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Northernwell Abbey

von

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Der Wandelgarten

Da sie nun schon einige Zeit in Northernwell Abbey weilte, war Kathy der Lesestoff ausgegangen. Leider hatte sie vergessen bei dem Besuch von Henrys Buchhandlung neue Bücher zu erwerben. So musste sie auf Eleanors Angebot zurückgreifen sich ein Buch aus der Bibliothek der Familie Tally auszuleihen.

Mit ein paar Einschränkungen stand diese umfangreiche Büchersammlung den Gästen zur Verfügung. Eleanor hatte Kathy genau erklärt, welche Bereiche sie nicht betreten durfte, sie konnte sie jedoch nicht begleiten, weil sie die Rückkehr ihres Vaters vorbereiten musste, die für den Abend erwartet wurde. Und Henry war an diesem Nachmittag bei seiner Mutter.

Von Neugier durchdrungen betrat Kathy die Bibliothek, trotz des leicht mulmigen Gefühls etwas halbwegs Verbotenes zu tun.

Der große Raum wurde durch hohe Spitzbogenfenster erhellt. Bücherregale reichten bis zur getäfelten Decke und befanden sich nicht nur an den Wänden, sondern auch im Raum verteilt. Allerdings waren die frei im Raum stehenden Regale, welche labyrinthartige Gänge bildeten, nicht deckenhoch. Zum Teil waren an den Regalen Lampen und Leitern angebracht. Staunend schritt Kathy zwischen den Büchern umher. Hatte sie gedacht Henry hätte in seinem Laden viele Bücher, so wurde der hier übertroffen. Allein die Menge an Büchern führte ihr den Reichtum der Familie deutlich vor Augen. Sacht strich sie über einige Buchrücken. Sie konnte sich vorstellen Stunden in diesem Raum zu verbringen. Allerdings war das gar nicht vorgesehen.

Eleanor hatte ihr versichert, eine Ausgabe von „Mephistopheles Wette oder die Verführung des Doktor Faustus“ befände sich in der Bibliothek und sie dürfe sie gerne ausleihen.

Kathy merkte recht schnell, dass die Bücher in Themenbereiche eingeteilt waren, aber wo sie Romane finden konnte, war ihr schleierhaft. Auf der Suche nach dem Buch drang sie immer tiefer in den Raum vor und registrierte nur am Rande, dass sie in einen Regalgang einbog, der zuvor mit einer Kordel abgesperrt gewesen war, die nun nur an einem Ständer hing.

Als sie aus dem Gang heraustrat, dachte sie zuerst, sie wäre wieder im Eingangsbereich angelangt, weil auch hier durch hohe Spitzbogenfenster Licht auf Lesetische fiel. Doch war das Licht gedämpfter und die Tür, welche hinausführte, befand sich an einer anderen Stelle und war wesentlich schmaler auf die, durch die sie hereingekommen war. Aber es war ein Ausgang und Kathy, die inzwischen zu dem Schluss gekommen war, dass das Buch nicht alleine finden würde, beschloss sie zu nehmen. Die Klinke war wie ein gerolltes Farnblatt geformt. Sie drückte sie, trat hindurch und schnappte nach Luft.

Sie befand sich nicht mehr im Inneren des Hauses, sondern in einem herrlichen Garten. Von der Tür führte ein gewundener Steinpfad tiefer in den Garten, vorbei an Beeten mit Heil- und Duftpflanzen.

Unwillkürlich folgte sie dem Pfad, es fühlte sich einfach richtig an, obwohl sie sich bewusst war, dass sie in den verbotenen Teil des Anwesens, den Wandelgarten eindrang. Sie sollte umkehren, aber etwas zog sie an, wie eine Motte das Licht.

Der Weg durch den Garten erschien ihr länger, als es möglich sein sollte, wenn sie die Größe des umgebenden Gebäudes bedachte.

Hinter zwei großen Wachholderbüschen tat sich eine Lichtung auf. Die Mitte der Lichtung bestand aus einer runden Quelle, die von moosbewachsenen Steinen gesäumt war. Das Wasser plätscherte an einer niedrigeren Stelle über den Rand und floss als Bächlein davon, das sich in der Weite des Gartens verlor.

Neben der Quelle stand ein gedeckter Tisch mit zwei Stühlen. An ihm saßen Henry und eine Kathy unbekannte Frau, aus deren großer Ähnlichkeit mit Henry schloss Kathy, dass es sich um seine Mutter handelte. Henry saß mit den Rücken zum Weg.

