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Centaurya

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Nach längerem Nicht-wirklich-weiter-kommen bei dieser Geschichte, ist jetzt endlich der Knoten geplatzt und ich konnte mal wieder ein paar Kapis verfassen ^^. Die nächsten folgen bald. Komplett anzeigen

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Die neue Heimat

Es war nicht unsere Heimat und doch wandelte sich Centaurya – wie unsere Vorfahren diesen Planeten damals genannt hatten – mit jeder neuen Generation mehr und mehr zu unserem neuen Zuhause. Geheimnisvoll, vielseitige Landschaften, faszinierende Tier- und Pflanzenwelten … dieser Planet besaß ein anderes Gesicht als unsere Erde und doch ähnelten sie sich in vielen Dingen. Vielleicht fühlten wir uns deshalb auch so angekommen.
 

Wir lebten hier im Einklang mit der Natur, hielten uns zurück, erforschten die Natur ohne in sie einzugreifen. Die Forschung blieb unser Hauptaugenmerk und die größte Aufgabe, der wir jeden Tag mit Hingabe nachgingen.
 

Doch das wundersamste an diesem Ort waren nicht unbedingt die Tierwesen, die Flora und Fauna, sondern die eigentlichen Ureinwohner von Centaurya: mystische Zentauren-Wesen, die wir Centauryn getauft haben. Sie besaßen so gar keine Ähnlichkeit mit den in unserer Mythologie beschriebenen Pferdemenschen, die Centauryn sahen nicht nur äußerst anmutig und faszinierend aus, ihr Wesen zeichnete sich durch Friedlichkeit und Weisheit aus. Ihr größtes Geheimnis lag in ihrer magischen Verbindung zu dem Planeten und dessen Elemente-Kräften, ein Umstand der sich sogar in ihrem Äußeren abzeichnete. So besaßen Centauryn mit Meeresmagie oft ein an Wasser erinnerndes Fell, Schweif oder Ähnliches.
 

Über ihre Art zu leben oder ihre Bräuche wussten wir nur sehr wenig, denn sie zeigten sich uns Menschen nur extrem selten. Allerdings existierten Geschichten über ein mystisches Bonding zwischen Menschen und Centauryn. Doch dafür musste ein Pferdemensch einen der Unseren als Vertrauten erwählen – geschah dies, verließen jene Erwählten allerdings unser kleines Städtchen Klarin.
 

Seit meiner Kindheit faszinierten und beflügelten diese Erzählungen mein Denken und mein größter Wunsch, einen Centauryn selbst zu treffen, sollte sich tatsächlich irgendwann erfüllen.
 

Aurin, anno 362 (Centaurynscher-Zeit)

Das Bonding erwacht

Jahre später …
 

Das Gefühl von Vertrautheit – Freundschaft.

Feuerrotes Fell, fliegendes Haar und ein Schweif der entfernt an eine Fuchsrute erinnerte.

In meinen Träumen zeigte sich immer wieder das gleiche Wesen.

Jung, stark und wunderschön.

Dazu bildete sich langsam ein verschnörkeltes rötliches Mal auf meinem rechten Unterarm, das entfernt an ein Feuermal erinnerte.

Konnten das wirkliche Zeichen sein?
 

In unseren Geschichten und Sagen über das Centauryn-Bonding gab es Überlieferungen, dass ein Zentauren-Wesen, wenn es einen Menschen erwählt, mit diesem zuvor über außersinnliche Wege Kontakt aufnimmt. In Träumen, Visionen, einer Meditation aber auch das Ausbilden von ungewöhnlichen Malen am Körper konnten ein unmissverständlicher Hinweis sein. Und dennoch blieben letzte Zweifel, was wenn es sich nur um Zufall oder Wunschdenken handelte?
 

Meine Gedanken kreisten und ich saß unkonzentriert auf meinem Stuhl, drehte nachdenklich mit einem Finger in meinem blonden Haar und schaute zum großen Fenster heraus. Dabei sollte ich eigentlich meiner Schwester Aufmerksamkeit schenken, die mich gerade in den neuen Erkenntnissen zur Fauna Welt der uns bekannten Gebiete unterrichtete.
 

„Aurin? Ist dein Mal wieder gewachsen?“, riss mich meine Schwester Lessin aus den Gedanken, als sie offenbar mein Mal am Arm bemerkte. Nachdenklich musterte sie mich, nahm meinen Arm und betrachtete das Zeichen. Erst schwieg sie, dann fragte Lessin schließlich: „Hast du immer noch diese Träume?“

Ich nickte.

Ja, diese Träume von dem roten Centauryn. Waren das wirkliche Anzeichen für das Anbahnen eines Bondings?

„Macht es dir Angst?“, harkte Lessin anschließend nach. Fast ein wenig empört blickte ich ihr in die blauen Augen, die die meinen sein könnten: „Nein, überhaupt nicht. Ich denke, ich würde mich freuen, wenn es … tatsächlich DIE Zeichen wären …“
 

Freundlich lächelte meine große Schwester mich an: „Dann ist es gut. Möglicherweise wäre es besser, wenn du unsere Seherin diesbezüglich zu Rate ziehst. Bestimmt kann Mehlen dir mehr zu diesen Zeichen sagen, sie ist im Stande so etwas wunderbar zu deuten.“

Natürlich brauchte ich nicht den Rat meiner großen Schwester, um auf diese Idee zu kommen und berichtete stolz: „Ja, da hast du Recht. Ich habe schon ein Treffen mit ihr für Morgen vereinbart. Dann weiß ich vielleicht mehr …“
 

. . .
 

Wir leben in unserer kleinen Stadt in zumeist runden Häusern mit Glaskuppel als Dächern oder zu mindestens mit riesigen Fenstern in den Häuserwänden. Das Licht auf Centauryn ist wundervoll, die Sonne ist hell, blendet einen aber meistens nicht stechend, sie spendet Wärme, setzt aber keine unerträgliche Hitze frei. Jedenfalls nicht dort wo wir leben. Unsere Technologie nutzt vorrangig die Sonnenenergie zur Gewinnung von Strom. Aber vor allem genießen wir ihr wunderschönes Licht, deshalb umgeben wir uns so oft es geht damit.
 

Das Haus der Seherin hingegen schirmte sich oft vom Tageslicht ab, wofür Mehlen besondere Gründe nannte, das Brauen von Medizin oder die Ruhe für Meditationen oder Heilbehandlungen fand sie eher in einem abgedunkelten Raum, der nur von Kerzen erhellt wurde.
 

Eine außergewöhnliche Atmosphäre herrschte in ihren Räumen, immer wenn ich sie betrat, fühlte ich mich leicht und geborgen, der Duft frischer Kräuter und das Verbrennen von Räucherwerk schmeichelt zusätzlich meine Nase. Ich war wirklich gerne bei unserer Seherin.
 

Mit einem herzlichen Lächeln begrüßt sie mich und bietet mir einen Platz gleich neben ihr an. Ihr großer Raum ist voll von Kräutern, die zum Trocknen aufgehängt von der Decke hingen, in einer Rundecke stand ein langer Tisch mit allen möglichen Gläschen, Fläschchen oder Tiegeln, dieser Ort war für das zusammenmischen von Heilmitteln gedacht. Aufgrund der gesunden Natur um uns herum litten wir nur selten an Krankheiten und wenn, dann handelte es sich mehr um geringere Problemchen wie Schnupfen oder Wunden von kleinen Unfällen. Sie hatte also nicht allzufiel zutun.
 

Ein anderer Teil des Raumes war der in dem wir uns befanden, dort stand ein kleiner runder Tisch und zwei bequeme Sitzkissen auf denen wir uns neiderließen. Im Vorfeld hatte ich Mehlen schon über meinen Verdacht informiert und sie wusste daher bereits, weshalb ich sie aufsuchte.

„Gibt mir deine Hand, Aurin“, sagte sie dann mit ihrem herzlichen Lächeln auf den Lippen. Vertrauensvoll und aufgeregt hielt ich sie ihr entgegen, es handelte sich um den Arm mit dem Mal.

