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Monster

von

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Restriction

Der Kaffee war zu heiß, um ihn zu trinken.

Das war nicht deswegen bedauerlich, weil er besonders gut schmeckte; denn das war nun das letzte, was er tat, doch beinhaltete er eine beträchtliche Menge an Koffein, weitaus mehr, als es bei gewöhnlichem Kaffee der Fall war.

Und wenn Dr. Tiberius Lance in diesem Augenblick etwas wirklich brauchte, dann war es Koffein.

Es fiel ihm schwer, die Augen offenzuhalten, während er noch einmal die Zeilen auf dem Papier las, das vor gut etwa einer halben Stunde aus seinem Faxgerät herausgekrochen war und ihm einen kurzzeitigen Adrenalinschub verabreicht hatte, der mittlerweile jedoch abgeklungen war.

Fassen, was dort stand, konnte er jedoch immer noch nicht.

Der Text war voller geschwollener Ausdrucksformen und überflüssigem Gelabere; als ob ihn das irgendwie von der Kernaussage ablenken würde, die, seit er sie gelesen hatte, in seinem Kopf festzusitzen schien wie eine widerspenstige Zecke.
 

„…müssen wir Ihnen mitteilen, dass der Vorstand beschlossen hat, die Gelder, die Ihrem Projekt zugutekommen, aufgrund mangelnder Erfolge und vielversprechender Alternativmethoden, zu kürzen. In Zukunft zur Verfügung stehen Ihnen somit…“
 

Das war lächerlich.

Das war einfach gottverdammt lächerlich!
 

Der Tisch erbebte unter der Wucht seiner Faust, als Lance wutentbrannt auf die Platte schlug, für keinerlei fremde Ohren bestimmt brüllend: „Habt ihr gehirnverbrannten Idioten denn gar keine Ahnung, was ihr da tut?“

Niemand hatte seine Worte hören sollen. Doch eine Antwort bekam er trotzdem.

„Na, na. Sie sollen sich doch nicht so aufregen! Das ist nicht gut für Ihren Blutdruck!“

Lance brauchte sich nicht umzudrehen, um zu wissen, wer da eben, ohne anzuklopfen, den Raum betreten hatte. Er kannte die Stimme nur zu gut, und auch, wenn ihr Besitzer zu einer der angenehmeren Individuen gehörte, mit denen er in diesem Affenzirkus hier gezwungen war, zu arbeiten, legte er in diesem Augenblick nicht sonderlich viel Wert auf ihre Anwesenheit.

„Nicht aufregen!“, knurrte er, und ein weiteres Mal erzitterte die Tischplatte unter seinem Schlag. „Oh, das sagst du so leicht! Haben Sie eigentlich eine Ahnung, was diese Bürokratenärsche da oben getan haben?“

„Ja. Sie haben unser Budget gekürzt. Weil wir keine Erfolge vorzuweisen haben.“

Die Stimme klang nicht im Geringsten beeindruckt, und das machte Lance noch wütender. Aufgebracht wirbelte er herum, wobei er um ein Haar seine Kaffeetasse vom Schreibtisch gefegt hatte – aber dieses Gesöff brauchte er nun ohnehin nicht mehr. Er war wieder hellwach.

„Und das nimmst du einfach so hin? Sie sabotieren mein, unser Lebenswerk, und das interessiert dich überhaupt nicht? Was ist los mit dir, Linda?“

„Wir duzen uns nicht auf der Arbeit, Dr. Lance.“

Dr. Linda Petty warf ihrem Kollegen einen argwöhnischen Blick zu, bevor sie dazu überging, den kleinen Raum zu mustern, der im Grunde viel mehr eine Art Abstellkammer denn ein angemessenes Arbeitsumfeld war. Lance hatte sich nie darüber beschwert, es war ihm egal, wo er arbeitete. Solange er es nur eben tun konnte.

Genau so egal war es ihm im Augenblick, wie er mit seiner Gegenüber sprach, nichts hätte ihm gleichgültiger sein können; man war dabei, ihm alles zu nehmen, wofür er gearbeitet hatte (dass man dabei einer ganze Menge Menschen die Hoffnung auf ein gesundes Leben nahm, war dabei ein unschöner Nebeneffekt) und seine Kollegin stand vollkommen unbeeindruckt hier herum und machte sich offensichtlich über seinen beengten Arbeitsplatz lustig!

