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Hinter der Fassade

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Kapitel 23: Arete fällt | B

Der Verlust, der betrauert wurde, war nicht aus ihren eigenen Reihen. Doch Azuras Trauer wog schwer, der neuerliche Abschied von ihrer Mutter nahm sie sichtlich mit – und damit auch alle, die ihr näherstanden. Die anderen Prinzen und Prinzessinnen waren alle berührt. Lord Xanders sorgenvolles Gesicht war für Laslow unerträglich anzusehen. Ihre Freunde, ihre Kameraden. Seitdem die Schlacht gegen Arete und ihre Truppen aus untoten Ungeheuern vorüber war, war Azura keinen Augenblick mehr allein gewesen, wenn sie das nicht gewünscht hatte.

Die Stimmung im ganzen Lager war drückend.

Laslows kannte Prinzessin Azura nicht sonderlich gut. Er hatte von ihrer Mutter während seiner Zeit in Nohr kaum etwas gehört, und das wenigste von den wenigen Worten war positiv gewesen. Trotzdem war ihm übel, elend, und er hatte das dringende Bedürfnis, sich zu erbrechen. Er wusste, was die junge Frau durchmachte. Selena wusste es. Odin wusste es. Laslow sah die Erinnerung an ihren eigenen Schmerz in der Art, wie Selena jeden anfuhr, der es wagte, ihr zu nahe zu kommen, und gleichzeitig aber nie mehr als ein paar Schritte von der nächsten Person entfernt blieb. Er sah es in der Art, wie Odin ganz besonders finster und wortreich verkündete, sich am Quell der Dunkelheit zu laben, um neue unaussprechliche Kräfte für die finale Schlacht zu erlangen. Er spürte es selbst daran, wie bitter sein eigenes Lachen schmeckte, wie schwer jedes Zucken seiner Mundwinkel fiel.

Es war Flucht, dass er sich freiwillig bereiterklärte, auszuziehen, um zu jagen. Viel Lebendiges gab es hier nicht mehr, aber einige Wildtiere hatten die Zerstörungswut Anankos‘ bisher überlebt. Die Vorräte ihrer kleinen Armee schwanden, also war eine Ergänzung wünschenswert. Jetzt, am letzten Tag, bevor sie Schloss Gyges stürmten, mussten sie alles Menschenmögliche tun, um möglichst gut zu Kräften zu kommen.

 

Kaum das Lager verlassen, umfing ihn Wildnis. Unnatürliche Stille, die die Trostlosigkeit des ganzen Reiches unterstrich. Fremde Gerüche von fremden Pflanzen.

Es erinnerte ihn an die ersten Wochen, die er in Nohr verbracht hatte. In denen alles noch neu und fremd und anders gewesen war, kein Vergleich zum reich blühenden, wunderschönen, friedlichen Ylisse. Die Nächte, die er mit Odin und Selena beim Schein einer Öllampe in einem ihrer Zimmer verbracht hatte, nah beieinander und sich nur im Flüsterton über das Heimweh unterhaltend, das sie damals alle viel zu sehr geplagt hatte. Im Grunde plagte es auch heute noch, doch sie hatten alle drei gelernt, das Leid hinunterzuschlucken und still mit sich selbst auszumachen.

Wie lange war das her? Jahre. Es wirkte weniger, solange er sich die genaue Zahl nicht in Erinnerung rief.

So lange, dass er Laslow war. Diener des Königshauses.

Er atmete tief, bebend durch.

„Wenn wir diese Schlacht gewinnen, kehre ich zurück.“

Die ersten Ausläufer eines Waldes, die ihre gierigen, knorrigen Finger nach ihm ausstreckten, verschluckten seine Worte. Es laut auszusprechen, machte es realer. Es war erleichternd. Es war bedrückend. Lord Xander hatte versprochen, es ihm nicht übelzunehmen, sollte er ihn verlassen. Solange er lebte. Leben würde er. In Frieden. Endlich.

