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Bittersweet Caramel

von

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„Ich kann mich darum kümmern“, sagte eine überraschend schöne Stimme an der Tür und hätte mein Bein nicht so sehr wehgetan, hätte ich mich wohl erschreckt. So stöhnte ich nur etwas gequält und drehte den Kopf in seine Richtung. Der Mann, der dort stand, war kaum zu erkennen, tief in einen Mantel gehüllt, den Kragen aufgestellt, den Hut tief in die Stirn gezogen, ja sogar die Hände in dicken Handschuhen verborgen. Man hätte denken können, dass es dort vor der Tür tiefster Winter war und nicht ein so sonniger Frühlingstag. Sein Gesicht war unter der Hutkrempe nicht zu erkennen, aber ich war mir sicher, dass ich ihn nicht kannte. Mein Vater scheinbar ebenso wenig. „Wer sind Sie? Was wollen Sie?“
 

„Ich bin Arzt.“ Mein Vater blieb skeptisch, aber ich achtete nur auf diese überraschend klare Stimme, die wie sanfte Windböen über meine Ohren tanzte. Er zog sich elegant die Handschuhe von den Fingern. Seine Haut war wunderbar weiß.
 

Dann nahm er den Hut ab und meine Augen wurden ein wenig größer. Dieser Mann wollte ein Arzt sein? Das war unmöglich! Es sah so völlig falsch aus, jemanden wie ihn in unserem Haus stehen zu sehen. Er sah aus als gehörte er auf die Bälle der Adligen, in die riesigen Säle, an die Höfe der Großen und Reichen, nicht auf einen Bauernhof, nicht in eine Arztpraxis. Das blonde Haar war wie Gold, der Hut hatte scheinbar keinen Effekt darauf gehabt und seine Augen leuchteten auf eine so aufrichtige Art und Weise aus diesem perfekten Gesicht, das wie aus Marmor geschlagen aussah.
 

Er kam eindeutig nicht von hier, aber sollte er wirklich ein Arzt sein? Genau jetzt, als ich mir das Bein gebrochen hatte und Dr. Creed außerhalb der Stadt war? Das war doch unmöglich. Vielleicht hatte ich mir bei dem Sturz doch mehr getan als nur mein Bein gebrochen.
 

„Mein Name ist Carlisle Cullen, ich bin gerade erst in die Stadt gekommen.“ Seine Stimme war so süß. Ich musste immer wieder an Karamell denken, goldenes Karamell, so wie wir es als Kinder von den Adligen bekommen hatten, wenn sie ihren Großmut vor den Weihnachtsfeiertagen öffentlich demonstrieren wollten.
 

Der Mann, der in meinen Augen viel zu jung für einen Arzt war, legte nun auch seine Jacke ab und griff seine Tasche, die tatsächlich der eines Doktors glich. Dann kniete er bereits vor dem Sofa, berührte mich aber nicht, bis mein Vater ihm die Erlaubnis gab.
 

Mein Herz klopfte lauter in meiner Brust und ich war froh, dass das niemand hören konnte, denn sonst hätte mich wohl die Schamröte gepackt. Ich wollte, dass er mein Bein berührte und das war ein völlig unangemessener Gedanke. Dennoch zogen meine Finger, die ich in den hellbraunen Stoff gekrallt hatte, den Rock ein kleines Stück nach oben. Ich trug keine Strümpfe mehr und so entblößte ich ihm gerade meinen nackten Knöchel, der allerdings deutlich angeschwollen war und nicht sonderlich hübsch anzusehen. Zum Glück konnte ich dieses Handeln auch auf den Schmerz schieben, sollte es denn jemandem auffallen.
 

„Wir haben nicht viel Geld, also wenn sie darauf aus sind.“ Mein Herz sackte mir in die Hose, als mein Vater ihm derartig unhöflich unterstellte auf uns ausnehmen zu wollen. Vermutlich hatte er Recht und das alles hatte einen großen Haken, aber er hätte es auch anders ausdrücken können, da war ich mir sicher.
 

„Sie müssen mich nicht bezahlen. Ich habe auf dem Weg in die Stadt nur durch Zufall von dem Sturz ihrer Tochter erfahren und mitbekommen, dass kein Arzt vor Ort ist, um sie zu behandeln. Ich wollte meine Hilfe anbieten. Es wäre doch eine Schande, wenn sie so jungem Alter bleibende Schäden davonträgt, weil niemand den Bruch richtet.“
 

Mein Vater runzelte die Stirn, aber er hatte einem geschenkten Maul noch nie ins... naja. Dann gab er ihm, wenn auch immer noch zögerlich und misstrauisch, zu verstehen, dass er Hand an mich legen dürfte.
 

