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Leichtsinn ist kein Mut

KagaKuro | Wichtelgeschichte
von

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■ one ■

„Guten Morgen!“, begrüßte ihn eine enthusiastische Kinderstimme, als die Tür des Busses aufglitt. Noch bevor er etwas erwidern konnte, streckte der kleine Junge ihm die Hand entgegen, in der er eine Spielfigur hielt, die schon bessere Zeiten gesehen hatte, wenn man die verblassten Farben näher betrachtete. „Schau mal, was ich habe!“

Ein wissendes, sanftes Lächeln zupfte für einen Sekundenbruchteil an Kurokos Mundwinkeln, ehe er gemächlichen Schrittes aus dem Bus stieg.

„Guten Morgen, Masaru-kun“, sagte er, den Blick anschließend auf die zwei Personen richtend, die hinter Masaru standen. „Guten Morgen, Coach. Guten Morgen, Senpai. Die Figur kommt mir bekannt vor.“

Kaum ausgesprochen, durfte Kuroko beobachten, wie sich Hyuuga Junpeis Schultern anspannten. Er schob sich die Brille zurecht und räusperte sich. „Ich habe keine Verwendung mehr für das alte Ding“, erklärte er so gelassen wie möglich.

Als Kuroko einen kurzen Blick mit Riko austauschte, bemerkte er, dass sie sich das Grinsen verkniff. Früher hätte Hyuuga niemals eine seiner wertvollen Kriegsherr-Figuren hergegeben, außer wenn er einen Korbwurf vermasselte, doch nun hatte er Toyotomi Hideyoshi seinem Sohn anvertraut, der, wenn man den funkelnden Augen glaubte, restlose Begeisterung für die Sammelfigur zeigte.

„Steig bitte ein, Masaru-kun“, bat Kuroko und trat zur Seite, um den Jungen durchzulassen. Der Kindergartenbus hatte noch andere Kinder abzuholen, weshalb er sich nicht allzu lange mit seinen alten Schul- und Teamkameraden unterhalten konnte.

„Pass gut auf ihn auf, hörst du?“, verlangte Riko streng, wie sie es jeden Morgen tat.

„Das werde ich“, versprach Kuroko.

„Wir sehen uns, Kuroko“, verabschiedete sich Hyuuga und Riko winkte Masaru zu, der die Treppenstufen hinauf hüpfte und nun versuchte, den Busfahrer mit seinem Spielzeug bekanntzumachen.

Kuroko verbeugte sich höflich vor seinen Freunden und stieg wieder ein. Die Tür hinter ihm schloss sich mit einem zischenden Geräusch und die Abholung der jüngsten Kindergartengruppe konnte weitergehen.
 

Eine knappe Stunde später hielt der Bus vor seinem letzten Ziel – dem Kindergarten.

„Endstation“, teilte er den fünfzehn Kindern mit, die er beim Aussteigen akribisch zählte, um zu verhindern, dass eines von ihnen versehentlich im Bus blieb. Dank seiner Beobachtungsgabe hatte Kuroko zwar stets einen sehr guten Überblick über die Rasselbande, aber er war nicht erpicht darauf, mit dem Zorn einiger Eltern konfrontiert zu werden, sollte ihm ein Anfängerfehler unterlaufen. Die Hyuugas waren nicht die Einzigen, die penibel darauf achteten, dass ihr Kind die bestmögliche Aufsicht erhielt.

Routiniert versammelte Kuroko die Gruppe in der Eingangshalle, nachdem sich alle beim Busfahrer für seine Arbeit bedankt hatten. Die Eltern, die ihre Kinder persönlich in den Kindergarten brachten, wünschten ihm einen guten Morgen und geduldig reihte sich Kuroko ein, um alle Kinder, die er abgeholt hatte, in das Anwesenheitsregister einzutragen. Nachdem dies erledigt war, überprüfte er, ob alle Kinder ihre Schuhe gewechselt hatten und reichte die von den Eltern eingesammelten Büchlein, die dazu dienten, Nachrichten auszutauschen oder wichtige Informationen zu notieren, an seine Kollegin weiter.

Während er darauf wartete, dass sich sämtliche Kinder aufstellten, um den Tag im Kindergarten mit dem Marsch in den Grünen Saal – alle Räume hatten ihre spezifische Farbe – zu beginnen, tauchte Masaru an seiner Seite auf.

„Wieso muss Hiyoshi im Schränkchen warten?“, fragte er anklagend. Kuroko konnte nicht sagen, ob ihn die tiefe Furche zwischen den Augenbrauen mehr an Hyuuga oder Riko erinnerte.

„Hideyoshi“, korrigierte er mit ruhiger Stimme. Die Frage, ob Masaru sich den langen Namen nicht merken konnte, oder zu viel Zeit mit seinem Lieblingsonkel Kiyoshi verbrachte, verschob er auf später. „Er muss dort warten, weil heute Dienstag ist. Weißt du, wann ein Spielzeug von Zuhause mitgebracht werden darf?“

„Freitag“, grummelte Masaru.

„Richtig. Am Freitag kannst du Toyotomi Hideyoshi deinen Freunden zeigen, aber heute wird er auf den Schrank und deine Sachen aufpassen. Einverstanden?“

Einige endlose Sekunden lang ließ sich Masaru diesen Plan durch den Kopf gehen und bekräftigte ihn schließlich mit einem zögerlichen Nicken. Er wirkte zwar nicht zufrieden, kündigte aber schon im nächsten Moment überzeugt an:

„Er wird alle Einbrecher kaputtmachen!“

„Davon bin ich überzeugt“, erwiderte Kuroko ohne eine Miene zu verziehen und wies anschließend die gesamte Gruppe an, den Eingangs- und Umkleidebereich nicht länger zu blockieren. Es war an der Zeit, mit den morgendlichen Aktivitäten zu beginnen.
 

Zu diesem Zeitpunkt ahnte er noch nicht, dass Toyotomi Hideyoshi zwar Einbrecher in die Flucht schlagen, aber nicht vor anderen Katastrophen bewahren konnte.

■ two ■

Mit quietschenden Reifen kam der rote Wagen zum Stillstand. Noch in denselben Sekunden sprangen drei junge Männer aus dem Fahrzeug, allesamt gekleidet in blaue Overalls. Hastig machte sich jeder einzelne an seine zugeteile Arbeit, während hinter ihnen ein weiterer Wagen anhielt.

Als Kagami Taiga aus diesem kletterte, wehte ihm ein bekannter, wenn auch nach wie vor verhasster Geruch entgegen. Er verengte die Augen und versuchte das flaue Gefühl im Magen, das ihn schon die gesamte Fahrt über begleitet hatte, zu ignorieren, während er sich augenblicklich nach seinem Vorgesetzten umsah, um potentiellen Sonderanweisungen zu folgen.

Dieser war bereits dabei, eine erste Einschätzung zu treffen, während Kagami sich mit geübten Griffen daran machte, den C-Schlauch für den Einsatz vorzubereiten.

Nicht einmal eine ganze Minute später sprintete er bereits mit seinen Kollegen auf das Gebäude zu. Er wurde beinahe täglich mit Hitze und züngelnden Flammen konfrontiert und selbst bei dieser hohen Frequenz weigerte er sich, es als normal zu bezeichnen, aber an diesem Tag war es noch schlimmer: Es begrüßten ihn weinende und schreiende Kinder.
 

Der Knoten in seiner Brust zog sich enger zusammen, als er an zwei Kindern, die von einer jungen Frau in die Arme geschlossen wurden, vorbei rannte, doch er versuchte seinen Blick geradeaus zu halten und sich darauf zu konzentrieren, das schwere Löschwerkzeug zu stemmen. Die körperliche Fitness, die er bereits seit seiner Basketballzeiten besaß, war in seinem Beruf ein großer Vorteil. Kagami war einer der schnellsten und kräftigsten Feuerwehrmänner, die es in seiner Einheit gab. Er war zumeist für die Tragarbeit verantwortlich und ergänzte sich wunderbar mit schmächtigen, aber dafür flinkeren Kollegen.

Tatsuya hatte ihn vor einiger Zeit darauf aufmerksam gemacht, dass er unwissend in gewohnte Verhaltensmuster verfiel, doch Kagami war nicht ganz klar, was er damit meinte – und er war auch niemand, der sich allzu lange den Kopf darüber zerbrach.

An der entsprechenden Stelle, den nötigen Sicherheitsabstand wahrend, bremste er ab und gab das Signal. Die Pumpe wurde augenblicklich betätigt und Kagami verspürte die bekannte, kommende Druckwelle. Er richtete das Löschwasser direkt auf das brennende Gebäude.

„Ito-san, wie sieht die Situation auf der anderen Seite aus?“, rief Kagami, als er seinen Kollegen auf sich zukommen sah.

