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Leichtsinn ist kein Mut

KagaKuro | Wichtelgeschichte
von

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■ three ■

Hustend kroch er über den Boden. Seine Sicht war verschwommen und vom dichten, beißenden Rauch flossen ihm Tränen über die Wangen. Der Gestank von angebrannten Haaren lag ihm penetrant in der Nase, doch Kuroko scherte sich weder um die Haarsträhnen, die sprühenden Funken zum Opfer gefallen waren, noch um die versengten Ärmel seines Pullovers.

Er kannte die Räumlichkeiten des Kindergartens in- und auswendig, doch mittlerweile konnte er seine Lokalisation nur noch anhand des Linoleums, das er unter seinen Fingerkuppen spürte, erkennen. Er befand sich im Eingangsbereich, wo er keine drei Stunden zuvor seine Gruppe versammelt hatte.

„Masaru-kun?!“, ächzte er. Kuroko hatte aufgehört zu zählen, wie oft er den Namen des Jungen bereits gerufen hatte, doch er würde weitermachen, selbst wenn seine Stimme versagte.

Pass gut auf ihn auf, hörst du?

Rikos Stimme hallte in seinem Kopf wider, wie ein Mantra, das ihn antrieb und ihn seine wundgeschürften Handflächen nicht beachten ließ. Er hinterließ feine Blutspuren auf dem grauen Boden, einen handfesten Beweis dafür, dass er Steinbrocken und Möbelstücke aus dem Weg hatte schieben müssen, um den am weitesten vom Notausgang entfernten Ort zu erreichen.

Kuroko richtete sich auf, bis er gebückt auf dem Boden kniete. Fest presste er die Gesichtsmaske gegen seinen Mund, doch ein im 7-Eleven gekaufter Mundschutz kam schon längst nicht mehr gegen den vielen Rauch an.

Ihm war schwindelig, heiß und schlecht, doch Kuroko schleppte sich weiter. Seine Augen schmerzten so sehr, dass er sie kaum mehr offen halten konnte. Der gute Orientierungssinn, den er normalerweise besaß, nützte ihm in dieser Hölle aus Flammen und schwindendem Sauerstoff nichts mehr. Kuroko folgte dem Instinkt, der ihm schon in seiner Jugend geholfen hatte, obwohl es absurd war, sich auf seine Erfahrungen als Basketballspieler zu verlassen, wenn man versuchte, ein Kind aus einem brennenden Gebäude zu retten.

Dennoch war es sein schnelles Denken gewesen, das ihn die Strecke auf kürzestem Weg hatte überwinden lassen. Er kannte nicht nur die Lage sämtlicher Räume und Gänge, sondern wusste auch, wo sich die Feuerlöscher befanden. Als das Feuer in der Küche ausgebrochen war, war es bereits zu groß gewesen, um darauf zurückzugreifen und eine sichere Evakuation war die Priorität gewesen – etwas, das ihm nun zu Gute gekommen war.

Kuroko hatte alle Feuerlöscher verbraucht, als er sich einen Weg zur Umkleide gebahnt hatte. Jetzt konnte er nur hoffen, dass es nicht umsonst gewesen war.
 

„Masaru-kun?!“

Eine Weile lang war außer dem aggressiven Knistern des Feuers nichts zu hören, doch dann vernahm Kuroko plötzlich ein leises Wimmern. Zuerst glaubte er, seine Ohren würden ihm einen Streich spielen, weil er weit und breit niemanden sah, doch dann folgte ein Schluchzen. Er hatte sich nicht verhört, dort weinte jemand! Kurokos Herz zog sich teils schmerzhaft, teils euphorisch zusammen und er mobilisierte all seine Kräfte, um sich so schnell wie möglich in die Richtung zu bewegen, aus der die Geräusche kamen.

Als er schließlich den brennenden Haufen Holz erreichte, der vor wenigen Stunden noch die Umkleide gewesen war, erspähte er eine Person, die sich zusammengerollt hatte und zitternd zwischen Schutt und Asche lag. Verzweifelt streckte Kuroko die Hand nach ihr aus und berührte die staubigen Haare. Der kleine Kopf ruckte in die Höhe und tränenschwere Augen starrten ihn ängstlich an. Der Anblick schnürte ihm die Kehle endgültig zu und sein Körper verweigerte jedwede weitere Kooperation.

Hyuuga Masarus Gesichtszüge verschwammen vor Kurokos Augen. Er verlor den Halt und hatte das Gefühl, der Boden unter ihm würde sich in Luft auflösen. Er glaubte, endlose Meter in die Dunkelheit zu fallen, doch in Wahrheit waren es nur wenige Zentimeter. Hart schlug er mit dem Kiefer auf dem Boden auf und es war der explodierende Schmerz in seinem Gesicht, der Kuroko davon abhielt, das Bewusstsein zu verlieren. Verwirrt blinzelte er, als er Masarus erschrocken geweitete Augen nun über sich sah.

„Nicht sterben!“, weinte der Junge und rüttelte an Kurokos Ärmel.

„Ich sterbe nicht“, erwiderte dieser murmelnd, stemmte seinen schlaffen Körper in eine sitzende Position und streckte die Hand aus, um sie an Masarus Hinterkopf zu legen. Sanft zog er den Jungen zu sich und strich beruhigend über seinen Haarschopf.

„Tut es irgendwo weh, Masaru-kun?“, fragte er und jede Silbe fühlte sich schwer auf seiner Zunge an.

