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Liebe, Lüge, Wahrheit

von

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Gespräch

Augustin… Der Junge ging André die ganze Zeit nicht mehr aus dem Kopf. Er hörte nicht einmal Graf von Fersen zu, was dieser beim Teetrinken erzählte. Oscar musste unbedingt erfahren, dass der Junge sie und ihn für seine Eltern hielt. Hoffentlich würden sie bald alleine sein. Er nahm einen Schluck Tee und als er die Tasse von seinen Lippen absetzte, zersprangen plötzlich die Fensterscheiben hinter seinem Rücken mit einem lauten Knall! Die Tasse fiel ihm aus der Hand und er selbst wurde nach vorn geschleudert.

 

„André!“ Oscar eilte zu ihm. „Bist du verletzt?“ Bitte sag nein, flehte sie in ihren Gedanken. Wenn mit André etwas passieren würde, würde sie das nicht verkraften!

 

André rappelte sich hoch und entfernte vereinzelte Glasscherben von seiner Kleidung. „Nein, alles in Ordnung.“, beruhigte er dabei seine Geliebte.

 

„Gott sei Dank!“ Oscar atmete erleichtert auf und half ihm, sich in Ordnung zu bringen.

 

Graf von Fersen kam sogleich an das zerschlagene Fenster angerannt, als würden die Täter noch immer draußen lauern. „So eine Hinterhältigkeit!“, schimpfte er dabei. „Wer kann das getan haben?“

 

„Vermutlich Bürger aus Paris, die uns erschrecken wollen.“, sagte André und entfernte die letzten Glassplittern von seinem Hemd.

 

„Was? Bürger?“ Graf von Fersen kehrte dem Fenster den Rücken zu und schaute André mit großen Augen an. „Aber wieso denn?“ Das war unbegreiflich für ihn.

 

„So etwas passiert in letzter Zeit häufig.“, erklärte André und schob die helfenden und stützenden Hände von Oscar ungewollt von sich. Der Graf durfte ja nichts mitbekommen, dass sie ein Liebespaar waren. Es reichte schon, dass Augustin ihn und Oscar heute in einem Bett erwischt hatte. André schob die Gedanken an den Jungen schnell bei Seite und klärte Graf von Fersen weiter auf: „Seit der Halsbandaffäre ist die Zahl der Bürger, die gegen das Königshaus und die königlichen Familie sind, stark zugenommen. Man spricht sogar davon, dass sich einige der Adligen auf die Seite des Bürgertums geschlagen haben.“

 

„Was sagst du da? Unglaublich! Bisher hielt ich das für üble Gerüchte.“ Graf von Fersen war so schockiert, dass er keinen richtigen Ausdruck dafür fand.

 

„Es hat sich in den sieben Jahre vieles verändert. Paris, Versailles, ganz Frankreich ist in einem anderen Zustand als damals, als Ihr es verlassen habt.“, beendete André und schaute kurz zu Oscar. Sie hatte bisher nichts dazu geäußert, aber er ahnte, wie ihr der Hass der Bürger gegenüber dem Adel und dem Königshaus zu schaffen machte. Immerhin ging es um die Königin, der sie schon seit vielen Jahren diente.

 

„Aber was hat sich hier verändert?“, wollte Graf von Fersen wissen und sah danach aus, als würde er keine Ruhe geben, bis er alles erfahren würde.

 

Die Antwort auf seine Frage bekam er nicht. Denn in dem Moment wurden die Türen aufgerissen und mehrere Bedienstete stürmten mit fassungslosen Gesichtern und Entsetzen herein. Vorneweg eilte Sophie und hinter ihr auf dem Fuß Augustin mit François und Marguerite. „Ist Euch etwas geschehen, Lady Oscar?“, fragten sie alle fast im Chor.

 

„Alles ist gut, niemand ist verletzt.“, beruhigte Oscar sie alle und ordnete sogleich die Bediensteten an. „Räumt hier auf und wir reiten derweilen nach Paris.“

 

„Nach Paris?“, fragte François erstaunt und ein wenig besorgt. Jeder wusste, dass Paris zurzeit kein sicherer Ort für Adlige war.

