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Northernwell Abbey

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Hi,

ich hoffe meine Leser finden gefallen an der Geschichte.
Die Fußnoten finden sich im Nachwort. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Ein kurzer Hinweis, wie in der Vorlage ist Kathy eine Leseratte und es hat mir viel Spaß gemacht mir Buchtitel auszudenken, die eine Anspielung zu Sagen, Geschichtentopiks oder Bücher mit Zauberern zu tun haben. Falls es diese Titel tatsächlich geben sollte, so hat sich das rein zufällig ergeben.
Ganz am Ende der Geschichte, werde ich eine Liste der Anspielungen, die in der Geschicht vorkommen machen.
Ich hoffe ihr habt Freude daran. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Dieser Teil der Geschichte war für mich am schwersten zu schreiben, doch es fühlte sich unpassend an, über die Auswirkungen, welche Kathys Erlebnisse auf sie hatten, einfach hinweg zu gehen.
Falls jemand meint Kathy würde sich übertrieben anstellen, den bitte ich diesen Teil der Geschichte erneut zu lesen und gründlich nachzudenken. Komplett anzeigen

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Auf nach Bath

Von Kathy Morgan hätte kaum jemand angenommen, dass sie zur Heldin eines Abenteuers taugte, obwohl sie eine Hexe war. Sie war weder das älteste noch das jüngste unter den sieben Kindern, welche Mrs. Morgan geboren hatte. Als mittleres Kind könnte man davon ausgehen, dass sie nicht von Geburt an für etwas Großes bestimmt war.

Und obwohl sie eine Hexe war, war auch diese Tatsache nicht allzu ungewöhnlich. Ihrem Vater, einem recht respektablen Winkelzauberer, oblag die Obhut über ihr Heimatdorf und ein paar Meilen drum herum. Was nicht bedeutete, dass ihm das Land gehörte, er hatte nur dafür Sorge zu tragen, dass die magischen Wesen, sowie Hexen und Zauberer dieser Gegend ihre Macht nicht ausnützten und gegen ihre menschlichen Mitbürger verwendeten.

Sein Feld der Obhut enthielt gerade mal ein altes Hügelgrab, von dem es hieß s wäre von Alfric dem Vergesslichen. Ob sich darin ein magisches Relikt befand war unbekannt. Die Chroniken wussten zu berichten, dass Alfric schon zu Lebzeiten äußerst vergesslich gewesen war und viele seiner Relikte verschenkt, vertrödelt oder schlicht irgendwo vergessen hatte. Darum stritten Gelehrte über die Frage, ob Alfric noch magische Gegenstände besessen hatte, mit denen er hatte begraben werden können. Die Frage blieb unbeantwortet, da die Wenigsten sich trauten ein Hügelgrab zu öffnen und hinabzusteigen. Wer wagemutig genug dazu war, suchte sich dafür ein lohnenderes Hügelgrab.

Ansonsten bestand das Feld der Obhut nur aus dem Dorf, sowie Wiesen, Feldern und einem kleinen Wäldchen. Es enthielt keine magische Quelle, keinen heiligen Hain, keinen Steinkreis, nicht einmal ein unbedeutenderer magischer Kraftort befand sich darin.

Dies war Mr. Morgan gerade recht, bedeutete es doch weniger Aufmerksamkeit von mächtigeren, machthungrigen Personen.

Kathys Mutter, eine passable Heckenhexe, hatte genug damit zu tun ihre Kinder großzuziehen, bei leichteren Krankheiten und Verletzungen zu helfen, die keinen Arzt erforderten und in ihrem Garten eine erstaunlich diverse Anzahl an Heilkräutern zu kultivieren.

Kathy selber war als junges Mädchen ein Wildfang gewesen und auch noch jetzt, im gesetzten Alter von achtzehn, bevorzugte sie es ihrer Mutter im Garten zu helfen, statt im Haus. Obwohl sie sich so gerne Draußen aufhielt, liebte sie Bücher. Nur gab es hauptsächlich solch nützliche Dinge wie Herbologien, Kochbücher und Gesetzbücher der Magie. Romane suchte man im Haushalt der Morgans vergeblich. Den einzigen Luxus in dieser Hinsicht, welchen sich Mr. Morgan erlaubte war die Zeitschrift „Relationes Curiosae arcanae et mundae“ *, die er abonniert hatte und mit allen im Haus, die darin interessiert waren teilte.

Zu Kathys Glück war jedoch der Grundherr Fiddlersfield ein passionierter Buchliebhaber, der ihre Leselust entdeckte, förderte und sogar bereit war ihr einige seiner Schätze zu leihen. Mr. Adams, der Grundherr war ein freundlicher älterer Herr, der obwohl er seine Frau sehr liebte, bedauerte, dass ihre Ehe kinderlos geblieben war und so in Kathy etwas wie eine Ersatztochter sah.

Da sowohl die Adams als auch die Morgans sich durch ihren gesellschaftlichen Status vom Rest der dörflichen Bevölkerung abhoben, waren nachmittägliche Besucher untereinander üblich.

Allerdings hielt ihr gesellschaftlicher Status weder Mr. Adams noch Mr. Morgan davon ab längere Pläusche mit den anderen Dorfbewohnern zu halten, noch bei alltäglichen Problemen vom umgefallenen Baum bis zur entlaufenen Sau zu helfen.

Mrs. Morgan war unter der weiblichen Bevölkerung des Dorfes sehr beliebt und wurde nur allzu gern um Rat gebeten, allerdings führte gerade Letzteres dazu, dass die anderen Frauen eine gewisse Scheu vor ihr hatten.

Und was Mrs. Adams anging, nun sie versuchte ihr Bestes, nur trafen ihre bestickten Taschentücher und Kissen, sowie ihre Unmassen an Stricksachen nicht so recht auf Gegenliebe. Jeder wusste, sie meinte es gut, doch wenn praktische Hilfe gebraucht wurde, wandte man sich lieber an Mrs. Morgan.

Trotz Kathys Untauglichkeit zur Romanheldin, fand das Schicksal doch einen Weg sie mit einem Abenteuer zu konfrontieren.

Eines schönen Nachmittags kam Mr. Adams unvermittelt zum Tee. Kathy, die mit ihrer Mutter im Garten Unkraut gejätet hatte, wurde losgeschickt Tee zu zubereiten.

Rasch wischte sie sich notdürftig die Hände an der Schürze ab.

„Sally, Sally, wo steckst du denn? Squire Adams ist gekommen! Hilf mir den Tisch zu decken und sieh zu das Meg und Daisy einigermaßen ansehnlich sind“, rief sie ihrer jüngeren Schwester auf dem Weg in die Küche zu.

Währen Mrs. Morgan zur Begrüßung noch etwas mit Mr. Adams über das Wetter und deren Rosen, ihr heimlicher Stolz, plauderte, um ihnen etwas Zeit zu geben zumindest den Tisch zu decken, hektikte Kathy in der Küche herum. Sie setzte Teewasser auf, suchte die gute Kanne heraus und fand sogar noch etwas von dem Teekuchen des Vortages, welchen sie aufschnitt und auf einen Servierteller drapierte. Mit der Kanne betrat sie die gute Stube, Sally knapp hinter sich, die den Kuchen trug.

„Na, na, Mrs. Morgan, das wäre doch nicht nötig gewesen“, begrüßte Mr. Adams ihre Ankunft. Dabei fiel sein Blick auf Meg und Daisy, die dem Kuchenteller mit größter Aufmerksamkeit folgten. „Setzt euch ruhig zu uns Kinder, wenn eure Mutter nichts dagegen hat“, waren seine nächsten Worte.

„Nicht im Geringsten.“ Mrs. Morgan musste Kathy und Sally nicht anweisen, was sie zu tun hatten, die beiden kannten ihre Rollen gut.

Kathy goss Mr. Adams und ihrer Mutter Tee ein. Sally sorgte für Ordnung bei den beiden, kleine Mädchen und stellte sie mit jeweils seine Stück Kuchen kurzfristig ruhig.

„Wie sie wissen leide ich an Rheuma und, obwohl ihr Kräutertee äußerst hilfreich ist, hat mir Doktor Marten einen Aufenthalt in Bath verordnet. Und da meine liebe Mary Kathy sehr zugeneigt ist, wie ich meinerseits auch, wenn ich das sagen darf, und sie nun das gewisse Alter erreicht hat, dachten wir uns es wäre eine gute Gelegenheit, wenn Kathy uns begleiten könnte, um uns in Bath Gesellschaft zu leisten“, erklärte er auf seine umständliche Art.

„Das ist sehr aufmerksam von ihnen, insbesondere in Anbetracht der Tatsache, dass weder mein Mann noch ich Zeit haben Fiddlersfield zu verlassen“, erwiderte Mrs. Morgan.

„Nicht doch, wir hätten Kathy gerne als unsere Begleitung. Ihre frische Art ist so belebend.“

„Kann ich auch mitkommen?“, platzte es aus Sally heraus.

„Sally, also wirklich, sei nicht so unhöflich! Außerdem bist du noch nicht alt genug, um in die Gesellschaft eingeführt zu werden, wohingegen es für Kathy schon ein wenig spät dazu ist. Und ich brauche eine von euch beiden hier.“

„Ich bin nur drei Jahre jünger“, murrte Sally leise, verstummte aber nach einem scharfen Blick ihrer Mutter.

„Sie verstehen sicherlich, dass ich ihr großzügiges Angebot erst mit meinem Mann besprechen muss“, antwortete Mrs. Morgan.

„Selbstverständlich Mrs. Morgan. Teilen sie mir ihre Entscheidung einfach in den nächsten Tagen mit, wir brechen erst in einer Woche auf.“

Kathy hatte das Gespräch zwar mit verfolgt, hielt sich jedoch mit ihrer Meinung zurück. Zum Einen war es völlig unklar, ob sie gehen dürfte und zum Anderen wäre es zwar eine neue Erfahrung Bath kennenzulernen, aber eigentlich war sie sich unsicher, ob sie überhaupt in den mondänen Kurort wollte. Ihre einzige Erfahrung mit Bällen erstreckte sich auf den Dorfball bei den Adams, auf dem sie zwar gewesen war wie fast jeder der im Dorf etwas auf sich hielt, doch sie hatte ihn als langwierige und stickige Angelegenheit in Erinnerung. Sie bevorzugte Spaziergänge, ihre Arbeit im Garten mit den Kräutern und das Lesen von Romanen als Zeitvertreib, und das gelegentliche Klettern auf Bäume, auch wenn das ein äußerst undamenhaftes Hobby war.
 

Eine Woche später befand Kathy sich in einer Kutsche mit den Adams auf dem Weg nach Bath.

Sally hatte sie von ihr nur um eine Postkarte gebeten, da sie meinte, Briefe würden Kathys Erlebnisse nicht so wirklichkeitsgetreu wiedergeben, wie es Kathy in ihren Gesprächen tat. Außerdem freute Sally sich inzwischen darauf Kathys sonstige Aufgaben zu übernehmen und dadurch mehr von ihrer Mutter lernen zu können.

Kathys Eltern hatten mit Ratschlägen, was den Umgang jungen Männer und mit jungen, weltgewandten Männern im Besonderen anging, gespart. Mrs. Morgan hatte sich nur versichert, dass Kathys ein Schutzamulett trug, dessen Nutzen ihrer Tochter vorher genau erklärt hatte. Alle anderen Ratschläge lauteten in Etwa: „Tue nichts, was du später bereust.“, „Setze deine Magie nicht gegen normale Menschen ein, dass ist unlauter.“ Und „denk daran, Magie schafft mehr Probleme als sie löst, insbesondere in zwischenmenschlichen Beziehungen.“

Was alles andere anging so vertrauten sie auf die Integrität der Adams und Kathys Verantwortungsgefühl.

Die Kutschfahrt verlief ereignislos, bis auf den Morgen, an dem Mrs. Adams glaubte ein gestricktes Schultertuch im Gasthof vergessen zu haben, nur um von ihrem Mann darauf hingewiesen zu werden, dass es von ihrer Schulter auf den Sitz in der Kutsche gerutscht war.

Die ersten Tage in Bath gestalteten sich geruhsam. Mrs. Adams flanierte mit Kathy durchs Stadtzentrum und schleifte sie in jeden auffindbaren Stoff- oder Wollladen, wo sie Stunden verbringen konnte. Durch diese Ladenbesuche lernte Kathy den Unterschied von Flanell, Satin, Musselin, Samt und was es sonst noch alles an Stoffarten gab. Auch erfuhr sie, welche Wollarten für welche Art von Strickerei am besten geeignet war. Nebenbei entdeckte Mrs. Adams ein Woll-Seidengemisch in einem schönen Blau, aus dem sie versprach ein Schultertuch für Kathy in einem Muster zu stricken, das Kathy selbst noch nicht selbst beherrschte.

Kathy, die über Mrs. Adams Faible für Stoffe und Garne amüsiert gewesen war, stellte nun fest, dass diese in ihrer Kunstfertigkeit im Umgang darin keiner Schneiderin nachstand. Auch ihr modischer Geschmack erwies sich als etwas exotisch, aber dennoch elegant und vorzüglich. Mrs. Adams ließ es sich nicht nehmen Kathy bei ihrer für die zu besuchenden Bälle behilflich zu sein. Notfalls legte sie selbst Hand an, um ein paar veraltete Kleider modisch aufzuwerten.

Durch ihr Geschick darin stieg sie in Kathys Achtung. Zu Kathys Glück bewies Mrs. Adams allerdings auch ihre Geduld, wenn Kathy sich in Kräuterläden und Läden des Kurbedarfs umsah, wobei letztere ihr professionelles Interesse geweckt hatte. Eines unvergesslichen Nachmittags, ließ sich Mrs. Adams sogar dazu überreden in einer Apotheke zusammen mit Kathy dem Genuss eines heilsamen Heißgetränks namens Schokolade zu frönen. **

Wenn sie nicht gerade durch die Stadt flanierten oder in der Trinkhalle prominierten, genossen sie es auf einer Bank im Park zu sitzen, Mrs. Adams mit ihrem Strickzeug und Kathy mit einem Buch in der Hand.

Dennoch bedauert Mrs. Adams ein wenig, dass sie keine Bekannten in Bath getroffen hatte. Dies hatte auch zur Folge, dass Kathys erster Ball unspektakulär verlief. Es war eng und stickig vor Menschen. Sie schaffte es geradeso Mrs. Adams nicht in der Menschenmenge zu verlieren. Die Musik und das laute Stimmengewirr erschöpften Kathy, insbesondere, da es kaum etwas gab, was ihre Aufmerksamkeit davon ablenkte. Mr. Adams verzog sich gleich zu Beginn ins Herrenzimmer, wo er sich gut mit anderen Herren über die neuesten Nachrichten, von denen die Zeitungen berichteten, aus aller Welt unterhielt.

Als die Musik pausierte und der Tee serviert wurde, mussten Kathy und Mrs. Adams sich durch eine Masse fremder Menschen zum Teesalon durchkämpfen. Nur, um dort festzustellen, dass sie niemanden kannten, fast alle Plätze besetzt waren und die einzigen freien Plätze an einem Tisch keine Gedecke aufwiesen. Letzterem wurde zwar Abhilfe geschaffen, doch da sie niemanden kannten, blieb ihnen nur übrig miteinander zu plaudern, was etwas mühsam war, da sie in den letzten Tagen schon so ziemlich alle Gesprächsthemen, über die sie sich unterhalten konnten, abgegrast hatten.

Als Kathy an diese Abend ins Bett ging, ahnte sie noch nicht, dass die nächsten Wochen einiges an Veränderungen für sie bereit hielten.

Neue Bekanntschaften

Nun also ist es Zeit auf den geheimnisvollen Fremden unserer Geschichte zu treffen, wobei er sich selbst keineswegs als geheimnisvoll ansehen würde.

Der Zufall wollte es, das Henry Tally, welcher ein paar Tage in Bath weilte, den folgenden Abend wählte, um in dieser kurzen Zeit seiner Anwesenheit einen Ball zu seinem abendlichen Vergnügen zu besuchen.

Gerade, weil Henry die Pflicht seinem Vater und seiner Schwester gegenüber den gemeinsamen Bathaufenthalt vorzubereiten sehr ernstnahm, ging er an diesem Abend aus, obwohl er den Abend lieber in Gesellschaft eines guten Buches verbracht hätte.

Nur sein Sinn für Humor ließ Henry Bälle durchstehen, da er als Junggeselle im heiratsfähigen Alter mit dem zwar ein wenig dubiosen Beruf als Buchhändler und Herausgeber einer Zeitschrift über Magie und alles Mögliche andere, wodurch er ein einigermaßen auskömmliches Einkommen aufwies, eine recht annehmbare Partie abgab.

In den Lower Rooms angekommen, führte der Zeremonienmeister ihn einer jungen Dame zu, deren naive Freude über ihren Bathaufenthalt ihn amüsierte. Ihr Äußeres war recht nett anzusehen, aber nicht übertrieben schön. Ihre Kleidung war schlicht, doch elegant und sie hatte auf zu auffälligen Tand verzichtet. Doch, was sein Interesse weckte, war ihre Ausstrahlung. Im Gegensatz zu den anderen jungen Damen der Gesellschaft wirkte sie geerdet und er fühlte in ihrer Nähe an einen Haselhain erinnert. Während des Tanzes, bei dem sie sich als ganz passable Tänzerin erwies, gab es wenig Möglichkeiten sich zu unterhalten, er versuchten, dennoch leichte Konversation mit ihr zu betreiben.

„Wie kommt es eigentlich, dass man hier beim Tanzen weniger ermüdet als üblich?“, wunderte sie sich, mit einem Blick zu einem älteren Paar in ihrer Nähe, welches ohne Weiteres mit den jungen Tänzern mithalten konnte.

„Ah, interessante Frage. Das liegt an den vielen gesundheitsfördernden Symbolen in den Lower Rooms und der Trinkhalle.“ Weiter kam er erst einmal nicht mit seiner Erklärung, der Tanz sie von ihm fortführte. Als sie sich wieder begegneten zeigte sie sich verwundert.

„Ich dachte, die wären den Heilbädern vorbehalten.“

„Nein, dem ist nicht so, schließlich kann es ja nicht angehen, dass sich der Zustand eines Kurbesuchers durch den Besuch der Lower Rooms oder der Trinkhalle verschlechtert.“ Er konnte noch sehen, wie sie ihm einen skeptischen Blick zuwarf, ehe der Tanz sie wieder trennte.

Kurz darauf beim Tee saßen sie am gleichen Tisch und plauderten weiter miteinander. Dabei erfuhr Henry, dass Kathy eine interessierte Leserin der „Relationes Curiosae arcanae et mundanae“ war, die er herausgab, was er vorerst verschwieg. Stattdessen sprachen sie über die Inhalte der Zeitschrift.

Nach einer Weile fiel ihm auf, dass sie noch gar nicht über die Dinge gesprochen hatten, über die er sich sonst mit jungen Damen in Bath unterhielt.

„Mir fällt gerade auf, wie außerordentlich unhöflich ich war, weil ich mich noch gar nicht zu ihrem Aufenthalt in Bath erkundigt habe.“

Leicht irritiert musterte sie ihn und schlug dann vor: „Wollen sie es nachholen?“

„Mit dem größten Vergnügen. Miss Morgan, ist dies ihr erster Aufenthalt in Bath?“

„Äh, ja.“

„Und wie gefällt es ihnen hier?“

„Sehr gut.“

„Waren sie schon im Theater?“

„Ja.“

„Waren sie schon in einem Konzert?“

„Ja.“

„Haben sie schon die erholsame Natur hier genossen?“

„Ja.“

„Wie lange halten sie sich schon in Bath auf, dass sie ein solch volles Programm absolviert haben?“

„Etwas mehr al eine Woche.“

„Wie ungewöhnlich!“, rief er mit übertrieben erstauntem Blick.

„Warum erstaunt es sie so? Ist das nicht üblich?“

„Doch es ist ein völlig normales Programm für Bath, aber Erstaunen lässt sich leichter vortäuschen.“

Sie gab ein leises, jedoch höchst undamenhaftes, amüsiertes Schnauben von sich, welches sie ihm noch einmal sympathischer machte, weil es ihn an seine Schwester erinnerte, wenn er sie neckte.

„Ich fürchte sie werden in ihr Tagebuch schreiben: War in den Lower Rooms in meinem neuen blauen Musselinkleid mit der zarten Spitze. Habe dort einen höchst tölpelhaften, zu sehr von sich eingenommenen Gentleman getroffen, der nichts ernstnehmen konnte. Wobei ich mir eher wünsche, sie würden schreiben: Habe in den Lower Rooms einen eloquenten Gentleman mit einem feinen Sinn für Humor getroffen und mit ihm einen höchst angenehmen Unterhaltung geführt.“

„Und sie möchten, dass ich ihr Aussehen unerwähnt lasse?“

„Ah, sie nehmen es ganz genau, wie ich sehe.“

„Ich würde es ganz genau nehmen, würde ich Tagebuch schreiben.“

„Wie bitte? Sie schreiben kein Tagebuch? Aber wie wollen sie dann ihren Schwestern und Kusinen detailliert von ihrem Bathaufenthalt berichten, ohne Buch über die tausend Kleinigkeiten und Erlebnisse dieses Aufenthalts zu führen?“

Ehe Kathy antworten konnte kam Mrs. Adas zu ihnen und wurde ihm von Kathy vorgestellt. „Ich fürchte die Nadel meiner Brosche hat den Stoff beschädigt, dass hat man davon, wenn man Satin wählt. Kathy wärst du so gut und würdest bitte nachsehen?“ Kathy kam der Bitte nach und bestätigte die Befürchtung. Mrs. Adams seufzte.

„Es ist wirklich ein schöner Satin, aber so leicht zu beschädigen. Finden sie nicht die Farbe von Miss Morgans Kleid bringt ihre Augenfarbe herrlich zur Geltung? Nur leider war sie beratungsresistent, was die Qualität dieses Musselins angeht. Ich schätze nach der ersten Wäsche fängt er an zu flusen.“

„Sie dürften mit beidem Recht haben. Einige Musselinsorten haben diesen Nachteil.“

„Oh, es ist selten einen jungen Herrn mit einem Verständnis für Stoffe anzutreffen.“

„Vielen Dank. Ich habe mir ein wenig Wissen bei den Einkäufen mit meiner Schwester angeeignet. Ist ihnen bewusst, dass das herrliche Schweinfurter Grün ihres Kleides aus einer Arsenverbindung besteht, die die Gesundheit gefährdet?“

„Das ist mir neu, dabei ist es eine so schöne Farbe und es gibt keine Alternativ, wenn man solch ein Grün möchte.“

„Nun, mir ist es lieber zu wissen, dass die giftigen Dämpfe dieser Farbe mein Leben und auch das von Kindern gefährden, insbesondere, wenn es bei Tapeten eingesetzt wird und zwar bevor jemand stirbt“, fuhr Henry fort, der dieses Wissen gerade erst erworben hatte und es obzwar makaber aber faszinieren fand.