Masaru schüttelte den Kopf und ein lautloses Schluchzen ließ seinen Körper erbeben. Kuroko löste mit der freien Hand seinen Mundschutz und zog ihn vorsichtig dem Jungen an, auch wenn er viel zu groß für ihn war. Über den einst weißen, nun grauen Rand des Stoffes hinweg, schielten unschuldige Kinderaugen zu ihm hoch.

„Ich wollte doch nur…“, nuschelte Masaru.

„Ich weiß. Nichts davon ist deine Schuld, Masaru-kun“, erwiderte Kuroko, auch wenn er nur eine vage Ahnung davon hatte, was Masaru hatte sagen wollen. Die Last der Schuldgefühle war jedoch nicht für Kindesschultern gedacht.

Schniefend griff Masaru unter seinen Pullover und zog etwas hervor, das Kuroko all seine unausgesprochenen Fragen beantwortete. Der Arm von Toyotomi Hideyoshis Sammelfigur war geschmolzen und sein Gesicht verlaufen, doch ein Großteil seiner Rüstung war noch erhalten.

„Papa hat mir Hiyoshi geschenkt“, schniefte Masaru und seine glasigen Augen funkelten.

Kurokos Herz zog sich unangenehm zusammen.

„Hideyoshi“, korrigierte er ihn an diesem Tag zum zweiten Mal, doch seine Stimme klang schwach und angeschlagen. Er war sich nicht sicher, ob er aufstehen konnte, doch er konnte nun, da er Masaru gefunden hatte, nicht einfach hier sitzenbleiben und auf den sicheren Tod warten.

„Ich habe Angst“, flüsterte der Junge, was Kuroko dazu animierte, seine letzten Kraftreserven zusammenzukratzen.

„Masaru-kun, kannst du mir zeigen, wie eine Raupe macht?“, bat er und wartete, bis Masaru sich aus seiner lockeren Umarmung befreit hatte, da es ihm schwerfiel, die Arme zu heben. Verwirrt, aber gehorsam zeigte der Junge, wie er über den Boden kriechen konnte.

„Sehr gut“, lobte Kuroko und lupfte seine Mundwinkel. „So bewegen wir uns nun. Bleib dicht bei mir.“

Hustend ließ er sich zu Boden fallen, streckte die Arme aus und zog den vor Erschöpfung tauben Körper mit den Unterarmen einige Zentimeter vorwärts. Schon nach dieser ersten Bewegung erkannte Kuroko, dass er nicht weit kommen würde. Masaru allein gehen zu lassen war für ihn jedoch auch keine Option, weshalb er seine überstrapazierten Muskeln zwang, sich seinem Willen zu beugen. Der Junge kam zügiger voran und stoppte, als er bemerkte, dass er Kuroko weit hinter sich gelassen hatte.

„Du bist langsam“, stellte Masaru fest und seine Stimme zitterte. Instinktiv schien er zu verstehen, dass mit seinem Erzieher etwas nicht stimmte.

„Du hast recht, du bist die bessere Raupe“, erwiderte Kuroko so locker wie möglich und stemmte sich gegen den Boden. In diesem Moment gab sein Körper auf. Der Arm unter ihm rutschte weg und er krachte vornüber auf den staubigen Boden. Masaru schrie schrill auf und krabbelte zu ihm zurück.

„Ich zeig dir, wie es geht!“, versuchte er Kuroko zum Weitergehen zu bewegen und zog an seinem Handgelenk.

Egal, wie viel Mühe Kuroko sich gab, die stumpfen Glieder zu bewegen – es wollte nicht funktionieren. Schlaff landete seine Hand wieder auf dem Boden, als Masaru sie losließ.

„Nicht schlafen! Nicht sterben!“, wimmerte der Junge flehend. Sein Kinn kräuselte sich und seine Unterlippe bebte, kündigte seine Tränen an.

Kuroko konnte nicht verhindern, dass seine eigenen Augen ebenfalls feucht wurden. Ein schwarzer Schleier zog sich über seiner Sicht zusammen. Er hatte versagt. Er hatte es nicht geschafft, Masaru zu retten und sein Versprechen zu halten. Nun hatte er nicht einmal mehr die Kraft, um seine Hände verzweifelt zu Fäusten zu ballen. Das Gewicht seiner Schuld erdrückte ihn, presste ihn hart gegen das erhitzte Linoleum. Seine Augenlider fielen zu, sein Bewusstsein entfernte sich von ihm, als wäre auch dieses angewidert von seiner eigenen Unfähigkeit.

Masaru schrie abermals, kreischte, heulte und strampelte mit den Beinen. Kuroko konnte sogar den Boden unter sich vibrieren spüren und es kam ihm seltsam vor, dass ein Kindergartenkind so kräftig war, aber er traute seiner Wahrnehmung nicht mehr. Jemand sprach seinen Namen aus, berührte ihn an der Schulter, doch er war davon überzeugt, dass dies nur sein Gehirn war, das ihn wirre Dinge hören und spüren ließ.

„Rette ihn“, flehte Kuroko, obwohl er sich nicht sicher war, ob er überhaupt die Lippen bewegte, geschweige denn seine Stimme benutzen konnte. Es spielte keine Rolle, denn seine Bitte schien die Person aus seinen Halluzinationen trotzdem zu erreichen.

„Ich hol euch beide hier raus.“



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