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True Heart

von

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Sekunden verstrichen, in denen sich Diana nicht zu bewegen wagte, in denen sie den Blick aus roten Augen nur wie in den Bann geschlagen erwidern konnte, bis Leija ihre Lider beinahe zur Gänze schloss und die wenigen Millimeter überwand, die sie noch getrennt hatten. Ein fast schon erschrocken klingender Atemzug entrang sich ihrer Kehle, aber anders als zuvor zuckte sie nicht zurück, sondern fuhr vorsichtig über die Schuppen, die sich unter ihren Fingerspitzen unglaublich weich und warm anfühlten.

 

Ohne, dass sie es hätte beeinflussen können, schlossen sich ihre Augen, sodass ihre Finger das ungenaue Bild der Drachin, welches ihr ihre schwindende Sehkraft bislang gezeichnet hatte, auf ihre ganz eigene Weise ergänzen konnten. Bald war es auch ihre zweite Hand, die sich mit den Konturen des majestätischen Gesichts vertraut machte, die über die knöchernen Erhebungen glitt, unter denen Leijas Augen leuchteten und den Hörnerkranz befühlte, von dem das Gesicht der Drachin eingerahmt wurde. Sanft fuhr sie mit beiden Händen die breite Schnauze herab, spürte der Weichheit nach, je näher sie den sacht bebenden Nüstern kam. Sie erschauerte leicht, als der warme, fast heiße Atem Leijas über ihre Haut wisperte, bis ihre forschenden Bewegungen irgendwann in eine Art Streicheln übergingen, einfach, weil es sich so gut anfühlte.

 

Sie begriff nicht, wie ihr die andere plötzlich so viel Vertrauen entgegenbringen konnte, ihr, die in ihr Reich eingedrungen war und ihre Nachkommenschaft in Gefahr gebracht hatte. Aber ebenso wenig verstand sie ihr eigenes Zutrauen, ihre Sorglosigkeit, obwohl ihr nur zu deutlich bewusst war, dass die Drachin sie binnen Sekunden töten konnte. Aber sie wollte dieses Gefühl, welches sie mehr und mehr zu durchströmen schien, nicht infrage stellen. Nicht, wo es ihnen doch beiden ganz offensichtlich gleich erging.

 

„Danke“, murmelte sie irgendwann und zog fast schon widerwillig ihre Hände zurück. „Danke, dass ich dich sehen durfte.“ Diana lächelte, legte sich im nächsten Moment jedoch hektisch die Hand vor den Mund, als ihr ein herzhaftes Gähnen entkam.

 

Wieder grollte die Drachin und in den weisen Augen lag eine gewisse Belustigung, als sie die Menschenfrau musterte.

 

„Du solltest nun schlafen“, bestimmte sie und streckte ihre Klaue aus, in der sich eine kleine, mit einem Korken und Wachs verschlossene Viole befand. „Trink das.“ Zufrieden betrachtete sie, wie schmale Finger nach dem kleinen Glaszylinder griffen, kurz damit spielten, bevor sie aus blassgrünen Augen fragend angesehen wurde. „Ein Trank aus Bergkräutern. Er wird dir gegen die Schmerzen helfen.“ Ihr Blick ruhte für einen kurzen Moment auf Dianas geschundenen Füßen, bevor ihre erstaunlich angenehme Stimme sie erneut dazu brachte sie wieder anzusehen.

 

 „Ich danke dir.“ Ohne weiteres Zögern löste Diana den Verschluss der Viole und leerte sie mit nur einem Schluck. Sie hatte mit einem bitteren Geschmack gerechnet, mit etwas medizinisch Herbem, das man freiwillig nicht trinken wollte. Aber die zähe Flüssigkeit schmeckte erstaunlich gut, beinahe wie Honig, versetzt mit dutzenden von Kräutern. Für einen kurzen Moment fragte sie sich, woher dieser Trank wohl stammen mochte, denn wie hätte ein so enormes Wesen, wie die Drachin es war, etwas so Zerbrechliches wie diesen Glaszylinder befüllen können? Doch sie war zu erschöpft, um sich darüber ernsthaft Gedanken zu machen. Noch einmal gähnte sie, legte die nun leere Viole neben sich, die leise klirrend einige Zentimeter über den Höhlenboden rollte, bevor sie vor der Feuerstelle zum Liegen kam. Leija hingegen erhob sich, umrundete das Feuer und ließ sich ihr gegenüber wieder nieder.