Er lächelte mich an, scheinbar um auch mich noch einmal um Erlaubnis zu fragen. Ich nickte überrascht und versuchte dann still zu halten, damit er sich mein Bein ansehen konnte. Ich war auf Schmerz gefasst, doch seine Hände waren nur eiskalt auf meiner nackten Haut. Es tat nicht weh. Seine Berührungen waren so vorsichtig, dass ich kaum etwas spürte, obwohl bis eben jeder Windhauch wehgetan hatte. Vielleicht half die Kälte auch etwas dabei den Schmerz zu lindern, ich wusste es nicht. Oder es war einfach sein Gesicht, das mich so fesselte.
 

„Wie heißen Sie?“ Er wirkte so konzentriert und trotzdem war seine Stimme scheinbar unbekümmert von seiner Arbeit, ja, er hob sogar den Blick und sah mich an, als er das fragte, unbekümmert, höflich und so klar wie Kristall.
 

„E...esme, Anne, ich meine-“ Ich wurde rot. Meine Eltern nannten mich immer Anne, aber ich fand Esme war viel schöner. „Esme Anne.“ Ich versuchte mein Auftreten noch irgendwie zu retten. „Vielen Dank, dass Sie sich meiner annehmen. Das ist sehr großzügig von ihnen.“
 

Er zeigte keine Reaktion auf mein Stammeln, sondern blickte wieder auf seine Hände an meiner Wade, wo er nun scheinbar etwas entdeckt hatte. Ich beobachtete, wie er die Stirn runzelte und mich dann noch einmal ansah. „Ich muss Sie bitten, jetzt einmal fest die Zähne zusammenzubeißen. Es wird einen Moment sehr wehtun, aber danach kann ich ihr Bein schienen und dann sollte es aufhören zu schmerzen.“ Ich schluckte, dann nickte ich. Meine Gesichtszüge waren nicht so fest, wie ich sie gerne gehabt hätte, aber ich krallte eine Hand in die Sofalehne und biss wie er gesagt hatte die Zähne zusammen, um ihn seine Arbeit machen zu lassen.
 

Es knackte. Ich schrie auf.
 

Ich war darauf vorbereitet gewesen, dass es wehtat, aber das hatte nicht ausgereicht. Vor meinen Augen tauchte der Raum nur langsam wieder aus einem weißen Nebel des Schmerzes auf.
 

Mein Bein fühlte sich taub an, aber da war kein Schmerz mehr, auch nicht, als meine Gefühle langsam zurückkehrten.
 

Er wartete, bis ich mich beruhigt hatte, bewegte sich nicht, sondern sah mich einfach entschuldigend an. „Geht es wieder?“ Hatte er damit gerechnet, dass ich schreien würde? Er schien sich nicht einmal erschreckt zu haben. Sein Griff war die ganze Zeit unausweichlich und präzise gewesen, da war ich mir sicher, denn jetzt saßen die Knochenhälften wieder glatt auf einander, zumindest glaubte ich, dass es so war, ohne dass ich irgendetwas davon verstand.
 

Ich nickte und blinzelte möglichst unauffällig die Tränen weg, die mir noch immer in den Augen standen. Es ging mir wirklich wieder besser, sehr viel besser, zumindest wenn ich nicht daran dachte, was gewesen wäre, wenn niemand den Bruch gerichtet hätte, bevor er wieder verheilt wäre.
 

„Gut“, sagte er sanft und griff dann nach seiner Tasche. „Ich würde es gerne mit Gips fixieren, aber das sollten wir besser nicht auf dem Sofa tun.“ Er stand auf und legte einen Arm um meine Schultern, dieses Mal ohne weitere Erlaubnis, mich zu berühren, einzuholen. Einen Moment lang sah ich aus dem Augenwinkel noch, dass mein Vater widersprechen wollte, doch dann stand ich plötzlich schon. Ich gab einen überraschten Laut von mir, weil ich ihm so eine Kraft niemals zugetraut hätte, doch auch als er mich bewegte, natürlich nur auf einem Bein in Richtung Veranda, schien er mich beinahe zu tragen, und auch meinem Vater blieb jetzt die Stimme weg.
 

Wir erreichten die Tür in kürzester Zeit und ohne Zeichen der Anspannung auf seinen perfekten Zügen.
 

