Zum Inhalt der Seite

Schwarze Tage

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Black Day

Ein letztes Mal sah Victor auf sein Handy und seufzte missmutig. Was sollte er nur mit Joachim machen? Eigentlich hatte er keine Zeit, sollte eigentlich auf den Weg nach Durban sein, saß stattdessen jedoch in seinem Wagen, noch immer in Kapstadt.

Sie Sonne brannte für die Jahreszeit üblich heiß vom Himmel hinab, ließ ihn zögern, nicht doch die Klimaanlage im Wagen anzulassen. Je nachdem wie lange er brauchte würde der schwarze Wagen bei seiner Rückkehr der Hölle Konkurrenz machen. Allerdings hieß es auch: Je nachdem wie lang er brauchte war die Batterie am Ende leer.

Er ließ die Anlage aus, stieg aus und sah sich um.

Der Parkplatz des Anderson Hospitals war leer. Das Krankenhaus wirkte etwas verfallen. Joachim hatte sich einen neuen Anstrich für die Fassade wohl nicht leisten können. Drinnen würde es nicht viel besser aussehen, hatte Joachim doch einiges von seinem Equipment verkauft.

Er kannte ihn mittlerweile zu gut. Wahrscheinlich hätte er Vodka mitnehmen sollen.

Mit einem Drücken des Knopfs auf seinem Schlüssel schloss er den Wagen ab und machte sich auf den dankbarerweise kurzen Weg zum Eingang des Krankenhauses.

Ein ungesundes Quietschen ertönte, als die automatische Glastür sich öffnete und den Blick in die knappe Eingangshalle preisgab. Halb überraschte es Victor, tatsächlich Gabriela am Schalter zu sehen.

Die dunkelhäutige Frau hatte sich auf ihrem Stuhl zurückgelehnt und den Blick auf ein Buch gerichtet, das sie in den Händen hielt. Ein Paperback, dem Sticker nach wohl aus der Bibliothek. Jetzt aber sah sie auf. Erleichterung zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab.

„Mr Dracovic“, rief sie aus. „Ein Glück, dass sie da sind.“ Ernsthafte Erleichterung lag in ihrer Stimme.

Halb hatte er mit so etwas gerechnet. Er ging zu ihr hinüber. „Wo ist mein guter Freund?“

„Das letzte, was ich von ihm gesehen habe, war, dass er im Keller verschwunden ist“, erwiderte sie. „Er wollte nicht gestört werden.“

Also war er in seinem Refugium. Victor nickte verständnisvoll. „Aber das Krankenhaus ist offen?“

„Nun, nicht Dr. Anderson wegen. Er wollte uns nach Hause schicken, sagte er hätte kein Geld mehr.“ Sie sprach schnell und mit einem deutlichen Accent. „Ich habe ihm gesagt, dass ich zuhause auch kein Geld habe.“ Sie schüttelte den Kopf und lehnte sich zurück. „Aber wenn der Mann sein Leben nicht bald auf die Reihe bekommt, wird wirklich niemand mehr herkommen.“ Damit hob sie den Paperback wieder hoch, um weiterzulesen, ersparte es damit Victor zu antworten.

Zugegebenermaßen hatte er mit so etwas gerechnet, als Joachim zwei Tage lang nichts ans Telefon gegangen war. Zur Hölle, er kannte ihn seit knapp zwanzig Jahren, kannte seine Launen und seine Abneigung dagegen selbst Hilfe anzunehmen, während er anderen seine förmlich aufzudrängen versuchte.

So ging Victor strammen Schrittes zum Treppenhaus, öffnete die schwere und ebenfalls quietschende Brandschutztür und ging schnellen Schrittes in den Keller hinab. Hier hatte Joachim sein Refugium, seinen Schrein oder wie auch immer man es nennen wollte.

Victor verstand nicht viel davon, von Magie. Zwar hatte er immer in dem Bewusstsein gelebt, dass es sie gab, doch was es genau damit auf sich hatte? Ihm fehlte die Begabung um das zu verstehen. Eins verstand er jedoch: Menschen, die ihren Problemen aus dem Weg gingen, indem sie sich in Arbeit stürzten.

Nun stand er vor der Tür, die durch ein Zahlenschloss gesichert war. Joachim hatte den Code nie geändert, so dass er sich leicht tat, ihn nun einzugeben.

Allein der chemische Geruch, gemischt mit einer bestimmten anderen Note, verriet ihm, dass er richtig gelegen hatte, noch bevor er seinen Freund am Tisch seitlich der Tür entdeckte.

Auf den eineinhalb Werksbänken, die auf dieser Seite des Kellerraums standen, lagen allerhand Dinge verteilt. Petrischalen verschiedener Größe lagen da. Ein Mörser. Kräuter. Einige Packungen mit Chemikalien, teilweise nicht korrekt verpackt. Ein Bunsenbrenner verkohlte die Unterseite eines bauchigen Kolbens, in dem eine grün-bräunliche Flüssigkeit siedete. Aus einem kleinen Loch im Stöpsel des Kolbens stieg ein seltsam riechender Rauch hervor.

Joachim saß leicht versetzt daneben, rührte ein Pulver in einen kleineren Kolben ein. Er trug eine Schutzbrille, sowie einen deutlich mitgenommenen Laborkittel. Die dazugehörigen Handschuhe lagen auf der Werkbank neben ihm.

