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Ausweglos?

Sakura und Ino | Sasuke x Sakura
von

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I. Akt

Mit einem dumpfen Knall fiel die schwere Eisentür ins Schloss. Mit geschlossenen Augen ließ sich Sakura Haruno dagegen fallen und atmete ein paar Mal tief durch. Die frische Luft tat gut, nachdem sie die letzten zwei Stunden in der stickigen Umkleidekabine verbracht hatte.

Zwei Stunden, in denen sie, trotz der dicken Wände, den Beat der Musik hatte hören können und sich mit ausdruckslosen Augen im Spiegelbild angestarrt hatte, weil sie noch immer nicht fassen konnte, wo sie sich befand.

Aber was war ihr für eine andere Möglichkeit geblieben? Nur eine und die konnte sie nicht einmal zum Wohle ihrer Familie wählen.

»Na?«, ertönte plötzlich eine Frauenstimme neben ihr.

Sakura drehte sich zur Seite und sah als erstes das Ende der glimmenden Zigarette, bevor ihr Blick zu den Gelnägeln an den schmalen Fingern glitt, die diese hielten. Ihr wurde bei dem Gedanken übel, dass es normal war, sich die Fingernägel künstlich zu verlängern – wie sie diese Modeerscheinung hasste.

Die Frau, zu der die Gelnägel gehörten, konnte sie in dem schummrigen Licht, das von der schwachen Lampe über der Eisentür ausging, nicht richtig erkennen.

»Du bist die Neue, richtig?«, fragte sie unbeirrt weiter.

»Ja«, antwortete Sakura vorsichtig. Sie kannte diese Szene nur aus Filmen und Büchern und ihren Recherchen aus dem Internet, die je nach Interviewpartnerin romantisiert oder verteufelt wurden.

Sie spürte die Musterung der Frau auf ihrer Haut. Sie ging durch ihren langen Mantel hindurch, auf ihren spärlich bekleideten Körper und Sakura merkte, wie eine Gänsehaut sie überzog.

»Und wie heißt du?«

»… Sakura Haruno, un-«

»Deinen Spitznamen, Süße.«

Sakura presste kurz die Lippen aufeinander. Der Name war nicht ihre Idee gewesen und er war einfallslos. Sie schämte sich dafür, in Zukunft so genannt zu werden. Aber sie brauchte das Geld, also musste sie lernen, darauf zu hören.

»Little Cherry«, seufzte sie schließlich.

Vor ein paar Wochen wäre sie noch viel zu stolz gewesen, so einen dummen Namen überhaupt in den Mund zu nehmen, aber mittlerweile gab es kaum noch Stolz in ihr. Sie hatten ihn genommen und mitsamt ihrem Selbstvertrauen, ihrer gradlinigen Art und ihrer Eigenständigkeit ermordet.

Sakura hatte gar nicht gewusst, wie hilflos man sich fühlen konnte, bis ihr ihr an diesem beschissenen warmen Samstagabend offenbart wurde, was ihre Eltern getan hatten – für sie.

»Nett. Ich bin Beautiful Flower, aber alle nennen mich Flow.«

Tief in ihrem Inneren verspürte Sakura den Drang, etwas Schnippisches zu sagen, ihr zu erklären, wie lächerlich das klang und warum sie bitte floss. Doch selbst hier im Dunklen, einer Frau gegenüber, die sie kaum sehen konnte, traute sie es sich nicht mehr.

»Du magst Blumen?«, fragte sie deshalb wenig kreativ und sorgte so dafür, dass ihre Gegenüber kurz lachte.

»Fast, Cherry. Fast.«

Der Zigarettenstummel flog auf den Boden und Sakura hörte mehr als sie sah, dass er mit Flows Schuh zertreten wurde.

»Meine Pause ist rum und du solltest auch langsam wieder reingehen. Deine Schonfrist dürfte vorbei sein, Süße.«

Erneut überkam Sakura eine Gänsehaut.

Flow kam auf sie zu und Sakura ging instinktiv einen Schritt zur Seite, um sie zur Tür zu lassen.

Nun da sie direkt unter dem Lichtstrahl stand, konnte sie die mit lila Lidschatten zu intensiv geschminkten Augen sehen, volle rote Lippen und Plateauschuhe, in denen Sakura sich wohl die Knöchel brechen würde.

Flows lange, blonden Haare waren zu einem Zopf gebunden, in dem einzelne Strähnen nochmals hinein geflochten worden waren.

Sie war jung, konnte also kaum älter sein als Sakura selbst, aber ihrem Verhalten nach zu urteilen, tat sie das hier nicht erst seit gestern.

»Schau nicht so. Niemand wird dich zwingen, mit den Kerlen zu vögeln. Du solltest nur lernen, deinen Körper gern zur Schau zu stellen, sonst wirst du untergehen.« Und mit diesem Satz, inklusive Augenzwinkern, klopfte Flow an die Tür, die von einem Bodyguard geöffnet wurde und wartete, bis Sakura vor ihr ins Innere trat.

Sie dachte den Weg zurück in die Umkleide über den Tipp nach. Das war etwas, was jede Frau in jedem Gespräch mit jedem Blogger, jeder Zeitung, jedem Magazin gesagt hatte: man muss seinen Körper gerne zeigen können, sonst ist man falsch.

Wie sehr sich Sakura wünschte, hier falsch zu sein. Aber das war sie nicht. Es war die einzige Möglichkeit, die für sie infrage kam. Sie konnte ihre Eltern nicht leiden sehen, aber auf den Strich gehen auch nicht.

Also musste sie es irgendwie schaffen, Stripperin zu werden.
 

Sakuras Leidenschaft fürs Tanzen hielt sich seit ihrer Kindheit in Grenzen. Sie hatte damals ein paar Stunden von ihren Großeltern geschenkt bekommen und hatte die anderen Mädchen dort gehasst. Als Tochter einer typischen Arbeiterfamilie hatte sie mit zehn Jahren keine Markenschuhe für die Tanzschule bekommen und auch all ihre anderen Klamotten waren aus Billiggeschäften.

In der Oberschule hatte sie sich mit ein paar Freundinnen in eine Tanzschule für alternative Stile gemogelt, nachdem sie sich für Studentinnen ausgegeben hatten. Neben kosakischem Kasatschok und orientalischem Bauchtanz, waren sie auch einmal an die Poledancestange gegangen.

Etwas, das Sakura gleichzeitig fasziniert und abgeschreckt hatte.

Aber auch diese eineinhalb Stunden waren schon Jahre her und als sie nun davor stand, wusste sie nicht, was sie mit sich und der Stange anfangen sollte.

Die Plateauschuhe, die ihr von Hidan, der rechten Hand des Chefs, gekauft worden waren, fühlten sich wie Blei an ihren Beinen an. Sie fragte sich, wie sie jemals solche aufreizenden Bewegungen an dieser Stange vollbringen sollte, wenn sie ihre Füße kaum vom Boden bekam.