„Ich fürchte, du hast vergessen die Absperrung hinter dir zu schließen“, merkte die Frau mit warmer melodischer Stimme an.

„Wovon..“ Henry wandte sich um und entdeckte Kathy. „Oh je, ich kümmer mich…“

„Bring sie ruhig her.“

„Das wird Vater missfallen.“

Sie lächelte ihn strahlend an. „Aber ich möchte sie gerne kennenlernen.“

Henry seufzte hörbar als er sich erhob und auf Kathy zuging, um sie zum Tisch zu führen. „Mutter darf ich dir Miss Kate Morgan vorstellen, sie hat sich in Bath mit Eleanor und mir angefreundet und unsere Einladung freundicherweise angenommen.“

Kathy knickste höflich, wobei sie spürte, dass ihre Wangen brannten. Sie hätte doch gleich umkehren sollen als sie ihren Fehler bemerkt hatte!

„Miss Morgan, darf ich ihnen Mrs. Leandra Tally, meine Mutter, vorstellen?“

„Gerne.“, wisperte Kathy.

„Sehr erfreut, Miss Morgan. Setzen sie sich bitte, wo sie schon einmal hier sind“, lud Mrs. Tally sie ein.

Zaghaft nahm Kathy auf dem Stuhl Platz, auf dem zuvor Henry gesessen hatte, der stehen blieb.

Henrys Mutter wirkte elegant. Ihr dunkles Haar war von silbrigen Strähnen durchzogen und ihre hellen, blau-grünen Augen schienen bis tief in Kathys Herz zu blicken. Sie trug ein schlichtes dunkelblaues Hauskleid und einen türkisen Seidenschal um den Hals. Ihr haftete etwas Exotisches an, was Kathy schwer benennen konnte.

Erst als Mrs. Tally ihre Teetasse aufnahm, bemerkte Kathy, was es war. Zwischen Mrs. Tallys Fingern schimmerten zarte Schwimmhäute. Entgegen Kathys Erwartung war Mrs. Tally weder eine Hexe noch eine Zauberin, sondern eine Wassernymphe.

„Henry, sei so gut und besorg unserem Gast ein Glas Wasser“, bat sie ihren Sohn.

Kathe konnte sehen, dass Henry sie nur ungern mit seiner Mutter alleine ließ. Ihr fiel außerdem auf, dass Mrs. Tally in der Tat völlig gesund wirkte. Eventuell war sie ein wenig gebräunter als es der Mode entsprach.

Unter ihrem klaren Blick fühlte Kathy sich klein. Sie spürte, wie sie zu schwitzen begann. Sollte sie es doch besser wissen als Anweisungen in einem Hexenhaushalt zu missachten.

Henry kam mit einem leeren Glas zurück, das er in der Quelle füllte und vor sie stellte, ehe er wieder neben ihr stehen blieb.

„Es tut mir Leid die Regeln missachtet zu haben!“, sprudelte es aus Kathy hervor.

„Davon gehe ich aus“, Mrs. Tally lächelte Kathy freundlich an, „Trinken sie etwas, sie sehen durstig aus. Das Wasser hat eine belebende und heilende Wirkung.“

Kathy kam der Aufforderung nach, ehe sie fortfuhr: „Wirklich, sie müssen mir glauben, Ich war auf der Suche nach einem Roman und verirrte mich in der Bibliothek, so kam ich in den Garten. Ich hätte umkehren sollen, aber es war zu verlocken, fast als zöge mich etwas hierher.“

„Ich glaube dir. Dieser Ort wird aus guten Gründen geschützt, aus den gleichen Gründen, aus dem Menschen hier immer mal wieder herein stolpern.“ Mrs. Tally musterte Kathy. „Ja, so sehen sie schon besser aus. Bleibt die Frage, was erzählen wir meinem lieben William?“

„Die Wahrheit“, sagte Henry schlicht, „Etwas anderes wird Miss Tally die nächsten Stunden eh nur tun können.“

„Wie meinen sie das?“, wunderte Kathy sich.

„Das Wasser der Quelle heilt, aber es hat die lästige Nebenwirkung, dass man danach drei Stunden nur die Wahrheit sagen kann“, klärte Mrs. Tally sie mit einem nur minimal boshaften Lächeln auf.