Sein schwarzes Haar stand wild in verschiedene Richtungen ab. Es konnte dringend eine Wäsche und einen Kamm gebrauchen, wenn man Victor fragte, dessen dunkle Haare ordentlich zurückgestrichen waren. Schlimmer sah es jedoch um Joachims Bart bestellt aus. Was normalerweise ein stoppeliger Dreitagebart war, ließ ihn jetzt eher wie einen Magier wirken – einen mental instabilen, ungepflegten Magier.

Zumindest schenkte Joachim ihm keine Beachtung. Er rührte nur weiter in dem Kolben, als hätte er sich damit selbst hypnotisiert. Erst als Victor sich räusperte, schreckte er zusammen und sah endlich auf. „Victor?“ Seine Stimme war kaum mehr als ein heiseres Flüstern.

„Ich habe mir Sorgen gemacht, als du nicht ans Telefon gegangen bist, mein Guter“, meinte Victor mit einem schweren Seufzen. Er kämpfte gegen den Drang an, seinen Freund zu nehmen und zwangsweise in die nächste Dusche – die, da es sich um ein Krankenhaus handelte, am Ende des Gangs zu finden war – zu stecken. Doch Joachim hatte es im Moment nicht leid und nach allem, was er wusste, konnte er seinen Freund noch mit dem Schock umbringen.

„Angerufen?“ Joachim drehte den Bunsenbrenner etwas herunter, erinnerte sich dann, dass er den anderen Kolben noch in der linken hielt und stellte ihn ab. Dann schob er die Brille in sein Haar. „Wann?“

„Vorgestern Abend“, erwiderte Victor. „Gestern gesamt 22 Mal. Heute acht Mal. Deswegen habe ich mich entschieden sicherzugehen, dass du …“ Er führte den Satz nicht zu Ende. Doch tatsächlich hatte er schon schlimmere Befürchtungen gehabt. Es war viel gewesen. Viel auf einmal. „Wann hast du diesen Raum das letzte Mal verlassen?“

Joachim sah ihn verständnislos an. Sein Blick war leer und hatte doch etwas manisches. Dunkle Ringe zeichneten sich darunter ab. „Ich weiß nicht? Welcher Tag ist heute?“

„Donnerstag.“

„Oh.“ Das war für eine Weile die einzige Antwort, die Joachim ihm gab, während er zu den Petrischalen und dann zu dem verkohlten Kolben sah. „Oh“, wiederholte er dann, nahm die Brille ganz ab und strich sich durch sein leicht fettiges Haar. „Dann … Seit etwas mehr als zwei Tagen?“

Victor verkniff sich sein Seufzen. „Wann hast du das letzte Mal gegessen?“

„Vor etwas mehr als zwei Tagen?“, wiederholte Joachim und sprach in denselben fragenden Ton wie zuvor.

Nun schüttelte Victor den Kopf, trat in den Raum und betrachtete die Petrischalen, die in Heidensteins dünner Handschrift, die so flach gehalten war, dass sie mehr an eine Wellenlinie als arabischen Buchstaben erinnerte, beschriftet waren. Es war in ihrer Schulzeit ein Horror gewesen von ihm abzuschreiben, selbst wenn es sich öfter gelohnt hatte. Allerdings sagten ihm die Beschriftungen wenig. „Test 4D, 08.04.2008“ stand da zum Beispiel. Was auch immer 4D bedeutete. „Was machst du überhaupt?“

Joachim brauchte etwas zum Antworten. „Ich dachte, wenn ich irgendetwas neues … Ich hatte sowieso schon angefangene Forschungen hier … Und ich dachte …“ Er brachte den Satz nicht zu Ende. Wahrscheinlich wusste er, wie verrückt es klang. Er hatte alles verloren. Die Labore, seine Mitarbeiter. Was hatte er schon erwartet, dass er allein tun konnte? Er war gut. Ein Genie. Aber die Zeiten, in denen medizinische Forschung in einem Keller betrieben wurde, waren seit den 1940ern doch vorbei, oder?

Victor drehte sich zu ihm um, packte ihn sanft aber bestimmt am Arm. „Ich sage dir was, mein Guter. Du duscht dich und ziehst dich um. Dann gehen wir etwas essen.“

„Ich bin mir nicht sicher …“

Victor ließ ihn nicht zu Ende sprechen: „Du bist dir nicht sicher, ob du Hunger hast? Joachim. Du bist Arzt. Was würdest du einem Patienten sagen, der über drei Tage nichts isst?“

„Ich habe Kaffee getrunken“, warf Joachim ein, seufzte dann aber ergeben. „Du hast Recht.“ Missmutig stellte er den Bunsenbrenner aus und erhob sich ächzend. Energielos ließ er den Kittel von seinen Schultern gleiten und hängte ihn über den Rand eines Regals, das zur Hälfte mit pharmazeutischen, zur anderen Hälfte mit magischen Büchern gefüllt war.

Vielleicht war es gut, dass er sich nur mit ersterem herumgeschlagen hatte. Es war fraglos nicht gut für die Gesundheit, doch im Vergleich zu magischer Überarbeitung … Nun, es war weniger tödlich.

Joachim schwankte auf den Flur hinauf, brachte Victor dazu vorsichtig an seiner Seite zu laufen, nur um sicher zu gehen, dass er nicht umkippte. Dann erreichten sie die Dusche, die so eingerichtet war, dass selbst jemand im Rollstuhl hier hätte duschen können.