„Weniger kritisch. Der Captain sollte jeden Augenblick bestätigen können, ob alle Kinder und das Personal in Sicherheit sind“, kam die knappe Antwort, bevor Ito auch schon weitereilte.

Sämtliche von Kagamis angespannten Muskeln schienen auf diesen einen Moment zu warten. Sein Nacken knackte unangenehm, als er mit einer kreisenden Kopfbewegung versuchte seine Haltung zu korrigieren. Über die Jahre hinweg hatte er versucht zu lernen, seine hitzköpfigen Handlungen auf keinen Fall seine Arbeit beeinflussen zu lassen, doch dieser Ort brachte all dies ins Wanken.

„Kagami-kun.“

Erschrocken erstarrte Kagami, als er aus den Augenwinkeln eine Gestalt wahrnahm. Seine Augen speicherten einen Hauch von blassem Blau ab, doch sein Verstand konnte die Information nicht so schnell verarbeiten. Mit wild klopfendem Herzen wirbelte er herum.

Es war niemand zu sehen.

„Kagami-kun, hörst du mir zu?“

Kagamis Kopf ruckte in die andere Richtung und er erblickte seinen guten Kollegen Saitou Daisuke, der ihn tadelnd anstarrte.

„T-tut mir leid, ich dachte nur…“ Kagamis Aussage endete mit einem undeutlichen Murmeln.

„Ich soll hier übernehmen, du wirst auf der westlichen Seite gebraucht“, wiederholte Saitou und deutete über seine Schulter, als würde er Kagami nicht zutrauen, die Himmelsrichtungen zu unterscheiden. „Bleib bei der Sache. Alles andere ist gefährlich“, warnte er.

„Verstanden.“ Kagami straffte die Schultern und überließ Saitou den Wasserschlauch.
 

Einen Bogen um den kleinen Spielplatz vor dem Kindergartengebäude machend, steuerte Kagami die vorgegebene Richtung an, doch mitten in der Bewegung bremste er ab, als er es plötzlich wieder erblickte – das Blau, das ihm so vertraut war.

Er riss die Augen auf, starrte und brachte kein Wort heraus. Sein auffälliges Verhalten blieb nicht unbemerkt, denn der Kopf mit dem blauen Haarschopf, den er immer und überall erkennen würde, wandte sich zu ihm um.

„Kagami-kun!“

„Kuroko…“

Erschüttert versuchte Kagami den komplexen Gedankengang, der ihm durch den Kopf schoss, zu verarbeiten. Was machte Kuroko hier? Er arbeitete doch in einem anderen Kindergarten! Zumindest hatte er das noch vor einer Weile, aber in diesem Moment war sich Kagami nicht einmal seines eigenen Namens sicher. Letzten Endes war es tiefe Erleichterung, dass Kuroko es aus dem Gebäude geschafft hatte, die alle Verwirrung zurückdrängte und sich Kagamis Beine wieder in Bewegung setzen ließ.

„Alles in Ordnung?“, fragte er japsend, Kuroko von oben bis unten musternd. Ruß klebte an seiner Kleidung und er hatte ein paar Schrammen an Kiefer und Hals, aber ansonsten schien er unverletzt.

Kagami erhielt keine verbale Antwort. Schockiert nahm er wahr, wie sich Kurokos Hände in den Stoff seines Overalls krallten. Der Griff an seiner Brust war kräftig, verzweifelt. Die großen Augen, die ihn voller Panik anblickten, ließen ihn erzittern, obwohl die Hitze, die vom Brand ausging, noch immer intensiv war.

„Ich kann ihn nicht finden“, brachte Kuroko mit heiserer Stimme hervor und presste die Lippen fest zusammen. Kagami kannte diesen Ausdruck. Er hatte ihn schon oft auf den Gesichtern seiner Kollegen gesehen, wenn sie sich Vorwürfe machten, eine Person nicht gerettet zu haben.

„Wen?“, fragte Kagami mit Nachdruck, als er sich aus seiner Starre löste und sich endlich an seine Ausbildung erinnerte. Der Schock, Kuroko gegenüberzustehen, war noch nicht verebbt, doch es gab dringlichere Probleme, denen er sich als Feuerwehrmann annehmen musste.

Um Kuroko kurzzeitig aus seiner Trance zu holen, packte er ihn – etwas gröber als nötig – an den Schultern. „Wen kannst du nicht finden?“

„Hyuuga“, antwortete Kuroko atemlos und fügte, als er Kagamis irritierten Blick sah, krächzend hinzu: „Masaru. Hyuuga Masaru.“

Die Farbe wich aus Kagamis Gesicht, als das Puzzle sich zusammenfügte. Mit einem Schlag verstand er, wieso nicht nur ein Teil des brennenden Gebäudes, sondern auch Kurokos Welt zusammenbrach.

Kagamis Kieferknochen knackte und seine Finger krallten sich unwillkürlich fester in die schmalen Schultern, doch dies schien Kuroko kaum zu spüren – er gab keinen Ton von sich.

„Ich bin gleich wieder da. Warte hier“, wies Kagami ihn an. Er schenkte Kuroko einen langen, intensiven Blick, der versprach, dass er alles in seiner Macht stehende tun würde, um den Jungen zu finden. „Warte hier“, wiederholte Kagami ernst.

Als Antwort erhielt er nur einen blanken Gesichtsausdruck, doch Kagami wollte keine Zeit vergeuden, um auf ein verbales Einverständnis zu warten und trabte los. Er brauchte die Auskunft seiner Kollegen, um sich ein besseres Bild zu machen und darauf hinzuweisen, dass womöglich noch eins der Kinder im Gebäude gefangen war. Bei dem Gedanken, dass es sich dabei um das Kind seiner Schulfreunde handelte, wurde ihm schlecht. Er konnte Kurokos Schock nachvollziehen, aber womit Kagami nicht rechnete, war die Tiefe der Verantwortung, die er empfand.

Als er nämlich keine vier Minuten später wieder zu der Stelle zurückrannte, an der er Kuroko zurückgelassen hatte, war dieser nicht mehr da. Und Kagamis Herz, das ihm in die Kniekehlen rutschte, hatte bereits eine Ahnung, was Kuroko getan hatte.
 

„Kuroko!“, donnerte Kagami lautstark und zog einen zweiten Kreis um das Haus, doch seine Suche war vergebens. „Kuroko! Verdammt!“ Mit den Zähnen knirschend, klammerte sich Kagami an die Wut, die sich in ihm ausbreitete, denn Wut war gut – sie war besser als lähmende Sorge oder Schwarzmalerei. Er mochte nicht viel von Gefühlen verstehen, aber dass diese einen antreiben oder aufhalten konnte, hatte er schon während der zahlreichen Basketballspiele gelernt, die er und sein Highschool-Team bestritten hatten.

„Kagami-san! Wieso laufen Sie tatenlos durch die Gegend?! Sollten Sie nicht auf der westlichen Seite helfen?“, wehte die strenge Stimme seines Captains zu ihm hinüber. In jeder anderen Situation wäre Kagami ertappt zusammengezuckt, doch in diesem Moment erschien ihm der barsche Ton wie der erlösende Wecker, der ihn aus einem Alptraum holte.

„Ein Kind! Ein Kind ist noch im Gebäude!“, kam es wie aus der Pistole geschossen. Kagami merkte kaum, wie sich seine Stimme überschlug. „Und…“ Er stockte, denn er hatte keine Gewissheit, aber seine Intuition schrie ihm zu, dass er sich nicht irrte. „Und einer der Betreuer ebenfalls.“

„Saitou-san hat mich soeben über das Kind informiert. Wir haben das Personal vor ein paar Minuten gezählt, es fehlte niemand“, erwiderte Matsuda Kentarou, der seine Einheit schon zehn Jahre anführte und jedwedes Protokoll im Schlaf befolgen konnte. Gleichzeitig schien er seinen Kollegen zu vertrauen, denn es genügte ein Blick von Kagami, um ihm klarzumachen, dass die Anzahl des evakuierten Personals nicht mehr gültig war.

„Wie sicher sind Sie?“

„Neunundneunzig Prozent.“

„Ich stelle ein Team zusammen und lasse das Personal noch einmal zählen“, verkündete Matsuda knapp und griff nach seinem Walkie-Talkie.

Kagami machte auf dem Absatz kehrt. Er konnte nicht länger an Ort und Stelle verweilen, der Stillstand machte ihn verrückt. Völlig verschwitzt rannte er weiter und blinzelte gegen den Rauch an, der seine Augen tränen ließ. Diese hielt er krampfhaft offen, um nach Kuroko Ausschau zu halten. Kagami hätte nicht gedacht, dessen Fähigkeit, unbemerkt verschwinden zu können, jemals dermaßen zu verfluchen.