„Ist das tatsächlich so?“, wollte Mrs. Adams wissen.

„ja, leider. Ich habe einen Vortrag des Chemikers Henry Carr* besucht, den er vor der Society of Arts hielt. Sein kleiner Neffe starb aufgrund der giftige Ausdünstung seiner Kinderzimmertapete.“

„Wie schrecklich“, murmelte Kathy.

„Ja, es ist schrecklich und leider werden diese Farbstoffe trotzdem noch weiter hergestellt und verwendet.“

„Vielen Dank für die Information, dann werde ich mich von diesem Grün fernhalten beim Stoff kaufen“, beschloss Mrs. Adams.

„Es ist nicht nur Grün, es sind auch noch andere Farbtöne, die ähnliche Inhaltsstoffe haben. Leider fallen mir die genauen Farbbezeichnungen im Moment nicht ein.“

Kathy lächelte ihn an. „Wenn Mr. Carr auch darüber berichtet hat, dürfte es doch in einem seiner wissenschaftlichen Essays erwähnt werden, die er in wissenschaftlichen Zeitschriften veröffentlicht hat.“

„Stimmt, dass ist ein hervorragender Hinweis“, lobte Henry, dem das selbst nicht eingefallen war.

„Dann kann ich das für sie herausfinden, Mrs. Adams.“

„Das wäre äußerst liebenswürdig von dir, Kathy.“

„Wollen wir uns angenehmeren Themen zuwenden“, schlug Henry vor, obwohl er es gewesen war, der mit diesem speziellen Thema angefangen hatte.

„Ja, gerne“, stimmten ihm beide Damen zu.

Den Rest des Abends verbrachten sie in angeregtem Gespräch über alle möglichen Themen, was ihm sehr gefiel, wie er für sich in seiner Unterkunft feststellte.
 

Zu Kathys Enttäuschung traf sie am nächsten Abend nicht auf Mr. Tally, so sehr sie dies auch hoffte und sie Gelegenheiten suchte ihn zu treffen. Sein Name war auch nicht in den Büchern der Trinkhalle. Im Stadtzentrum konnte sie bei einem extra langen Spaziergang auch nicht entdecken. Die Leihbibliothek erwies sich ebenfalls als Flopp und Mrs. Adams ließ sich an diesem Abend nicht dazu herab in die Lower Rooms zu gehen.

Am darauffolgenden Tag, merkte Mrs. Adams beim Dessert des Mittagsessens an, dass der reizende Mr. Tally wohl abgereist zu sein schien und, ob Kathy einem Besuch eines Stoffgeschäftes mit ihr durchführen würde. Kathy, die sich bewusst war, dass sie nur dank der Adams überhaupt in Bath war, stimmte dem Besuch eines Stoffgeschäftes zu.

Nach einigen Stunden mit längeren Diskussionen über das Für und Wider zwischen Leinen, Baumwolle und Wollstoff, verließen sie das Geschäft ohne Neuerwerbung. Auf dem Weg zurück zu ihrer Unterkunft bemerkte eine Dame in Mrs. Adams Alter sie. Die Dame, obwohl in Begleitung ihrer Töchter, näherte sich ihnen mit fragendem Blick. „Könnte es wohl sein, dass sie Mrs. Adams sind?“

„Ja.“, Mrs. Adams überlegte, „Henrietta Thorne, richtig?“

„Genau. Wie erfreulich, jemand Bekanntes hier zu treffen. Ich erinnere mich noch an ihre Hochzeit, das war ein wundervolles Fest, nicht wahr?“

„Ja, das stimmt. Ich hörte, sie haben einen Mr. Throne geheiratet, einen Advokaten.“ So ganz war sich Mrs. Adams nicht über die Profession des Mannes sicher.

„Da haben sie recht. Leider ist mein Mann vor ein paar Jahren verstorben und nun stehe ich allein mit meinen Kindern da, aber meine Ältesten waren mir eine große Stütze.“

„Das glaube ich“, murmelte Mrs. Adams.

„Aber lassen sie mich ihnen vorstellen, dass ist Isabella, meine Älteste, die Schönste der Schwestern. Dies ist Sarah, das Anne und dann wäre da noch mein lieber John, der in Oxford studiert. Er meinte, er käme eventuell mal vorbei. Und wer ist diese junge Dame bei ihnen? Ihre Tochter?“

„Nein, leider Gottes nicht. Kathy Morgan ist die Tochter unseres wunderbaren Nachbarn. Mein Mann schlug vor, dass sie uns begleiten könnte, da sie ja das passende Alter hat.“

Von da ausgehend drehte sich das folgende Gespräch um Mrs. Thornes Kinder, die alle wundervoll in den Augen ihrer Mutter waren und Mrs. Adams flüchtete sich in Beschreibungen ihrer Handarbeiten.

Kathy beobachtete, wie Isabella die Augen rollte. „Mutter übertreibt immer schrecklich“, flüsterte sie Kathy zu. „Aber sag, wie gefällt es dir hier?“ Dass Isabella direkt informell mit ihr umging, fiel Kathy kaum auf.

„Mir gefällt es hier sehr gut.“

„Wirst du die immer gleichen Aktivitäten nicht auch leid? Es ist so viel angenehmer sich die Zeit mit einem Buch zu vertreiben, als sich in der Trinkhalle oder den Lower Rooms zur Schau für heiratswillige Herren zu stellen. Nicht, dass ich damit sagen will, dass ein so entzückendes Geschöpf wie du, dass nicht verdienen würde oder, dass etwas schlecht daran ist sich anhimmeln zu lassen, aber mir sagen Bücher mehr zu.“

Kathy fiel es zu Anfang schwer Isabellas Wortschwall zu folgen, doch nach einer Weile kam er ihr sehr logisch und verständig vor. Sie nickte zustimmend.

„Ach, du glaubst nicht, was für herrlich schaurige Bücher es gibt. Nimm zum Beispiel „Der schwarze Müller oder die außergewöhnlichen Abenteuer des Krabat“**. Es eine so unterhaltsame Geschichte, dass man fast wünschte sie wäre wahr.“

„Ich kenne das Buch nicht.“

„Oh, wie schrecklich, dem muss Abhilfe geschaffen werden. Mrs. Adams, Mutter, erlaubt mir dieses bemitleidenswerte Geschöpf sogleich zur Leihbibliothek zu begleiten!“, forderte Isabella, was die Angesprochenen abgelenkt taten.

In der Leihbibliothek suchte Isabella nicht nur „Der schwarze Müller oder die außergewöhnlichen Abenteuer des Krabat“ heraus, sondern auch noch eine Anzahl anderer ähnlicher Titel.

Da sie sonst keine ähnlich junge Dame in Bath kannte und auch nicht in Fiddlersfield, war Kathy erstaunt sich nun plötzlich im Besitz einer Busenfreundin (Isabellas Worte) wieder zu finden.

Obwohl Isabella sie irritierte, verbrachte sie nun viel Zeit mit ihr, meist vertieft in Gespräche über Bücher und junge Herren. Da Isabella bei Letzterem einen Wissensvorsprung hatte, blieb es an Kathy ihr hauptsächlich zu lauschen, auch dann, wenn Isabella von ihren anderen zahlreichen Freundinnen berichtete. Allerdings wurde Isabella nicht müde zu beteuern, dass keine davon so entzückend und herzallerliebst sei wie Kathy.

Dennoch verwirrte Isabellas Verhalten Kathy, die ellenlange Spekulationen über junge Herren nicht gewöhnt war.

„So, nun erzähl mir alles über deinen Mr. Tally“, forderte sie Isabella urplötzlich bei einem ihrer Spaziergänge zur Leihbibliothek auf.

„Er ist nicht mein Mr. Tally! Ich habe ihn nur einmal getroffen!“

„Aber er hat dein Interesse geweckt, obwohl dir mit deinem Aussehen alle Herren Bath‘ zu Füßen liegen sollten. Also zier dich doch nicht so, beschreib ihn mir!“

Kathy grübelte. Wie sollte sie ihre Begegnung mit Mr. Tally beschreiben, zumal etwas in ihr darauf drang, es nur für sich behalten zu wollen, anstatt ihr Treffen von Isabella aufs gründlichste analysiert zu bekommen.

„Er war freundlich und amüsant“, antwortete sie daher ausweichend.

„Ach, wenn doch ich doch nur einen Mann, wie deinen Mr. Tally finden würde. Keine Sorge, ich nehme ihn dir nicht fort. Aber, wenn ich nur einen einigermaßen akzeptablen Gentleman finden könnte, dann wäre ich so schnell aus der alten Mühle weg, wie du es dir kaum vorstellen kannst.“

„Die alte Mühle?“, erkundigte Kathy sich.

„Ja, der alten, zugigen Mühle, in der wir seit Vaters Tod wohnen. Nun gut, wir wohnen nur im Wohnhaus bei der Mühle, nicht direkt in ihr, aber du kannst dir nicht vorstellen, wie beengt es da ist. Nach Vaters Tod blieb Mutter nur in das Mühlhaus, ihre Mitgift bei der Hochzeit zu ziehen, weil wir uns eine Wohnung in der Stadt nicht leisten konnten. Und sie musste jemanden anstellen, der die Mühle betreibt, kannst du das glauben? Wo Großvater ein Grundbesitzer war! Aber das hat alles Onkel Joe geerbt! Aber du brauchst die keine Sorgen zu machen, die Mühle ist zwar alt, aber ganz anders als die im Buch. Es ist nur eine langweilige, hellgetünchte Getreidemühle und Mutters Angestellter hat keinerlei Ahnung von Magie!“

„Nun, solche Mühlen wie in „Der schwarze Müller“ dürfen recht selten sein, schließlich gibt es tausende normale Getreidemühlen. Und außerdem werden Hexen und Zauberer ja, von den Besitzern der Obhutsbereiche zur Verantwortung gezogen, wenn sie schwarz Magie anwenden.“, erwiderte Kathy pragmatisch.

Isabella mochte von der Magie fasziniert sein, doch noch hatte sie keine Gelegenheit darüber ergeben, über Magie und Magieanwender in der wirklichen Welt zu reden. Eigentlich waren Kathys Beiträge zu den Gesprächen insgesamt eher spärlich gewesen, da Isabella dominierend in der Gesprächsführung war.

„Dabei fällt mir ein, du musst unbedingt „Der verwunschene Jahrmarkt“ lesen und, wenn du das durch hast ist „Spiegel und Schatten“ dran.“

Zu Isabellas großer Enttäuschung fanden sie in der Bibliothek nur eine Ausgabe des „verwunschenen Jahrmarkts“. Bei ihrer Suche fielen ihnen ein paar junge Gentlemen auf, die immer wieder zu ihnen hinüber sahen.

„Wie lästig, uns so zu begaffen! Komm lass uns das Buch nehmen und für dich aus leihen!“, beschloss Isabella für Kathy.

Ihrem Beschluss folgend, verließen sie die Bibliothek mit Kathys neuer Lektüre. Auf der Straße entdeckte Isabella die lästigen Gentlemen und überredete Kathy zu einem Umweg. Dennoch oder vielleicht genau deswegen, eilten sie dann voraus, um zu sehen, ob sie die Gentlemen auf der Hauptstraße wiedersehen würden. Während Isabella sich noch eifrig umschaute, brauste ein Einspänner an ihnen vorbei und bespritzte Isabellas Kleid mit Matsch. „Was für ein Flegel! Solche Rüpel sollte man... aber hallo, das ist ja John!“ Sie fing hektisch zu winken an.

Der Fahrer des Vehikels zügelte etwas von ihnen entfernt sein nebelgraues Pferd, welches nervös tänzelte, als er einem herbeieilenden Diener die Zügel zuwarf.

„Und ich sage dir, schneller hätten wir nicht her gelangen können! Das Pferd ist ein Phänomen! Ich bin meinem Mentor zu großem Dank verpflichtet. Und dann konnte ich die Gig auch noch günstig von Fenley erwerben!“, überschüttete er seinen Begleiter mit einem Wortschwall, wobei er seiner heraneilende Schwester völlig ignorierte.

„Ich widerspreche ja nicht, was die Schnelligkeit deines Pferdes angeht, aber solche Pferde, wie deines sollten mit äußerster Vorsicht und Umsicht behandelt und gelenkt werden.“

„Ach sei kein Spaßverderber! Es ist der beste Gaul, den ich je besessen habe. Es wird mich schon nicht umbringen!“

„Das bleibt abzuwarten“, murmelte Johns Begleiter mit einem nachdenklichen Blick auf das nebelgraue Pferd. Seine Stimme und seine Art zu sprechen halfen Kathy ihren Bruder hinter dem deutlich stämmigeren John Thorne zu erkennen.

„James, wie schön! Aber, was machst du hier?“, rief sie aus und überwand die Distanz in schnellen Schritten.

„Kathy, du… Ach, ja, Mutter schrieb mir, dass du die Adams nach Bath begleitet hast“, begrüßte er sie. Und ließ seinen Worten eine herzliche Umarmung folgen.

„Ist das etwa deine Schwester? Was für ein liebreizendes Geschöpf. Stell‘ mich ihr vor!“

„Kathy, dies ist John Thorne ein Studienkamerad aus Oxford, der mich auf ein paar Tage zu seinem Familienbesuch nach Bath eingeladen hat. John, dies ist Kathy meine älteste Schwester.“

John machte einen übertriebenen Kratzfuß vor Kathy und wies dann auf sein Gefährt. „Ist es nicht herrlich? Das Pferd ist hervorragend, wir haben nur drei Stunden her gebraucht. Und der Wagen erst, äußerst komfortabel! Aber, was erzähle ich ihnen das, sie müssen es unbedingt selbst erleben!“

„Bräuchte ihr Pferd nicht eher eine Pause, nach solch einer langen Strecke?“

„Ach, kein Stück! Der ist noch so frisch wie heute Morgen! Ich weiß wie wir’s machen, wir bringen sie eben zu den Adams! Was halten sie davon?“

„Es ist nur ein paar Schritte zu gehen…“ Doch John fasste sie am Arm und dirigierte sie zu seinem Wagen. Überrumpelt ließ Kathy es geschehen und stieg in den Einspänner. Das Pferd schnaubte und stampfte einmal auf. Kathy war ein wenig unsicher, aber sie glaubte einen Funken von den Hufen hochstieben gesehen zu haben.

„Ich bin einer der besten Wagenlenker, bei dem sie je mitgefahren sind. Wir müssen wirklich eine gemeinsame Ausfahrt machen, dann können sie das besser beurteilen. Vor kurzem habe ich sogar ein durchgehendes Pferd eingefangen, welches fast ein kleines Kind zertrampelt hätte, wenn ich nicht…“

„Hast du nicht“, warf James von hinten ein, doch John schenkte dem keine Beachtung, sondern fuhr fort Kathy seine Heldentaten zu schildern. Wenn man ihm glaubte, hatte er mindestens einen Orden, eher drei oder vier verdient, war aber zu bescheiden, um sie anzunehmen. Kathys Beitrag zu seinen Erzählungen bildeten einsilbige, zustimmende Laute, doch das schien ihn alles zu sein, was er an Ermutigung brauchte.

Vor dem, von den Adams gemieteten Stadthaus, brachte John die Gig ruckartig zum Stehen, so dass Kathy unangenehm durchgeschüttelt wurde. Es war ihr Bruder James, der ihr beim Aussteigen half.

„Werden sie mir die Ehre geben und mir heute Abend in den Lower Rooms den ersten Tanz reservieren?“, fragt John vom Kutschbock herab.

Kathy war zu ungeübt in solchen Situationen, um ihm eine charmante Nichtantwort zu geben, so stotterte sie: „Äh, ja, wenn sie wünschen.“

„Dann bis heute Abend.“ Mit dieser knappen Erwiderung ließ John sie zurück.
 

Der Abend gestaltete sich für Kathy zunächst unbefriedigend. Da auf ihrer Tanzkarte nun Johns Name an oberster Stelle stand, wartete sie auf ihn, schließlich war ihm ihr erster Tanz des Abends versprochen.

Doch als John und die anderen Thornes endlich auftauchten, verzog John sich gleich ins Herrenzimmer ohne Kathy auch nur zu begrüßen. Isabella gesellte sich auch nur kurz zu ihr und Mrs. Adams. Ihr Mitleid mit Kathy über ihren gedankenlosen Bruder hielt nur einige Augenblicke an, ehe sie sich von James auf die Tanzfläche führen ließ, obwohl vorher behauptet hatte Kathy Gesellschaft leisten zu wollen bis ihr Bruder John auftauchen würde.

Zu allem Überfluss entdeckte Kathy auch noch Henry Tally auf der Tanzfläche mit einer ihr unbekannten, jungen Dame. Ihre Enttäuschung hielt nur kurz an, da sie sich erinnerte, dass Henry von seiner Schwester gesprochen hatte und so nahm sie an, es handle sich um diese.

Dennoch war sie es überdrüssig am Rande der Tanzfläche zu sitzen und keine Aufforderung annehmen zu können, da sie nun einmal noch nicht mit John Thorne getanzt hatte.

Als das Musikstück endete, kam Mr. Tally zu ihr. „Guten Abend. Wie schön sie wiederzusehen. Darf ich ihnen meine Schwester Eleanor vorstellen?“

„Guten Abend. Die Freude ist ganz meinerseits. Ich dachte sie wären schon abgereist.“ Sie lächelte die Geschwister an.

„Hattest du etwa vergessen zu erwähnen, dass du nur ein paar Tage in Bath zur Vorbereitung dieser Reise warst?“, neckte Eleanor ihren Bruder. „Er zeigt manchmal das Verhalten eines vergesslichen, alten Professors, trotz seiner jungen Jahre“, fügte sie versöhnlich an Kathy gewandt hinzu, nachdem sie sich vorgestellt worden waren.

„Ich fürchte, ich habe mich dieses Fauxpas wirklich schuldig gemacht. Miss Morgan, darf ich sie zur Entschuldigung zum Tanz führen?“

Kathy zögerte kurz. Sie saß schon seit mehr als einer halben Stunde am Rand der Tanzfläche und hatte mehrere Angebote zu Tanzen ablehnen müssen, weil John Thorne immer noch nicht aufgetaucht war. Kurz entschlossen antwortete sie, obwohl es der Etikette widersprach: „Sehr gerne.“

Henry führte sie auf die Tanzfläche. „Und bereitet ihr Bathaufenthalt ihnen noch immer vergnügen?“, erkundigte er sich mit einem Funkeln in den Augen.

„Oh ja, sehr.“

„Das freut mich. Sie scheinen sich gut mit meiner Schwester zu verstehen.“, fügte er hinzu. Der Tanz trennte sie, was ihr, Zeit gab, sich ihre Antwort zu überlegen.

„Ich würde ihre Schwester gerne näher kennenlernen. Sie scheint sehr nett und humorvoll zu sein.“

„Nun, sie liebt es zumindest Personen, die sie mag zu necken, falls es das ist, was sie mit humorvoll meinen“, gab er zurück. „Sie könnten uns auf einen Spaziergang begleiten, wenn sie die Absicht haben Eleanor näher kennenzulernen.“

„Es wäre mir eine große Freude.“ Wieder führte der Tanz sie für eine Weile auseinander.

„Wäre ihnen Morgen um elf genehm, so dass man sich einen gesunden Appetit fürs Mittagsmahl erlaufen kann? Falls sie keine anderen Verabredungen haben, heißt das.“

„Morgen um elf passt hervorragend und ich bin noch völlig frei in der Gestaltung meines Tages.“

Der Tanz endete. Henry lächelte sie an. „Wunderbar, dann werde ich nun Eleanor von unserer Verabredung unterrichten.“ Mit einer galanten Verbeugung verabschiedete er sich erst einmal von ihr.

Kathy kehrte an ihren Sitzplatz zurück, wo sie nun wieder auf John Throne wartete, der verschollen blieb.

Eleanor kam dagegen, um ihr ein wenig Gesellschaft zu leisten und sie vor dem Spaziergang zu beschnuppern. Wie schon zuvor mit Henry erwies es sich als einfach ein Gespräch mit Eleanor zu führen, welches von einem Thema zum nächsten wanderte und faszinierende Beobachtungen enthielt. Und im Gegensatz zu Isabella teilte Eleanor Kathys Ansicht, dass die Protagonistin von „Der verwunschene Jahrmarkt“ ein wenig gesunder Menschenverstand gut tun würde, obgleich es trotzdem ein spannungsreicher Roman war.

Gerade als Kathy sich erhob, um mit den Adams die Lower Rooms zu verlassen, erschien John doch noch auf der Bildfläche.

„Miss Morgan, ich dachte sie hätten mir einen Tanz reserviert und wie ich hörte, haben sie stattdessen mit einem Fremden getanzt.“

„Mr. Tally ist kein Fremder, wir hatten schon früher das Vergnügen uns miteinander zu unterhalten. Außerdem waren sie den ganzen Abend verschwunden, wie hätte ich da mit ihnen tanzen können. Finden sie es nicht schrecklich unhöflich, sich erst einen Tanz von einer Dame versprechen zu lassen, nur um sie dann Sunden lang warten zu lassen?“

„Wie…“, was auch immer John sagen wollte, er unterbrach sich und seine Miene wechselte von totaler Verwunderung zu falschem Überschwang. Jovial verkündete er: „Nun, aber jetzt bin ich ja hier, um sie zum Tanz zu führen!“

Obwohl Kathy zu Recht einiges an Frust ihm gegenüber aufgebaut hatte, fühlte sie sich veranlasst ihn anzulächeln und etwas Besänftigendes zu sagen, wurde jedoch von Mr. Adams daran gehindert. „Ihre Manieren fallen ihnen etwas zu spät ein junger Mann, da Kathy nun mit uns gehen wird. Ich wünsche ihnen noch einen schönen Abend.“

Um seinen Standpunkt besonders deutlich zu machen, hielt Mr. Adams Kathy bei diesen Worten seinen Arm hin, den sie nahm.