Er setzte mich im Schatten des Vordachs ab und ich sah ihn immer noch nur überrascht an ohne ein Wort zu sagen, während er die weiße Masse vorbereitete. Er lächelte mich an. Scheinbar hatte er bemerkt, dass ich ihn beobachtete. Ich senkte verlegen den Blick, aber er brach die Stille, bevor sie unangenehm werden konnte. „Es war ein schöner Tag, um ihn draußen zu verbringen, nicht wahr? Zu schade, dass er so für Sie geendet hat.“
 

Ich stimmte zu, vielleicht ein wenig wortkarg, aber auf eine gewisse Weise fürchtete ich mich nur, mich oder meine Familie weiter zu blamieren, und er schien sich nicht daran zu stören. „Darf ich fragen, was geschehen ist?“
 

Ich blieb weiterhin verlegen und zögerte noch, bevor ich ihm antwortete. "Ich bin gestürzt… von einem Baum." Das hätte ich wohl nicht sagen sollen, denn immerhin sollten junge Frauen wie ich eine war nicht auf Bäumen herumklettern aber etwas in seiner... Art, machte es mir unmöglich zu lügen.
 

„Wie alt sind Sie?“ Es war kein Plauderton, den er angeschlagen hatte, ja, bei ihm schien jede Frage eine wohl bemessene Wichtigkeit zu besitzen, auch wenn ich sie nicht verstand.
 

„16.“ Seltsamer Weise schienen seine Fragen unter einander überhaupt keine Verbindung zu besitzen.
 

„Vorsicht, das könnte jetzt kalt werden.“ Er hob das erste Stück Leinen aus der Schale und wrang es aus. Dann legte er es auf meine entblößte Haut. Es war kalt, aber neben seinen Händen fiel mir das kaum auf. Seltsam, wo er doch Handschuhe getragen hatte, fiel mir dann auf. Wohlmöglich litt er an einer Art Blutarmut? Ich hatte gehört, dass das in adligen Kreisen manchmal der Fall war, wenn sie so blass waren wie der Doktor hier vor mir. Aber eigentlich wirkte er zu gesund dafür und er war so kräftig gewesen, als er mich hochgehoben hatte. Nicht dass ich besonders groß oder schwer war, aber es schien einfach nicht recht zusammenzupassen.
 

Während ich so meinen Gedanken nachhing, hatte er mein Bein schon beinahe zur Hälfte mit den Gipsbinden umhüllt. Ich hatte ihn die ganze Zeit beobachtet und bevor ich mir auf die Zunge beißen konnte, hatte ich ihn bereits nach seinem Alter gefragt.
 

Er lächelte wieder zu mir auf. „24.“ Also war er wirklich so jung, nun, obwohl er eigentlich beinahe noch jünger aussah. Trotzdem war das sehr jung für einen Arzt!
 

„Sind Sie... verheiratet?“ Zu spät fiel mir auf, wie falsch meine Worte klangen und ich senkte verlegen meine Augen. Hoffentlich hatte mein Vater das nicht gehört. Ich suchte nach einem Weg meinen Fauxpas wieder zu richten, denn wenn ich nicht schon furchtbar aufdringlich gewirkt hatte, dann war ich zumindest unhöflich gewesen.
 

Doch seine Stimme war unberührt sanft. „Nein, bin ich nicht. Meine Art zu leben, würde ich auch keiner Frau zumuten wollen. Ich bleibe nie sehr lange an einem Ort. Man könnte sagen, ich bin ein wandernder Arzt.“
 

„Oh, das ist schade.“ Das Blut brannte wieder auf meinen Wangen. Ich benahm mich doch sonst nicht so... kindisch. Natürlich wollte ich irgendwann heiraten, aber gerade klang ich so aufdringlich, wie meine Mutter manchmal, wenn es um dieses Thema ging. Und ich kannte ihn ja auch gar nicht. Ich wollte ihn nicht heiraten oder sowas. Er war nur so... faszinierend. „Ich meine, dass es nichts gibt, was Sie an einem Ort hält. Das muss sehr einsam sein.“ Ich redete mich nicht besonders gut aus meiner Misere heraus, aber ich fand einfach keine besseren Worte für das, was ich ihm gegenüber fühlte. Ich fragte mich, was wohl mit seiner Familie war, ob er wohlmöglich tatsächlich aus einer Adelsfamilie stammte und vor seinen Verpflichtungen davonlief oder wohlmöglich in Ungnade gefallen war. Vielleicht waren sie alle verstorben oder so etwas. Meine Fantasie ging mit mir durch und ich dachte an all die Bücher, die mein Vater immer wieder verärgert Schundliteratur nannte, wenn ich sie aus der Bibliothek mit nach Hause brachte. Abenteuerromane, Tragödien, Geschichten über die Dramen aus dem Leben der Schönen und Reichen.
 

