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Besondere Momente

Schreibzirkel
von

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Begegnung

Gedankenverloren blickte sie aus dem Fenster. Die vorbeiziehende Landschaft nahm sie gar nicht wahr. Zu sehr beschäftigten sich ihre Gedanken mit dem Geschehenen. Eine einzelne Träne löste sich und rollte langsam ihre Wange hinab. Schnell wischte sie sich diese mit der Handfläche weg. Doch schon löste sich die nächste und noch eine. Leise begann sie zu weinen, als eine Hand in ihr Blickfeld kam und ihr ein Taschentuch entgegenhielt. Wie aus einer eigenen Welt gerissen, starrte sie das weiße Tuch an, folgte den Fingern, die es fest hielten, zur Hand, wanderten den Arm, der in einem Pullover steckte, entlang zur Schulter bis zum Kragen. Dann folgte sie dem schlanken Hals hinauf zu einem Kinn, rosigen Lippen, die ein mitfühlendes Lächeln zeigten, die Nase entlang zu einem einnehmenden Augenpaar. Sie hatte das Gefühl direkt in einen Ozean zu blicken, so tief und blau leuchtete ihr das Augenpaar entgegen. Ein Kloß bildete sich in ihrem Hals, das Schlucken fiel ihr schwer, während ihre Atmung für einen klitzekleinen Moment aussetzte und ihr Herz einen Takt schneller schlug. Mit geröteten Augen, starrte sie ihr Gegenüber an, nahm zum ersten Mal überhaupt den jungen Mann wahr. Seine braunen Haare wirkten unzähmbar und wirr. Sie stellte sich vor, wie sie ihre Finger in dieser wilden Haarpracht versenkte und hindurchfuhr.

„Nun nehmen Sie es schon“, sprach er in einer sanften und doch erheiternden Tonlage, die ihr schlagartig eine Gänsehaut auf dem Körper beschaffte.

Sie schluckte, hob zögerlich die Hand und umfasste mit ihren Fingerspitzen das Taschentuch. Unbewusst berührte sie dabei seine warmen Finger und allein diese Berührung sendete einen Elektroimpuls tief in ihr Innerstes.

Die blauen Augen blickten sie so intensiv an, als würden sie eines der größten Geheimnisse der Welt lösen wollen.

Unwohl, verlegen und auch etwas beschämt in ihrem Zustand diesem außergewöhnlichen Mann gegenüber zu sitzen, senkte sie ihre blauen Augen, wischte sich mit dem Taschentuch die Tränen von den Wangen und putzte sich die Nase. „Danke“, murmelte sie leise und hielt ihm das Taschentuch hin, als wolle sie es zurückgeben.

Er verzog das Gesicht, starrte auf das benutzte weiße Tuch und sah ihr wieder direkt in die Augen. Ein bezauberndes Lächeln trat auf seine Lippen. „Das dürfen Sie behalten.“

Nicht so recht verstehend, wie er diese Worte meinte, folgte sie seinem Blick und erstarrte regelrecht. „Natürlich“, stotterte sie schamvoll und ließ das Taschentuch in dem kleinen Mülleimer verschwinden. „Entschuldigung, ich bin etwas durch den Wind.“ Sie lächelte kurz und senkte dann peinlich berührt den Blick auf ihre Hände.

Er sah sie lange an, dann nickte er bedächtig. „Eine Frau sollte keine Tränen vergießen. Schon gar nicht wegen einem Mann.“

Überrascht hielt sie inne. Ihre Augen wurden größer und wie gebannt starrte sie ihn an. „Wie kommen Sie darauf, dass ein Mann der Grund ist?“

„Ist das nicht der Fall?“

Seine Stimme ähnelte einem betörenden Singsang. Langsam schüttelte sie den Kopf. „Nein“, hauchte sie. Sie senkte den Blick. „Meine... meine Mutter ist gestorben. Ich bin auf dem Weg zu ihrer Beerdigung.“ Die Augen füllten sich wieder mit Wasser, als sie an die innere Leere in ihrem Herzen dachte.

„Das tut mir sehr leid. Wissen Sie mein Vater ist vor zwölf Jahren verstorben. Die Leere, die im Herzen bleibt, wird sich nie wieder füllen lassen.“ Er sah kurz zum Fenster hinaus, schwelgte scheinbar in Erinnerungen, doch dann richtete er seine blauen Augen, diese faszinierenden tiefblauen Augen, wieder auf sie. „Und doch wird es mit der Zeit leichter zu ertragen.“ Er beugte sich vor. „Es ist kein Trost, aber die Erinnerung bleibt und diese kann uns niemand wegnehmen.“

Sie konnte nicht anders als diesen überaus attraktiven Mann anzustarren. Ihr gesamter Körper fühlte sich an wie in einem Rausch. All ihre Sinne waren auf ihr Gegenüber gerichtet. Ihr Herz schlug aufgeregt in ihrer Brust. So etwas hatte sie noch nie zuvor erlebt und sie wusste nicht, wie er es schaffte sie in solch einen elektrisierenden Bann zu ziehen.

In Kürze erreichen wir den Hauptbahnhof. Dieser Zug endet hier. Wir hoffen Sie schon bald wieder als unseren Fahrgast begrüßen zu dürfen.

Wie aus einer Trance gerissen, richtete sie ihre Augen zum Fenster hinaus und beobachtete die Umgebung. Dann stand sie auf um ihren Koffer aus der Gepäckablage zu holen. Doch ihre Bekanntschaft war schneller und reichte ihr diesen, ehe er seinen selbst hervor holte.

Das Tempo des Zuges wurde verringert und dann entstand ein Gedränge, denn plötzlich sprangen alle Fahrgäste auf und jeder zog seinen Koffer aus einem der Ablagefächer hervor. Zusätzlich bremste der Zug noch stärker ab, um an einem der vielen Bahnsteige anzuhalten.

Durch das Gedränge wurde sie an ihren Mitfahrer gedrückt und hatte keine Bewegungsfreiheit mehr. Als dann auch noch der Zug etwas ruckartig zum Stehen kam, griff sie nach einer Haltemöglichkeit, verfehlte diese aber und drohte in die Passagiere zu fallen.

Aus Reflex umfasste der Braunhaarige mit einer Hand ihre Taille um sie zu halten und instinktiv krallte sie sich in seinen Pullover.

