzzauber in Gestalt eines prachtvollen Phönix’, heraufzubeschwören, der dann mit seinem melodisch-trillernden Gesang über ihm kreiste, während das Duell ausgetragen wurde. Und bald wusste jeder: Wenn der Phönix flog, war Albus unbesiegbar.

Er hob den Zauberstab und suchte nach einem wunderbaren Gedanken – seine Mutter Kendra und ihre bedingungslose, warmherzige Liebe: „Expecto Patronum!“

Weiße Schwaden stiegen aus der Spitze auf, aber statt Vogelschwingen waren es nur formlose Schlieren. Wirre Kringel. Und sie verpufften.

„Nein!“

Dieser Zauber war ihm doch immer so leichtgefallen!

Er sammelte sich und wählte eine speziellere Erinnerung: Kendra, die ihn vor dem Zubettgehen verabschiedete, indem sie einen Kuss auf ihre Fingerspitzen drückte und mit diesen seine Stirn berührte …

„Expecto Patronum!“ Diesmal kam nur ein leiser Hauch aus dem Zauberstab, und weiße Partikel schwirrten wie kleine Leuchtkäfer hervor. Albus merkte, dass ihm wieder Tränen in den Augen brannten. Es war keine glückliche Erinnerung – sie war ganz und gar überschattet von Bitterkeit. Er konnte sie nicht retten …

„Aaaaaaaaargh!“, schrie Albus wütend.

Er holte in einem weiten Bogen aus und rammte seinen Zauberstab in die Erde, sodass ein feuriger Krater im harten Boden aufplatzte.

Albus atmete aus, verstärkte den Zauber, brach einen großen Gesteinsbrocken aus dem Spalt, riss ihn heraus und brachte ihn zum Schweben.

„BOMBARDA!“

Das Gestein explodierte mit enormer Wucht, sodass glühende Funken überall um ihn herabfielen.

DAS fühlte sich gut an! Er zerrte mit dem Leviosa-Zauber weiteres Gestein hervor und verteilte es mit „BOMBARDA MAXIMA!“ weit über die Ebene.

Albus’ Atem ging hektisch. Im Krater zu seinen Füßen hatte die Erde Feuer gefangen, und seine dünnen Schuhe begannen zu dampfen. Er spürte die zornige Wärme, lächelte, und nährte sie mit: „Incendio.“

Dann kam ihm eine grimmige Idee: eine Beschwörung, die er bisher nur in Büchern der verbotenen Abteilung der Bibliothek gelesen hatte. Für die es Geschick brauchte – und Zorn! Er sog mit dem Zauberstab die magischen Flammen an und ließ sie wie glühende Schlangen um seinen Körper herumzügeln; dann sprach er die Formel: „Ignis Daemonis!“

Eine Feuerwalze schoss von seinem Körper aus senkrecht in die Höhe. Flammen sprühten daraus in alle Richtungen, und eine grelle, flackernde Form bildete sich: ein gigantischer flammender Phönix, der sich mit einem lauten glockenklaren Schrei aus dem Inferno erhob. Selbst ganz aus Flammen, mit lodernden Augen und prächtigen Schwingen, die bei jedem Schlag Funken versprühten. Albus jauchzte und ließ den Feuervogel weiter in die Höhe steigen; sein ganzer Zorn schien von diesen lodernden Schwingen fortgetragen zu werden! Erst als er die glühende Hitze an seinen schwelenden Schuhen spürte, wurde ihm bewusst, dass es rings um ihn herum lichterloh brannte.

Erschrocken schickte Albus ein paar Gegenzauber, doch Wasser wie Wind blieben wirkungslos. „Finite Incantatem“, probierte er es weiter.

Das betrachtete der Dämonenvogel wohl nun als Angriff. Er ließ einen dissonanten Schrei ertönen, kehrte um und schoss geradewegs auf seinen Urheber zu.