„Noch einen schönen Abend“, murmelte sie verwirrt, warum sie ihren Frust über Johns Verhalten so rasch überwunden hatte, so entging ihr, dass Henry diese kleine Auseinandersetzung mit verfolgt hatte.

Irrungen und Wirrungen

Falls Kathy gedacht hatte, alles würde nach ihrem Plan gehen, so hatte sie sich darin geirrt. Schon das Wetter machte ihr einen Strich durch die Rechnung. Sie verbrachte die Zeit nach dem Frühstück mit Mrs. Adams im Salon. Mrs. Adams strickte und sie las, wie so oft einen Roman.

Die letzten Tage hatte sie sich allmählich daran gewöhnt diese Zeit mit Mrs. Adams zu verbringen oder für sich zu haben, anstatt mit Haushaltstätigkeiten oder im Garten beschäftigt zu sein. Am ungewohntesten für sie war, dass es ein Hausmädchen gab, welches auch noch als Mrs. Adams und ihre Magd fungierte.

„Wolltest du nicht heute Spazierengehen, Liebes?“, riss Mrs. Adams sie aus ihrer Lektüre.

Kathy blickte auf. „Ja, das war so mit den Geschwistern Tally verabredet.“

„Nun, die grauen Wolken von heute Früh entleeren sich gerade.“

Kahty erhob sich, schritt zum Fenster und sah hinaus. Mrs Adams lag richtig, es regnete kräftig. Tropfen hämmerten vom Wind getrieben gegen die Scheibe und die Straße hatte sich in einen kleinen Bach verwandelt.

„Oh je, ich hoffe, es ist nur ein kurzer Schauer“, rief Kathy aus. Doch um elf regnete es immer noch.

„Vielleicht ist es ja bald vorbei oder soll ich ihnen eine kurze Mitteilung schreiben?“, überlegte sie. Nach einer weiteren Viertelstunde Regen entschloss sie sich dazu und holte ihr Schreibzeug. Fünf Minuten später, als es zu regnen aufhörte, hatte sie gerademal die Anrede zu Papier gebracht. Erleichtert räumte sie Feder, Tinte und Papier beiseite. „Ich zieh mich rasch um und gehe zum Haus der Tallys. Vielleicht wollen sie ja doch noch spazieren gehen.“

„Bist du sicher, die Spazierwege werden alle schlammig sein.“

„Ich bin mir sicher, was kann es schon schaden sie zumindest zu fragen?“ Kaum hatte sie zu Ende gesprochen, da klingelte es.

„Oh, vielleicht sind sie es!“ Kathy eilte in die Eingangshalle, wo sie abrupt zum Stehen kam. Das Hausmädchen ließ eben James, sowie John und Isabella Thorne ein.

„Oh, hervorragend, sie sind ausgehfertig!“, gab John Thorne statt einer Begrüßung von sich.

„Wie vorrausschauend von dir, Liebes!“, warf Isabella ein.

„Ähm, was… wieso sind sie hier?“

„Na, wir hatten doch besprochen eine Ausfahrt zu machen.“, erklärte John.

„Aber das war doch nur allgemein überlegt worden“, protestierte Kathy.

„Nun, heute passt doch! Wo sie schon zum Ausgehen bereit sind.“

„Ich habe eine Verabredung mit den Tallys zu einem Spaziergang“, stelle Kathy klar.

„Ach, die kommen nicht mehr, die sind ohne sie gegangen“, behauptete John.

„Das würden sie nie tun“, widersprach Kathy, doch leichter Zweifel kroch in ihr hoch.

„Doch, doch, sie sind in Richtung Stadtzentrum gegangen, nicht wahr, Isabella?“, blieb John hartnäckig.

„Ja, genau. Komm Liebes, mit solchen Leuten brauchst du dich nicht abzugeben.“

„Aber… ich…“ Kathys Protest erstickte als Isabella sie beim Arm nahm und sie Richtung Ausgang dirigierte. Kathy kam noch nicht einmal dazu sich bei den Adams zu verabschieden. Sie hörte allerdings ein:“Sag doch den netten Leuten bei denen deine Schwester untergekommen ist, dass wir sie auf einen Ausflug mitnehmen, bei dem du dabei bist.“, was an James gerichtet war.

John bugsierte Kathy in seinen Einspänner, währen Isabella in einen von James gemieteten stieg. Johns Pferd scharrte unruhig mit den Hufen im Schlamm. Kaum saß James ebenfalls hinter den Zügeln, gab John seinem Pferd das Zeichen zum Loslaufen. Wie schon am Vortag lief es rasch dahin und John achtete wenig auf andere Verkehrsteilnehmer. So entgingen ihm auch Eleanor und Henry, die auf der anderen Straßenseite auf das Haus der Adams zugingen.

„Stopp, halten sie an! Da sind die Tallys! Sie sind sicher gekommen, um mich zu unserem verabredeten Spaziergang abzuholen!“

Kathys Ruf war laut genug, um Eleanors und Henrys Aufmerksamkeit zu erregen.

„Da haben sie sich versehen“, behauptete John nur und ließ das Pferd noch beschleunigen.

„Nein, ich habe mich nicht geirrt! Ich habe sie ganz genau gesehen!“

„Das war sicher nur ein Paar, welches den Tallys ähnlich sieht“, stellte John Kathys Entdeckung in Zweifel. Sein Tonfall war so sicher und bestimmt, dass sie selbst an sich zu zweifeln begann.

Kurz darauf trabten sie schon außerhalb der Stadt dahin. Isabella und James schienen sich wunderbar zu amüsieren, während Kathy erneut gezwungen war Johns angeblichen Heldentaten zu lauschen. Doch dieses Mal pries er auch noch seinen Mentor an, der zurzeit auf einem Schloss in der Nähe zur Erholung weilte und den John mit ihrem Besuch überraschen wollte.

Nachdem sie ein paar Meilen zwischen Feldern dahin getrabt waren, kamen sie in einen Wald. Obwohl es kurz vor Mittag war, John hatte entschieden eine Mittagspause sei unnötig, da sie auf dem Schloss sicher bewirtet würden, bemerkte Kathy leichte Nebelschlieren, die über dem Waldboden schwebten.

Je tiefer sie in den Wald vordrangen, desto unheimlicher wurde er Kathy, trotz Johns Beteuerungen alle sei in Ordnung. Eigentlich liebte Kathy Bäume und sie konnte stundenlang den Wald bei Fiddlersfield durchstreifen und sich sicher dabei fühlen, aber dieser Wald war anders. Die Bäume waren krumm und schief. Immer mehr Nebel sammelte sich um sie herum und aus dem befestigten Waldweg war ein Holzweg geworden.

„Sind sie sicher, dass es hier lang geht?“, fragte Kathy, die allmählich bezweifelte, dass John eine Ahnung hatte, wo sie waren.

Der Nebel hüllte sie ein und dämpfte den Hufschlag der Pferde so sehr, dass Kathy ihn kaum noch wahrnehmen konnte. Nur noch die Bäume am Wegrand waren im Grau zu erkennen. Johns nebelgraues Pferd schien mit der Umgebung zu verschwimmen, nur die blauen Funken, die von seinen Hufen stoben, zeigten an, dass es ihren Wagen zog.

„Ich bin mir verdammt sicher!“, pflaumte John sie an. Kathy zog ihren Wollmantel enger um sich. Der Nebel kroch ihr in die Kleider und brachte sie zum Zittern.

Der Weg endete im Nichts. John zügelte das Pferd auf einem Platz, der eindeutig von Holzfällern genutzt wurde. Um sie herum befanden sich Nebel, Bäume und Baumstümpfe. Der von John gewählte Weg hatte sich als Sackgasse herausgestellt.

Kathy stellte leicht beeindruckt fest, dass Johns Vokabular eine erstaunliche Menge an Scheltworten enthielt. Sie war fast sicher, dass er sich nur geradeso zusammenriss um richtig Flüche zu vermeiden, die in dieser Situation nur schaden konnten.

„Das war dieser elendige Gaul!“, knurrte John, der nicht eingestehen wollte, dass er die Orientierung verloren hatte. Er sprang vom Wagen, ergriff einen dicken Ast und hob ihn zum Schlag bereit.

„Nicht!“ Hastig folgte Kathy ihm. Sie zerrte an seinem Mantel. „So behandelt man kein gutes Pferd und schon gar kein Feenpferd!“ Sie war froh, als John den Ast senkte.

„Na dann mal zu, Missy. Zeigen sie mir doch mal, wie sie hier herausfinden!“, höhnte er.

Kathy ignorierte seine Worte, pflückte eine Handvoll Klee und nährte sich dem Feenpferd behutsam. Erst als es den Klee von ihrer flachen Hand annahm, wagte sie es am Kopf zu streicheln. „So ist es gut. Du bist ein wunderbares Wesen und bestimmt klug genug, uns hier herauszuführen.“, flüsterte sie dem Tier zu, dass zur Antwort die Ohren aufstellte. Noch während sie sprach, kamen James und Isabella auf der Holzfällerlichtung an.

„Du verstehst ganz genau, was ich sage, nicht wahr?“, fragte Kathy das Pferd, welches den Kopf so bewegte, dass man es als Nicken interpretieren konnte.

„Führst du uns hinaus, wenn ich dich gut behandle und dir zu einer Portion Hafer noch drei Möhren und einen Apfel geben, wenn wir zurück sind?“

Das Pferd stupste sie sacht an der Schulter Richtung Einspänner. Kathy konnte sich ein zufriedenes Grinsen nicht verkneifen. „Wir haben also einen Deal. Mr. Thorne setzen sie sich und geben sie mir die Peitsche!“

Nur widerwillig und durch James Zureden ermuntert, überließ John Kathy seinen Platz hinter den Zügeln.

Sie setzte sich zurecht, griff die Zügel und schnalzte mit der Zunge. Anstatt, wie zuvor unruhig loszustürmen, stampfte das Pferd einmal auf, woraufhin blau schimmernde Hufabdrücke im Gras und im Matsch sichtbar wurden, ehe es sich sanft in Bewegung setzte. Geruhsam und lammfromm ließ das Pferd eine Kurve fahren, damit sie der leuchtenden Fährte folgen konnten. Es gehorchte Kathy brav den ganzen Rückweg. Im Stall am Stadthaus der Thornes angelangt, bestand sie darauf es zu versorgen und zu füttern, anstatt dies von den Stallburschen erledigen zu lassen, schließlich hatte sie nun ihren Teil des Handels zu erfüllen.
 

Henry saß an seinem Schreibtisch und versuchte einen Brief zu schreiben, versuchte war die passende Bezeichnung, da er vor allem gedankenverloren aus dem Fenster starrte. Ein Klopfen lenkte seine Aufmerksamkeit zur Tür. Im Türrahmen stand sein Vater. „Hast du einen Augenblick Zeit?“

„Ich habe sogar mehr als einen Augenblick. Worum geht es denn?“ Er wandte sich seinem Vater zu.

„Vorhin war eine Miss Morgan hier um dich und Elanor zu sprechen.“

„Aha“, so ganz verstand Henry nicht, was sein Vater ihm damit mitteilen wollte.

„Sie war so aufgewühlt, dass sie sich recht wirr bei mir dafür entschuldigte, euch bei eurem geplanten Spaziergang versetzt zu haben.“

Nun hatte er Henrys volle Aufmerksamkeit. „Und?“

„Ich habe ihre Entschuldigung in eurem Namen angenommen, sowie einen Spaziergang für drei Uhr mit euch vereinbart.“

„Hm? Hat sie erklärt, was das Gestern war?“

„Sie hat es versucht, aber eigentlich war das unnötig. Mein Sohn, ist dir bewusst, dass auf diesem armen Mädchen zwei verschiedene Beeinflussungszauber liegen?“

Henry seufzte. „Das war einer der Gründe, aus denen ich sie zum Spaziergang eingeladen hatte, vor allem, da diese Zauber bei unserem ersten Treffen noch nicht da waren.“

„Hast du einen Verdacht, wer für solch einen Missbrauch der Magie verantwortlich ist?“

„Habe ich, aber mir fehlen die Beweise.“

„Dann solltest du zusehen, dass du ihr hilfst sie loszuwerden, bevor sie zu etwas gebracht wird, was sie sehr bereuen wird. Sie widersteht den Zaubern noch unbewusst zum Teil, nur bei solchen Zaubern, weiß man nie…“

„Dafür die neuerliche Verabredung, die du ausgemacht hast.“, stellte Henry fest. Er überlegte. „Wenn wir ihr helfen, die Zauber loszuwerden, werden wir zu Zielen. Wir sollten Frederick dazu holen.“

„Welchen Grund gibt es Frederick zu involvieren?“

„Nun er hat seinen Charme, der ihn schwer Widerstehlich für die Damenwelt macht und er ist für die Person, die ich im Verdacht habe, ein Schritt die soziale Leiter hinauf. Das sollte uns behilflich sein.“

„Habe ich dir schon mal gesagt, dass du eine großartige Karriere als Schwarzkünstlerjäger haben könntest, mein Sohn?“

Henry grinste seinen Vater breit an. „Du hast mir aber auch gesagt, dass solch eine Karriere ähnlich gefährlich ist, wie ein Wettermagier bei der Marine zu sein und dir ein Sohn mit lebensgefährlichem Job genügt.“

„Touché! Ach, übrigens, beende deinen Brief lieber bald, du hast nur noch eine halbe Stunde bis Miss Morgan für den Spaziergang kommt.“

Henry salutierte seinem Vater, bevor der sich umdrehte und aus dem Raum marschierte.

Die nächste Person, die Henry unterbrach war Eleanor. „Hat Vater mit dir gesprochen?“

Seufzend legte Henry die Feder weg. „Ja, hat er.“

„Also, wie gehen wir es an?“

„Elly, ich versuche einen Brief zu beenden.“

„Den kannst du auch noch heute Abend schreiben! Es ist viel wichtiger, dass wir besprechen, wie wir Kathy sagen, dass sie beeinflusst wird!“

„Wir sagen es ihr nicht.“

„Warum? Sie hat ein Recht das zu erfahren?“

„Mal abgesehen davon, dass sie zumindest einer der verdächtigen Personen vertraut, ist es immer eine schlechte Idee Menschen geradeheraus zu erzählen, dass ihr freier Wille magisch beeinflusst wird.“

„Verstehe.“ Eleanor zog sich einen Stuhl heran und setzte sich ihm gegenüber. „Und, weil dir solche Sachen beigebracht wurden und wir nicht, müssen wir darüber reden, bevor Kathy hier eintrifft. Sie ist im Übrigen nett und sehr hübsch.“

„Elly!“

„Ich wollte es nur erwähnt haben. Wenn wir es ihr nicht direkt sagen können, was dann?“

„Wir machen uns zu Nutze, dass sie sich schon automatisch mit ihrem eigenen magischen Talent zur Wehr setzt. Sie scheint eine starke Verbindung zur Natur und Naturgeistern zu haben, also setzen wir das ein. Ich könnte mir vorstellen, dass ihr ein Baumweibchen zu Hilfe eilt, wenn wir sie in die Nähe eines Weißdorns oder einer Stechpalme bringen.“

„Du meinst, wir lösen nicht einfach den Zauber, sondern lassen das Wesen tun, denen die Schwarze Kunst extrem missfällt.“

„Genau. Würden wir die Zauber selbst lösen wollen, müssten wir ihr vorher genau erklären, was wir vorhaben. Versuchen wir einen Baumgeist auf Kathys Problem aufmerksam zu machen, fällt das weg. Nur sind die meistens zu scheu, um sich zu zeigen, darum müssen wir hoffen, dass Kathys Verbindung zur Natur und ihren Geistern so stark ist, wie ich vermute.“

„Es ist unangenehm, dass wir es ihr nicht einfach sagen können.“

„Die meisten Zauber, die Jemandes Willen beeinflussen, beinhalten einen Leugnungsaspekt. Die Opfer sind dadurch leichter bereit zu leugnen, dass sie beeinflusst werden als es eh schon der Fall ist. Sie glauben sogar eher dem Schwarzkünstler, unter dessen Einfluss sie stehen, als anderen und werden alle möglichen Argumente ins Feld führen, warum sie ganz bestimmt nicht verzaubert wurden.“

„Ich finde es trotzdem schrecklich, dass wir hinter ihrem Rücken agieren müssen.“

„Geht mir genauso.“

Wenige Minuten später klingelte es. Eleanor begrüßte Kathy vor Henry und gab ihr ein Kompliment für ihre schicke, aber dennoch praktische Frisur, welches sie höchst entzückend erröten ließ. Henry hörte, wie sie stammelte, es wäre doch nur eine simple Alltagsfrisur. Er musste Eleanor jedoch zustimmen, dass sie Kathy hervorragend stand.

„Guten Tag, Miss Morgan. Es freut mich sie wohlauf zu sehen.“

„Guten Tag, Mr. Tally. Es tut mir Leid, dass ich sie Gestern versetzt habe. Mir wurden falsche Informationen als Tatsachen hingestellt und als ich sie beide sah, versuchte ich noch Mr. Thorne zum Anhalten zu bewegen, aber es misslang.“

„Ich bin mir sicher, sie haben ihr Möglichstes versucht. Aber lassen sie uns lieber das angenehme Wetter bei unserem Spaziergang genießen.“

Das Henry schon etwas länger in Bath weilte als Eleanor, ließ sie ihn die Route wählen. Er führte sie aus der Stadt und zu einem kleinen Hain hin, der in der Nähe des Flusses lag, weil er wusste, dass es darin einen Hügel gab, der einen herrlichen Überblick über Bath bot.

Henry beobachtete Kathy aus den Augenwinkeln, die kräftig ausschritt. Es war deutlich, dass Spazierengehen eine gewohnte Tätigkeit für sie war.

Eleanor wies ihn auf Landschaftsdetails hin, die sich zu zeichnen lohnten. Rasch war er mit ihr in eine Diskussion über Perspektive und Lichteinfall verstrickt. Um Kathy nicht auszuschließen, fragte er: „Wie gehen sie an die Perspektive bei Zeichnungen heran?“

„Ähm… ich zeichne nicht“, gab sie leise zu, „Ich habe keinerlei Talent dafür.“

„Ich dachte Zeichnen gehört wie Klavierspielen zu den Grundfertigkeiten, welche jede junge Dame zu beherrschen lernt.“

Kathy zögerte. Eleanor nutzte die Gelegenheit eine Antwort einzuwerfen. „Das wünschen sich nur die Herren der Schöpfung, weil sie uns gerne als Schmuckstück und Unterhalterin im Haus haben. Ehrlich gesagt, fehlen in diesen Anleitungen zur Erziehung junger Damen viele sinnvolle und nützliche Fähigkeiten.“

„Welche, liebste Schwester?“

„Erste Hilfe zum Beispiel. Die Anleitungen erwarten immer, dass man eine treusorgende, liebevolle Mutter wird, aber nirgendwo wird auch nur in Betracht gezogen, dass es äußerst sinnvoll für die Kindererziehung sein kann zu lernen, wie man kleinere Verletzungen und Wehwehchen behandelt.* Ich wette, das ist etwas, was Miss Morgan vielen jungen Damen voraus hat.“

„Ich muss zugeben, dass ist sehr sinnvoll, aber noch immer auf den häuslichen Bereich beschränkt. Warum plädierst du nicht dafür, jungen Damen Chemie oder Astronomie beizubringen?“

„Ach, aber Chemie lässt sich doch auch im Haushalt anwenden“, gab sie gelassen zurück.

„Wie willst du Chemie im Haushalt anwenden?“, wollte Henry wissen.

„Was denkst du wird beim Wäsche waschen oder Putzen angewandt? Seifen und Laugen. Was glaubst du, ist am Kochen so viel anders als an einem chemischen Experiment?“

Henry sah, wie Kathy sich ein Herz fasste. „Ich finde Kochen und Backen, was eigentlich auch nur chemische Experimente sind, viel nützlicher, weil man das Ergebnis essen kann, im Gegensatz zu vielen Ergebnissen von wissenschaftlichen, chemischen Experimenten. Allerdings helfen die uns dafür, dabei die Welt besser zu verstehen.“

„Bravo, gut gesagt. Wie du siehst, ist es wichtig sich mit den Substanzen auszukennen, die im Haushalt ständig Verwendung finden.“, lobte Eleanor sie begeistert.

„Eindeutig.“, stimmte Kathy ihr zu.

„Ich sehe schon, ich muss zugeben, dass chemisches Wissen für Damen nützlich ist, aber wie wollt ihr mich von Astronomie überzeugen?“

„Hm, um die Richtung in einer Gegend zu finden, wo es kaum Landmarken gibt?“, schlug Kathy vor.

„Ja, aber wie viele junge Damen landen in solchen Gegenden?“

„Junge Damen, die mit ihren Ehemännern auswandern oder sie aus Expeditionen begleiten oder die einen Schaffarmer in Cornwall heiraten“, erwiderte Eleanor.

Henry seufzte gespielt tief. „Überzeugt. Wir sind da. Ist der Ausblick nicht phänomenal?“

Die beiden jungen Damen stimmten ihm zu und ließen sich auf einer Bank am Aussichtspunkt nieder, die unter einem Weißdorn stand. Eine Weile genossen sie schweigend den Augenblick, dann erstarrte Henry und hielt bewusst weiter still. Auch Eleanor entdeckte, was er sah und verhielt sich besonders ruhig. Henry beobachte, wie Kathy sich verdutzt umsah. Ein Lächeln formte sich auf ihren Lippen.

Ein kleines braunes Wesen, das so knorrig wie der Baum war, huschte über die Äste. Als es Kathys Lächeln bemerkte, hielt es an. Leise keckernd kramte es in einer Bauchtasche, holte ein verdrehtes Stückchen Wurzelholz hervor und ließ es hastig fallen. Kathy fing das Holzstückchen gerade noch auf. Bei der Bewegung stob das Wesen davon.

Kathy drehte das Holzstück in ihrer Hand und musterte es von allen Seiten, schließlich flüsterte sie: „Es sieht aus wie ein zusammengeringelter, kleiner Drachen aus.“

„Wirklich? Faszinierend“, bemerkte Henry genauso leise, obwohl das Wesen schon fort war. Er hatte sich etwas Ähnliches erhofft und war froh, dass seine Hoffnung erfüllt worden war. „Haben sie öfters mit Naturgeistern zu tun?“, wollte er interessiert von Kathy wissen, weil das schneller gegangen war, als er gedacht hatte.