Ein anderer Passagier fand keinen Halt und stieß gegen sie, wodurch sie an den jungen Mann gepresst wurde. Sein Aftershave stieg ihr in die Nase und durch den betörenden Duft, schmiegte sie sich gedankenverloren an die starke Brust.

Ihre Bekanntschaft überragte sie um einen Kopf und sie gab sich für einen kurzen Moment der Illusion hin, dass er der Mann an ihrer Seite wäre, den sie sich so sehr als Stütze wünschte, mit dem sie ihr Leben verbringen würde. Ganz in ihrer Gedankenwelt gefangen, spürte sie in sich hinein, fühlte das wohlige und stetige Kribbeln in ihrem Inneren, ließ sich von ihren Gefühlen, die verwirrender nicht sein konnten, leiten und lauschte dem stetigen, kräftigen Herzschlag in der fremden Brust. Sie hob wie in Trance ihren Kopf, suchte regelrecht nach diesen ausdrucksstarken blauen Augen. Ein Schauer lief ihr über den Rücken, während ihre Hand in seinen Nacken fuhr, ihn zu sich herunterzog und sie sich zeitgleich auf die Zehenspitzen stellte. Schon drückte sie ihre Lippen auf seine, schloss die Augen und genoss voll und ganz den Moment.

Die Türen öffneten sich und die Leute strömten aus dem Zug.

Zeitgleich löste sie ihre Lippen von denen des faszinierenden Fremden, blickte ein letztes Mal in diese wunderschönen Augen, die sie überrascht anstarrten, dann schnappte sie sich ihr Gepäck und verließ den Zug.

Sie zog ihren Koffer hinter sich her, schämte sich plötzlich für dieses Wagnis und beobachtete den jungen Mann, der Gedankenverloren an ihr vorbei ging und mit der Masse dem Weg folgte. Verlegen und errötet mit starkem Herzklopfen suchten automatisch ihre Fingerspitzen ihre Lippen. Vollkommen in ihren Gedanken versunken bemerkte sie erst nicht, wie sich ein Mann in ihren Weg stellte. „Aoko.“

Aus den Gedanken gerissen, sah sie in das Gesicht ihres Vaters, das von Trauer durchzogen war, und fiel ihm in die Arme. Beide hielten einander ganz fest, ehe sie langsam den Bahnhof verließen.
 

3 Jahre später...
 

Ihre Augen lösten sich von der vorbeiziehenden Landschaft und blickten gedankenverloren auf den leeren Sitz gegenüber. Dieses Mal war es ein fröhlicher Grund, warum sie in diesem Zug saß und nach Hause zurückkehrte. Und dennoch konnte sie die damalige Begegnung nicht mehr vergessen. Sie war diesem fremden Mann, der diese faszinierende Ausstrahlung hatte, nie wieder irgendwo begegnet. Auch wenn sie bis heute nicht wusste, was sie damals geritten hatte, diesem fremden Mann einen Kuss zu rauben, so bereute sie es bis heute nicht. Sie hoffte seither ihm irgendwo durch Zufall wieder zu treffen, aber eine weitere Begegnung war ihnen wohl nicht vorher bestimmt.

Der Zug fuhr in den Bahnhof ein und sie verließ mit allen Fahrgästen wenig später den Bahnhof. Dieses Mal wurde sie nicht abgeholt und sie würde sich ein Taxi nehmen, das sie zu einer bestimmten Adresse bringen sollte.

Vor einer Villa angekommen, hielt das Auto an und sie bezahlte die Fahrt. Wenig später stand sie mit dem Koffer vor dem Grundstück und betrachtete das Anwesen irritiert. Konnte es das wirklich sein? War sie hier wirklich richtig? Sie glich die Anschrift nochmals mit ihrer Notiz ab, aber das Ergebnis blieb das gleiche. Unsicher trat sie durch das offene Tor, die lange Einfahrt hinauf und zog ihren Koffer hinter sich her. Sie folgte der Auffahrt zum Haus. In einem Wendekreis stand mittig ein großer Brunnen, dessen Wasserspiel sie stundenlang hätte zusehen können. Wenn die Sonnenstrahlen auf das spritzende Wasser trafen bildete sich sogar ein kleiner Regenbogen. Aber sie war nicht hier um den Brunnen zu bewundern. Darum drehte sie sich der breiten Treppe zu, die den Weg zur großen doppelflügeligen Haustüre zeigte. Rechts und links ragten jeweils zwei Säulen hinauf und stützten die Überdachung.

Ihre Cousine musste sich wirklich glücklich schätzen hier zu wohnen.

Ein Wagen bog in die Auffahrt und näherte sich schnell. Ein schwarzer Geländewagen mit rund um getönten Scheiben hielt dann hinter ihr und sie drehte sich neugierig um.

Im selben Moment öffnete sich die hintere Türe und das erste was ihr ins Auge stach war ein wilder, unzähmbarer Wuschelkopf.

Sie konnte ihren Blick von dem Mann nicht mehr abwenden, der aus dem Auto stieg und sich zu seiner vollen Körpergröße aufrichtete. Er überragte sie um einen Kopf und warf die Türe zu. Während das Auto dem Wendekreis folgte und davon fuhr, drehte der Mann sich ihr gedankenverloren zu. Seine tiefblauen Augen richteten sich auf sie und überrascht musterte er sie. Ungläubigkeit spiegelte sich in seinem Gesicht.

Ihr Herz begann zu rasen, ihre Augen wurden größer und erschrocken über diese so plötzliche und unerwartete Begegnung wich sie zurück, stieß an ihren Koffer und verlor das Gleichgewicht. Sie spürte wie der Koffer unter ihrem Gewicht nachgab und umfiel und sie ebenso rückwärts fiel.

Blitzschnell reagierte ihr Gegenüber umfasste sie an ihrem rechten Arm und umfing mit dem anderen Arm ihre Taille.

Nah über sie gebeugt starrte er sie wie gebannt an, hielt sie fest und zog sie instinktiv näher an seinen Körper. Die gesamte Zeit musterte er sie eindringlich. „Du bist das Mädchen aus dem Zug“, stellte er fest und seine Stimme trieb ihr sofort einen Schauer über den Rücken.

Sie war nicht fähig zu sprechen, konnte ihn nur stumm anstarren. Er musste sie für vollkommen bescheuert halten.

Der Fremde richtete sich auf und zog sie dabei mit sich. Als er sich sicher war, dass sie fest auf ihren beiden Füßen stand, löste er die Umklammerung und brachte Abstand zwischen sie. „Wo warst du die letzten drei Jahre? Ich habe dich gesucht.“

Mit großen Augen starrte sie ihn an, während ihr Herz wie verrückt klopfte. Er hatte sie gesucht?