Rasch schob Victor einen Duschhocker in den leicht niedrigeren Bereich unter dem Duschkopf. „Kann ich dich alleine lassen?“ Sicher war er noch immer nicht, ob sein Freund nicht doch umkippen würde.

„Ich denke schon“, erwiderte Joachim noch immer mit derselben kratzigen Stimme.

„Gut.“ Damit verließ Victor den Raum, schob die Tür hinter sich zu und seufzte. So viel zum Thema „heute noch nach Durban“. Er stand im Flur, holte sein Handy heraus, ein Klappgerät in angenehm kleiner Form, ehe er innehielt. Und jetzt? Schließlich entschied er sich für Andrei. Der hatte es von Joburg aus zumindest nicht ganz so weit.

Er wählte, während er den Flur hinabging, hielt das Gerät an sein Ohr.

Nach drei Schritten hielt er wieder inne und besann sich eines Besseren. Er hatte eine Idee. Selbst wenn er nicht wusste, wie viele Medikamente noch in diesem Skelett eines Krankenhauses verblieben.

Während die Dusche nun endlich lief, ging er in das Zimmer ganz am Ende des Flurs. Ein Vorratsraum. Auch hier: Ein Zahlenschloss. Doch selbst wenn Joachim ein anderes Passwort nutzte, als in seinem Refugium brauchte es nur drei Versuche zum Öffnen.

Dann ein Knacken in der Leitung. „Guten Tag“, sagte eine neutrale Stimme auf Russisch.

„Guten Tag, Andrei“, erwiderte Victor ernst. „Dracovic spricht.“

„Herr Dracovic“, kam es respektvoll zurück. „Was kann ich für Sie tun?“ Zwar war Andrei bereits in der Position gestiegen, doch mit 24 noch jung und leicht zu beeindrucken.

„Ich hatte heute Abend ein Treffen in Durban. Mit Sokolov. Ich möchte, dass du mich vertrittst. Ich schaffe es leider nicht.“ Er schaltete das Licht in dem kleinen Raum an und sah sich um.

Hier sah es ebenfalls recht geräubert aus. Leere Kartons lagen in metallenen Regalen. Wenn das so weiterging könnte Joachim bald das Krankenhaus als Set für Horrorfilme vermieten, dachte er bitter.

„Sie vertreten, wirklich?“, fragte Andrei.

„Ja. Es geht um die neue Meeresroute“, erwiderte Victor. „Ich würde dir nachher alle wichtigen Sachen als Email zukommen lassen.“

Ein kurzes Zögern am anderen Ende der Leitung, während Victor fand, wonach er suchte. Einen geschlossenen Metallschrank. Mit angehaltenem Atem öffnete er ihn.

„Natürlich. Wie Sie wünschen. Vielen Dank“, antwortete Andrei.

„Ich habe zu danken, Andrei“, erwiderte Victor. „Rechne in einer halben Stunde mit der Email. Darin werde ich dir auch die Daten zum Treffpunkt schicken.“

„Ich werde alles in die Wege leiten, um nach Durban zu kommen.“

„Sehr gut.“ Damit legte Victor auf und begutachtete den Inhalt des Schrankes. Einige Medikamente waren noch da. Jetzt musste er nur noch finden, was er suchte. Seine Finger wanderten die niedrigen Regalbretter entlang, ehe er bei einer Packung innehielt. Ja, das sollte es notfalls tun.

Keinen Moment zu früh, denn eine Stimme erklang im Flur. „Victor? Könntest du mir eventuell Kleidung von oben holen?“

Victor biss sich auf die Unterlippe, ließ die Packung in seiner Jackentasche verschwinden und ging in den Flur zurück. „Oben?“

Joachim stand in ein Handtuch gewickelt im Flur. Noch immer tropfte er, doch zumindest sah sein Haar besser aus als vorher. „Ich habe mir ein paar Zimmer und eins der Betten oben genommen.“ Joachim sah deutlich geschlagen aus. „Die Wohnung …“

„Ich verstehe“, erwiderte Victor. Er schloss die Tür hinter sich, ehe er sich auf den Weg zum Aufzug machte.
 

Zehn Minuten später saßen sie im Wagen, der sich – ganz wie Victor es hatte kommen sehen – auch in den vierzig Minuten, die er im Krankenhaus verbracht hatte, ordentlich aufgeheizt hatte. Wäre es nach ihm gegangen, er hätte eine interessantere Farbe für den Wagen gewählt. Eine Farbe, die Hitze nicht so gut speicherte, wie Schwarz. Doch in seiner Position war Präsentation die Hälfte des Jobs. Da konnte er nicht in einem tannengrünen Fahrzeug aufkreuzen. Also war es ein schwarzer BMW, dessen Sitze mit cremefarbendem Leder bezogen waren. Langweiliger Standard.

„Julia ist am Montag geflogen?“, fragte er nach einer Weile vorsichtig, als die Ampel vor ihnen auf rot sprang.

Joachim starrte aus dem Fenster. Die Augen glasig. „Ja“, murmelte er matt. „Ich habe sie zum Flughafen gebracht.“

Natürlich hatte er das. „Hast du noch was von ihr gehört?“

Joachim schüttelte den Kopf. „Nein. Nichts. Aber …“ Er sagte nicht mehr, starrte weiter, während zu ihrer rechten einige Weingüter vorbeizogen.