Kathy sah von ihr zu ihrem Glas. Ein wenig erzürnte es sie, dass sie nicht vorgewarnt worden war, doch Mrs. Tally hatte sicherlich Gründe für ihre Vorsicht, immerhin war eine Heilquelle sehr wertvoll.

„Ich wollte eh zugegeben, was geschehen ist“, teilte Kathy mit, auch wenn sie sich vor den Folgen fürchtete.

„William wird verstehen, warum es dich herzog, aber ich fürchte er wird wütend sein.“

„Es war mein Fehler, also nehme ich die Folgen in Kauf.“

„ich mag sie“, stellte Mrs. Tally an Henry gewandt fest. „Gut, du wirst es meinem Ehemann mitteilen, auch wenn es zur Folge haben kann, dass du abreisen musst?“

„Ja, selbstverständlich.“, blieb Kathy bei ihrem Entschluss.

„Dann finde ich es nur fair, wenn ich dir erkläre, warum mein Mann so streng darin ist, zu kontrollieren, wer Zugang zu mir erhält. Vor einigen Jahren, als meine Kinder noch klein waren, versuchte ein Schwarzkünstler die Macht über diese Quelle zu erlangen. Mein Mann war zu der Zeit auf Reisen. Es gelang mir den Schwarzkünstler abzuwehren, doch er verfluchte mich dafür. Seit diesem Tag bin ich an diesen Teil des Hauses gebunden, bis wir einen Gegenzauber gefunden haben oder die Regeln des Fluchs erfüllt sind, die ihn lösen.“

„Gibt es etwas, wie ich helfen kann?“, wollte Kathy unwillkürlich wissen.

Mrs. Tally schüttelte den Kopf. „Das ist ein liebes Angebot, aber nein, oder kennen sie einen potenten Vergessens Zauber und wissen, wer die Nachkommen des Schwarzkünstlers sind? Ich glaube nicht. Erst, wenn sein Erbe seinen Machthunger vergisst, komme ich frei.“

„Leider nein.“

„Sehen sie. Gehen sie nun mit Henry. Es freut mich sie getroffen zu haben und es tut mir leid, sollte mein William übermäßig harsch reagieren. Er leide noch mehr als ich unter meiner Gefangenschaft in diesem Garten und ein paar angrenzenden Räumen.“

„Ich verstehe. Vielen Dank.“

Henry hielt ihr den Arm hin und eskortierte sie aus dem Wandelgarten, durch die Bibliothek bis zur Eingangshalle, wo eben Hexenmeister Tally, mit einem neuen Gast im Schlepptau eintrat. Doch Kathy hatte keine Zeit, den neuen Gast genauer in Augenschein zu nehmen, sie sah nur, dass es ein hochgewachsener Gentleman war, ehe der Hexenmeister ihre ganze Aufmerksamkeit beanspruchte. Die Augen des Hexenmeisters sprühten Funken. „Wer hat den Alarm ausgelöst?“, fauchte er Henry an.

Ehe Henry antworten konnte, räusperte Kathy sich. Alle Augen richteten sich auf sie und wieder fühlte sie sich klein. „Es tut mir sehr leid. Ich schätze das war ich, als ich aus Versehen in den Wandelgarten geraten bin.“, brachte sie hervor.

„Spricht sie die Wahrheit?“, forderte Hexenmeister Tally eine Antwort von Henry, mit dem er einen bedeutungsvollen Blick tuschte, den Kathy zwar bemerkte, jedoch nicht deuten konnte.

„Das tut sie.“

„Wie geht es Leandra?“

„Es hat Mutter amüsiert.“

„Verstehe. Dennoch, dieses Verhalten ist inakzeptabel, ich muss sie auffordern dieses Haus Morgen früh mit der ersten Postkutsche zu verlassen, Miss Morgan!“

Kathy starrte ihn groß an. Sie verstand, dass es ein großer Fehler gewesen war, den sie gemacht hatte, jetzt, wo sie den Grund für Mrs. Tallys Zurückgezogenheit kannte. Sie hatte trotzdem nicht erwartet wirklich des Hauses verwiesen zu werden, besonders, weil Mrs. Tally angedeutet hatte, dass die Quelle öfters Leute anzog. Hinzu kam, dass sie sich eingebildet hatte, dass Henrys Vater sie zumindest ein wenig gemocht hatte und er ihr bisher als gerecht erschienen war.