Schon wurde die Haustüre geöffnet und eine hübsche junge Frau trat heraus. Ihre dunklen Augen strahlten regelrecht, während die langen schwarzen Haare ihr über den Rücken fielen und knapp über dem Steißbein endeten. „Aoko! Da bist du ja endlich! Wie sehr ich mich freue!“

Immer noch verwirrt über diese unerwartete Begegnung mit ihrer Zugbekanntschaft, drehte sie sich um und sah wie ihre Cousine die Treppe hinunter kam und ihr um den Hals fiel. Schon erwiderte sie die Umarmung. „Akako, wie schön!“

„Ich hab dich so vermisst“, murmelte die schöne Japanerin und löste sich wieder von ihrer Cousine. „Wie ich sehe habt ihr euch schon kennengelernt.“ Sie grinste den Mann an und hielt ihm ihre Hand strahlend entgegen.

Der Fremde konnte seine Augen nicht von seiner Bekannten aus dem Zug abwenden, ergriff dann aber doch die Hand von Akako und blickte mit undurchdringlichen Blick sein immer noch unbekanntes Gegenüber an.

Beide äußerten sich nicht, darum übernahm die schöne junge Frau die offizielle Vorstellung. „Das ist meine wundervolle und über alles geliebte Cousine, Aoko Nakamori.“ Sie drehte sich der Gleichaltrigen zu und ihre Augen leuchteten regelrecht. „Und das ist Kaito Kuroba, mein Verlobter.“ Sie strahlte. „Wir werden heiraten, ich kann es immer noch nicht glauben“, fügte sie kichernd und überglücklich hinzu. Schon hauchte sie ihm einen Kuss auf die Lippen. „Übermorgen heiße ich dann endlich Akako Kuroba.“

Ein schmerzhafter Ausdruck trat in Aokos Augen, während in ihr etwas zerbrach. In diesem Augenblick verfluchte sie die Begegnung vor drei Jahren und bereute es sich ihm damals unüberlegt und von ihren wirren Gefühlen geleitet an den Hals geschmissen zu haben.

Akako riss sie aus ihren Gedanken. „Lasst uns endlich reingehen. Es gibt so viel zu erzählen.“ Sie sah den jungen Mann an. „Schatz, nimmst du bitte Aokos Koffer?“ Schon führte sie ihre Cousine die Treppe hinauf, durch die edle Eingangstüre in den großen Eingangsbereich.

Mit geweiteten Augen sah Aoko sich um und staunte über die edlen Möbel und die gigantischen Ausmaße des Hauses.

Während die beiden Frauen über den glänzenden Marmorboden schritten, folgte ihnen Kaito schweigsam. „Für dich haben wir das schönste Zimmer reserviert“, verkündete Akako. Und schon gingen sie auf eine Treppe zu, die in das Obergeschoss führte. „Du wirst begeistert sein. Es ist hell und freundlich. Für meine liebste Cousine gibt es nur das Beste vom Besten.“ Sie führte Aoko wenig später in einen Gang, der von mehreren Türen gesäumt war. Vor einer dieser vielen Türen blieben sie stehen. „Und das ist dein Domizil“, verkündete Akako, während sie die Türe öffnete.

Aoko trat ein und staunte über das große Zimmer, das gigantische Himmelbett und die großen Fenster. „Wow“, hauchte sie atemlos.

Kaito schob sich an ihr vorbei und stellte den Koffer vor dem Bett ab. Seine Augen fixierten sie, während seine Mimik vollkommen ausdruckslos war.

Unbehaglich wich sie seinem Blick aus. Dann riss sie sich zusammen und sah ihm entgegen. „Danke.“

„Keine Ursache“, sprach er. „Wir sollten dir jetzt Zeit geben auszupacken.“

Akako nickte: „Komm einfach runter, wir warten auf der Terrasse.“ Schon hakte sie sich am Arm ihres Verlobten ein, der Aoko keine Sekunde aus den Augen ließ und gemeinsam verließen sie das Zimmer.

Die Türe fiel zu. Sie war allein. Mit rasendem Herzklopfen ließ Aoko sich auf das weiche Bett fallen. Dabei schlug sie sich verzweifelt ihre Hände über das Gesicht und stöhnte auf: „Scheiße.“ Am liebsten würde sie ihre Sachen schnappen und fluchtartig dieses Haus verlassen. Aber sie durfte nicht egoistisch sein. Sie durfte nicht nur an sich denken. Sie war hier zu Gast, weil ihre liebste Cousine, ihre beste Freundin und wichtigste Verwandte heiratet. Und... sie, Aoko, die Verräterin in Person, hatte Akako betrogen und deren Verlobten geküsst … aus einem Impuls heraus, in einem Moment, in denen ihre Gefühle nicht zurechnungsfähig waren. Ihr Gehirn hat ausgesetzt und sie hat dadurch einen folgenschweren Fehler begangen. Sie löste ihre Hände von ihrem Gesicht. Akako durfte davon niemals etwas erfahren. Und sie hoffte sehr, dass Kaito es seiner Verlobten auch verheimlichen wird. Immerhin liebte er ihre Cousine und würde sie ganz sicher nicht verletzen. Sie richtete sich auf. Wenn nur bloß die Hochzeit schon vorbei wäre. Ein schmerzhafter Stich durchfuhr ihr Herz, als ihr bewusst wurde, was das alles überhaupt bedeutete.

Sie war eine Idiotin und Närrin. Drei lange Jahre hatte sie sich die Hoffnung auf eine erneute Begegnung gemacht und nun musste sie feststellen, dass der Mann, der sie bei ihrer ersten Begegnung umgeworfen hatte, in den festen Händen ihrer Cousine war.

Sie richtete sich auf und sah sich um. Es half nichts. Akako wartete auf sie. Es gab viel zu erzählen, sie haben sich lange nicht gesehen. Auch wenn sie dadurch Kaito gegenüber treten musste.

Schnell fand sie ein kleines Badezimmer, das an ihrem Zimmer angrenzte, und machte sich noch frisch. Dann wechselte sie noch ihre Kleidung. Ihre Figur umspielte nun ein zitronengelbes Sommerkleid, während ihre braunen Haare offen über die Schulterblätter fielen. Sie verließ ihr Zimmer und sah sich um, blieb an verschiedenen Gemälden und Portraits stehen, betrachtete diese ausführlich und suchte nebenbei den Weg zum Garten. Sie trat durch einen Torbogen in ein großzügig angelegtes Wohnzimmer. Die weiße Designercouch stand in starkem Kontrast zu den in dunkles Holz gehaltenen Möbel. Das ganze Ambiente war schick und sah teuer aus.