Er hätte Kuroko fragen sollen, wo er den kleinen Hyuuga-Sprössling das letzte Mal gesehen hatte. Er hätte Kuroko gut zureden sollen. Er hätte sich einmal im Leben nicht wie der größte Idiot verhalten sollen, dann wäre…

Urplötzlich blieb Kagami stehen, als er an einem der Notausgänge vorbeilief. Es war der einzige Teil des Gebäudes, zu dem sich das Feuer noch nicht ausgebreitet hatte. Seine inneren Alarmsirenen begannen wie Kettensägen zu kreischen, doch gleichzeitig keimte Hoffnung in ihm auf. Wenn Kuroko tatsächlich zurückgegangen war, um den Versuch zu unternehmen, Masaru zu holen, dann war diese Tür der einzige, unbewachte Durchgang.

Er wäre nie in der Lage gewesen, mit Kurokos Basketballspielweise klarzukommen, hätte er mit der Zeit nicht gelernt, seine Gedankengänge zu verstehen. Dass ihm dies eines Tages in einer solchen Lage helfen würde, hätte Kagami niemals vermutet.

Es lag kein Zögern in seinen Bewegungen, als er sein Intercom einschaltete und seinem Captain seinen aktuellen Standort nannte.
 

In den meisten Fällen war absoluter Verlass auf Kagami, wenn er zum Einsatz ausrückte. Nicht selten schimpfte sein Vorgesetzter mit ihm, ein leichtsinniger Dummkopf zu sein, aber er war ein effektiver, leichtsinniger Dummkopf. Zum ersten Mal seit Beginn seiner Karriere musste er Matsuda recht geben: Nichts war so gefährlich wie die Missachtung von Protokollen.

Wenn sich Kuroko tatsächlich im Gebäude befand, dann verstieß er gegen sämtliche Protokolle des gesunden Menschenverstandes.

Er litt nicht an Klaustrophobie, doch Kagami konnte in seinem Atemschutzgerät deutlich hören, wie holprig er nach Luft schnappte. Dass die Sicht an einem solchen Ort eingeschränkt war und zusätzlich durch die Maske beeinflusst wurde, war ebenfalls nicht neu. Dennoch kam er sich vor wie ein Pferd, dem man Klappen aufgesetzt hatte.

Während er sich, mit drei weiteren Feuerwehrangehörigen, vorsichtig seinen Weg durch den rauchigen Gang bahnte, versuchte Kagami angestrengt zu lauschen. Das Knistern des Feuers und Knacken der in sich zusammenfallenden Möbel waren trügerische Geräusche, die ihn immer wieder Hoffnung schöpfen ließen. Doch egal, in welchen Raum er spähte – Kuroko war nicht da.

„Kuroko! Hey, Kuroko!“, donnerte Kagami so laut wie möglich. „Hörst du mich? Antworte mir, verdammt!“

Je tiefer sie vordrangen, desto mehr Schweiß lief über seine Schläfen und seinen Nacken. Sie hatten nicht viel Zeit, denn es konnte jeden Augenblick etwas zusammenbrechen und ihnen den Weg versperren – im schlimmsten Fall konnte ihnen sogar buchstäblich die Decke auf den Kopf fallen.

Kagami hatte allen aus ihrem kleinen Rettungsteam Kurokos Aussehen kurz und knapp beschrieben, doch er machte sich nichts vor: Er war es, der die Augen aufsperren musste. Das Risiko, dass man Kuroko einfach übersah, war zu hoch.

Sich das Blinzeln verweigernd, bis seine Augen schmerzhaft zu brennen begannen, drang Kagami hinter Matsuda in den Musiksaal ein. Das in der Ecke stehende Klavier stand in Flammen, genauso wie der gesamte Rest des Raumes.

„Kein Durchgang!“, hörte er Matsuda rufen.

Augenblicklich gab Kagami den anderen beiden ein Handzeichen zum Rückzug. Er hatte es gerade aus dem Türrahmen geschafft, als das polternde Geräusch von bröckelndem Putz und sich verschiebenden Balken ihm durch Mark und Bein ging.

Staub wirbelte auf und ein ohrenbetäubendes Krachen ertönte. Ruckartig packte ihn jemand am Kragen und zog ihn mit aller Kraft zurück. Kagami stolperte und landete unsanft auf dem Boden, doch sein Kopf ruckte sofort wieder in die Höhe – die Tür, durch die er eben noch gegangen war, war vollkommen verschüttet.

„Captain!“, rief er krächzend und rappelte sich hektisch auf. „Captain!“

Es war unmöglich, die Antwort zu hören, selbst wenn es eine gab. Panik legte sich wie Blei über seine Beine, die zu zittern begannen. Kagami zuckte zusammen, als plötzlich seine Wechselsprechanlage ein Störgeräusch von sich gab. Sofort löste er sie von seiner Hüfte und drückte auf den Empfangsknopf.

„Captain?“

Endlose Sekunden lang war nur das knackende Geräusch zu hören, doch dann durchflutete Kagami von einer Sekunde auf die andere pure Erleichterung.

„Matsuda hier. Eingeschüttet, keine Verletzungen. Mission fortsetzen.“ Die Worte kamen abgehackt und schnell. Die Verbindung war wackelig und konnte jeden Augenblick wieder reißen.

Das Gefühl kehrte in Kagamis Beine zurück. Das, was er tun musste, legte sich langsam, wie ein Puzzle, in seinem Kopf zusammen. Um sich zu beruhigen, atmete er tief aus. Mit einer grimmigen Entschlossenheit im Blick, die von seiner Schutzmaske geschluckt, aber auch aus seiner Stimme herauszuhören war, drehte er sich zu seinen Kameraden um.

„Holt den Captain hier raus. Ich gehe allein weiter.“

■ three ■

Hustend kroch er über den Boden. Seine Sicht war verschwommen und vom dichten, beißenden Rauch flossen ihm Tränen über die Wangen. Der Gestank von angebrannten Haaren lag ihm penetrant in der Nase, doch Kuroko scherte sich weder um die Haarsträhnen, die sprühenden Funken zum Opfer gefallen waren, noch um die versengten Ärmel seines Pullovers.

Er kannte die Räumlichkeiten des Kindergartens in- und auswendig, doch mittlerweile konnte er seine Lokalisation nur noch anhand des Linoleums, das er unter seinen Fingerkuppen spürte, erkennen. Er befand sich im Eingangsbereich, wo er keine drei Stunden zuvor seine Gruppe versammelt hatte.

„Masaru-kun?!“, ächzte er. Kuroko hatte aufgehört zu zählen, wie oft er den Namen des Jungen bereits gerufen hatte, doch er würde weitermachen, selbst wenn seine Stimme versagte.

Pass gut auf ihn auf, hörst du?

Rikos Stimme hallte in seinem Kopf wider, wie ein Mantra, das ihn antrieb und ihn seine wundgeschürften Handflächen nicht beachten ließ. Er hinterließ feine Blutspuren auf dem grauen Boden, einen handfesten Beweis dafür, dass er Steinbrocken und Möbelstücke aus dem Weg hatte schieben müssen, um den am weitesten vom Notausgang entfernten Ort zu erreichen.

Kuroko richtete sich auf, bis er gebückt auf dem Boden kniete. Fest presste er die Gesichtsmaske gegen seinen Mund, doch ein im 7-Eleven gekaufter Mundschutz kam schon längst nicht mehr gegen den vielen Rauch an.

Ihm war schwindelig, heiß und schlecht, doch Kuroko schleppte sich weiter. Seine Augen schmerzten so sehr, dass er sie kaum mehr offen halten konnte. Der gute Orientierungssinn, den er normalerweise besaß, nützte ihm in dieser Hölle aus Flammen und schwindendem Sauerstoff nichts mehr. Kuroko folgte dem Instinkt, der ihm schon in seiner Jugend geholfen hatte, obwohl es absurd war, sich auf seine Erfahrungen als Basketballspieler zu verlassen, wenn man versuchte, ein Kind aus einem brennenden Gebäude zu retten.

Dennoch war es sein schnelles Denken gewesen, das ihn die Strecke auf kürzestem Weg hatte überwinden lassen. Er kannte nicht nur die Lage sämtlicher Räume und Gänge, sondern wusste auch, wo sich die Feuerlöscher befanden. Als das Feuer in der Küche ausgebrochen war, war es bereits zu groß gewesen, um darauf zurückzugreifen und eine sichere Evakuation war die Priorität gewesen – etwas, das ihm nun zu Gute gekommen war.

Kuroko hatte alle Feuerlöscher verbraucht, als er sich einen Weg zur Umkleide gebahnt hatte. Jetzt konnte er nur hoffen, dass es nicht umsonst gewesen war.
 