»Schau nicht wie ein verschrecktes Reh. Bisher haben wir noch jede an die Stange bekommen«, ertönte eine Stimme hinter Sakura. Sie drehte sich um und blickte – passenderweise – in ein rehbraunes Augenpaar.

»Ich bin China«, stellte sich die junge Frau mit den dunkelbraunen Haaren vor, die sie links und rechts zu zwei Dutts gedreht hatte.

»Sak- ähm Cherry«, erwiderte Sakura und der Name fühlte sich noch immer nicht besser an.

»Freut mich. Hidan meinte, ich soll dir bei deinen Choreos helfen. Du sollst schließlich nicht für immer hinter der Bar stehen.«

Sakura musste gestehen, dass ihr diese Vorstellung im Moment gar nicht mal so zuwider war. Allerdings hatte ihr Kakuzu, als er sie in seinem verrauchten Büro willkommen geheißen hatte, gleich erklärt, dass sie schnell lernen sollte, sich auf der Bühne zu bewegen, sonst könne er ihr nicht helfen.

Entweder sie tanzte oder sie ging wieder.

»Keine Sorge. Du musst dich nicht gleich so verkünsteln wie alle anderen. Wir fangen langsam an. Fürs erste wird der Boden dein bester Freund.«

Sakura nickte und warf einen kurzen Blick nach unten auf den silbernen Belag. Wie oft er wohl gereinigt wurde?

China ließ ihr allerdings nicht länger Zeit zum Überlegen und bevor sie es sich versah, gingen sie in die Knie, krochen vor, drehten sich auf den Rücken und warfen ihre Köpfe in den Nacken.

Sonderlich sexy fühlte sie sich dabei nicht und dem Schmunzeln Chinas nach zu urteilen, sah sie auch nicht so aus.

»Okay. An deinem Blick müssen wir noch üben«, sagte diese irgendwann, bevor sie ihr die Shoulder Brigde zeigte (eine Brücke, bei der sie allerdings mit dem oberen Rücken am Boden bleiben sollte – machbar).

Sakura verkniff sich eine bissige Antwort und folgte einfach der Anweisung, Becken nach oben und Hände an die Absätze ihrer Schuhe.

Das Spiel ging eine Weile so weiter und Sakura merkte von Minute zu Minute, wie ihre Luft immer knapper wurde. Eigentlich war sie der Meinung gewesen, mehr Kondition zu besitzen, aber durch die stickige Luft in diesem fensterlosen Raum, begann ihre Lunge langsam zu brennen.

»Ich brauch ne Pause«, presste sie schließlich zwischen ihren Zähnen heraus und drehte sich auf ihren Hintern, um sich aufzusetzen.

»Das reicht für heute auch«, antwortete China mit einem Zwinkern und sprang auf. »Morgen um dieselbe Zeit. Und vielleicht solltest du mit dem Joggen anfangen. Das hilft gewaltig.«

Bei diesem Vorschlag biss Sakura sich auf die Unterlippe. Es hatte eine Zeit gegeben, in der sie täglich joggen gegangen war. In der sie einer Volleyballmannschaft angehört und gerne Fahrradtouren mit ihrer Familie unternommen hatte.

In den letzten Wochen war sie zu nichts mehr davon gekommen, hatte sich von ihren Freunden abgekapselt und an einen entspannten Ausflug mit ihren Eltern war auch nicht mehr zu denken gewesen.

Der ganze Stress hatte wohl doch mehr an ihrem Körper gezerrt als gedacht – und dabei waren ihr die vier Kilo weniger bereits aufgefallen.
 

Sakura tat alles weh, als sie sich nachts ins Bett legte und am nächsten Morgen (oder eher Mittag) schmerzte es noch immer. Sie fühlte sich gerädert und hatte schreckliche Kopfschmerzen. Auf dem harten Futon konnte sie aber nicht länger liegen bleiben, also erhob sie sich langsam und schlurfte ins angrenzende Badezimmer.

Die kleine Wohnung war noch immer ungewohnt im Vergleich zu der, in der sie früher gelebt hatte. Mit ihm – dem Menschen, der für all das verantwortlich war.

Sie wollte nicht an ihn denken, keine Sekunde. Denn immer, wenn sein Gesicht vor ihrem inneren Auge auftauchte, die Erinnerung an ihre Gefühle für ihn, wurde sie wütend – und sie hatte keine Kraft mehr, wütend zu sein.

Er hatte ihr Leben zerstört. Und das nicht auf eine melodramatische ‚es ist aus‘ Art, sondern so richtig. Von oben nach unten hatte er ihr alles genommen. Ihre Eltern in einen Strudel von Schulden gezogen und ihr jegliche Chancen genommen, ihr Studium fortzusetzen.

Sie hatte ihn das letzte Mal gesehen, kurz bevor unbekannte Männer sie zum Oberhaupt seiner Familie gebracht hatten – und sie war froh darüber.

Was sollte es auch bringen? Sie würde ihm höchstens seine Augen auskratzen oder ihn vor ein Auto stoßen. Es war also besser, wenn er ihr nie wieder über den Weg lief, denn so wenig Energie sie nach all diesen Wochen auch übrighatte, für die Rache an ihm würde es reichen.

Es war erschreckend, wie schnell ihre Liebe zu ihm in Hass umgeschlagen war, aber eigentlich waren Sakura selbst diese Gefühle noch zu wenig.

Mit einem Seufzen starrte sie in den Spiegel und betrachtete ihr eingefallenes Gesicht. Dunkle Augenringe zierten es und ihre Lippen waren spröde.

Sie drehte den Wasserhahn auf und spritze sich kaltes Wasser ins Gesicht, um sich aus dieser depressiven Stimmung zu ziehen. Es half nur ein bisschen. Immerhin konnte sie sich dazu aufraffen, eine Katzenwäsche zu vollziehen und sich anschließend ihre Sportsachen überzuziehen.

Trotzdem setzte sie sich anschließend auf ihren Futon und starrte an die weiße Wand. Sie sollte wirklich wieder mit dem Joggen anfangen, wenn sie nicht vollends versagen wollte – kein Typ würde ihr Geld zustecken, wenn sie wie ein Ackergaul schnaufte.

Oder zumindest aufstehen und sich etwas zu essen machen, spazieren gehen, ihr Handy aus der Tasche holen und ihren Eltern die wöchentliche ›Alles super‹ Nachricht schicken. Zu mehr reichte es nicht und ihr Handy blieb ansonsten weggepackt.

Ehrlich gesagt würde Sakura sie am Liebsten anrufen, einfach nur um ihre Stimmen zu hören.