Ein fröhliches Lachen schallte in das Wohnzimmer und Aoko folgte dem Weg durch die offenstehende Terrassentüre. Sie trat hinaus auf eine überdimensionale Terrasse auf der sich auch ein großer Pool erstreckte.

Akako saß auf einem Liegestuhl, hielt einen Cocktail in ihrer Hand und lachte herzhaft.

Kaito saß am Poolrand und ließ die Beine im Wasser baumeln, während er sich auf seinen Unterarmen abstützte und eine Sonnenbrille auf der Nase trug.

Im Pool schwamm ein blonder Mann seine Bahnen.

Und eine braunhaarige Frau trat mit einem Sektglas in der Hand heran. Schon setzte sich auf den Liegestuhl neben Akako während sie eine Anekdote erzählte. Die braunen Augen leuchteten hinter den Brillengläsern.

Kaum betrat Aoko den Außenbereich, richtete sich die Aufmerksamkeit auf sie. „Aoko, setz dich zu uns“, begrüßte Akako ihre Cousine und deutete ihr sich zu setzen.

Der aufmerksame Blick der Frau mit der Brille lag ebenso auf Akakos Cousine. „Hi, ich bin Keiko.“

Aoko stellte sich auch vor und setzte sich zu Akakos Füßen auf den Liegestuhl.

Die schöne Japanerin schlürfte an ihrem Cocktail: „Und jetzt erzähl. Was hast du die letzten Jahre erlebt?“

Aoko zögerte. „Nicht viel. Ich habe mich hauptsächlich auf mein Studium konzentriert.“

„Ach bitte, Aoko, erzähl mir doch nichts. Du hast doch ganz bestimmt noch etwas anderes gemacht als zu lernen. Hast du einen Freund?“

„Nein.“

„Aber irgendwas musst du doch erlebt haben“, hakte Akako unerbittlich neugierig nach.

Immer noch zögerte die junge Frau und lenkte von sich ab. „Du bist doch von uns beiden diejenige, die verrückte Sachen macht.“

„Du willst uns ernsthaft erzählen, dass du noch nie etwas verrücktes gemacht hast?“ Ein blonder Haarschopf erschien. Der junge Mann wischte sich die Haare aus dem Gesicht und funkelnde braune Augen musterten sie neugierig. „Ich bin Saguru Hakuba.“

Aoko spürte plötzlich einen durchdringenden Blick und suchte kurz Kaitos Augen, jedoch verbarg die Sonnenbrille diese. Sie sah wieder zu dem Blonden, der am Beckenrand hing und sie aufmerksam musterte, dann erklärte sie: „Akako ist die Verrückte von uns beiden. Sie ist der Bauchmensch! Sie ist spontan und sie macht das wonach ihr der Sinn steht.“

„Und du?“

Überrascht blickte sie zu dem braunhaarigen Wuschelkopf, als seine Stimme erklang. Kaito sah sie direkt an, auch wenn die Sonnenbrille ihm Schutz bot, sie spürte es in diesem Moment zu deutlich. Sie öffnete ihren Mund um zu antworten. „Ich bin der Kopfmensch, die Vernünftige, die...“, sie zögerte, doch dann fügte sie leise hinzu: „...Langweilige.“

Akako richtete sich auf und schlug ihrer Cousine an die Schulter. „Stimmt doch gar nicht. Du bist impulsiv und hast einen starken Gerechtigkeitssinn. Du stehst für das ein, was du für richtig hältst.“

Und genau dieser Gerechtigkeitssinn erdrückte sie in diesem Moment. Das schlechte Gewissen wog schwer in ihr. Sie spürte immer noch Kaitos Blick auf sich und senkte stumm die Augen.

„Komm schon, eine Schandtat wirst du doch erzählen können“, drängte Hakuba und auch Keiko stimmte mit ein. „Nur eine!“

Akako flehte ebenso darum: „Bitte, Aoko, eine kleine Geschichte.“

Es gab nur einen Moment, in all den Jahren, in dem Aoko sich nicht auf ihren Kopf verlassen hat. Sie sah unsicher zu Kaito auf, dann konzentrierte sie sich auf ihre Fingernägel. „Einmal hab ich einen wildfremden Mann geküsst.“

Akako richtete sich ungläubig auf, während Keiko quietschte und Hakuba staunte. Sofort hakte Aokos Cousine neugierig nach. Ein breites Grinsen zierte dabei ihre Lippen. „Aoko, wow! Das wäre eine Aktion die von mir hätte sein können. Ich fasse es nicht... Wann und wo?“

Sie traute sich nicht mehr aufzusehen, spürte zu deutlich dass Kaito sie regelrecht anstarrte, auch wenn es sonst keinem auffiel. „Vor drei Jahren... im Zug... saß dieser unglaublich attraktive Mann mir gegenüber. Ich war ziemlich durch den Wind wegen der Beerdigung und er reichte mir ein Taschentuch und wir unterhielten uns.“ Sie hatte schon zu viel gesagt und starrte beschämt zu Boden.

„Und dann? Wie genau ist es passiert?“

Aoko schüttelte verlegen den Kopf, wollte nicht weiter erzählen, aber auf das Drängen der anderen sprach sie dann doch: „Es gab ein ziemliches Gedränge und ich wurde an ihn gedrückt.“

Während Keiko und Akako die Worte kaum glauben konnte, bemerkte der männliche Blondschopf. „Zu schade, dass mir das noch nie passiert ist.“

„Ich frage mich, wie man überhaupt auf so eine Idee kommt. Immerhin hätte der Mann eine Freundin oder eine Frau und Kinder haben können.“

Seine Stimme bereitete ihr eine Gänsehaut. Vorsichtig sah sie zu ihm. Sein Gesichtsausdruck glich einer starren Maske. Es kostete sie jegliche Überwindung auf diese Frage zu antworten. „Es war wohl der gesamten Situation geschuldet. Die tröstenden Worte, die positive Ausstrahlung, die verständnisvollen Augen, die Nähe wie auch der enge Körperkontakt, die wirren Gefühle...“ sie senkte die Augen, schämte sich dafür, so offen vor ihm gesprochen zu haben. „...Mein Kopf hat sich ausgeschaltet.“

