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Something Strange

Vanished
von

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Chapter 7

Mr. Lamb war nicht da.

Diese Tatsache hätte Randall eigentlich unfassbare Erleichterung verschaffen sollen, blieben so doch die giftigen Sprüche dieses Mal zumindest vorerst aus, doch in erster Linie verwirrte sie ihn einfach nur.

Soweit er sich erinnern konnte, war Mr. Lamb noch niemals krank gewesen. Er war der Typ Lehrer, der selbst mit dem Kopf unter dem Arm noch zur Arbeit erscheinen würde, und lieber riskierte, die gesamte Schule mit Grippeviren zu infizieren, als sich auch nur einen einzigen Tag krankschreiben zu lassen. Und auch ein pures Zuspätkommen wollte absolut nicht zu dem pedantischen Mann passen, so etwas war in seinen Augen vollkommen inakzeptabel, sowohl bei anderen als auch bei sich selbst. "Pünktlichkeit ist eine Tugend!", pflegte er für gewöhnlich zu sagen, wenn wieder einmal ein Schüler das Klingeln der Schulglocke nicht ganz so ernst genommen hatte. "Und wer diese Tugend nicht beherrscht, der wird im Leben nicht weit kommen!"

Doch trotz dieser unumstößlichen Ansicht und Mr. Lambs Entschluss, sämtlichen Krankheiten dieser Welt zu trotzen, war er nicht da.

Der Stuhl hinter dem Lehrerpult war leer, auch die dunkelbraune, abgewetzte Ledertasche, in der Mr. Lamb seine Unterrichtsmaterialien mit sich herumzuschleppen pflegte, war nirgends zu sehen, und überhaupt vermittelte die allgemeine Stimmung im Klassenzimmer nicht den Eindruck, dass er am heutigen Morgen bereits hier gewesen war.

In dem Moment, in dem Randall die Klinke hinab gedrückt und die Tür geöffnet hatte, waren alle bis zu diesem Augenblick im Raum geführten Gespräche auf einen Schlag verstummt. Alle Schüler hatten, wie in der Bewegung eingefroren, inne gehalten und ihn angestarrt, nur um dann, als sie erkannten, dass es nicht Mr. Lamb war, der da gerade hereinkam, vollkommen unbeirrt mit ihren Unterhaltungen fortzufahren. Nicht jedoch, ohne Randall dabei mit argwöhnischen Blicken zu bedenken.

Ein Tag wie jeder andere, mit dem kleinen Unterschied, dass es zwölf Minuten nach acht war und es keine Spur von Mr. Lamb gab.

Während er mit schnellen Schritten an seinen Mitschülern vorbei in den hinteren Teil des Klassenraumes zu seinem Platz hastete, regte sich in Randall die leise Hoffnung, dass der Lehrer vielleicht wirklich von einer heftigen Magen-Darm-Grippe erwischt worden war - sich so etwas zu wünschen mochte zwar ethisch fragwürdig sein, doch war ihm das herzlich egal - die ihn trotz seiner Überzeugung unbarmherzig ans Bett fesselte, und somit seinem Kurs am heutigen Tage ein weiterer, staubtrockener Vortrag zu "Große Erwartungen", oder vielleicht auch "Krieg und Frieden" oder "Der Fänger im Roggen" (Mr. Lamb sprang oftmals zwischen mehreren Büchern wahllos hin und her) erspart bleiben würde.

In genau dem Moment, in dem Randall seine Tasche neben seinen Stuhl fallen ließ und gerade im Begriff war, sich seinen Mantel auszuziehen, verstummten die Gespräche, die den Klassenraum bis eben noch erfüllt hatten, erneut. Zeitgleich erklang das vertraute Quietschen der Scharniere, das jedes Mal zu hören war, wenn die Türe des Klassenzimmers geöffnet wurde, und noch bevor er überhaupt über die Schwelle getreten war, schallte bereits Mr. Lambs quäkende, schnarrende Stimme durch den Raum: "Mr. Flynt, es ist dreizehn Minuten nach acht! Aus welchem Grund sitzen sie nicht auf ihrem Platz?"