Aber sie hatte Angst, wenn sie daran dachte, die burschikose Stimme ihrer Mutter am anderen Ende der Leitung zu hörte. Wahrscheinlich würde sie zusammenbrechen und ihnen alles erzählen. Offenlegen, auf welchen Deal sie sich eingelassen hatte, um ihnen zu helfen und dass sie wusste, was sie getan hatten, obwohl sie jahrelang versucht hatten, es vor ihr zu verbergen.

Den gebrochenen Blick ihres Vaters konnte sie richtig vor sich sehen und Tränen stiegen ihr in die Augen. Sie liebte ihren Vater, seine schlechten Witze und das breite Grinsen auf seinen Lippen. Er sollte sich nicht schuldig fühlen, weil sie sich verkauft hatte.

Das Klopfen an ihrer Tür ließ Sakura aus ihren Gedanken schrecken, aber sie blieb sitzen. Sie hatte kein Interesse an der Person, die auch immer vor ihrer Tür stehen mochte und war der festen Überzeugung, dass sie schon wieder gehen würde.

Doch es klopfte ein zweites und schließlich ein drittes Mal und schließlich ertönte Flows Stimme: »Ich weiß, dass du daheim bist.«

Mit zusammengepressten Lippen und im Hinterkopf, dass sich Stripperinnen untereinander Scherben in die Schuhe legten, um sich gegenseitig auszustechen, erhob sie sich und schlurfte zur Tür.

»Was?!«, fragte sie bissiger als beabsichtigt, nachdem sie die Tür geöffnet hatte. Flows perfekt gezupfte Augenbraue schoss nach oben, aber ansonsten überging sie den Tonfall einfach.

»China schickt mich. Sie meinte, ich soll dich zum Joggen abholen«, antwortete sie.

Erst jetzt fiel Sakura auf, dass Flow eine enge Sportleggins trug, Turnschuhe und ein locker sitzendes, grünes Top.

»Und gut, dass du schon fertig bist. Dann können wir gleich los.«

Sakura wollte gerade widersprechen, als Flow sich einfach an ihr vorbei in ihre Einzimmerwohnung schob. Sie zog den Schlüssel von der Innenseite der Tür zog, schubste Sakura in den Flur, zog die Tür hinter sich zu und schloss ab.

»Sag mal, gehts noch?«

»Ich wusste gar nicht, dass du so aggressiv sein kannst. Sehr gut«, erwiderte Flow entspannt und ging vorweg, den Schlüssel zwischen Daumen und Zeigefinger hochhaltend.

Sakura bleib gar nichts anderes übrig, als ihr zu folgen und sie verfluchte diese Frau in ihren Gedanken den ganzen Weg das Treppenhaus nach unten und bis zur Eingangstür des Wohnkomplex.

»Ein paar Grundregeln, bevor wir anfangen«, begann Flow, als sie auf den Gehsteig standen. »Erstens, halt dich immer an China oder mich, sonst hast du schneller kaputte Schuhe und aufgeschnittene Fußsohlen als du bis drei zählen kannst. Zweitens, als neue musst du dich immer hinten anstellen und Drittens, wenn du ein Drogenproblem haben solltest und du mehr Geld brauchst, als du bei uns bekommst, geh anschaffen, aber such dir deine Freier nicht bei uns. Jede von uns bekommt diese Angebote oft genug und keine hat Bock drauf. Wenn rauskommt, dass es eine macht, werden sie noch aufdringlicher. Verstanden?«

Sakura nickte. Sie wollte gar nichts von irgendwelchen Regeln wissen und allein die Vorstellung mit fremden Männern ins Bett zu steigen, fand sie schon widerlich.

»Gut. Dann los.«

Flow drückte kurz auf ihrer Armbanduhr herum und bedeutete Sakura dann nach rechts in Richtung Park zu joggen. Mit einem ergebenen Seufzer folgte sie dieser Anweisung und wünschte sich, sie hätte Flow sich vor ihrer Tür zu Tode rufen lassen.
 

Die nächsten Tage verliefen alle gleich.

Sakura ging nach dem Aufstehen mit Flow joggen, musste vor dem großen Ansturm in einem Nebenraum mit China die Schritte und Posen üben und arbeitete anschließend bis in die frühen Morgenstunden als Kellnerin.

Sie ließ sich widerwillig auf den Hintern schlagen, das Geld in ihr knappes Höschen schieben und hörte den betrunkenen Männern zu, wenn sie über ihre Probleme mit Familie und Arbeit sprachen.

Mehr als einmal erhielt sie das Angebot, sich in ein Stundenhotel einladen zu lassen, um ihren Verdienst aufzubessern, der als Kellnerin bei weitem nicht an den der Stripperinnen herankam. Wenn das freundliche Ablehnen (obwohl sie am liebsten direkt auf den Typen gekotzt hätte), nichts half, stand sofort einer der Sicherheitsmänner hinter ihr und bat den Herren zu gehen.

Es war seltsam, aber irgendwie fühlte sie eine gewisse Sicherheit, wenn sie hier war. Und das obwohl ihr Körper wie ein Stück Fleisch gemustert wurde. Aber jede Berührung, die zu weit ging oder jede Frage, die zu unpassend war, wurde sofort bestraft und man konnte Kakuzu und Hidan nicht vorwerfen, dass sie nicht auf ihre Mädchen aufpassten.

Sakura würde an diesem Beruf sicher keinen Gefallen finden, aber wenn sie nun früh morgens todmüde ins Bett fiel, hatte sie zumindest nicht mehr das Bedürfnis, hemmungslos zu weinen.

Ihre Hemmschwelle sank von Nacht zu Nacht mehr und obwohl es ihr Angst machen müsste wie schnell sie sich an diese dunkle Welt gewöhnte, war es eine willkommene Ablenkung. Sie musste nicht über ihre Eltern nachdenken, nicht an ihr gebrochenes Herz oder ihre Wut, die sich noch immer tief in ihr befand.

Einfach funktionieren, indem sie mittags aufstand und mit Flow joggen ging, Poledance übte, kellnerte und dann wieder ins Bett ging. Eine Routine, die sie so gar nicht erwartet hätte. Nur an die Klamotten, die ihr kaum über den Hintern reichten und obenrum gerade so das nötigste verdeckten, würde sie sich wohl nie gewöhnen.

»Guten Morgen, Sonnenschein«, wurde sie an einem wolkenverhangenen Mittwoch von China begrüßt, die sich gerade dehnte. Sakura nickte ihr zu, bevor sie in die Umkleidekabinen ging, um ihre Alltagskleidung abzulegen und sich ‚in Schale‘ zu werfen, wie es die anderen immer nannten.

»… so neidisch«, hörte sie gerade noch das Ende eines Gesprächs als sie die Tür öffnete.

Drei Augenpaare richteten kurz ihre Aufmerksam auf Sakura, bevor sie sich lieber wieder einem Hochglanzmagazin widmeten.