„Zum ersten Mal wie es scheint“, mischte Akako sich fröhlich ein. „Sag mal, hast du dich verliebt?“

„Verliebt?“, spottete der Blonde. „So schnell geht das nicht.“

Akako schüttelte den Kopf, während sie Saguru ansah. „Es gibt sie: die Liebe auf den ersten Blick. Eine Begegnung vom Schicksal vorherbestimmt. Und dann trifft dich der Blitz und ehe du dich versiehst stehst du unter Amors Bann.“

Aoko konnte nicht noch mehr preisgeben, sie hatte hier eh schon alles ausgeplaudert und das ihre Cousine diesen Vorfall auch noch absegnete und gut fand, war sowieso absolut skurril. Sollte Akako jemals die Wahrheit erfahren... Sie mochte es sich nicht einmal ausmalen, welche Konsequenzen das nach sich zog. Sie würde den wichtigsten und liebsten Menschen in ihrem Leben verlieren.

Keiko mischte sich neugierig ein. „Hast du ihn jemals wieder gesehen?“

Entsetzt blickte Aoko auf, dann schüttelte sie schnell ihren Kopf. Eine Lüge, denn er saß am Pool, aber das konnte sie nicht aussprechen.

Kaito schnaubte, stand auf und schlenderte zur Poolbar um sich ein Getränk zu holen.

Aoko beobachtete seine Bewegungen und konnte nicht anders als seinen athletischen Körper zu mustern. Sie hoffte nur, dass sie sich unauffällig verhielt und man ihr nicht an der Nase ansah, welche Gedanken durch ihren Kopf schossen.

„Wenn es die wahre Liebe ist, wirst du ihm wieder begegnen“, tröstete Akako.

Aoko fühlte sich wie in einem Theaterstück oder Film.

Jemand trat auf sie zu und stellte sich in die Sonne. Überrascht blickte sie auf. Ihre Augen hingen an der dunkelblauen Shorts. Folgten dem angedeuteten Sixpack hinauf über den glatten und so starken Brustkorb. Sie erinnerte sich, wie sie sich an ihn schmiegte und er sich unter ihr anfühlte. Sie erinnerte sich an den stetigen und kräftigen Herzschlag. Ihre Augen folgten weiter hinauf, blieben an den warmen rosigen Lippen hängen, folgten der Nase weiter hinauf bis zu den leuchtenden tiefblauen Augen. Ausdrucksstark und doch geheimnisvoll. „Glaubst du an so was?“

Sie hörte die Provokation deutlich heraus. „Nein“, log sie.

Er hielt ihr ein Getränk hin, welches sie überrascht annahm. Schon drehte er sich um und sprang mit einem eleganten Kopfsprung ins Wasser.
 

Aoko saß nachts alleine auf dem Liegestuhl und starrte in die Dunkelheit vor sich. Die Terrasse war nur noch spärlich beleuchtet. Alle waren schon in ihren Zimmern und schliefen. Aber sie selbst fand nicht in den Schlaf. Es war kühl und ihre Arme überzog eine Gänsehaut, trotz der schützenden Strickjacke, die sie sich übergeworfen hatte.

„Du bist noch wach?“

Ein Schauer zog über ihren Rücken. Schnell schlang sie ihre Arme um ihren Oberkörper, während sie versuchte Kaitos Gegenwart zu ignorieren.

Er näherte sich wie eine Raubkatze und setzte sich ungefragt neben sie auf den Liegestuhl. „Ich kann es immer noch nicht glauben, dass du hier bist.“

„Da sind wir schon zwei“, murmelte sie.

„Verdammt“, fluchte er plötzlich und fuhr sich mit seinen Händen durch das eh schon wirre Haar. „Ich habe dich gesucht, aber nicht gefunden. Ich wusste schließlich nichts von dir, außer dass du mit mir in diesem Zug gesessen bist und auf dem Weg zur Beerdigung deiner Mutter warst.“ Er pausierte. „Irgendwann habe ich die Hoffnung aufgegeben dich jemals wiederzusehen.“

„Warum wolltest du mich denn wiedersehen?“ Sie sah neugierig zu ihm.

Kaito erwiderte den Blick. „Weil ich dich nicht vergessen konnte. Diese wunderschönen blauen Augen, voller Schmerz und Trauer und doch das lebensfrohe Funkeln darin. Dieses Lächeln, das mein Herz höher schlagen ließ. Die Lippen, die sich so überraschend auf meine legten und mich vollkommen in ihren Bann gezogen haben.“ Er näherte sich ihrem Gesicht, strich ihr eine Haarsträhne hinter das Ohr und nahm ihre Lippen dieses Mal für sich ein.

Überwältigt wurde sie von seinem Kuss mitgerissen, aber dann wurde ihr bewusst wen sie hier küsste. Er war der Verlobte ihrer Cousine. Das mit ihnen hatte keine Zukunft und glich einem Vertrauensbruch wie auch Verrat. Wieder bei Sinnen drückte sie ihn von sich weg und starrte ihn fassungslos, aber auch tieftraurig an. „Warum sagst du so etwas?!“

Er umfasste ihr Gesicht, suchte ihre Augen und ließ sie nicht mehr entkommen. „Im Gegensatz zu dir, glaube ich an die Liebe auf den ersten Blick. Denn genau das ist mir geschehen. Ich habe mich noch nie zu einer Frau so hingezogen gefühlt, obwohl ich sie nicht kenne.“

Aoko starrte ihn überrascht angesichts seines Geständnis an, spürte wieder seinen Mund auf ihrem und schnell entbrannte ein leidenschaftlicher Kuss.

Wie in Trance drückte er sie auf den Liegestuhl zurück und küsste sie stürmisch. Schon bald gab er ihren Mund frei und küsste sich zu ihrem Hals und diesen hinab.

Sie genoss das Prickeln ihrer Haut, ihr Herz raste regelrecht und dennoch schaltete sich ihre Vernunft ein. „Kaito“, hauchte sie atemlos. „Das dürfen wir nicht“, brachte sie dann doch etwas fester über die Lippen.

Kaito hob seinen Kopf und suchte nach ihren Augen, dabei beugte er sich wieder über sie. „Liebst du mich?“

Aoko schwieg.

Seine Augen musterten sie aufmerksam: „Gib mir eine Antwort, bitte“, forderte er sanft.

