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Die Ballade des Unbesungenen

von

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Erste Strophe: Himmel und Erde

Blau und klar spannte sich der wolkenlose Himmel über einen verschlafenen Wald, der erfolglos mit ihm um Unendlichkeit zu wetteifern schien. So dicht standen die Bäume, dass ihr Laubwerk ineinander überging und mit sterblichem Auge kaum auszumachen war, wo die eine Krone begann, um Platz für die nächste zu machen. Keines der vielen Tiere, die im Unterholz Heim und Schutz gefunden hatten, gab einen Laut von sich; still war der Wald – bis auf ein hohl klackendes Geräusch, das in unnatürlicher Regelmäßigkeit zwischen seinen hölzernen Säulen widerhallte.

Ein letztes Mal ertönte es; ein Tier, das sich selbst nicht als ein solches betrachtete, rief eine Warnung – und mit tiefem, hohlem Bersten stürzte ein Baum in seinen unweigerlichen Tod. Die Holzfäller, die seinem langen Leben ein so jähes Ende bereitet hatten, warteten, bis keine Gefahr mehr von herabfallenden Ästen ausging, dann machten sie sich sogleich an die Arbeit, den Stamm abfuhrbereit zu machen.

Unweit dieser Stelle hatten es sich Schneiderinnen auf einer künstlich angelegten Lichtung bequem gemacht und nähten unermüdlich Stoffstücke zusammen. Für gewöhnlich plauderten sie vergnügt miteinander, doch im Moment lauschten sie und die fleißigen Axtschwinger lieber etwas anderem.

Hoch über ihren Köpfen erklang sanfte Musik, der Gesang einer lieblichen, unirdischen Stimme, begleitet von den beschwingten Tönen einer Lyra. Wie Sonnenlicht drang sie durch die Baumwipfel und erwärmte ihre Herzen mit Freude.

Als die Sängerin ihr Werk nur allzu bald beendete, sahen die Menschen auf und winkten ihrer gütigen Göttin, bevor sie sich wieder ihrer Arbeit widmeten, wenn auch diesmal mit weniger Enthusiasmus.

Hylia, die ihr Spiel von einer kleinen, über den Bäumen schwebenden Insel aus hatte erklingen lassen, erwiderte die Geste. Sie wandte sich von den geschäftigen Menschen ab und der einzigen anderen Gottheit in dieser Welt zu. Kishin, der bei ihr auf der Insel Platz genommen hatte, die Arme hinter sich abgestützt, hatte den Kopf noch immer vom Zuhören schiefgelegt. Das Haar hing ihm wirr ins Gesicht und beschattete seine Augen. Seine Miene zeigte wie immer keine Regung.

„Und?“, fragte Hylia fröhlich und drückte die Lyra an sich. „Wie findest du sie?“

Kishin ließ sich einen Moment Zeit mit einer Antwort, während derer Hylia zu ihm schritt und sich neben ihm niederließ. Die Federn ihrer Flügel klimperten dabei wie feinste Eiszapfen. „Dieses Ding überdeckt deine Stimme“, meinte er schließlich nicht ohne eine gewisse Geringschätzung.

„Gefällt sie dir denn gar nicht?“, wollte Hylia enttäuscht wissen.

„Das habe ich nicht gesagt. Aber dein Gesang klingt mit ihr viel weniger rein“, präzisierte Kishin.

„Das ist aber schade …“ Niedergeschlagen hielt die Göttin ihre Harfe weit von sich, um sie zu betrachten. Die elegant geschwungenen Bogenarme liefen in Formen aus, die an Vogelköpfe erinnerten. Wie um diesen Vergleich zu betonen, landete ein kleiner Singvogel, wie Hylia allerorten von mehreren begleitet wurde, auf der Querstrebe und plusterte das Gefieder auf, als sei er empört über Kishins Kritik. Hylia kicherte. „Dabei ist sie aus einem so besonderen Material und daher auch ein besonderes Instrument!“

Wie Kishin wusste, hatte Hylia die Lyra aus einem Teil jenen Goldes erschaffen, das er bei seinen ersten Besuchen in dieser Welt in der Erde gefunden hatte. Bislang hatte selbst er nicht gewusst, warum sie ihn plötzlich um zwei Handvoll des edlen Metalls gebeten hatte. „Du kannst gerne auch das restliche Gold haben“, bot er ihr an. „Ich brauche es nicht.“

Langsam ließ die Göttin das Zupfinstrument wieder sinken. Einen Moment dachte sie tatsächlich über Kishins Vorschlag nach, lehnte dann aber ab. „Vielleicht irgendwann.“ Unbeschwert kam sie auf das vorige Thema zurück: „Wenn meine Stimme etwas in den Hintergrund rückt, ist das schon in Ordnung. Ich wollte, dass meine Musik weiter trägt, damit die Menschen überall im Wald sie hören können.“ Sie neigte Kishin den Kopf zu, als sie hinzufügte: „Wenn ich nur für dich singe, lasse ich die Lyra eben weg.“

Die Vorfreude, die Kishin bei dieser Aussicht empfand, schwand beinahe augenblicklich, als Hylia darüber zu referieren begann, welche faszinierende Wirkung ihre Musik auf Menschen hatte. Der Gott seufzte innerlich. Diese und ähnliche Schwärmereien über ihre neue Lieblingsspezies häuften sich in letzter Zeit. Anders als zu Beginn war sich Kishin mittlerweile nicht mehr sicher, ob es sich hierbei nur um eine ihrer Phasen handelte, wie damals, als sie versucht hatte, Tiere mit Pflanzen zu kreuzen. Ihr Ziel war es gewesen, eine neue Vogelart zu erschaffen, die statt eines Federkleids eines aus Blättern trug. Ihre Experimente waren zwar nicht so ausgegangen, wie sie es sich erhofft hatte, aber dennoch liebte sie diese Mischwesen, die weder zum einen noch zum anderen Zweig des Lebens zählten. Hylia wäre nicht Hylia, täte sie es nicht.

Kishin spürte, wie weit unter ihnen ein weiterer Baum starb; kurz darauf erreichte ihn der Schall des von einer Axt gestürzten Stammes. „Sie töten den Wald“, zischte er verächtlich.

Wie von Hylias Gutmütigkeit zu erwarten, rechtfertigte sie sogleich dieses Verhalten: „Sie brauchen das Holz, um sich ihre Behausungen zu bauen und Feuer zu machen. Und auf dem frei werdenden Boden legen sie Felder an, um Nahrung anzupflanzen. Wirklich, Kishin“, frohlockte sie, „seit sie ihre Höhlen verlassen haben, sind sie so weit fortgeschritten! Sie machen immer bessere Werkzeuge, die ihnen die Arbeit erleichtern. Sie tragen keine Tierfelle mehr, sondern weben ihre Stoffe selbst. Mir haben sie es auch beigebracht, aber ich benutze ungern Pflanzenfasern. Sonnenstrahlen sind viel interessanteres Garn.“ Zwei kleine Vögel beobachteten mit zuckenden Köpfchen, wie Hylia eine Falte ihres weiten, langen Kleides glattstrich. „Das habe ich selbst gemacht, nach dem Vorbild der Kleidung, die Menschenfrauen tragen. Ich finde sie schön.“

Jene Frauen nähten und flickten unermüdlich an ihren Stoffen, während ihre Männer die Leichen der Bäume abschleppten. Zurück blieb ein Loch in der scheinbar unendlichen Kronendecke. Kishin setzte sich auf. Wie konnte eine einzelne Spezies nur einen solchen Schaden anrichten?

„Kishin?“

„Ja?“ Der Angesprochene zog seine Aufmerksamkeit vom Wald zurück und schenkte sie ganz Hylia. Was da unten geschah, konnte er nicht verhindern, so sehr es ihm auch missfiel, dabei zuzusehen, wie diese Welt allmählich die Trostlosigkeit ereilte, die in seiner eigenen herrschte. Solange ihre Schutzgottheit selbst nichts dagegen zu unternehmen gewillt war, würde sich auch nichts ändern.

