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Momentaufnahmen

von

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Opferbereit im Tode

Es mag edel klingen, zum Orden der Grauen Wächter zu gehören. Vielleicht liegt es daran, dass der Orden viele Jahrhunderte alt ist und das ganz Thedas in seiner Schuld steht. Oder aber es liegt daran, dass die, die sich ihm anschließen, bereit sein müssen, alles aufzugeben. Das Opfer, das beim Beitritt gebracht wird, ist für jeden ein Großes. Einige verlieren ihr Leben beim Beitrittsritual. Die, die es überstehen, opfern ihr bisheriges Dasein auf und infizieren sich willentlich mit der Verderbnis, die sie von jenem Moment an zu verzehren, ja, aufzufressen beginnt. Das sind die großen Opfer eines Wächters. Gewiss, da wäre noch ein finales Opfer: Ein Erzdämon kann nur dann getötet werden, wenn ein Wächter es tut. Dieser verliert dabei sein Leben. Wie glorreich dies doch klingt. Es erinnert an die Heldengeschichten aus den Märchen, die wir alle in unserer Kindheit so geliebt haben. Eines von drei Opfern ist es, das hoch geschätzt wird, das betrauert wird und zu dem aufgesehen wird. Die anderen beiden sind ungesehen. Sie werden als gegeben, als nahezu selbstverständlich hingenommen. Ein Wächter zu sein bedeutet, niemand mehr zu sein. Es anonymisiert uns und macht uns von der Rasse, der Herkunft und der Erfahrung her gleich. In einer Welt, in der zwischen Reichtum und Armut große Kluften bestehen und in der Kriege aufgrund von Rasse und Hautfarbe gefochten werden, klingt dies wie ein Fiebertraum. Aber es ist wahr für die Wächter. Jedoch nicht, weil diese Weise und erhaben sind. Nein, ein Werkzeug ist ein Werkzeug, gleich, wie es aussieht und wie es genau funktioniert, solange es nur den gewünschten Effekt erzielt. So ist es und nicht anders. Wir sind alle gleich im Orden, auch, damit kein Raum eingenommen wird von Streitigkeiten, Uneinigkeit und Hass. Wir müssen einander vertrauen. Können wir das nicht, werden wir scheitern. Untergehen. Die Gemeinschaft, die blau-silberne Masse von denjenigen, die bereit waren, alles zu opfern, macht uns stark. Sie zeichnet uns aus.

Ich will nicht von Reue sprechen, denn ich bereue es nicht. Ich bereue nicht, den Greifen auf meiner Brust zu tragen und ich bereue nicht, dass mein Kampfschrei den Wächtern gilt. Auch weine ich nicht dem Leben nach, das ich vorher gelebt habe, denn es ist zum einen lang vergessen und zum anderen wäre es, gäbe es keinen Orden wie diesen, lang verloren ob der Bedrohungen, die diese Welt heimsuchen. Vielleicht liegt also auch ein wenig Dank in dieser Selbstlosigkeit. Dank denen gegenüber, die bereit waren, ihre Identität und ihr Leben zu geben, um das meine zu ermöglichen. Um die Leben vieler zu ermöglichen. Dieser Gedanke barg etwas Tröstendes.

Um mich herum Schlachtgetümmel. Es riecht nach verkohltem Holz und verkühltem Fleisch. Es stinkt nach frischem Blut, nach Eisen. Auch stinkt es faulig, es stinkt nach Verwesung. Der Lärm ist angeschwollen, sosehr, dass er mich taub macht. Ich höre die Schreie nicht mehr, die von Wut, Kampfeslust oder Schmerz durchtränkt sind. Das Gebrüll der Monster, der verderbten Gestalten der Dunklen Brut, höre ich auch nicht mehr. Kein Klingenschlag, metallisch und hart, dringt mehr an mein Ohr, obgleich doch Tausende seiner Art erfolgen, wieder und wieder. Eines höre ich: Den Schrei des Erzdämonen. Ich höre ihn physisch schreien und ich höre ihn in meinem Kopf. Nichts mehr ist in meinem Geiste außer seinen Ruf. Ich sehe die große Gestalt, wie ein fauliger Drache, groß und unwirklich. Seine Schuppen sind schwarz, ein wenig violett manchmal, und die Verderbnis benetzt ihn wie Morgentau die Felder meiner Heimat. Ich sehe ihn und er sieht mich. Hunderte kämpfen um uns, Hunderte von den meinen und Hunderte von den seinen. Doch wir sehen uns an und um uns herum beginnt alles andere zu schwinden. Ich sehe die Intelligenz in seinen bösen Augen und ich sehe, dass er weiß was ich weiß: Wir werden kämpfen, er und ich, sind füreinander als Opponenten bestimmt. Bin ich unachtsam, erschlägt er mich. Bin ich erfolgreich, erschlage ich ihn und gebe mein Leben hin, um ihn für alle Zeit vom Antlitz dieser Welt zu tilgen. Das dritte Opfer.