„Ich... kann es nicht. Akako liebt dich. Du wirst sie heiraten. Und sie ist mir sehr wichtig.“

„Ich muss es trotzdem wissen, bitte.“

Aoko stockte der Atem, wusste nicht was sie sagen soll. Sie selbst kannte die Antwort, spürte es tief in sich drin. Aber sie konnte ihm nicht antworten. „Ich kenne dich nicht gut genug....“

Er schüttelte seinen Kopf. Schon verlagerte er sein Gewicht etwas und hob eine Hand um ihr seine Fingerspitzen auf die Brust zu legen. Genau an die Stelle unter der ihr Herz aufgeregt schlug. „Keine Ausreden mehr“, bat er eindringlich. „Sei ehrlich.“

Aoko starrte ihn verstummt an, ihre Lippen bewegten sich tonlos. Zu mehr fühlte sie sich nicht im Stande.

„Bitte, Aoko“, flehte er, beugte sich über sie und hauchte ihr einen zarten Kuss auf die Lippen.

Kaum gab er sie wieder frei, sah er sie direkt an und sie glaubte er müsse ihr tief in die Seele blicken können, so intensiv wie er in ihre Augen sah. Das Blau in seinen Augen erinnerte sie an das stürmische Meer. „Ja“, hauchte sie heiser, doch schon biss sie sich auf die Unterlippe und wandte betrübt ihren Kopf ab. Sie bereute es ausgesprochen zu haben, denn das mit ihnen hatte überhaupt keine Zukunft.

Ein Ruck ging durch seinen Körper und im nächsten Moment stand er auf. Seine Augen fixierten sie, während er schweigend vor ihr stand.

Verwirrt folgte sie seinen Bewegungen und richtete sich selbst auch auf. Nervös schlug sie die Strickjacke vor ihrer Brust zu und klammerte sich selbst in den Stoff.

Unangenehme Stille entstand.

Ein kleiner Gedanke kam in ihr auf und nagte an ihrem Herzen. Brauchte er die Bestätigung für sein Ego? Das schlechte Gewissen Akako gegenüber drückte nun noch schwerer.

„Gute Nacht, Aoko“, murmelte Kaito und entfernte sich von ihr. Mit wenigen Schritten trat er ins Haus zurück.

Aoko blieb alleine am Pool zurück und ließ den lautlosen Tränen freien Lauf.
 

Unnatürlich blass und mit tiefen Augenringen trat Aoko in das von Sonnenlicht durchflutete Wohnzimmer. Aber etwas war anders. Es drang kein Lachen durch den Raum. Stattdessen erklang ein herzzerreißendes Schluchzen. Besorgt sah sie zur Couch, auf der Akako saß und ein Kissen an sich drückte. Sie weinte.

Neben der schönen Japanerin saß Keiko, die ihr immer wieder über den Rücken strich.

Saguru stand an der Wand angelehnt, die Augen geschlossen und die Arme vor der Brust verschränkt. Ein ernsthafter Zug lag auf dem Gesicht.

Auf einem der Sessel saß eine fremde Frau mit kurzen rötlichen Haaren. Sie hielt ihre verschränkten Hände vor den Mund, während die Ellbogen auf den Knien gestützt waren.

Aoko kam näher und wusste nicht was allen so früh am Morgen dermaßen die Laune verdorben hatte. „Akako“, sprach sie besorgt. „Was ist denn los?“

Akako von einem weiteren Schluchzen gebeutelt antwortete nicht, dafür sprach die fremde Frau. „Mein Sohn hat die Hochzeit abgesagt.“

Erschrocken hielt Aoko die Luft an und blickte direkt in die tiefblauen, aufmerksamen Augen einer reifen Frau.

„Er ist weggefahren! Er braucht Zeit zum Nachdenken“, erklärte Saguru. Schon löste er die Arme und ballte die Hand zur Faust. „Dieser Idiot. Dieser dämliche Idiot.“

„Vielleicht überlegt er es sich ja doch nochmal. Vielleicht hat er nur Fracksausen bekommen, weil der große Tag schon morgen bevorsteht“, tröstete Keiko.

Aoko konnte nicht glauben, was sie hier hörte. Dann stürzte sie aber zu Akako und kniete sich vor sie hin. „Es tut mir schrecklich leid“, entschuldigte sie sich aufrichtig. Sie war Schuld an allem. Wäre sie doch nur nicht hierher gekommen. Ganz bestimmt war Kaito wegen ihr gegangen. Sie hätte letzte Nacht sofort gehen müssen, als er kam. Stattdessen hat sie sich von ihm küssen lassen. Wie dumm sie doch war. Sie hat das Glück ihrer Cousine zerstört. Sie allein trug die Schuld.

Akako wischte sich tapfer die Tränen aus dem Gesicht, dann rang sie sich ein Lächeln ab. „Da kannst du doch nichts dafür.“

Aoko schüttelte den Kopf. Nur sie allein war für dieses Dilemma zuständig. Sie hat Akakos Hochzeit ruiniert. Niemals konnte sie sich das verzeihen. Sie allein war dafür verantwortlich, dass ihre liebste Cousine unglücklich und verzweifelt war. „Akako“, setzte sie von Schuldgefühlen geplagt an. „Ich muss dir etwas sagen.“

Akako blickte besorgt auf. „Was ist geschehen?“

Auch die anderen richteten ihre Aufmerksamkeit auf die Cousinen.

„Ich bin an allem Schuld und es tut mir so leid. Du kannst dir gar nicht vorstellen wie schuldig ich mich fühle. Und wenn ich es könnte, würde ich es sofort rückgängig machen. Ich würde die Zeit zurückdrehen und ganz anders reagieren. Wenn ich nur gewusst hätte welche Folgen es nach sich zieht, ich hätte es um jeden Preis der Welt nicht getan.“ Die Verzweiflung legte sich auf die Stimme nieder und die Tränen stiegen ihr in die Augen.

„Was hast du getan?!“, hakte Akako misstrauisch nach.

„Der Fremde im Zug war Kaito“, gestand Aoko leise und verzweifelt. „Bitte, Akako, es tut mir so leid.“

„Kaito?“, wiederholte die schöne Japanerin wispernd.