Sie erklärte mir dann weiter: „Um die Energiefelder, die die Wesen und speziell dich und dein möglichen Centauryn verbinden, spüren zu können musst du dich jetzt so gut du kannst auf ihn konzentrieren. Versuch ihn dir so gut du kannst vorzustellen. So kann ich die Energie die euch verbindet, euer Bonding, besser deuten. Schließ deine Augen dafür, damit dich nichts von außen dabei ablenkt.“

Mir war der Ablauf eines solchen Ritual durchaus bekannt, aber ich selbst war noch nie Mittelpunkt dabei gewesen. Ein wenig mulmig im Bauch erklärte ich: „Ich kenne ihn aus meinen Träumen, ich werde mein bestes Geben und ihn mir vor meinem Inneren Auge vorstellen.“

Dann schloss ich meine Augen und es dauerte gar nicht so lange, da formte sich ein immer deutlicher werdendes Bild vor meinen geschlossenen Augen. Das ging ja einfacher, als ich es gedacht hatte.
 

Stolz beschreib ich Mehlen das Aussehen des roten Zentauren und spürte seine Kraft und Vitalität.

Und dann passierte auf einmal etwas, was ich nicht verstand. Die Energie veränderte sich, das Bild vor mir verzerrte sich und ein schreckliches Gefühl wie Magenkrämpfe erfasste mich. Irgendwas geschah mit diesem Wesen und es war offenbar nichts Gutes. Ich wollte ihm helfen, aber mir fehlte jegliche Macht dazu, ich verstand ja nicht einmal das Bonding oder dieses Ritual wirklich.

Erschrocken riss ich meine Augen wieder auf und fiel Mehlen in die Arme. Es dauerte bis sich mein aufkommender Weinkrampf wieder etwas legte und mir die Seherin traurig eröffnete: „Es tut mir wirklich sehr leid, Liebes. Doch ich fürchte dein Centauryn ist gerade gestorben.“
 

Er soll tot sein?

Einfach so?

Warum?!
 

. . .
 

Ich rannte hinaus ins Freie, dort wo gerade ein Regenschauer übers Land zog. Ohne darauf zu achten wo ich hintrat, lief ich durch einen nahen gelegenen Wald und weinte.

Irgendwo ließ ich mich verzweifelt auf die Knie fallen und stellte geschockt fest, dass mein Mal verblaste. Es stimmte also wirklich – ich wollte es nicht glauben.
 

„Das kann einfach nicht sein …“, stotterte ich und mir geisterte plötzlich ein Wort im Kopf herum:

Runen.

Runen?

„Runen? Was ist das für ein Wort? Welche Bedeutung hat es und weshalb denke ich plötzlich daran?“, fragte ich mich laut selbst und wurde von etwas überrascht. Doch es war nicht der langsam nachlassende Regen, sondern eine fremde Stimme die hinter mir das Wort ergriff:

„Runen ist sein Name!“

Das Feuer-Mal

Mit fragendem Blick fuhr ich herum, ich sollte erschrocken sein, aber ich war es nicht. Hinter mir stand ein wahrhaftiger Centauryn und er wirkte wirklich alles andere als bedrohlich: seine freundlichen blau-grauen Augen blickten mich neugierig an, sein hell war von zimt- bis cremfarbend und blau-grau sehr bunt und wirkte auf mich wirklich schön. Vom Alter her schätzte ich ihn ungefähr gleich wie meinen Centauryn, also sehr junges Erwachsenenalter. Auf seiner rechten Schulter erkannte ich ein spiralförmiges Mal. Ob alle Centauryn so eines besaßen? Auch mein Zentauren-Wesen hatte ein solches Mal, allerdings in roter Farbe und in feuerähnlicher Form.
 

Höflich verbeugte er sich vor mir und erklärte mit einer melodischen Stimme, dessen Dialekt jedoch vermuten ließ, dass er nicht oft in unserer Sprache sprach: „Mein Name ist Torkin, ich bin ein enger Freund und Vertrauter von Runen.“ Natürlich wusste ich nicht genau was in diesem Fall mit Vertrauter gemeint sein mochte, doch ich entschied mich dafür vorerst nicht nachzufragen denn ich spürte, dass es jetzt nicht der richtige Zeitpunkt war.

Der Centauryn wirkte erleichtert und geradezu aufgedreht mich zu sehen und besaß sich mein Mal eindringlich.

„Du musst wissen, Runen – der Centauryn der dich als seine Vertraute erwählen wollte – ist weit von hier verschwunden. Wir können ihn nicht aufspüren, aber dein Mal könnte der Schlüssel sein, um ihn zu finden. Bitte, du musst uns helfen!“
 

„Du meinst, Runen ist nicht tot?“

„Nein – noch nicht. Und doch drängt die Zeit, wir sollten am besten sofort aufbrechen. Ich weiß, ich verlange viel …“

Ja, natürlich wirkte es unvernünftig einfach so mit einem Fremden Ureinwohner mitzugehen, um jemanden zu suchen den man noch nie wirklich getroffen hat. Aber da gab es plötzlich dieses Gefühl von Verbundenheit und Vertrauen in mir, welches mir sagte, dass ich ihm ruhig folgen konnte. Für mich zählte nur die Hoffnung Runen zu retten.

„Aber du sagst, er ist weit weg von hier verloren gegangen, wie sollen wir rechtzeitig dorthin gelangen?“
 

Erleichterung und Hoffnung spiegelten sich in Torkins Gesicht wieder. Freudig trat er einen Schritt zurück und meinte nur: „Keine Sorge, ich werde uns hinbringen!“

Mir verschlug es den Atem, denn auf einmal zeigten sich zwei große Flügel die aus seinem Rücken wuchsen. Sie schimmerten in Weiß, Braun und Silber. Nahezu verzaubert musste ich für einen Augenblick mit offenem Mund dar gestanden haben, schließlich reichte mir der Centauryn die Hand: „Komm, steig auf meinen Rücken.“

Zugegeben, ich fragte mich, wie der Zentaur so fliegen konnte, seine Flügel saßen an den Schulterblättern seines menschlichen Oberkörpers, müssten sie nicht an den Schultern seines Pferdeteils herauswachsen? Aber auf Centaurya gab es so einiges, was wir als unglaublich oder für unmöglich zu halten scheinen. Wie von ihm gefordert kletterte ich auf Torkins Rücken und der Centauryn schwang sich mit Leichtigkeit in die Lüfte. Und er flog tatsächlich ganz elegant durch den Himmel. Kräftige Muskeln spannten sich unter mir an, vermutlich steckte eine besondere Biologie hinter diesem Kunststück der Natur.
 

Landschaften zogen an uns vorbei, Küsten, Wälder, Wiesen mit Megalithen und irgendwann flog ein wunderschöner Felsgreif dicht neben uns. Das sind grau-braune mittelgroße Greife, sehr scheu und selten mit großen Federkronen auf dem Kopf. Er sah uns an und entschwebte danach elegant seiner Wege.

„Torkin? Besitzen viele Centauryn Flügel?“

Er lachte kurz: „Nein, es ist eine eher seltene Fähigkeit. Doch sie ist unglaublich nützlich, gerade in solchen Momenten.“

Wie Recht er hatte, dachte ich dankbar.

„Und wie genau kann ich helfen Runen zu finden? Was muss ich machen?“

„Zunächst solltest du wissen, dass Runen weit östlich von hier, an einem Ort den wir Wetterberge nennen, verschwunden ist. Er wollte zusammen mit einer Gruppe ungewöhnliche Erdaktivitäten und Erdrutsche erkunden. Doch der Trupp kam ohne ihn zurück …“, Torkin hielt für einen Moment inne, es schien ihn tief zu treffen, dass sein Freund als vermisst galt.
 