Es war so lange kein Thema mehr gewesen. Wohin würden sie zurückkehren? In ihre wahre Heimat, oder an den Ort, an dem ihre Eltern noch lebten? Noch einmal mit seiner Mutter tanzen. Mit seinem Vater trainieren. Sich die Grundlagen des Jagens von ihm beibringen zu lassen. Gemeinsam am Lagerfeuer den erlegten Bären verspeisen.

Zusehen, wie der kleine Inigo, der in diese Welt gehörte, aufwuchs, um den Platz auszufüllen, an den er sich gedrängt hatte.

„Du wirst kein Wild erlegen, indem du hier stehst und den Bäumen sehnsüchtige Blicke zuwirfst.“

Laslow zuckte zusammen, wie ertappt. Er fuhr sich mit dem Ärmel übers Gesicht, ehe er sich mit einem strahlenden Grinsen zu Niles umdrehte.

„Was für eine Überraschung!“

Keine gute Überraschung.

Niles erwiderte sein Grinsen, genauso unangenehm und unfreundlich wie die letzten Male schon, marschierte dann an ihm vorbei, zielstrebig tiefer in den Wald hinein. Er war beinahe erschreckend leise. Passend für einen Mann, der anderen bei jeder Gelegenheit nachstellte. So wie jetzt.

Laslow hatte keine Lust auf Spielchen.

 

„Was willst du, Niles?“

„Nun, ich dachte, wir könnten unser stimulierendes Gespräch von neulich noch einmal aufgreifen. Außerdem konnte ich meine Zweifel nicht beseitigen, dass du uns mit diesem Bogen überhaupt irgendetwas erlegst.“

Laslows säuerlicher Blick prallte an Niles ab wie ein Kieselstein an einer massiven Rüstung. Er straffte die Schultern, griff den Bogen fester.

Ich habe dir nichts zu sagen.

„Mein Vater hat mir das Bogenschießen beigebracht.“

Im Grunde war es einerlei. Niles würde nichts finden. Und wenn er den gesamten Stammbaum des Mannes runterbeten würde, er würde nichts über seinen Vater finden – und damit nichts über Laslows Vergangenheit. Nichts über die atemberaubendste Tänzerin der ganzen Welt. Oder die Erhabene, die sich für den Frieden geopfert hatte. Die kleine Prinzessin, die die schlimmsten Streiche spielen konnte, und das größte Herz hatte.

Niles summte amüsiert.

„Nein, wie reizend. Hat Vati dir auch beigebracht, den Tod eines Kameraden nach seiner verbliebenen Familie zu bemessen?“

Laslow schüttelte den Kopf. Rational betrachtet sollte er den Mund halten, um nicht noch mehr Angriffsfläche zu bieten. Schweigen, während sie durch fremdartiges Unterholz schlichen, konzentriert darauf, jede verräterische Spur zu entdecken, die von wilden Tieren künden mochte.

Er war einfach nicht rational.

„Ein Freund meines Vaters kam auch aus einem kleinen Dorf“, begann er, zögernd. Inzwischen verschwamm die Erinnerung in seinem Kopf: Der kleine Donnie, den er in der Vergangenheit kennengelernt hatte, und der erwachsene Donnell, der kompetente Krieger, der auch viele Jahre später noch an der Seite seines Vaters gekämpft hatte. Wenn er sich konzentrierte, fielen ihm die Narben auf dem älteren Gesicht aber wieder ein, der ernste Zug um seine Braue, der ihm als junger Bursche immer gefehlt hatte.

„Genau wie sie. Als er starb–“

Er brach ab, suchte nach Worten zu den Erinnerungen, die auf ihn einströmten, und hatte doch keine. Es war so lange her. Wie konnte es so lange her sein?

„Er hatte also noch Familie.“ – „… Ja. Es war furchtbar. Seine Mutter gab uns die Schuld an seinem Tod. Sie hat geschrien und gewütet und geheult.“

Laslow entkam ein Lachen, Hilflosigkeit im Angesicht der alten Trauer, die ihn gerade zu erwürgen drohte.