 

„Du kannst hierherkommen, wenn du möchtest. Auf den Fellen zu liegen ist für deinen zerbrechlichen Menschenleib bestimmt angenehmer als auf dem harten Stein.“

Dianas Mundwinkel zuckten kurz, als sie sich ein Grinsen verkneifen musste. Leija würde vermutlich erstaunt darüber sein, was so ein zerbrechlicher Menschenleib so alles aushalten und erdulden konnte, wenn er musste. Nichtsdestotrotz hörte sich die Aussicht auf weiche Felle im Vergleich zum harten Felsboden einfach nur traumhaft an und so beeilte sie sich ebenso ums Feuer zu gehen, auch wenn jeder Schritt, jetzt, da sie eine Weile hatte sitzen können, wieder gehörig schmerzte. Mit etwas Abstand setzte sie sich, seufzte leise, als sie den weichen Untergrund spüren konnte und legte sich auf die Seite, ihr Gesicht den Flammen zugewandt.

 

Für eine ganze Weile kehrte Stille ein und vermutlich dachte Leija sie müsse bereits eingeschlafen sein, denn als sie sich leise räusperte, hörte sie die ledrigen Schwingen kurz rascheln, ganz so, als hätte sich die Drachin erschreckt.

 

„Leija?“ Ein leises, aufforderndes Grollen war ihr Antwort genug und so sprudelte die Frage auch schon aus ihrem Mund, die sie nicht zur Ruhe kommen ließ. „Irgendetwas stimmt mit deinen Nachkommen nicht, oder? Die Eier … sie haben sich angefühlt als wären sie … versteinert? Als würde das Leben in ihnen in tiefem Schlaf liegen.“ Sie zog die Stirn in Falten, weil ihr die richtigen Worte fehlten, um beschreiben zu können, was sie vorhin gespürt hatte, als sie das Ei an sich gepresst gehalten hatte. Jetzt im Nachhinein war sie sich fast sicher, dass sie das schlummernde Leben hatte fühlen können und dass dieser hohe Ton, den sie gehört hatte, nicht von ihrer Erschöpfung ausgelöst worden war. „Oder ist das normal? Sind alle Dracheneier so?“

 

„Du konntest sie spüren?“

 

Eigentlich war es ja ziemlich unhöflich, eine Frage mit einer Gegenfrage zu beantworten, aber Diana konnte das beinahe erschrockene Erstaunen in der dunklen Stimme der Drachin mitschwingen hören. Daher sparte sie sich auch einen Kommentar diesbezüglich und drehte sich lediglich schweigend auf den Rücken. Leijas Kopf war ihr mit einem Mal so nah, dass sie zurückgewichen wäre, wäre ihr das in dieser Position möglich gewesen. So erwiderte sie nur ihren forschenden Blick und nickte langsam.

 

„Ich denke schon, ja. Es war, als würde das Ei ganz sacht vibrieren und ich habe eine Art Summen wahrgenommen.“ Kaum hatte sie dieses Erlebnis laut ausgesprochen, wurde ihr nur zu deutlich bewusst, wie dumm sich ihre Eindrücke anhören mussten. Vermutlich hatte ihr ihr erschöpfter Geist eben doch nur einen Streich gespielt, nichts weiter. Noch immer musterte Leija sie nachdenklich, bevor sie leise schnaubte und sich wieder zurückzog, um ihren Kopf, wie vorhin auch schon, auf den Vorderpranken abzulegen. So recht konnte Diana nicht einschätzen, was sie nun von dieser Reaktion halten sollte, aber noch immer war sie neugierig, noch immer hatte sie keine Antworten bekommen und so rollte sie sich erneut auf die Seite, lag nun aber so, dass sie die Drachin weiterhin ansehen konnte. „Vielleicht …“, begann sie dann zögerlich und schabte mit den Zähnen nachdenklich über ihre Unterlippe. „Vielleicht habe ich mir das aber auch nur eingebildet?“

 

„Das … glaube ich nicht.“ Leija seufzte tief und schloss die Augen, ganz so, als würde sie ausblenden wollen, was Diana ihr gerade erzählt hatte. „Dein Eindruck die Eier seien versteinert ist gar nicht einmal so falsch“, sprach sie schließlich weiter und Diana schloss ihren Mund wieder, den sie soeben geöffnet hatte, als ihr das gespannte Schweigen zu viel geworden war. „Vor Generationen noch lebten Drachen und Menschen friedlich zusammen …“ Leijas Schwingen raschelten, als sie sie enger an ihren Leib presste und ein tiefes Grollen, welches Diana mehr spürte als hörte, machte deutlich, wie aufgewühlt die Drachin plötzlich sein musste. „Dann aber wurden sie gierig. Sie drangen in unsere Reviere ein, töteten uns, wenn wir uns zur Wehr setzten und all das nur der Edelmetalle wegen, die sich durch unsere Berge zogen. Ein Drache nach dem anderen fiel den Angreifern zum Opfer, unsere Nester wurden zerstört, Jungdrachen erschlagen und Eier zertrümmert. Aber selbst dies war den Menschen nicht genug. Sie verfluchten unsere Rasse, auf dass nie wieder ein Drache das Licht der Welt erblicken würde. Und egal wie oft wir uns gegen ihre Übermacht behaupten konnten, sie waren wie Parasiten, kamen immer wieder mit ihren Schwertern und Speeren und rotteten uns nach und nach aus.“ War Leijas Stimme anfänglich noch energisch und aufgebracht gewesen, sprach sie nun so leise, dass Diana über das Knistern des Feuers hinweg beinahe Schwierigkeiten hatte, sie zu verstehen. „Krankheiten und der Lauf der Zeit erledigten den Rest und ohne unsere Nachkommen schwand unsere Zahl unaufhörlich.“ Die Drachin verstummte und Diana glaubte, den Schmerz, den die andere nun empfinden musste, beinahe am eigenen Leib spüren zu können. Sie schluckte schwer und ihre Augenwinkel brannten verräterisch. Sie wusste aus eigener Erfahrung, zu welchen Grausamkeiten ihre Rasse fähig war, aber dies so ungeschönt aus Leijas Mund zu hören, machte sie unendlich traurig. „Ich bin die Letzte meiner Art, die Wächterin der Nachkommenschaft und an mir liegt es, den Fluch zu brechen. Aber meine Zeit ist so gut wie abgelaufen.“