Ich habe mich immer gefragt, was die Wächter antreibt in solchen Momenten. Zwei Optionen und beide beinhalten, dass ich sterbe. Die Aussicht ist also so oder so eine finstere. Und doch kann ich nicht zögern, kann nicht stillstehen oder umdrehen und rennen. Ich nehme eine Entschlossenheit in mir wahr, von der ich nicht wusste, dass ich über sie verfüge. Sie wird von Liebe genährt. Liebe für die, die mir einst nahestanden, Liebe für meine Brüder und Schwestern im Orden und Liebe für jede Seele, die Thedas ihr Zuhause nennt. Ich fühle mich nicht mehr weltlich und obgleich ich niemals fromm war, spürte ich, dass der Erbauer über mich wacht. Ich bin nicht allein und ich werde es niemals wieder sein.

Dieses Mal ergeht kein Kampfschrei meinerseits. Ich umfasse den Griff meines Schwertes, reiße meinen Schild hoch und stürme los. Geschickt manövriere ich mich durch die Kämpfenden hindurch und durchquere das Schlachtfeld. Sie wissen nicht, was mein Ziel ist. Die einen würden mir ansonsten helfen, die anderen würden versuchen, mich aufzuhalten. Doch nur ich weiß es und der Erzdämon selbst. Das muss genügen. Ein Tritt in den verwesten Schädel einer soeben zu Boden fallenden Kreatur der Dunklen Brut, ein Pfeil, den ich mithilfe meines Schildes abwehren kann, er bleibt in diesem stecken. Doch es schert mich nicht. Ich stürze nach vorn und dann stehe ich vor ihm, dem Erzdämon. Ein alter Gott soll er sein, verseucht ob der Sünden der Menschen, die in Form von der Brut zu ihm getragen wurden. Ich ducke mich, renne unter dem schuppigen Leib entlang und stoße meine Klinge in diesen. Den Schild lasse ich fallen, ich nutze beide Hände, um die Klinge tiefer und tiefer in den Körper zu treiben und heißes, fauliges Blut ergießt sich über mich. Die Kreatur brüllt und schreit, schlägt mich fort und ich verliere mein Schwert, denn es bleibt im Bauch stecken. Ich werde über den Boden geschleudert, überschlage mich mehrfach und bleibe mit gebrochenen Rippenknochen liegen. Es ist nicht genug, ich weiß es. Rasch stehe ich wieder auf beiden Beinen – gerade rechtzeitig genug, um einem mächtigen Schwanzhieb auszuweichen und gleich danach einer feurigen Kaskade, die sich aus dem Maul des Dämons ergießt. Ich packe ein fremdes Schwert, eine entstellte rostige Klinge der Brut, und wieder greife ich an. Ich springe auf und ramme die Klinge in die Brust des Wesens, dann ziehe ich mich hoch, nutze sie als Trittbrett und erklimme den Hals der drachenartigen Kreatur, der sich unter meinen Kletterversuchen windet. Sie will mich abschütteln, will, dass ich stürze. Sie hebt ab. Die breiten, ledernen Flügel schlagen so laut, dass mir mein Trommelfell zu platzen droht, und kurz darauf rauscht der Nachtwind nur so an mir vorbei. Gelöste Haarsträhnen schlagen mir ins Gesicht und ich muss einem Klauenhieb ausweichen, der mich von seinem Körper lösen und in die Tiefe stürzen lassen sollte. Zweifellos wäre dies mein Ende gewesen. Sein Ruf ist laut und ich schreie mit ihm. Mein Hirn schmerzt und ich fühle, wie mir warmes Blut aus der Nase und aus den Ohren zu rinnen beginnt. Ich ziehe mich das finale Stück hoch und sitze nun auf dem Hals der drachenartigen Kreatur. Die einzige Waffe, die mir geblieben ist, ist mein Stiefeldolch. Der verseuchte Leib unter mir windet sich und ich weiß, dass die Kreatur Schmerzen leidet. Ich höre es durch das verderbte Blut in meinen Adern. Zu den Wunden an Bauch und Brust gesellen sich unzählige Pfeile und Bolzen, die nun von unten abgefeuert werden. Von meinen Brüdern und Schwestern. Ein Feuerball, beschworen von einem derjenigen, die den magischen Künsten zugetan sind, trifft den Dämon an der Seite, er verliert die Kontrolle über die Flugrichtung und stürzt einige Meter in die Tiefe, vor Schmerz heulend. Beinahe wäre ich abgestürzt, doch die Erkenntnis, dass ich es schlichtweg nicht darf, treibt mich voran. Immer wieder ramme ich den Dolch in den etwas weicheren Hals und klettere weiter nach vorne, gelange über die blutigen Schuppen endlich zum Kopf. Nun umfasse ich meinen Dolch so fest wie niemals zuvor und ramme ihn in das Auge des Dämons. Ich ramme die Klinge, das Heft, meine geballte Faust in den Schädel der Kreatur hinein und sie brüllt, als ihr Augapfel platzt und auch der Schädel reißt. Im Inneren zerschneide ich die faulige Hirnmasse, will jede Faser dieser bösartigen Kreatur vernichten.