„Ich verstehe.“

„Ja … Ich verstehe auch“, murmelte Joachim.

Wieder herrschte Stille zwischen ihnen. Ganz sicher war er sich nicht einmal, wohin sie fuhren. Essen. Sicher. Aber was? Halb rechnete er damit, dass er Joachim würde zum Essen zwingen müssen. Und das nicht auf dieselbe Art, wie er etwaige Geiseln zum Essen zwingen würde.

Er seufzte. Was konnte er noch sagen? Er kannte das Gefühl selbst. Nachdem sein Onkel beschlossen hatte, dass er Svenja heiraten sollte, nachdem er mit Olga drüber geredet hatte, hatte er wohl etwas ähnliches gefühlt. Nur, dass sie eine Lösung gefunden hatten, die es für Joachim nicht gab. Zumal es ja nicht nur Julia war.

Joachim hatte zu viel zu schnell aufgebaut. Das hier war wohl der Preis. Er hatte eine zentrale Sache nicht bedacht, weil er zu gutherzig dafür war: Wer erfolgreich war, machte sich Feinde. Egal, wie wenig er selbst Feinde in anderen sah. Doch diese Rede konnte er ihm nicht halten. Nicht jetzt.

Jetzt war es Joachim, der seufzte. „Ich konnte sie kaum zwingen hier zu bleiben. Ich meine, zur Hölle, ich habe nicht mal eine Wohnung. Wenn das so weitergeht …“

„Ich werde dich schon nicht in eine Hütte in den Flats ziehen lassen“, murrte Victor. „Und wenn ich dir was leihe …“ Leihgaben, die eigentlich geschenkt waren.

„Ich werde kein Geld von dir annehmen, Victor“, erwiderte Joachim matt. Als Victor ihm einen Seitenblick zuwarf, hatte er die Lippen aufeinander gepresst.

Nun seufzte Victor. So wollte er nicht mit ihm darüber sprechen. Halb war es ja ein Wunder, dass Joachim überhaupt noch stand. Daher gab er nach. „Ich weiß. Ich weiß …“

Stille. Mittlerweile hatten sie den südlicheren Teil der Stadt erreicht. Wenn er ehrlich war, fuhr er nur durch die Gegend, da er nichts besseres zu tun wusste. „Nun, anders betrachtet, bist du jetzt zumindest wieder auf dem Markt“, versuchte er es zynisch. Dabei hatte er durchaus bemerkt, dass Joachim noch immer den Verlobungsring trug. Er war zu sentimental.

Ein verächtliches Geräusch war die Antwort. „Selbst wenn ich mich direkt in das nächste Unglück schmeißen wollen würde … Mal ehrlich, was hätte ich einer Frau zu bieten? Ich habe nichts mehr. Wenn das so weitergeht, muss ich die Klinik verkaufen. Wenn jemand eine Klinik in der Lage kaufen will.“ Seine Stimme, wenngleich weiterhin heiser, klang aufgebracht, doch zumindest emotionaler.

„Du hast ein gutes Herz“, erwiderte Victor. „Reicht das nicht?“

Joachim murrte. „Nein. Hat es nie. Das weißt du.“ Eine für ihn ungewöhnliche Bitterkeit lag in seiner Stimme.

Da kam Victor eine Idee. Er schlug eine andere Richtung ein. Ja, es war eine zynische Idee, doch immerhin … Es war eine Idee. Etwas essen musste Joachim und immerhin würde Kimchi für gewöhnlich irgendeine Reaktion hervorrufen. „Wir finden schon eine Lösung“, murmelte er dabei.

Joachim antwortete nicht und so schwiegen sie, bis Victor in die richtige Straße einbog. Zugegebenermaßen war er selbst nicht sicher, was er groß noch sagen sollte. Sicher, über den Liebeskummer würde Joachim irgendwann hinwegkommen. Das waren Dinge, die einfach nur Zeit brauchten. Der Rest seiner Situation machte Victor gerade mehr Sorgen. Joachim hatte kein Geld mehr, dank der ganzen Geschichte mit Westa würde ihn so schnell niemand mehr einstellen und ohne einen gewissen Grundgeldfluss war es schwer ein Krankenhaus zum Laufen zu bringen. So stellte er es sich wenigstens vor. Fakt war nur: Nördlich der Flats war der mieseste Standort, den Joachim sich je hätte aussuchen können.

Also. Was nun?

Er fuhr auf den kleinen Parkplatz vor dem Restaurant und stoppte den Wagen. „Dann steig aus.“

Joachim späte aus dem Wagen heraus. „Koreanisch?“

„Ich dachte, du könntest etwas Scharfes gebrauchen“, erwiderte Victor und öffnete die Fahrertür, dieses Mal auf die Hitzewelle gefasst, die ihm entgegenkam.

Dazu sagte Joachim nichts, stieg stattdessen seinerseits aus und holte tief Luft. Wieder schwankte er leicht. Er brauchte wirklich bald ein Bett. Eins war sicher: Victor würde ihn nicht „nach Hause“ zurücklassen, wenn das wirklich „ein Krankenbett im Krankenhaus“ bedeutete. Nicht, bevor sie einen Plan hatten.