Verlegen von meinen Worten senkte ich den Blick. Ich war nicht in der Position ihn oder irgendjemand anderen zu verurteilen, aber auch jetzt schien er es mir nicht im Geringsten übel zu nehmen.
 

„Manchmal“, stimmte er zu und der Anblick, den sein Gesicht mir jetzt von so nah bot, war so atemberaubend wie die Trauer in den matt braunen Augen schmerzhaft. Bei seinem Anblick zog sich etwas in meiner Magengegend zusammen. Diese Betrübnis schien so tief zu sitzen, dass mir die Worte fehlten, ihn zu trösten, ja, den Schmerz auch nur zu begreifen, den er in seinem Herzen trug. Dennoch lächelte er schon wieder, als ich ihn das nächste Mal ansah, und es war keine Spur von diesem kleinen Ausbruch mehr auf den feinen Zügen zu finden. „Aber ich bin nicht völlig allein.“
 

Wie aufs Stichwort erklangen Hufschläge auf dem Feldweg, der zu unserer Farm emporführte und ich blickte auf. Mir war gar nicht aufgefallen, dass die Sonne hinter finsteren Wolken verschwunden war. Ein Reiter kam auf uns zugeritten, ein zweites Pferd neben dem seinen herführend. Er stieg vor den Treppenstufen zu unserer Veranda geschmeidig ab und blickte dann sofort auf den Arzt vor mir. Er sagte kein Wort.
 

„Das ist Edward. Er ist mein Bruder und reist mit mir von Ort zu Ort.“ Er blickte zu dem Neuankömmling. „Du bist früh.“
 

Ich beobachtet, wie ein verwunderter, beinahe verwirrter Ausdruck auf Edwards Gesicht trat, dann schien er etwas zu bemerken, was ich nicht tat. Er nahm jedenfalls plötzlich seinen Hut ab und fuhr sich beinahe ein wenig fahrig durch die Haare. Sie sahen aus wie pures Kupfer und sein Gesicht verschlug mir noch einmal meine Stimme, wie zuvor das des Arztes auch. Es war ebenso schön, ebenso blass und doch ganz anders als das seines Bruders. Für einen Moment dachte ich, dass es nicht sein konnte. Zwei Brüder konnten nicht beide so schön sein und doch standen sie hier vor mir. Sie waren sich so ähnlich und doch hatten sie doch so wenig gemeinsam. Es war nicht nur ihre Haarfarbe, es war auch die Form ihres Kinns, die Breite ihrer Wangenknochen, ja sogar der Schwung ihrer Lippen war unterschiedlich. Aber als ich dem Reiter in die Augen sah, musste ich mir eingestehen, dass ich mich geirrt hatte, denn ihre Augen waren identisch und es gab keinen Grund an ihm zu zweifeln.
 

„Verzeihung. Das war sehr unhöflich von mir.“ Seine Augen wirkten unruhig und ich war mir sicher, dass seine Nasenflügel bebten.
 

„Du wirst nicht lange warten müssen, ich bin bereits fertig.“ Erst jetzt bemerkte ich, dass er unentwegt weitergearbeitet hatte und mein Bein nun vollständig in das feuchte Weiß gehüllt war. Es würde nur noch aushärten müssen. Überrascht sah ich auf. Er musste unglaublich schnell gearbeitet haben. Hatte er wohl möglich im Militär gedient und seine Erfahrungen auf dem Schlachtfeld gesammelt? Aber war er dafür nicht zu jung?
 

Er stand auf und ich folgte ihn von unten aus mit dem Blick.
 

„Soll ich Sie noch hineinbringen?“
 

„Ich... ja, bitte“, stammelte ich vor mich hin und war enttäuscht, weil er jetzt schon gehen würde. Wieder ein Gedanke, der nicht zu mir passen wollte und mich verlegen machte.
 