„Nun, wir unterhalten uns mit ihnen, kümmern uns um sie und achten auf sie, weil wir sonst unsere Arbeit kaum tun könnten ohne ihnen zu schaden. So hat es mich meine Mutter gelehrt.“

„Da hat sie gut dran getan“, murmelte Eleanor. „Es ist doch recht frisch hier zu sitzen, wollen wir weitergehen und den Wohnraum dieses Weißdornweibchens nicht länger belagern?“

„Oh, natürlich.“ Kathy sprang sofort auf. Sie steckte den kleinen Holzdrachen in ihre Rocktasche. Henry sah, wie sie vor dem Baum einen Knicks machte, ehe sie weitergingen.

Nach dem ausgiebigen Spaziergang lud er Kathy noch zum Tee ein, was sie dankbar annahm Auch wenn er neugierig auf das Holzfigürchen war, unterließ er es danach zu fragen, da es unhöflich gewesen wäre, sich nach solch einem Gunstbeweis eines Naturgeistes zu erkundigen.

Beim Tee konnte er beobachten, wie auch sein Vater von Kathys natürlichem Charme verzaubert wurde, wie es so nett heißt.
 

Einige Tage später wurde Kathy von James und den Thornes überrascht, die sich selbst bei den Adams zum Tee einluden. Verwirrt beobachtete sie, dass sie dennoch höflich von den Adams aufgenommen wurden, obwohl Mr. Adams noch vor kurzem von John Thorne als „diesem Flegel“ gesprochen hatte.

Nach dem Tee saßen sie im Salon und Isabella verkündete, dass James sich mit ihr zu verloben gedachte. Kathy freute sich weniger für ihren Bruder als sie erwartet hatte. Nach dieser Erklärung bat John um ein Wort allein mit Kathy, die dies lieber vermieden hätte, doch zu ihrer Verblüffung gestatte Mr. Adams es, allerdings nur solange die Tür des Raumes geöffnet bliebe.

„Meine Liebe, stellen sie sich nur vor, was für eine grandiose Feier unsere doppelte Verlobung werden wird“, eröffnete John das Gespräch unvermittelt als sie im Nebenraum waren.

„Was meinen sie mit doppelter Verlobung?“, erkundigte sie sich.

„Na, die Verlobung ihres Bruders mit meiner Schwester und meine Verlobung mit ihnen.“

„Wie kommen sie darauf, dass wir uns verloben?“

„Nun, wir verstehen uns sehr gut, was spricht dagegen?“, gab er ungerührt zurück.

„Zunächst einmal die Tatsache, dass sie es unterlassen haben mich zu fragen, ob ich mich überhaupt mit ihnen verloben möchte.“

„Oh, ich dachte sie wären einverstanden.“

„Da haben sie falsch gedacht.“

„Sie scherzen!“

„Ich bin völlig ernst. Ich lehne eine Verlobung mit ihnen ab, erst recht, nachdem sie es als unnötig erachtet haben meine Meinung dazu auch nur in Betracht zu ziehen!“

„Denken sie nur an ihren Ruf, sollte bekannt werden, dass sie einem Gentleman die Verlobung versprochen haben und ihm dann das Herz gebrochen haben.“

„Gehen sie! Ich will von ihnen und ihren Lügen nichts mehr sehen!“

„Das werden sie noch bereuen!“, zischte er.

Kathy starrte ihm direkt in die Augen. „Ich werde mit den Konsequenzen meines Handelns leben können. Sollten sie Lügen verbreiten, so bin ich mir sicher, dass meine Familie und Freunde diese durchschauen können und meinen Ruf verteidigen werden!“

John knurrte wortlos, drehte sich auf dem Absatz um und ging ohne sich bei seiner Schwester, seinem Freund und seinen Gastgebern zu verabschieden.

James eilte auf Isabellas Veranlassung zu ihr. „Was ist nur los mit dir, dass du den lieben Kerl so verärgert hast?“

„Der liebe Kerl hat gerade damit gedroht meinen Ruf zu ruinieren!“

„Da wirst du etwas missverstanden haben.“

„Oh, ich habe ihn klar und deutlich verstanden! Die Wahl deines Freundes spricht gerade nicht für dich.“

„Dieses Missverständnis wird sich sicherlich klären und du wirst dich wieder bestens mit ihm verstehen“, fuhr James fort als hätte er ihre Worte gar nicht gehört.

„Darauf kann ich gut verzichten. Möchtest du noch etwas oder bist du nur gekommen, um mich zu nerven?“

„Ähm… also, ich wollte dich bitten, einen Brief an Vater zu schreiben und ihn zu bitten, mir und Isabella seine Zustimmung zu geben.“

Kathy musterte James, der sonst weniger ungehobelt war und dann Isabella im Nebenzimmer. „Das kann ich dir zurzeit nicht versprechen.“

James seufzte. „Bitte, ich liebe sie wirklich. Wenn du dich wieder beruhigt hast, wirst du es dann in Betracht ziehen?“

„Ich werde darüber nachdenken.“

„Du bist die Beste!“ Mit diesen Worten schwebte James wieder zu Isabella zurück, so als hätte es das Gespräch von zuvor nicht gegeben.

Am nächsten Tag reisten James und John ab. James bat seine Schwester vor der Abfahrt erneut darum, ein gutes Wort bei ihrem Vater für seine Verlobung einzulegen, während John sie nun demonstrativ ignorierte.

Isabella vergoss einige Tränen beim Abschied und ließ sich beim Gang durch die Stadt von Kathy trösten. Sie klagte darüber, wie schwer es sei, von ihrem Liebsten getrennt zu sein, wie untröstlich sie darüber sei und, wie sehr sie hoffte Mr. Morgan möge ihre Verlobung billigen.

Doch schon am gleichen Abend konnte Kathy sie in den Lower Rooms beobachten, wie sie angeregt plauderte und von einem hochgewachsenen, blonden Gentleman aufs Parkett geführt wurde, dessen dunkelblauer Gehrock auf eine Zugehörigkeit zur Marine hinwies.

Auch Eleanor und Henry traf Kathy an diesem Abend wieder. „Ich verstehe nicht, wie sie so angeregt tanzen kann, wo sie heute Morgen noch so betrübt war“, grübelte sie.

„Ach, das Gemüt junger Damen ist so wechselhaft, wie… au… das Wetter. Eleanor, was sollte das?“ Henry war in seiner Äußerung von Eleanors Ellenbogen in seiner Seite unterbrochen worden.

„Dich daran erinnern, dass solche Vergleiche Unsinn sind. Außerdem heißt es zwar immer unser Geschlecht sei so emotional und unvorhersehbar, aber es sind die Männer, welche sich Duelle um den Ruf einer Dame liefern. Wie bitte passt das zusammen?“

„Vielleicht sollte ich besser sagen: Menschen sind unterschiedlich und Gefühle rasch veränderlich. Oder vielleicht tanzt ihre Freundin nur gerne.“

Kathy seufzte. „Das tut sie in der Tat. Aber als fast Verlobte so offensichtlich die Gesellschaft eines bestimmten Herrn vorzuziehen, erscheint mir etwas unpassend. Das ist jetzt schon ihr vierter Tanz.“

„Mit wem?“, wollte Henry wissen.

„Diesem blonden Gentleman.“ Kathy wies mit ihrem Fächer in die Richtung der Tanzenden. Henry folgte dem Hinweis. „Ach, keine Sorge, das dürfte harmloses Geflirte sein.“

„Woher wollen sie das wissen. Kennen sie den Gentleman?“

„Leider, kenne ich ihn tatsächlich, das ist mein älterer Bruder Frederick. Wenn er auf Landgang ist fliegen ihm die Damenherzen nur so zu, aber noch ist es keiner gelungen seine erste Liebe, die See, zu übertreffen.“

„Sie meinen er ist ein Herzensbrecher?“

„Soweit würde ich nicht gehen, aber er flirtet gerne, wobei er jedoch den Ruf der Dame achtet.“

Eleanor schnaubte nur. „Freddy ist ein Luftikus, was Liebschaften angeht. Seien sie unbesorgt, wenn ihre Freundin ihren Bruder wirklich so sehr liebt, wie sie beteuert, dann hat ihre Liebe von Frederick nichts zu befürchten.“

„Ich hoffe es“, murmelte Kathy.

„Etwas anders, Vater, den ihr Besuch bei uns wohl sehr beeindruckt hat, schlug vor, dass sie uns ins unserem Zuhause besuchen könnten und mir dabei dort Gesellschaft leisten könnten.“

„Wirklich?“

„Ja, wenn ihnen die Idee zusagt, würde er mit ihren Begleitern sprechen. Ich würde mich sehr darüber freuen. Manchmal kann es in der Abtei recht langweilig sein, wenn man immer nur die gleichen Leute sieht.“

„Abtei?“

„Hatte ich das nicht erwähnt?“, meldete sich nur Henry wieder zu Wort, „Mein Elternhaus ist eine alte, zum Wohnhaus umgebaute, Abtei.“

„Haben sie nicht. Ich würde sie sehr gerne besuchen und dort Zeit mit ihnen verbringen“, bei ihrer Antwort blickte Kathy vorsichtshalber Eleanor an, statt Henry.

„Dann, gebe ich ihre Antwort an Vater weiter“, erwiderte Eleanor verschmitzt lächelnd.

Fallende Sterne über Northernwell Abbey

Henry war erstaunt, wie leicht es gewesen war, die Zustimmung der Adams zu einem Aufenthalt Kathys in Northernwell Abbey zu erhalten. Sie hatten keinerlei Einwände geäußert, sondern eher Freude darüber bekundet, dass Kathy so freundlich von den Tallys aufgenommen wurde.

Nun saß sie neben ihm im offenen Wagen und genoss die frische Luft.

„Meine Mutter wird sich freuen sie kennen zu lernen, falls Vater ihnen gestattet sie zu treffen.“, eröffnete er das Gespräch, wobei er sich bewusst war, dass dies eine merkwürdige Aussage war.

„Sind sie sich sicher?“

„Ziemlich. Sie freut sich über jeden Besucher, der zu ihr kommt.“

„Oh, ist ihre Mutter krank?“

„Nein, glücklicherweise nicht. Sie verlässt nur ungern ihre Räumlichkeiten im Haus“, blieb er bewusst vage. Kathy war zwar nett und zeigte eine tiefe Verbundenheit mit Naturgeistern, doch bedeutete dies nicht, dass er ihr gleich alle Familiengeheimnisse anvertraute.

„Und ihr Elternhaus ist wirklich eine alte Abtei?“, initiierte sie einen Themenwechsel, als hätte sie gemerkt, dass er nicht weiter über seine Mutter sprechen wollte.

„Ja, eine mittelalterliche Abtei, die zu einem großen Herrenhaus umgebaut wurde.“

„Hatten sie Probleme mit Geistern?“

„Nein, da sie nicht zu den Abteien gehörte, die überfallen und geplündert wurden. Die Klosterschwestern haben das Gebäude verkauft, kurz bevor sie aufgrund des Religionswechsels enteignet worden wären. So hatten sie alle ein wenig Geld, als sie zu ihren Familien zurückkehrten.“

„Befindet die Abtei sich seit dem in ihrer Familie?“

„In gewisser Weise.“ Henry vermied es das weiter auszuführen, indem er fortfuhr: „Im Übrigen sind sie nicht der einzige Gast meiner Schwester. Eleanor betreibt, auf Mutters Vorschlag ihn, einen gelehrten Salon, weshalb öfters Dichter, Gelehrte und Zauberkundige zu Gast sind. Solange wir in Bath weilten, haben die Geschwister Herschel* Mutter Gesellschaft geleistet. Sie sind hergekommen, um die Sternschnuppenschauer zu erforschen und zu dokumentieren. Sie sollen in dieser Gegend besonders gut sichtbar sein. Was genau die Herschels daran interessiert, müssen sie sie aber selbst fragen.“

„Ich dachte, ich wurde eingeladen, um ihrer Schwester Gesellschaft zu leisten.“

„Im Großen und Ganzen sind sie das auch. Eleanor hat Gefallen an ihnen gefunden und wird die Zeit mit ihnen genießen. Die Herschels sind hier, wegen der Sternschnuppenschauer und als Astronomen sind sie aufgrund ihres Berufs vor allem nachtaktiv. Außerdem glaube ich, dass meine Schwester gerne ihre Meinung und Gedanken hören möchte, es ist doch etwas anderes mit jemand etwa Gleichaltrigen Umgang zu pflegen, als mit gelehrten, älteren Herrschaften.“

Henry merkte, dass er sich ein wenig mit seinen Worten ins Abseits manövriert hatte. Zu seinem Glück war Kathy gutmütig und freute sich aufrichtig, in ein solch gelehrtes Haus eingeladen zu sein und auf die bekannten Astronomen zu treffen.

Henry lenkte Katys Aufmerksamkeit an einem besonders guten Aussichtspunkt auf sein Elternhaus und hatte Freude daran ihre ehrliche Begeisterung mitzuerleben.

Die alte Abtei mit ihrem Glockenturm und den Spitzbogenfenstern, strahlte noch immer etwas Majestätisches aus, besonders, wenn wie im Augenblick, dass Sonnenlicht von den Scheiben glitzernd reflektiert wurde.

Auf dem letzten Stück des Weges konnte Kathy die Augen nicht von dem Gebäude abwenden.

Vor dem Haupteingang zügelte Henry ihr Gefährt und half Kathy vom Wagen herab. Da er sich um die Pferde und den Wagen kümmern musste, genauer gesagt sicher stellte, dass der Pferdeknecht seiner Aufgabe nachkam, war es ihm leider nicht vergönnt Kathys Reaktion beim ersten Betreten des Gebäudes mitzuerleben.

Er hatte vor bis nach dem Sternschnuppenschauern in seinem Elternhaus zu bleiben, also sah er Kathy beim Abendessen wieder.

Eleanor entschuldigte ihre Eltern, die in ihren Gemächern speisten und stellte dann alle Anwesenden einander vor.

Henry hielt sich bei der aufkommenden Unterhaltung mit Redebeiträgen zurück, stattdessen lauschte er lieber dem angeregten Gespräch.

„Laufen ihre astronomischen Untersuchungen gut?“, erkundigte Eleanor sich bei den Herschels.

„Ja, der Turm ihres Anwesens hat sich als ideal für die nächtliche Himmelsobservation erwiesen“, antwortete Wilhelm ihr.

„Das freut mich sehr.“

„Wir hoffen bei den kommenden Sternschnuppenschauern neue Erkenntnisse zu gewinnen, nicht war Caro?“

Caroline Herscheln nickte nur und widmete sich lieber ihrem Essen.

„Was genau untersuchen sie denn, äh… wenn die Frage erlaubt ist?“, schaltete Kathy sich zögerlich in das Gespräch ein.

„Fragen sie nur, liebes Fräulein. Wir freuen uns über wissbegierige junge Menschen“, antwortete Wilhelm. „Wir versuchen herauszufinden, was die Schauer auslöst, beeinflusst und zu errechnen, wo ein gefallener Stern, wohl landen wird. Es ist für die armen Dinger recht nützlich, wenn sie rasch gefunden und nach Sternheim gebracht werden, ehe ein Schwarzkünstler sie entdeckt. Ich denke, ihnen dürfte bekannt sein, wofür Schwarzkünstler gefallene Sterne in ihre Finger bekommen wollen…“

„Leider, die Vorstellung allein ist schon schrecklich“, erwiderte Kathy.

„Wir bauen Morgen die Fernrohre auf dem Turm auf. Sie alle sind herzlich eingeladen uns bei unseren Beobachtungen behilflich zu sein“, erklärte Wilhelm.

Henry konnte sehen, wie Caroline leicht die Stirn runzelte, ihrem Bruder jedoch nicht widersprach.

„Stören wir sie nicht bei ihren Untersuchungen?“, wollte Kathy besorgt wissen.

„Keineswegs, liebes Fräulein, keineswegs.“

„Wir können das im Laufe des morgigen Tages noch genauer besprechen“, schlug Eleanor vor. „Ich hoffe es gelingt ihnen verlässlichere Berechnungen zu bekommen, wo Sterne landen.“

Obwohl sie eine anstrengende Anreise hinter sich hatten, führten sie ihre Gespräche bis spät in die Nacht fort. Unterbrochen von einer, kleinen, spontanen Konzerteinlage der Herschels. Wilhelm war ein wunderbarer Pianist und Carolin bewies eine herrliche Singstimme, bei seiner Begleitung. Lange nachdem die Herschels zu ihren nächtlichen astronomischen Forschungen aufgebrochen waren, führten Eleanor, Henry und Kathy die Unterhaltung noch fort. Erst als sie die Augen kaum noch offen halten konnten zogen sie sich zurück.
 

Eleanor führte Kathy durch das recht verwinkelte Anwesen zu einem Gästezimmer, welches sie schon kurz nach ihrer Ankunft betreten hatte, um sich frisch zu machen und fürs Abendessen umzukleiden. Kathy war froh, über Eleanors Fürsorge. Sie war sich sicher, sie hätte sich verlaufen, hätte sie das Zimmer alleine wiederfinden sollen.

Nun im Schein der Öllampe begutachtet Kathy das Zimmer etwas genauer, stellte jedoch fest, dass sie dies besser bei Tageslicht nachholen sollte. Trotzdem nahm sie sich die Zeit, sich einen raschen Überblick über die Möblierung zu verschaffen. Neben ihrem Koffer enthielt der Raum ein gemütlich aussehendes Bett, dessen blauer Betthimmel gedrechselten Stangen gehalten wurde. Am Fenster stand ein zierlicher Sekretär, an dem sie ihre Korrespondenz erledigen konnte. Ein Kleiderschrank, ein Toilettentischen mit Spiegel und eine mit Schnitzereien verzierte Truhe vervollständigte das Mobiliar.

Auf Grund der Machart der Truhe und der Verzierungen schätzte Kathy, dass es sich dabei um ein altes Stück handelte, eventuell noch aus der Zeit als dieser Ort ein Kloster gewesen war.

Vielleicht enthielt sie ein magisches Relikt, überlegte Kathy beim Haare bürsten, nur um gleich darauf über sich selbst den Kopf zu schütteln. Die Tallys würden sicherlich keine Truhen mit magischen Relikten in den Gästezimmern ihres Hauses stehen haben!

Nun war sie gar nicht dazu gekommen, der Herrin des Hauses ihre Aufwartung zu machen, war ihr nächster Gedanke. Das musste sie gleich Morgen nachholen.

Reichlich müde streckte sie sich in dem nach Lavendel duftendem Bettzeug aus, nachdem sie die Lampe gelöscht hatte. Einige Augenblicke schien es ihr als schimmre die Truhe schwach golden.

Sie schloss und öffnete die Augen wieder, um sich zu vergewissern, doch nun war die Truhe nur ein dunkler Schemen, wie die anderen Möbel im vom Mondlicht beleuchteten Raum.
 

Der nächste Morgen begann regnerisch, doch nicht nur das, als Kathy ins Frühstückszimmer trat, erwarteten sie dort nur Eleanor, Henry und die Geschwister Herschel.

„Guten Morgen. Ich hatte gehofft heute ihre Mutter anzutreffen und mich meiner Gastgeberin vorzustellen“, grüßte Kathy erst allseits, ehe sie sich mit dem zweiten Teil an Henry und Eleanor wandte.

„Das ist löblich von ihnen, aber wie ich ihnen Gestern sagte, bleibt meine Mutter in ihrem Flügel des Hauses und Vater lässt nur ausgewählte Gäste zu ihr.“

„Oh, dass hatte ich vergessen.“ Kathy grübelte, ob Hexenmeister Tally seine Frau gefangen hielt, was jedoch nicht zu dem Bild des Gentlemans passte, den sie kennengelernt hatte.

„Ich muss sie bitten ohne ausdrückliche Erlaubnis meines Vaters den Räumen meiner Mutter fernzubleiben“, fügte Eleanor noch hinzu.

„Sicherlich, wenn sie das so wünschen“, antwortete Kathy gedanklich noch immer damit beschäftigt, aus welchem Grund, wohl die Hausherrin so in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt war.

„Trinken sie ihren Tee. Ich kann ihnen versichern, meine Mutter erfreut sich bester Gesundheit und Vater tut sein Möglichstes es ihr so angenehm es nur geht in ihrem Flügel zu machen“, versuchte Henry sie aufzuheitern, was zunächst misslang.

Die Unterhaltung der Herschels und deren Hoffnungen, dass das Wetter noch besser würde, lenkte Kathy von ihren düsteren Überlegungen ab.

Der Spaziergang, den sie nach dem Frühstück antraten, der Regen hatte fast aufgehört, tat sein Übriges ihre Gedanken auf andere Dinge zu lenken.

Zunächst schritten sie noch durch den großen Garten des Anwesens. Trotz des Nieselregens, gegen den sie sich mit Wollmänteln und Hüten schützten, konnte Kathy sehen, dass in die Pflege des Gartens floss.

„Wenn sie möchten, zeige ich ihnen am Nachmittag unseren Kräuter- und Küchengarten auf der anderen Seite des Hauses“, bot Eleanor an, während sie die Auffahrt entlang schlenderten.

„Das wäre herrlich. Aber da dies eine alte Klosteranlage ist, befindet sich nicht auch zwischen den Gebäudeflügeln ein Garten oder wurde das beim Umbau verändert“, erkundigte sich Kathy.

„Der Garten in dem sich der Wandelgang des Klosters befindet existiert noch. Er gehört jedoch um Refugium meiner Mutter, welches nur mit Einladung betreten werden darf“, teilte ihr Henry mit.

„Verstehe. Schade, ich hätte gerne mal einen noch existierenden Wandelgarten eines Klosters gesehen.“

„Vielleicht zeigt Vater ihn ihnen, wenn sie länger unser Gast sind“, versuchte Eleanor Kathys Enttäuschung abzumildern. „Aber komme sie, ich zeige ihnen einen besonderen Platz.“

„Elly, der Weg dahin könnte jetzt zu feucht für eure Schuhe sein.“

„Ach, sei kein Frosch, Henry! Wir bestehen nicht aus Zucker!“, wehrte sie seine Bedenken ab.

Kurz hinter der Hecke, welche den Garten des Anwesens vom restlichen Land der Tallys abgrenzte, betraten sie einen entzückenden Hain, der Kathy bei der Anfahrt nur am Rande aufgefallen war.

Von den Ästen und Blättern fielen dicke Tropfen auf sie herab, als sie auf den Pfad einbogen, der tiefer in den Hain führte.