»Er sieht aber auch verboten gut aus. Gott, was würde ich für so einen Kerl geben«, seufzte die eine. Sakura hörte nur mit einem halben Ohr zu. Soweit sie wusste, waren gut fünfundachtzig Prozent der Stripperinnen Single, weil ein Partner ihrem Job mehr im Weg stand als alles andere.

»Bei dem Geld, das seine Familie hat, könnte ich mir endlich die Brüste machen lassen«, plapperte eine der anderen und sorgte damit für schallendes Gelächter.

Sakura war gerade mit umziehen fertig, als ihr das Magazin unter die Nase gehalten wurde.

»Schau mal. Heiß oder?«, fragte die junge Frau – Sakura hatte keine der drei jemals nach ihren Namen gefragt.

»Mhh«, kommentierte sie, ohne sich das halbseitige Bild genauer anzuschauen, bis der große, weiße Schriftzug ihre Aufmerksamkeit auf sich zog.

Millionenerbe verlobt!

Nur beim Anlesen des Artikels wurde ihr bereits schlecht und nun musste sie das Foto nicht einmal mehr anschauen, um zu wissen wer darauf abgebildet war.

Sie brauchte ganz dringend frische Luft und sprang deshalb ohne ein weiteres Wort auf. Tränen stiegen ihr in die Augen und sie rannte fast in Flow, die ihr im Flur entgegenkam und ihr irgendetwas hinterherrief.

Sakura riss die schwere Eisentür auf und lehnte sich anschließend gegen die Backsteinwand, um durchzuatmen. Sie spürte die Tränen über ihre Wangen laufen und weg war dieses trügerische Gefühl der Sicherheit, das sie hier empfunden hatte.

Wie war sie auch nur auf die Idee gekommen, sich hier irgendwie gut zu fühlen? Dieser Laden war Abschaum, die meisten Frauen dumm wie Brot und der Clubbesitzer ein schmieriger Typ. Da konnten die Sicherheitsmänner noch so genau hinschauen, aber sie betrieben hier auch nichts anderes als eine Art Prostitution.

Die Tür neben ihr öffnete sich erneut und Sakura sah erschrocken auf.

Flow trat nach außen und seufzte einmal laut.

»Diese blöden Hühner. Alles gut?«

»J-ja klar. Wieso auch nicht?«

Flows Lippen verließ ein trockenes Lachen, während sie sich neben Sakura an die Wand lehnte.

»Weißt du, wir fragen hier nicht nach, aber neugierig sind wir trotzdem über die Neuen. Und Yahoo ist eine super Hilfe beim Stalken.«

Na super. Das hatte man jetzt davon, dass man sich mit seinem richtigen Namen vorgestellt hatte.

»Du musst dich dafür nicht schämen. Hidan hat uns deinen vollständigen Namen schon gesagt, bevor du aufgetaucht bist. Wir wissen einfach gern, wer zu uns stößt und dass du mit einer lokalen Berühmtheit ausgegangen bist, hat es viel zu einfach gemacht.«

Das wurde immer besser. Jeder wusste, wer sie war, aber sie hatte keine Ahnung, mit welchen Menschen sie es zu tun hatte.

»Euch blöden Gänsen muss ja echt langweilig sein, wenn ihr euch nicht gerade für Geld herschenkt«, zischte sie wütend und ballte ihre Hände zu Fäusten.

»Pass auf was du sagst, Süße.«

»Ich bin nicht deine Süße. Wir kennen uns nicht und ehrlich gesagt, wäre es mir das Liebste, wenn du mir nie über den Weg gelaufen wärst. Du und all die anderen.« Sie schlug mit ihren Fäusten gegen die Wand hinter sich und die Tränen, die ihr nun über die Wangen liefen, waren aus reiner Wut.

»Wow. Er muss dir ja richtig schlimm das Herz gebrochen haben.«

»Kümmer dich um deinen eigenen Scheiß.«

Flow zuckte mit den Schultern, klopfte gegen die Tür und ging wieder ins Innere. Bevor sie sich hinter ihr schloss, drehte sie sich nochmals zu Sakura, musterte sie ein paar Augenblicke eindringlich, bevor sie sprach: »Mein Name ist übrigens Ino. Als Info.« Und damit war sie verschwunden.
 

Es war ein katastrophaler Abend gewesen. Hidan hatte sie irgendwann zum Umziehen geschickt, nachdem sie einem der Gäste fast die Finger zerquetscht hatte, weil er ihr den BH geöffnet hatte.

Davon ab, dass er den Lohn für diesen Abend einbehalten würde, hatte er ihr klar und deutlich mitgeteilt, dass kein weiterer Fehltritt erlaubt war.

Wenn sich ein Kunde falsch verhielt, durfte sie sich nicht wehren, es war Sache der Sicherheitsmänner, einzugreifen und dieser war bereits hinter ihr gestanden, als sie sich selbst darum gekümmert hatte.

Ihr war nicht klar gewesen, zu wie viel Wut sie wirklich noch fähig war, aber das Zuschlagen ihrer Haustür und die Aggressivität mit der sie ihre Sporttasche in die Ecke geschmissen hatte, waren wohl Indiz genug dafür. Es war ein Aufblitzen ihres alten Selbst.

Am Liebsten hätte sie die kleine Wohnung auseinandergenommen, die hässlich weiße Tapete von der Wand gerissen und den Spiegel im Bad aus dem Fenster geschmissen. Allerdings war sie noch in keinem Stadium der Wut, in dem ihr jeglicher gesunde Menschenverstand fehlte, also ließ sie sich auf den Boden fallen und schlug mit den Handballen darauf ein.

Flows – Inos – Worte gingen ihr nicht mehr aus dem Kopf. Litt sie wirklich so sehr unter einem gebrochenen Herzen?

Ihr Leben war vor ihr auf den Boden gefallen und in tausend Teile zerbrochen – mitsamt ihres Herzens.

Konnte man aber dann überhaupt davon sprechen, dass man ein gebrochenes Herz hatte, wenn alles zerstört worden war?

Sakura legte sich vollständig hin und starrte an die dunkle Decke. Es war sicher ein eigenwilliger Anblick, wie sie mitten im Raum lag und sich nicht bewegte. Die Wut war von jetzt auf gleich verfolgen und nun fühlte sie sich einfach allein.

Der Wunsch ihre Eltern anzurufen, wurde größer und sie war fast versucht, es wirklich zu tun. Aber sie wusste, was ihre Eltern wohl tun würden, sobald sie erfuhren wo sie war und was sie hat.

Sakura drehte sich zur Seite. Sie war zu erschöpft, um sich aufzuraffen und zum Futon zu gehen, also schloss sie auf dem harten Boden die Augen und schlief ein.
 