Diesmal legte ich den Arm um seine Schultern, als er mich auf die Füße hob, um mich an ihm festzuhalten und wir bewegten uns etwas langsamer als zuvor. Ich blickte noch einmal zu dem jungen Mann, der vor der Veranda stand. Er sah noch deutlich jünger aus als der Arzt selbst. Vielleicht ein oder zwei Jahre älter als ich. Mir lagen viele Fragen auf den Lippen, doch vor dem zweiten Zuhörer wagte ich es nicht, sie zu stellen.
 

Meine Mutter stand jetzt in der Küche, als wir hereinkamen, von meinem Vater fehlte jede Spur. Ich bemerkte, dass es meine Mutter nervös machte, denn sie starrte vor sich auf das Schneidebrett. „K...können wir Sie...äh... wenigstens zum Essen einladen?“ Sie war verunsichert, allein mit einem Mann wie ihm, vermutete ich zumindest.
 

Vielleicht spürte er genau das, vielleicht war er auch ehrlich. „Nein, vielen Dank. Mein Bruder wartet draußen auf mich. Wir müssen heute noch einiges erledigen.“ Er setzte mich auf einem der hölzernen Küchenstühle ab. „Sie sollten es erst einmal ruhig angehen. Besser auf keine Bäume mehr klettern.“ Er lachte sanft und irgendwie konnte ich gar nicht mehr verlegen sein, auch wenn meine Mutter es dieses Mal sogar mit anhörte.
 

„Ich würde es mir gerne in ein oder zwei Wochen noch einmal ansehen, aber sie können natürlich gerne auch zu dem ortsansässigen Arzt gehen.“ Tatsächlich war es ihm scheinbar sehr wichtig, dass er mit niemandem in Konkurrenz trat, aber wenn es nach mir ging, würde ich nie wieder zu Dr. Creed gehen, auch wenn das natürlich weder Hand noch Fuß hatte. Immerhin hatte er ja bereits gesagt, dass er nicht lange in der Stadt bleiben würde.
 


 

Mein Vater bestand jedoch darauf, dass es Dr. Creed war, der weitere Untersuchungen vornahm.
 

Er war sowieso mehr als ungehalten über das Geschehene gewesen. Ein Mädchen in meinem Alter sollte nicht auf Bäumen herumklettern. Wir hatten Glück gehabt, dass in diesen Wochen nicht viel Arbeit auf dem Hof angefallen war, denn offensichtlich konnte ich mit einem eingegipsten Bein meinen täglichen Pflichten in den Ställen nicht nachkommen.
 

Selbst zur Hochzeit meiner besten Freundin konnte ich nur humpeln.
 

Es war eine sehr seltsame Feier für mich gewesen, obwohl es nicht die erste Hochzeit war, die ich besucht hatte und wohl auch nicht die letzte und doch machte mein Vater jetzt nur noch deutlicher, dass er von mir erwartete, ebenfalls bald zu heiraten. Sie hatte keine schlechte Partie gemacht, ja, ihr Ehemann bot ihr eine gesicherte Zukunft und ich freute mich für sie. Keine von uns hatte je von der großen Liebe geträumt, aber es war doch mehr ein Geschäft zwischen ihren Eltern gewesen, das war mir klar.
 

Und seltsamer Weise machte mich der Gedanke im Moment furchtbar unglücklich.
 

Als mein Bein wieder ganz verheilt war, schien sich die Atmosphäre im Haus verändert zu haben und ich fühlte mich zu Hause immer weniger wohl.
 

Es war ein düsterer Tag, an dem ich das erste Mal seit langem allein zu Hause war.
 

Nachdenklich betrachtete ich den Teig, in dem meine Hände jetzt seit einigen Minuten steckten. Es war einfaches Brot, gebacken aus den letzten Resten des Weizens des letzten Jahres. Wir waren bereits dabei die Felder abzuernten, also war es in Ordnung, alles aufzubrauchen, doch während ich arbeite, kam mir plötzlich eine Idee und mein Arbeitstempo verdoppelte sich.
 

Es dauerte kaum mehr eine Stunde, bis alle Brote auf der Arbeitsfläche auskühlten und ich das einfache Gebäck in einen Korb stapelte. Ich hatte noch bis zum Abend Zeit bevor meine Eltern zurück kämen und brauchte kaum 20 Minuten bis in die Stadt. Nur wusste ich noch nicht, wo Dr. Cullen wohnte, während er hier war.
 