„Hörst du mir noch zu?“, fragte diese leicht verärgert.

„Wie denn nicht?“, stellte er eine sehr berechtigte Gegenfrage. Nur, weil er mit dem einen Sinn an einem anderen Ort verweilte, bedeutete das noch lange nicht, dass seine anderen nicht mehr wahrnahmen, was in seiner unmittelbaren Nähe lag. „Wenn deine Stimme sogar dann noch nach Musik klingt, wenn du beleidigt bist.“

Sogleich strahlte sie wieder ihre gewohnte Heiterkeit aus. „Dann willst du bestimmt noch mehr erfahren, oder? Wie Männerkleidung aussieht, zum Beispiel.“

„Nicht wirklich …“, begann Kishin zu protestieren, doch Hylia schnitt ihm sogleich das Wort ab. Neben ihr lag ein Gegenstand aus Stoff, akkurat zu einem ordentlichen Bündel gefaltet, um den ein paar Meisen herumhüpften. Überrascht flatterten die Singvögel auf, als Hylia nach dem Bündel griff, es mit einer flüssigen Bewegung aufschüttelte und Kishin herüberreichte. Der tat ihr den Gefallen und nahm ihre Gabe entgegen. Mit deutlichem Desinteresse meinte er: „Ist es so wichtig, dass ich weiß …“, verstummte aber, als er das Kleidungsstück in seinen Händen mit jenen verglich, die die Holzfäller unten im Wald trugen. Verwundert stellte er fest: „Das ist viel zu groß für einen Menschen.“

Als er hörte, wie Hylia oberflächlich unschuldig, aber eindeutig verschmitzt kicherte, war ihm sofort klar, was sie bezweckte.

„Oh, bitte nicht …“

Nachdem Kishin nach ihren Anweisungen die Kleidungsstücke angelegt hatte, betrachtete Hylia den Gott in Menschengewand prüfend. Dieser schüttelte einen Fuß aus, der wie auch der andere in einem kniehohen Lederstiefel stak. „Das fühlt sich merkwürdig an“, kommentierte Kishin, rückte den Gürtel zurecht, der die Tunika um seinen Bauch fixierte.

Hylia, die aus Erfahrung mit seinem Widerwillen gerechnet zu haben schien, nickte. „Meinst du, du könntest dich daran gewöhnen?“, fragte sie etwas enttäuscht, aber hoffnungsvoll.

„Vielleicht.“ Weder mochte Kishin lügen, noch der Göttin gute Erwartungen zerstreuen, weswegen er sich lieber nicht festlegen wollte. Schon seit Beginn seines Daseins trug Kishin einen schwarzen Ganzkörperanzug, der nur Füße, Hände und Kopf aussparte und zu seiner göttlichen Physis gehörte wie eine zweite Haut. Ob er wirklich eine dritte brauchte, dazu eine, die ihn wie einen Menschen auftreten ließ, bezweifelte er.

Mit seiner unverbindlichen Antwort gab sich Hylia nicht zufrieden. „Wie findest du, siehst du darin aus?“

Kishin stutzte. „Wie ich mich finde?“

Über seine Ratlosigkeit kicherte Hylia, schüttelte gutmütig genervt den Kopf. Sie trat an ihn heran, richtete kurz den Kragen der Tunika, strich ihm das mondsilberne Haar aus dem Gesicht und legte eine Hand an seine Wange. „Du hast so schöne Augen“, hauchte sie verträumt, „blau wie die Tiefen der See. Wenn du sie nur öfter auch zum Sehen verwenden würdest.“ Wieder lachte sie leise, diesmal über ihr eigenes Wortspiel.

Als Götter verfügten sie beide über einen Übersinn, den kein sterbliches Geschöpf besaß, der es ihnen erlaubte, die Auren in der Welt um sie herum wahrzunehmen. Irgendwann und gewiss unter Einfluss der Menschen hatte Hylia angefangen, Dinge auch mit ihren Augen zu betrachten, und Kishin dazu aufgefordert, es ebenfalls zu tun. Je mehr Sinne wach und aufmerksam waren, so ihre Argumentation, umso größer war die Chance, in allem etwas Schönes zu entdecken.

Bislang hatte Kishin diesen Rat nur selten beherzigt; jetzt aber blinzelte er gegen den grellen Sonnenschein an, der ihm in die freigelegten Augen stach. Nach und nach erhob sich aus dem blendenden Licht Hylias Antlitz, amüsiert grinsend über den eigenen Witz, von langem Goldhaar umrahmt wie von einem Strahlenkranz. Eine Schwalbe hockte auf ihrer Schulter. Das wolkenfarbene, wie ihr Haar goldglänzende Kleid umfloss ihren schlanken Körper wie Nebel. Hinter ihrem Rücken ragten die hellblauen Flügel auf wie ein kleiner Ausschnitt des Himmels.

Gefangen von ihrem Anblick konnte Kishin nicht reagieren, als Hylia ein weiteres Kleidungsstück über seinen Kopf stülpte und damit seine neue Frisur fixierte. Leichtfüßig hüpfte sie zurück, wobei die Vögel überrascht aufflatterten. „Schau dich an!“, forderte sie ihn leuchtend vor Begeisterung auf.

Der überlistete Gott seufzte resigniert und tat ihr den Gefallen, an sich herabzusehen. Die Stiefel und der Gürtel hatten, wie nicht anders zu erwarten, die Farbe fermentierter Tierhaut, während die Tunika ihn an bläulichen Kupfersmaragd erinnerte. Wie er so den Kopf herabneigte, rutschte das Ende der Zipfelmütze über seine Schulter. Ärgerlich wischte Kishin sie wieder zurück. Warum diese dumme Kopfbedeckung sein musste, war ihm schleierhaft. Kein Mensch trug eine solche. „Na schön“, gab er Hylias Gesuch unwirsch nach. „Ich sehe albern aus!“

Vergebens versuchte Hylia hinter erneutem Kichern zu verbergen, dass seine Worte sie ein wenig verletzten. „Unsinn! Unter Menschen sähest du sogar sehr edel aus.“

Kishin mochte kaum glauben, was er da hörte. Stellte sie ihn da tatsächlich diesen mörderischen Holzfällern gegenüber? „Ich bin ein Gott“, erinnerte er sie zynisch. „Du kannst mich wohl kaum mit Sterblichen vergleichen!“

„Du nimmst nur die Unterschiede wahr.“ Tadelnd schüttelte Hylia den Kopf, schritt dabei zum Inselrand. „Aber wenn du sie mehr mit den Augen betrachtetest, könntest du unsere Gemeinsamkeiten erkennen.“ Sie kniete sich nieder mitten zwischen die sie umkreisenden Vögel, forderte Kishin mit einer Handgeste auf, sich zu ihr zu setzen. Er ging neben ihr in die Hocke, spähte wie sie hinab in den Wald. In die Lücken, die die Menschen geschlagen hatten, um dort aus toten Bäumen neue Wände und Dächer zu errichten, ohne die Ironie darin zu erkennen. „Siehst du?“, begann Hylia. „Genau wie wir haben sie Beine zum Laufen, Arme mit Händen, die es ihnen erlauben, Werkzeuge zu benutzen.“ Unten hielten die fleißigen Handwerker in ihrem Tun inne, als sie ihre Göttin erblickten, und fuchtelten nach ihrer Aufmerksamkeit heischend. Hylia erwiderte den Gruß. „Und zu winken“, fügte sie fröhlich hinzu.