„Ich war damals noch so jung, dass ich mich hinter meinem Vater versteckt habe. Es war schrecklich.“

Wieso er Niles‘ Blick suchte, wusste er selbst nicht. Ein Reflex. Ein dummer Reflex, der ihm nur eiskalten Hohn einbrachte und ein Lächeln, das so scharf war, dass es durch Knochen schneiden konnte.

„Mhm. Ich sehe. Ein tiefes Trauma, das du da mit dir rumschleppst. Es muss furchtbar für dich wohlbehütetes Kind gewesen sein, so viel fremdes Leid zu sehen. Wie schrecklich! Bist du dann in Vatis Arme geflüchtet, um Trost zu suchen, als es vorbei war?“

Worte wie Messerspitzen, die seine Haut durchdrangen. Wut. Ärger. Du kennst mich nicht. Aber so sollte es sein. Keine Schwäche zeigen.

Die Erinnerung, die Niles‘ Worte weckte, war keine schlechte. Sein Vater hatte ihn getröstet, obwohl die ganze Situation ihm selbst zugesetzt hatte. Er erinnerte sich an die Wärme seiner Hand auf dem dunkelblauen Haarschopf, den er damals noch getragen hatte, an das raue Murmeln seiner Worte, auch wenn er ihre Bedeutung längst vergessen hatte.

Sein Lachen war sein Schild, um die Messer abzuwehren.

„Ja.“

 

 

 
 

~*~

 

 

 

Ihre Beute war ein Bär. Es war mehr Glück als Verstand, dass sie seine Spuren fanden. Ältere Spuren, die zu einer Lichtung führten, an deren Ränder im Schatten der dicht belaubten Baumkronen Pilze wuchsen, die ein schweres, erdiges Aroma verströmten. Eine Futterquelle für den Bären, die er früher oder später wieder aufsuchen würde. Zwischen den Bäumen fanden sie beide schnell einen Platz, um sich auf die Lauer zu legen und zu warten. Bis ihr Ziel sich tatsächlich noch einmal mit schwerfälligen Schritten der Lichtung näherte, war die Sonne weit genug gewandert, um tiefe Schatten zwischen rotgoldene Lichtfetzen zu werfen. Bald würde es zu dunkel werden für einen klaren Schuss.

Der Bär war ein großes, massives Monster mit zotteligem Fell und einem blinden Auge. Alt, aber kampferprobt. Dass es in dieser unfreundlichen Welt überhaupt überlebt hatte, ließ mühelos darauf schließen, dass sie Probleme bekommen würden, wenn sie das Ungetüm nicht ausschalteten, bevor es auf sie aufmerksam wurde.

Er schien etwas Fremdes zu wittern, wandte den Kopf umständlich von einer Seite zur anderen. Laslow blieb das Herz stehen, als das eine sehende Auge des Bären sich auf sein Versteck richtete, doch nach einem endlos langen Augenblick, in dem er die Luft anhielt, wandte das Tier sich doch wieder ab. Er schluckte, atmete nur noch flach weiter. Sie hatten einen Schuss. Zwei Schuss, strenggenommen, wo sie zu zweit waren. Herz. Lunge. Wenn sie keinen Treffer landeten, der innerhalb von kürzester Zeit tödlich endete, hatten sie ein wildgewordenes Monster am Hals, das, wie es aussah, sein Heil nicht in der Flucht suchen würde, sondern im Kampf.

Es war Jahre her, dass er das letzte Mal einen Bogen in der Hand gehabt hatte. Einen Pfeil an die Sehne gelegt. Trotzdem war es mühelos. Sein Muskelgedächtnis wusste noch genau, was zu tun. Wie viel Kraft er brauchte, um die Sehne zu spannen. Die Hände ruhig zu halten, als er zielte. Ruhig atmen. Früher hatte er eine Zeit lang mit Noire trainiert, um ihr zu imponieren. Sie war immer besser geblieben als er, und ihre zeitweilen Ausbrüche hatten ihn nicht nur immer wieder in die Flucht getrieben, sondern ihm die ein oder andere schmerzhafte Blessur eingebracht, an die er sich heute noch erinnerte.