Wir stürzen ab. Die Spitze meines Dolches bohrt sich von innen nach außen und ich sehe ein Stück des Metalls aus dem Schädel des Dämons kommen. Ich ziehe kräftig und reiße diesen auf. Eine gewaltige Druckwelle wirft mich zurück, reißt mir meinen Arm, der noch im Schädel steckt, ab und schleudert mich durch die Luft. Licht. Ein grelles Leuchten ist das Letzte, was ich sehe. Ich falle und falle, doch als ich aufkomme, hat der Tod mich schon eingeholt.

Ich habe das finale Opfer gebracht. Ich habe den Erzdämon erschlagen und als Lohn erhalte ich den Tod dafür. Der Handel ist alles andere als gerecht, doch ich wusste darum, ebenso wie meine Brüder und Schwestern es wussten. Vielleicht finden sie meinen Körper, der auf nacktem Stein zerschellt ist. Sie wissen, dass nicht der Aufprall, nicht der Verlust des Armes ihn haben sterben lassen, sondern dass das Privileg, einen Erzdämon zu erschlagen, seinen Preis hat. Ob einige von ihnen froh sein werden, dass nicht sie ihn zahlen mussten? Gewiss, wir alle wissen um die Risiken, wissen um den höchsten Preis, doch wir alle sind auch nur fühlende und denkende Wesen. Angst ist uns ein Begleiter, ob wir es wollen oder nicht. Ein Opfer zu bringen, von dem kaum einer außerhalb des Ordens etwas weiß, ist eine seltsame Angelegenheit. Ich beneide die, die nun übrig sind, nicht, denn sie werden versuchen, versuchen müssen, mit meinem Namen das Bestehen der Wächter zu fordern. Wie leicht könnten wir Lügner sein!

Ich glaube, ich bin gerne so gestorben. Es liegt Trost darin, dass es heldenhaft war. Wie in den Märchenbüchern. Der Gedanke, in vielen Jahren einmal mit einem Leib, der das Verrotten begonnen hat, in die Tiefen Wege zu ziehen und auf meinen Tod zu warten, birgt nichts Reizvolles. Besser so. Oder vielleicht will ein Teil von mir, der nun auch nicht mehr ist, dies zumindest glauben.