Kishin betrachtete seine eigenen Hände und fragte sich, ob sie von ihm erwartete, es ihr gleichzutun. Ohnehin hätte es den Menschen nicht wirklich etwas bedeutet. Wahrscheinlich hielten sie nicht sehr viel mehr von dem fremden Gott als dieser von ihnen. Noch nie hatte er etwas für oder wider sie vollbracht, anders als Hylia, die sich ihnen als Schutzpatronin verschrieben hatte. Wahrscheinlich konnte er froh sein, dass ihre Spezies dank Hylias Vorkehrungen den Weg in seine Welt nie finden würde. Er zog es vor, sich keine Gedanken darüber zu machen, was er in einem solchen Fall täte.

„Vom Aussehen her könnten wir beide junge Erwachsene unter ihnen sein“, fuhr die Geflügelte fort. „Der einzige nennenswerte Unterschied zwischen ihnen und uns sind ihre Ohren, abgerundet statt zugespitzt wie bei uns.“

„Und die Körpergröße“, ergänzte Kishin. Beide Gottheiten überragten auch die größten Menschen noch um Haupteslängen.

Hylia lächelte verschmitzt – offenbar hatte sie mit diesem Einwand gerechnet. „Nicht unbedingt. Wenn ich unter ihnen wandle, nehme ich stets Menschengröße an.“

Von dieser Fähigkeit hatte Kishin noch gar nichts gewusst. Erstaunt wollte er wissen: „Warum solltest du so etwas tun?“

Die Gefühle von Stolz und Zuneigung, die von Hylia zu ihren Menschen hinabschienen, nahmen eine bittere, traurige Note an. „Sie scheinen … etwas Angst vor uns Göttern zu haben. Vielleicht spüren sie unterbewusst unsere Macht, ohne sie begreifen oder erfassen zu können. Ich glaube, das beunruhigt sie. Aber nicht so sehr, wenn ich mit ihnen auf Augenhöhe bin.“ Jetzt wandte sie sich Kishin zu, sah ihm tief in die Augen. „Versprichst du mir eine Sache?“

Gerne hätte er erwidert, dass er ihr jederzeit alles versprach, worum sie ihn bitten sollte; aber da er den starken Verdacht hegte, dass es ihr um die Menschen ging, legte er sich lieber nicht darauf fest. „Die da wäre?“, hakte er deshalb nach.

„Wenn du je zu ihnen gehst“, sprach Hylia leise und bestätigte Kishins Vermutung, „nimmst du dann auch ihre Größe an? Sie fürchten sich vor dem, was sie nicht verstehen, aber ich will nicht, dass sie Angst vor uns haben. Ich will nicht, dass sie Angst vor dir haben müssen.“

Kishin fragte sich, ob sie sich aus diesem Grund ein eigenes Kleid gefertigt und ihm die Tunika überreicht hatte. Damit sie auch als Götter ein wenig menschlicher wirkten und ihre liebsten Sterblichen weniger abgestoßen waren von ihrer überirdischen Fremdartigkeit. Mit seinem Übersinn spürte er dem Garn nach, aus dem seine Kleidung gewebt war und das sich feiner anfühlte als Spinnwebfäden. „Was ist das eigentlich für ein Material?“, wollte er wissen, ohne auf die Bitte um ein Versprechen einzugehen.

„Eine Mischung aus dem Licht des vollen und den Schatten des neuen Mondes.“

An der Beiläufigkeit, mit der Hylia antwortete, erkannte Kishin seinen Irrtum, von dem er bislang fälschlicherweise ausgegangen war: Dass eine Menschenfrau die dem Gott zugedachte Kleidung geschneidert hätte.

Steine, die vom Blau des Himmels angefüllt waren; magisches, mit Musik veredeltes Gold, das Lieder von erhabener Schönheit erklingen ließ; Stoff, gesponnen aus den Strahlen der Sonne – und nun auch vom Mond gewonnen: Hylia hatte ihm dieses Geschenk nicht nur überreicht, sondern selbst erschaffen.

Sie wollte ihn nicht einfach wie auch sich selbst den Menschen ähnlicher und damit weniger furchteinflößend machen. Das war nur ein Zwischenschritt. Viel wichtiger war ihr, ihn daran teilhaben zu lassen, was ihr so viel bedeutete, dass sie sogar ihre eigene Göttlichkeit hintenanstellte. Deswegen hatte sie ihm auch die Mütze aufgesetzt, das einzige Kleidungsstück, das seine neue Aufmachung von der der Menschen unterschied. Sie sollte sein Haar zurückhalten, die Augen damit frei, damit Kishin die Welt so wahrzunehmen lernte, wie Hylia sie sah. Nichts, was die Göttin tat, war je ohne einen tieferen Zweck.

Als Kishin merkte, dass Hylia und sogar die Knopfaugen der Singvögel ihn noch immer erwartungsvoll musterten, gab er schließlich nach. Wie konnte er sie jetzt noch enttäuschen? „Was immer du möchtest.“

Freude über sein Einverständnis strahlte von Hylia aus, ein Lächeln erhellte ihr Gesicht. Davon angesteckt musste Kishin sich eingestehen, dass er, seit er sie getroffen hatte, ein viel glücklicherer Gott geworden war. Davor lag in seinen Erinnerungen nur eine scheinbar endlose Einsamkeit. „Weißt du, am wichtigsten an deiner Kleidung sind die Schwebekristalle“, flötete Hylia fröhlich. Gewiss meinte sie damit die drei hellblauen Steine, einer etwas größer als die anderen beiden, die die Schnallen von Stiefel und Gürtel zierten. Geschnitten waren sie aus demselben Mineral wie Hylias Federn, die mit Himmel erfüllten Quarzkristalle, mit denen sie auch ihre Insel zum Schweben gebracht hatte.

„Wofür sind die eigentlich gut?“, wollte Kishin wissen, den das Vorhandensein der Gemmen verwunderte. Auch dieser Schmuck war etwas, das sich die schlicht lebenden Menschen nicht stehen ließen. Da bei Hylia alles immer einen Sinn erfüllte, konnten die Steine wohl kaum nur der Zierde dienen.

Hylia lächelte, stand auf und erhob sich mit sanftem Flügelschlag in die Luft. Sie glitt vor Kishin und verblieb dort in der Schwebe, während die Meisen, Finken und Schwalben sie umkreisten. Das weiße Kleid wellte sich in ihrem Flugwind. „Sie verleihen dir die Fähigkeit, hoch und weit zu springen und schneller zu laufen“, erklärte sie, breitete die Arme aus, woraufhin die Vögel sich über den Wald verteilten. „Ich wollte schon so lange meine Welt mit dir entdecken, weil auch du mir deine gezeigt hast. Aber wir sind nie dazu gekommen, bevor …“ Sehnsüchtig blickte sie zu den Menschen hinab, ihr Lächeln wurde nachdenklich. „Ich kann hier nicht so lange weg, aber mit meinen Flügeln komme ich schnell von einem Ort zum anderen.“ Jetzt wandte sie sich wieder Kishin zu. „Du willst doch noch immer meine Welt bereisen, oder?“, vergewisserte sie sich, legte bittend die Hände auf die Brust. Ohne ihn wollte sie das anscheinend auf keinen Fall tun.

„Natürlich“, erwiderte der Gefragte sofort. Er verstand nicht, warum sie meinte, dafür nicht ohne Weiteres aus den Wäldern fort zu können. Schließlich hatte die Menschheit doch auch vor ihrer Begegnung mit der Göttin lange alleine existiert. Sie brauchten doch wohl kaum ihre stete Anwesenheit.

Endlich lächelte Hylia wieder hell und fröhlich. „Dann solltest du mit mir Schritt halten können, wenn ich fliege.“
 

Bei Kishins folgenden Besuchen in Hylias Welt setzten sie ihr Vorhaben ein Gebiet nach dem anderen um. Zunächst erforschten sie die entlegensten Winkel des weit ausgedehnten Waldes, der zu einer seiner Himmelsrichtungen in eine Graslandschaft überging. Noch weiter in jene Richtung begann das Kraut, trockener und struppiger zu werden, obwohl am gegenüberliegenden Ende dieses kargen Landes ein Meer lag wie ein riesiger Spiegel Leben spendenden Wassers.