„Masaru-kun?!“

Eine Weile lang war außer dem aggressiven Knistern des Feuers nichts zu hören, doch dann vernahm Kuroko plötzlich ein leises Wimmern. Zuerst glaubte er, seine Ohren würden ihm einen Streich spielen, weil er weit und breit niemanden sah, doch dann folgte ein Schluchzen. Er hatte sich nicht verhört, dort weinte jemand! Kurokos Herz zog sich teils schmerzhaft, teils euphorisch zusammen und er mobilisierte all seine Kräfte, um sich so schnell wie möglich in die Richtung zu bewegen, aus der die Geräusche kamen.

Als er schließlich den brennenden Haufen Holz erreichte, der vor wenigen Stunden noch die Umkleide gewesen war, erspähte er eine Person, die sich zusammengerollt hatte und zitternd zwischen Schutt und Asche lag. Verzweifelt streckte Kuroko die Hand nach ihr aus und berührte die staubigen Haare. Der kleine Kopf ruckte in die Höhe und tränenschwere Augen starrten ihn ängstlich an. Der Anblick schnürte ihm die Kehle endgültig zu und sein Körper verweigerte jedwede weitere Kooperation.

Hyuuga Masarus Gesichtszüge verschwammen vor Kurokos Augen. Er verlor den Halt und hatte das Gefühl, der Boden unter ihm würde sich in Luft auflösen. Er glaubte, endlose Meter in die Dunkelheit zu fallen, doch in Wahrheit waren es nur wenige Zentimeter. Hart schlug er mit dem Kiefer auf dem Boden auf und es war der explodierende Schmerz in seinem Gesicht, der Kuroko davon abhielt, das Bewusstsein zu verlieren. Verwirrt blinzelte er, als er Masarus erschrocken geweitete Augen nun über sich sah.

„Nicht sterben!“, weinte der Junge und rüttelte an Kurokos Ärmel.

„Ich sterbe nicht“, erwiderte dieser murmelnd, stemmte seinen schlaffen Körper in eine sitzende Position und streckte die Hand aus, um sie an Masarus Hinterkopf zu legen. Sanft zog er den Jungen zu sich und strich beruhigend über seinen Haarschopf.

„Tut es irgendwo weh, Masaru-kun?“, fragte er und jede Silbe fühlte sich schwer auf seiner Zunge an.

Masaru schüttelte den Kopf und ein lautloses Schluchzen ließ seinen Körper erbeben. Kuroko löste mit der freien Hand seinen Mundschutz und zog ihn vorsichtig dem Jungen an, auch wenn er viel zu groß für ihn war. Über den einst weißen, nun grauen Rand des Stoffes hinweg, schielten unschuldige Kinderaugen zu ihm hoch.

„Ich wollte doch nur…“, nuschelte Masaru.

„Ich weiß. Nichts davon ist deine Schuld, Masaru-kun“, erwiderte Kuroko, auch wenn er nur eine vage Ahnung davon hatte, was Masaru hatte sagen wollen. Die Last der Schuldgefühle war jedoch nicht für Kindesschultern gedacht.

Schniefend griff Masaru unter seinen Pullover und zog etwas hervor, das Kuroko all seine unausgesprochenen Fragen beantwortete. Der Arm von Toyotomi Hideyoshis Sammelfigur war geschmolzen und sein Gesicht verlaufen, doch ein Großteil seiner Rüstung war noch erhalten.

„Papa hat mir Hiyoshi geschenkt“, schniefte Masaru und seine glasigen Augen funkelten.

Kurokos Herz zog sich unangenehm zusammen.

„Hideyoshi“, korrigierte er ihn an diesem Tag zum zweiten Mal, doch seine Stimme klang schwach und angeschlagen. Er war sich nicht sicher, ob er aufstehen konnte, doch er konnte nun, da er Masaru gefunden hatte, nicht einfach hier sitzenbleiben und auf den sicheren Tod warten.

„Ich habe Angst“, flüsterte der Junge, was Kuroko dazu animierte, seine letzten Kraftreserven zusammenzukratzen.

„Masaru-kun, kannst du mir zeigen, wie eine Raupe macht?“, bat er und wartete, bis Masaru sich aus seiner lockeren Umarmung befreit hatte, da es ihm schwerfiel, die Arme zu heben. Verwirrt, aber gehorsam zeigte der Junge, wie er über den Boden kriechen konnte.

„Sehr gut“, lobte Kuroko und lupfte seine Mundwinkel. „So bewegen wir uns nun. Bleib dicht bei mir.“

Hustend ließ er sich zu Boden fallen, streckte die Arme aus und zog den vor Erschöpfung tauben Körper mit den Unterarmen einige Zentimeter vorwärts. Schon nach dieser ersten Bewegung erkannte Kuroko, dass er nicht weit kommen würde. Masaru allein gehen zu lassen war für ihn jedoch auch keine Option, weshalb er seine überstrapazierten Muskeln zwang, sich seinem Willen zu beugen. Der Junge kam zügiger voran und stoppte, als er bemerkte, dass er Kuroko weit hinter sich gelassen hatte.

„Du bist langsam“, stellte Masaru fest und seine Stimme zitterte. Instinktiv schien er zu verstehen, dass mit seinem Erzieher etwas nicht stimmte.

„Du hast recht, du bist die bessere Raupe“, erwiderte Kuroko so locker wie möglich und stemmte sich gegen den Boden. In diesem Moment gab sein Körper auf. Der Arm unter ihm rutschte weg und er krachte vornüber auf den staubigen Boden. Masaru schrie schrill auf und krabbelte zu ihm zurück.

„Ich zeig dir, wie es geht!“, versuchte er Kuroko zum Weitergehen zu bewegen und zog an seinem Handgelenk.

Egal, wie viel Mühe Kuroko sich gab, die stumpfen Glieder zu bewegen – es wollte nicht funktionieren. Schlaff landete seine Hand wieder auf dem Boden, als Masaru sie losließ.

„Nicht schlafen! Nicht sterben!“, wimmerte der Junge flehend. Sein Kinn kräuselte sich und seine Unterlippe bebte, kündigte seine Tränen an.

Kuroko konnte nicht verhindern, dass seine eigenen Augen ebenfalls feucht wurden. Ein schwarzer Schleier zog sich über seiner Sicht zusammen. Er hatte versagt. Er hatte es nicht geschafft, Masaru zu retten und sein Versprechen zu halten. Nun hatte er nicht einmal mehr die Kraft, um seine Hände verzweifelt zu Fäusten zu ballen. Das Gewicht seiner Schuld erdrückte ihn, presste ihn hart gegen das erhitzte Linoleum. Seine Augenlider fielen zu, sein Bewusstsein entfernte sich von ihm, als wäre auch dieses angewidert von seiner eigenen Unfähigkeit.

Masaru schrie abermals, kreischte, heulte und strampelte mit den Beinen. Kuroko konnte sogar den Boden unter sich vibrieren spüren und es kam ihm seltsam vor, dass ein Kindergartenkind so kräftig war, aber er traute seiner Wahrnehmung nicht mehr. Jemand sprach seinen Namen aus, berührte ihn an der Schulter, doch er war davon überzeugt, dass dies nur sein Gehirn war, das ihn wirre Dinge hören und spüren ließ.

„Rette ihn“, flehte Kuroko, obwohl er sich nicht sicher war, ob er überhaupt die Lippen bewegte, geschweige denn seine Stimme benutzen konnte. Es spielte keine Rolle, denn seine Bitte schien die Person aus seinen Halluzinationen trotzdem zu erreichen.

„Ich hol euch beide hier raus.“

■ four ■

Nur das nervöse Wippen seines Fußes auf dem quietschenden Boden des Zimmers durchbrach die alles einnehmende Stille. Nach den Rufen, Schreien und dem Knacken von zusammenbrechenden Gegenständen, erschien ihm diese Ruhe trügerisch. Wachsam waren seine Augen auf das schlafende Gesicht gerichtet, dessen Züge locker und friedlich wirkten.

Kagami wünschte sich, dass die innere Ruhe auch endlich zu ihm zurückkehrte, denn die letzten paar Stunden seines Lebens waren für seinen Geschmack viel zu nervenaufreibend gewesen.

Die Furche zwischen seinen Augenbrauen vertiefte sich und sein Blick wurde finsterer, als er unwillkürliche daran dachte, dass er fast zu spät gekommen wäre. Wäre er auch nur wenige Minuten später vom lauten Schrei des kleinen Hyuugas angelockt worden, hätte es zumindest die vor ihm im Bett liegende Person nicht geschafft, den Flammen und dem giftigen Rauch zu entkommen.

„Es werden nur Familienmitglieder zu Patienten durchgelassen“, ertönte eine monotone Stimme, die Kagami zusammenfahren ließ. Er segelte fast von dem wackeligen Hocker, auf dem er saß, als er ruckartig in Richtung der Zimmertür sah.