Ein Gefühl der Schuld

Er ließ die neue Rekrutin am oberen Brückenkopf stehen und machte sich alleine auf den Weg zum Lager. Sein Kopf war schwer. Er teilte Cailans Optimismus ob der bevorstehenden Schlacht nicht, denn er, ein Grauer Wächter, hatte ihn gesehen: Den Erzdämon. Es waren nicht nur bloße Träume oder geflüsterte Spekulationen, die das Bild des scheußlichen Wesens in seinen Kopf gepflanzt hatten – es war der Ruf der Bestie selbst gewesen, der diese angekündigt hatte. Duncan spürte, dass er sich schuldig fühlte. Er wusste, dass dies eine Verderbnis war. Doch ihm wurde kein Glauben geschenkt. Er konnte nicht verlangen, dass sich ein ganzes Königreich auf das verließ, was er zu wissen glaubte. Nicht mit Männern wie Teyrn Loghain. Diese Verantwortung, dieses Wissen alleine tragen zu müssen, war eine schwere Bürde. Er konnte nur hoffen, dass Ostagar erfolgreich verteidigt werden konnte und er im Anschluss daran in der Lage wäre, mit Alistair und den neuen Rekruten in die Tiefen Wege zu gehen, um den Erzdämon ausfindig zu machen. Nur, indem sie ihn erlegten, konnten sie der Verderbnis ein Ende setzen. Da war es wieder, die Schuld: Er würde Schuld daran sein, dass einige Rekruten das Beitrittsritual nicht überstanden. Sein Urteil, dass sie vorzügliche Graue Wächter wären, wäre ein falsches gewesen. Auch wäre er schuld, würde jemand von ihnen fallen. Gewiss, dies war der Preis, der mit der Schlacht kam, vor allem mit dem Dasein als Grauer Wächter, und doch kam Duncan nicht umhin, einen bitteren Geschmack beim bloßen Gedanken daran auf seiner Zunge zu spüren. Ganz besonders galt dies für Alistair.

Böse Zungen hätten, wüssten sie das, was Duncan wusste, behauptet, er wollte den jungen Mann schützen, da er Anspruch auf den Thron hatte. Für den Fall, dass dem König in der Schlacht etwas zustieße. Ein absurder Gedanke, wusste man um Duncans Verbindung mit Maric, dem verschollenen Vater von König Cailan und Alistair. Es mochte zahllose Jahre her sein, dass sie Seite an Seite in die Tiefen Wege gegangen waren., doch obgleich sie als Fremde von der Erde verschluckt worden waren, so waren sie doch als Verbündete, als Freunde wieder hervorgekommen. Maric, Fiona und er. Für die beiden würde er auch heute noch alles geben. Damals schwor er, viele Monate nach ihrem Abenteuer, dass er stets den Schutz ihres Sohnes gewährleisten würde. Alistairs Schutz. Dieser wusste von dem alldem nichts. Doch dass er hier war, dass er überhaupt ein Grauer Wächter war, stand dem Versprechen von damals mehr als entgegen. Duncan rieb sich die Schläfen als leide er gar schreckliche Kopfschmerzen. Schuld, Schuld, Schuld.

Er erreichte das Ende der Brücke, grüßte den Soldaten, der salutierte, und ließ seinen Blick durch das Lager schweifen. Unzählige Männer und Frauen waren hier versammelt. Es waren nicht bloß Soldaten des Königs hier, nein, auch Magier des Zirkels, Templer und Söldner hatten sich hier eingefunden. Priesterinnen der Kirche hielten ihre Predigten und segneten die, die in den bisherigen Gefechten gefallen waren – und die, die noch fallen würden. Auch kümmerten sie sich, gemeinsam mit einigen Heilern des Zirkels, um die Wunden derjenigen, die den Kampf zwar überstanden hatten, aber nun auf eine lange Genesungszeit angewiesen waren. Es roch nach deftigem Eintopf und ein wenig nach Bier. Vom anderen Ende des Lagers her erklang das Gebell der Mabari. Auch der Duft ihres nassen Felles lag in der Luft, eine allzu typische Mischung für fereldische Verhältnisse, dachte Duncan bei sich. Er hatte dieses kalte, seltsame Land gehasst, als er das erste Mal hierher kam. Doch er hatte es zu lieben gelernt, nicht zuletzt aufgrund seiner Verpflichtungen und seiner Freundschaft zu Maric. Dass er es beschützen wollte, es beschützen musste, war da nur mehr als natürlich. Er setzte sich langsam in Bewegung und fühlte sich schwerfällig dabei und alt. Er konnte nicht leugnen, dass der Ruf auch ohne die bevorstehende Verderbnis lauter war als in seinen früheren Jahren. Ein Umstand, mit dem sich auf kurz oder lang alle Wächter abfinden müssen. Eine Heilung nämlich gab es nicht. Er grüßte Daveth mit einem Nicken seines Hauptes. Der Schurke hatte in Denerim versucht, sein Gold zu stehlen. Als die Wachen ihn dafür bestrafen wollten, hatte Duncan von Konskriptionsrecht gebraucht gemacht und Daveth für die Grauen Wächter rekrutiert. Es mochte wie ein gütiger Akt erscheinen, hätte die Stadtwache den Mann doch aufgrund von wiederholten Diebstählen hingerichtet, doch das war es nicht. Ganz und gar nicht. Zu sehr erinnerte Daveth ihn an sich selber, als er noch jung war, und ebenso daran, dass er niemals hatte so etwas wie ein Grauer Wächter sein wollen. Welch seltsame Streiche das Schicksal doch spielt. Auch Jory sah er. Der Krieger hatte seine Aufmerksamkeit auf sich und seine Talente gezogen, als er ein Turnier in Highever gewann. Danach hatte Duncan ihn für seinen Orden rekrutiert. Das Wissen, dass seine Frau mit einem Kind im Leib in Redcliff auf die Rückkehr des Ritters wartete, versetzte Duncan einen Stich. Er war dünnhäutig an diesem Tag, wund gerieben von schlaflosen Nächten, den Ruf der Dunklen Brut und den Schuldgefühlen, die mit jedem weiteren Tag nur so an ihm fraßen.