Das Klopfen an der Tür weckte Sakura am nächsten Tag auf. Die Sonne schien durch die zwei kleinen Fenster, erreichte sie allerdings noch nicht, also konnte es noch keine elf Uhr sein.

Mürrisch erhob sie sich und fuhr sich mit den Händen über ihr Gesicht, bevor sie die Tür öffnete und Ino (sie würde sie sicher in ihren Gedanken niemals mehr Flow nennen) mit zwei Bechern Kaffee und einer Papiertüte vor ihr stand.

»Ich dachte mir, dass du heute vielleicht was Süßes gebrauchen kannst. Darum hab ich dir ein Vanillecreme-Corno mitgebracht.«

Wie schon am ersten Tag wartete Ino nicht darauf, reingelassen zu werden, sondern schob sich an Sakura in den Raum.

Sie stellte die Becher auf die Arbeitsfläche der Küche und hielt Sakura die Papiertüte hin. Eigentlich hatte sie gar keinen Hunger, aber ein schlechtes Gewissen wegen gestern, also nahm sie sie Ino ab.

»Hast du dich wieder gefangen?«

Sakura war gerade dabei lustlos in das Gebäck zu beißen, also nickte sie knapp. Ino hob zweifelnd ihre Augenbrauen, sagte aber nichts weiter dazu. Sie sah sich kurz in dem kleinen Raum um und nahm sich dann einen der Kaffeebecher.

»Zahlst du die Wohnung selbst oder wird sie dir gestellt?«

Ohne groß nachzudenken – dafür war sie zu erschöpft – antwortete Sakura: »Sie ziehen es von meinem Gehalt ab.«

»Verstehe. Du weißt wem dieser Wohnkomplex gehört?«

Sakura nickte erneut. Sie wollte den Namen nicht aussprechen, aus Angst die drei Brocken, die sie gerade in ihren Magen hinabgewürgt hatte, gleich wieder auszukotzen.

»Nach deinem kleinen Nervenzusammenbruch, muss ich dich das einfach fragen: wieso bist du dann hier? Nicht nur deine Wohnung gehört ihnen, der Club ebenfalls. Ich meine, sogar der Park, in dem wir Joggen gehen, wurde von ihnen gestiftet.«

»Was geht dich das an?«, erwiderte Sakura und verschränkte abwehrend die Arme vor der Brust – das Crono zerdrückte sie dabei.

»Nichts. Allerdings wirkst du seit dem ersten Abend so als könntest du eine Freundin gebrauchen. Oder bist du von Natur aus so unausgeglichen?«

Das saß.

Also nicht die Frage nach ihrer Ausgeglichenheit, weil sie seit klein auf gern zu schnell an die Decke ging. Nein, es war die Feststellung einer fehlenden Freundin.

Sakura hatte nach dem Gespräch damals kurz überlegt, ihre Freunde aus der Uni um Hilfe zu bitten, aber diesen Gedanken sofort verworfen.

Was hätten sie tun sollen? 10 Millionen Yen leihen war wohl kaum möglich. Und ihnen zu offenbaren, welches Angebot ihr unterbreitet worden war, auch nicht. Die Polizei, die irgendjemand sicher auch vorgeschlagen hätte, war keine Option – Vetternwirtschaft.

Sakura kannte Ino nicht gut, aber Ino kannte auch die alte Sakura nicht. Dafür allerdings die neue. Die, die bei China versuchte irgendwann einmal an die Stange zu kommen, die langsam besser darin wurde in Plateauschuhen zu laufen und wenn es nach Hidan ging, spätestens in drei Tagen vor Publikum auftreten sollte. Als Anfängerin – darauf standen wohl auch einige.

Ino schnippte vor Sakuras Nase mit den Fingern und riss sie so aus ihren Gedanken.

»Hab ich Recht?«

Sakura seufzte. Was sollte schon passieren? Im schlimmsten Fall verkaufte sie die Geschichte an die Presse und sorgte für einen handfesten Skandal, der wahrscheinlich damit enden würde, dass irgendjemand starb.

Gut, das war ein hohes Risiko.

»Ich kann nicht darüber reden«, antwortete Sakura deshalb zähneknirschend, obwohl sie kurz davor war einzuknicken.

»Ich erzähl dir mal was, Süße. Als Stripperin erfährt man alles mögliche. Ich könnte die Ehen und Karriere von jedem zweiten Besucher ruinieren. Teilweise hohe Tiere. Aber daran hab ich kein Interesse. Ich verdiene gut, habe Spaß an meinem Job und wenn ich keine Lust mehr habe oder zu alt werde, suche ich mir einen netten Mann – vielleicht einen Künstler oder unwichtigen Autoren – und kaufe mir am Meer ein kleines Haus. Ich studiere übrigens nebenbei Mediendesign, also finde ich dann auch einen neuen Job.«

Das waren jetzt in knapp zwanzig Sekunden mehr Infos über Ino aka Flow gewesen, als in den ganzen Tagen, in denen sie gemeinsam joggen gegangen waren.

Sakura verfluchte sich selbst dafür, eine gewisse Sympathie Ino gegenüber aufzubauen. Sie würde einknicken, das merkte sie in dem Moment, als sich ihre Arme aus der abwehrenden Position lösten und sie den zweiten Kaffeebecher von der Arbeitsfläche nahm.

Sonderlich viel Überzeugungsarbeit hatte Ino also definitiv nicht leisten müssen, dachte Sakura seufzend.

Ino schien zu merken, dass sie gewonnen hatte und ließ sich auf den Boden fallen.

Sakura folgte ihrem Beispiel, nahm noch einen kleinen Schluck des, nun lauwarmen, Kaffees und begann schließlich: »Die Geschichte ist nicht sonderlich lang. Mein Vater hat vor ein paar Jahren seinen Job verloren. Ob meine Mutter das von Anfang an wusste oder nicht, kann ich nicht sagen. Nur, dass ich davon nichts mitbekommen habe. Ich hatte damals gerade die Aufnahmeprüfung für die Oberschule bestanden, die sich meine Eltern so natürlich nicht mehr leisten konnten. Zu ihrem Unglück hatte mein Vater ein Vorstellungsgespräch in dieser schrecklichen Firma, bei dem er wohl erzählt haben musste, wie dringend er Geld benötigte. Den Job bekam er nicht, aber ein Angebot für einen Kredit. Er hangelt sich seitdem von Nebenjob zu Nebenjob und so wie es klang, ist es Absicht. Meine Eltern können das Geld kaum zurückzahlen und die Zinsen sind unglaublich hoch. Na ja und da komme eben ich ins Spiel. Mir wurde angeboten, einen Teil der Schulden abzustottern. Also hier bin ich.«

Ino hatte schweigend zugehört und ihre blauen Augen bohrten sich nun in die von Sakura. Ihr war dieser Blick so unangenehm, dass sie wegschauen musste.