Kathy atmete genüsslich den Duft feuchter Erde und nassen Laubs ein. Sie mochte Spaziergänge, aber Waldspaziergänge waren ihr am liebsten. Allerdings traf Henrys Befürchtung zu. Der Weg war matschig und dadurch rutschig. Doch solche kleinere Unannehmlichkeiten nahm Kathy bei einem Waldspaziergang gerne in Kauf.

Nach einigen Metern erreichten sie ein fröhlich plätscherndes Bächlein, an dem der Weg längsführte. Bei einer Verbreiterung des Baches, die fast schon als Teich bezeichnet werden konnte, stand eine Bank, auf die Eleanor sich trotz der Feuchtigkeit des Holzes niederließ. Kathy zauderte. Mit matschigen Schuhen konnte sie leben, aber Nässe, die am Po durch den Mantel- und Kleiderstoff drang, war ihr unangenehm.

„Setzen sie sich ruhig.“ Henry legte eine Hand auf die Sitzfläche der Bank und machte eine wischende Bewegung. Einen Moment später hielt er eine Kugel aus Wasser in der Hand. Er zwinkerte Kathy zu, ehe er die Wasserkugel im Bach entsorgte.

„Vielen Dank.“ Leicht beschämt, ob ihrer Zimperlichkeit, setzte Kathy sich neben Eleanor.

„Ich liebe diesen Ort. Ich komme oft her, wenn ich nachdenken möchte oder es mir im Haus zu eng wird.“, erklärte Eleanor.

Henry lächelte nur auf eine Art und Weise, die traurig und nostalgisch zugleich schien.

Kathy merkte, dass ihre beiden Begleiter mit ihren Gedanken abschweiften, also schwieg sie, um ihnen die Muße dafür zu geben. Sie nutze die Gelegenheit sich umzusehen.

Bunte Kiesel bildeten das Bachbett, Erde bildete Ufersäume, wo der Bach sie freigespült hatte. Auf der gegenüberliegenden Seite streiften die Zweige einer Trauerweide das Wasser.

Kathy fiel auf, dass dieser Ort Ruhe ausstrahlte. Er wäre ein geeigneter Wohnraum für eine Nymphe, doch sie spürte, dass er unbewohnt war.

Eine ganze Weile saßen und standen sie da und blickten auf das Wasser. Schließlich war es Henry, der die Stille brach. „Wie steht es mit euch, aber ich könnte eine ordentliche Tasse Tee und weitere astronomische Erörterungen mit den Herschels ertragen.“

Kathy war froh über seinen Vorschlag. „Das hört sich wunderbar an.“

„Elly, reiß dich los, unser Gast dürstet nach Tee und wissenschaftlichen Diskussionen.“

Mit einem Seufzen erhob sich Eleanor, um sie zurück zum Anwesen zu begleiten.

Der Rest des Tages verging mit gelehrten Diskussionen und weniger gelehrten Gesprächen, einige sogar über Schauerromane.

Gegen Abend klarte es zur Freude der Astronomen auf, wie es Henry und Eleanor nicht müde geworden waren ihnen zu versichern, dass das geschehen würde.

Schon vor dem Abendmahl bauten die beiden ihre Fernrohre auf dem Glockenturm auf.

Beim Abendessen, an welchem dieses Mal Hexenmeister Tally teilnahm, waren sie offensichtlich in Gedanken bei den Sternen und nur zu begierig nach draußen zu kommen.

Kaum war das Mahl beendet, verzogen sich Caroline und Wilhelm sich mit dem Hinweis an die anderen Anwesenden, sie möchten sich so um zehn abends bei ihnen einfinden.

Die Wartezeit vertrieben Kathy und Eleanor sich mit stricken, während Henry las und Hexenmeister Tally schon wieder mit Abwesenheit glänzte.

Zur verabredeten Zeit trafen alle am Fuß des Glockenturms zusammen. Da der Platz oben auf dem Turm begrenzt war, durften Kathy und Henry zuerst zu den Herschels auf die Plattform.

Unterhalb der Glocken waren zwei Fernrohre aufgebaut, so dass es möglich war in zwei Richtungen den Himmel zu beobachten. Caroline erklärte Kathy die Benutzung des Geräts und ließ sie dann hindurchschauen, wobei sie sie bat die Sternschnuppen zu beschreiben.

Es dauerte einen Moment, bis Kathy sich an den Blick gewöhnt hatte, dann rief sie vor Entzücken: „Oh, ich sehe sie! Es fallen so viele! Eins, zwei, drei, vier… fünf, ich glaube, dass waren… nein, sechs, sieben.“

„Wie sehen sie aus?“

„Hell, ihre Aura schillerte in allen Farben, wie ein Opal im Sonnenlicht.“

„Verändert sich die Aura?“

„Äh…, sie wird heller, je näher sie kommen. Sie verschiebt sich dabei von rot zu blau.“

„Darf ich?“

„Ja, natürlich!“ Kathy trat vom Fernrohr weg. Erst jetzt merkte sie, dass sie eine ganze Weile hindurchgeschaut hatte. Rasch machte sie für Eleanor Platz, die nun heraufkam.

Doch die Bilder der fallenden Sternschnuppen waren ihr noch immer vor Augen. Es war so spannend gewesen, dass sie mit Henry auf der Treppe wartete, in der Hoffnung noch einmal durchs Fernrohr schauen zu dürfen.

Auf einmal war ein lauter Knall zu vernehmen. Der Turm bebte, kräftig genug um Kathy ins Straucheln zu bringen. Henry, der an der Wand gelehnt hatte, bewahrte sie davor die Treppe hinabzustürzen. Für eine hastig gemurmelte Entschuldigung blieb eben noch Zeit, bevor sie Hexenmeister Tallys Stimme hörten. „Heilige Mutter Gottes! Eleanor, bereite alles für noch einen Gast vor. Decken, warmen Tee und vorsichtshalber Verbandszeug! Henry, sattel zwei Pferde! Im heiligen Hain ist ein Stern runtergekommen!“

„Sofort, Vater!“ Henry lächelte Kathy entschuldigend an und hastete die Treppe hinab. Einen Augenblick später stürzte Hexenmeister Tally an ihr vorbei.“Und berichte deiner Mutter, was los ist! Sie wird sicher helfen wollen!“, befahl er seiner Tochter noch im Laufen.

Eleanor kam etwas gesetzter zu Kathy auf die Treppe.

„Gibt es etwas, womit ich behilflich sein kann?“, wollte diese wissen.

Eleanor schüttelte den Kopf. „Oder haben sie Erfahrung im behandeln eines gefallenen Sterns?“

„Bedaure, nein.“

„Dann gehen sie ins Bett. Finden sie allein zu ihrem Zimmer zurück?“

„Ja.“

„Gut, entschuldigen sie mich, es gibt einiges vorzubereiten.“

„Natürlich.“

Am Fuße der Treppe im Gang sah Kathy Eleanor noch kurz nach, wie diese davon eilte, ehe sie sich zu ihrem Zimmer aufmachte. Entgegen ihrer Behauptung, sich zurechtzufinden, bog sie einmal falsch ab, merkte es jedoch rechtzeitig.

In ihrem Raum stellte sie sich ans Fenster, doch wie sehr sie sich auch anstrengte, sie konnte draußen keine Reiter erkennen. Ferner Hufschlag, sagte ihr, dass ihr Fenster schlicht zur anderen Richtung hin lag. Also kleidete sie sich für die Nacht, löste ihr Haar und ging ins Bett, wo sie lange wach lag.

Würden Henry und sein Vater den Stern finden? Wäre er verletzt? Wer würde den Stern ins Refugium der Sterne bringen?

Wie sie so in Gedanken versunken dalag, fiel ihr wieder die Truhe auf, denn die schimmerte tatsächlich golden.

Entschlossen entzündete Kathy die Lampe. Draußen war Wind aufgekommen, der an den Fensterläden rüttelte und die Angeln zum Quietschen brachte. Kathy stellte die Lampe vor der Truhe ab, kniete sich davor und betrachtete sie erst einmal genau. Doch sie konnte nur die üblichen Zauber für Mottenschutz entdecken. Behutsam drückte sie am Truhendeckel, der fest verschlossen blieb. Daraufhin setzte sie mehr Kraft ein. Das Ergebnis blieb gleich, die Truhe blieb zu. Nach mehreren Versuchen gab sie frustriert auf und kehrte ins Bett zurück. Die Sorge um den unbekannten Stern und die Geräusche des Windes, hielten sie noch lange wach.

Als sie endlich einschlief waren ihre Träume von fallenden Sternschnuppen und einer vielbeinigen Truhe, die ihr überallhin folgte und frische Wäsche und Angst verbreitete, erfüllt.

Henrys Heim

Am Morgen, nachdem sie angekleidet und frisiert hatte, betrachtete Kathy die Truhe erneut. Die Verzierungen darauf waren wunderschöne Schnitzereien, die ein Zeugnis hervorragender Handwerkskunst abgaben. Bewundernd, dennoch leicht enttäuscht, weil sich die Truhe nicht öffnen ließ, folgte sie einem der verschlungenen Knotenmuster mit den Fingern. Etwas gab unter ihrem Finger nach. Es klickte und der Deckel der Truhe öffnete sich einen Spalt. Hastig ergriff sie den Deckel und schob ihn hoch. Ihr Blick fiel auf Holz. Die Truhe war leer. Gerade wollte sie sie wieder schließen, als sie ein Stückchen Papier entdeckte. Es war gefaltet. Behutsam entfaltete sie es, nur um erneut enttäuscht zu werden. Es handelte sich keineswegs, um ein bedeutendes magisches Dokument, sondern entpuppte sich als Wäscheliste. Kathy ließ das Papier sinken. Sie hätte es besser wissen. Sie hatte doch sogar schon darüber nachgedacht, dass die Tallys viel zu vernünftig waren, um bedeutende, magische Relikte in ihren Gästezimmern aufzubewahren.

Es klopfte an ihrer Tür. Kathy zuckte zusammen, dabei war es nicht verboten in Truhen im Gästezimmer zu gucken. „Herein.“

„Guten Morgen, Miss Morgan.“, begrüßte Eleanor sie. „Es ist ein Brief ihres Bruders für sie gekommen.

„Guten Morgen. Vielen Dank fürs Bringen des Briefes. Das wäre doch nicht nötig gewesen.“

„Ach, das passt schon. Ich wollte ihnen eh kurz mitteilen, dass es dem gefallenen Stern gut geht. Sie war leicht verletzt, aber Mutter und ich konnten sie behandeln. Vater begleitet sie nun nach London, wo er sie mit einer vertrauenswürdigen Eskorte für die Reise nach Sternheim ausstatten wird, da es für ihn als Inhaber eines magischen Obhutsbereichs ungünstig ist, längere Reisen ins Ausland zu unternehmen. Ich dachte, das würde sie interessieren.“

„Ja, das tut es. Wie lieb von ihnen, dass sie daran gedacht haben.“

„Gern geschehen. Man erlebt schließlich äußerst selten mit, dass ein Stern in der Nähe auf die Erde fällt. Hier ihr Brief.“ Eleanor reichte Kathy den Brief, dabei fiel ihr Blick auf die offene Truhe. „Oh, wunderbar, sie haben selbst herausgefunden, wie sich die Wäschetruhe öffnen lässt. Wo ich sie gerade sehe, fällt mir ein, dass ich vergaß ihnen den Trick zu zeigen. Sie ist ein wenig speziell. Henry und ich haben früher geglaubt, diese Truhe wäre zur Aufbewahrung magischer Relikte angefertigt worden. Ein Relikt, welches im Laufe der Zeit verloren ging. Aber laut Besitzstandregisters des Klosters, wurde sie als Wäschetruhe angefertigt und gekauft. Was um einiges weniger prosaisch ist, finden sie nicht auch?“

„Ja, stimmt. Wenn sie erlauben, lese ich den Brief, ehe ich zum Frühstück komme.“

„Machen sie das ruhig. Vater hat schon gefrühstückt, da er früh mit dem Stern abgereist ist und die Herschels werden ausschlafen. Sie habe fast die gesamte Nacht mit Himmelsbeobachtungen verbracht. Henry und ich warten gerne.“ Mit dieser Beteuerung ließ Eleanor Kathy alleine im Zimmer zurück, die sich nun dem Brief ihres Bruders widmete.

Es war schon ungewöhnlich, dass James überhaupt schrieb, denn meistens war er schreibfaul. Außerdem war er zurzeit ja neben seinem Studium auch noch mit Isabella gedanklich beschäftigt. Das würde es sein, er wollte sie erneut anflehen sich bei Vater für die Verbindung einzusetzen.
 

„ Meine liebe Schwester
 

Ich weiß gar nicht so recht, wie ich beginnen soll. Du wirst mich für einen rechten Narren halten, jedoch drängt es mich Dir anzuvertrauen.

Zunächst möchte ich Dir sagen, dass es nun unnötig ist Dich bei Vater für mich zu verwenden, denn meine geliebte Isabella hat mich schmählich für einen anderen verlassen.

Es geht über meinen Kopf, wie sie das nur tun konnte, wo wir doch so verliebt ineinander waren.

Jedenfalls hat sie ihn kurz nach meiner Abreise kennengelernt. Da er auf ein erheblich größeres Erbe hoffen kann, ist es zumindest aus wirtschaftlicher Sicht nachvollziehbar.

Dennoch schmerzt es erheblich.

Ich fürchte sie hat ihn genauso verzaubert, wie mich, natürlich nicht im wörtlichen Sinne. Zu so etwas wäre sie nie im Stande!

Doch Du wirst sie schätzungsweise bald genug selbst treffen. Ich kann mir kaum vorstellen, wie Du handeln wirst, denn der Gentleman, der sie mir entfremdet hat, ist kein anderer als der älteste Sohn der Tallys, bei denen Du gerade weilst.

Ich kann nur hoffen, dass der Rest der Familie ehrbarer ist als er. Ach, ich bin ungerecht, aber er gehört der Marine an und von denen heißt es ja, dass sie gerne mit Mädchen anbandeln.

Ich verstehe gar nicht so recht, wie mir geschehen ist. Ich hoffe Du behältst Deinen gesunden Menschenverstand und läufst nicht auch noch in solch ein Desaster.
 

Dein todunglücklicher Bruder

James“
 

Kathy überflog den Brief ein zweites Mal. Isabella hatte James für Frederick Tally verlassen, aber Eleanor hatte doch gesagt, wenn die liebe der Beiden tief genug wäre, wäre sein Bruder keine Gefahr.

Aber war die Liebe tief genug gewesen? Anscheinend nicht.

Sie überflog den Brief ein drittes Mal, für James war es ein ungewöhnlich wirrer Text. Das mochte an seinem Liebeskummer liegen, aber war es das? Leise Zweifel schlichen sich bei ihr ein und beharrten darauf, dass sie James Behauptung Isabella würde nie jemanden verzaubern, den sie sich als Ehemann ausgeguckt hatte, so einfach unterschreiben würde.

Was für eine Person war Isabella eigentlich?

Die Frage traf Kathy wie ein Eimer Eiswasser. Es fiel ihr schwer die Frage zu beantworten. All ihre Erinnerungen an die mit Isabella verbrachten Stunden waren, bis auf die Gespräche über Bücher, äußerst vage, dabei hatten sie so viel miteinander geredet. Im Gegensatz dazu standen ihr die Ereignisse der Ausfahrt im Nebel und die Zeit, die sie in der Gesellschaft der Tallys in Bath verbracht hatte, klar vor Augen.

Das war seltsam und ein wenig beunruhigend.

Kathy legte den Brief auf den Sekretär. Sollte sie mit den Geschwistern Tally über ihren Bruder und Isabella reden?

Sie entschloss sich dagegen, während sie zum Frühstückszimmer ging. Kaum trat sie ein, sahen Eleanor und Henry auf.

„Waren es schlechte Nachrichten?“, erkundigte sich Eleanor sogleich, was Kathy verdeutlichte, dass es ihr misslungen war, ihre Sorgen zu verbergen.

„Das ist schwer zu sagen“, noch während sie es aussprach, wusste sie, dass diese Aussage genau auf den Brief zutraf.

„Setzen sie sich und versuchen es zu erklären, manchmal hilft das.“, schlug Henry vor, der ihr einen Stuhl heranzog.

Kathy ließ sich darauf sinken und nahm dankbar die heiße Tasse Tee an, die Eleanor ihr einschenkte. Sie blies auf die Flüssigkeit, um sich Zeit zum Formulieren zu verschaffen.

„Wissen sie noch, wie wir über ihren Bruder sprachen, als er mit Isabella Thorne tanzte?“, wollte sie von Henry wissen.

„Ich erinnere mich.“

„Ich sprach damals davon, dass sie so gut wie verlob sei.“

„Das taten sie.“

Kathy trank einen Schluck Tee. „Sie und mein Bruder waren sehr verliebt ineinander. Er bat mich sogar, ein gutes Wort für ihre Verbindung bei unserem Vater einzulegen… Nun bin ich froh, es unterlassen zu haben.“

„Worauf genau wollen sie hinaus?“

„Mein Bruder schrieb mir, dass Isabella ihn für ihren Bruder Frederick verlassen habe. Das alles verwirrt mich.“

„Inwiefern?“, fragte Eleanor.

„Nun, wenn sie ihn wirklich geliebt hat, warum verlässt sie ihn dann so plötzlich für einen Anderen? Und wenn sie ihn nicht geliebt hat, warum hat sie ihn dann dazu gebracht soweit zu gehen ernsthaft an eine Verlobung mit ihr zu denken?“

Henry rieb sich die Schläfen. Eleanor strich die Tischdecke glatt.

„Das kommt darauf an, was jemand für eine Person ist und wie er oder sie empfindet. Es gibt Leute, die brauchen das Gefühl in jemanden verliebt zu sein. Es gibt Leute, die sind verliebt und entscheiden sich dennoch für die scheinbar finanziell gesehen sichere Partie. Es gibt Leute, denen macht es Spaß mit anderer Menschen Gefühle zu spielen, weil sie sich dadurch mächtig fühlen“, antwortete Henry schließlich. „Ich kann nur spekulieren, was in diesem Fall zutrifft, da ich die junge Dame nur kurz von Weitem gesehen habe. Sie kennen sie besser und können das eher sagen, als wir.“

Kathy starrte in ihre Tasse. „Armer James“, murmelte sie.

„Tja, das ist wohl so“, sagte Henry.

Kathy wollte sagen, dass James Isabella geliebt hatte, doch was brachte das? Henry und Eleanor konnten ihr helfen, James hingegen musste mit seinem Liebeskummer alleine zurechtkommen.

„Wo das Wetter heute so schön sonnig ist, obzwar etwas kühl und recht windig, hatten wir eigentlich gedacht, dass wir einen Ausritt zu Henrys Heim machen wollten, wenn ihnen nicht danach ist…“

„Doch ein Ausritt wäre jetzt wunderbar“, unterbrach Kathy Eleanor. „Mit Grübeln helfe ich James nicht und, was ich in einen Brief an ihn schreiben soll, ist mir noch völlig unklar. Gerade dabei kann mir ein Ausritt helfen.“

„Also bleibt es bei unserem Plan“, stellte Henry fest.

Mit der Aussicht auf einen Ausritt und durch das Gespräch etwas aufgeheitert, langte Kathy beim Frühstück ordentlich zu.
 

Ein wenig nervös fühlte Henry sich dabei Kathy sein Heim zu zeigen. Es passte ihm zwar gut ihren Ausritt mit einem kurzen Kontrollbesuch zu verbinden, jedoch kam seine Nervosität für ihn unerwartet.

Kathy machte auf dem Pferd eine gute Figur. Man merkte ihr ihre Kindheit auf dem Land und ihre Verbundenheit mit Tieren an.

Der kräftige Wind löste einige Strähnen ihres Haares, was nach Henrys Ansicht besser zu ihr passte, als eine vollkommen ordentliche Frisur.

Von dem kleinen Städtchen, in dem er lebte, welches recht nah an Northernwell Abbey gelegen war, erblickten sie zuerst den Kirchturm. Da Henry am Ortsrand wohnte, kamen sie allerdings nicht bis zur Kirche.

Schon an der Einfahrt zum Haus war ein Schild aufgestellt auf dem „Buchhandlung Abraxas“ stand.

Ein sehr kurzer Pfad führte zum Haus, neben dem sich ein großer Schuppen befand aus dem es laut rumpelte, was Henry nicht im Geringsten beunruhigte. Er wäre beunruhigt gewesen hätte er nichts aus dem Schuppen gehört.

Das Haus selbst, obwohl von einem Garten umgeben, war eindeutig als Laden zu erkennen.

Henry führte seine Gäste hinter das Haus, wo auch ein Stallgebäude zu finden war. Nachdem sie ihre Pferde versorgt hatten, betraten sie sein Haus.

Zum Garten hin lagen eine Waschküche, die Küche und ein gemütlich eingerichtetes Wohnzimmer. Vom Flur aus, auf den sie durch die Küche kamen, gelangen sie in einen Ladenraum, der mit Bücherregalen, aber auch Sesseln und kleinen Tischchen vollgestellt war. Eigentlich waren es sogar zwei verbundene Räume.

Zur Straße hin gab es ein großes Fenster, was als Auslage diente. In der Glastür hing ein Schild auf dessen dem Laden zugewandten Seite geöffnet zu lesen war.

„Sie haben einen Buchladen?“, fragte Kathy aufgeregt.

„Ja, irgendwomit muss ich mir ja meinen Lebensunterhalt verdienen. Magische Forschung ist äußerst selten gewinnbringend und nur Magiebücher zu verkaufen würde auch zu wenig einbringen, also verkaufe ich Bücher aller Art.“

Eleanor schnaubte. „Nur, um das erworbene Geld, gleich wieder in die Herausgabe deiner Zeitschrift zu stecken, die etwa zwanzig Abonnementen hat.“

„Du vergisst den Lohn für meine Mitarbeiter“, murrte Henry.