Der Bär schien immer noch unentschlossen, ob er sich seinem Futter zuwenden oder lieber davonhuschen sollte.

Komm schon. Noch ein Stück. So kriege ich keinen sauberen Schuss, und Niles auch nicht.

Ein kurzer Blick huschte zu seinem Kameraden, der ganz in der Nähe Position bezogen hatte. Es war nicht die beste Idee gewesen, so nah beisammen zu bleiben, doch das Dickicht hier bot den besten Sichtschutz vor dem Bären und ihnen gleichzeitig die beste Schussbahn. Er sah völlig entspannt aus. Hatte den Bogen gespannt, stand still wie ein Denkmal seiner selbst. Ein Bogenschütze mit nur einem Auge. Laslow wusste, dass ein eingeschränktes Sichtfeld auch das Zielen erschwerte. Doch Niles‘ Pfeile trafen ohne Gnade. Die Fähigkeiten des Mannes waren beeindruckend.

Anders als seine Persönlichkeit.

Sein Blick kehrte zu dem Bären zurück. Er schien beschieden zu haben, dass sein Futter ihm wichtiger war als die drohende Gefahr.

Noch ein Schritt…

Der Pfeil flog. Schlug mit einer Wucht, die den Bären zurücktaumeln ließ, in sein Fleisch ein. Niles‘ eigener Pfeil ragte nur ein kleines Stück weiter aus dem zotteligen Fell. Das Monster brüllte. Wütend, schmerzerfüllt. Schlug um sich in blinder Rage.

„Lauf!“, brüllte Niles ihm entgegen. Laslow brauchte die Extraufforderungen nicht.

 

Von der charakteristischen Leichtfüßigkeit des Bären war nichts mehr übrig, als er fuchsteufelswild durchs Unterholz preschte, ihnen dichter auf den Fersen, als es Laslow lieb war. Der Bär hatte den Terrainvorteil. Sie kannten den Wald nicht. Gejagt von dem Monster verlor er schnell jede Orientierung. Vorbei an Bäumen, Sträuchern, den Blick auf den Boden gerichtet, um nicht am Ende über eine hervorstehende Wurzel zu stolpern. Nicht zurückblicken. Wenn er den Bären zähnefletschend hinter sich sah, würde seine Panik nur noch größer. Holz knackte unter den wuchtigen Pranken. Es klang sowieso schon viel zu nah.

Die Stille, die plötzlich eintrat, war so allumfassend, dass sie in den Ohren schmerzte. Laslow begriff einen langen Moment nicht, was das Fehlen von Lärm bedeutete, dann kam er stolpernd und strauchelnd zum Stehen, die Hände auf die Knie gestemmt. Er schluckte hektisch um den metallischen Geschmack herum, der in seiner Kehle brannte.

„Ist er– ist er wirklich tot?“

Das Blut in seinen Ohren rauschte so laut, dass er Niles‘ Antwort nicht hörte, doch er sah sein Nicken. Erleichtert ließ Laslow sich auf den Hosenboden fallen, streckte die Beine von sich. Seine Muskeln protestierten nach der Hetzjagd bei jeder Bewegung.

„Das war… kein normaler… Bär“, keuchte er empört. Vallitischer Bär. Genauso unnormal wie vallitische Soldaten. Und vallitische Drachengötter. Anankos war ja nun wirklich auch nur eine Marke für sich.

„In jedem Fall haben wir jetzt eine Portion Fleisch zum Abendessen mehr“, gab Niles unbekümmert zurück. Er klang nicht halb so erschöpft, wie Laslow sich fühlte. Wenigstens saß er auch am Boden und sah nicht aus, als würde er allzu bald hochkommen wollen.

 

Als sie sich schließlich doch wieder aufrafften, reichte das letzte verbliebene Tageslicht gerade noch, um sich neu zu orientieren und die Pranken des Bären aneinanderzubinden, damit sie ihn ins Lager zurückschleifen konnten.