Vorsichtig ging Victor neben seinem Freund, hielt vor der Tür aber inne. Der Laden würde erst in zwei Stunden öffnen. Doch dankbarerweise hatte seine Rolle als Pakhan der Stadt etwas für sich. So holte er erneut sein Handy heraus, wählte eine Nummer und schenkte Joachim ein entschuldigendes Lächeln, während er sich selbst versprach, dafür zu sorgen, dass der Mann sich rasierte, sobald er Essen und einen Tag Schlaf gehabt hatte.

Jemand ging ans Telefon. Eine Frau, die Koreanisch sprach. Doch es brauchte nur einige wenige Worte von Victor, damit ein: „Natürlich geht das, mein Herr“ zurückkam.

Joachim sah ihn fragend an. „Ach, ich kenne hier jemanden“, erwiderte Victor und ließ die Details aus, wohl wissend, dass Joachim sie nicht hören wollen würde. „Du weißt schon, meine Zeit in Busan.“

„Ah“, machte Joachim und schwieg.

„Wusstest du, dass sie in Korea einen Anti-Valentinstag haben?“, meinte Victor dann, um einen lockeren Plauderton bemüht.

Joachim antwortete nicht sofort, doch nach einigen Sekunden unhöflicher Anspannung, erwiderte er schließlich: „Nein. Wusste ich nicht.“

„Sie nennen es Black Day. Analog zum White Day.“

„White Day?“

„Ach, Industriekram.“ Auf den schockierten Blick hin, konnte er sich ein Lachen nicht verkneifen. „Nein. Nicht meine Industrie. Kapitalismus. Weißt du, da hinten im Osten, haben die irgendwann angefangen … Ach, du weißt schon. 14. Februar ist Valentinstag. Und da schenken dann Mädchen oder Frauen der oder dem Angebeteten Schokolade. Und das hat sich gut in den Kassen von Süßigkeitenläden gemacht und dann …“

Die Tür wurde geöffnet, unterbrach ihn. Eine kleine, gut gebräunte Koreanerin, die bereits eine graublaue Schürze mit dem Logo des Ladens trug, sah sie an. „Mr Dracovic“, meinte sie in stark akzentuiertem Englisch. „Was kann ich heute für Sie tun?“

Victor lächelte. „Ich weiß, es ist noch ein paar Tage hin“, meinte er dann auf Koreanisch. „Aber für diesen Herrn hier hätte ich gerne ein Black Day Special. Wenn das geht.“

Ye-won sah zu Joachim, musterte ihn. „Der sieht deutlich mitgenommen aus“, kommentierte sie dann, jetzt ebenfalls auf Koreanisch. „Wo haben Sie den denn aufgesammelt?“

„Vor einigen Jahren in England“, erwiderte Victor süffisant. „Und wenn du noch etwas hättest, um ihn wiederzubeleben … Was mit ordentlich Feuer.“

Noch einmal wanderte Ye-wons Blick Joachim hinauf und hinab, dann nickte sie. „Ich sehe, was ich machen kann.“ Dann wechselte sie wieder ins Englische zurück. „Kommen Sie schon einmal rein. Ich habe Jasmintee. Möchten Sie?“

Joachim ließ es zu, dass Victor ihn in den Laden buchsierte, sackte aber wieder in sich zusammen, kaum dass sie an einem Tisch saßen. Schon brachte Ye-Won zwei kleine Gläser und eine hohe Plastikkanne gefüllt mit dem Tee zu ihnen hinüber.

Joachim seufzte nur, als sie ihm einschenkte.

Der Laden war modern eingerichtet. Wände und Bodenkacheln in weiß. Tische in schwarz und edlem, glatten Design. Lampen, die in einem klischeehaft asiatischem Laternenstil gehalten waren, hingen von der Decke hinab und spendeten bereits jetzt schon Licht, da die Fenster mit nicht gänzlich koreanischen Papiervorhängen abgedunkelt waren. Für die meisten war es ohnehin egal. Für die meisten wäre Asien einfach Asien. Oder zumindest Ostasien Ostasien. Kaum jemand käme auf die Idee Mutter Russland mit in den Mix von China, Japan, Korea, Thailand zu werfen, den so viele Europäer im Kopf hatten.

Stille. Joachim füllte sich das Glas voll. Seine Hand zitterte etwas dabei. Er war wirklich übermüdet. Wahrscheinlich auch unterzuckert. Als er trank, fixierte er endlich wieder Victor. „Du wolltest mir noch was erklären …“

„Ja?“ Victor brauchte einen Moment, um sich zu erinnern. „Ach ja. Süßigkeiten. Jedenfalls haben dann irgendwelche Läden eine Gegenleistung vorgeschlagen. Am 14. März haben dann Jungs den Mädchen – oder anderen Jungs – was schenken dürfen.“

„Und wir haben jetzt April“, kommentierte Joachim nüchtern.

„Ja. Weil dann in Südkorea die Regierung beschlossen hat, dass die Singles auch etwas Liebe brauchen und deswegen am 14. April den Black Day erfunden hat. Valentinstag von Singles für Singles und man isst Jajangmyeon.“

„Was auch immer das ist.“

Victor lächelte sanft. „Dabei dachte ich, du bist viel bereist.“

„Ostasien habe ich soweit ausgelassen, wie du weißt.“

„Ich weiß“, erwiderte Victor. „Es sind Weizennudeln in einer Bohnen-Soja-Gemüsesoße mit Fleisch und/oder Meeresfrüchten.“

„Ah.“ Zumindest schien ihn das etwas abzulenken. Wahrscheinlich fragte Joachim genau deswegen nach. Er konnte mit neuen Informationen seine müden Gedanken immer gut auf diese neuen Dinge lenken, anstatt über die alten nachzudenken. Das hatte er schon früher so gemacht. Deswegen war er auch so gut in der Schule gewesen. Na ja, und weil er ein Genie war.