„Ich wusste es nicht. Ich bin ihm nie wieder begegnet und du weißt gar nicht wie überrascht ich war, als ich ihm plötzlich vor diesem Haus gegenüber stand. Ich wusste wirklich nicht wer er ist. Ich wusste auch bis gestern nicht, dass er dein Verlobter ist. Es tut mir so leid, das musst du mir einfach glauben. Ich habe das nicht gewollt.“

Akako starrte fassungslos ihre Cousine an. Konnte kaum glauben, was sie zu hören bekam. Doch dann verfinsterte sich ihr Gesichtsausdruck und ihr Blick wurde eiskalt. „Bitte geh, Aoko.“

Erschüttert erstarrte Aoko. „Akako.“

„Geh jetzt. Ich brauche Zeit, ich muss nachdenken“, sprach Akako und deutete zur Türe. „Und dich will ich erst mal nicht mehr sehen.“

„Akako“, wiederholte Aoko entsetzt, aber ihre Cousine schüttelte demonstrativ ihren Kopf.

„Geh jetzt!“

Niedergeschlagen stand die Braunhaarige auf und verließ das Zimmer. Sie ging in ihr Zimmer zurück, packte schnell ihren Koffer und trat keine viertel Stunde später in die Eingangshalle.

Aus dem Wohnzimmer drang Keikos Stimme heraus. „Sie hat doch selbst erzählt, wie es passiert ist.“

„Sie ist eine Verräterin“, antwortete Akako wütend. „Sie hat meine Hochzeit ruiniert!“

Aoko senkte betroffen ihr Haupt und schlich zur doppelflügeligen Eingangstüre. Ein letzter Blick zurück, dann verließ sie die Villa und ging die Auffahrt hinab. Ihren Koffer zog sie hinter sich her. Wenig später trat sie auf den Gehsteig. Sie folgte keiner bestimmten Richtung. Sie hatte Akakos Leben zerstört und sie verdiente den Hass und den Zorn ihrer Cousine. Kurz blieb sie stehen, überlegte wo sie nun hin sollte, dann entschied sie, dass sie nicht mehr zurück konnte. Sie würde hier einen Schlussstrich ziehen und einen ganz neuen Weg einschlagen.
 

1 Jahr später...
 

Mit einem flauen Gefühl in ihrem Magen las sie den Namen des Teehaus und atmete tief durch. Dann trat sie ein und sah sich um. Ein gemütlicher kleiner Laden, der absolut überfüllt war. An jedem Tisch saßen Japaner und tranken Tee in geselliger Runde. Unsicher folgte Aoko dem Weg hinein, auf der Suche nach ihrer Verabredung. Und plötzlich entdeckte sie das bekannte Gesicht. Schlagartig kamen die Schuldgefühle hervor, als sie die hübsche schwarzhaarige Japanerin an einem der Tische sitzen sah. Ihre dunklen Augen leuchteten und ein zaghaftes Lächeln lag auf den roten Lippen. Die schöne junge Frau winkte ihr zu und Aoko folgte der Aufforderung mit einem beklemmenden Gefühl.

Sie trat an den Tisch heran, schlüpfte aus ihren Schuhen und setzte sich zu ihrer Cousine. „Hey, Akako.“

„Schön, dass du es einrichten konntest zu kommen.“ Akako musterte aufmerksam ihr Gegenüber und lächelte freundlich. „Es war gar nicht so leicht dich ausfindig zu machen.“

Aoko senkte verlegen den Blick. „Nach damals...“, sie korrigierte sich selbst. „Ich konnte mich selbst nicht mehr ausstehen und bin für eine Weile ins Ausland gegangen. Ich hatte die Hoffnung, alles zu vergessen und mir selbst zu verzeihen.“

Akako legte sanft ihre Hand auf Aokos und schüttelte den Kopf. „Du hast keine Schuld“, beruhigte sie ihre Cousine.

Eine Bedienung kam an ihren Tisch und die Frauen bestellten sich einen Tee.

Aoko starrte auf die Hand, welche immer noch auf ihrer lag und schüttelte ihren Kopf. „Ich allein bin schuld. Das habe ich mir bis heute nicht verziehen. Ich habe deine Hochzeit ruiniert.“

Akako beugte sich weiter vor. „Rede dir nicht solch einen Unsinn ein.“

„Es waren deine Worte“, flüsterte Aoko tieftraurig und so verletzend es war, es stimmte.

„Ich war sauer! Mein Verlobter hat mich einen Tag vor der Hochzeit sitzen lassen und du hast mir gesagt, dass du die Schuld daran trägst.“

„Zu Recht“, gestand Aoko ein. „Es ist unverzeihlich.“

Die Bedienung brachte den Tee und Akako löste ihre Hand von Aokos.

„Ich habe dir nie erzählt wann und wie ich Kaito kennengelernt habe.“

Aoko schluckte. „Ich möchte es auch gar nicht hören.“

Ihre Cousine ließ sich aber nicht von ihrem Vorhaben abbringen und begann zu erzählen. „Es war hier, in diesem Teehaus. Ich saß hier...“, dabei deutete sie auf ihren Platz. „...an diesem Tisch. Keiko hat unsere Verabredung vergessen als Kaito plötzlich an meinem Tisch stand. Er setzte sich zu mir und wir kamen ins Gespräch. Die Sympathie füreinander war sofort da und wir unterhielten uns mehrere Stunden.“ Sie schwelgte in den Erinnerungen. „Wir tauschten Nummern aus und trafen uns regelmäßig. Ein halbes Jahr später kamen wir zusammen. Es war wundervoll und es lief so gut zwischen uns, dass ich kurz darauf zu ihm in die Villa zog. Ein weiteres Jahr später war die Hochzeit … besser gesagt, hätte diese stattfinden sollen.“

Aoko lauschte den Worten, stutzte aber dann plötzlich. „Ihr seid eineinhalb Jahre zusammen gewesen?“

Akako nahm einen Schluck von ihrem Tee und nickte bedächtig. „Ich habe ihn ein Jahr nach eurer Begegnung im Zug kennengelernt. Richtig.“

„Dann hab ich dich zu diesem Zeitpunkt gar nicht betrogen?“

Akako schüttelte ihren Kopf und setzte die Tasse wieder ab.

„Und dennoch ist mein Verhalten verabscheuungswürdig. Denn ich habe dich trotzdem hintergangen und ihn in der Villa geküsst.“ Rumgemacht hätte es besser getroffen, aber sie wollte Akako nicht noch mehr verletzen, als sie es schon getan hatte.

„Ich weiß“, gestand Akako.