„Protego!“, keuchte Albus und beschwor die stärkste Schutzwand, zu der er imstande war. Er kniff die Augen zusammen und machte sich auf den Aufprall gefasst –

Da hörte er hinter sich eine schwingende Stimme. Schnell und bestimmt sprach sie aus dem Schatten des Baums die Worte einer fremdklingenden Zauberformel, und im selben Momente schossen blau-weiße kalte Flammen hervor, die Albus umhüllten und einen funkensprühenden Kreis um ihn bildeten. Das Dämonenfeuer zu seinen Füßen bäumte sich kreischend auf. Die eben noch zornig-roten Flammen zerfielen in ihrer Bewegung zu Asche. War das die Rettung? Der blaue Flammenkreis erreichte seine volle Kraft genau in dem Moment, als der flammende Phönix auf Albus’ Barriere stieß. Die Wucht des Aufpralls zwang ihn in die Knie, doch er hielt den Schutzzauber weiter aufrecht, während das blaue Feuer den Dämonenvogel erfasste und sich zischend durch sein flammendes Gefieder fraß. Albus verstärkte seinen Zauber ein letztes Mal und stemmte sich gegen die heranrauschende Masse, als das blaue Feuer den Rest des Vogelkörpers umhüllte und zu Asche pulverisierte.

Geschafft! Albus ließ die Hände sinken und stützte sie zitternd auf den Boden. Fassungslos betrachtete er das Bild der Zerstörung vor sich: Asche, verbranntes Getreide und die Reste glimmenden Feuers – nicht zu vergessen der tiefe Krater, den er in seiner Wut geschlagen hatte.

„Na, das hätt’ schief gehen können“, sagte jemand hinter ihm.

Albus fuhr auf den Knien herum. Eine schlanke, ganz in Schwarz gekleidete Gestalt löste sich aus dem Schatten des Baumes und kam auf ihn zu. Die teilweise noch am Boden flackernden blauen Flammen ließen erkennen, dass es ein junger Mann war, definitiv nicht älter als Albus. Ein Jugendlicher mit hellblondem, schulterlangem Haar, einem markanten hübschen Gesicht und sehr ungewöhnlichen Augen: das eine schwarz, das andere weiß.

Der Fremde setzte seine Bemerkung im Lauf fort: „Und ich dacht’, ich hätt’ Probleme. Ist das hier so Usus in Godric’s Hollow? Wenn einen der Kleinstadt-Koller packt, steckt’ma die Felder in Brand?“

In seiner Stimme schwang ein feiner Singsang mit, ein Akzent, den Albus jedoch nicht zuordnen konnte.

„Normalerweise nicht“, antwortete er.

„Sehr vernünftig! Mit schwarzer Magie so’ma nicht spielen, ge?“ Der fremde Junge war vor ihm zum Stehen gekommen. Er streckte eine Hand aus und half ihm wieder auf die Füße.

Albus sah ihn argwöhnisch an und versuchte, auszublenden, wie sehr ihn dieses markante Gesicht und der seltsame Akzent irritierten.

„Du scheinst dich gut damit auszukennen! Wer bist du?“, fragte er. Und, er ergänzte gedanklich, wie hat ein so junger Zauberer wie du dieses Feuer löschen können, wenn nicht einmal ich dazu imstande war?

Der Fremde hob neckisch eine Augenbraue. „Sagen wir, ich weiß mehr über schwarze Magie, als den meisten lieb ist. Gellert Grindelwald.“

Er lächelte und schüttelte Albus’ Hand – die er aus irgendeinem Grund immer noch hielt, seit er ihm aufgeholfen hatte! Albus ließ peinlich berührt los. Wieso war ihm dieses Händchenhalten denn nicht aufgefallen?

„Äh, angenehm. Albus … Dumbledore“, sagte er. Da ein erneutes Händeschütteln nicht infrage kam, tippte er sich zu Begrüßung an einen imaginären Hut.

Klasse, das ist sehr viel weniger albern!

Der Fremde namens Gellert schmunzelte, und Albus beeilte sich, weiterzusprechen: „Entschuldige diese … Szene hier. Ich wollte nicht, dass mich jemand sieht! Und es ist so schrecklich schiefgelaufen...“

„Na, das kannst’ laut sagen“, meinte Gellert. „Aber der Anfang … der war wirklich meisterhaft.“

„Was?“, fragte Albus überrascht.