„Ich hatte immer Angst, die Gebiete außerhalb des Waldes zu erkunden“, vertraute Hylia Kishin an, warum sie dies bislang noch nicht alleine getan hatte. Wie ein Vogel in Ruhe hatte sie die Flügel eng an den Rücken gefaltet. „Angst, dass sie mir nicht so gefallen könnten wie der Wald. Aber wenn ich diesen Ozean betrachte, erkenne ich endlich, wie dumm es war, dieses Risiko nicht einzugehen. Obwohl ich schon wollte, dass es im Urwald ein ähnliches Naturwunder gäbe.“

Sie und Kishin spazierten am paradoxerweise fast ausgedörrten Ufer des Salzgewässers entlang, in dessen sanften Wellen das Sonnenlicht funkelte. Sie waren allein; so fern ihrer Heimat hatten sie keine Singvögel mehr begleitet. Dem Meer wohnte eine geheimnisvolle Kraft inne, wodurch es und die es bewohnenden Lebewesen weder der Evolution noch zeitlicher Veränderung unterworfen waren. Nicht nur war es so ursprünglich wie nach der Schöpfung der Welten, es würde auch dann noch bestehen, wenn das Land an seiner Küste vollständig ausgetrocknet war. Die Grenze seiner mysteriösen Wirkung wurde markiert durch den hellblau leuchtenden Wasserrand, der aufgewühlt wurde von gelegentlich heranrollenden Wogen.

„Unter Wasser ist es sicher noch viel beeindruckender“, theorisierte Hylia mit Bestimmtheit. „Das müssen wir uns auch mal anschauen. Ich kann mir vorstellen, dass Schwimmen fast so wie Fliegen ist.“

Während die Göttin zu singen begann, eine liebliche Melodie ganz ohne Worte, ohne Begleitung durch ein Instrument, blieb Kishin stehen und streckte seine mentalen Fühler in den Ozean. Wovon sie jetzt schon schwärmte, konnte er bereits von hier aus spüren: Das Wasser war voller Lebewesen, Pflanzen wie Tiere, so weit seine Wahrnehmung reichte. Vor allem im Vergleich zur umgebenden, noch nicht ausgereiften Wüste schien die See vor Lebenskraft geradezu zu brodeln. Ähnlich eines Waldes unter Bodenniveau.

Wie Hylia ihm mehrfach geraten hatte, betrachtete Kishin das Gewässer nun auch mit den Augen. Vor ihm erstreckte sich die ruhige Oberfläche wie eine gigantische, blank polierte Kristallplatte, in der sich der Himmel spiegelte, als gäbe es keine Erde. Nur grenzenloses, strahlend blaues Firmament. Man brauchte tatsächlich nur einen Sinn, um die unvergleichliche Schönheit dieses Ortes zu erfassen.

Aus dem Augenwinkel sah Kishin eine Bewegung, als Hylia neben ihm sich vorbeugte und zu ihm hochspickte. Sie grinste schelmisch, und als ob sie ihn bei etwas Unartigem ertappt hätte, sagte sie: „Du lächelst!“

Kishin erwiderte ihren fröhlichen Blick. Das Meer mochte von himmlischer Schönheit sein, aber an jemand gewisses würde es nie heranreichen. „Was ist dabei?“, fragte er, ohne seinen gewohnten Gesichtsausdruck wieder anzunehmen.

Gut gelaunt setzte Hylia ihren Strandspaziergang fort und tirilierte dabei ohne wirklichen Ernst: „Gar nichts. Ich habe nur befürchtet, dass, nachdem du es so lange nicht tun wolltest, du es nie mehr erlernen würdest. Du ziehst immer so eine finstere Miene, als ob ein Blick von dir reichte, ganze Bäume umzureißen. Und wahrscheinlich stimmt das sogar!“ Kishin konnte ihre Belustigung darüber nicht nachvollziehen. So etwas Furchtbares wollte er nicht einmal versuchen. Hylia fügte hinzu: „Kein Wunder, dass die Menschen dich Oni nennen!“

Oni?“, wiederholte Kishin verwundert. „Warum nicht mein richtiger Name wie bei dir?“

Hylia stellte belehrend klar: „Oni ist doch kein Name, sondern mehr ein Titel. Es bedeutet grimmige Gottheit.“ Diesmal starrte Kishin Hylia an mit einem Gesichtsausdruck, der dieser Übersetzung alle Ehre machte. Als die Göttin das sah, lachte sie so melodisch auf, dass sich auf der Meeresoberfläche Resonanzwellen bildeten und sich sämtliche Lebewesen darunter für einen Moment nach ihr ausrichteten. „Schau nicht so! Das passt doch ganz gut zu dir.“

Da schienen die Menschen Kishin endlich als Hylia gleichgestellten Gott anerkannt zu haben, und diese ließ es zu, dass sie ihm gleich eine solche Bezeichnung verpassten! „Konntest du ihnen nicht einschärfen, meinen richtigen Namen zu benutzen?“, klagte er an.

„Warum sollte ich? Mir gefällt’s!“

„Hylia!“

Doch die Geflügelte lachte nur über seine Empörung und hüpfte unbeschwert am Ufer entlang.

Schweigend setzten sie ihren Spaziergang fort, bis sich die Abenddämmerung als feuriges Licht über den Wasserspiegel legte. In Erinnerungen an einen ganz ähnlichen Anblick schwelgend meinte Hylia: „Dieses Meer erinnert mich an das in deiner Welt. Ich war so lange nicht mehr dort …“

Bald, nachdem sich die beiden Gottheiten kennengelernt hatten, hatte Kishin sie in der Welt herumgeführt, die seinem Schutz unterstellt war. Zu einer Zeit, als es noch keine Zeit für sie beide gegeben hatte und alles nur ein endloser Moment gewesen war. Erst durch das, was er Hylia in seinen Landen gezeigt hatte, war in ihr der Wille erwacht, auch die ihren zu erkunden – über den Bereich des Waldes hinaus, den sie schon genau kannte. Davor hatte Kishin bereits im Alleingang eine Entdeckungsreise durch ihre Welt gestartet; auch wenn diese nur von kurzer Dauer gewesen war, hatte er dabei die Menschen gefunden, die Hylia so lieb gewonnen hatte.

Die Flüsse, die Kishin vor ihrem Kennenlernen durch unermüdliches Graben in seiner eigenen Welt freigelegt hatte, hatten mittlerweile einen Sumpf gebildet – das einzige andere größere Gewässer außer dem Meer. Das eine mochte zu einem reichen Lebensraum avanciert sein mit klobigen, schuppigen Gewächsen, die entfernt an Bäume erinnerten, doch das andere war seit Neuestem dauerhaft sturmumtost. Beide konnten sie es nicht mit dem Zauber der See in dieser Welt aufnehmen.

„Es würde dir nicht gefallen“, sagte Kishin und meinte damit nicht nur das von Hylia angesprochene Meer, sondern seine ganze Welt. „Manchmal regnet es den ganzen Tag. Es ist überhaupt nicht wie hier.“ Sein Blick wanderte hinauf in den immer klaren Himmel.

„Vielleicht wäre es in deiner Welt nicht so, wenn ihr Gott öfter dort wäre.“ Ihren milden Tadel meinte Hylia nicht ernst, freute sie sich doch immer über Kishins Anwesenheit.

Über ihrem Ozean war der Vollmond aufgegangen. „Wie ist dein Mond eigentlich?“, erkundigte sie sich. „Mittlerweile müsstest du ihn doch gesehen haben, oder?

Weil ihr Übersinn viel weiter reichte als Kishins, war sie es gewesen, die festgestellt hatte, dass ihrer beider Welten Monde besaßen. Da damals beide noch nicht, beziehungsweise Hylia nur bedingt mit den Augen gesehen hatte, wusste sie über jenen anderen Trabanten nicht mehr, als dass er existierte.