Victor beobachtete ihn. Es hatte keinen Sinn jetzt das ernsthafte Gespräch mit ihm zu führen, dass sie früher oder später würden führen müssen. Im Moment war Joachim unterzuckert und übermüdet. Wahrscheinlich würde er nicht mal mehr wissen, dass sie hier gewesen waren, wenn er das nächste Mal aufwachte.

„Es tut mir leid, dass du dich um mich Sorgen musst“, meinte er auf einmal.

Victor schenkte ihm einen aufmunternden Blick. „Dafür sind Freunde da.“ Nicht, dass Joachim je viele Freunde gehabt hatte. Oder, dass er selbst dahingehend besser war.

Ein müdes Lächeln war Joachims Antwort.

Dann schwieg Victor. Er sah zur Küchentür hinüber, hinter der deutlich hörbar gearbeitet wurde. Ein süßlicher, würziger Geruch, wie er ihn vom koreanischen Essen kannte, erfüllte die Luft.

„Ich bin am überlegen“, murmelte Joachim, „ob ich vielleicht doch wieder nach England zurücksollte.“ Er klang ergeben.

„Warte damit erst einmal ab“, erwiderte Victor. „Ich glaube nicht, dass du aktuell so eine Entscheidung treffen solltest.“

Ein Schulterzucken blieb die einzige Antwort. Dann füllte Joachim sich etwas von dem kühlen Tee nach.

Auch Victor streckte die Hand nach der hohen Kanne aus und füllte sich etwas des süßlich duftenden Tees ein. Er trank. Es war angenehm kühl. Wahrscheinlich stand der Tee schon seit der Nacht kalt.

Endlich öffnete sich die silberne Küchentür und Ye-won kam mit zwei Tellern heraus. Darauf fand sich eine ganze Auswahl von Vorspeisen. Kross gebratene Haemul Pajeon, klebrige Dak Ganjeong und natürlich rot leuchtender Kimchi. Sie stellte die Teller mit dem Kommentar „Ich hole noch ein paar Soßen“ auf den Tisch und verschwand hinter die schwarze Bar am Ende des Raums, nur um nach wenigen Sekunden mit einem Tablett bestellt mit verschiedenen Soßen zurückzukehren. „Ich hoffe, dass es Ihnen schmeckt“, meinte sie dann, wieder auf Englisch, ehe sie sich Victor zuwandte. „Ihr Freund sieht deutlich mitgenommen aus“, sagte sie auf Koreanisch und schenkte Joachim einen besorgten Blick.

„Er hat eine harte Zeit“, erwiderte er. „Hast du vielleicht etwas mit ein wenig mehr Koffein?“

„Ich habe noch ein paar Flaschen Bacchus. Und Milchkaffee.“

„Klingt beides gut.“ Er schenkte Joachim ein vorsichtiges Lächeln.

Ye-won bedachte ihn eines langen Blickes, nickte dann aber. „Ich werde schauen.“ Damit wandte sie sich wieder zum Gehen.

Erst jetzt sprach Joachim. Er nahm ein Paar Stäbchen und tippte das Kimchi an. „Das ist Kimchi, richtig?“

„Genau.“ Victor lächelte. „Du solltest es probieren. Es sollte zumindest ein wenig Leben in dich zurückbringen.“

Joachim zögerte, nahm dann jedoch etwas von dem dünnen Kohl zwischen die Stäbchen, ehe er sie eher schlecht als recht an die Lippen führte, dabei den Kimchi fast verlor. Er stopfte es sich in den Mund und bereute es den nächsten Moment direkt. „Au“, prustete er durch den vollen Mund, setzte das Glas an, trank, kaute, trank mehr. Schweiß bildete sich auf seiner Stirn. „Was in Gottes Namen …“

Victor schmunzelte. „Und ich dachte, du glaubst nicht an Gott.“

Dies erntete nur einen fassungslosen Blick, während Joachim sich nachfüllte. „Ich habe gehört, dass das Zeug scharf ist, aber …“ Seine Stimme hatte beinahe so etwas, wie Energie dahinter. Es gab doch nichts über den Adrenalinrausch, der durch scharfes Essen kam. Selbst wenn es einen wohl auch umbringen konnte. Ach, was. Magier hielten mehr aus.

„Zumindest ist das eine Reaktion“, meinte Victor. „Probiert die Haemul Pajeon“ – er zeigte mit den Stäbchen drauf – „die sind auch für die britische Zunge bekömmlicher.“

Joachim seufzte, nahm dann einen der Röstpfannkuchen zwischen die Stäbchen.

„Die isst man für gewöhnlich mit den Händen.“ Victor streckte seine eigene Hand aus und nahm einen, ehe er zwischen den Soßen suchte und sich schließlich für Mayonnaise entschied.

Die Röstlinge waren frisch und knusprig.