„Ist das dein einziges Problem?“, blaffte er sie an, und konnte gerade noch so viel Selbstbeherrschung aufbringen, dass er nicht noch einmal auf die Tischplatte hämmerte. „Verdammte Scheiße nochmal! Du kapierst es nicht, oder? Sie kriegen ihre scheiß Ergebnisse schon noch! Aber nicht, wenn sie das mit dieser verschissenen Budgetkürzung wirklich durchziehen! Das…“

„Nun hören Sie aber mal mit dem Gefluche auf!“ Nun klangt Pettys Stimme ebenfalls gereizt; sie verschränkte die Arme vor der Brust und starrte Lance direkt in die Augen, während sie missbilligend den Kopf schüttelte. „Das kann man sich ja nicht anhören! Wo sind wir denn hier? Ich verstehe, dass sie aufgebracht sind! Aber Sie glauben ja wohl nicht ernsthaft, dass die ihre Meinung ändern werden, nur weil Sie sich beschweren? Seien Sie realistisch! Sie haben keine Wahl! Sie müssen mit dem arbeiten, was Sie haben!“

„Oh, und wie soll das aussehen?“ Zu seinem Unmut war Lace seine Verzweiflung nur zu deutlich anzuhören, er klang ein wenig, als würde er jeden Augenblick in Tränen ausbrechen.

Und so fühlte er sich auch. „Das, was wir bisher hatten, war doch schon eine Zumutung! Wir würden viel schnellere Fortschritte erzielen, hätten wir mehr Geld…“

„Das ist mir klar.“

„Wir machen Fortschritte! Kleine, aber wir machen welche! Wir haben Ratten und Meerschweinchen von Krebs geheilt! Von drei verschiedenen Arten Krebs! Wir haben einen Impfstoff gegen Malaria entwickelt!“

„Bei Hunden.“

„Noch sind es Hunde! Wir…wir konnten dafür sorgen, dass der HI-Virus sich zurückbildet!““

„Wobei 98% der Versuchspersonen gestorben sind.“

„Das weiß ich, verdammt!“

Sie begriff es nicht. Sie begriff es einfach nicht! Sie war genau so wie die da oben; und das, obwohl sie mit ihm zusammenarbeitete, doch scheinbar genau so viel Interesse an diesem Projekt gehabt hatte wie er, genau so sehr gewollt hatte, dass sie Mittel gegen diese bisher unheilbaren, grausamen Krankheiten fanden…und jetzt stand sie hier und zuckte nicht einmal mit der Wimper bei dem Gedanken daran, dass all das bald vorbei sein würde!

Als hätte sie seine Gedanken gelesen, ließ sie ihre eben noch verschränkten Arme sinken und machte Anstalten, auf ihn zuzugehen, und mit einem Mal war ihre zuvor so abweisende Mine voller Mitgefühl.

„Hör zu. Ich weiß, wie du dich fühlst.“ Sie seufzte, schien nach den richtigen Worten zu suchen. Als gäbe es so etwas. „Ich weiß, wie wichtig dir dieses Projekt ist. Mir selbst doch auch! Es ist nur…“ Sie stockte. Senkte den Blick. Atmete tief durch.

Und Lance spürte, wie eine kalte Berührung, als striche jemand mit eisigen Händen über seinen Rücken, wie ein Schauer ihn durchfuhr.

Ganz wie eine finstere Vorahnung.

Lindas Schweigen schien gar kein Ende zu finden. Es konnte nur wenige Sekunden andauern, doch ihm kam es vor wie Stunden. Und es machte ihn wahnsinnig.

„Was?“, keifte er schroff und bekämpfte das Bedürfnis, seine Kollegin an der Schulter zu packen und zu schütteln. „Was ist? Sag schon, was?“

Sie versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, doch es gab keinen Zweifel daran, dass sie am liebsten vor ihm zurückweichen wollte. Sie hatte Angst vor ihm. Das konnte man ihr nicht verübeln, jeder, der Dr. Tiberius Lance kannte, hätte ihr es in diesem Augenblick gleichgetan, deutete sein Gesichtsausdruck und seine angespannte Körperhaltung doch nur zu eindeutig darauf hin, dass er kurz davor war, in einen seiner berühmt- berüchtigten Wutausbrücke zu verfallen. Und Dr. Lance wütend zu erleben, das wollte niemand.