Trotzdem machte ich mich ohne weitere Zweifel auf in die Stadt. Ich würde den Weg schon finden und ich musste mich endlich bei ihm bedanken, hatte er doch tatsächlich überhaupt keine Bezahlung verlangt. Mein Vater hatte das überhaupt nicht zu würdigen gewusst und das ärgerte mich über alle Maßen. Besonders wenn er mich wieder und wieder dazu drängen wollte, mich zu verloben mit Männern mit denen ich noch weniger gesprochen hatte als mit dem Doktor und dann behauptete, dass ich mit ihm viel zu vertrauenswürdig gewesen war. Nicht dass wir oft darüber gesprochen hatten.
 

Ich verdrängte diese Gedanken und hob meinen Rock ein wenig an, als ich über den unebenen Weg lief, den Korb fest in der Hand.
 

Ich wollte ihn zu sehr sehen, das war mir bewusst, aber ich machte mir immer noch keine Hoffnungen oder Wünsche überhaupt. Es war gut, dass niemand meine Gedanken kannte, denn sonst hätte er wohl ein ganz falsches Bild von mir entwickelt. Ich war bodenständig und realistisch, keine Traumtänzerin. Ich las keine dieser kitschigen Liebesromane, ich erledigte meine Aufgaben pflichtbewusst und ich wollte heiraten, so wie es meine Pflicht war, irgendwann zumindest; einen Mann, der meinem Stand entsprach und der mein Leben komplett machen konnte. Und Carlisle Cullen war sicher nicht dieser Mann.
 

Ich überlegte bereits, wie ich nach Dr. Cullen fragen sollte, ohne seltsam zu wirken, wenn ich die Stadt erreichte hätte, doch noch bevor ich den halben Weg zurückgelegt hatte, stolperte ich über ein altes Haus das lange leer gestanden hatte. Nun, nicht genau über das Haus, denn das war kein ungewohnter Anblick, sondern über die Musik, die mir dort heraus entgegen klang.
 

Das Haus war noch genauso baufällig wie vor wenigen Wochen, als ich das letzte Mal hier gewesen war. Die Vorhänge waren zugezogen; dass das Dach noch nicht eingefallen war, grenzte an ein Wunder. Es stand seit Jahren leer. Als ich ein Kind war, hatte hier bereits nur noch eine einsame Witwe gelebt, deren Ehemann unter eher unangenehmen Umständen ums Leben gekommen war. Ich versuchte nicht an die ganzen Vorurteile zu denken, die mein Vater über diese Frau gehabt hatte, bis sie irgendwann endlich der sozialen Ausgrenzung und ihrem hohen Alter erlegen war. Anders als ihr Mann, der den Freitod gewählt-
 

Genau das hatte ich nicht denken wollen. Ich schämte mich und versuchte mich auf die Musik zu konzentrieren, die mich auf das Gebäude aufmerksam gemacht hatte. Sie war schief, aber ich war mir sicher, dass das an dem Instrument lag und nicht an demjenigen, der darauf spielte, denn seine Finger waren, wie ich am eigenen Leib erfahren hatte, so ungemein geschickt. Die Melodie war so beeindruckend komplex und so schön, dass auch sie viel mehr an die Höfe der Reichen gehören musste wie der Arzt.
 

Es war natürlich eigentlich nur eine Ahnung, aber ich war mir sicher, dass ich bereits herausgefunden hatte, wo der Doktor in seiner Zeit hier lebte.
 

Mit langsamen Schritten stieg ich die Stufen zur Tür empor. Ich sorgte mich immer noch, wenn ich zu dem beinahe eingefallenen Vordach emporblickte, aber ich trat dennoch an die Tür heran und hob die Hand um zu klopfen.
 

Dann stoppte die Musik plötzlich, als meine Hand das Holz kaum gestreift hatte. Ich war enttäuscht und gleichzeitig aufgeregt. Konnte es einem Mann, der bereits so viel besaß, Schönheit, Intelligenz, Anmut, auch noch vergönnt sein, derartig gut Klavier zu spielen?
 

Ich klopfte noch einmal, diesmal deutlich hörbar, da schwang die Tür bereits auf und vor mir stand er, der noch so viel schöner war als ich ihn in Erinnerung gehabt hatte. Er sah mich überrascht an.
 

„Miss Platt?“ Langsam öffnete er die Tür weiter. „Was kann ich für Sie tun?“ Sein Blick glitt zu meinen Füßen. „Ihrem Bein scheint es wieder gut zu gehen, das freut mich.“ Aber damit war das als Grund für meinen Besuch ausgeschlossen.
 