„Morgen, mit der ersten Postkutsche! Ich werde Elanor entsprechende Anweisungen erteilen. Sie packen jetzt besser, Miss Morgen!“ Riss er sie aus ihren Gedanken und rauschte an ihr vorbei, gefolgt von dem neuen Gast.

Trübselig trottete Kathy auf ihr Zimmer. Henrys mitfühlender Blick brannte in ihrem Rücken. Auf dem Zimmer begann sie, wie befohlen, zu packen. So hatte sie sich das Ende ihres Besuchs nicht vorgestellt.

Während sie dabei war ihre Kleider zusammenzulegen, kam Eleanor ins Zimmer gestürmt.

„Es tut mir so leid! Normalerweise ist Vater in der Hinsicht weniger streng.“

Kathy lächelte schmal. „Ich kannte die Regeln des Hauses, ich hätte mich daran halten sollen“, murmelte sie.

„Ja, aber das ist es gerade! Wenn jemand sich wirklich aus Versehen zu Mutter verirrt, reicht Vater das sonst als Grund, wegen der Quelle und ihrer Kraft“, protestierte Eleanor.

„ist es denn schon mal eine Hexe oder ein Zauberer gewesen?“

Eleanor überlegte einen Moment. „Nicht das ich wüsste, aber…“

„Dann wird es das sein. Die anderen waren keine potentielle Gefahr.“

„Aber sie sin doch keine Gefahr! Sie sind die am wenigsten machthungrige Hexe, die ich keine. Ihr Machthunger geht gegen Null!“, widersprach Eleanor.

„Es ist jetzt eben so.“ Kathy legte ein Abendkleid in den Koffer.

„Haben sie eigentlich genug Geld für die Postkutsche?“, fragte Eleanor unvermittelt.

„Äh…“ Kathy sah nach und erschrak. „Nein.“

„Dann lassen sie mich ihnen wenigstens das Fahrtgeld geben, wenn Vater sie so ungerecht fortschickt!“

„Nur geliehen. Ich zahle es zurück!“

„Wenn sie darauf bestehen.“

„Ja, das tue ich.“

„In Ordnung.“

Der letzte Abend verlief in ungemütlichem, peinlichem Schweigen, welchem sich, nach ein paar Versuchen ein Gespräch anzuregen, auch die Herschels anschlossen. Hexenmeister Tally, nahm nicht an diesem Essen teil, sondern speiste mit seinem neuen Gast und seiner Frau in deren Räumen.

Früh am nächsten Morgen brachte Eleanor Kathy zur Postkutsche, das Fahrtgeld hatte sie ihr zuvor auf dem Zimmer gegeben. Henry blieb dem Abschied fern, weil sein Vater ihn gleich nach dem Frühstück zu sich bestellt hatte. Doch auch er hatte Kathy noch einmal versichert, wie leid ihm die Entscheidung seines Vaters tue.

Kurz vor Abfahrt der Kutsche umarmte Eleanor Kathy fest und versprach mit ihr über Briefe Kontakt zu halten.

Obwohl unsere schmählich, rausgeworfenen Heldin noch nie eine solch lange Reise alleine unternommen hatte, kam sie erstaunlich gut zurecht.

Zuhause angekommen, wunderte sich ihre Mutter über ihre plötzliche, unangekündigte Ankunft. Kathys Eltern ließen sich von ihr erzählen, was passiert war und ihr Vater beschloss Hexenmeister Tally einen Brief zu schreiben, in dem er darlegte, was er von so einem verhalten hielt.

Doch alles in allem, waren sie hauptsächlich froh, dass Kathy die Fahrt heil überstanden hatte und sich darin einig, dass dies eine ungewöhnliche und lehrreiche Reise für ihre Tochter gewesen sei.

Erst am Abend als sie begann ihre Kleider auszupacken entdeckte Kathy, dass Eleanor ihr „Mephistopheles Wette oder die Verführung des Doktor Faustus“ mit einer kleinen Notiz in den Koffer geschmuggelt hatte. „Viel Spaß beim Lesen. Schicken sie es mir einfach mit der Post zurück, wenn sie es durch haben. E.“, stand auf dem Zettel. Auch die neueste Ausgabe der „Curiosae“ befand sich in ihrem Koffer, mit einer ähnlichen Notiz von Henry.

Wie auch immer Hexenmeister Tally zu ihr stehen mochte, die Eleanor und Henry schienen entschlossen, die erblühte Freundschaft aufrechterhalten zu wollen.



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