»Verstehe. Und wie passt dann deine Beziehung mit dem süßen Erben mit rein?«

»Ähm«, begann Sakura und spürte ein heftiges Ziehen in ihrer Magengegend, das sich bis zu ihrem Herzen hochzog.

Um sich ein wenig mehr Zeit zu verschaffen, denn antworten würde sie definitiv, nahm sie einen großen Schluck ihres Kaffees, an dem sie sich prompt verschluckte.

Sie hustete ein paar Mal und Ino lehnte sich vor, um ihr auf den Rücken zu klopfen.

»D-danke«, räusperte Sakura sich.

Sie atmete tief durch und starrte dann gen Boden.

»Ich hab seinen besten Freund in der Mittelschule kennengelernt. Wir waren zusammen in die gleiche Klasse gelost worden und mal davon ab, dass er ein schrecklicher Chaot war und der Klassenclown, war er wirklich unheimlich witzig. Er kam dann mit einer Freundin von mir zusammen und so haben wir begonnen mehr Zeit miteinander zu verbringen. Dass natürlich dann auch«, Sakura stolperte über den Namen und musste sich zusammennehmen, bevor sie weitersprach, »der unerreichbare Sasuke Uchiha Teil der Gruppe wurde, war nur logisch. Er machte sich nicht sonderlich viel daraus, aber er und sein bester Freund, klebten fast aneinander. Man traf den einen nie ohne den anderen an. Und irgendwie hat es sich dann entwickelt. Wir waren beide von den überschwänglichen Liebesbekundungen genervt oder warteten darauf, dass die zwei sich endlich voneinander trennen konnten. Irgendwann kommt man da selbst mit einem sprachfaulen Menschen wie Sa-sasuke ins Gespräch. Am Anfang war nicht so wirklich klar, was wir da nun eigentlich hatten, aber irgendwann hat er mich zu seinen Eltern zum Essen eingeladen. Wir haben aber meistens mehr Zeit bei mir verbracht. Er war es wohl auch, der meinem Vater das Bewerbungsgespräch vorgeschlagen hat.«

Sie musste eine kurze Pause machen, bevor sie weitersprechen konnte. Ein Kloß hatte sich in ihrem Hals festgesetzt und Tränen standen ihr in den Augen.

»Ich dachte wirklich … weißt du, ich dachte echt, er meint es ernst. Aber als wir dann im letzten Jahr der Oberschule waren wurde er immer … immer abweisender und …«

Sakura musste abbrechen, weil ihr der Kloß im Hals das Sprechen unmöglich machte.

»Glaubst du, er wusste, was da vor sich ging?«

Sakura zuckte kraftlos mit den Schultern. »Wieso nicht? Es ist ein offenes Geheimnis, dass … dass die Uchiha-Familie durch unehrenhafte Machenschaften an das Geld und die Macht gekommen sind.«

»Und trotzdem bist du mit einem von ihnen ausgegangen«, stellte Ino nüchtern fest.

»Tja … da sieht man mal. Ich hab versucht es zu ignorieren und irgendwie ging das gut. Wir waren ja sogar noch nach der Schule zusammen. Irgendwie zumindest. Vor ein paar Monaten dann wurde ich in ein Auto gebeten und zu einem der unzähligen Büros der Firma gefahren. Frag mich bitte nicht welches. Dort hat mir dann dieser alte, runzlige Arsch von Oberhaupt die Geschichte mit einem Vater erzählt und …«

Das war das schlimmste an der ganzen Sache. Sie war bis zuletzt, selbst in diesem Raum, umzingelt von lauter Männern, die alle so aussahen als hätten sie schon getötet, der Meinung gewesen, dass Sasuke ihr helfen würde.

Weil sie dumm gewesen war. Viel zu dumm.

»Und was?«, hakte Ino nach, da Sakura keine Anstalten machte, weiterzusprechen.

»Und er fragte mich, ob ich wirklich so dumm wäre, und glauben würde, dass ein Uchiha sich mit der Tochter eines hochverschuldeten Mannes rumschlagen würde.«

Diese Worte kamen, anders als all die anderen zuvor, mit einer richtigen Wut aus ihr heraus. Das Ziehen in ihrem Körper brannte nun eher und sie zerdrückte den Pappbecher in ihrer Hand.

»Dann hätten wir das mit den Stimmungsschwankungen auch geklärt«, sagte Ino und stand auf, um ein paar Blätter Küchenrolle zu holen.

Sakura nahm sie ihr ab und legte sie einfach auf den nassen Fleck am Boden.

»Wie es scheint hatte er Recht. Wenn ich mir dieses Foto so anschaue, reicht die Überschrift aus, um den Rest erschließen zu können.«

Ino schwieg einen Augenblick, legte ihren schmalen Zeigefinger gegen ihr Kinn und tippte ein paar Mal nachdenklich damit dagegen.

»Vielleicht hättest du den Artikel lesen sollen. Die junge Frau auf dem Bild, ist die Tochter einer alten japanischen Familie, die großen Einfluss in der Industrie haben.«

»Ja und?«, erwiderte Sakura.

»Vielleicht schaue ich zu viele spanische Telenovelas, aber warum sollte ein Mittelschüler einen arbeitenden Mann in die Schuldenfalle locken? Wo war da der Mehrwert für ihn gewesen? Außer, weil er ein Sadist ist. Aber das hättest du doch gemerkt. Oder nicht?«

Sakura wollte sich darüber keine Gedanken machen und selbst wenn Sasuke am Anfang kein Teil davon gewesen war, woher wusste sie, dass er später nicht eingeweiht worden war? Sein Verhalten sprach nicht unbedingt für ihn.

»War nur ein dummer Gedanke«, winkte Ino ab, nachdem keine Antwort folgte.

»Und eigentlich ist es auch egal. Die Frage ist nun eher, kommst du mit mir Joggen und lässt dir von China die einfachen Stangenmoves zeigen oder willst du hier drinnen versauern?«

Das war ein schneller Themenwechsel gewesen. Zu schnell für Sakuras aktuell langsamen Kopf.

Ino wartete die Antwort auf ihre Frage aber gar nicht erst ab, sondern suchte im Umzugskarton, der einen Schrank ersetzte, nach ein paar Sportklamotten, die sie ihr zuwarf.

Vollkommen perplex nahm Sakura diese in die Hände und erhob sich ebenfalls. Wie ferngesteuert ging sie ins Badezimmer und zog sich um. Sie kämmte ihre Haare, die in alle Richtungen abstanden und merkte erst jetzt die Rückenschmerzen, die das Schlafen auf dem harten Boden verursacht hatten.
 