Als Torkin weitersprach, wurde seine Stimme ernst: „Ich muss dich zunächst etwas fragen, Aurin. Auch wenn es möglicherweise seltsam für dich klingen mag, aber sag mir, wer ist Runen für dich?“

Diese Frage erstaunte mich, wie sollte ich darauf antworten? Und wie als würde ich danebenstehen und mir selbst zuhören, antwortete meine Stimme: „Es ist in der Tat seltsam … ich kenne Runen nicht und doch … fühle ich mich ihm so verbunden und vertraut, wie bei einem engen Freund mit dem man schon sein ganzes Leben lang durch das Leben geht. Ich würde sagen, Runen ist mein bester Freund, auch wenn es unglaublich klingt. Ist das Unsinn?“
 

Zu meiner Erleichterung lachte Torkin zufrieden: „Kein Unsinn – genau das sollte es sein, aber das wirst du bald schon verstehen. Für euch Menschen ist das vermutlich äußerst ungewöhnlich.“

„Ja, und wie“, stimmte ich zu und dann machte ich große Augen, denn das Mal auf meinem Arm gewann seine alte Farbe zurück und wuchs sogar noch.

Was geschah hier?

Und dann wurde es noch merkwürdiger, denn in meinem Inneren wuchs ein Gefühl, ein Gespür für Runen an. Es wuchs immer stärker, bis ich genau wusste, in welche Richtung wir mussten, wie eine unsichtbare Landkarte in meinem Gefühl.

Aufgeregt und voller Zuversicht zeigte ich in jene Richtung, in die mich das Gefühl leitete: „Wir müssen dort entlang, Torkin!“ Und der Centauryn nickte zufrieden.
 

Wir schlugen den von mir gezeigten Weg ein und erreichten bald ein gewaltiges Gebirge oder besser einige Berge die so eindrucksvoll in den Himmel ragten, dass sie wie ein ganzes Gebirge wirkten. Einige Wolken verfingen sich in den Bergspitzen und ich kam nicht umhin erneut beeindruckt zu sein. Von Bildern wusste ich, dass auf unseren ursprünglichen Heimatplaneten auch ähnliche Landschaften existierten. Doch für mich war das hier meine Heimat, ich bin hier geboren und aufgewachsen.
 

Der Centauryn setzte elegant zur Landung an und ich ließ mich von seinem Rücken gleiten. Es nahm nicht viel Zeit in Anspruch Runens Spur weiter zu verfolgen und ich lief los und Torkin folgte mir auf dem Fuße. Direkt vor einem der Berge zeigte sich ein großer Felsspalt, riesig genug um bequem dort hinunter zu laufen, was wir auch taten, denn die Energie verlief dort entlang in den Erdspalt hinein. Mir fiel auf, dass Torkin so seine Schwierigkeiten hatte, auf dem steinigen Boden sicher zu laufen, da er sich aber nicht beschwerte, ging ich weiter und sprach ihn nicht darauf an. Vielleicht war es in ihrer Kultur unhöflich auf solche Unzulänglichkeiten hinzuweisen?
 

Eine seltsame Atmosphäre umfing uns Beide, als wir dort hinunterstiegen, alles wirkte fast so wie erbaut, nicht wie ein zufällig entstandener Erdriss.

Torkin wirkte nervös: „Das hier fühlt sich nicht gut an. Irgendwas stimmt nicht.“

„Schau, dort hinten ist ein Höhleneingang oder so, es fällt Licht dort hinein. Lass uns das mal genauer ansehen.“

Der Centauryn folgte mir, auch wenn Torkin sichtlich unwohler wurde je näher wir zum lichten Eingang traten.
 

Als wir dieses Stück der Höhle erreicht hatten, konnte ich zunächst nicht viel erkennen, denn die Sonne blendete mich, weil meine Augen an das Dunkel der Erdspalte gewöhnt waren. Aber Torkin war der erste von uns Zweien, der wieder was erkennen konnte und mit entsetzen etwas feststellte, was ich erst nach und nach erkennen konnte.

Vor uns lag ein weiter, in der Erde eingelassener Hof, in dessen Mitte ein riesiges und seltsames Etwas hockte. In seinem Schlund hin ein roter Schopf heraus und mein Herz begann für einen Moment auszusetzen:

Irgendein bösartiges Wesen hatte Runen!

Vertrauen siegt über die Angst

Mit Entsetzen verstand ich, dass Runen in ernster Gefahr schwebte und wollte kopflos losrennen, doch Torkin hielt mich geistesanwesend an den Schultern fest:

„Warte Aurin, das dort ist ein Elementale. Diese Geschöpfe werden aus negativen Gedanken geboren und von schlechten Gefühlen wie Wut, Hass oder Angst genährt. Sie mögen seltsam und harmlos aussehen, doch dieses Aussehen täuscht leider. Ihre Macht ist immens und sie versuchen unsere Kraft gegen uns zu lenken. Dieses hier ist dabei Runens Magie für sich auszuloten, das ist sehr gefährlich und wir müssen ihm helfen … aber wir brauchen große Achtsamkeit, denn mit Wut oder Gewalt machen wir das nur noch schlimmer. Dadurch gewinnt es an Kraft.“
 

Mir fiel es schwer seinen Worten zu folgen, nicht nur wegen der Sorge um Runen, sondern auch wegen der Wunderlichkeit seiner Erzählung.

Wesen aus negativer Energie?

Sie wenden die Kraft der Centauryn gegen sie selbst?

Angriff macht es nur noch schlimmer?

„Was sollen wir unternehmen?“, fragte ich mit pochendem Herzen.
 

Ein gruseliges Geräusch ließ und zusammenzucken, als wir herüber blickten sahen wir, dass das Elementale seine Augen geöffnet und uns bemerkt hatte.

Und jetzt?

Aber es blieb uns keine Zeit weiter darüber nachzudenken. Wie aus dem nichts formten sich lange mit Dornen besetzte Arme aus dem Körper des Wesens und schossen hervor. Sie griffen nach dem Centauryn neben mir. Erschrocken bäumte sich Torkin auf und ich stand wie erstarrt daneben.

„Torkin, nein!! Bitte, nicht! Was kann ich tun?!“

Mit einem Ruck brachte das Elementale Torkin zu Fall und zog ihn zu sich.

„Lauf weg, Aurin! Bring dich in Sicherheit!“, schrie mir Torkin noch zu, aber das konnte ich nicht tun.

„Was soll denn aus euch werden? Ich kann das nicht!!“
 

Aber ich konnte auch nichts unternehmen. Immer mehr Angst kroch in mir hoch und ich zitterte am gesamten Körper. Was soll ich machen?

Runen …

Torkin …

Ich muss ihnen helfen, egal wie …
 

Dann hörte ich einen Aufprall. Das Elementale hatte Runen ausgespuckt und nun Torkin in seinen Schlund gezogen, der Centauryn schien in eine Art Lähmung verfallen zu sein, denn er rührte sich nicht mehr, so wie Runen zuvor.

Runen.

Immer noch war ich wie erstarrt und brauchte einige Atemzüge um mich zu bewegen. Da rührte sich plötzlich der rote Zentaur auch. Ein Hoffnungsschimmer keimte in mir auf. Runen lebte, kann können wir vielleicht auch Torkin retten.

Der Körper des Feuer-Centauryn bewegte sich nur zitternd, offenbar machte ihn das Aufstehen große Mühe. Beherzt trat ich dichter an Runen heran, mir war nicht ganz klar, was ich sagen sollte, doch als ich direkt neben ihn stand, sprach ich einfach nur: „… Runen …?“

Überrascht drehte er seinen Kopf zu mir, unsere Blicke trafen sich und es war, als blickten wir in die Augen eines engen Seelenfreundes. Ein ehrliches Lächeln zeichnete sich auf meinem Gesicht ab und ihm ging es genauso. Ich ergriff seine Hand und drückte sie.

Wir hatten uns gefunden – mein Centauryn und ich.
 