Kishin antwortete unverblümt: „Er ist grässlich.“

„Oh … Ist er so schlimm?“, fragte Hylia bestürzt. Mit so einer Information hatte sie wohl nicht gerechnet.

Angewidert bei der Vorstellung beschrieb Kishin: „Er scheint nur aus Kratern zu bestehen und hat nicht einmal Phasen, die ihn zumindest partiell verdecken würden.“ Im Gegensatz dazu hing Hylias Mond am Firmament wie eine silberne Perle. „Irgendwie muss ich ihn beseitigen“, murmelte der Gott zu sich selbst. „Vielleicht kann ich jetzt sogar hoch genug springen.“ Er trat mit einem bestiefelten Fuß aus, kickte dabei gegen einen Kiesel, der daraufhin so weit über den See flog, dass das Platschen, mit dem er im Wasser landete, kaum noch zu hören war. Einige Fische ergriffen erschrocken die Flucht.

Beleidigt entgegnete Hylia: „Zur Zerstörung habe ich dir diese Fähigkeit bestimmt nicht verliehen …“

Im Verlauf des folgenden Tages stießen die Wanderer auf mehrere Schwärme Tiere: Vögel waren es, so groß wie die sie besuchenden Gottheiten und damit die größten Vögel, die sie beide je gesehen hatten. In Ufernähe staksten sie auf langen Beinen durch das seichte Wasser, aus dem sie angeschwemmte Seetangstränge fischten und mit nickenden Kopfbewegungen verschlangen.

Als sich Kishin und Hylia das erste Mal begegnet waren, hatte die Göttin gerade den Waldvögeln das Singen beigebracht. Im Gegenzug dazu hatten diese ihr dann, als ihre Flügel noch neu gewesen waren, gezeigt, wie sie diese zum Fliegen gebrauchen konnte. Die großen Meeresvögel jedoch konnten selbst nicht fliegen, weswegen sie seit damals gezwungen gewesen waren, ewig am Gewässer ihrer Vorfahren zu bleiben. Nun beherrschten sie keine der beiden Fähigkeiten, über die alle ihre kleineren Verwandten verfügten – zumindest bis jetzt, da die Schutzgöttin ihrer Heimatwelt sich endlich ihrer annahm.

Es war Abend geworden, als sie das mittlerweile einstudierte Ritual erneut vollführte. Wie bei jedem Schwarm, auf den Kishin und Hylia stießen, schritt sie mit weit ausgebreiteten Schwingen ins Wasser. Die riesigen Vögel mit den mächtigen Schnäbeln gesellten sich zu ihr. Ihr Gefieder rangierte mit allen Sättigungen in Farbtönen zwischen blau, grün und gelb, jedes Tier mit seiner individuellen Nuance. Mit klugem, neugierigem Blick beäugten sie Hylia, die begann, eine kleine, leichte Melodie zu summen. Kristalline Federn lösten sich von ihren Flügeln, umschwebten sie und zerfielen dabei zu feinstem Staub. Eine sanfte Brise wehte wie zufällig vom See herüber, brachte das lange Göttinnenhaar zum Tanzen, verteilte den Kristallstaub über die Vögel. Als Hylias Summen verstummte, blickten die Tiere einander an, als führten sie eine wortlose Diskussion über das, was gerade geschehen war.

Der erste von ihnen begann, die Schwingen zu lockern, als habe er sie noch nie in seinem Leben zuvor bewegt. Mit immer kräftiger werdenden Schlägen erhob er sich in die Luft, kreiste über seinem Schwarm und stieg dann in den abendroten Himmel auf. Nach und nach taten es ihm seine Gefährten gleich, bis Luft und Wasser von ihren Flügelschlägen erzitterten – und die Götter schließlich wieder allein am Strand zurückblieben.

Mit glücklich leuchtenden Augen blickte Hylia ihnen nach. „Vögel sollten fliegen können. So gehört es sich einfach.“

Schon seit dem ersten Schwarm, dem die Göttin auf diese Weise zur Flugfähigkeit verholfen hatte, beschäftigte Kishin eine diesbezügliche Frage, die er jetzt aussprach: „Wenn das Fliegen nicht zu ihrer Natur gehört, woher weißt du dann, dass sie den Willen dazu hatten?“ Er selbst konnte sich nicht vorstellen, sich dauerhaft in der Luft aufzuhalten. Was er brauchte, war fester Boden unter den Füßen, selbst wenn es sich dabei um schwebende Inseln handelte. Immerhin hatte er diese noch selbst aus dem Erdreich gebrochen.

Eine Libelle flitzte über das Wasser auf Hylia zu. Die Göttin streckte eine Hand vor, auf der das Insekt graziös landete. „Ich habe ihren Wunsch zu fliegen gespürt, weil ich selbst einmal denselben gehabt habe“, sprach sie. „Mir habe ich ihn erfüllt; warum sollte ich den ihren nicht auch gewähren, wenn ich die Macht dazu habe?“ Die Libelle schwirrte mit den transparenten Flügeln und sauste wieder davon. Hylia hatte Kishin nach wie vor halb den Rücken zugekehrt, als sie ihn zögernd fragte: „Wenn es eine Kraft gäbe, die dir garantiert einen Wunsch erfüllen könnte … worum würdest du sie bitten?“

„Was sollte ich mir schon wünschen? So, wie es ist, ist es gut.“ Ginge es nach Kishin, konnten er und Hylia bis in alle Ewigkeit alle Welten bereisen und ihre Wunder entdecken. Ob es auch als Wunsch galt, zu wollen, dass sich das nie änderte?

Über Hylias Lippen zog sich ein Lächeln, doch es erreichte nicht wie zumeist ihre Augen. Im seichten Wasser umkreisten silbern schillernde Fische ihre Füße. „Mein Wunsch wäre Sterblichkeit.“

Geschockt über diese Eröffnung, vermochte Kishin nur hervorzubringen: „W-was?!“ Ihre Unsterblichkeit war der Götter wichtigstes Attribut! Wie konnte sie nur wollen, sie nicht mehr zu besitzen?

In aller Ruhe erklärte Hylia: „Die Menschen haben mich das erkennen lassen.“ Das war etwas, womit Kishin gerechnet hatte, weswegen es ihn nicht mehr überraschte. „Sterbliche Wesen wachsen an Körper, Geist und Herz. Trauern dem nach, was war, erfreuen sich an dem, was ist, und sorgen sich um das, was kommt. Sie sind dem Fluss der Zeit unterworfen, dazu gezwungen, seinem ewigen Strom zu folgen, wo auch immer er hinfließt.“ Mit ausladender Geste deutete sie auf die weite Wasseroberfläche hinaus. „Wir Götter dagegen sind wie dieses Meer: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft haben für uns keinen Unterschied. Wir führen eine Existenz, aber das ist nicht, was ich will. Was ich will ist, zu leben. Selbst wenn es bedeutet, sterblich zu sein.“

Hylia schwieg befangen; Kishin brachte vor Fassungslosigkeit kein Wort zustande.

„Ich weiß, das ist natürlich nicht möglich.“ Ein freudloses Lachen begleitete Hylias Worte. „Was die Goldenen Göttinnen gefügt haben, ist nicht änderbar. Außerdem, wenn ich weg wäre, wer kümmerte sich dann um die Menschen? Wer leitete sie, wenn sie sich verlieren, wer heilte sie, wenn sie verletzt oder krank sind, und wer tröstete ihre Trauer?“

Endlich schaffte Kishin es, wieder etwas zu sagen: „Du hast nur deine Menschen im Kopf.“ Dies meinte er durchaus nicht kritisierend, doch auch nicht ganz ohne Missbilligung. Aber solange sie die wirren Flausen über Sterblichkeit bleiben ließ, sei es auch für die Menschen, war ihm das nur recht.