Ich blickte schnell auf meine Finger hinab, die den Korb festhielten. „Ich dachte nur, dass ich mich nie richtig bei Ihnen bedankt habe. Dafür, dass Sie sich um mich gekümmert haben. Sie haben nichts dafür gewollt, deshalb...“ Ich hob den Korb an. „Ich habe gebacken.“
 

„Oh, das ist sehr nett von Ihnen, aber das kann ich wirklich nicht annehmen.“
 

Ich war enttäuscht, versuchte aber es mir nicht ansehen zu lassen. „Ich bitte Sie, das ist das Einzige, was ich als Bezahlung anbieten kann. Vermutlich entspricht es nicht einmal dem Materialwert, den Sie für den Gips aufgewendet haben.“
 

Ernüchtert stellte ich fest, dass er mich wohl nicht hereinbitten würde, aber ich würde zumindest nicht zulassen, dass er das Gebäck ablehnte. Ich streckte ihm den Korb entgegen bis seine Finger die gewebten Ruten berührten und er sie letztlich darum schloss. Ich lächelte aufmunternd.
 

„In Ordnung. Ich fühle mich geehrt. Wenn Sie einen Moment warten, kann ich Ihnen den Korb direkt wieder mitgeben.“
 

Ich war überwältigt davon, wie umsichtig er war. „Ja, das wäre sehr nett.“ Und damit bat er mich doch mit einer einzigen Geste herein und ich folgte ihm hinein in das alte Haus. Mein Herz klopfte schneller und mein Blick wanderte aufmerksam über die Wände, als er mich in die Küche führte.
 

Das Haus sah aus als lebte hier schon ewig niemand mehr und das verwirrte mich. Wollten sie so schnell wieder weg, dass es sich nicht einmal lohnte, sich hier einzurichten?
 

Ich hatte vermutet, dass er mich in die Küche führen würde, doch ich sah die vergilbten Wände oberhalb eines Ofens nur aus der Ferne, denn er öffnete stattdessen die Tür zu einem Salon. Einem Salon, der sehr wohl bewohnt aussah, ganz anders als alles, was ich bis jetzt gesehen hatte. Die Tapeten wirkten immer noch alt, sie lösten sich an den Ecken von der Wand und ihre Farben waren verwaschen, aber es hingen Bilder an den Wänden, ein Gemälde neben dem anderen und hier stand auch das Klavier, auf dem er zuvor noch gespielt haben musste.
 

Ich vergas alles, an das ich zuvor gedacht hatte und trat sofort an das Instrument heran. „Haben Sie eben gespielt? Ich konnte es bis nach draußen hören. Es war wundervoll!“ Ich klang begeisterter als ich es mir selbst zugetraut hätte.
 

Wieder hob er überrascht den Blick, während er die Kekse aus dem Korb heraushob. „Nein, das war Edward. Er ist sehr begabt, nicht wahr?“
 

„E... edward?“ Ich brauchte einen Moment bis ich mich wieder an den schönen kupferblonden Jungen erinnerte, den er als seinen Bruder vorgestellt hatte. „Er ist hier?“ Fragend sah ich mich um, ganz so als hätte ich ihn bis eben übersehen können, wenn er im Raum gestanden hätte, was er natürlich nicht tat.
 

„Er ist...“ Einen langen Moment zögerte er, bevor er seinen Satz zu Ende brachte. „... in seinem Zimmer. Er war sehr erschöpft.“ Ich nickte, auch wenn ich mir irgendwie bewusst war, dass da wohl noch mehr hinter steckte. Aber der Doktor interessierte mich ohnehin mehr als sein Bruder. Auch wenn ich beinahe enttäuscht war, dass die Musik nicht von ihm stammte.
 

„Können Sie auch spielen?“
 

„Nein, nicht besonders gut.“
 

Ich bemerkte erst, dass er hinter mir stand, als seine Stimme plötzlich direkt hinter mir war. „Wissen Ihre Eltern, dass Sie hier sind, Miss Platt?“
 

„Nein.“ Ich hätte lügen sollen, das war mir klar, aber ich wollte in seiner Gegenwart nicht lügen und ich vertraute ihm ohnehin. War ich dabei zu leichtgläubig? Ich spürte, wie meine Gedanken verschwammen, weil ich wieder spürte, wie kühl die Luft um ihn herum war. Er stand so nah hinter mir, aber er berührte mich nicht, selbst als ich mich wieder zu ihm umdrehte.
 