Für einen Moment drückte er mich an sich und freute sich: „Wie … ? Was machst du hier?“

„Torkin hat mich gefunden und zusammen sind wir deiner Spur gefolgt. Also der deines Males auf meinem Arm.“

Seltsamerweise fehlte mir jegliche Art von Berührungsangst oder Schüchternheit, es herrschte nur Freundschaft und Vertrauen zwischen uns Beiden.

„Torkin ist ein wunderbarer Freund …“, Runen blickte an mir vorbei und wurde nachdenklich, mir wurde klar, was er dachte, wir mussten ihm helfen.

Plötzlich packte mich Runen und hob mich in seine Arme und sprang mit mir zur Seite. Seine wachen Sinne hatten ihn gewarnt, dass das Elementale versuchte nach uns zu schlagen. Wir entwischten seinen Tentakeln.

Doch nachdem mich Runen abgesetzt hatte, musste er sich kniend und keuchend mit den Armen am steinigen Boden abstützen. Erneut packte mich die Angst um die Centauryn: „Runen, was ist mit dir?“

„Es … geht schon. Normalerweise werden Elementale schwächer … wenn sie positive Gefühle wie Freundschaft oder Vertrauen spüren … doch dieses hier ist zu strak … es fühlt sich von uns bedroht und wird versuchen … uns zu schaden …“
 

Um Runen zu stützen strat ich dichter an ihn heran.

„Was sollen wir tun?“

Sein Atem beruhigte sich langsam wieder: „Wir müssen …“

Schon wieder zischten die Tentakeln zum Angriff an, noch bevor wir reagieren konnten, aber ein paffendes Geräusch beendete diesen Angriff. Erst erkannte ich es nicht gleich, aber zwischen dem Elementale und uns steckte auf einmal ein prächtig geschmückter Speer im Boden. Und obwohl das Wesen sicher den Speer mit Leichtigkeit ausweichen könnte, zog es sich erst einmal zurück.
 

Runen schaute nach oben, zum Rand der Schlucht und ich folgte seinem Blick: „Das ist … mein Bruder.“

Dort oben thronte ein prächtiger Centauryn mit schwarzen wellenden Haaren, braun-schwarzem Fell und stechend dunkeln Augen. Er stand immer noch mit einem weiteren Speer in der Hand dort oben und seine Haltung ließ keinen Zweifel an seinem Stolz und edler Herkunft. Ich dachte mir, er müsste schon so etwas wie ein Ehrenträger sein. Um ich herum standen noch weitere Centauryn mit Waffen wie Bogen und Speeren.

Ohne ein Wort sprang der für mich fremde Centauryn zu uns herunter, allerdings stand er weiter weg von Runen und mir. Selbstsicher tart er zu seinem Speer und zog ihn aus dem Boden, dabei fixierte er das Elementale und das Wesen ließ auch ihn nicht aus den Augen.
 

„Was passiert jetzt?“, flüsterte ich und drängte mich noch dichter an Runen heran.

„Er wird es herausfordern … und uns so retten.“

Ich konnte es mir nicht vorstellen, was nun geschehen sollte, hieß es nicht eben, dass Angriff keine Zweck haben würde?

Gespannt sah ich zu, wie sich Runens Bruder vor dem Elementale aufbaute. Mit den beiden gekreuzten Speeren ging er ein Stück näher zu dem Wesen, die Edelstein, die in den Waffen eingearbeitet waren, begannen leicht zu leuchten. Dann ging alles ganz schnell: Das Fell des Centauryn fing ebenfalls an zu fluoreszieren, dann bäumte er sich auf und eine riesige Woge an Energie wurde auf das Elementale geschleudert.
 

Ein grollender Schrei erschütterte die Gegend und das Elementale löste sich auf und entflog als vogelähnlicher Schatten gen Himmel. Torkins Körper fiel zu Boden und Runens Bruder landete mit den Vorderhufen zurück auf dem Boden. Glücklicherweise bewegte sich Torkin, was mir einen Stein vom Herzen fielen ließ. Erstaunt schaute ich zum Himmel, wo das Elementale verschwunden war:

„So einfach geht das?“

Und Runen gab zu: „Das war nicht einfach, es sah nur so aus.“

Die Ankunft

Fasziniert schaute ich drein und freute mich, dass nun alles gut zu sein schien und auch Torkin sich langsam mit Hilfe einiger anderen Centauryn, die ebenfalls von Rand der Schlucht heruntergesprungen waren, aufstand und auf mich einen gesunden Eindruck machte.

Schließlich drehte der schwarz-braune Centauryn sich zu uns um und sein Blick sprach alles andere als eine freundliche Sprache, die grimmig funkelnden Augen fixierten Runen streng und stampfte mit schweren Hufen auf ihn zu.
 

Für einen Augenblick stand er nur stumm vor seinem Bruder, doch dann holte der Größere mit einer Hand aus und verpasste Runen eine Backpfeife. Erschrocken und entsetzt sprang ich zur Seite und klammerte mich an den Arm des Schwarz-Braunen, um zu verhindern, dass er den Schlag wohlmöglich wiederholen würde.

Der Centauryn funkelte mich bedrohlich an, als wolle er mir sagen: Finger weg! Zugleich zog mich Runen zu sich zurück, da hörte ich zum ersten Mal die Stimme seines Bruders, tief und donnernd, obwohl er nicht besonders laut sprach:

„Was denkst du dir eigentlich?

Wo sind eure Saphiliten*?

Durch dein verantwortungsloses Handeln hast du dich und andere in Gefahr gebracht, Runen! Bist du dir eigentlich darüber im klarem?“
 

Runen sagte nichts, sondern schaute seinen Bruder mit einem ebenso wütenden Blick an, während seine Wange rot glühte.

„Runen! Agarmendon! Schluss damit, sind alle soweit bei Gesundheit?“, eine noch beeindruckendere Stimme, als die tiefe von Runens Bruder, durchschnitt die Luft. Alle sahen hoch und ein riesiger Centauryn stand erhaben und ruhig am Rand der Schlucht. Seine Haare ähnelten denen von Agarmendon, nur dass sie auch Rottöne besaßen, sein Fell schimmerte rot-braun im Sonnenlicht. Die blauen Augen blickten autoritär auf uns herab.

Agarmendon deutete eine Verbeugung an und entgegnete: „Ja, Vater. Es sind alle soweit in guter Verfassung.“

Auch Runen nickte kurz und ich konnte erkennen, dass ebenso Torkin, nachdem der mächtige Centauryn ihn angeblickt hatte, ebenfalls nickte.
 

„Dann brechen wir sofort auf und klären alles Weitere zu einem späteren Zeitpunkt!“, erklärte der Vater der zwei Brüder und drehte sich sogleich um. Einige Centauryn folgten ihm, andere warteten, offenbar auf uns, wir konnten ja schlecht einfach nach oben springen.

Konnten wir nicht, oder?

Runen wollte mir auf seinen Rücken helfen und ich freute mich darauf endlich von meinem Centauryn getragen zu werden, aber eine grobe Berührung an der Schulter hielt mich zurück.

„Du bist zu schwach, Runen. Ich werde sie für dich tragen“, brummte Agarmendon und ich bekam kein gutes Gefühl bei dem Gedanken auf seinem Rücken sitzen zu müssen. Auf der anderen Seite wollte ich auch Runen nicht unnötig belasten. Ich sah ihm an, dass er am liebsten protestiert wollte, aber mein roter Centauryn schien zu wissen, dass es jetzt nicht die Zeit für Gegenwehr war. So fügte ich mich, wie sollte ich auch anders, denn bevor ich mich versah, hatte Agarmendon mich schon, mit seinem starken Arm, auf seinen Rücken verfrachtete.
 

Er trabte los ohne auf seinen Bruder zu achten und nickte nur kurz der kleinen Gruppe um Torkin zu, dann verließen wir die Schlucht auf demselben Weg, den ich zuvor mit den geflügelten Centauryn gekommen war.