Dennoch schaffte Dr. Petty es, dass ihre Stimme fest und selbstsicher klang, als sie endlich antwortete: „Es ist nur, dass du sie auch verstehen musst! Hör zu, ja, wir haben Fortschritte gemacht. Aber zu welchem Preis? Wie viele Tiere, wie viele Menschen wussten bis jetzt alleine sterben, damit wir diese Methoden testen können? Und die anderen Subjekte. Du weißt, wie es ihnen geht. Wie sie sich verhalten. Ich will dir keine Moralpredigt halten; dann dürfte ich nicht hier arbeiten. Ich weiß sehr wohl, dass Opfer notwendig sind, um Fortschritte zu machen! Aber das ist unverhältnismäßig! Es ist…unmenschlich!“

Unmenschlich. Unmenschlich.

Oh Gott, sie hatte es wirklich gesagt. Und nicht nur das, sie hatte es sogar wie einen Vorwurf klingen lassen! Was fiel dieser Schlampe eigentlich ein, so zu reden; sich hier als moralische Instanz aufzuspielen und sich anzumaßen, über ihn urteilen zu können?

Sie hatten keine Humanisten für dieses Projekt gesucht. Sie hatten Wissenschaftler gesucht, die bereit waren, das Notwendige zu tun.

Bis jetzt hatte er immer solchen Respekt vor Dr Linda Petty gehabt. Hatte sie für genau so jemanden gehalten, jemanden, der sich nicht von Ethik und Moral davon abhalten ließ, Erkenntnisse für das Wohlergehen der Menschheit zu sammeln. Intelligent, Distanziert, kühl, das war sie…auf der Arbeit zumindest.

Zielstrebig. Selbstbewusst.

Aber scheinbar war das alles nur Fassade gewesen.

Sie war hier reinspaziert, um wahrscheinlich schlimmsten Tag seines Lebens, hatte unbeirrbar und geradezu arrogant das Gespräch mit ihm gesucht, doch das alles war nicht echt, denn nun stand sie hier und versuchte mit aller Macht, ihre Angst vor ihm zu verbergen.

Sie redete noch immer. Was, wusste Lance nicht. Er hörte ihr nicht mehr zu. Er sah keinen Grund dazu. Er hörte nichts mehr.

Da war einfach nur noch Stille. Als hätte jemand seinen Kopf in Watte eingepackt, oder als hätte man den Ton einer Stereoanlage abgedreht, nur dass es keine Stereoanlage war, sondern die ganze Welt…er war wie taub.

Er hörte erst wieder etwas, als sie schrie. Ein hoher, schriller, entsetzter Schrei, und dann das Splittern von Holz und Knochen.

Woher er das Stuhlbein genommen hatte, konnte er später nicht mehr sagen. Wahrscheinlich hatte es in der Ecke hinter dem Schrank gestanden, wo so viel altes, unnützes Zeug herumstand und vergammelte, weil er einfach nie die Zeit fand, es wegzuräumen…

Doch dieses Stuhlbein war alles andere als nutzlos gewesen.

Der erste Schlag traf Dr. Petty an der Schläfe und schleuderte ihren Kopf zur Seite, ohne jedoch wirklichen Schaden angerichtet zu haben, Lance hatte beinahe ohne jeden Kraftaufwand zugeschlagen.

Der zweite Treffer war nicht mehr so harmlos.

Das Holz schmetterte gegen Lindas Hinterkopf und sie stürzte zu Boden, schlug lang hin und blieb liegen, Blut tropfte neben ihr auf den Boden. Wieder holte Lancer aus, wobei er einige Ordner aus dem Regal hinter ihm fegte, doch das kümmerte ihn nicht…er würde ohnehin aufräumen müssen.

Der nächste Schlag traf Lindas Schulterblatt. Sie schrie wieder auf, doch es war ein schwacher, halbherziger Schrei, sie schien kaum noch bei Bewusstsein zu sein.