Überrascht hob Aoko ihren Kopf. „Woher?“

Akako starrte auf die Tischdecke, doch dann sah sie ihre Cousine aufmerksam an. „Als du gegangen bist, kehrte Kaito am selben Abend zurück. Wir redeten lange und viel, es hätte sicherlich früher ausgesprochen gehört. Er gestand mir alles – von eurer ersten Begegnung bis zu eurer zweiten Begegnung und der Nacht am Pool.“

Aoko sog hörbar die Luft ein. Akako musste sie ja regelrecht hassen, sie selbst konnte sich ja nicht mal mehr im Spiegel ansehen. „Es tut mir so leid“, murmelte sie.

Akako legte ihre Hand wieder auf Aokos und schüttelte ihren Kopf. „Nein, Aoko, mir wurde klar, dass dich keinerlei Schuld trifft. Sein Herz hat nie für mich geschlagen. Es war von Anfang an in deinem Besitz.“

Aoko konnte und wollte diese Worte nicht glauben. Denn wenn sie es zuließ, würden die ganzen Gefühle in ihr Ausbrechen. Sie trank einen Schluck Tee.

Die schwarzhaarige Japanerin seufzte. „Wie ich schon mal sagte, es ist uns vom Schicksal vorherbestimmt und niemand kann sich der wahren Liebe verwehren.“

„Du verzeihst mir? Nach allem was ich dir angetan habe? Ich habe dich betrogen und ich bin schuld, dass deine Hochzeit abgesagt wurde.“

Akako sah sie liebevoll an. „Du bist mir sehr wichtig, Aoko. Ich war dumm und hätte dich nicht wegschicken dürfen. Wir hätten das gleich bereden müssen.“

„Wieso sagst das, Akako? Warum jetzt?“

„Weil ich nicht will, dass du einen großen Fehler machst. Verstehst du es denn nicht?“

„Ich versteh gar nichts“, antwortete Aoko verzweifelt. „Wie kannst du mir verzeihen? Ich habe dich auf das schändlichste hintergangen.“

„Das hast du nicht!“

Aoko schüttelte ungläubig den Kopf. Dann stand sie auf.

„Aoko“, rief Akako ihr nach, stand ebenfalls auf. „Lauf nicht weg!“

Ein letzter Blick zurück und Aoko erstarrte. Ihre Augen fielen auf die schlanke Figur und doch war da eine Wölbung zu erkennen, die normalerweise niemand so ausgeprägt haben konnte. Nur Frauen bekamen diese wenn sie schwanger waren.

Akako folgte dem Blick und führte ihre Hände an ihren sichtbaren runden Bauch. „Du siehst richtig“, lächelte sie aufmunternd. „Ich bin schwanger. In weniger als fünf Monaten bekomme ich ein Kind.“

Aokos Kopf begann zu arbeiten. Hatten sich die beiden versöhnt? Würden sie es doch nochmals miteinander versuchen?

Akako trat näher an ihre Cousine und ergriff ihre Hand. „Ich weiß es ist alles so überraschend. Aber lass es mich erklären.“ Sie suchte die blauen Augen ihrer Verwandten und sprach: „Kaito und ich haben uns getrennt. Vermutlich hast du mich vor einem Fehler bewahrt. Wie hätte ich auch mit einem Mann glücklich, bis an mein Lebensende, zusammen sein können, wenn dieser Mann sein Herz an eine andere Frau verloren hatte?“

Aoko schwieg.

„Jedenfalls ist Saguru für mich da gewesen. Er hat mich aufgefangen und ist mir zur Seite gestanden. Er war mir ein treuer und enger Freund. Und mit der Zeit entstand Zuneigung und Liebe zwischen uns und ein neues Leben“, bei diesen Worten strich sie sich über den Bauch.

Aoko konnte es immer noch nicht glauben. „Kaito ist nicht der Vater?“

„Nein“, antwortete Akako. „Er ist dir vorherbestimmt, nicht mir.“

Erleichterung breitete sich in ihr aus und dennoch überwog die Verzweiflung. Sie würde ihn nie wieder sehen. Wie konnte sie mit dem Ex-Verlobten ihrer Cousine nur glücklich werden? So vieles ist geschehen, dass sie sich immer noch nicht verzeihen konnte.

„Ich bitte dich, gehe zu ihm. Rede mit ihm! Werdet glücklich“, flehte Akako. „Ihr habt es beide verdient.“

Aoko schüttelte den Kopf. „Ich kann nicht“, hauchte sie. Doch schon zog sie ihre Cousine an sich. „Ich wünsche dir alles Glück dieser Welt!“ Sie löste sich wieder und sah sie traurig an. „Wir sehen uns bald wieder.“

„Aoko!“ Akako beobachtete wie ihre Cousine in die Schuhe schlüpfte. „Bitte geh zu ihm. Die Straße links entlang geht es zur Villa. Er ist zuhause. Bitte! Rede mit ihm!“

Aoko hob den Kopf, lächelte Akako an und verschwand aus dem Teehaus.

Sie ging entschlossen nach rechts und würde Kaito nicht zuhause aufsuchen. Den Blick zum Boden gesenkt ging sie ein paar Schritte als sich ihr jemand in den Weg stellte.

„Zu mir kommst du aber nur wenn du in die andere Richtung läufst.“

Erschrocken über diese allzu bekannte Stimme hob sie ihren Kopf und verfing sich sofort in dem stürmischen Blau seiner Augen. „Wer sagt, dass ich zu dir will?“, konterte sie leicht schnippisch. Was machte er überhaupt hier?

„Ich hatte die Hoffnung, dass du dieses Mal nicht wegläufst“, gestand er melancholisch. Er trat einen Schritt auf sie zu. „Und doch hättest du es wieder getan.“ Seine Hände umfassten ihr Gesicht und er sah sie flehend an. „Bitte lauf nicht wieder weg. Das mit uns ist etwas besonderes und auch wenn wir keinen guten Start hatten, so kann ich mir ein Leben ohne dich nicht mehr vorstellen.“

Ihre Augen wurden größer.

„Ich kenne dich kaum und doch hab ich dich das Gefühl dich schon ewig zu kennen. Meine schöne Fremde.“ Er lächelte sie liebevoll an und beugte sich zu ihr. Sie verschmolzen in einem liebevollen Kuss, der all die Zuneigung füreinander zeigte und sie wussten in diesem Moment, das ihre erste Begegnung im Zug etwas ganz besonderes war.
 


 


 


 


 

Regenbogen

Wasserspiel

Geständnis

Wagnis

Theaterstück



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