 

„Dürfen wir mit?“, fügte Augustin hinzu. Er spürte die Sorge seines Bruders um seine Eltern und obwohl es ihm widerstrebte, nach Paris mitzukommen, aber für die Sicherheit seiner Eltern würde er alles tun.

 

„Nein, ihr bleibt hier, Paris ist für euch nicht mehr sicher!“, beschied Oscar und beide Knaben senkten enttäuscht ihre Köpfe. Oscar tat es leid, die zwei so schroff angefahren zu haben und sie milderte ihre Stimme. „Wir kommen bald zurück.“

 

„Versprochen?“ Die fünfjährige Marguerite kam zwischen den Röcken eines der Dienstmädchen raus und Oscar las Angst in ihren himmelblauen Augen. Wenn Oscar nur mit André alleine wäre, hätte sie ihre Tochter umarmt und getröstet. Aber in Anwesenheit von so vielen Menschen und besonders des Grafen von Fersen, durfte sie ihre Muttergefühle nicht nach Außen zeigen. Aber das hinderte sie nicht daran, ihrem jüngsten Kind einen liebevollen Blick zu schenken und ihr ein Versprechen zu geben. „Ja, versprochen.“, sagte sie mit einem verstellten Lächeln und André bekräftigte das mit festen: „Wir kommen schnell zurück, Marguerite, mach dir keine Sorgen.“

 

„Wir passen auf dich auf.“ François übernahm sogleich die Rolle eines großen Bruders und legte seinen Arm um die schmalen Schultern seiner kleinen Schwestern.

 

Augustin gesellte sich auch zu ihnen und zwinkerte Marguerite zu. „Komm, wir gehen, du musst bald ins Bett, deinen Mittagsschlaf machen.“

 

Marguerite mochte keinen Mittagsschlaf. Aber sie mochte diese beiden Knaben und wäre gerne bei ihnen geblieben. „Spielt ihr mit mir?“

 

„Nein.“, meinte sogleich Augustin und fügte in Gedanken hinzu: Weil du ein Mädchen bist und Mädchen spielen nicht mit Jungen. Marguerite senkte traurig ihr Köpfchen und Augustin seufzte entrüstet. „Aber wir können dir zeigen, wie wir ein Schwert führen.“

 

„Einverstanden!“ Marguerite strahlte wieder und hüpfte den beiden Jungen schon voraus. Francois und Augustin folgten ihr.

 

„Augustin ist ein netter Junge.“, flüsterte André zu Oscar. „Ich muss mit dir später über ihn reden.“

 

„Ja.“ Oscar verstand und nickte zustimmend. André war ja vor einer knappen Stunde mit dem Jungen in dem Stall gewesen und hatte bestimmt schon mit ihm gesprochen. Es interessierte sie sehr, was er von ihm erfahren hatte. Jedoch war jetzt nicht der richtige Zeitpunkt dafür.

 

„Wer ist das Mädchen?“, entriss Graf von Fersen sie neugierig aus den Gedanken. „Ich habe sie noch gar nicht bei Euch gesehen.“

 

„Wir haben sie vor vielen Jahren vor unserer Haustür gefunden. Jemand hat sie ausgesetzt und Lady Oscar kümmert sich seit dem auch um sie.“, erklärte Sophie, als weder Oscar noch André auf seine Frage reagierten. Beide dachten noch immer an Augustin und dass er sie heute früh ertappt hatte.

 

Graf von Fersen war sichtlich beeindruckt. „Ihr seid ein bemerkenswerter Mensch, Oscar.“

 

„Danke.“ Oscar kehrte doch noch aus ihren Gedanken zurück, aber sah ihn kein einziges Mal an. „Ihr entschuldigt mich, ich muss mich noch umziehen und das empfehle ich Euch auch. Man darf uns in Paris nicht als Adlige erkennen.“ Sie ging und verließ den großen Gemeinschaftssalon. Als sie fertig waren, entschieden sie, bei Einbruch der Dunkelheit nach Paris zu reiten. Das war eine gute Tarnung für alle drei.