„Stimmt, Molly, die Bücher repariert, ihr Vater war Buchbinder und Andrew, den du noch während deines Studiums, als er nachdem er seinem Meister, der ihn schlug, wegelaufen war, aufgelesen hast.“

„Was hast du an den beiden auszusetzen?“

„Nichts, sie ist eine sehr gute Buchbinderin und Andrew ein hervorragender Schriftsetzer und Drucker.“

„Na also.“ Henry stellte fest, dass dieser Austausch zu viele Informationen für Kathy enthalten hatte, als sie fragte: „Sie geben auch noch eine Zeitschrift heraus?“

„Ja, wir haben uns sogar schon darüber unterhalten, die Relationes Curiosae.“

„Sie geben die Curiosae heraus? Warum haben sie das nicht gesagt, als wir darüber sprachen?“

„Na ja, es ist mehr ein amüsanter Zeitvertreib als ein einträgliches Geschäft. Andrew ist mein Mitherausgeber. Er druckt die Zeitschrift und Molly fertigt die Kupferstiche darin an.“

„Ein Zeitvertreib? Ich warte jedes Mal gespannt auf die nächste Ausgabe. Sie deckt si viele verschiedene Themen der Wissenschaft und der Magieforschung ab!“

„Vielen Dank, das freut mich enorm.“ Henry spürte, wie er errötete. Er mochte seine Zeitschrift als Zeitvertreib beschreiben, aber eigentlich war sie seine heimliche Leidenschaft. „Was gefällt ihnen besonders daran“, konnte er sich nicht verkneifen zu fragen.

„Die Vielfalt und der verständliche Schreibstil“, antwortete Kathy ihm.

„Uff, dann habe ich erreicht, was ich mir vorgenommen habe. Wenn sie mögen, sehen sie sich ruhig um.“

„Liebend gerne!“

Henry fühlte sich beschwingt, während er zusah, wie Kathy seine Buchhandlung erkundete und sich schließlich mit einem Buch in der Hand in einen Sessel niederließ.

Eigentlich war seine Buchhandlung mehr eine Leihbibliothek, da es nicht viele Menschen in dem Städtchen gab, die sich viele Bücher leisten konnten. Doch zum Glück hatte er auch einige zahlungskräftige Kunden, die Bücher sammelten.

„Ich mache uns einen Tee und sehe nach, ob ich noch essbares Teegebäck in den Tiefen deiner Küche finde. Ach, und der Bannkreis um die magischen Bücher sollte erneuert werden“, erklärt Eleanor.

„Ich kann doch auch Tee…“, begann Henry.

„Du kümmerst dich um deinen Gast und bist da, falls sie Fragen zu deinem Buchsortiment oder deiner Zeitschrift hat“, ordnete Eleanor an, bevor sie in die Küche ging und ihn mit Kathy alleine ließ. Henry musste sich willentlich daran erinnern, dass es unter seiner Würde als Erwachsener war ihr Disteln ins Bett zu schmuggeln.

Sicherlich er hatte schon alleine mit Kathy geplaudert, in einem Ballsaal voller Leute! Warum genau hatte Eleanor sie hier alleine gelassen?

Er warf einen Blick zu Kathy und stellte erleichtert fest, dass sie noch in das Buch vertieft war.

Um etwas zu tun zu haben, begab er sich zu dem Regal mit den magischen Büchern, welches dummerweise in Kathys Nähe war und kümmerte sich darum, den Schutzzauber darum zu erneuern, der verhinderte, dass diese Bücher unverkauft den Laden verließen oder von anderen als Hexen und Zauberern angefasst wurden.

Als er den Zauber beendet hatte, sah er auf und begegnete Kathys Blick, die ihn dabei beobachtet hatte.

„Entschuldigen sie, ich wollte nur… so ein Zauber ist mir neu und da war ich neugierig.“

„Ich könnte ihn ihnen beibringen“, bot Henry an.

„Das ist nicht nötig. Er sieht sehr kompliziert aus.“

„Er ist leichter als er aussieht. Ich bin mir sicher modifiziert könnte er sehr nützlich sein Tiere oder kleine Kinder von gefährlichen Heiltränken fernzuhalten.“

„Was höre ich da? Kinder?“, erklang Eleanors Stimme hinter ihm, was ihm prompt die Röte in die Wangen trieb. Zu seinem Glück blieb Kathy gelassen und erklärte: „Wir sprachen nur über eine mögliche Modifizierung des Schutzbannes.“

„Und ich dachte schon, ihr wärt unvernünftig gewesen. Schade aber auch.“

„Elly!“, brauste Henry auf. Manchmal fand er, dass es seiner Schwester an Taktgefühl mangelte.

„Hier, probier mal“, gab sie nur zurück und stopfte ihm einen schrecklich trockenen Ingwerkeks in den Mund, der ihn zum Husten brachte.

„Wie ich gedacht habe, ungenießbar“, konstatierte sie.

„Liebstes Schwesterlein“, brachte Henry hervor, „Was ist heute mit dir los?“

Sie zuckte nur mit den Schultern. „Schieb es auf den Mond, wenn du es auf etwas schieben musst.“

Henry raufte sich die Haare, ehe er sich noch einen Keks von dem Teller nahm, den sie gebracht hatte. „Sie sind noch gut. Aber es erschwert das Essen entsetzlich, wenn man sie in den Rachen gestopft bekommt.“

„Na, das ist doch mal eine brauchbare Aussage. Tee, Kathy?“

Henry erhaschte einen Blick auf Kathys amüsierte Miene, ehe sie Eleanor eine zustimmende Antwort gab.

„Und sie verkaufen all diese Bücher?“, fragte sie, als sie alle mit Tee versorgt in Sesseln saßen.

„Ja, tue ich.“

„Werden viele gekauft?“

„Nein, drum verleihe ich auch welche gegen eine niedrige Gebühr und gebe magiebegabten Kindern Unterricht in den Grundlagen der Hexerei.“

„Und sie geben eine Zeitschrift heraus.“

„Das auch, obwohl die kaum rentabel ist.“

„Wird sie hier gedruckt?“

„Ja, im Schuppen beim Haus.“

„Darf ich das sehen? Ich war noch nie in einer Druckerei.“

„Ich zeige es ihnen gerne, wenn wir unseren Tee getrunken haben.“

Wie versprochen führte Henry sie nach dem Tee in den Schuppen, wo er ihre Andrew seinen Geschäftspartner und dessen Verlobte Molly vorstellte. Andrew übernahm es gern, Kathys Fragen zur Drucktechnik zu beantworten, während Molly leise an ihren Arbeitsplatz zurückkehrte und damit fortfuhr einem Buch einen neuen Einband zu geben.

Henry fiel auf, dass Kathy sich nicht nur für die Technik interessierte, sondern auch fasziniert Molly bei ihrer Arbeit zusah und die herumliegenden Vorlagen von Kupferstichen begutachtete.

Da es jedoch schon recht sät geworden war, mussten sie ihren Abstecher in den Druckschuppen kurzhalten, weil sie noch zurückreiten mussten.

Auf dem Rückweg überschüttete Kathy ihn mit weiteren Fragen zur Druckerei, Buchbinderei, Kupferstecherei und der Herausgabe der Zeitschrift. Einige konnte er beantworten, einige nicht.

Sie waren kurz vor dem Abendmahl zurück und mussten sich eilen, sich in ihre Abendgarderobe zu kleiden.

Ihr Ausflug dominierte das Tischgespräch nur hin und wieder unterbrochen durch Fragen an die Herschels nach dem Gang ihrer Studien.

Henry gestand sich ein, dass er den Tag sehr genossen hatte und Kathys Anwesenheit in seinem Haus als aufregend empfunden hatte. Wenn es nach ihm ginge, könnte sie dort mehr Zeit verbringen, viel mehr Zeit. Doch es ging nicht nur nach ihm und zuvor war da noch diese Angelegenheit mit den Thornes zu erledigen.

Der Wandelgarten

Da sie nun schon einige Zeit in Northernwell Abbey weilte, war Kathy der Lesestoff ausgegangen. Leider hatte sie vergessen bei dem Besuch von Henrys Buchhandlung neue Bücher zu erwerben. So musste sie auf Eleanors Angebot zurückgreifen sich ein Buch aus der Bibliothek der Familie Tally auszuleihen.

Mit ein paar Einschränkungen stand diese umfangreiche Büchersammlung den Gästen zur Verfügung. Eleanor hatte Kathy genau erklärt, welche Bereiche sie nicht betreten durfte, sie konnte sie jedoch nicht begleiten, weil sie die Rückkehr ihres Vaters vorbereiten musste, die für den Abend erwartet wurde. Und Henry war an diesem Nachmittag bei seiner Mutter.

Von Neugier durchdrungen betrat Kathy die Bibliothek, trotz des leicht mulmigen Gefühls etwas halbwegs Verbotenes zu tun.

Der große Raum wurde durch hohe Spitzbogenfenster erhellt. Bücherregale reichten bis zur getäfelten Decke und befanden sich nicht nur an den Wänden, sondern auch im Raum verteilt. Allerdings waren die frei im Raum stehenden Regale, welche labyrinthartige Gänge bildeten, nicht deckenhoch. Zum Teil waren an den Regalen Lampen und Leitern angebracht. Staunend schritt Kathy zwischen den Büchern umher. Hatte sie gedacht Henry hätte in seinem Laden viele Bücher, so wurde der hier übertroffen. Allein die Menge an Büchern führte ihr den Reichtum der Familie deutlich vor Augen. Sacht strich sie über einige Buchrücken. Sie konnte sich vorstellen Stunden in diesem Raum zu verbringen. Allerdings war das gar nicht vorgesehen.

Eleanor hatte ihr versichert, eine Ausgabe von „Mephistopheles Wette oder die Verführung des Doktor Faustus“ befände sich in der Bibliothek und sie dürfe sie gerne ausleihen.

Kathy merkte recht schnell, dass die Bücher in Themenbereiche eingeteilt waren, aber wo sie Romane finden konnte, war ihr schleierhaft. Auf der Suche nach dem Buch drang sie immer tiefer in den Raum vor und registrierte nur am Rande, dass sie in einen Regalgang einbog, der zuvor mit einer Kordel abgesperrt gewesen war, die nun nur an einem Ständer hing.

Als sie aus dem Gang heraustrat, dachte sie zuerst, sie wäre wieder im Eingangsbereich angelangt, weil auch hier durch hohe Spitzbogenfenster Licht auf Lesetische fiel. Doch war das Licht gedämpfter und die Tür, welche hinausführte, befand sich an einer anderen Stelle und war wesentlich schmaler auf die, durch die sie hereingekommen war. Aber es war ein Ausgang und Kathy, die inzwischen zu dem Schluss gekommen war, dass das Buch nicht alleine finden würde, beschloss sie zu nehmen. Die Klinke war wie ein gerolltes Farnblatt geformt. Sie drückte sie, trat hindurch und schnappte nach Luft.

Sie befand sich nicht mehr im Inneren des Hauses, sondern in einem herrlichen Garten. Von der Tür führte ein gewundener Steinpfad tiefer in den Garten, vorbei an Beeten mit Heil- und Duftpflanzen.

Unwillkürlich folgte sie dem Pfad, es fühlte sich einfach richtig an, obwohl sie sich bewusst war, dass sie in den verbotenen Teil des Anwesens, den Wandelgarten eindrang. Sie sollte umkehren, aber etwas zog sie an, wie eine Motte das Licht.

Der Weg durch den Garten erschien ihr länger, als es möglich sein sollte, wenn sie die Größe des umgebenden Gebäudes bedachte.

Hinter zwei großen Wachholderbüschen tat sich eine Lichtung auf. Die Mitte der Lichtung bestand aus einer runden Quelle, die von moosbewachsenen Steinen gesäumt war. Das Wasser plätscherte an einer niedrigeren Stelle über den Rand und floss als Bächlein davon, das sich in der Weite des Gartens verlor.

Neben der Quelle stand ein gedeckter Tisch mit zwei Stühlen. An ihm saßen Henry und eine Kathy unbekannte Frau, aus deren großer Ähnlichkeit mit Henry schloss Kathy, dass es sich um seine Mutter handelte. Henry saß mit den Rücken zum Weg.

„Ich fürchte, du hast vergessen die Absperrung hinter dir zu schließen“, merkte die Frau mit warmer melodischer Stimme an.

„Wovon..“ Henry wandte sich um und entdeckte Kathy. „Oh je, ich kümmer mich…“

„Bring sie ruhig her.“

„Das wird Vater missfallen.“

Sie lächelte ihn strahlend an. „Aber ich möchte sie gerne kennenlernen.“

Henry seufzte hörbar als er sich erhob und auf Kathy zuging, um sie zum Tisch zu führen. „Mutter darf ich dir Miss Kate Morgan vorstellen, sie hat sich in Bath mit Eleanor und mir angefreundet und unsere Einladung freundicherweise angenommen.“

Kathy knickste höflich, wobei sie spürte, dass ihre Wangen brannten. Sie hätte doch gleich umkehren sollen als sie ihren Fehler bemerkt hatte!

„Miss Morgan, darf ich ihnen Mrs. Leandra Tally, meine Mutter, vorstellen?“

„Gerne.“, wisperte Kathy.

„Sehr erfreut, Miss Morgan. Setzen sie sich bitte, wo sie schon einmal hier sind“, lud Mrs. Tally sie ein.

Zaghaft nahm Kathy auf dem Stuhl Platz, auf dem zuvor Henry gesessen hatte, der stehen blieb.

Henrys Mutter wirkte elegant. Ihr dunkles Haar war von silbrigen Strähnen durchzogen und ihre hellen, blau-grünen Augen schienen bis tief in Kathys Herz zu blicken. Sie trug ein schlichtes dunkelblaues Hauskleid und einen türkisen Seidenschal um den Hals. Ihr haftete etwas Exotisches an, was Kathy schwer benennen konnte.

Erst als Mrs. Tally ihre Teetasse aufnahm, bemerkte Kathy, was es war. Zwischen Mrs. Tallys Fingern schimmerten zarte Schwimmhäute. Entgegen Kathys Erwartung war Mrs. Tally weder eine Hexe noch eine Zauberin, sondern eine Wassernymphe.

„Henry, sei so gut und besorg unserem Gast ein Glas Wasser“, bat sie ihren Sohn.

Kathe konnte sehen, dass Henry sie nur ungern mit seiner Mutter alleine ließ. Ihr fiel außerdem auf, dass Mrs. Tally in der Tat völlig gesund wirkte. Eventuell war sie ein wenig gebräunter als es der Mode entsprach.

Unter ihrem klaren Blick fühlte Kathy sich klein. Sie spürte, wie sie zu schwitzen begann. Sollte sie es doch besser wissen als Anweisungen in einem Hexenhaushalt zu missachten.

Henry kam mit einem leeren Glas zurück, das er in der Quelle füllte und vor sie stellte, ehe er wieder neben ihr stehen blieb.

„Es tut mir Leid die Regeln missachtet zu haben!“, sprudelte es aus Kathy hervor.

„Davon gehe ich aus“, Mrs. Tally lächelte Kathy freundlich an, „Trinken sie etwas, sie sehen durstig aus. Das Wasser hat eine belebende und heilende Wirkung.“

Kathy kam der Aufforderung nach, ehe sie fortfuhr: „Wirklich, sie müssen mir glauben, Ich war auf der Suche nach einem Roman und verirrte mich in der Bibliothek, so kam ich in den Garten. Ich hätte umkehren sollen, aber es war zu verlocken, fast als zöge mich etwas hierher.“

„Ich glaube dir. Dieser Ort wird aus guten Gründen geschützt, aus den gleichen Gründen, aus dem Menschen hier immer mal wieder herein stolpern.“ Mrs. Tally musterte Kathy. „Ja, so sehen sie schon besser aus. Bleibt die Frage, was erzählen wir meinem lieben William?“

„Die Wahrheit“, sagte Henry schlicht, „Etwas anderes wird Miss Tally die nächsten Stunden eh nur tun können.“

„Wie meinen sie das?“, wunderte Kathy sich.

„Das Wasser der Quelle heilt, aber es hat die lästige Nebenwirkung, dass man danach drei Stunden nur die Wahrheit sagen kann“, klärte Mrs. Tally sie mit einem nur minimal boshaften Lächeln auf.

Kathy sah von ihr zu ihrem Glas. Ein wenig erzürnte es sie, dass sie nicht vorgewarnt worden war, doch Mrs. Tally hatte sicherlich Gründe für ihre Vorsicht, immerhin war eine Heilquelle sehr wertvoll.

„Ich wollte eh zugegeben, was geschehen ist“, teilte Kathy mit, auch wenn sie sich vor den Folgen fürchtete.

„William wird verstehen, warum es dich herzog, aber ich fürchte er wird wütend sein.“

„Es war mein Fehler, also nehme ich die Folgen in Kauf.“

„ich mag sie“, stellte Mrs. Tally an Henry gewandt fest. „Gut, du wirst es meinem Ehemann mitteilen, auch wenn es zur Folge haben kann, dass du abreisen musst?“

„Ja, selbstverständlich.“, blieb Kathy bei ihrem Entschluss.

„Dann finde ich es nur fair, wenn ich dir erkläre, warum mein Mann so streng darin ist, zu kontrollieren, wer Zugang zu mir erhält. Vor einigen Jahren, als meine Kinder noch klein waren, versuchte ein Schwarzkünstler die Macht über diese Quelle zu erlangen. Mein Mann war zu der Zeit auf Reisen. Es gelang mir den Schwarzkünstler abzuwehren, doch er verfluchte mich dafür. Seit diesem Tag bin ich an diesen Teil des Hauses gebunden, bis wir einen Gegenzauber gefunden haben oder die Regeln des Fluchs erfüllt sind, die ihn lösen.“

„Gibt es etwas, wie ich helfen kann?“, wollte Kathy unwillkürlich wissen.

Mrs. Tally schüttelte den Kopf. „Das ist ein liebes Angebot, aber nein, oder kennen sie einen potenten Vergessens Zauber und wissen, wer die Nachkommen des Schwarzkünstlers sind? Ich glaube nicht. Erst, wenn sein Erbe seinen Machthunger vergisst, komme ich frei.“

„Leider nein.“

„Sehen sie. Gehen sie nun mit Henry. Es freut mich sie getroffen zu haben und es tut mir leid, sollte mein William übermäßig harsch reagieren. Er leide noch mehr als ich unter meiner Gefangenschaft in diesem Garten und ein paar angrenzenden Räumen.“

„Ich verstehe. Vielen Dank.“

Henry hielt ihr den Arm hin und eskortierte sie aus dem Wandelgarten, durch die Bibliothek bis zur Eingangshalle, wo eben Hexenmeister Tally, mit einem neuen Gast im Schlepptau eintrat. Doch Kathy hatte keine Zeit, den neuen Gast genauer in Augenschein zu nehmen, sie sah nur, dass es ein hochgewachsener Gentleman war, ehe der Hexenmeister ihre ganze Aufmerksamkeit beanspruchte. Die Augen des Hexenmeisters sprühten Funken. „Wer hat den Alarm ausgelöst?“, fauchte er Henry an.

Ehe Henry antworten konnte, räusperte Kathy sich. Alle Augen richteten sich auf sie und wieder fühlte sie sich klein. „Es tut mir sehr leid. Ich schätze das war ich, als ich aus Versehen in den Wandelgarten geraten bin.“, brachte sie hervor.

„Spricht sie die Wahrheit?“, forderte Hexenmeister Tally eine Antwort von Henry, mit dem er einen bedeutungsvollen Blick tuschte, den Kathy zwar bemerkte, jedoch nicht deuten konnte.

„Das tut sie.“

„Wie geht es Leandra?“

„Es hat Mutter amüsiert.“

„Verstehe. Dennoch, dieses Verhalten ist inakzeptabel, ich muss sie auffordern dieses Haus Morgen früh mit der ersten Postkutsche zu verlassen, Miss Morgan!“

Kathy starrte ihn groß an. Sie verstand, dass es ein großer Fehler gewesen war, den sie gemacht hatte, jetzt, wo sie den Grund für Mrs. Tallys Zurückgezogenheit kannte. Sie hatte trotzdem nicht erwartet wirklich des Hauses verwiesen zu werden, besonders, weil Mrs. Tally angedeutet hatte, dass die Quelle öfters Leute anzog. Hinzu kam, dass sie sich eingebildet hatte, dass Henrys Vater sie zumindest ein wenig gemocht hatte und er ihr bisher als gerecht erschienen war.

„Morgen, mit der ersten Postkutsche! Ich werde Elanor entsprechende Anweisungen erteilen. Sie packen jetzt besser, Miss Morgen!“ Riss er sie aus ihren Gedanken und rauschte an ihr vorbei, gefolgt von dem neuen Gast.

Trübselig trottete Kathy auf ihr Zimmer. Henrys mitfühlender Blick brannte in ihrem Rücken. Auf dem Zimmer begann sie, wie befohlen, zu packen. So hatte sie sich das Ende ihres Besuchs nicht vorgestellt.

Während sie dabei war ihre Kleider zusammenzulegen, kam Eleanor ins Zimmer gestürmt.

„Es tut mir so leid! Normalerweise ist Vater in der Hinsicht weniger streng.“

Kathy lächelte schmal. „Ich kannte die Regeln des Hauses, ich hätte mich daran halten sollen“, murmelte sie.

„Ja, aber das ist es gerade! Wenn jemand sich wirklich aus Versehen zu Mutter verirrt, reicht Vater das sonst als Grund, wegen der Quelle und ihrer Kraft“, protestierte Eleanor.

„ist es denn schon mal eine Hexe oder ein Zauberer gewesen?“

Eleanor überlegte einen Moment. „Nicht das ich wüsste, aber…“

„Dann wird es das sein. Die anderen waren keine potentielle Gefahr.“

„Aber sie sin doch keine Gefahr! Sie sind die am wenigsten machthungrige Hexe, die ich keine. Ihr Machthunger geht gegen Null!“, widersprach Eleanor.

„Es ist jetzt eben so.“ Kathy legte ein Abendkleid in den Koffer.

„Haben sie eigentlich genug Geld für die Postkutsche?“, fragte Eleanor unvermittelt.

„Äh…“ Kathy sah nach und erschrak. „Nein.“

„Dann lassen sie mich ihnen wenigstens das Fahrtgeld geben, wenn Vater sie so ungerecht fortschickt!“

„Nur geliehen. Ich zahle es zurück!“

„Wenn sie darauf bestehen.“

„Ja, das tue ich.“

„In Ordnung.“

Der letzte Abend verlief in ungemütlichem, peinlichem Schweigen, welchem sich, nach ein paar Versuchen ein Gespräch anzuregen, auch die Herschels anschlossen. Hexenmeister Tally, nahm nicht an diesem Essen teil, sondern speiste mit seinem neuen Gast und seiner Frau in deren Räumen.