„Das war ein guter Schuss. Ich habe es dir nicht zugetraut.“

Laslow war nicht sicher, ob er Niles‘ Worte als Beleidigung oder Kompliment auffassen sollte. Das war immerhin Niles. Niles machte keine Komplimente. Aber es waren die ersten halbwegs freundlichen Worte, die er von dem Mann in letzter Zeit gehört hatte, und das war genug wert, um zufriedenstellend zu sein. Kein beißender Hohn und Spott war eine nette Abwechslung. Warum konnte es nicht immer so sein?

„Mein Vater war ein guter Lehrer“, erwiderte er lächelnd. Niles würdigte seine Worte mit keiner Reaktion mehr. Ah. Das war wohl die falsche Antwort gewesen. Hatte Niles vermutlich an das Gespräch erinnert, das sie vorhin noch geführt hatten. Laslow seufzte schwer, biss sich auf die Unterlippe. Er wollte das nicht stehen lassen. Er wollte aber auch nicht wieder streiten.

„Ich will niemandem das Leid antun, einen geliebten Menschen zu verlieren.“

Niles sah ihn an, die Augenbraue erhoben, spöttisch, amüsiert. Was, das schon wieder? Haben wir das nicht zur Genüge besprochen? Er reckte trotzig das Kinn vor, erwiderte seinen Blick unbeugsam. Angriff war die beste Verteidigung, oder?

„Weißt du, wie das ist?“

Niles lachte. Auf eine Art, die Laslow das Gefühl gab, er hätte die dümmste Frage überhaupt gestellt – und vielleicht hatte er das sogar. Mit schambrennenden Wangen wandte er das Gesicht ab.

„Nein. Weißt du, Laslow, der arme, kleine Niles hatte nie eine Familie, die er hätte lieben können.“

Eine Pause folgte auf die Worte, die langsam in Laslows Bewusstsein sickerten. Ein Leben ohne Familie klang unendlich grausam. Doch auf der anderen Seite – was man nicht kannte, vermisste man wohl weniger? Konnte man kaum betrauern. Aber wie überlebte man? Als Kind, ohne jemanden zu haben, der durchs Leben führte?

Er wollte es nicht wissen.

Niles fuhr ungerührt fort:

„Ich fürchte also, ich kann deinen Horizont da nicht erweitern, so gern ich das auch würde.“

Jetzt war es an Laslow, zu lachen. Auf die gleiche Art, die ihm von Niles aus eben ein vor Scham heißes Gesicht eingebracht hatte.

„Das musst du nicht.“

„Bitte?“

„Ich sagte: Das musst du nicht.“

Er holte tief Luft. Blieb stehen, um sich Niles voll zuzuwenden. Der Mann tat es ihm gleich, wenn auch wohl nur deshalb, weil er allein das riesige Bärenungetüm nicht durchs Dickicht zerren wollte. In seinem Blick lag eine verhaltene Neugier, die Laslow bisher noch nie aufgefallen war.

„Ich weiß, wie sich das anfühlt. Menschen zu verlieren. Kameraden, die man sein Leben lang gekannt und geliebt hat, sterben zu sehen. Mutter–“

Er schluckte. Seine Stimme bebte, und in seinen Augen brannten Tränen, die er nicht weinen wollte. Nicht weinen würde. Nicht vor Niles.

„Mutter und Vater an einen Krieg zu verlieren, und plötzlich ist da niemand mehr, der dich mahnt, oder tröstet, der dir sagt, dass alles gut wird. Der dich schimpft, wenn du zu leichtfertig bist. Da ist nur noch diese riesige, klaffende Lücke in deinem Herzen, und egal, was du tust – dieser Mensch kommt nicht wieder. Da hilft alles schreien und wüten nicht. Am Ende bleibt nichts zurück als Trauer. Erinnerungen. Schmerz. Und du musst weiterleben. Das ist ein so grausames Schicksal. Das wünsche ich nicht einmal meinem schlimmsten Feind.“

 

Niles schwieg.