Die Choreografie, die China mit Sakura für deren ersten Auftritt entworfen hatte, war einfach und bestand zu großen Teilen nur aus Figuren, die sich am Boden abspielten. Um es etwas attraktiver wirken zu lassen, hatten sie noch ein paar einfache Moves mit Stange eingebaut. Das hieß schlicht und ergreifend, dass sie sich dagegen lehnen und in die Knie gehen musste oder sich daran festhielt und ihren Oberkörper nach hinten in ein Hohlkreuz beugte.

Körperspannung war auch hier wichtig, aber nichts, bei dem sie groß Gefahr lief, wie ein nasser Sack auf dem Boden zu landen.

Wenn sie nicht nur mit einem Minirock bekleidet gewesen wäre und sich schließlich bis auf ihren String-Tanga ausgezogen hätte (ihre Brustwarzen hatte sie mit komischen Glitzerpflaster abgeklebt), wäre es sogar beinahe lustig gewesen.

Sie stand nun hinter der Bühne, hatte von Ino einen Bademantel übergezogen bekommen und beobachtete eine der anderen Stripperinnen dabei, wie diese sich vor den Männern auszog und ungefähr drei Mal so viel Geld zugesteckt bekam wie sie selbst.

»Mach dir keine Gedanken. Chibi ist seit vier Jahren dabei. Sie hat einige Stammkunden und ein paar davon zahlen mehr, aus Angst, sie könnte Geheimnisse ausplaudern. Das wird schon noch«, erriet Ino ihre Gedanken und zwinkerte ihr gutgelaunt zu.

»Ich bin übrigens froh, dass du dich hierfür entschieden hast«, flüsterte sie Sakura nun leise ins Ohr. »Nach deinem kleinen Wutausbruch neulich, habe ich Hidan gehört, wie er mit jemandem telefoniert hat. Ich hab nicht alles verstehen können, aber nachdem du mir deine Geschichte erzählt hast, würde ich spontan sagen, haben sie sich schon eine Alternative überlegt, wie du das Geld noch zurückzahlen kannst.«

Sakura musste schlucken und eine Gänsehaut überzog ihren Körper.

»Vielen Dank«, flüsterte sie zurück und wusste in diesem Moment nicht, wie sie Ino jemals diese Geste zurückzahlen sollte. Sie hatten sich kaum gekannt und trotzdem war sie zu ihr gekommen, um ihr zu helfen. Dabei hatte es sie überhaupt nicht betroffen.

Es wäre für Ino viel zu einfach gewesen, das zu ignorieren. Sakura konnte kaum in Worte fassen, wie dankbar sie ihr war, dass sie es nicht getan hatte.

»Wirklich. Tausend Dank.«

Ino drückte sie kurz von hinten und gab ihr einen Kuss auf die Wange.

»Nicht dafür. Und wünsch mir Glück.«

Chibi war fertig mit ihrer Show, sammelte noch schnell ihre Klamotten und ein paar Scheine ein und verschwand dann hinter einem weiteren Vorhang.

Sakura beobachtete Ino ein bisschen bei ihrem Auftritt und ließ den Blick durch die Menschenmenge schweifen. Hie und da hatte sie das Gefühl, dass einer der Gäste sie zwischen den dunklen Vorhängen hinaus spitzen sah und den Blick erwiderte, aber das war wohl Einbildung ihrerseits.

Nachdem Ino fertig war und noch ein bisschen mit den Männern in der ersten Reihe flirtete, zog Sakura sich endgültig zurück. Sie hatte für den Anfang nur einen Auftritt und wollte sich umziehen und kurz an die frische Luft, bevor sie sich zwischen die Gäste mischte. Sie musste weiterhin nebenbei kellnern und konnte die anderen Mädels nebenbei beobachten, wie sie den ein oder anderen Lap Dance machten.

Wie lange sie sich davor wohl noch drücken konnte, bevor sie sich auf fremden Männern räkeln musste?

Ein kalter Schauer überzog ihren Rücken und sie bekam Gänsehaut auf den Armen.

Sie zog sich ihre lange Weste über den Körper, um die innere Kälte zu vertreiben und sich vor möglichen Blicken Fremder zu schützen.

Sakura folgte dem schmalen Gang zur Eisentür und trat schließlich an die frische Luft, die sie begierig einatmete. Das tat einfach gut. Sie lief ein paar Schritte auf und ab und spürte neben dem Ekel von fremden Menschen beim Ausziehen beobachtet worden zu sein, auch einen Hauch von Stolz, dass sie es überhaupt getan und es sogar fehlerfrei hinbekommen hatte.

Als die Tür sich hinter ihr öffnete, dachte Sakura erst, dass Ino auf dieselbe Idee gekommen war und frische Luft brauchte. Sie drehte sich deshalb mit einem zufriedenen Lächeln um.

Aber es war nicht Ino – und auch keins der anderen Mädels. Es war auch niemand, der hier arbeitete.

Schockiert weiteten sich ihre Augen, als sie den Mann schließlich erkannte.

Wie …?


Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich hoffe, die Geschichte hat euch gefallen - und gemeines offenes Ende, ich weiß.
Tatsächlich muss ich gestehen, dass ich eine richtige Leidenschaft für diese Idee entwickelt habe - allerdings wäre die Geschichte explodiert, wenn ich alles, was mir während des Schreibens eingefallen ist, eingebracht hätte. Dafür fehlte mir leider die Zeit. :(
Vielleicht greife ich es irgendwann noch mal auf und mache eine mehrteilige Fanfiction daraus. :D

EDIT: 20.01.20: Es wird zwei weitere Kapitel geben! Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (9)

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Von:  jakne
2021-01-11T21:40:52+00:00 11.01.2021 22:40
Hallihallo:)
Ich bin gerade auf deine FF gestoßen und finde sie sehr gelungen :)
Ich denke nicht, dass Sasuke was mit den Schulden von Sakuras Vater zu tun hat und auch nicht, dass er ganz so freiwillig verlobt wurde :p Hoffe ich zumindest :O
Ich war ein bisschen traurig, dass das Ende so offen gelassen wurde, bis ich dein EDIT gelesen habe, hihi:)
Deswegen freue ich mich jetzt auf deine zwei weiteren Kapitel !
Lg :)

Von:  Annasche
2019-08-07T16:41:09+00:00 07.08.2019 18:41
Omg...was für ein mega gemeines 'Ende'! Du kannst uns doch nicht so hängen lassen! Dieser OS verlangt doch nach einer Fortsetzung!
Sehr schön geschrieben und die Idee zur Story ist auch mal echt was anderes! Gefällt mir richtig gut!!
Antwort von:  Goetterspeise
07.08.2019 19:44
Huhu,
vielen Dank für deinen Kommentar! Und ja, das Ende ist gemein. Ich hab ein paar Eckpunkte, mit denen ich es doch weiterführen könnte, aber das muss erst noch ausgearbeitet werden. Vielleicht wirds was. :)
Von:  Clarys
2019-05-17T13:17:16+00:00 17.05.2019 15:17
Oh mein Gott, also ehrlich....
Das ist so eine tolle, geniale, großartige und einfach mega spannende Storyidee und dann lässt du uns einfach mit solch einem Ende stehen....
Oh man dieses Ende, das regt mich gerade wirklich aus! XD

Also insgesamt ist es ein echtes Meisterwerk, der Wahnsinn...