Die hochgewachsene Person, die steif den Raum betrat und sich mit dem Zeigefinger die Brille zurechtrückte, trug einen weißen Kittel. Der Anblick war so überraschend und unerwartet, dass Kagami den Mund öffnete, aber keinen Laut von sich gab.

„Typisch. Den Wink mit dem Zaunpfahl versteht jemand wie du natürlich nicht.“ Die Mischung aus Arroganz und Resignation, die in diesen Worten lag, holte Kagami aus seiner Starre – und machte ihn wütend.

„Midorima“, knurrte er.

„Sieh an, du erinnerst dich. Beeindruckend. Du solltest aber dringend zum Augenarzt, denn eigentlich müsste es Dr. Midorima heißen.“

Kagami ballte die Hände zu Fäusten und stand auf. Sich mit Midorima anzulegen war eine Ablenkung, die ihm gerade gelegen kam. Alles war besser, als die Minuten zu zählen und zu hoffen, dass Kuroko aufwachte.

Midorimas Augenbraue zuckte warnend, doch er beschloss, Kagamis Verhalten zu ignorieren und schloss die Tür hinter sich. Ohne ihn eines Blickes zu würdigen, trat Midorima an das Krankenbett heran.

Kagamis Wut verpuffte mit einem Schlag, als er sich bewusst wurde, dass Midorima die Person war, die… ihm Fragen beantworten konnte. Geräuschvoll ausatmend, sackte er zurück auf seinen Hocker. Midorima machte keine Anstalten, ihn aus dem Zimmer zu werfen, obwohl er vor wenigen Augenblicken noch behauptet hatte, es wären nur Familienmitglieder erlaubt. Kagami war dankbar dafür.

„Wie geht es ihm?“, fragte er leise, während er Midorimas Rücken anstarrte. Das ehemalige Mitglied der Generation der Wunder beugte sich über Kuroko, mit dem Stethoskop seine Brust abhorchend, ehe er Kagami einen langen Blick zuwarf. Es schien, als läge ihm wieder ein trockener Kommentar auf den Lippen, den er aber in Anbetracht der Umstände hinunterschluckte.

„Er hatte riesengroßes Glück“, sagte Midorima in einer Sprache, die Kagami verstand. „Aber er ist noch nicht über den Berg. Erst, wenn wir schwerwiegende Lungenkomplikationen ausschließen können.“

Säuerlich presste Kagami die trockenen Lippen aufeinander. Er hatte gehofft, dass Midorimas Diagnose ihm Klarheit bringen würde, doch alles, was er zwischen den Zeilen heraushören konnte, war ein bitterer Fakt, der ihm nicht gefiel: Er musste weiter warten.

„Du siehst fürchterlich aus“, kommentierte Midorima abfällig. „Geh dich waschen. Und im Gang ist ein Getränkeautomat.“

Kagami nickte mechanisch, doch er machte keine Anstalten, sich vom Fleck zu rühren. Seine Augen klebten immer noch an der Sauerstoffmaske, die über Kurokos Mund lag. Seine Gesichtshaut war fahl und bleich und es wirkte, als würde ihn das Weiß des Krankenhauszimmers verschlucken. Kuroko war oft urplötzlich aus seinem Blickfeld verschwunden, aber noch nie hatte Kagami sich gefühlt, als würde er direkt vor seinen Augen verblassen.

„Was ist mit dem kleinen Hyuuga? Und dem Captain?“, fragte er und riss seinen Blick nur mit Mühe von der viel zu zerbrechlichen Gestalt Kurokos los.

„Der Zustand beider Patienten ist stabil“, gab Midorima ihm eine knappe Auskunft.

„Wie geht es nun weiter?“

Midorima hielt inne und seufzte schwer.

„Diese Frage wird dir Kurokos behandelnder Arzt beantworten. Oder auch nicht.“

Bevor zu Kagami durchdrang, was dies bedeutete, hatte sich Midorima bereits von ihm abgewandt und marschierte auf die Tür zu.

„W-wohin gehst du? He, Midorima!“

„Meine Pause ist gleich vorbei und ich muss noch jemanden anrufen, der mich seit heute Morgen mit Nachrichten bombardiert. Unglaublich, wie schnell sich schlechte Nachrichten herumsprechen.“ Midorima würdigte Kagami keines weiteren Blickes, sondern spazierte so unerwartet aus dem Zimmer, wie er hereingekommen war.

Als Kagamis Augen zurück zu Kurokos Bett wanderten, fiel ihm der rote Kleiderbügel auf, der fehlplatziert auf dem Nachttisch lag und vor wenigen Minuten definitiv noch nicht da gewesen war.
 

Weil er Durst hatte und nicht, weil er Midorimas Ratschlag folgte, stand Kagami nach einer halben Ewigkeit doch auf, um sich etwas zu trinken zu holen. Seine staubigen Sohlen hinterließen Abdrücke auf dem Boden. Er warf einen flüchtigen, desinteressierten Blick an sich hinab. Er kümmerte sich nicht besonders um sein aktuelles Aussehen, denn dieses und sein panisches Gebrüll waren es gewesen, die es ihm ermöglicht hatten, zu Kuroko vorgelassen zu werden, nachdem er mehrere Stunden im Wartezimmer verbracht hatte. Er war jedoch nicht der Einzige gewesen. Seine Kollegen hatten sich zu ihm gesellt, um auf Nachrichten bezüglich Matsudas Zustand zu warten.

Die Wasserflasche, die aus dem Automaten purzelte, nachdem er ihn mit ein paar Yen gefüttert hatte, leerte Kagami in einem Zug. Er kaufte sich eine zweite, ehe er sich auf den Weg zurück machte. Als er das Zimmer betrat und die Tür hinter sich schloss, seufzte er schwer.

„Du könntest so langsam mal aufwachen, weißt du?“, brummte er.

„… in ich.“

Die Plastikflasche segelte Kagami aus den Händen und schlug mit einem dumpfen Geräusch auf dem Fußboden auf. Unbeachtet kullerte sie weiter, bis eine Unebenheit sie anhielt.

Mit weit aufgerissenen Augen stolperte Kagami auf das Bett zu.

„Kuroko!“, polterte er.

„Shh,… ch… höre dich auch so“, presste Kuroko mit kratziger Stimme hervor. Sein Brustkorb hob und senkte sich schwer. Das Atmen allein schien ihn anzustrengen.

„W-warte, ich hole jemanden“, stammelte Kagami genauso panisch, wie vor einigen Stunden, als er die reglose Gestalt seines Freundes zwischen lodernden Flammen entdeckt hatte. Entschieden griff er nach Kurokos schmalem Handgelenk, damit sich dieser wieder die Sauerstoffmaske aufsetzte, die er von Mund und Nase gezogen hatte, um mit ihm zu sprechen.

„Warte, okay?“

Ein grimmiger Ausdruck lag auf dem rußbedeckten Gesicht, als er Kuroko mit einem strengen Blick taxierte. Er würde nicht noch einmal denselben Fehler begehen. Deshalb verließ Kagami den Raum erst, nachdem Kuroko ihm schwach zugenickt hatte.
 

Ungeduldig lief Kagami vor der geschlossenen Zimmertür auf und ab. Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis der Arzt und die zwei Krankenschwestern, die er beinahe dazu genötigt hatte, sofort nach Kuroko zu sehen, den Raum verließen und ihm erlaubten, wieder hineinzugehen. Details über Kurokos Zustand wurden ihm verwehrt, doch Kagami ging davon aus, dass man ihn verscheucht hätte, wäre er kritisch.

„Wie fühlst du dich?“, fragte er zögerlich, als er unbeholfen den Hocker näher an das Bett heranzog und sich setzte.

„Den Umständen entsprechend“, hauchte Kuroko über die Sauerstoffmaske hinweg und blinzelte Kagami erschöpft an. „Mach dir keine Sorgen.“

Dieser eine Satz sorgte dafür, dass der Funken übersprang. Mit einem Schlag war Kagamis Unsicherheit vergessen und er hörte damit auf, Kuroko wie ein rohes Ei zu behandeln.

„Wie soll ich mir keine Sorgen machen?! Idiot!“, blaffte er Kuroko an. „Weißt du eigentlich, wie leichtsinnig das war?“

„Tut mir leid“, murmelte Kuroko, doch Kagami war sich nicht sicher, ob er seine Worte ernst meinte oder nur die übliche Höflichkeit aus ihm sprach.

„Was hast du dir dabei gedacht, huh?“, fuhr Kagami unverblümt weiter. „Du hättest sterben können, du und der kleine Hyuuga!“

Kurokos Augen weiteten sich dezent, was Kagami eine Art von grimmiger Genugtuung verschaffte. Wenigstens schien zu Kuroko durchgedrungen zu sein, wie gefährlich seine Rettungsaktion im Alleingang gewesen war.