Es musste bald dunkel werden, dennoch schien die Sonne wärmend auf uns herab. Es fiel mir leicht mich auf Agarmendons Rücken zu halten, er bewegte sich weich und sicher, ich merkte kaum irgendwelche ruckartigen Bewegungen. Das machte es ein wenig leichter für mich, denn ich wollte mich nicht unnötig an ihn festklammern müssen, aus der Befürchtung heraus, ich würde ihm damit noch mehr die ohnehin schon miese Laune verderben. Offenbar handelte es sich bei Agarmendon um einen Centauryn, mit dem man sich nicht so unbedingt schlecht stellen sollte, mal abgesehen davon, dass er anscheinend einen hohen Rang bestritt, denn alle zeugten ihm Respekt.
 

Schnell schloss Runen zu uns auf, ich fühlte mich gleich ein wenig erleichtert und lächelte ihm zu. Wie gerne hätte ich ihm unzählige Fragen gestellt, doch ich dachte mir, dass es gerade nicht der passende Zeitpunkt wäre, sie zu stellen und so noch mehr den Unmut seines Bruders auf mich zu lenken.

„Wir sind bald da“, erklärte Runen nach einer Weile ungefragt und dann konnte ich mir einfach nicht die Frage verkneifen:

„Wohin gehen wir denn?“

Und als wenn ich es geahnt hätte, erntete ich damit ein abfälliges Schnauben Agarmendons:

„Was glaubst du denn, wohin wir so spät noch gehen? Selbstverständlich nach Hause, in unsere Heimat-Städte Charingard. Und weil wir dich ja schlecht hier alleine zurücklassen können, musst du vorerst mitkommen.“
 

„Sie ist meine Bonding-Partnerin – meine Reiterin, sie hat jedes Recht Charingard ab jetzt auch als ihr Zuhause anzusehen“, protestierte mein roter Centauryn. Ruckartig verringerte der Schwarz-Braune das Tempo so, dass er mit Runen gleich auflief. Dabei wäre ich beinahe von der unerwarteten Schaukelei von seinem Rücken gefallen, unangenehmerweise musste ich mich an seine Schulter klammern, um das zu verhindern. Ungeachtet dessen packte Agarmendon Runen am Ohr und hielt ihn grob daran fest: „Das wird Vater entscheiden. Dass du noch nicht reif für so ein verantwortungsvolles Bonding bist, hast du bereits bewiesen. Und ich denke für deine kleine Freundin gilt das gleiche!“

In diesem Moment stieg Wut in mir hoch, was bitte sollte das heißen?
 

Wir bogen um eine Ecke und verließen den Wald, durch den wir eben noch getrabt waren und bogen in eine ungewöhnliche und fast märchenhafte Stadtlandschaft ein. Doch in diesem Augenblick konnte ich meinen Blick nicht für die einmaligen Häuser und das liebevoll geschmückte Drumherum erwärmen. Ich war wütend und zwar richtig. Mit einem Satz sprang ich von Agarmendons Rücken und baute mich so groß auf, wie ich nur konnte. Überrascht hielten die zwei Centauryn inne, die anderen liefen an uns vorbei, nur Torkin stoppte in kurzer Entfernung.

„Jetzt pass mal auf du Miesling! Es ist mir egal, wer du bist und was dich dazu berechtigt so herablassend über andere zu urteilen, aber ich will nicht, dass du so mit Runen oder mir redest! Und hör auf ihn so herum zu schupsen! Du bist eine richtig widerliche Per…, … Centauryn!“
 

Alle starrten mich ungläubig an, als hätte ich gerade etwas Unverfrorenes getan. Vielleicht hatte ich das sogar, doch es war mir egal. Ich schaute wütend zu ihm hoch und beobachtete wie sich seine Mine in Erstaunen veränderte.

„Sie … meint das nicht so“, griff Runen ein, doch sein Bruder wich meinen Blick nicht aus:

„Oh doch, ich denke das tut sie …“

„Jedes einzelne Wort …!“, unterstrich ich noch trotzig.

Seine Mine verfinsterte sich erneut und der Schwarz-Braune setzte dazu an, etwas zu sagen, sicher erneut was Gemeines, aber eine freundliche Stimme unterbrach ihn.

„Wie ich höre, hast du dich anscheinend von deiner besten Seite gezeigt, Aggi. Du solltest dich wirklich ein wenig zügeln“, sie musste einer weiblichen Centauryn gehören, die sich zugleich an Agarmendons mächtigen Körper vorbeischlängelte und zu mir rüber sah. Mir war ihr Näherkommen gar nicht bewusst gewesen. Ihr liebliches Aussehen und liebevollen Augen, die mich voller Neugier und Erwartung anblickten, ließen meinen Ärger sogleich vergessen … und machte mir gleichzeitig meinen Leichtsinn klar. Warum musste ich auch gleich so direkt sein? Ich habe keine Ahnung wer genau Agarmendon war, außer Runens Bruder. Er konnte eventuell sowas wie sein Ausbilder oder Ähnliches sein und musste ihn für sein Fehlverhalten rügen.

Was war nur in mich gefahren?
 

Die schöne Centauryn besaß langes, weiß-blondes Haar, das ihr wallend vom zierlichen Kopf hing, ihre schlanken Beine leuchteten im hell Rot, fast Rose schimmernden Fell, in der Abendsonne, sie strahlte Freude und Aufgeschlossenheit durch ihre hell-blauen Augen aus. Mit ihrer charmanten Art umschwärmte sie Agarmendon regelrecht, der ganz offensichtlich ihrem bezaubernden Wesen nichts entgegen zu setzen hatte, denn er lächelte sie versonnen an und schien mich sowie auch Runen völlig vergessen zu haben.

„Ich weiß, dass du es gut meinst, Liebster. Aber du solltest dich ab und an ein wenig zurücknehmen. Und unserem neuen Gast nicht verärgern“, sie war freundlich zu ihm und es bestand keinen Zweifel daran, dass sie sich gegenseitig sehr nahestanden, dennoch lachte sie und stellte auf nette Art dar, dass sie auf unserer Seite stand. Oder besser, sie rettete mir wahrscheinlich gerade die Haut.
 

Interessiert wandte sie sich nun an mich und nahm meine Hände aufgeregt in ihre: „Ich heiße Lurnacidrella, aber du kannst mich gerne Lurna nennen. Dieser Griesgram, wie du ihn nennst, ist mein Herz-Versprochener**. Und glaube mir, er ist nicht immer so“, sie warf Agarmendon kurz einen strengen Blick zu, als er anscheinend zu protestieren versuchte. Auf ihren Blick hin senkte er seine erhobene Hand und gab sich offenbar geschlagen.

„Ich bin so neugierig auf dich, ihr Menschen seit schon ein ganz eigensinniges Volk. Wie heißt du? Ich bin so neidisch auf Runen, dass er jetzt eine Bonding-Partnerin hat. Komm, ich zeige dir unsere Stadt!“

Überschwänglich zog sie mich mit sich und ich nannte ihr meinen Namen.

„Aurin, das ist ein sehr klangvoller Name, mir gefällt er sehr“, freute sich die Centauryn und mir wurde sie immer sympathischer. Mal abgesehen davon, dass sie wunderschön anzusehen und freundlich zugleich war, fühlte ich mich geehrt und erleichtert, dass sie mir Freundlichkeit entgegen brachte. Ich hatte schon die Sorge gehegt, alle könnten so sein wie Agarmendon.
 