Von Hylia ging eine Welle bitteren Schmerzes aus, aber die über dem Meer untergehende Sonne beleuchtete ein bestätigendes Lächeln. Das Abendlicht brach sich in ihren Kristallfedern als violettes Feuer, regte das schneeweiße Kleid zu karneolfarbenem Glühen an. Während Hylia eingehüllt wurde von goldenem Licht wie die Sonne selbst, stand Kishin noch halb in ihrem Schein, halb in den ersten Schatten der Nacht wie der Mond. Der leuchtende Wasserrand schuf eine Distanz zwischen ihnen, die ihm mit andauerndem Schweigen zunehmend unheimlich wurde.

Endlich drehte Hylia sich zu ihm um, streckte ihm eine Hand entgegen. „Komm, ich will das Herz des Ozeans finden. Die Quelle seiner besonderen Kraft.“
 

Das nächste große Gebiet, das die wandernden Gottheiten besuchten, war ein Gebirge, das sich, in einer anderen Himmelsrichtung als der Ozean gelegen, als breiter Gürtel um das zentrale Gras- und Waldland erstreckte. Anders als bei ihren vorigen Wanderungen hatte Hylia diesmal ihre Lyra mitgenommen, angebunden an einer aus ihrem Goldhaar gewirkten, um ihre Taille geschnürten Kordel. Wie Kishin fand, durchbrach das Instrument so Hylias göttliche, vollkommene Symmetrie. Zu seiner Freude sang sie für ihn auch weiterhin ohne es; warum sie es überhaupt dabeihatte, war ihm allerdings ein Rätsel.

Während sie durch die Täler schlenderten, fühlte Kishin deutlich den vulkanischen Ursprung der Berge: Nicht nur das Gestein selbst erzählte von seiner feurigen Vergangenheit, tief unter dem Boden waren sogar noch flüssige Magmakammern zu spüren. Es drängte Kishin danach, sich durch den Fels zu graben auf der Suche nach interessanten Mineralien; aber bei ähnlichen Aktionen in Hylias Welt hatte er leider feststellen müssen, dass ihm das Erdreich hier weniger gefügig war als in seiner eigenen. Genauso, wie Hylia dort kaum über die Macht verfügte, das Wetter zu beeinflussen.

Hylia machte ein Spiel daraus, den markantesten Bergen Namen zu geben. Der höchste Gipfel gehörte einem spitzen Berg, den sie Eldin taufte, eine Benennung, die sie wegen ihres Wohlklangs gleich dem ganzen Gebirge zusprach. Auch Kishin versuchte sich an der Namensgebung einer ungewöhnlichen Gesteinsformation, die wirkte, als habe sich ein riesiger Lavaklumpen zu teilen begonnen und sei mitten in diesem Prozess schließlich erstarrt; das Wort Rillenfelsen als Name dafür entsprach nicht im Mindesten Hylias Stil, doch auch sie fand, dass er genau passte.

„Muss bei dir eigentlich alles einen Namen haben?“, fragte Kishin schließlich, als sie von einem weiteren getauften Berg herabkamen. Statt eines Gipfels, der ihn wahrscheinlich noch höher als der Vulkan Eldin gemacht hätte, wurde Hera von einem flachen, den ganzen Tag über sonnigen Plateau bekrönt.

Konsterniert erwiderte Hylia: „Natürlich! Bei dir etwa nicht?“

Offenbar war dieser Umstand für die Göttin selbstverständlich; Kishin hingegen wäre nie auf einen solchen Gedanken gekommen. „Ich soll die Länder meiner Welt bewachen, da brauche ich ihnen keine Namen zu geben.“ Dabei ließ er unausgesprochen, dass er weder das Eine noch das Andere so tat, wie es ihm die Goldenen Göttinnen aufgetragen hatten.

„Indem du ihr Namen gibst, zeigst du, wie viel sie dir bedeutet“, belehrte Hylia altklug; etwas leiser fügte sie hinzu: „Auch wenn du gerade nicht dort bist.“

Für Kishin hatte seine Welt ihre Bedeutung schon lange verloren; nachdem er sie vollständig erkundet und alles entdeckt hatte, was sie beherbergte, hatte sie ihm nichts mehr zu bieten. Aber das war nichts, was er gegenüber der pflichtbewussten Göttin auch nur erwähnen durfte. „Du hast deiner ganzen Welt einen Namen gegeben?“, erkundigte er sich ablenkend.

Sie kamen in einem Tal an, in dem ein Fluss bei seiner letzten großen Schmelze einen ausgedehnten Geröllhaufen hinterlassen hatte. Jetzt plätscherte er als kümmerliche Rinnsale zwischen den Gesteinsbrocken hindurch, über die Hylia leicht wie ein Distelsamen hinwegschwebte. Kishin folgte ihr, indem er von Felsen zu Felsen sprang.

„Klar hab ich das“, beantwortete die Geflügelte seine Frage. „Du hast doch einmal gesagt, ich soll mich ihr als ihre Schutzgottheit ganz verbinden.“

„Ich habe gesagt, du sollst sie über den Wald hinaus erkunden, nicht personifizieren.“

„Ich personifiziere sie doch nicht!“

Ihre auffallend heftige Verteidigung amüsierte Kishin. Er war sich sogar sehr sicher, dass sie ihre Welt als gigantisches lebendes, atmendes Geschöpf betrachtete, weil er genau wusste, wie Hylia dachte. Es erheiterte ihn, dass sie dennoch – vergeblich – versuchte, ihn vom Gegenteil zu überzeugen. Verbindlicher fragte er: „Wie hast du sie denn genannt?“

Hylia schwebte rückwärts vor ihm her, weswegen er ihr liebevolles Lächeln sah, als sie mit sanfter Stimme antwortete: „Herale.“

„Was für ein merkwürdiges Wort“, kommentierte Kishin neckisch, sprang vom letzten Felsen des Geröllhaufens herab. „Heh-raale.“

„Du sprichst es völlig falsch aus.“ Mit einer Drehung umkreiste Hylia den Gott und kam neben ihm zum Halt. „Das Wort ist viel weicher, weil es sich von Helia ableitet.“

„Also hast du deine Welt nach dir selbst benannt“, stellte Kishin fest.

„Hast du mir denn nicht zugehört?“ Sie glitt von ihm weg. „Ich sagte Helia, nicht Hylia!“

„Na schön. Also hast du sie nach einer Abwandlung deines Namens benannt.“ Kishin grinste über ihre Verärgerung und setzte noch einen drauf: „Und ich dachte schon, sie heißt so, weil du hier die Herrin von Allem bist.“

Hylia öffnete den Mund, setzte zu einer Erwiderung an, als plötzlich auch die letzte Heiterkeit erlosch, die von ihr ausstrahlte. Missgestimmt fuhr sie ihn an: „Du bist so ein Holzkopf!“ Mit einem schwungvollen Flügelschlag flog sie empor und davon.

Lachend lief Kishin ihr hinterher. „Wenn du damit meinst, ich sei weise wie ein Baum, nehme ich das als Kompliment.“ Darauf erwiderte Hylia nichts, flog nur schneller. Auch ihr Verfolger beschleunigte, um nicht den Anschluss zu ihr zu verlieren – sollte sie nur bereuen, ihm die Kleidung mit den Schwebekristallen geschenkt zu haben. Am Ende des Tals glitt sie eine Felswand hinauf, die zu erklimmen Kishin wieder etwas ausbremste. „Ist die Besichtigung vorbei?“

„Herale hat die schönste Bedeutung, die der Name meiner Welt haben könnte, und du machst dich darüber lustig!“, rief sie ebenso gereizt wie reizend. Kishin hatte sie eingeholt, sprang sie jetzt direkt an; Hylia bemerkte ihn noch rechtzeitig, bevor er sie erreichte, und wich ihm aus. Der Gott drehte sich im Fallen, sodass er mit den Beinen voran am nächsten Abhang aufkam. Hylia keifte: „Was soll das?!“

„Wenn ich dich fange, verrätst du mir die Bedeutung von Herale?“

„Nein!“

Trotzdem – und obwohl ihr Verhalten ihn irritierte – sprang Kishin erneut, mit demselben Ergebnis wie zuvor. Die Geflügelte flog weiter vor ihm davon, jetzt über eine Schlucht, um ihn abzuhängen – während er sie, zwischen den Klippwänden herumhüpfend, verfolgte und vergeblich versuchte, sie zu schnappen.