„Wie geht es ihm?“, unterbrach Kurokos raue Stimme seine Gedanken und plötzlich war sich Kagami nicht mehr sicher, seine Reaktion richtig gedeutet zu haben.

„Sein Zustand ist stabil“, leitete er Midorimas Auskunft an Kuroko weiter, dessen Körperhaltung sich sichtlich entspannte. Sein Kopf sank etwas mehr in das Kissen und er schloss müde die Augen.

Gerade, als Kagami glaubte, dass er eingeschlafen war, drang ein leises Flüstern an seine Ohren, das einen unerwarteten Schauer über seinen verschwitzten Rücken kriechen ließ.

„Danke, Kagami-kun. Du hast uns gerettet, nicht wahr?“

„Das war der Einsatz mehrerer Leute. Außerdem hätte ich euch nie gefunden, hätte Masaru nicht geschrien“, berichtigte Kagami ihn mit belegter Stimme. „Wieso hast du nicht auf mich gewartet?“

Anklagend starrte er das blasse Gesicht an, während er seine Hand unschlüssig ausstreckte. In ihm flackerte noch immer die absurde Angst, dass Kuroko sich plötzlich in Luft auflösen würde, dass er die erfolgreiche Rettungsaktion nur geträumt hatte. Bevor er ihn jedoch berührte, sackte Kagamis Hand auf die Matratze und seine Finger krallten sich in die schneeweiße Bettdecke.

„Es tut mir leid“, wiederholte Kuroko und dieses Mal glaubte Kagami ihm. „Ich weiß, dass ich sämtliche Sicherheitsprotokolle gebrochen habe. Ich habe auf eigene Verantwortung gehandelt.“

Empört schnaufte Kagami und spürte, wie abermals Wut in seinem Bauch zu brodeln begann.

„Eigene Verantwortung? Dachtest du wirklich, dass ich nicht nach dir suchen würde?“

Langsam schlug Kuroko die Augen wieder auf und drehte seinen Kopf in Kagamis Richtung.

„Nein“, erwiderte er ruhig. „Ich wusste, dass du nach mir suchen würdest. Ich war mir nur nicht sicher, ob du mich finden würdest.“

„Natürlich“, knurrte Kagami verstimmt. „Wir haben es bisher aus jeder Sackgasse geschafft, oder etwa nicht?“

Kurokos Mundwinkel zuckten, deuteten den Anflug eines Lächelns an, für das er jedoch zu ausgelaugt war. Plötzlich spürte Kagami, wie sich etwas Warmes über seine auf dem Bett liegende Faust schob. Kurokos Fingerspitzen waren klamm und erhitzt, als diese über Kagamis Knöchel fuhren. Instinktiv lockerte Kagami die Haltung seiner eigenen Finger, bis Kuroko sie mit seiner bandagierten Hand sachte umschließen konnte.

Kagami schluckte schwer. Er spürte so etwas wie Hitze in seinem Nacken brennen und fragte sich, ob er sich nicht doch eine leichte Verbrennung zugezogen hatte. Als er sich mit der freien Hand nervös über besagte Stelle fuhr, war mit seiner Haut dort alles in bester Ordnung.
 

„Wissen Hyuuga-senpai und der Coach schon Bescheid?“, fragte Kuroko leise und vorsichtig.

Kagami brummte zustimmend. „Ich gehe davon aus, dass sie bei dem Kleinen sind.“

Langsam zog Kuroko seine Hand zurück. Kagamis Finger zuckten unwillkürlich, als würde er ihn davon abhalten wollen, doch er riss sich zusammen. Kuroko würde schon nicht wieder verschwinden. Nicht, solange er hier neben ihm saß und ein Auge auf ihn warf.

„Sie werden dankbar sein“, mutmaßte Kagami und runzelte die Stirn. „Aber es würde mich auch nicht wundern, wenn sie dich zu Hackfleisch verarbeiten.“

„Ja“, war Kurokos knappe, tapfere Erwiderung und Kagami verdrehte bei dem falschen Märtyrertum die Augen. Selbst Kuroko war nicht immun gegen die diabolischen Methoden Rikos.

Für Seirin hatte Kuroko sich stets eingesetzt, war nicht selten an seine Grenzen gestoßen, aber sich breitwillig in ein brennendes Gebäude zu stürzen, war ein ganz anderes Kaliber. Kagami würde daran noch eine ganze Weile zu knabbern haben. Auch, weil er es war, der meistens mehr Glück als Verstand hatte.

„Wie kann ich dir danken, Kagami-kun?“

Die Frage holte ihn aus seinen Gedanken und er schenkte Kuroko einen eindeutigen Blick.

„Ah“, stieß dieser wissend aus. „Mach das nie wieder. Verstanden.“

„Hast du das wirklich?“, hinterfragte Kagami zweifelnd, doch Kuroko hatte seinen Kopf längst in die andere Richtung gedreht.

„Oi! Hör mir zu, wenn ich mit dir rede!“, beschwerte er sich, doch als er nach wenigen Minuten hörte, dass Kurokos Atmung tiefer geworden war, trat er um das Bett herum. Er betrachtete das schlafende Gesicht und schob vorsichtig die Sauerstoffmaske zurecht.

Kagamis Herz polterte in seiner Brust. Er hätte Kuroko beinahe verloren – dies war eine Tatsache, die ihm noch immer die Kehle zuschnürte. In seiner frischen Erinnerung sah er ihn immer noch bewusstlos auf dem Boden liegen, mit dem weinenden Masaru an seiner Seite. Kagami hatte ihn murmeln hören, nur deshalb hatte er in diesem Moment des Schocks nicht vollkommen den Verstand verloren und war in der Lage gewesen, ihn auf seinen Rücken zu hieven. Es war ein Wunder, dass es bei diesem Brand keine Toten gegeben hatte. Es war ein Wunder, dass Kuroko Tetsuya lebte.

Und Kagami war sich sicher, dass in diesem Moment niemand so froh darüber war wie er.
 

„Kagami-kun!“, schluchzte eine Frauenstimme, als er die Krankenzimmertür leise hinter sich zuzog, um Kuroko in Ruhe schlafen zu lassen. Riko rannte auf ihn zu und in ihren Augen schimmerten Tränen. Es waren nicht die ersten, die sie an diesem Tag vergoss, was ihre roten Wangen deutlich machten. Hinter ihr trottete ein geknickter Hyuuga her. Sein Blick war bedrückt und gesenkt.

„Was ist mit Kuroko-kun?!“, erkundigte sich Riko mit schriller Stimme.

„Geht es ihm gut?“, fragte Hyuuga fast gleichzeitig und auch seine Stimme überschlug sich.

„Er schläft“, erwiderte Kagami und entfernte sich von der Tür, um Kuroko nicht versehentlich zu wecken. Seine Freunde folgten ihm zum Fenstersims, gegen den sich Kagami lehnte. Auch er fühlte sich erschöpft, nun, da sein Adrenalinpegel langsam sank.

„Er wird es schaffen“, fuhr er murmelnd fort, war sich aber nicht sicher, ob er dies nicht nur sagte, um ihnen allen gut zuzureden. „Ich meine… es ist Kuroko, nicht wahr?“

Als hätte er mit diesem Satz irgendeinen Hebel betätigt, brach Riko in Tränen aus. Sie wandte sich ab und ließ zu, dass Hyuuga einen Arm um sie legte.

„Richtig. Es ist Kuroko“, wisperte er abwesend.

„Dü… dürfen wir ihn sehen?“, schniefte Riko in das T-Shirt ihres Ehemannes.

„Ich denke schon. Später, wenn er aufwacht. Fragt am besten Midorima.“

„Midorima?“, hakte Hyuuga verwirrt nach, doch Kagami schüttelte nur resigniert den Kopf.

Hyuuga hielt sich mit weiteren Fragen zurück, akzeptierte, dass selbst eine robuste Person wie Kagami nach einem solchen Einsatz todmüde sein musste. Stattdessen löste er Riko sanft aus seiner Umarmung, um sich tief vor ihm zu verbeugen.

„Danke, Kagami. Du hast Masaru und Kuroko gerettet. Wärst du nicht…“ Hyuugas Stimme brach. Ruckartig richtete er sich wieder auf und drehte Kagami den Rücken zu. Dieser erkannte trotzdem an Hyuugas Armbewegungen, dass er sich die Brille von der Nase schob und sich mit dem Ärmel über die Augen wischte.

„Wenn es etwas gibt, das wir tun können…“ Rikos Hände klammerten sich an Kagamis Arm, als wäre dieser ihre letzte Rettungsleine. Auf gewisse Weise war er dies auch gewesen. Unwillkürlich musste er daran denken, dass sich Masaru ebenfalls mit einem so starken Griff an ihm festgehalten hatte.