Lurna führte mich durch die ersten Wege in Charigard hinein. Die Häuser sahen von außen fast so aus, als wären sie so aus der Erde erwachsen, sie wirkten wie bewachsene Steine oder Bäume, in denen sich Türen und Ausbuchtungen befanden, die wir als Fenster bezeichnen würden. Alles wirkte natürlich und groß, damit die Centauryn, dessen Körpermasse um einiges mächtiger war, als die von uns Menschen, sich immer frei bewegen konnten. Wo ich auch meinen Blick hinlenkte, überall blühte und grünte es, unzählige Blumen wuchsen an den Wegesrändern oder auf den Häusern, wunderschöne Steine in Farben, die ich noch nie auf solchen gesehen hatte, schmückten die Weges-Grenzen. Es liefen unglaublich viele verschiedene Centauryn durch die Stadt, so viele, dass ich ihre Einzelheiten so geschwind nicht erfassen konnte. Ihre unzähligen Merkmale, die sich hier und da bei einigen Exemplaren zwar wiederholten und dennoch bei jedem einzigartig schienen, faszinierten mich besonders.

Ich glaubte, ich könnte mein ganzes Leben damit verbringen, diesen Ort und seine Bewohner zu entdecken, so vielfältig wirkten die neuen Eindrücke auf mich.
 

. . .

A/N:

* Saphiliten sind bestimmte Edelsteine die die Centauryn zur Kommunikation benutzen. Sie werden später etwas näher beschrieben.

** Herz-Versprochener: Ich denke, man erahnt es, aber es bedeutet, dass Agarmendon und Lurna verlobt sind.

Centauryn und die Menschen

Was soll ich jetzt nur mit euch machen?“, mit einem Seufzer und strengen Blick schaute der große Centauryn, der Runens und Agarmendons Vater war und den Namen Tariom Akrelictom trug, stirnrunzelnd auf uns herab. Das großgewachsene Oberhaupt der Stadt, so hatte ihn Runen mir leise zuflüsternd vorgestellt, nachdem Lurnas Führung durch Charingard, mit dem Erscheinen Tarioms schlagartig ein Ende fand. Schnell geleitete man uns in ein großes, rundes Gebäude, welches von außen mit grünen Rankenpflanzen bewachsen und mit einigen blau bis grün schimmernde Edelsteine, entlang der Fenster und Eingangsumrandungen, geschmückt wurde.
 

Agarmendon stand ein wenig abseits und wirkte zwar aufmerksam aber nicht gehässig auf mich. Ich hätte eigentlich mehr Genugtuung in seinen Augen erwartet, jetzt wo Runens Vater offenbar auch keine besonders gute Meinung von uns besaß.

„Aber erst einmal möchte ich wissen, was genau geschehen ist, Runen“, begann Tariom weiter und sein Sohn versuchte sich zu erklären.

„Meine Gruppe und ich sind ausgezogen, um die Erdaktivitäten näher zu untersuchen.“

„Ja, das weiß ich, mein Sohn.“

Runen fuhr fort: „Ich wurde von meiner Gruppe getrennt und nach einem Kampf habe ich zunächst meinen Saphiliten verloren, doch ich konnte fliehen. Allerdings gelang es dem Elementale mich in die Irre zu führen und zu überrumpeln. Danach weiß ich nichts mehr, meine Erinnerungen setzten erst wieder nach meinem Freikommen ein.“
 

Geduldig hörte der Anführer zu, es war Agarmendon der leise von hinten flüsterte: „Sie gewinnen an Kraft. Solche heftigen Übergriffe hat es nicht mehr gegeben seit …“

„Ist gut, Agarmendon. Ich weiß …“

Die zwei Centauryn tauschen stumme Blicke, aus irgendeinem Grund sollte nicht offen ausgesprochen werden, was sie befürchteten.

Dann wandte sich Tariom erneut an uns: „Ich denke es ist besser, wenn ihr euch zunächst einmal ausruht. Wir müssen später beratschlagen ob deine kleine Freundin bei uns bleiben kann oder nicht, Runen.“

Mein Centauryn nickte still und schob mich aus dem Gebäude heraus, Tariom beobachtete uns aufmerksam, er sah mich besonders prüfend an und ich ärgerte mich, dass ich nicht ein Wort mit ihm gewechselt hatte. Aber möglicherweise war das auch ganz gut so. Wie auch immer, wir gingen an Agarmendon vorbei, der mich mürrisch anblickte und verließen das Rundgebäude.
 

Langsam neigte sich der Tag zu Ende und zum ersten Mal hatte ich Runen für mich alleine. Ich sah zu ihm hinauf und lehnte mich dann kurz gegen seine Pferdeschulter. Er lächelte müde, auch mir fühlten sich die Glieder schwer und ausgelaugt an.

„Was machen wir nun?“, fragte ich ihn und als Antwort zog er mich ein Stück hinter sich her. Nicht weit von dem großen Hauptgebäude aus dem wir gerade gekommen waren, fanden sich eine Gruppe von kleineren Bauten, die aber immer noch recht groß im Vergleich zu den meisten der Behausungen wirkten.

„Wir gehen für heute nach Hause.“

Das klang für mich gut und ich war gespannt darauf, wie Runen lebte.
 

Eines der Rundhäuser zeigte eine rötlich bemalte Außenwand, braun schimmernde Rankenpflanzen, die sich weit bis nach oben übers runde Dach ausstreckten. In genau dieses Haus gingen wir.

Im Inneren zeigte sich viel Platz, nur an den Rundwänden bauten sich hier und da einige Regale mit fremdartig wirkenden Gegenständen, natürlich geformten Edelsteinen sowie eine riesige Bettstatt aus Decken und weichen Pflanzenwerk, auf. Obwohl es eher einfach gehalten wirkte, schien es mir faszinierend und zauberhaft. Am oberen Rand der Wände, dort wo die Decke ansetzte, dessen Kuppel eine Art Glas bedeckte, zeigten sich filigran, aus funkelnden Edelsteinen, gesetzte Muster. Wenn ich mich nicht ganz irrte, dann zeigten diese Muster sogar kleine Geschichten. Ich hatte so viele Fragen, doch ich wollte Runen nicht damit sofort überfallen.
 

Ich muss wohl mit offenem Mund mitten im Raum stehen geblieben sein, denn als ich zu dem Centauryn rüber schaute, beobachtete er mich mit schief gelegtem Kopf und einem amüsierten Gesichtsausdruck.

„Ich schätze, du hast viele Fragen. Die habe ich auch, glaube mir. Doch vielleicht ist es für heute besser, wenn wir uns zur Ruhe legen. Morgen wartet ein anstrengender Tag auf dich und mich.“

Nickend stimmte ich zu. Mir war ohnehin nur seine Anwesenheit in diesem Augenblick wichtig.

„Eine Sache vielleicht noch“, meinte Runen schließlich und hob einen Arm Richtung Decke. Sofort kam ein kleines Tier herbeigeflogen, so flink, dass ich gar nicht genau feststellen konnte, wo es tatsächlich so schnell hergekommen war. Das flauschige Wesen landete auf Runens Handrücken und so konnte ich es genauer betrachten. Es sah aus wie ein kleines Kaninchen, mit taubengrauem Fell und Flügel am Rücken, außerdem einem kleinen Geweih auf dem Kopf. So ähnlich wie eine Art Wolpertinger, einem Fabelwesen von der Erde, der Heimat meiner Ahnen.
 

„Oh, ist das niedlich“, brachte ich verzückt hervor und das Tierchen wackelte putzig mit seinem Näschen, als es mich mit seinen großen dunklen Augen neugierig anschaute.

„Wir nennen sie Meroly und sie sind gut darin Nachrichten zu überbringen, wenn es auf anderem Wege nicht geht“, erklärte der rote Centauryn. Was genau er noch mit anderen Wegen meinen könnte, verkniff ich mir zu fragen, aber ich merke mir das für später vor.

„Schau, dort drüben findest du etwas, mit dem du eine Nachricht für deine Leute verfassen kannst, damit sie sich keine Sorgen machen brauchen. Oder konntest du dich richtig verabschieden?“

Stirnrunzelnd schüttelte ich den Kopf. Eigentlich war es nicht ganz in Ordnung gewesen, einfach so zu verschwinden, aber ich konnte doch nicht … egal, geschehen ist geschehen.
 