Früh am nächsten Morgen brachte Eleanor Kathy zur Postkutsche, das Fahrtgeld hatte sie ihr zuvor auf dem Zimmer gegeben. Henry blieb dem Abschied fern, weil sein Vater ihn gleich nach dem Frühstück zu sich bestellt hatte. Doch auch er hatte Kathy noch einmal versichert, wie leid ihm die Entscheidung seines Vaters tue.

Kurz vor Abfahrt der Kutsche umarmte Eleanor Kathy fest und versprach mit ihr über Briefe Kontakt zu halten.

Obwohl unsere schmählich, rausgeworfenen Heldin noch nie eine solch lange Reise alleine unternommen hatte, kam sie erstaunlich gut zurecht.

Zuhause angekommen, wunderte sich ihre Mutter über ihre plötzliche, unangekündigte Ankunft. Kathys Eltern ließen sich von ihr erzählen, was passiert war und ihr Vater beschloss Hexenmeister Tally einen Brief zu schreiben, in dem er darlegte, was er von so einem verhalten hielt.

Doch alles in allem, waren sie hauptsächlich froh, dass Kathy die Fahrt heil überstanden hatte und sich darin einig, dass dies eine ungewöhnliche und lehrreiche Reise für ihre Tochter gewesen sei.

Erst am Abend als sie begann ihre Kleider auszupacken entdeckte Kathy, dass Eleanor ihr „Mephistopheles Wette oder die Verführung des Doktor Faustus“ mit einer kleinen Notiz in den Koffer geschmuggelt hatte. „Viel Spaß beim Lesen. Schicken sie es mir einfach mit der Post zurück, wenn sie es durch haben. E.“, stand auf dem Zettel. Auch die neueste Ausgabe der „Curiosae“ befand sich in ihrem Koffer, mit einer ähnlichen Notiz von Henry.

Wie auch immer Hexenmeister Tally zu ihr stehen mochte, die Eleanor und Henry schienen entschlossen, die erblühte Freundschaft aufrechterhalten zu wollen.

Konfrontationen

Henry missfiel die Art und Weise, wie sein Vater Kathy aus dem Haus komplimentiert hatte, obwohl er nachvollziehen konnte, warum der Hexenmeister sie nicht in der Nähe haben wollte, wenn Isabella ankam. Auch, wenn deren Einfluss über Kathy nun gebrochen war, so könnte sie ihn leicht wieder erlangen.

Am Tag von Kathys Abfahrt, tigerte er durch den Salon, während Eleanor damit beschäftigt war alles für Fredericks und Isabellas Ankunft vorzubereiten.

„Meine Güte, Henry, tu mir einen Gefallen und setz dich“, forderte ihn sein Vater auf.

„Nein.“

„So wie du dich aufführst, wird sie nur allzu leicht Verdacht schöpfen.“

Missmutig zog Henry einen Stuhl unterm Tisch hervor und pflanzte sich darauf. „Hättest du nicht einen anderen Weg finden können, sie aus dem Haus zu bekommen?“, platzte es aus ihm heraus.

Hexenmeister Tally überlegte, ehe er antwortete: „So war es am schnellsten und mit einem einigermaßen nachvollziehbaren Grund.“

„Aber das hat sie nicht verdient!“

„Dann geh zu ihr, wenn diese Angelegenheit geklärt ist und erkläre ihr alles. Und, um Himmelswillen gesteh dir vorher ein, was du von ihr willst und aus welchem Grund!“, knurrte sein Vater.

„Äh…“, Henry errötete.

„Ja, es war dem Mädchen gegenüber ungerecht, aber es wäre ihr gegenüber viel unverantwortlicher, sie erneut der Macht dieser Schwarzkünstlerin auszusetzen.“

„Ich wünschte wirklich die Schwarze Kunst, wäre nur eine Bezeichnung für die Druckkunst“, murrte Henry.

„Bist du in der Lage, in irgendeiner Weise zu helfen oder möchtest du weiter schmollen?“

Henry schloss getroffen den Mund. Manchmal hasste er die scharfe Zunge seines Vaters. Das ungemütliche Schweigen hielt nur kurz an, da bald darauf eine Magd kam, um die Ankunft Fredericks und seiner „Verlobten“ anzukündigen.

Isabella schwebte in den Raum als gehöre er ihr schon. Frederick schlenderte hinter ihr her. „Hallo Vater“, grüßte er salopp, „Darf ich dir Isabella Thorne vorstellen?“

Henry fiel ihr auffordernder Blick an Fredrick auf. Sie ging sogar so weit ihn mit einem „Liebling! Zum Weitersprechen aufzufordern. Fredericks Lächeln war mehrdeutig. „Die ich zu heiraten gedenke“, fügte er nun doch noch an.

„Ich glaube wir hatten noch nicht das Vergnügen, Miss Thorne. Hexenmeister Tally, es freut mich sie nun persönlich zu treffen, nachdem mir meine Kinder schon von ihnen erzählt haben“, begrüßte er Isabella mit einem frostigen Unterton.

Während dieses Austauschs kam Eleanor mit dem Mädchen, dass den Teewagen schob herein. Das Mädchen verließ den Raum sofort wieder, da abgesprochen war, dass Eleanor servieren würde.

„Henry und Eleanor kennen sie ja. Unsere anderen Gäste sind zurzeit zu sehr mit den Auswertungen ihrer astronomischen Studien beschäftigt, um sich zu uns zu gesellen. Nur Mr. Griffin könnte noch zu uns stoßen, sobald er sich von seinen Studien in der Bibliothek lösen kann“, teilte Hexenmeister Tally Isabella mit, die ihn gewinnend anlächelte.

Henry war froh am anderen Ende des Tisches als Isabella zu sitzen und so nicht in ihrer Nähe sein zu müssen. Nun nahmen auch alle anderen Platz, bis auf Eleanor, die begann den Kaffee einzuschenken, als es leise klopfte. Dem Klopfen folgte ein hochgewachsener, dunkelhaariger Mann, der ein Buch unterm Arm trug. „Entschuldigen sie die Verspätung. Ich habe über den Büchern die Zeit vergessen. Wo ich schon mal die Gelegenheit habe in einer so gut ausgestatteten Bibliothek zu stöbern, können sie meinen Enthusiasmus hoffentlich nachvollziehen.“

Hexenmeister Tally winkte ihren Gast nur näher, der neben Henry Platz nahm.

„Nun, du gedenkst also zu heiraten Frederick? Ist das zu diesem Zeitpunkt nicht deiner Karriere eher hinderlich?“, führte Hexenmeister Tally das begonnene Gespräch fort.

Eleanor goss allen Kaffee ein und stellte jedem ein Glas Wasser dazu, was sie damit begründete, dass Hexenmeister Tally die Abwechslung mochte und gerne nach italienischer Sitte Kaffee konsumierte.*

„Schon, aber Isabella hat mir überzeugend dargelegt, wie viel besser es wäre, sie so bald wie möglich zu ehelichen“, antwortete Frederick.

„So, hat sie? Miss Thorne, es gehört sich das Wasser zum Kaffe dazu zu trinken.“

Henry und alle anderen beobachteten gespannt, wie sie der Aufforderung nachkam und nach einem Schluck Kaffee auch einen Schluck Wasser trank.

„Und wie kommen sie zu der Annahme, dass es besser sei meinen Sohn so rasch es geht zu ehelichen?“

Isabella lächelte noch strahlender. „Na weil ich so schnell es geht Macht über einen Obhutsbereich erlangen will!“ Kaum hatte sie ausgesprochen, hielt sie erschrocken die Hand vor den Mund. „Oh“, wisperte sie.

„Wie wollen sie das erreichen?“, fragte Hexenmeister Tally weiter.

Isabella biss die Zähne zusammen.

„Antworten sie!“, befahl Henrys Vater ihr. Seine Augen sprühten vor Zorn.

Ein wenig druckste Isabella herum, ehe sie den Kopf keck zurückwarf. „Indem ich Freddy dazu bringe mich zu lieben, was kein allzu schlechter Deal ist, immerhin sieht er ganz passabel aus. Und sie loswerde, was dachten sie denn?“

„Genau das, dachte ich mir. Schließlich haben sie diese Methode schon bei dem jungen Mr. Morgan angewandt, ehe sich in Frederick eine bessere Option auftat.“

„Was können sie schon tun? Freddy liebt mich und, wenn ihnen ihr Sohn etwas bedeutet, dann lassen sie uns heiraten!“

„Liebst du sie?“, wollte Hexenmeister Tally ruhig von Fredrick wissen.

„Sie sieht gut aus und ist wirklich bezaubernd, aber ihr Charakter ist abscheulich. Mir tut der junge Mr. Morgan leid, der unter ihren Einfluss geraten ist. Aber ohne den hier, würde ich sie lieben.“, antwortete Frederick und zog ein silbernes Pentagramm an einer Kette hervor, welches er um den Hals trug.

„Du… du… wie konntest d nur!“, kreischte Isabella und wies auf das Pentagramm als sei es eine persönliche Beleidigung.

„Mir ist mein freier Wille sehr wichtig“, gab Frederick nur gelassen zurück.

Henry, der das Gespräch verfolgt hatte, war nicht entgangen wie Mr. Griffin sich leise erhoben hatte und katzenhaft hinter Isabella getreten war.

„Reicht das an Beweisen für die Anwendung schwarzer Magie?“, fragte Hexenmeister Tally.

„In der Tat, aber es werden noch weitere Untersuchungen durchgeführt werden müssen“, antwortete Mr. Griffin, der blitzschnell ein Bannkettchen um Isabellas Handgelenk wickelte. „Ich verhafte sie im Namen der Krone. Sie werden der Verwendung der schwarzen Magie angeklagt. Alles, was sie von sich geben, kann gegen sie verwendet werden“, teilte er Isabella mit.

„Ich verfl…“, weiter kam sie nicht, sondern musste husten. Entsetzt starrte sie auf ihr Handgelenk. „Was haben sie getan?“

„Ihre Magie für die Dauer des Verfahrens versiegelt.“

Sie funkelte ihn böse an.

„Sie sind einem grundlegendem Fehler aufgesessen, der zu erwarten war“, erklärte Hexenmeister Tally. „Sie nahmen an, mein Obhutsbereich würde nach meinem Tod an meinen ältesten Sohn vererbt. Nur liegen sie in damit falsch. Auf Grund seiner speziellen Natur wird der Bereich in der weiblichen Linie vererbt und die Verantwortung mit dem Ehemann geteilt. Darum haben beide meine Söhne eine Karriere gewählt, die ihnen liegt und, die sie finanziell unabhängig macht. Ich wünsche ihnen eine sichere Reise, Miss Thorne.“

„Ich verabschiede mich dann. Vielen Dank für ihre Unterstützung und ihre Gastfreundschaft. Ich hoffe bald wieder eine Gelegenheit zu erhalten in ihrer Bibliothek stöbern zu können, Hexenmeister. Oder an ihrem gelehrten Salon teilnehmen zu dürfen, Miss Tally.“ Mr. Griffin neigte den Kopf zum Abschied, da eine Verneigung durch die Tatsache, dass er Miss Thorne am Arm festhielt unmöglich war. Sie weiter am Arm haltend führte er sie hinaus zu einer bereitstehenden Kutsche, welche sie nach London bringen würde, wo sämtliche Verfahren im Zusammenhang mit schwarzer Magie durchgeführt wurden.

„Nun, das wäre das dann“, meinte Frederick.

Henry schnaubte.

„Dein Bruder scheint anderer Meinung zu sein.“

„Wie ich auch“, warf Eleanor ein, „Miss Morgan verdient zumindest eine Erklärung.“

„Oh, habe ich etwas verpasst?“ Frederick sah Eleanor aufmerksam an.

„Hast du.“

Henrys Wangen brannten. „Ich werde zu ihr reisen und die Angelegenheit klären“, verkündete er dennoch mit fester Stimme.

„Viel Erfolg“, wünschte Eleanor, was ihn aus dem Salon flüchten ließ, in dem der Rest seiner Familie gerade damit begann sein Verhalten und seinen Gefühle gegenüber Kathy zu erörtern.
 

Kathy war gerade dabei die Hühner zu füttern, der Tag war ansonsten normal verlaufen, als sie eine Gestalt auf dem Weg zu ihrem Haus entdeckte. Sie runzelte die Stirn, während sie versuchte zu ergründen, wer das sein könnte. Die Gestalt kam ihr bekannt vor, gerade weil der Fremde für diese Gegend zu modisch gekleidet war und er einen sehr eigenen, breiten Gang hatte. Das konnte doch wohl nicht sein!

Sie lief mit der Futterschüssel zur Küchentür.

„Mutter, komm rasch!“

„Was ist denn?“

„Ich glaube Mr. Thorne ist gekommen.“

„Der junge Mann, der sich so ungehobelt benommen hat?“

„Ja.“

„Was kann er hier wollen?“

„Keine Ahnung. Aber bei unserem letzten Treffen drohte er, dass ich es bereuen würde, ihn abgewiesen zu haben.“

„Wenn das so ist.“ Mrs. Morgan wischte sich die Hände an ihrer Schürze trocken. „Ruf deinen Vater. Ich aktiviere den Schutzzauber ums Grundstück.“

Kathy rannte los ihren Vater zu finden, der sich in seinem Studierzimmer befand. Es brauchte nur einen Blick auf ihr Gesicht und den Satz: „Mutter braucht dich.“, um ihn an ihr vorbei eilen zu lassen. Zurück blieben ein aufgeschlagenes Zauberbuch, ein offenes Tintenfass und eine benutzte Schreibfeder auf seinem Schreibtisch.

Kathy lief ihm nach. Ihre Eltern trafen sich auf der Schwelle des Hauses, von wo aus sie zum Gartentor schritten. John stand hinter dem Zaun und funkelte sie an. Sein Gesicht war vor Hass verzerrt.

„Was wünschen sie?“, erkundigte sich Mr. Morgan.

„Meine Braut!“

„So wie ich meine Tochter verstanden habe, hat sie ihren Antrag abgelehnt.“

„Sie hat kein Recht dazu. Erst einem Mann vorzugaukeln, ihn heiraten zu wollen und ihn dann fallen zu lassen! Sie ist eine ehrlose, kleine Schlampe, der man Manieren beibringen muss!“

Kathy schauderte. Ihre Eltern stellten sich schützend vor sie. Mr. Morgan starrte auf John herab. „Wie haben sie meine Tochter genannt?“, wollte er eisig wissen.

John versuchte gar nicht irgendetwas abzumildern. „Eine Schlampe, weil es das ist, was sie ist. Ein Flittchen, dem…“

Mrs. Morgan zeichnete ein magisches Symbol in die Luft, welches weitere Beleidigungen im Satz abschnitt.

„Hoffen wir, dass er sich bald beruhigt und abzieht.“

Doch noch während sie das sagte, hob John die Hand und schleuderte einen Feuerball nach ihnen. Das Feuer züngelte über die magische Schutzmauer und verpuffte.

Kathy zog ihren Vater am Ärmel. „Vater, ich fürchte, er könnte auf die Idee kommen, die Menschen im Dorf mit Magie zu beeinflussen, wenn er merkt, dass er mit roher Gewalt nicht weiterkommt.“, flüsterte sie ihm ins Ohr.

„Viviane, erhalte den Schutz aufrecht, ich habe andere Schutzmaßnahmen zu treffen!“, forderte Kathys Mutter auf, ehe er ins Haus eilte. Sally kam ihm entgegen und stellte sich neben Kathy und ihre Mutter.

Nach mehreren Versuchen, den Schutzzauber mit Gewalt zu knacken, wandte John sich ab und ging Richtung Fiddlersfield davon.

Mrs. Morgan eilte mit ihren Töchtern in die Küche. „Kathy, die Grundstückskarte!“, befahl sie. Kathy holte die Karte und breitete sie auf dem Küchentisch aus.

„Wie lästig. Ich wollte heute Abend eigentlich nach Mrs. Wilkins schlimmem Bein sehen“, grummelte Mrs. Morgan. Zusammen platzierten sie Schutzsymbole und eine feine Linie Salz auf der Karte.

„Sally, bring deinem Vater einen kräftigen Tee! Und danach kümmerst du dich um die Kleinen! Kathy, du wechselst dich bei der Überwachung des Schutzzaubers mit mir ab!“, erteilte Mrs. Morgan ihren Töchtern Anweisungen.

Das Abendessen im Nebenzimmer war eine laute Angelegenheit, doch Sally schaffte es ihre Geschwister zu händeln, während Kathy und Mrs. Morgan in der Küche nur eine Kleinigkeit aßen und Mr. Morgan in seinem Studierzimmer speiste.

Nach und nach wich die Aufregung über John Angriffe der Langeweile, nur unterbrochen von gelegentlichen Hinweisen auf seine Versuche die Schutzbarriere zu durchbrechen, welche sich jedoch relativ leicht abwehren ließen.

Die Nacht zog sich, doch keiner aus der Familie gab seinen Wachposten auf, auch nicht nach einer längeren Zeit ohne Angriffe. Sally hatte die Kleinen schon längst zu Bett gebracht und schlief in ihrer Nähe. Während Kathy mit ihrer Mutter in der Küche blieb. In den frühen Morgenstunden döste Kathy doch noch ein. Lautes Bimmeln ließ sie aufschrecken. Es war die Notfallglocke am Gartentor.

„Oh je, nun auch noch das!“, murrte Mrs. Morgan. Zusammen gingen sie nachsehen, da sie Angriffe auch von außerhalb des Hauses abwehren konnten.

Beim Gartentor stand Billy Brown. Er winkte sie näher. „Ah, guten Morgen Mrs. Morgan!“, rief er als sie näherkamen. Neben ihm auf dem Boden saß jemand.

„Ich habe diesen Herrn in der Nähe des Grabhügels von Alfric dem Vergesslichen gefunden“, erklärte Billy, wobei er auf John Thorne wies, der auf dem Boden saß und fasziniert einer Schnecke zusah, die an einem Zaunbrett hochkroch.

„Sieht so aus, als hätte er versucht in das Grabmal einzudringen. Der Eingang sah aus als hätte jemand ihn aufgesprengt“, erzählte Billy weiter.

„Ist das so?“, fragte John verwirrt.

„Ja, ist es“, meine Billy knapp an ihn gewandt, ehe er fortfuhr, „Jedenfalls traf ich auf diesen Herrn und fragte ihn, wer er sei und was er hier mache, aber er konnte mir keine Antwort geben, also dachte ich: Mrs. Morgan weiß sicher Rat.“

Kathy merkte, wie ihre Mutter mit sich kämpfte, bevor sie sagte: „Lass ihn da sitzen und geh zu deinen Schafen zurück, Billy.“

„Danke, Mrs. Morgan.“ Erleichtert rasch zurückzukommen, lief Billy los.

„Und nun? Was, wenn es ein Trick ist?“, wollte Kathy wissen.

„Sag deinem Vater Bescheid, Er wird wissen, was zu tun ist.“

Kathy rannte zu ihrem Vater, um ihm die Neuigkeit mitzuteilen.

„Hm, da noch niemand versucht hat das Hügelgrab zu öffnen, wissen wir nicht, welche Schutzzauber darauf liegen. Es wäre möglich. Ein Vergessenszauber als interner Witz unter den Baumeistern, erscheint mir recht passend. Sorgt dafür, dass er in eurer Sichtweite bleibt und beobachtet ihn. Ich setzte mich mit London in Verbindung.“

Wieder lief Kathy los, um diesmal seine Worte an ihre Mutter weiterzugeben, die beschloss, John mit Sallys Hilfe im Auge zu behalten und Kathy ins Bett schickte, um den verlorenen Schlaf nachzuholen.

Erklärungen

Für Henry dauerte die Reise mit der Postkutsche viel zu lang. Er sehnte sich danach Kathy sie Umstände zu erklären, während er sich gleichzeitig davor fürchtete, warf es doch kein allzu freundliches Licht auf seine Familie.

Er war gleich am Morgen, nach dem die Sache mit Miss Thorne erledigt war, aufgebrochen. Doch zuvor, hatte der Morgen eine positive Überraschung für ihn bereitgehalten.

Die Stunden in der Kutsche zogen sich.

Endlich, es war schon Nachmittag, traf er in Fiddlersfield ein. An der Postkutschenstation erwartete ihn eine weitere Überraschung. Als er aus der Kutsche ausstieg, entdeckte er Mr. Griffin, neben dem John Thorne stand. Sein und Mr. Griffins Blick trafen sich, woraufhin er näher gewunken wurde.

„Mr. Tally, gut dass ich sie treffe. Nach allem, was ich heute erfahren habe, bräuchte ich ihre Aussage zu den Umständen des Umgangs zwischen Miss Morgan und Mr. Thorne hier, wie sie es mitbekommen haben.“

„Gu-guten Tag… äh, sicherlich, wenn es nötig ist“, stotterte Henry überrumpelt. Neben ihnen stand John Thorn, murmelte vor sich hin, guckte Löcher in die Luft und wirkte völlig unbeteiligt. So unbeteiligt, dass Henry nicht umhinkam, ihn genauer zu mustern, was ihm nur einen verständnislosen Blick des anderen Mannes ohne jegliches Wiedererkennen einbrachte. Noch mehr wunderte es Henry, dass Mr. Thorn noch gar nichts zu seiner Verteidigung gesagt hatte oder Anstalten gemacht hatte mit Zauberei aus der Situation auszubrechen. Mr. Griffin schien das hingegen nicht zu wundern. Er hielt seinen langen Stab, der ihn als Kraftlinienläufer auswies in einer Hand und richtete seine gesamte Aufmerksamkeit auf Henry.

„Sie müssen wissen, es ist so. Kaum hatte ich Miss Thorne nach London eskortiert und mein Büro erreicht, wurde ich gebeten Mr. Thorne hier abzuholen, da er Winkelzauberer Morgan bedroht und angegriffen hatte und davon ausgegangen wird, dass er versuchte das hiesige Hügelgrab auszurauben.“

„Ist Miss Morgan in Ordnung?“

„Es geht der Familie gut, sie sind nur etwas übernächtigt. Jedenfalls, hat die versuchte Grabplünderung dazu geführt, dass Mr. Thorne sein Gedächtnis verloren hat. Anscheinen war das Grab mit einem Abwehrzauber dieser Art ersehen, scheint ein interner Witz zu sein, ist es doch das Grab von Alfric dem Vergesslichen. Nun, da völlig unklar ist, wie langandauernd der Zauber ist und nicht riskieren werde, dass sich jemand dem Zauber aussetzt um mehr herauszufinden, brauchen wir sämtliche Zeugen, die wir finden können.“

„Senden sie mir eine Vorladung zur Aussage zu, ich werde meiner Pflicht nachkommen.“

„Wunderbar, dann will ich sie nicht länger aufhalten. Einen schönen Tag noch.“

„Gleichfalls.“

Henry fragte sich kurz, welcher Art genau der Vergessenszauber war, der auf John Thorne lag, nur um festzustellen, dass er es gar nicht genauer wissen wollte, obwohl er den Kerl verabscheute.