Seine Mundwinkel hoben sich.

„Der Kleine ist so stark wie seine Eltern“, nuschelte er zusammenhangslos und schob Riko langsam, aber bestimmt von sich. „Werft ein Auge auf Kuroko, ja? Ich sollte…“ Demonstrativ sah er an sich hinab und Riko nickte eifrig. Kagami wandte sich ab, doch in diesem Moment fiel ihm etwas ein.

„Ah. Ich denke, das hier wollte Masaru unbedingt beschützen. Ich habe versprochen, für ihn darauf aufzupassen.“ Aus einer seiner tiefen Hosenbeintaschen fischte Kagami die in Mitleidenschaft gezogene Kriegsherr-Figur und reichte sie an Riko weiter.

Mit zittrigen Finger nahm sie das immer noch warme Plastik an sich und starrte es mit einem abschätzenden Blick an. Dann sank sie mit einem herzzerreißenden Schluchzen auf den Boden und drückte das Spielzeug fest gegen ihre Brust.

■ five ■

„Schneller, schneller!“, rief der kleine Junge aufgeregt und deutete mit ausgestreckter Hand auf das imposante Gebäude.

„Masaru-kun, es ist unhöflich –“, setzte Kuroko an, doch er merkte schnell, dass man ihm kein bisschen zuhörte. Das Funkeln in den dunklen Augen war zu enthusiastisch, die kleinen Beinchen zu zappelig, um an diesem Tag auch nur irgendetwas über Verhaltensregeln aufzunehmen.

Kuroko konnte es ihm nicht verübeln, er selbst spürte die Aufregung ebenfalls, auch wenn man ihm diese grundsätzlich nicht ansah. Seit Masaru vor drei Wochen – eine Woche vor ihm – aus dem Krankenhaus entlassen worden war, sprach er von nichts anderem, als den echten Toyotomi Hideyoshi treffen zu wollen. Es hatte nicht besonders lange gedauert, bis Kuroko herausgefunden hatte, wer Masarus neuer Held war – und er konnte ihm nur stumm beipflichten. Er kannte keine mutigere Person.

Kuroko ließ den Jungen nicht aus den Augen, als sie das Verwaltungsgebäude der Feuerwehr betraten. So merkte er auch mit Verspätung, dass jemand bereits im Eingangsbereich auf sie wartete.

Als sich ihre Blicke trafen, erkannte er angenehme Heiterkeit auf Kagamis Gesicht. Er trug seine Uniform, die sauber war und hatte seinen Helm unter den Arm geklemmt. Die roten Haare standen in alle Richtungen ab und die Kette, an der er Himuros Freundschaftsbeweis in Form eines Rings trug, klimperte leise, als Kagami das Gewicht verlagerte. Ein dezentes Gefühl von Nostalgie ergriff von Kuroko Besitz und er war froh, Kagami ausgeruht und gut gelaunt zu sehen.

„Hallo“, grüßte er kurz angebunden, ehe er einen Blick hinab zu Masaru warf. „Sag »hallo«, Masaru-kun.“

Auch diese Worte schienen die Ohren des Jungen nicht zu erreichen, denn er starrte voller Ehrfurcht zu Kagami hinauf. Im ersten Moment glaubte Kuroko, dass Masaru hinter ihm in Deckung gehen würde, doch dann rannte er urplötzlich auf Kagami zu.

„Hiyoshi! Hiyoshi!“, trällerte er lachend und sprang Kagami mit einem Satz entgegen. Bevor dieser sich hinab beugen und Masaru perplex auffangen konnte, hatte sich dieser unlängst wie ein Äffchen an sein Bein geklammert.

„Uh – ähm – huh“, drang es unschlüssig aus Kagamis Mund und Kuroko fing seinen ratlosen Blick auf. „Hiyoshi? Verwechselt er mich?“

Kuroko schenkte ihm ein seltenes, breites Schmunzeln.

„Nein. Vielen Dank, dass du uns den Besuch ermöglicht hast, Kagami-kun.“
 

„Sie haben mir Masaru-kun heute erneut anvertraut“, sagte Kuroko leise, nachdem er es mit Mühe fertiggebracht hatte, Kagami aus dem Klammergriff des Jungen zu befreien.

„Natürlich haben sie das“, schnaufte Kagami und runzelte die Stirn, als würde er Kurokos Zweifel nicht nachvollziehen können. „Du läufst in ein brennendes Haus, um den Racker zu retten – es gibt also vermutlich keine Person, mit der er sicherer wäre.“

Kagamis direkte, ehrliche Worte sorgten dafür, dass Kuroko sich etwas besser fühlte. Er senkte den Blick auf den Haarschopf Masarus, dessen gesamte Aufmerksamkeit noch immer Kagami galt. Sein Mund stand bereits seit ungefähr fünf Minuten offen und wollte sich nicht schließen.

„Geht es dir gut?“ Die Frage hörte sich an, als läge sie schon lange auf Kagamis Zunge. Er musste sich zusammengerissen haben, um ihn nicht sofort damit zu überrumpeln.

„Ja“, antwortete er einsilbig. Dies schien Kagami zu genügen, denn seine gestrafften Schultern entspannten sich.

„Hiyoshi-san, darf ich ihn sehen?“, mischte sich Masaru zunächst ohne Kontext ein, doch spätestens, als ein brummendes Geräusch seinen Mund verließ, lag auf der Hand, was er sehen wollte.

„Ja, dürfen wir ihn sehen, Kagami-kun?“, schnappte Kuroko die Worte Masarus auf.

„Klar. Aber dafür müssen wir die Rutschstange benutzen. Kommst du damit klar?“

Masaru nickte so intensiv, dass er auf und ab sprang.
 

„Nochmal!“, forderte Masaru, als er, an Kagami geklammert, sanft im Erdgeschoss ankam. Kagami lachte und ließ die Stange los, um ihn auf den Boden abzusetzen.

„Schaffst du es allein, Kuroko?“

Von oben hinab blickend, nickte Kuroko Kagami zu und benutzte die Rutschstange gemäß seiner Anweisung. Er war noch immer nicht besonders gut darin, Dinge zu erklären, weshalb Kuroko seiner eigenen Tempoeinschätzung vertrauen musste, als er hinab rutschte, doch es ging langsam genug voran, um die Aufgabe problemlos zu meistern.

Bevor er mit den Füßen auf dem Boden aufkam, griffen starke Hände um seine Taille und zogen ihn von der Stange.

„Kagami-kun, ich bin kein Kind“, merkte Kuroko trocken an.

„‘tschuldigung, hatte ich seit deiner dummen Entscheidung nicht mehr im Kopf“, brummte Kagami und mied plötzlich jedweden Blickkontakt.

„Du bist wütend“, stellte Kuroko sachlich fest, als er versuchte Kagami ein Loch in die Wange zu starren. „Immer noch.“

„Natürlich!“, platzte es aus Kagami heraus. „Du weißt gar nicht, was ich… wie ich…“ Ohne auch nur einen Gedanken vollends zu artikulieren, verpasste er Kuroko in seiner Frustration eine saftige Kopfnuss, die ihn zusammenzucken ließ.

„Es tut mir leid, Kagami-kun. Ich werde mich so lange entschuldigen, bis du nicht mehr verärgert bist“, bot er an und rieb sich die schmerzende Stelle, doch als Kagami nicht reagierte, beschlich ihn die Vermutung, dass selbst dies nicht helfen würde.

„Ich darf meine Stelle behalten“, wechselte Kuroko das Thema und durfte dabei zusehen, wie der Fisch den Köder schluckte. Kagami sah ihn wieder an, wenn auch nur über die Schulter hinweg.

„Das ist gut. Wird der Kindergarten wiederaufgebaut?“

„Ja, aber es wird eine Weile dauern. Masaru besucht derzeit einen anderen, die anderen Kinder ebenfalls. Die Ursache des Brands war der defekte Ofen, den das Küchenpersonal benutzt hat, um das Mittagessen vorzubereiten.“

„In der Zeitung hat man dich mutig genannt. Riesengroßer Mist, wenn du mich fragst. Du warst leichtsinnig, nichts anderes. Oder hast mir nicht genug vertraut“, sprach Kagami ohne seine Worte zu filtern. Kuroko akzeptierte sie stumm. „Was hat der Coach gesagt?“

„Nicht viel. Sie war zu sehr damit beschäftigt, mich in ihrem Würgegriff festzuhalten“, gestand Kuroko unumwunden.

Kurzzeitig legte sich ein geladenes Schweigen über sie, bis dieses von Masarus Stimme durchbrochen wurde.