So ging ich zur Ablage, die Runen mir gezeigt hatte und fand dort etwas, dass aussah wie ein dunkles Stück Kreide und zwei Stücken papierähnlichem Material. Ob die Centauryn auch schrieben und zeichneten wie wir Menschen?

Wieder neue Fragen.

Schnell verfasste ich ein paar Worte, faltete das Blatt und ging zu Runen und dem Meroly zurück. Es schlug aufgeregt mit seinen kleinen Flügeln als wollte es endlich losfliegen. Es packte das Papier mit seinem Mäulchen und flog auch schon davon, es verschwand in einem winzigen Loch, oberhalb der Dachkuppel.

„Woher weiß es, wohin es fliegen muss?“

„Das ist einfach, sie sind sehr schlau und verstehen jedes Wort. Das kleine heißt Rireck und gehört schon seit Jahren zu meiner Familie als Freund und Helfer. Er hat verstanden, was wir von ihm verlangen, in dem er uns beobachtet und zugehört hat. Der Kleine wird seinen Weg finden, ganz sicher.“
 

. . .
 

Einige Zeit später lagen wir auf der großen gemütlichen Bettstatt, Runen neben mir, er schien bereits zu schlafen. Doch ich konnte einfach nicht. Alles wirkte so aufregend, so unfassbar. Meine Augen blickten zur gläsernen Dachkuppel und schauten zum blau-violetten Nachthimmel mit samt seinen Sternen hinauf. Von Draußen hörte ich Stimmen und leise Musik, offenbar war einigen Centauryn genauso wenig zum Schlafen zu Mute, wie mir.
 

„Kannst du nicht schlafen?“, hörte ich plötzlich seine Stimme hinter mir und ich drehte mich zu ihm um.

„Nein, irgendwie nicht …“

„Kein Wunder bei all den Ereignissen. Kann ich irgendwas für dich tun?“

„Ich weiß nicht … vielleicht doch ein paar Fragen beantworten?“

Runen schnaubte genüsslich und drehte sich so, dass er mich im Dunkeln besser ansehen konnte.

„Na schön, wenn es dir hilft besser zu schlafen. Was willst du wissen?“

„Runen, was genau ist das mit dem Bonding? Ist es schon öfter vorgekommen? Man erzählt es sich bei uns, doch ich kenne kaum jemanden, der in seiner Familie einmal einen Ahnen hatte, der von einem Centauryn erwählt worden ist.“

Ich musste mich zügeln, denn ich könnte noch weitere Fragen hinterherwerfen, doch ich spürte, dass alleine schon die Antwort auf diese Frage nicht mit einem kleinen Satz zur Lösung geführt werden konnte.
 

Er seufzte, dann begann er: „Es ist nicht so ganz einfach zu erklären. Im Grunde muss ich viel weiter ausholen, als du vermutlich gedacht hättest. Jedenfalls lebten unsere Ahnen früher mit Menschen zusammen, die genau wie du und deine Leute von einer anderen Welt zu uns gereist waren. Wir nahmen sie auf und lebten viele Jahrhunderte lang friedlich zusammen. Einige von den Menschen und uns Centauryn verband ein so enges Band, dass sie fühlen konnten, wie es dem anderen ging. Doch einige Menschen begannen ihre Kraft, dem eigenen Ego wegen, auszunutzen. Zuerst brachten sie ihren Centauryn dazu, sich ihren niederen Machenschaften anzuschließen, dann suchten sie die Deer-Centauryn auf, die sich auf kein Bonding mit Menschen einlassen wollten und versuchten welche von ihnen für sich einzunehmen. Deer-Centauryn hüten wichtige Geheimnisse unseres Planeten und der Natur und die Menschen sehnten sich nach all diesem Wissen. Am Ende töteten die Menschen viele der Deer-Centauryn, beinahe wären sie ausgerottet worden. Mein Volk erkannte den Verrat und so begann ein Krieg, bei dem es keine Gewinner gab. Beide Völker hatten große Opfer zu beklagen, schließlich wurden die Menschen des Planeten verwiesen.

Jahrhunderte vergingen und die Sterne überbrachten unseren Ahnen neue Weisungen, dass die Menschen wiederkehren würden und es erneut Bondings geben würde, damit die Wunden unseres Volkes geheilt werden könnten.“
 

Sprachlos hörte ich wie gebannt zu und fühlte eine unangenehme Enge in meinem Hals.

„Dann hat sich unser Volk also schwer an euch vergangen … Kann mich Agarmendon deshalb nicht leiden? Kein Wunder.“

„Was geschehen ist, liegt nicht zu Lasten deiner Schultern und was meinen Bruder angeht, der kann ohnehin kaum jemanden leiden …“

Mich wühlte dieses Wissen nur noch mehr auf, aber ich fühlte mich gleichzeitig auch erschöpft. Ein wenig unbeholfen robbte ich mich dichter an Runen heran, bis ich mit einer Schulter sein Fell berührte.

„Glaubst du, dass sie uns wieder trennen werden? Vielleicht glaubt dein Vater nicht an die Stärke unseres Bondings?“

Runen atmete einmal tief durch: „Glaubst du denn daran?“

„Ja, du nicht?“

„Doch. Und genau das, macht es unerheblich, was mein Vater glaubt.“

Ich lächelte im Dunkeln und wusste, dass er es mir gleichtat, auch wenn ich es nicht sehen konnte. Meine Augen fielen mir endlich zu und ich schlief ein.

Vorfälle ohne Vorwarnung

Der Morgen kam für mich viel zu früh und Runen musste mich mehrfach anstupsen, um mich wach zu bekommen. Nachdem ich mir allerding in Erinnerung rief, was sich Gersten alles zugetragen hatte, war ich schlagartig wach.

Ich beobachtete Runen, wie er sich ein lederndes Band mit einigen Edelsteinen daran, um den rechten Unterarm band.

Wie auf eine Frage hin sagte er zu mir: „Mein Saphilit, es ist vergleichbar mit euren Kommunikationsmitteln, nur dass sie nicht elektrisch sind.“

Interessiert ging ich zu ihm hin und betrachtete das Band genauer. Neben kleinen Edelsteinen gab es einen größeren oval flachen Stein, der smaragd-grün leuchtete und direkt mit der Haut des Centauryn in Kontakt stand.

„Und wir funktioniert es dann?“

„Auf natürliche Weise oder wie ihr sagen würdet, übernatürlich. Diese Steine können Erinnerungen oder Gedanken speichern und sie an andere übermitteln, alleine mit der Kraft unseres Willens. Sie dienen als Unterstützung für eine Fähigkeit, die ihr als Telepathie beschreibt.“

Mit großen Augen schaute ich ihn an. „Versteht …“

„Wirklich?“, fragte er belustig mit hochgezogenen Augenbrauen, denn mein Gesichtsausdruck verriet wohl das Gegenteil.

Daraufhin seufzte ich: „Nein, ertappt.“

„Ich bringe es dir bei, wenn du willst.“

Staunend sah ich ihn an: „Ist das dein Ernst? Kann ich so etwas denn lernen?“

„Jeder kann das. Die früheren Menschen haben das auch gekonnt.“
 

. . .
 

Die morgendliche Luft wirkte wohltuend auf mich und ich sah mich erneut neugierig um, während Runen mir den Weg vorgab. Unterschiedliche Centauryn kreuzten unseren Pfad, sie nickten Runen zu und schauten mich erwartungsvoll an, keiner wirkte abweisend oder abwertend wie Agarmendon. Nachdem was ich gestern Abend über die gemeinsame Geschichte der Menschen und Zentauren-Wesen erfahren durfte, schien mir das mehr wie verwunderlich. Sollte mein Anblick sie nicht eher in Sorge versetzen? Ich fühlte mich glücklich, dass dem offenbar nicht so war.