Seine Schüler mit Nachnamen anzusprechen war etwas, was Mr. Lamb sehr gerne tat, wenn er sein Missfallen jemandem Gegenüber zum Ausdruck bringen wollte. Das kam sehr häufig vor, Missfallen gehörte zu Mr. Lambs häufigsten Gemütszuständen, und jedes Mal wieder hatte Randall das Bedürfnis, entweder aus dem Fenster zu springen oder Mr. Lamb zu erschlagen.

Irgendjemand kicherte. Randall konnte nicht sagen, wer es war, und es war ihm auch egal, wortlos knüpfte er seinen Mantel auf und warf ihn über seinen Stuhl, während Mr. Lamb mit diesem arroganten Grinsen, das nur er auf diese ganz bestimmte Art und Weise beherrschte, seinen Blick über seine Schüler schweifen ließ, die alle betont aufmerksam auf ihren Stühlen saßen und ihn anblickten. Es war vollkommen ruhig. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können

Randall zog seinen Stuhl zurück, um Platz zu nehmen und Mr. Lamb so einen Anlass zu geben, ihn nicht mehr mit diesem unangenehmen Blick anzustarren; das Kratzen der Stuhlbeine über den abgewetzten Parkettboden klang in der ansonsten herrschenden Stille laut wie ein Pistolenschuss. Mr. Lamb rümpfte angewidert die Nase, als habe er gerade ein besonders widerliches Insekt erblickt, dann, endlich, wandte er den Kopf in Richtung Tafel, und räusperte sich dabei, als müsse er gleich irgend eine wichtige Rede halten.

"Nach dem das erledigt wäre", begann er, mit einem weiteren Blick in Randalls Richtung, der sich am liebsten unter seinem Tisch verkrochen hätte, "und wir nun gleich endlich mit unserem Unterricht beginnen können, möchte ich euch zunächst noch jemanden vorstellen."

Mit großen, schnellen Schritten, die man dem untersetzten, rotgesichtigen Mann gar nicht zugetraut hätte, hastete er zu seinem Pult und knallte die vorgangs erwähnte, braune Ledertasche auf die Tischplatte, um sich dann in Richtung Tür zu drehen und ein ungeduldiges Schnauben auszustoßen. "Na los, ich hab nicht den ganzen Tag Zeit!"

Die Person, der diese Worte galten, betrat den Raum mit einem so deutlichen Zögern, dass kein Zweifel daran bestand, dass Mr. Lambs Art sie zutiefst irritierte. Wer hätte ihr das verübeln können, gerade, wenn man ihm zum ersten Mal gegenübersteht, konnte er mit seiner arroganten und cholerischen Art ausgesprochen beängstigend wirken. Nicht umsonst vermied es jeder, der bei halbwegs klarem Verstand war, sich mit ihm anzulegen. Anders als bei Miss McCarthy war es jedoch nicht Respekt, der zu diesem Verhalten führte, nein, die meisten Schülern und auch einige Lehrer waren sich lediglich sicher, dass Mr. Lamb vollkommen unberechenbar war. Geradezu durchgeknallt.

Und Verrückte sollte man bekanntlich nicht ärgern.

"Ich möchte euch euren neuen Mitschüler vorstellen.", fuhr Mr. Lamb unbeirrt fort, wobei das "möchte" einen eindeutigen Unterton von "Man hat mich dazu gezwungen." besaß. "Das ist Roger Clarke."

Es folgte eine kleine Pause, in der Mr. Lamb sich noch einmal geräuschvoll räusperte, als stecke ihm etwas im Hals, und Roger nickte kurz, dabei ein wenig verlegen wirkend.