Aber bitte bitte bitte schreibe weiter! :D
Antwort von:  Goetterspeise
13.06.2019 17:17
Huhu,
entschuldige die späte Antwort. Vielen, lieben Dank für deinen Kommentar, ich hab mich sehr gefreut und natürlich noch mehr, dass dir die Idee und die Umsetzung so gut gefällt. :) Falls mir was Gutes einfällt, wird daraus vielleicht noch ein Mehrteiler. :)
Liebe Grüße!
Von:  SasuSaku90
2019-05-12T15:35:50+00:00 12.05.2019 17:35
Ich finde die FF sehr schön ich hoffe das du ein Ende machst 😁❤️
Antwort von:  Goetterspeise
13.06.2019 17:16
Hey, sorry für die späte Antwort: vielen Dank für deinen Kommentar. Ein, wenn auch offenes, Ende hat die Geschichte ja. Mal schauen, ob mir was spannendes einfällt ^.^
Von:  jackisasu-chan
2019-03-02T12:28:58+00:00 02.03.2019 13:28
Hey. Eine sehr tolle ff. Ich hab es echt genossen diese zu lesen.
Aber das ende.... Du kannst uns doch nicht einfach so bedröppelt stehn lassen :D Ich persönlich würde mich freuen wenn du weiter schreiben würdest.

Liebe Grüße :)
Antwort von:  Goetterspeise
13.06.2019 17:15
Hey,
mit einer riesigen Verspätung bedanke ich mich ganz herzlich für deinen Kommentar :)
Liebe Grüße!
Von: abgemeldet
2019-02-15T15:16:50+00:00 15.02.2019 16:16
Liebe Wichtel Goetterspeise,
ich bedanke mich nochmals für die unglaublich spannende und großartige Geschichte zum Fandom Naruto und die Auswahl der Charaktere auf Sakura und Ino, teilweise auch auf Tenten. Zudem habe ich mich so gefreut, ein reizendes Thema zum Genre Drama zu bekommen. Du hast voll ins Schwarze getroffen :) Also hab keine Angst, mir hat der One-Shot sehr gefallen.
Die Idee mit dem Stripclub finde ich: es ist mal etwas Neues. Vor allem hast du es gut umgesetzt und ich konnte Sakura Gefühle gegenüber dem Thema sehr nachvollziehen und mitfühlen. Da passt das Genre Drama perfekt dazu. Allgemein bin ich für andere Richtungen und neue Bereiche stets offen und kann diesen OS von meiner Liste abhacken XD
Die Charaktere hast du wunderbar in die Situation eingebracht. Sakura als Neuling hat es natürlich nicht, außerdem tut sie es ja für ihre Eltern, um an geld ranzukommen. Im fast jeden Satz konnte ich Sakura Leiden sehen. Ungewohnt ein neues Leben zu starten, weil ihr Ex-Freund mehr als Schulden bei ihrer Familie hinterliess. Mistkerl! Ihre Gefühle und Gedankengänge sind wirklich sehr gut beschrieben und hinterlassen oft beim Lesen bei mir eine Gänsehaut. Dafür ein ganz großes Lob!
Ino als Beautiful Flower passt wortwörtlich als Spitzname. Sakura mit Little Cherry konnte ich mir schon gut vorstellen und Tenten als China ist auch getroffen. Hier hat Ino wirklich einen schlagfertigen und etwas eitel-haften Charakter, der in der Story gut hineinpasst. Zusammen sind die zwei wirklich klasse! Am besten gefiel mir die Anspannung im OS. Wie verzweifelt Sakura war und manchmal nicht weiter wusste. Ihr einziger Haltepunkt ist nun mal ihre Familie. Der Alltag einer Anfängerstripperin hast du nach meiner Meinung gut beschrieben. Hart und nicht einfach. Allein der Gedanke mit diesen "Schuhen" herumzulaufen: Nein danke XD
Und das Ende ... offene Ende ... ich kann mir schon vorstellen wer da ist. Da lässt viel Spielraum offen und für diese Story ein guter Zug. Dein Schreibstil ist auch sehr flüssig und angenehm zu lesen. Zum Schluss noch mal ein herzlichen Dankeschön.

LG^^Alien^^
Antwort von:  Goetterspeise
18.02.2019 16:11
Hallöchen :D

es freut mich unheimlich, dass dir die Geschichte gefallen hat.
Ich hatte bei Sakura ein bisschen Bauchweh, weil sie ja eig. nicht so der passive Typ ist, dachte aber, in Verbindung mit Sasuke passt es dann doch. Deshalb ist es beruhigend zu wissen, dass du dich Chraktere gut getroffen findest *-*
Ich weiß gerade sonst gar nicht, was ich noch groß antworten soll, weil ich einfach nur sehr, sehr happy über dein positives Feeback bin - immerhin soll dir die Geschichte ja zusagen und das tut sie zum Glück :3
Bezüglich des Ende, könnte es halt wirklich passieren, dass du irgendwann mal bei einer FF verlinkt werden wirst, weil mich diese Idee jetzt im Nachhinein nochmal richtig geflasht hat und ich jetzt (nach Ende der Aktion leider erst ...) noch tausend Ideen im Kopf habe x.x

Liebe Grüße :D
Von:  AngelPlayer
2019-02-14T20:55:34+00:00 14.02.2019 21:55
Bitte schreib das weiter. Ich weiß du hast One-Shop angegeben aber Schreibtisch und Ider sind so gut das es einfach eine Vorsetzung geben muss!
Antwort von:  Goetterspeise
18.02.2019 16:07
Hey,
vielen Dank für das Lob und dass du dir Zeit für einen Kommentar genommen hast :3 Wie gesagt, ich bin aktuell am Überlegen, ob ich aus dieser Idee nicht eine ganze FF mache, aber zunächst muss ich mal noch meine anderen offenen Sachen beenden. Leider /)

Liebe Grüße :3
Antwort von:  cherry20
21.02.2019 10:18
Oh Gott bitte schreib weiter. Entweder ist es Naruto oder Sasuke. Eine ganze FF daraus zu machen wäre genial. Es muss aber nicht allzu lang sein. 3 weitere Kapiteln reichen auch.
Von:  flllunicorn
2019-02-14T20:24:33+00:00 14.02.2019 21:24
Wer es wohl sein wird 0.0
Antwort von:  Goetterspeise
18.02.2019 16:06
Das darfst du dir selbst ausdenken :D


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