Er ließ sich eine Wegbeschreibung zum Haus des lokalen Winkelzauberes geben und ging los.

Nun, wo das Treffen näher rückte, merkte er, dass seine Hände feucht waren. Er versuchte sich mit der Erinnerung an den Morgen zu beruhigen, denn als er beim Frühstück gesessen hatte, war die Küchentür aufgegangen und seine Mutter eingetreten. Etwas, das ihr seit Jahren unmöglich gewesen war. Er hatte kein Wort herausbekommen und sie hatte nur gesagt: „Mein Fluch ist gebrochen!“ Er war aufgesprungen und hatte sie so fest umarmt, dass sie meinte, er sollte aufpassen ihr nicht die Rippen zu brechen. Trotz der Feierstimmung und einiger vergossener Freudentränen, war er aufgebrochen, um mit Kathy zu reden. Henrys Mundwinkel hoben sich leicht, als er an die ermutigenden und verständnisvollen Worte seiner gesamten Familie dachte. Also sollte er aufhören, hier rumzustehen und sich endlich trauen die letzten Schritte auf das Haus zu zugehen!

Kaum berührte er das Gartentor, da tauchte eine resolute Frau in robuster Gartenkleidung mit Blättern im grauen Haar auf.

Henrys Hals war plötzlich schrecklich trocken. Er räusperte sich. „Guten Tag, mein Name ist Henry Tally, ich würde gerne mit Miss Kate Morgan sprechen.“

„Guten Tag. Was möchten sie meiner Tochter denn mitteilen?“ Der Ton der Frau war höflich neutral.

„Zunächst einmal möchte ich mich erneut bei ihr für das Verhalten meines Vaters entschuldigen du es erklären. Und, ich schätze dann wäre es außerdem angebracht, mich bei ihrer gesamten Familie zu bedanken, denn, wenn ich mit meinen Schlussfolgerungen richtig liege, haben sie meiner Familie sehr geholfen. Falls sie mich jedoch nicht zu ihr lassen wollen, nach dem Vorgefallenen, so habe ich hier ein Buch, von dem ich dachte, dass sie daran Gefallen finden könnte und hoffe, dass sie es ihr übergeben würden.“

Mrs. Morgan musterte ihn noch einmal eindringlich.

„Kommen sie rein junger Mann. Meine Tochter hatte nur Gutes von ihnen und ihrer Schwester zu berichten.“

Mit klopfendem Herzen folgte Henry Mrs. Morgan, die ihn in die gute Stube des Landhauses führte.

„Warten sie hier. Ich hole Kathy, Ich schätze sie haben viel miteinander zu besprechen.“

Henry fühlte sich als hätte sie bis auf den Grund seiner Seele gesehen und hätte seine Intention schon längst durchschaut. Anstatt sich zu setzen, blieb er stehen und, um nicht zu aufdringlich zu wirken, stellte er sich an Fenster, sah hinaus und spielte mit seinen Manschettenknöpfen.
 

Kathy hatte sich mit dem Buch über Doktor Faustus zurückgezogen. Die vergangene Nacht und der Tag waren insgesamt sehr aufregend gewesen, trotz der Phasen von Langweile zwischendurch. Sie wusste noch nicht so recht, was sie davon halten sollte, dass John Thorne sein Gedächtnis verloren hatte und nach London gebracht wurde, um der schwarzen Magie angeklagt zu werden.

Über noch etwas war sie sich unsicher, darüber, dass sie ein Opfer seiner Magie gewesen war. Sicherlich, sie wusste inzwischen genau, dass er Magie verwendet hatte, um sie dazu zu bringen, zu tun, was er wollte. Aber ihre Gefühle, diesbezüglich waren ein völliges Chaos, denn unter seiner Beeinflussung war sie davon ausgegangen, nach ihrem eigenen freien Willen zu handeln.

Ja, sie war ein Opfer gewesen, aber sie hatte sich die ganze Zeit, während das passiert war, nicht ausgenutzt gefühlt. Dieses Gefühl kam erst jetzt. Und so allmählich gestand sie sich ein, dass das Erlebnis mit John und höchstwahrscheinlich auch Isabella, die sie für eine Freundin gehalten hatte, sie tief in ihrem Inneren verletzt hatte.

Wenn andere Hexen und Zauberer Magie verwendeten, um sich Freunde zu verschaffen, wem konnte sie dann noch vertrauen?

Normalen Menschen…, aber manipulierten die nicht auch manchmal die Gefühle anderer?

Um jemanden zu beeinflussen und zu manipulieren, brauchte es keine Magie, das ging auch ohne.

Kathy legte das Buch weg und zog die Knie an.

Waren Henry und Eleanor wirklich an echter Freundschaft interessiert oder hatten sie nur um des gesellschaftlichen Scheins so getan?

„Kathy, Besuch für dich!“, rief ihre Mutter.

„Komme!“ Kathy, spürte Feuchtigkeit auf ihren Wangen. Sie tupfte die Tränen mit einem Baumwolltaschentuch ab, ehe sie es in ihre Rocktasche stopfte und aufsprang. Rasch strich sie ihr Kleid glatt, bevor sie ihrer Mutter zur guten Stube folgte.

„Danke, Mutter.“ Kathy war sich sicher, dass ihre Mutter ahnte, dass sie gerade mit etwas zu kämpfen hatte.

Nach außen hin ruhig, betrat Kathy die gute Stube. Noch bevor er sich zu ihr umdrehte, erkannte sie Henry.

„Guten Tag, Mr. Tally“, grüßte sie leicht verwundert, da sie keinen Anlass für ihn sah, sie so kurz nach ihrer Abreise von Northernwell Abbey zu besuchen.

„Guten Tag, Miss Morgan. Ich bin gekommen, um mich erneut für das grobe Verhalten meines Vaters zu entschuldigen und es zu erklären. Außerdem scheint es, dass ich ihnen und ihrer Familie zu Dank verpflichtet bin.“

Kathy runzelte die Stirn. „Inwiefern?“

„Der Fluch, der auf meiner Mutter wurde heute Nacht gelöst. Ich gehe davon aus, dass es mit dem Vergessenszauber auf Mr. Thorne zu tun hat, und es sich bei ihm um den Nachfahren des Schwarzkünstlers handelt, der sie verfluchte.“

Kathy, die sich an die Bedingungen für die Fluchlösung erinnerte, brachte ein schmales Lächeln zu Stande. Ihr war Mrs. Tally sympathisch gewesen. „Das sind wunderbare Neuigkeiten.“

Henry nickte. Er kramte in seiner Umhängetasche und zog ein Buch mit dem Titel „Circe“ heraus. „Ich dachte, dieses Buch könnte ihnen helfen. Den, meisten ist von Circe nur bekannt, dass sie angeklagt wurde, Männer mit Liebeszaubern gefügig gemacht zu haben. Die wenigsten haben die Prozessprotokolle darüber gelesen und wissen, dass sie nicht nur von dieser Anklage freigesprochen wurde, sondern sie danach ihre Studien der Magie den Folgen magischer Beeinflussung und Arten, wie man Opern magischer Beeinflussung helfen kann, gewidmet hat. In dieser Neuausgabe sind die Prozessprotokolle und sämtliche ihrer Schriften gesammelt. Vielleicht erweist es sich für sie als nützlich.“

Kathy schluckte, sie wollte noch nicht oder eher konnte noch nicht mit egal wem über ihre Gefühle und Erkenntnisse im Bezug auf ihre eigenen Erfahrungen sprechen. „Das ist sehr freundlich von ihnen.“ Sie nahm das Buch entgegen und legte es beiläufig auf dem Tisch ab. Ihr war entgangen, das Henry plapperte.

„Äh, also ich möchte mich noch einmal für das rüde Verhalten meines Vaters entschuldigen, als er sie so mir nichts dir nichts fortschickte. Besonders, da das normalerweise unter diesen Umständen nicht vorkommt. Er hat sie eigentlich gar nicht wegen ihres Regelbruchs fortgesandt“, plapperte Henry weiter, „sondern, weil am Nachmittag Miss Thorne und Frederick erwartet wurden. Er fürchtete, dass obwohl ihr Einfluss über sie gebrochen war, dieser von Isabella bei einem Zusammentreffen erneuert werden könnte.“

„Wo-wollen sie damit sagen, dass auch Isabella Magie eingesetzt hat, um mich zu ihrer Freundin zu machen?“, vergewisserte sich Kathy, die das schon geahnt hatte.

„Nicht ganz so plump, mehr um sie milde gegen ihr Benehmen zu stimmen, aber ja. Genauso, wie sie Magie einsetzte, um ihren Bruder in sich verliebt zu machen.“

Kathys Finger krallten sich in den Stoff ihres Rocks. Eine ihrer Befürchtungen war bestätigt worden. „Hat sie das auch mit Fredrick getan?“

„Sie hat es versucht, aber er war vorgenwarnt und hat, um genau zu sein als Köder fungiert. Sie ist nun ebenfalls wegen schwarzer Magie verhaftet und wartet auf ihren Prozess.“

„Mr. Griffin, teilte mir nur mit, dass er auch eine Aussage von mir zu ihrem Verhalten braucht“, murmelte Kathy, „Warum haben sie mir in Bath nichts gesagt?“

„Es tut mir schrecklich leid, dass ich es nicht getan habe, aber sie hätten mir nicht geglaubt, solange sie unter ihren Zaubern standen, das war ein Teil der Verzauberung.“

„Verstehe.“ Kathy klang grimmig und obwohl es kleinlich war, würde sie ihm ihr Missfallen über sein Schweigen noch eine Weile zeigen. „Mir ist gar nicht genau bewusst, wann die Zauber gebrochen wurden“, gab sie zu. „Waren sie das?“

„Auch wenn ich gerne sagen würde, dass es mein Verdienst war, nein, ich war es nicht. Das haben sie ihrer bewunderungswürdigen Willensstärke und ihrer Verbundenheit mit Naturgeistern zu verdanken. Das Geschenk des Weißdornweibchens hat die Zauber gebrochen und sie danach dagegen geschützt. Mein Vater war in dieser Hinsicht übervorsichtig. Und das Wasser der heiligen Quelle hat sämtliche letzte Spuren schwarzer Magie fortgewaschen.“

Kathy berührte mit den Fingerspitzen den kleinen hölzernen Drachen, den sie inzwischen an einem Lederband um den Hals trug. „Das ist eine ganze Menge“, murmelte sie, zog sich einen Stuhl heran und ließ sich darauf sinken. Henry kam zu ihr.

„Es tut mir leid.“

„Sie haben doch keine schwarze Magie angewandt oder?“

„Als Erwachsener nicht mehr. Als Kind habe ich es einmal probiert. Ich war etwa zehn. Mein Vater hielt mir eine strenge Strafpredigt und verdonnerte mich dann zu einer Woche Ställe ausmisten, er sagte, wenn ich solchen Mist anwenden wollte, könnte ich mich am besten gleich mit Mist beschäftigen. Die Enttäuschung in den Augen meiner Mutter zu sehen, war die härtere Strafe.“

Kathy brachte ein schwaches Lächeln fertig. „Ich musste Brennessellauge herstellen und verteilen bis das Fass leer war. Mutter meinte, Menschen magisch zu beeinflussen, sei als würde man deren Geist mit Lauge tränken, aber im Gegensatz zu Brennessellauge, die Pflanzen beim Wachsen hilft, zerstöre schwarze Magie nur.“

„Da hat sie recht.“ Henry ging vor ihr in die Knie und räusperte sich. „Ich bin nicht nur gekommen, um mich zu entschuldigen… ähm, würden sie in Betracht ziehen mich als ihren möglichen Ehemann zu sehen“, stammelt er einen Antrag zusammen. „Äh, nehmen sie sich so viel Zeit, wie sie brauche für ihre Antwort. Sprechen sie mit ihren Eltern. Holen sie Erkundigungen über mich ein, wenn es ihnen nötig erscheint“, fügte er hinzu.

„Und wenn meine Antwort nicht positiv ausfiele, was täten sie dann?“, musste Kathy einfach fragen.

Henry schluckte sichtbar. „Nun, das ist ihr gutes Recht. Ich würde mich zurückziehen und hoffentlich wie ein Gentleman verhalten.“ Er verstummte, schien aber noch etwas im Kopf zu haben.

„Und ihr Stolz wäre verletzt.“

Ein trauriges Lächeln von ihm war ein Teil seiner Antwort. „Nein, nicht mein Stolz, sondern meine Gefühle. Doch sollte sie das nicht in ihrer Entscheidung beeinträchtigen. Entscheiden sie, was sie für sich als richtig empfinden. Ich bleibe noch ein paar Tage. Sie haben Zeit für ihre Antwort.“

Kathy seufzte. „Danke,… ich, das alles ist gerade ein bisschen viel auf einmal.“

„Dann kommen sie, erklären wir ihren Eltern, was auf Northernwell Abbey vorgefallen ist.“

Kathy verließ mit Henry die gute Stube. Den Rest des Tages verbrachten sie mit ihrer Familie. Dabei nutzte sie die Gelegenheit Henry zu beobachten, wie er ihren Eltern seine Erklärung abgab und, wie er mit ihren jüngeren Geschwistern umging.

Wie vorgeschlagen, nahm sie sich Zeit ihre Gefühle zu ergründen. Nach längeren Gesprächen mit ihrer Mutter, gestand sie sich ein, dass sie Henry liebte. Er strahlte und wirbelte sie herum als sie ihm sagte, dass sie es mit ihm versuchen wollte.

Nach dem sowohl ihre als auch seine Eltern ihre Zustimmung gegeben hatten, verlobten sie sich auf Northernwell Abbey im Kreise ihrer Familien.

Bei ihren Aussagen gegen Isabella und John Thorne stand ihr Henry zur Seite. Der Vergessenszauber auf John erwies sich als dauerhaft, dennoch wurde er wie seine Schwester wegen der Nutzung schwarzer Magie verurteilt. Isabella verlor für fünf Jahre ihre magischen Fähigkeiten und musste für zwei Jahre ins Zuchthaus. John kam für den Rest seines Lebens in eine geschlossene Pflegeeinrichtung.

Kathy und Henry lernten einander besser kennen, begannen die Zeitschrift zusammen herauszugeben und den Buchladen zusammen zu führen. In Eleanors gelehrten Salon waren sie jederzeit gern gesehen Gäste. Und trotz gelegentlicher Meinungsverschiedenheiten, wie sie immer mal wieder vorkommen, stellte sich ihre Verbindung als Segen für sie beide heraus.


Nachwort zu diesem Kapitel:
* In Ahnlehnung an die Relationes Curiosae, die von 1683-1691 als eine der ersten „wissenschaftlichen“ Wochenzeitschriften in Hamburg erschien. Siehe dazu: Täglich neu! 400 Jahre Zeitungen in Bremen und Nordwestdeutschland, hrsg. Astrid Blohme, Holger Böning, 2005.

**Heiße Trinkschokolade wurde zuerst in Apotheken im 18.Jhd. als besonderes und teures Heilmittel verkauft, ehe es zu einem beliebten Getränk in Kaffeehäusern im Verlauf des 19Jhds. aufstieg. Siehe u.a. Wikipedia und: Kleine Kulturgeschichte der Gewürze. Ein Lexikon von Anis bis Zimt, Hansjörg Küster, 2.Auflg. 2003, S.95-96. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
* Henry Carr hielt 1880 einen Vortrag über Arsen in Farben vor der Society of Arts in London. Siehe: Das Geheimnis der Farben. Eine Kulturgeschichte, Victoria Finlay, 3.Auflg. 2005, S. 300-301.

** Eine erste Fassung der Krabat-Sage wurde zum ersten Mal, um 1848 aufgeschrieben. Es wird vermutet, dass es sich um eine Neuerfindung handelte. Siehe Wikipedea. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
* Erste Hilfe war tatsächlich nichts, was sich in Erziehungsbücher des 19. Jhds. für junge Damen als Unterrichtsfach finden ließ. Dafür solche Sachen wie Singen, Tanzen, Klavierspielen, Schönschrift, Französisch, Haushaltsführung, Grundrechenarten und ähnliches. Zwei Beispiele für Erziehungsbücher im deutschsprachigen Raum wären: Erziehung und Unterricht des weiblichen Geschlechts, Betty Gleim, Leibzig, 1810 oder Väterlicher Rath an meine Töchter, Joachim Heinrich Campe, Braunschweig, 1796. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
* Caroline Herschel (1750-1848) und Wilhelm Herschel (1738-1822) arbeiteten bis zu Wilhelms Tod zusammen bei ihren Sternenbeobachtungen. Carolines Anteil an Wilhelms Arbeiten sind nicht eindeutig zu erkennen. Zusammen entdeckten sie unter anderem den Planeten Uranus. Wilhelm brachte es bis zum königlichen Hofastronom in England. Nach seinem Tod setzte Caroline ihre Sternenbeobachtungen fort, sie entdeckt mehrere Kometen. Sie berechnete Zonenkataloge für hunderte Sternenhaufen und Nebel. Im Alter von 96 Jahren erhielt sie die Goldmedaille der preußischen Akademie der Wissenschaften. Quellen: Wikipedia und eine Broschüre des Ministeriums für Politische Bildung über Frauen in Naturwissenschaft und Technik. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
*Zum Kochen des Kaffees wird hier der Vorläufer des Esspressokanne der sogenannte Napoletaner eine schraubbare Kippkanne verwendet. Siehe Napoletaner, wikipedia. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Wie versprochen kommt hier die Liste der Anspielungen, sofern sie nicht schon in den Fußnoten erwähnt wurden.

-„Spiegel und Schatten“ den Titel habe ich mir in Anlehung an die Buchreihe von Tanya Huff „Rauch und Schatten“, „Rauch und Spiegel“, sowie „Rauch und Asche“ ausgedacht, einfach weil mir die Reine gut gefällt.
-„Der verwunschene Jahrmarkt“ geht auf die Idee eines Zirkus oder Jahrmarkts zusammen, der auf magische Weise für nur eine Nacht erscheint und am nächsten Tag spurlos verschwunden ist. Es ist ein Fantasytrope, der öfters mal Verwendung findet, z.b. in einer Kurzgeschichte von Neil Gaiman, in einer Episode von Torchwood und in einer ganzen Menge anderer Geshichten und Romane. Ach ja, und ein wenig habe ich mich hierbei an Titeln der Autorin Edith Nesbitt orientiert die da lauten: „Die verzauberte Stadt“, „Der verzauberte Garten“, „Das verzauberte Schloss“.
-Truhe aus Terry Pratchetts Scheibenwelt, Rincewince Gepäckstück, dass aus intelligentem Birnbaumholz besteht, ihm überallhin folgt (selbst in andere Dimensionen), alles und jeden in ihren Tiefen verschluckt, wenn es Rincewind bedroht und auf vielen tausend Beinchen unterwegs ist und wenn Rincewind hineinguckt nur frische Unterwäsche enthält. Auf die Anspielung hat mich Larvae gebracht.
-„Mephistopheles Wette oder die Verführung des Doktor Faustus“ Goethes Faust, obwohl die Faust Sage älter ist als Goethes Theaterstück, aber in Goethes Text taucht zum erstenmal die Idee der Wette zwischen Mephistopheles und Gott auf, soweit mir bekannt.
-„Circe“ eine Anspielung an die Zauberin der griechischen Sagen, die Männer verhext und verführt, wobei sie nicht die einzige Hexe in antiken Texten ist die das tut, es gibt noch andere, die ihre Geliebten danach auch gerne töten. Aber Circe ist die Bekannteste. Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (3)

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Von:  _Natsumi_Ann_
2020-08-30T13:49:05+00:00 30.08.2020 15:49
Hallo,

ich werde diese FF noch genauer unter die Lupe nehmen ^^ Ich hatte es nur wieder vergessen, ich liebe Jane Austen und schade, dass das Fandom nicht so populär ist :/

Bin sehr gespannt was die Hexen Variante so mit sich bringt ;)

Magst du all ihre Werke bzw hast du alle gelesen oder geguckt?

Lieben Gruß!!!
Natsu
Antwort von:  Salix
30.08.2020 20:50
Hallo _Natsumi_Ann_,

vielen Dank für deinen Kommentar.
Ich hoffe das dir meine Geschichte gefällt. Das es eine Hexen Variante ist, lag an einer Sponatanidee von mir, die sich dann verselbstständigt hat.

Ich habe von Jane Austen bis jetzt nur "Northanger Abbey" und "Stolz und Vorurteil" gelesen und von Letztem eine verflmung gesehen. In "Sinn und Sinnlichkeit" bin ich stecken geblieben, habe aber noch vor es mal durchzulesen. Ich mag an Jane Austen, dass sie gewitzt ist und ihre Art der Beschreibungen. An "Northanger Abbey" gefällt mir besonders, dass sie sich innerhalb des Buches über bestimmte Arten von Büchern und bestimmte Arten von Leser lustig macht, ohne auf diese herabzusehen.

Lieben Gruß.
Antwort von:  _Natsumi_Ann_
31.08.2020 19:19
Das stimmt, Jane Austen kann sich auch köstlich über die Gesellschaft lustig machen.
Ich empfehle dir alle Verfilumgen und Bücher - wobei ich ich Hörbücher höre meistens. Vielleicht probierst du das mal aus ;) Sinn und Sinnlichkeiten der Film ist eigentlich ziemlich beliebt.

Ich habe aber auch Mansfeldspark, Verführung und Nothanger Abby gesehen, die Filme sind so von 2006/2007. Stolz und Vorurteil wie Emma haben ja unzählige Verfilmungen, aber die meisten amüsieren mich. Musst du dringend nachholen ;) Welchen Stolz und Vorurteil Film hast du gesehen?
Von:  Idris
2019-02-24T10:41:17+00:00 24.02.2019 11:41
Vielen Dank nochmal für die tolle, epische lange Geschichte! *_*
Die Stimmung, die Charas und die Idee Jane Austen und Magie zu vermischen waren alles ganz großartig!
Kathy ist wirklich eine unheimlich sympathische Heldin! <33

Vielen Dank!
LG, Idris


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