„Da ist er!“, quietschte er begeistert und deutete auf den Feuerwehrwagen. Sofort sprintete er los, um ihn aus nächster Nähe zu betrachten.

„Bleib in der Nähe, Masaru-kun!“, rief Kuroko ihm hinterher. Eine Weile sah er dem Jungen dabei zu, wie er um das Fahrzeug tänzelte und nicht genug von diesem Anblick bekommen konnte. Wahrscheinlich dachte er darüber nach, eines Tages in Kagamis Fußstapfen zu treten. Kinderträume waren wechselhaft wie das Wetter, aber manche Ereignisse prägten einen für das ganze Leben. Kuroko konnte es kaum erwarten, Hyuuga Masaru heranwachsen zu sehen.

„Kagami-kun“, murmelte er und trat an seinen Freund heran, bis dieser keine Wahl hatte, als seinem durchleuchtenden Blick zu begegnen. „Ich kann dir nicht versprechen, dass ich nicht wieder etwas Leichtsinniges tun werde, um die Kinder zu schützen, die noch ihr ganzes, aufregendes Leben vor sich haben. Aber ich kann dir versprechen, dass ich beim nächsten Mal auf dich… warten werde.“

Die rötlich schimmernden Augen weiteten sich. Kagami stammelte ein paar unverständliche Silben, ehe er sich räusperte.

„Fein, das sollte genügen.“

Kagami hob die Hand, ballte sie zur Faust und streckte sie auffordernd Kuroko entgegen, um dieses Versprechen entsprechend zu besiegeln. Es war eine so vertraute Geste, dass Kuroko einen Moment lang vergaß zu atmen. Erinnerungen und Empfindungen, die er sicher in seinem Herzen aufbewahrte, quollen über und erfüllten seine Brust mit einem warmen Kribbeln. Er streckte seine Hand ebenfalls aus, doch statt den Fauststoß zu erwidern, umschloss er Kagamis Finger sanft und löste sie aus der Verschränkung.

Im Krankenhaus war er zu schwach gewesen, um die große Hand, die ihn und Masaru beschützt hatte, mit dem verdienten Druck festzuhalten, doch nun war er dazu in der Lage. Sie war rau und die Haut abgenutzt, doch Kuroko empfand nichts anderes als Geborgenheit und Zuneigung, als er sie sachte, aber entschlossen drückte.

„Kagami-kun“, begann er, doch bevor er auch nur ein weiteres Wort sagen konnte, vollzog Kagami eine plötzliche Bewegung mit der freien Hand. Schon im nächsten Augenblick konnte Kuroko nichts sehen. Kagamis Plastikhelm, viel zu groß für ihn, war auf seinem Kopf gelandet und versperrte ihm die Sicht.

„Kagami-kun?“, wiederholte er, dieses Mal verdutzt.

Kuroko spürte einen sanften Druck, der gegen seine Stirn ausgeübt wurde. Überrascht kam er zu dem Schluss, dass Kagami seinen Kopf gegen seinen gelehnt und den Abstand zwischen ihnen verringert hatte.

„Kagami-kun, ich kann deinen Atem spüren“, kommentierte Kuroko unverblümt und sah unter dem Rand des gelben Helms gerade noch so, wie sich Kagamis Adamsapfel bewegte, als er schwer schluckte.

„Stört dich das?“, hauchte er zittrig.

Kuroko musste nicht eine Sekunde darüber nachdenken.

„Nein.“

In der Ferne hörte er Masarus ungeduldiges Quengeln, doch weder er, noch Kagami machten Anstalten sich zu rühren. Endlose Sekunden verstrichen. Schließlich war es Kurokos Pflichtbewusstsein, das sich meldete.

„Geh. Ich warte hier“, flüsterte er, seine Worte bedeutungsschwer. Nur zögerlich richtete sich Kagami wieder auf. Seine Hand zog er erst im allerletzten Moment zurück – als Kuroko sich schon längst den Helm abgenommen hatte, um wieder zu sehen.

Kagami nickte und wandte sich ab, um Masaru den Feuerwehrwagen zu zeigen, so wie er es versprochen hatte. Auch Kuroko würde alle Versprechen an diesem Tag halten. Es war in Ordnung, er würde warten. Das Warten machte ihm nichts aus, weil er das Gefühl hatte, etwas entfacht zu haben, das nicht gelöscht werden musste.



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Kommentare zu dieser Fanfic (3)

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Von:  Lamello
2022-11-22T21:28:12+00:00 22.11.2022 22:28
Hey, auch wenn diese FF schon lange veröffentlicht ist möchte ich trotzdem ein Kommi da lassen! Du hast das wirklich toll geschrieben! Die Storyline und die Charaktere .. toll! Großes Kompliment an deinen Schreibstil! Die FF liest sich wunderbar! Mir hat sie wirklich gut gefallen! Kompliment!
VG
Lamello
Von:  Votani
2019-03-23T16:45:16+00:00 23.03.2019 17:45
Bevor ich deine Yuki/Shindou-FF lese, wollte ich noch schnell einen Kommentar hier dalassen. Wie du bereits weisst, find ich die Geschichte absolut niedlich und originell. Du hast die Charaktere einfach wunderbar dargestellt, dass ich beim Lesen praktisch einen kleinen Film vor Augen gehabt habe. Es war wirklich so, als wuerde ich eine KnB-Folge schauen. Besonders Kuroko hast du richtig gut hinbekommen, obwohl er gar nicht so einfach zu schreiben ist. Jedenfalls stell ich mir das so vor. XD Die Beziehung zwischen ihm und Kagami war auch wie der Serie entnommen, ganz besonders wenn Kagami Kuroko vor dem Haus sieht + dann aus dem Haus rettet. Das war so dramatisch und niedlich. ;o; XD
Aber ich mochte auch wie du Hyuuga und Riko (und ihren Sohn) eingebaut hast. Ich liebe sie. <3 Und bei ihrem Sohn hat man auch ueberhaupt nicht gemerkt, dass es ein OC war, weil er einfach sehr gut geschrieben und gepasst hat. Er ist sehr niedlich, kann ich nur immer wieder wiederholen. Ebenso wie seine Beziehung zu Kuroko. :)
Midorimas Auftritt war auch toll, aber dazu muss ich nicht mehr viel sagen. Er und seine Lucky Items. *lach*
Tolle Geschichte! Es hat sehr viel Spass gemacht, sie zu lesen! <3
Von:  ChocolateChip
2019-02-15T10:59:09+00:00 15.02.2019 11:59
Hallöchen!

Zuerst nocheinmal: Vielen lieben Dank für diese super tolle Geschichte! Ich habe mich wirklich darüber gefreut und war schon ganz am Anfang entzückt als ich das Bild gesehen habe x3 Ich liebe das Berufs-AU von Kuroko no Basuke einfach x3. Ich weiss gar nicht was ich genau sagen soll, weil ich sch*** bin in Kommentare geben haha
Aber du hast di Charaktere super gut getroffen und dein Schreibstil liest sich auch sehr gut! Ich konnte keine Fehler entdecken, und wenn welche sich versteckt haben, dann sehr gut, da ich sie nicht finden konnte hehe Dadurch war es sehr angenehm zu lesen!
Der kleine Junge ist einfach nur zauberhaft! Auch wenn ich wie gesagt Kuroko am liebsten eine klatschen würde für seinen Leichtsinn, kann ich gut verstehen, wieso er sich in gefahr gebracht und versuchen wolte, den Jungen zu retten. Dann kommt auch onch hinzu, dass er der Sohn von Freunden ist.
Die Geschichte war wirklich sehr spannend und ich musste sie noch am selben Abend lesen, obwohl ich hätte schlafen sollen wegen Arbeit und so... Hätte mir sie ja für die Busfahrt aufsparen können, aber nein... einmal angefangen konnte ich nicht mehr aufhören haha
Ich finds auch super, dass Midorima einen kurzen Auftritt hat und heimlich ein Lucky Item dagelassen aht für Kuroko x3 Da sieht man, dass auch er sich Sorgen gemacht hat haha
Der schluss war auch voll süss und verspricht nach mehr x3 Es ist nichts gezwungen und das macht es perfekt!

Also Vielen Dank noch mal für eine so tolle Geschichte!
*knuddel* und LG Choco
Antwort von: Swanlady
15.02.2019 16:33
Huhu :)
Hab vielen Dank für deinen Kommentar! Ich freu mich, dass dir die Geschichte gefallen hat. Wenn ich dir damit eine kleine Freude machen konnte, ist alles gut. <3
(Doktor!) Midorimas Auftritt war Ehrensache, es hat sich einfach super angeboten, haha. Natürlich musste er Kuroko ein Lucky Item dalassen, auch wenn ich glaube, dass er abstreiten würde, dass er sich Sorgen gemacht hat. ;D


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