Irgendwann rief Hylia, genervt von diesem Spiel: „Kishin, hör auf damit!“

Aber er blieb hartnäckig. „Nur, wenn du mir die Bedeutung sagst!“

„Das werde ich nicht!“

„Und warum nicht?“

„Weil ich genau weiß, was du dann sagen wirst!“

Wieder katapultierte Kishin sich in die Luft, und diesmal schien er sie tatsächlich erwischen zu können. Aber dass er sich zu früh gefreut hatte, merkte er sogleich, als sie ihm mit Leichtigkeit auswich. Am nächsten Berghang hielt Kishin inne, drückte sich auf dem schmalen Felssims gegen die Wand hinter ihm. Unter seinen Füßen lösten sich Steine und fielen in den nebelgefüllten Abgrund, der sich bodenlos vor ihm auftat; sollte Kishin da runterstürzen, würde er nicht mehr so leicht an Hylia herankommen. Sein Zögern veranlasste auch sie dazu, eine Pause einzulegen.

Er hatte nur noch eine Chance – und das war sie!

„Ach, kannst du jetzt schon in die Zukunft sehen?“, startete der Jäger den Versuch, seine Beute in Sicherheit zu wiegen.

Hylia schimpfte: „Du Blödmann! Man muss doch nicht hellsichtig sein, um …“ Überrascht verstummte sie, als Kishin plötzlich wieder einen gewaltigen Satz tat, die Arme haschend vorgestreckt, die Augen triumphierend funkelnd. Diesmal entkam sie ihm nicht mehr rechtzeitig, als er sich auch schon um ihre Hüfte klammerte und nicht mehr losließ. Sogleich sank die Geflügelte durch das zusätzliche Gewicht herab. Verzweifelt versuchte sie, sich gegen den Griff zu wehren, der sie gefangen hielt, doch Kishin hatte die Arme fest um ihren Unterleib geschlungen.

Theatralisch, so wie er sich betende Menschen vorstellte, flehte er lauthals, dass es von den Wänden widerhallte: „Erleuchtet mich, oh mächtige Helia! Was würde ich sagen?“

Hylia gab es auf, sich von ihm zu befreien. Stattdessen band sie die Lyra von der Kordel und sagte leise, aber deutlich: „Dass ich nur meine Menschen im Kopf hätte.“

Als Kishin ihre tief verletzte Miene sah, gefror ihm das Lächeln im Gesicht. Hatte sie das, was er am See gesagt hatte, wirklich so sehr mitgenommen?

Mit flinken Fingern spielte Hylia eine kurze, ihm unbekannte Melodie. Aus heiterem Himmel zuckte ein Blitz, schlug in Kishin ein, riss ihn von der Göttin los und schleuderte ihn gegen eine schräg abfallende Klippwand. Von Steinsplittern begleitet schlitterte er daran herunter, bis er schließlich auf einer Felsnase zum Halten kam.

Hylia sank noch weiter herab, bis sie etwa auf selber Höhe mit ihm war. „Mach das nie wieder!“, schimpfte sie wütend wie ein Rohrspatz. „Ich kann uns nicht beide in der Luft halten!“ Empört schlug sie mit den Flügeln, gewann dabei aber kaum an Höhe.

Ungeachtet ihrer Verärgerung schlussfolgerte Kishin aus dem, was sie zuvor gesagt hatte: „Also haben die Menschen deine Welt benannt.“

Obwohl Hylia erst unbehaglich herumdruckste, wohl mit dem Gedanken spielte, Kishins Feststellung noch abzustreiten, gab sie ihm doch Recht: „Helia ist ein Wort aus ihrer Sprache. Es bedeutet Sonne. Hera ist auch davon abgeleitet. Herale ist übersetzt das Land, in dem immer die Sonne scheint.“

„Angeberin“, grummelte Kishin in scherzhaftem Ärger. „Also hat das gar nichts mit deinem Namen zu tun?“

Ertappt gestand Hylia zögernd: „Nicht ganz … Die Menschen sehen in mir eine Art Sonnengöttin. Helia kommt wohl doch irgendwie von meinem Namen …“

„Wusste ich’s doch!“ Spielerisch warf Kishin mit dem nächstbesten Felsbrocken nach ihr. Hylia wich dem Bodenluftgeschoss leicht wie ein Schmetterling aus, verlor dabei jedoch das Gleichgewicht. Kishin erschrak und musste ohnmächtig mit ansehen, wie sie wie Herbstlaub auf den fernen Boden zutrudelte. Er sprang mit runter, in der Hoffnung, sie noch vor einem Aufprall auffangen zu können; aber die Geflügelte gewann die Kontrolle über ihren Fall wieder und landete mit der Eleganz einer Daunenfeder.

Sofort trat Kishin zu ihr und fragte besorgt: „Ist alles in Ordnung?“ Sonst war sie immer sogar eine bessere Fliegerin als die Vögel, die sie diese Kunst gelehrt hatten.

„Du hast mich nicht getroffen“, gab Hylia sogleich zurück. Kishin fiel auf, dass das nicht die Antwort auf seine Frage war, sagte aber nichts dazu. Geschäftig band Hylia die Lyra wieder an ihre Kordel. Dann wechselte sie rasch das Thema: „Ich finde, auch deine Welt sollte einen Namen tragen. Das beweist deine Verbundenheit zu ihr, wenn du über sie redest. Ich finde das wichtig.“

„Ich glaube nicht, dass mir etwas Passendes einfallen würde“, gestand Kishin. Was den Rillenfelsen betraf hielt er dessen Namen eher für einen Glücksgriff.

Hylias Blick wanderte verträumt nach oben, wo sich die untergehende Sonne und ein bleicher Halbmond den abendlichen Himmel teilten. „Ich finde Lumin schön.“

„Das ist auch aus der Menschensprache“, stellte Kishin fest.

„Ich weiß, das magst du nicht …“

„Hat das auch eine Bedeutung?“

Die Göttin zog unwillig die Augenbrauen zusammen und wandte sich ab. „Wenn ich sie dir sage, willst du ihn ganz sicher nicht.“

Kishin seufzte und verdrehte die Augen, wie sie es manchmal tat, wenn sie zwischen Verärgerung und Belustigung über etwas schwankte, das er gesagt hatte. „Geht das schon wieder los?“, fragte er in passendem Tonfall.

Halblaut murmelte Hylia: „Es heißt ewiger Mond. Dabei magst du deinen Mond nicht einmal.“

Das ließ Kishin so dahingestellt. Übergangslos meinte er: „Ich sollte wohl die Menschensprache erlernen. Vielleicht verstehe ich besser, was du an ihnen findest, wenn ich sie verstehe.“

Auf Hylias überraschtes Blinzeln folgten eine Welle der Erleichterung und ein gütiges Lächeln. „Ich bringe sie dir liebend gerne bei“, versicherte sie ihm.

Der fast schon feierliche Ernst, mit dem sie das sagte, gefiel Kishin nicht. Wo war nur ihre sonst so selbstverständliche Ausgelassenheit geblieben, der unerschütterliche Optimismus, mit dem sie stets alles um sich bedachte? Im Moment erinnerte sie Kishin eher an die Hylia, die im seichten Uferwasser gestanden und von ihrem Wunsch zur Sterblichkeit geredet hatte. Aber das war nicht seine Hylia.