Er war ein wenig größer als Mr. Lamb - was wirklich keine Kunst war - dabei jedoch so dürr, dass er neben der massiven Gestalt des Lehrers, der der jahrelange übermäßige Verkehr aller möglichen Speisen in Kombination mit mangelnder sportlicher Betätigung deutlich anzusehen war, vollkommen verloren wirkte.

Seine Haut war blass, besonders im Kontrast zu dem schwarzen Mantel, den er trug, und unter seinen Augen lagen Tiefe Schatten, Spuren von zu wenig Schlaf, wie Randall sie nur zu gut von sich selbst kannte.

"Er ist gerade aus South Dakota hergezogen und..."

"North Dakota."

"...Wie bitte?"

Die Stimme des Lehrers mochte oberflächlich betrachtet vielleicht freundlich klingen, doch darunter schlummert etwas, wofür das Wort "Hass" gar kein Ausdruck war.

Mit geöffnetem Mund und zuvor noch wild gestikulierenden, nun in der Luft eingefrorenen Händen wandte er sich seinem neuen Schüler zu, der ihn mit verlegenem Gesichtsausdruck ansah und offenbar keine Ahnung davon hatte, dass er es soeben mit nur zwei kleinen Worten geschafft hatte, sich selbst auf Mr. Lambs Todesliste zu setzen. Jeder im Klassenzimmer schien den Atem anzuhalten. Niemand verbesserte Mr. Lamb. Das war eine Art ungeschriebenes Gesetz, an das man sich besser hielt, wenn einem an einem halbwegs erträglichen zukünftigen Schulaufenthalt etwas lag.

"Na ja...ehm..." Roger wich dem stechenden Blick des Lehrers aus, offenbar war ihm ziemlich schnell klar geworden, dass Mr. Lamb wirklich kein angenehmer Zeitgenosse war. Dass es jedoch am besten wäre, einfach nichts mehr zu sagen und den Lehrer seinen Monolog fortführen zu lassen, schien er noch nicht verstanden zu haben. "Ich komme aus North Dakota. Nicht South Dakota. Ist eigentlich auch egal, ich wollte nur-..."

"Verstehe, verstehe." Mr. Lambs Lächeln war so eisig, dass die Temperatur im Raum sofort um gut 15 °C zu fallen schien. Mit den Fingerspitzen aneinander tippend, was eine seiner Eigenarten war, denen er immer nachging, wenn er, aus welchem Grund auch immer, gereizt oder nervös oder auch wütend war, wandte er sich wieder seiner Ledertasche zu und betrachtete sie mit einem solch hochkonzentriertem Blick, als habe er sie noch nie zuvor gesehen.

Dann, nachdem er einige Sekunden lang so verharrt hatte, mit gesenktem Kopf, seiner üblichen, krummen Körperhaltung und dabei weiterhin wie in einem für Außenstehende unhörbaren Takt leise die Fingerspitzen gegeneinander schlagend – Randall fand, dass er in dieser Pose verdächtig an Mr. Burns aus „Die Simpsons“ erinnerte – schien er sich wieder daran zu erinnern, dass er doch eigentlich etwas hatte sagen wollen, bevor er auf so unhöfliche Weise unterbrochen worden war.

„Also North Dakota!“, fuhr er fort, und betonte das „North“ dabei ungefähr wie „Prostatakrebs im Endstadium“. „Eigentlich ist es ja sehr ungewöhnlich und für die Leistungen auch nicht gerade förderlich, mitten im laufenden Schuljahr die Schule zu wechseln, aber manchen Leuten scheint das egal zu sein...“

Er hasste Roger. Das war bereits an diesem ersten Morgen klar, und es würde im weiteren Verlauf des Jahres noch genügend Situationen geben, in denen diese Tatsache mehr als deutlich werden würde, und hatten bisher alle Schüler, die ihn kannten, geglaubt, das Ausmaß seiner Boshaftigkeit ungefähr abschätzen zu können, so sollten sie nur alsbald eines Besseren belehrt werden.



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