Auch Joachim probierte, als Ye-won mit einem Glas und einem kleinen, bräunlichen Fläschchen zurückkam. Sie stellte beides vor Joachim. „Ich denke, Sie brauchen etwas davon.“

Fragend sah er zu Victor, doch dieser nickte Ye-won nur dankbar zu.

„Was ist das?“, fragte Joachim, als Ye-won in Richtung Küche zurückging.

„Milchkaffee und Bacchus.“

„Bacchus wie der Gott?“

„Bacchus wie der Gott“, bestätigte Victor. „Es ist ein koreanischer Energy-Drink. Ich glaube, das kannst du gerade brauchen.“

„Da magst du Recht haben.“ Damit öffnete Joachim den goldenen Deckel, schnüffelte an der Öffnung und kippte dann den gesamten Inhalt des kleinen Fläschchens in seinen Mund. Er kniff die Augen zusammen, massierte sich die Schläfen. „Ich weiß nur nicht, ob es viel bringt. Ich glaub, ich bin wirklich müde.“

„Du glaubst?“, erwiderte Victor.

„Du weißt, wie es nach ein paar Tagen ist … Ich bin mir nicht mal sicher, ob ich hungrig bin.“

„Vielleicht ist es gut, dass ich jetzt gekommen bin.“ Victor nahm einen Zahnstocher und spießte zwei Stückchen des Dak Ganjeong auf.

„Was ist das für ein Fleisch?“, fragte Joachim.

„Huhn.“ Und die Soße war genau so klebrig, wie er es in Erinnerung hatte.

Nun probierte auch Joachim. Zumindest war etwas Leben in ihn zurückgekehrt. Er wirkte nicht mehr ganz wie ein Zombie. Nur noch wie ein halber. „Das schmeckt … interessant“, stellte er fest.

„Du solltest mehr ausprobieren“, meinte Victor. Engländer waren mit dem Essen oftmals komisch.

„Hmm.“ Wieder eine knappe Antwort.

Victor seufzte, trank einen Schluck seines Tees. „Ich werde dich nachher mit zu mir nehmen. Ich mag dich nicht in deinem eigenen Elend zerfließen lassen.“

„Du weißt, dass ich nicht …“, begann Joachim, doch Victor unterbrach ihn.

„Ich weiß, dass du ungern zu mir kommst, aber du brauchst Gesellschaft und jemand, der dich davon abhält, dich tot zu arbeiten.“

„Ich arbeite mich nicht tot.“ Er nahm das mit Kondenswasser beschlagene Glas, in dem der Milchkaffee war. „Ich brauche nur Ablenkung und außerdem …“ Er trank einen Schluck, betrachtete dann, wie hypnotisiert, die milchige Oberfläche des Getränks. „Ich muss irgendwas Neues entwickeln, irgendwas, womit ich meinen Namen, mein …“ Er schüttelte den Kopf.

Victor schürzte die Lippen. „Du weißt, dass es so einfach nicht ist. Du brauchst erst einmal jetzt eine Möglichkeit Geld reinzubekommen.“

Zur Antwort zuckte Joachim mit den Schultern.

„In deinem Krankenhaus arbeiten noch immer ein paar Leute – selbst wenn du sie nicht bezahlst“, fuhr Victor fort, „und ich denke, du schuldest es ihnen, eine Möglichkeit zu finden …“

„Ich habe ihnen gesagt, sie sollen gehen“, murmelte Joachim.

„Weil du in ihrer Situation anders gemacht hättest.“ Victor spießte weitere Dak Ganjeong auf und steckte sie in den Mund.

Wieder kam keine Antwort.

Was hätte Joachim eigentlich getan, wären sie in unterschiedlichen Städten gelandet?

„Hör zu, ich verstehe, dass gerade alles zu viel ist“, meinte Victor nun. „Erst die Sache mit Westa und jetzt Julia …“

Joachim nippte an seinem Milchkaffee. Er sah konsequent in eine andere Richtung, nahm schließlich jedoch einen weiteren Haemul Pajeon und knusperte daran.

Was sollte Victor ihm noch sagen?

Ye-won nahm es ihm ab, darüber noch weiter nachzudenken. Sie kam mir zwei weiteren Tellern, diese hoch geformt, halb Schalen, jedoch auf eine moderne, leicht unsymmetrische Form. Sie stellte den einen vor Joachim. „Black Day Special.“

Joachim schenkte Victor einen matten Blick, während Ye-won auch vor ihn eine Schüssel stellte gefüllt mit Reis und in roter Soße angebratenes Rindfleisch vor ihn.

„Bulgogi“, sagte sie, „du mochtest es ganz gerne, oder?“

„Danke, Ye-won“, erwiderte er nur dankbar. „Und danke, dass du uns schon reingelassen hast.“ Kurz nahm er ihre filigrane Hand und tätschelte sie.

Sie sah ihn mit einer Spur von Amüsement an. „Dafür nicht.“ Damit zog sie ihre Hand zurück und verschwand zurück in Richtung Küche.

Joachim sah auf die Schüssel vor ihm, die mit Nudeln, über die eine dunkle Soße aus Gemüse, Fleisch und Meeresfrüchten gegossen und angerichtet mit ein wenig Lauch, gefüllt war. „Das ist also dieses Jaja-irgendwie?“, meinte er und klang schon wieder etwas müder.

„Jajangmyeon.“

„Single Essen?“

Victor nickte. „Ja. Mehr oder minder.“

Joachim seufzte schwer, nahm dann seine Stäbchen, durch die die Nudeln jedoch sofort glitten. Er sah sich um.