In dem Bestreben, diese wieder hervorzulocken, neckte er sie: „Diese Sprache scheint ja nicht sehr schwer zu sein. Wenn man jedes Wort einfach für irgendetwas anderes benutzen kann und es trotzdem richtig ist.“ Dabei dachte er an den Titel, den ihm die Menschen verliehen hatten, und dessen übersetzte Bedeutung. So, wie Oni mit ihrer Göttin durch das Gebirge gealbert hatte, war er doch eher das genaue Gegenteil von grimmig.

Erfreut stellte er fest, dass Hylia daraufhin hinter vorgehaltener Hand kicherte. „Das stimmt. Aber dahinter steckt immer ein tieferer Gedanke, als es zunächst scheint.“

„Tatsächlich?“, fragte Kishin zynisch, der sich kaum vorstellen konnte, dass Menschen überhaupt zu tieferen Gedanken fähig waren. „Zum Beispiel?“

„Zum Beispiel …“ Hylia dachte einen Moment nach, dann blickte sie Kishin mit halb gesenkten Lidern an. Die Lyra wippte glänzend an ihrer Hüfte, als sie nah an ihn heranschritt. Als sie die Hände zu seinem Gesicht hob, nahm Kishin an, sie wollte sie an seine Wangen legen, wie sie es häufig tat; stattdessen schlang sie die Arme um seinen Hals und drückte sich fest an ihn. Kishin stand still, wusste nicht recht, was er tun sollte.

„Das ist eine Umarmung“, erklärte Hylia mit sanfter, melodischer Stimme. „Das ist ein so schönes Wort … Menschen haben keinerlei geistigen Einfluss auf ihre Umwelt, aber sie umschließen einander mit allem, womit sie können. Mit ihrem ganzen körperlichen Sein. Damit zeigen sie denjenigen, die ihnen am Herzen liegen, wie wichtig sie ihnen sind.“

Kishin verstand. Er tat es Hylia gleich, indem er ebenfalls die Arme um sie legte, wie zuvor, als er sie im Flug gefangen hatte, nur unendlich zärtlicher. Noch nie hatte er sie so gefühlt wie jetzt, so zierlich und zerbrechlich wie eine Kristallnadel. „So richtig?“, vergewisserte er sich.

Sie sagte nichts, nickte aber.

So standen sie für eine Ewigkeit, in der ihre Körper so eng aneinandergeschmiegt waren, dass Kishin Hylia genau spüren konnte: Die filigranen Kristallfedern, die sie mit purer Gedankenkraft zu Flügeln an ihrem Rücken zusammenhielt. Die Göttin selbst, eine Ansammlung unzählbarer Lichtfunken, tausendmal kleiner als ein Blütenpollen. Die eine hell strahlende Struktur bildeten, dichter als die eines Diamanten, und die doch vor Zufriedenheit vibrierte.

Nach einem endlosen Augenblick sprach Hylia: „Das macht man bei denen, die man gern hat. Aber wenn man den Rest seines Lebens mit jemandem verbringen will …“ Sie löste sich etwas von ihm, hob den Kopf und streckte das Gesicht hoch zu seinem. Kishin, der keine Ahnung hatte, was jetzt folgen mochte, stand nur reglos vor ihr.

Der Götter Antlitze waren einander so nahe, dass sie sich fast berührten, als Hylia innehielt. Die sie umflorende Aura des Glücks erlosch mit einem Mal und wich blankem Entsetzen.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Zu jedem Kapitel gibt es eine kleine Trivia. Wen sie interessiert, kann sich gerne bilden:

- Die Sprache, die die Menschen hier benutzen, ist erfunden, aber nicht frei. Fast alle Wörter stammen aus dem Zelda-Universum, nur einfach mit frei interpretierter „Übersetzung“. So ist der Berg Hera jener Ort, an dem sich in A Link between Worlds (und auch to the Past? Ich weiß es nicht) Heras Turm findet. Der Rillenfelsen ist vielleicht eher als Brillenfelsen bekannt, aber da es in der Zeit, in der meine Story spielt, keine Brillen gibt und Kishin sie wohl kaum kennen würde, musste es ein anderes, ähnliches Wort sein. Auch Lumin hat seinen Ursprung im Zelda-Universum, der später klarer ersichtlich wird, und zum Teil dem Lateinischen Luna. Herale ist, wie ich ohne Eigenlob finde, der interessanteste Name. Er verbindet Hera und Helia (als Entlehnung des griechischen Helios) über die Ableitungen dieser Wörter, die innerhalb der Story geschehen sind, und klingt auch noch so ähnlich wie Hyrule. Im Verlauf der Geschichte kommen noch weitere Vokabeln hinzu.
- Zum Wikipedia-Artikel zu Kupfersmaragd bzw Dioptas: Klick Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  scippu
2019-02-27T09:33:55+00:00 27.02.2019 10:33
Uh Paperforce,

du hier :)
Das hätte ich übersehen, wenn ich nicht endlich mal das LoZ Fandom abonniert hätte. Schön. :)
Hab die Geschichte gleich mal als YUAL vorgeschlagen.

Liebe Grüße

Von:  Cossette_Mirage
2019-02-25T10:52:38+00:00 25.02.2019 11:52
Diesen Review schreibe ich tatsächlich mit dem Handy. Ich entschuldige mich im Vorfeld schon einmal dafür, sollten sich nicht die gewohnten Fehler einschleichen. Zwar kann ich keine Geschichten so ausdrucksstark schreiben wie du, sollte aber dennoch in der Lage dazu sein wenigstens eine kleine Resonanz zu fertigen, welche man auch ohne Probleme lesen kann.

Ich mag die Geschichte so gerne und finde die Konstellation von Hyila und Kishin außerordentlich interessant. Vor allem originell, da ich mich nicht erinnern kann diese beiden in einer Kombination so gesehen zu haben. Obwohl das eigentlich nachvollziehbarer ist, als das anbändeln zwischen Mensch und Gott.

Ich finde das total entzückend wie der Kishin sich der Hyila gegenüber verhält. Der scheint ja mal über alle Ohren verliebt in sie zu sein und merkt es einfach nicht. Na ja, wie soll er das auch verstehen können wenn es auch dabei um eine eher menschliche Geste handelt. Und da er auch diesen 'Menschen' eher abgeneigt ist wird das wohl auch noch ein bisschen Zeit brauchen bis er sich dessen bewusst werden kann - oder falls. Die Hyila empfinde ich auch äußerst angenehm. Ihre Vorliebe neue Rassen zu züchten und dabei völlig Hemmungslos, fast schon willkürlich, alles mixen was ihr unter den Händen kommt nimmt ihr jedenfalls diese 'Ernsthaftigkeit' die ich sonst immer so für sie Empfand (bezieht sich nicht auf dem Mini Manga zu Skyward Sword, sondern eher die anderen Fanarbeiten) und mag das gerne. Es hebt sie ein klitzekleines bisschen von anderen Werken ab. Das gefällt mir so unglaublich gut.

Ich bin, wie von dir gewohnt, ganz verliebt in deiner Schreiberei und freue mich schon so sehr auf das nächste Kapitel. Aktuell fällt es mir ja ein bisschen schwer mich kreativ auszudrücken. Sei es in sämtlichen schreiben von Reviews oder das beantworten von offenstehenden Nachrichten.

Doch wenigsten möchte ich diesem Schweinehund (was dachte sich Hyila eigentlich bei dieser Kreuzung?) nicht hier auch noch Herr meiner Sinne lassen.

Dir die allerliebsten Grüße, einer Cossi die noch immer nicht ganz über dem Damm ist.

ps. Freue ich mich immer noch wie ein kleines Schulmädchen, dass dir das Bild sogut gefällt. Es bedeutet mir sehr viel... wirklich. :)


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