Er fand sich an dem großen Feuer ein, welches unweit der Lagermitte entzündet worden war. Obgleich es helllichter Tag war, schien das Gebiet um es herum noch einmal etwas strahlender zu sein als das umliegende Gelände. Die Wärme, die es ausstrahlte, erinnerte Duncan an warme Sommertage in Orlais, als er noch ein Kind war, und an seine Mutter. Sie war im Norden von Thedas geboren worden, in Rivain. Von ihr hatte er seine dunkle Hautfarbe geerbt sowie auch seine Affinität zur Wärme. Es wunderte ihn wenig, dass Ferelden ihm oft viel zu kalt erschienen war. Das Blut in seinen Adern war schlichtweg zu warm. Und verderbt, dachte er bitter, es war heute verderbter als jemals zuvor.

Zwei wichtige Ereignisse würden einen Großteil dieser Nacht in Anspruch nehmen. Zum einen ging er davon aus, dass die Rekruten ihre Aufgaben in der Korcari-Wildnis, von denen sie noch nichts wussten, rasch erledigen würden, sodass bereits am Abend das Beitrittsritual erfolgen konnte. Der Kelch stand bereits in Duncans Zelt, er würde ihn später noch vom Schmutz der Reise und vielleicht von etwas Staub befreien. Zum anderen stand eine taktische Besprechung mit König Cailan aus. Der Mann war jung und voller Hoffnung. Er wollte eine Schlacht wie aus den Märchenbüchern, die man ihm als Kind allzu oft vorgelesen hatte. Solche Schlachten, das wusste Duncan, gab es nicht. Jede Schlacht war gezeichnet von Brutalität und Verlusten, von Schmerz und Leid. Es war nichts Glorreiches daran. Ihm gegenüber würde Teyrn Loghain stehen. Duncan kannte den Mann zu gut. Dieser war damals als enger Freund und Vertrauter Marics beinahe der Grund dafür gewesen, dass sie ihre Mission in die Tiefen Wege nicht hätten umsetzen können. Er hatte sich gegen die Präsenz der Grauen Wächter in Ferelden ausgesprochen, waren sie doch vor Jahrhunderten ins Exil verbannt worden, und zudem die Sicherheit des Königs in den Vordergrund gestellt. Ersteres konnte Duncan nachvollziehen. Es war ihm mehr als klar, dass Loghain ihm wie seiner Kommandantin Genevieve die Schuld daran gab, dass Maric beinahe gestorben wäre und dass er sein Königreich über Wochen im Stich ließ. Und seinen Sohn, Cailan. Schuld, da war sie wieder. Nein, es verwunderte Duncan nicht, dass Loghain ihn verabscheute. Ein Umstand, aus welchem der gealterte Mann keinesfalls ein Geheimnis machte. Sein Blick verlor sich in den Flammen des großen Feuerkorbes, während er sich ausmalte, wie die Besprechung wohl verlaufen würde.