Nun stand Victor auf und ging selbst zur Bar hinüber, um Gabel und Löffel zu holen, die es einfacher für Joachim machen sollten, zu essen.

Joachim kommentierte dies nicht einmal, aß nur etwas und starrte dann für eine ganze Weile mit leerem Blick auf die Schale. Plötzlich sprach er: „Ich hatte wirklich gedacht, dass das, was wir hatten, mehr aushalten sollte. Dass diese Beziehung …“ Er seufzte, rollte weitere Nudeln auf. „Ich meine, sie hat es ja versucht und wahrscheinlich …“ Ohne den Satz zu beenden steckte er den Löffel in den Mund, kaute. „Weißt du, ich habe ihr die Hälfte vom Ticket bezahlt.“

Nur knapp verhinderte Victor ein Augenrollen. Er stöhnte. „Natürlich hast du das.“ Dabei hatte er doch so schon kein Geld.

„Ich dachte, das wäre ich ihr zumindest schuldig, nachdem sie die letzten Monate hier mit mir festsaß, während alles …“ Wieder sprach er nicht zu Ende. Tränen schwammen in seinen Augen.

„Warum kämpfst du dann nicht um sie?“, fragte Victor.

Joachim seufzte lange und schwer. Eine Träne lief über seine Wange und verschwand dann zwischen seinem krausen Barthaar. „Es wäre ihr gegenüber nicht fair. Sie hat was Besseres verdient, als das hier …“ Er schüttelte den Kopf.

Es war schwer eine passende Antwort darauf zu finden. „Ich verstehe“, sagte Victor daher nur und leckte sich über die Lippen. Gerne hätte er seinen Freund mehr getröstet, doch er wusste nicht wie.

In betretenem Schweigen pickte er selbst mit den Stäbchen etwas Fleisch vom Reis herunter, führte es zum Mund, kaute, schluckte, ohne zu viel von der süßlichen und zugleich scharfen Soße zu schmecken. Dann das nächste Stück, dann noch eins. Er aß etwas Reis, trank dann und seufzte schließlich.

Er betrachtete Joachim, beobachtete, wie er mit energielosen Bewegungen Nudeln zusammenrollte und sich in den Mund steckte.

Endlich nahm sich Victor ein Herz. „Ich kann dir einen Job anbieten.“ Die kommende Reaktion kannte er bereits.

„Du weißt, dass ich nicht …“, protestierte Joachim sofort und sah ihn an.

Victor seufzte. „Du musst nichts machen, dass dir Unbehagen bereitet, mein Freund“, sagte er bemüht mit gesenkter, aber ernster Stimme zu sprechen. „Aber ich habe ab und zu Leute mit Einschusslöchern, die Hilfe brauchen. Und … andere haben ähnliche Probleme.“ Er presste die Lippen aufeinander. „Noch dazu bist du Magier. Du könntest Dienste für Werwölfe und weiß Gott, was es hier gibt, anbieten.“

„Die meisten gehen eh zu Muti“, murmelte Joachim.

„Aber nicht alle. Du könntest aushelfen“, erwiderte Victor. „Ich weiß, dass es nicht die idealistische Arbeit ist, die du dir vorstellst, aber es würde Rechnungen zahlen – und das Gehalt deiner Mitarbeiter.“ Auch wenn es für ihn zur Tagesordnung gehörte, fühlte es sich dreckig an, seinen Freund so zu manipulieren. „Außerdem gibt es relativ viele Söldner in der Stadt. Ich kenne ein paar Leute und diese würden in gewissen Fällen sicher nicht nein sagen, zu einem Arzt, der zudem magisch heilen kann.“

„Mehr schlecht als recht.“

„Du hinderst Leute daran zu verbluten. Das ist mehr, als viele können“, erwiderte Victor trocken.

Joachim schwieg, drehte weitere Nudeln auf praktisch italienische Art auf dem Löffel auf.

„Wie gesagt, ich weiß, dass es für dich nicht optimal ist, aber es ist besser, als …“

Ein schweres Seufzen unterbrach ihn. „Ich weiß“, murmelte Joachim. Er legte Gabel und Löffel ab und rieb sich die Augen. „Ich weiß …“ Mit den Händen über dem Gesicht verharrte er – den silbernen Ring noch immer an seinem Finger. Zwei, drei Minuten vergingen, ehe er die Hände sinken ließ und ihn aus roten Augen heraus ansah. „Ich denke darüber nach, okay?“

Victor nickte. „In Ordnung.“

Damit wandte Joachim sich wieder dem Essen zu, sah dann aber noch einmal auf. „Danke, Victor.“

Darauf antwortete er nichts mehr.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (2)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Taroru
2019-05-10T07:43:39+00:00 10.05.2019 09:43
ich hab jetzt hunger o.o
und du bist schuld....

ähm... zum wichtigen teil...
hab ich weiter oben tatsächlich heidenstein gelesen? oder spielt mir mein müder geist einen streich? o.o
ist das quasie die vorgeschichte zu ihm? und wie sich das alles dann wieder zusammenfügt? o.o
Antwort von:  Alaiya
10.05.2019 09:56
Genau, das ist Teil seiner Vorgeschichte :)
Antwort von:  Taroru
10.05.2019 10:01
wann bis den nächsten teil? XD


Zurück