 

Laslow hörte sein eigenes, geräuschvolles, feuchtes Atmen, hörte die erdrückende Stille eines fast ausgestorbenen Waldes, aber Niles schwieg. Kein Lachen. Kein böser Spott. Keine Regung auf dem fremden Gesicht, die er erkennen könnte. Dann, nach einer schieren Ewigkeit, stieß Niles einen Atemzug so laut aus, dass es beinahe ein Schnauben war, und er löste die Arme, die er während Laslows Rede verschränkt hatte. Er lächelte. Nicht boshaft. Es irritierte Laslow so sehr, dass er die fremde Hand erst bemerkte, als sie eine Träne von seiner Wange wischte.

„Wir sollten ins Lager zurück, bevor es stockfinster wird. Ich weiß, du bist ein Kind der Nacht, aber hier findest du ohnehin nichts, das dir die späten Stunden versüßen könnte.“

Niles–!“

„Kein Grund, rot zu werden. Ich verstehe den Reiz eines geheimen Nachtlebens.“

Laslow schnaubte hilflos, schüttelte den Kopf. Setzte sich mit einem energischen Stampfen wieder in Bewegung, einfach nur, um einen Grund zu haben, sich von seiner Begleitung abzuwenden.

„Niles, nein! Du verstehst gar nichts!“

„Dann solltest du mich aufklären.“

Laslow verzichtete. Er verzichtete so sehr, dass er es laut in den dunkler werdenden Wald hinausschrie und Niles damit wieder ein vertrautes, boshaftes Lachen entlockte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von: Arcturus
2019-10-08T17:49:45+00:00 08.10.2019 19:49
> Er sah es in der Art, wie Odin ganz besonders finster und wortreich verkündete, sich am Quell der Dunkelheit zu laben, um neue unaussprechliche Kräfte für die finale Schlacht zu erlangen.
 
Das klingt nach ihm. Oh Himmel, das klingt nach ihm. ♥
Oder auch: vermutlich erkennen erschreckend viele Leute Odins Stimmungslage an der Art seines Schwallens.
 
> Gemeinsam am Lagerfeuer den erlegten Bären verspeisen.
 
Gaaaaak.
 
> Laslows säuerlicher Blick prallte an Niles ab wie ein Kieselstein an einer massiven Rüstung.
 
Fredericks Kieselstein? x’D
 
Und yay, Action. Bären-Action. Nixi likes Bärenaction. Kann man nie genug haben. *zu ihrer eigenen FF schiel*
 
Und plötzlich stichelt Niles zum Aufheitern. Niles, du bist gruselig. :D
Antwort von:  Puppenspieler
08.10.2019 19:51
Ich will jetzt eine Fanfic nur über Odins Schwadronieren und darüber, wie man daran erkennt, wie gut oder ungut seine Laune gerade ist. XD Bitte, irgendwann? :D

Ach. Bär ist doch sicher köstlich... :x buärgs.

Bestimmt Fredericks Kieselstein XD

Ack! Jetzt muss ich meine geheimen Geheimnisse wohl ausplaudern: Ich hab deine FF als Vorbereitung aufs Schreiben damals gelesen. //D Dachte, vom Action-Master kann ich sicher noch was lernen...

Das ist in seinen Ohren ein Kompliment.
Antwort von: Arcturus
08.10.2019 20:32
Irgendwann, vielleicht. Du weißt: Ich habe Odin schonmal geschrieben. Ich ertrage ihn nur in kleinen Dosen.

Ich glaube, das mit dem Action-lernen hattest du schon mal erwähnt. Hat jedenfalls funktioniert, denke ich. (Wobei mir der Kampf mit Ananakos zu lang war. Wobei²: Das war er im Game auch. *hust*)
Grad die Bärennummer ist jedenfalls klasse. :3

Ja, ich weiß. Wir kennen Niles, Mei.
Antwort von:  Puppenspieler
08.10.2019 20:34
Oh duh, das glaub ich dir sofort aufs Wort... Ich denke mit Erschaudern an meine Odin-POVs zurück.

Das ist beruhigend!!! <3 (Aber f*** ja, der Kampf ist ne verdammte Pest!!! Habe sehr gelitten, als ich ihn zu Recherchezwecken nochmal prügeln musste.)
Aaah, das freut!

Sehr gut. Er wäre sonst sehr enttäuscht!


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