 

 

 

Im Schutz der Dunkelheit zeigten Oscar und André dem Grafen die große Stadt. Die Straßen waren leer und lagen gespenstisch still. Aber der Schein trog. In einer Seitengasse entdeckten sie eine Gruppe Menschen, die um einen Mann versammelt waren. Der Mann erzählte seinen Mitbürgern über das verschwenderische Leben der Adligen und des Königshauses, während das einfache Volk vor Hunger litt und noch mehr Steuern bezahlen musste. Der Graf von Fersen war erschüttert und nahm sich vor, die Königin aufzusuchen, als er mit Oscar und André zurück auf dem Anwesen der de Jarjayes war. Oscar wünschte ihm eine gute Nacht und ging zu ihrer Tochter. André war schon dort. „Sie schläft.“, flüsterte er, als Oscar an das Bett von Marguerite näher kam.

 

„François und Augustin auch?“, fragte sie leise.

 

André nickte. „Ja, ich war gerade bei ihnen.“

 

„Dann sollen sie schlafen.“ Oscar schenkte ihrer schlafenden Tochter einen Kuss auf die Wange und schaute dann wieder ihren Geliebten an. „Kommst du noch kurz zu mir? Wir müssen noch reden.“

 

„In Ordnung.“ André gab seiner Tochter auch einen Kuss auf der Wange und verließ mit seiner Oscar das Zimmer. In ihrem Salon erzählte er ihr über die Unterhaltung mit Augustin.

 

Oscar staunte bei jedem Wort und als er die Erzählung beendete, kamen in ihr die altbekannten Schuldgefühle gegenüber Augustin hoch. Ihr Herz stach dabei schmerzlich, aber sie versuchte das zu ignorieren. „Augustin hat uns also schon oft zusammen gesehen und wir sind für ihn wie seine Eltern?“

 

„Das ist richtig.“ André fühlte sich genauso wie seine Geliebte. Es kamen die gleichen Gefühle in ihm hoch wie heute im Stall, als er mit Augustin gesprochen hatte. „Er sagte auch, dass er seine Eltern nicht mehr vermisst, weil er uns hat und vergleicht das mit François. Für ihn ist er wie ein Bruder.“

 

„Armer Junge...“ Oscar zog sich schmerzlich der Brustkorb zusammen und sie lehnte sich an ihren André, als wäre sie erschöpft. „Ich muss zugeben, manchmal kommt er mir wie ein Sohn vor.“

 

André schloss sie zärtlich in seine Arme. „Mir auch.“

 

„Was hast du zu ihm gesagt?“

 

„Das er uns als seine Eltern bezeichnen darf.“

 

„Und wenn seine Eltern irgendwann auftauchen?“, fragte Oscar und hob ihren Kopf von seiner Brust.

 

„Glaubst du wirklich daran?“ André schaute ihr tief in die Augen und strich ihr das Haar hinter das Ohr. „Er wohnt schon vier Jahre bei uns und bis auf den einen Zwischenfall in Paris, kurz nach seiner Ankunft, hatte er nie mehr etwas über seine Eltern erwähnt.“

 

„Du hast recht.“, gestand Oscar. „Ich glaube, wenn und falls seine Eltern irgendwann doch auftauchen sollten, werde ich Augustin nicht mehr hergeben wollen. Er gehört jetzt zu uns, wie François und Marguerite.“

 

„So sehe ich das auch.“ André lächelte sie an. „Ich werde dann mal gehen.“

 

„Willst du heute nicht mehr bei mir bleiben?“

 

„Doch, aber nachdem was heute passiert ist...“, erinnerte André sie an den heutigen Vorfall mit Augustin und Oscar musste ihm Recht geben. „Du hast recht, Geliebter, wir sollen ein paar Tage abwarten.“

 

„So ist es.“ André senkte seinen Mund über ihre weichen Lippen und schenkte ihr einen einfühlsamen Kuss zum Abschied. „Bis morgen, Liebste, schlaf schön.“

 

„Du auch, Geliebter.“ Oscar erwiderte den Kuss mit Leidenschaft und als sich ihre Lippen trennten, verließ André ihren Salon. Noch lange, nachdem sie schon im Bett war, dachte sie über Augustin, über Graf von Fersen und der Königin nach, bis sie irgendwann einschlief.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Doro81
2024-06-04T18:20:37+00:00 04.06.2024 20:20
Wieder ein tolles Kapitel. Schreib schnell weiter bin schon voll gespannt wie's weiter geht...


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