„Das Dämonenfeuer. Normalerweise wütet und zerstört’s in zahlreichen Tierformen, aber ich hab’ noch nie gesehen, wie’s die Gestalt eines Phönix’ angenommen hat! Wirklich großartig – also, ich mein’, bevor er uns beide fast um’bracht hätt’.“

„Tut mir leid“, sagte Albus zerknirscht.

„Ge, ich zieh dich doch nur auf! Alles, was ich mein’, ist: Solche Magie sieht man nicht oft … also quasi nie.“

„Danke“, murmelte Albus, „das kann ich nur zurückgeben. Ich hab’ keine Ahnung, wie du das Ungetüm aufgehalten hast.“

„Ich hab’ meine Geheimnisse, du deine“, sagte Gellert und zwinkerte. „Oder soll ich vielleicht fragen, was dich so in Rage ‘bracht hat?“

„Besser nicht“, bestätigte Albus. „Sagen wir … Familie.“

„Ahh“, sagte Gellert, „sehr verständlich. Ha, und ein gut’s Stichwort: Mich führt auch die Familie hierher! Accio!“ Er rief einen violetten Hexenhut aus dem Schatten herbei. „Bin eben per Portschlüssel angekommen. Hätt’ mich ja mal etwas näher am Ziel rauslassen können, dieser alte Fetzen. G’hört meiner Großtante.“

Albus betrachtete den Hut amüsiert und urteilte: „Nun, ich hätte auch nicht gedacht, dass der dir gehört!“

„Wieso?“, frage Gellert. Er deutete an, sich den viel zu großen Hut überzustülpen, und Albus prustete los, weil es so grotesk aussah. Nach all dem Ärger tat es wirklich gut zu lachen!

„Accio Eichschaft!“, rief er, und sein Besen flog herbei.

Gellert klemmte den Hut unter den Arm. „Na, das ist definitiv ein ansehnlicheres Reisegefährt als mein alter Wisch hier! Faszinierend …“, er nahm die Verzierungen am Besenstiel genauer in Augenschein, „Jugendstil!“

Albus klappte der Mund auf vor Überraschung! Gab es tatsächlich außer ihm noch jemanden, der auf solche Details Wert legte? Noch dazu hatte Gellert das Wort deutlich besser ausgesprochen als er … irgendwie muttersprachlicher.

„Du bist kein Engländer, richtig?“

„Nein … Albus“, sagte Gellert mit einem Unterton, als wäre das doch wohl offensichtlich. „Ich bin an vielen Orten aufg’wachsen, aber nicht in England. Zuletzt war ich in Durmstrang.“

„Ah“, sagte Albus. Er kannte das bulgarische Zauberinstitut von Erzählungen her, doch viel Gutes hörte man nicht über den Unterricht dort. „Bei mir war's Hogwarts. Eine tolle Zeit! Mein Bruder ist jetzt wieder dort für sein sechstes Jahr. Und manchmal wünschte ich, meine Schw – “

Er hielt entsetzt inne. Wie spät war es? Hatte er Ariana nicht ein gemeinsames Abendessen versprochen? Sie machte sich bestimmt schon Gedanken – Sorgen!

„Ich muss los!“, rief er und stieg auf seinen Besen.

„Was – jetzt gleich?“, fragte Gellert und sah ein bisschen enttäuscht aus.

„Tut mir wirklich leid“, sagte Albus.

„Moment …“ Gellert beugte sich vor, und ein nervöses Zucken ging durch Albus’ Magen. Der blonde Junge fuhr mit der Hand durch Albus’ Haar, und eine Aschewolke stieg auf. Albus musste niesen.

„Damit keine unangenehmen Frag’n bei deiner Familie aufkommen“, sagte Gellert jovial.

„Danke …“, sagte Albus, dessen Herz nach dieser spontanen Berührung äußerst schnell pochte. War das in Durmstrang normal, jemandem einfach in die Haare zu greifen, den man gerade erst kennengelernt hatte?

„Wir sehen uns“, sagte er knapp und schwang sich empor.

Nach einem kurzen Blick zurück schoss er auf dem Besen in Richtung Zuhause davon. Er nahm nicht einmal mehr wahr, wie Gellert ein großes Gefäß aus seinem Umhang hervorholte und darin die Asche des Dämonenfeuers mit einem Wink seines Zauberstabs langsam und vorsichtig einfüllte.



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