Ein Lächeln breitete sich auf Lancers Gesicht aus. Zum ersten Mal an diesem beschissenen Tag fühlte er sich…gut.

Dann kam der letzte Schlag.

Er hatte gut gezielt, einen lautes Knacken signalisierte den sauberen Bruch von Dr. Pettys Genick. Das Holz gab im gleichen Zug den Geist auf und fiel polternd zu Boden, doch Lancer schenkte dem keine Aufmerksamkeit… Er fühlte sich so gottverdammt gut!

Eine Zeit lang stand er einfach nur da. Blickte auf seine reglos vor ihm liegende Kollegin, während ihm der metallische Geruch von Blut in die Nase stieg und langsam die übrigen Geräusche der Umgebung zurückkehrten; das dicken der Wanduhr, das Plätschern der Heizung…

Wie viel Zeit verging, konnte er nicht sagen. Es spielte keine Rolle. Zeit existierte nicht mehr für ihn.

Irgendwann, als seine Beine anfingen, zu schmerzen und sein Kopf zu pochen, ließ er sich zu Boden sinken, griff nach Lindas Haar und hob ihren Kopf, drehte ihr Gesicht zu ihm. Ihre Augen waren halb geschlossen, der Mund zu einem stummen Schrei geöffnet und die gebräunte Haut mit Blut bedeckt. Ein Anblick, der auf groteske Art und Weise schön war.

Es ließ ihn an die vergangene Nacht denken, das Bild war erstaunlich ähnlich. Nur, dass Erregung und Hingabe hier mit Furcht und Schmerzt vertauscht worden waren.

„Ach, Linda“ Seine Stimme war nunmehr ein Flüstern, geradezu zärtlich strich er ihr über das dunkle seidige Haar. „War dir das human genug?“

Er glaubte, ihre Antwort zu kennen. Doch hören müssen würde er sie nicht mehr. Er würde nie mehr etwas von ihr hören müssen.

Und in einem allerletzten Moment leichter Zuneigung beugte er sich vor und küsste sie.

Es war ein kurzer Kuss. Ein Abschied. Wenig emotional, eher eine Formsache. Ein Schlussstrich.

Mit einem lauten Ächzen richtete er sich auf, nur, um sich nach ein paar Schritten wieder auf seinen Stuhl fallen zu lassen. Mit einem Mal war die Müdigkeit wieder da.

Während er nach der Kaffeetasse griff warf er noch einmal einen Blick auf Linda, dir dort auf dem Boden lag wie eine weggeworfene Schaufensterpuppe. Von hier aus war das Blut nicht zu sehen…man konnte meinen, dass sie schlief.

„Dumme Linda.“, murmelte er und schüttelte den Kopf. „Du weißt doch, dass du mich nicht reizen sollst…“

Jetzt, wo seine Gedanken wieder klarer wurden, wurde ihm auch bewusst, wie sinnlos seine Tat eigentlich gewesen war. Es war nicht so, dass er sie bereute. Nein, vielmehr war es eine willkommene Art gewesen, seinen Frust abzulassen doch…an seiner eigentlichen misslichen Lage würde sich nichts ändern. Sie würden seinem Projekt das Budget kürzen. Er würde mit der Hälfte von dem auskommen müssen, was ihm bis jetzt zur Verfügung gestanden hätte; und Linda hatte rechtgehabt, er konnte nichts, absolut nichts daran ändern.

„Gottverdammte Scheiße.“, fauchte er, dann nahm er einen großen Schluck aus seiner Tasse.

Nun war der Kaffee kalt.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Schwabbelpuk
2019-03-05T18:10:21+00:00 05.03.2019 19:10
Oho, interessantes erstes Kapitel. Bin jetzt schon gespannt, wie es weitergeht und in welche Richtung es sich entwickeln wird. Denke, da könnte viel Potential hinter stecken. Der Schreibfluss war schön und die Gedanken des Protagonisten interessant. Gefällt mir bisher. :)
Antwort von:  ReptarCrane
11.03.2019 09:39
Vielen Dank, das freut mich sehr!
ich weiß leider noch nicht, in welchen Abständen ich weiterschreiben kann, da ich meine Planung irgendwie verlegt habe.
Aber schön, dass du die geschichte interessant findest, es wird auch auf jeden Fall weitergehen :)


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