„Das sollten Sie nicht tun. Ihre Eltern werden sich Sorgen machen. Ich muss Sie bitten, wieder nach Hause zu gehen.“ Er war so vernünftig. Wieso wirkte ich neben ihm so dumm? Ich wollte nicht gehen, aber ich nickte dennoch schnell und griff dem Korb.
 

„Ich hoffe sehr, dass die Kekse ihnen schmecken.“ Meine Augen blieben noch einmal an den Bildern hängen.
 

„Waren Sie an all diesen Orten bereits, Dr. Cullen?“, fragte ich überrascht. Das konnte unmöglich sein, nicht in seinem jungen Alter, aber woher sonst stammten all diese Bilder?
 

„Nein, natürlich nicht. An einigen davon, andere möchte ich gerne in Zukunft noch sehen. Es sind auch keine Gemälde von großen Künstlern, falls sie das denken. Ich sehe sie einfach sehr gern an, auch wenn Edward diese Leidenschaft nicht teilt.“
 

Vielleicht wäre mir aufgefallen, wie viele Stile sich dort zeigten, aber ich beachtete es nicht, wusste auch nicht viel darüber. Stattdessen blieben meine Augen an einem einzigen Bild hängen. „Wo ist das?“
 

Das Gemälde zeigte ein Meer aus Bäumen, Tannengrün mischte sich in klaren Pinselstrichen mit helleren Farbtönen, Nebel lag über den Baumspitzen und obwohl keine Sonne schien, gefiel mir der Anblick viel mehr als die gelben Weizenfelder, die hier alles waren, das uns umgaben. „An der Westküste, ein kleiner Ort, dessen Name hier vermutlich noch nicht einmal bekannt ist. Es gibt dort ein Indianerreservat, aber ansonsten nicht mehr als einige wenige Holzfäller.“
 

„Waren Sie dort?“
 

„Ja, jedoch kaum mehr als eine Woche, gerade lange genug um dieses Bild zu erstehen.“
 

„Also waren Sie im Westen?“ Wie lange mochte er bereits reisen? Wie viele solcher malerischer Orte mochte er gesehen haben?
 

Er nickte und doch schien sein Lächeln sich verändert zu haben. Es wirkte beinahe traurig. „Ich muss Sie wirklich bitten zu gehen, Miss Platt.“ Er schien sich beinahe zusammenzureißen, während er mit mir sprach und ich konnte es mir nur insoweit erklären, dass er um seine Reputation bei den Dorfbewohnern dachte. Immerhin war es mehr als leicht, ihm einen Strick daraus zu drehen, wenn er Besuch von einer unverheirateten Frau bekam, ohne dass ihre Eltern davon Bescheid wussten. Ich bekam augenblicklich ein schlechtes Gewissen. „Verzeihen Sie mir, ich hätte nicht kommen sollen. Ich mache Ihnen nur Schwierigkeit.“ Betrübt senkte ich den Kopf. Er war nur so furchtbar faszinierend, bei all diesen Bildern und Reisen umso mehr als bereits zuvor.
 

„Nein, das tun Sie nicht. Es war eine sehr großzügige Geste von Ihnen an mich zu denken, ich möchte nur vermeiden, dass Sie in Unannehmlichkeiten kommen. Ihre Eltern wären sicher nicht glücklich, wenn die Leute zu reden begännen, und ich ebenso wenig.“
 

Wieder schien er so viel bedachter als ich und ich nickte wie ein kleines Kind, das getadelt wurde, nachdem es etwas Unbedachtes getan hatte. Etwas wie als erwachsene Frau auf Bäume zu klettern und zu stürzen anstatt zu sticken oder zu backen oder zumindest die Hühner zu füttern. Ich nickte und machte mit gesengtem Blick die ersten Schritte zur Tür.
 

Er folgte mir und trotzdem wagte ich nicht noch etwas zu sagen.
 

„Es war schön mal mit jemand anderem als meinem Bruder zu reden und gerne hätte ich Ihnen mehr von meinen Reisen erzählt, aber vielleicht lieber, wenn Ihre Eltern davon wissen, und ... an einem weniger abgeschotteten Ort.“
 

Irgendwie glaubte ich nicht ganz zu verstehen, was er meinte, aber bei einer Sache war ich mir sicher: Seine Worte versprachen ein andermal miteinander zu sprechen und mein Herz machte einen freudigen Sprung in meiner Brust.
 

„Sehr gerne, Dr. Cullen.“ Plötzlich war es viel leichter mich zu verabschieden und zu gehen.



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