 

„Was heißt, deine Zeit ist abgelaufen? Wirst du etwa …?“ Hektisch richtete sie sich auf, um Leija besser ansehen zu können, brachte es aber nicht über sich, ihren Satz zu beenden. Allein der Gedanke daran, dass Leija nicht nur die letzte Drachin war, sondern auch kurz vor ihrem Tod stehen könnte, schnürte ihr die Kehle zu. Sie verstand selbst nicht, weshalb es sie so mitnahm, immerhin hatte sie die andere eben erst und unter nicht wirklich glücklichen Umständen kennengelernt, aber sie konnte sich der Trauer nicht erwehren, die sich in ihr Herz schleichen wollte.

 

„Sterben? Dummer Mensch, sei nicht albern. Ich bin in meinen besten Jahren!“ Leija klang plötzlich so entrüstet, dass trotz ihren trüben Gedanken ein kleines Lächeln an Dianas Mundwinkeln zupfte. „Mein Volk hatte zweihundert Jahre, um den Fluch zu brechen, aber bis heute ist es weder meinen Ahnen noch mir gelungen und nun … werde ich mir bald eingestehen müssen, dass ich versagt habe.“

 

„Das … Leija, das tut mir so leid.“ Nur leise kamen ihr diese Worte über die Lippen, ihr Lächeln von gerade eben war wie weggewischt und am liebsten hätte sie die schöne Drachin erneut berührt, ihr irgendwie Trost gespendet, auch wenn sie selbst wusste, wie albern dieser Wunsch war. Wie könnte auch gerade sie, ein Mensch, begreifen, was Leija und die Generationen vor ihr hatten erleiden müssen. „Du darfst nicht aufgeben“, sagte sie verzweifelt und lehnte sich etwas vor, um ihr Gegenüber besser sehen zu können. „Es muss doch etwas geben, was wir tun können? Ich will dir helfen, bitte.“

 

„Glaub mir, das willst du nicht. Allein der Versuch würde deinen Tod bedeuten.“

 

Aus großen Augen schaute Diana die andere an, öffnete den Mund, um zu widersprechen und bekam doch keinen Ton heraus. Warum würde es sie ihr Leben kosten? Hieß das, sie wäre in der Lage etwas tun zu können? Aber noch viel wichtiger – würde sie dieses Opfer wirklich bringen können?

 

„Ich …“

 

„Schweig.“ Leijas durchbohrender Blick lähmte sie fast und machte ihr erneut nur zu deutlich bewusst, welch mächtigem und gefährlichem Wesen sie hier gegenübersaß. „Schlaf jetzt und hör auf dich für Dinge zu interessieren, die dich nichts angehen.“

 

Die harschen Worte kränkten sie, auch wenn sie den Gedanken nicht loswurde, dass die andere weit weniger genervt von ihr war, als sie ihr gerade weismachen wollte. Leijas abweisende Art musste also einen anderen Grund haben, aber welchen? Sie verstand es einfach nicht. Also nickte sie nur, wollte die Drachin nicht weiter gegen sich aufbringen und legte sich wieder hin. Ihre Gedanken rasten, so viele Fragen schwirrten in ihrem Kopf umher und dennoch überwältigte sie mit einem Mal die Müdigkeit, ließ sie erneut leise gähnen.

 

Auch wenn sie noch hatte wach bleiben wollen, sich Gedanken über das Gehörte machen, die Erschöpfung zehrte unnachgiebig an ihr und griff mit langen Fingern nach ihrem Bewusstsein. Immer öfter blinzelte sie, weil das Antlitz der Drachin vor ihren Augen verschwamm, aber schlussendlich hatte sie ihr nicht einmal mehr eine gute Nacht wünschen können, bevor sie endgültig dem Schlaf erlag.



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