Die Nacht kam. Mit ihr kehrten die Rekruten nebst Alistair aus der Wildnis zurück. Sie brauchten das Blut der Brut mit wie auch die uralten Verträge des Ordens, die in einem längst vergessenen Archiv inmitten des Sumpfgebietes gelagert hatten. Wichtig für diesen Abend war Ersteres. Die Verträge wären später spannend, wenn der Orden um einige Mitglieder angewachsen war und endlich wieder einen festen Fuß hier im Land fassen konnte. Was dann kam, war das Ritual.

Zwei starben. Zwei von drei. Daveth, weil er zu schwach war, die Last des verdorbenen Blutes zu ertragen. Keinesfalls unüblich. Duncan konnte sich verzeihen, ihn rekrutiert zu haben – er wäre so oder so gestorben. Mit Jory war es etwas Anderes. Der Krieger war von Furcht gepackt, versuchte es nicht einmal. Doch wer das Ritual gesehen hatte, wer wusste, was es beinhaltete, dem standen nur zwei Wege offen: Er wurde ein Grauer Wächter oder er starb. Die meisten starben wie Daveth, weil das Blut der Dunklen Brut sie vergiftete. Jory starb anders. Duncan erschlug ihn. Er musste ihn erschlagen, da die Angst ihn beseelt hatte, da er sich weigerte. Dies verzieh Duncan sich nicht. Mit der Rekrutierung dieses Mannes hatte er einen Fehler gemacht. Hätte er ihn ziehen lassen, wäre er am Leben, wäre bei Frau und Kind. Stattdessen lag er in der Pfütze seines eigenen Blutes in einer Ruine in Ostagar und hauchte sein Leben aus. Sicher, Graue Wächter mussten gefunden werden, der Orden musste überleben, denn ansonsten würden es die Menschen in Thedas nicht tun, doch die Verantwortung war eine große. Eine zu große. Die Rekrutin überlebte. Sehr zur Erleichterung Duncans wurde sie in jener Nacht zu einer Grauen Wächterin. Damit gab es zwei Wächter neben ihm selbst in Ferelden. Beide, das wusste er, musste er schützen. Er musste dafür Sorge tragen, dass sie die morgige Schlacht überstanden für den Fall, dass er es nicht tat. Denn nur ein Wächter kann den Erzdämon töten. Nur ein Wächter.

Auch die Besprechung kam. Die Taktik für den Kampf wurde festgelegt. Duncan würde an Cailans Seite bleiben, etwas, dass er sich versprochen hatte. Alistair und die Rekrutin würden das Schlachtfeld nicht betreten, auch dies hatte er sich geschworen. Natürlich ärgerte es beide, wie könnte es nicht. Er wollte, er hätte offen mit ihnen sprechen können. Offener, als er es nunmehr tat.

Die Nacht kam. Die Rufe der Dunklen Brut erklangen in Duncans Geist. Der Gesang der Tiefe zog durch seine Adern hindurch. Er schlief kaum in dieser Nacht und war auf den Beinen, noch ehe es im Lager jemand anderes war, sah man einmal von den Nachtwachen ab.

Mit dem Morgen kam die Schlacht. Mit der Schlacht kam der Tod Cailans. Duncan sah, wie der Körper des Königs zerquetscht wurde von der Faust eines mächtigen Ogers. Das Gebrüll der Dunklen Brut um ihn herum und das Geräusch von Waffen, die aufeinander schlugen, mochten zwar ohrenbetäubend sein, doch das Knacken der Knochen des jungen Mannes drang bis an sein Ohr. Es roch nach Blut und nach Verwesung auf dem Schlachtfeld, denn das untote Fleisch der Brut war faulig. Cailan war tot. Es war Duncans Schuld. Er hätte erklären müssen, dass der Erzdämon kam, hätte Loghain ignorieren sollen, hätte, hätte… Schuld, Schuld, Schuld.

Er erschlug den Oger, aus Wut und Schmerz heraus. Ehe Duncan starb, ehe die mächtige Axt eines Feindes seinen Schädel zertrümmerte, wurde er Zeuge davon, dass ein Plan nicht aufging, dass eine Taktik nicht durchgeführt wurde. Er wurde Zeuge von Verrat.

Dann war nichts mehr da, kein Schlachtfeld, keine Dunkle Brut, kein Ruf und vor allem: Keine Schuld.



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