Jeder der Centauryn sah jung und vital aus, ich erkannte zwar viele, nach meinem Verständnis nach, ausgewachsene Zentauren-Wesen, aber keiner wirkte wirklich alt, so wie zum Beispiel mein Großvater Erait. Außerdem fielen mir abermals ihre wundervollen einzelnen Merkmale auf, einige besaßen Fell- und Haarfarben in eher ungewöhnlichen Tönen, die an Wasser oder das Grün der Bäume erinnerte, ihre Haare wirkten weich und geschwungen, wie der Lauf eines Flusses oder verspielt und kraftvoll wie die von Runen, die mich unweigerlich an Feuer denken ließen.
 

So als hätte er meine Gedanken gelesen, erklärte mein Centauryn: „Wir alle sind in bestimmte Elemente der Natur-Magie hineingeboren worden, unabhängig davon, ob unsere Eltern dieselbe Kraft besitzen oder nicht. Unsere Seele entscheidet über Fähigkeit und Ausmaß unserer Kräfte, doch einen Großteil davon müssen wir uns erarbeiten und im Laufe unseres Lebens lernen, diese Fähigkeiten auszubauen und sie angemessen zu kontrollieren. Dabei besitzt jeder eine Haupt- oder auch Natur-Magie genannt und zwei bis drei weitere Essenzen, das sind Fähigkeiten, die die Hauptkraft ergänzen und ausbauen können.“

„Das klingt unglaublich faszinierend, Runen.“

„Und? Errätst du, welche Kraft meine Natur-Magie ist?“

Dafür musste ich nicht lange grübeln: „Feuer?“

Er grinste vergnügt und ich lächelte zurück.
 

„Ihr scheint euch ja wundervoll zu amüsieren!“, brummte eine mir mittlerweile bekannte Stimme und wir standen vor Agarmendon, der seine Hände in die Hüften stemmte und uns missmutig von oben herab musterte.

„Goldener Laurin, Bruder“, nickte Runen seinem Bruder zu und dieser erwiderte die Worte ebenso, es musste sich wohl um eine Art Grußformel handeln.

„Vater ersucht euch zu sehen“, erklärte der dunkle Centauryn dann knapp, machte kehrt und setzte seinen Weg ohne ein weiteres Wort fort.

„Er meint das wirklich nicht so, Agarmendon ist einfach … so“, versuchte Runen das Benehmen seines Bruders zu erklären, doch mal abgesehen davon, dass er mich manchmal damit verunsichert oder wütend machte, fing ich an, das einfach so hinzunehmen, wie offenbar alle hier.

„Du brauchst ihn nicht zu entschuldigen, er hat sicher seine Gründe …“

Wir setzten unseren Weg fort und würden gleich zum riesigen Gebäude des Centauryn-Oberhauptes abbiegen. Aber dazu sollte es nicht mehr kommen.

Die Erde bebte wie aus dem Nichts leicht, ein Grollen erklang und verstarb zugleich, laute Schrei ließen uns aufhorchen. Das Beben erstarb und Runen hievte mich mit einem Arm auf seinen Rücken, es war das erste Mal, dass ich von meinem Centauryn getragen wurde und ich konnte es nicht einmal genießen, denn wir eilten in jene Richtung, aus der die Rufe zu uns durchgedrungen waren.
 

Ein Stück außerhalb der Stadt fanden wir eine kleine Ansammlung von Centauryn, zwei junge Mütter und ihre drei Fohlen. Mit erschrockenen Gesichtern drängten sich die Kleinen an die Beine ihrer Mütter. Vor ihnen baute sich eine große Erdspalte auf, die offenbar weit in die Tiefe ragte.

„Seid ihr verletzt?“, rief Runen der Gruppe zu und eine der Centauryn, mit hellem gelocktem Haar und sandfarbenem Fell schluchzte verzweifelt: „Dieser Erdriss tauchte plötzlich auf und ein Elementale wollte unsere Fohlen holen. … Dein Bruder ist gekommen und hat uns gerettet … aber er selbst ist hinuntergestürzt!“

Ein Schreck durchzog meine und Runens Glieder gleichermaßen.

„Wir können ihn noch sehen, er ist auf einem Felsvorsprung gelandet, doch keiner von uns kann ihn erreichen“, fügte die zweite Centauryn mit rötlichem Haar und braunem Fell hinzu. Ich glitt von Runens Rücken und gemeinsam gingen wir vorsichtig zum Rande des Spaltes heran und blickten in dessen Abgrund. Eine steile Tiefe eröffnete sich uns und recht weit weg von uns erkannten wir Agarmendon.

„Was sollen wir tun?“, fragte eine der Centauryn und Runen schickte sie los, ihren Vater und Hilfe zu holen.

„Ich habe eine Idee, Runen. Wir wissen nicht, ob dein Bruder bei Bewusstsein ist, also lass mich mit einem Seil runter und ich befestige ein zweites Seil an seinem Körper, dann könnt ihr ihn hochziehen, was meinst du?“
 

Runen wirkte betäubt vor Sorge um seinen Bruder und nickte stockend.

„Ich bringe euch, was ihr braucht“, erklärte sich die zweit Centauryn bereit und nahm das verbliebene Fohlen mit sich.

Es verstrich nicht viel Zeit, doch es kam uns vor wie eine Ewigkeit. Runen rief ein paar Mal nach seinem Bruder, doch wir erkannten keine Reaktion.

Die Centauryn mit den Seilen kam als erstes zurück und so verloren wir keine weitere Zeit. Natürlich würde ich lügen, wenn ich sagen würde, dass es mir nichts aus machte den dunklen Schlund herunter zu hangeln, doch die Sorge um Agarmendon wiegte viel höher.

Immer finsterer wurde es um mich und je näher ich dem Centauryn kam, je öfter sprach ich ihn mit seinem Namen an, in der Hoffnung, ich würde eine Regung von ihm erkennen. Die Geräusche in diesem Spalt waren gedämpft, ich wusste nicht einmal, ob ihn meine Stimme überhaupt erreichte.
 

Neben Agarmendons massigem Körper gab es noch ausreichend Platz für mich, meine Füße auf dem Felsvorsprung zu setzen. Im Halbdunkeln erkannte ich nicht gleich das ganze Ausmaß, erst als mir Runen das Ende des zweiten Seils zu warf, hatten sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt und gleichzeitig schnürte es mir die Luft vor Entsetzen ab. Agarmendon konnte sich deshalb nicht rühren, weil er von etwas festgehalten wurde, schlimmer noch, lange riesige Fangarme zerrten an seinem Hals und Oberkörper, nur mit den Armen, die sich auf dem Vorsprung mit all seiner Kraft abstützten, konnte er verhindern, dass ihn die Lianen, zu was auch immer sie gehörten, in die tiefe zerrten. Ich konnte nicht erkennen, welches Wesen dort unter lauerte und ich wollte es auch überhaupt nicht wissen.

Doch was konnte ich nun unternehmen? Ich führte keine Waffe bei mir – nicht das ich darin geübt gewesen wäre, wie man überhaupt eine benutzt, selbst wenn ich sie bei mir gehabt hätte.
 

Er befand sich in einer Art Trance und seine Kräfte schwanden immer weiter. Ohne nachzudenken sagte ich seinen Namen und da schien es, als bemerkte er mich zum erstem Mal. Erschrocken öffnete er seine Augen und in jenem Moment musste seine Kraft nachgelassen haben, vielleicht durch meine Schuld. Das Wesen riss ihn ein Stück näher zum Abgrund, doch ich schlang meine Arme um seinen Pferderücken und schrie entsetzt: „NEIN!!“

Was dann geschah, verstand ich zunächst nicht, denn die Fangarme gaben Agarmendon frei und verschwanden im dunklen Schlund. Er keuchte und rang angestrengt nach Luft, ich hingegen ließ keine unnötige Zeit verstreichen und band ihm mit zitternden Händen mehrere Male das zweite Seilende um den Rumpf. Erst als ich mit meiner Arbeit fertig war, sah mich der Centauryn benommen an.

„Was … tust du … hier?“, keuchte er heiser.

„Wir holen dich hier heraus!“, noch während ich das sagte, zog ich leicht ein paar mal am Seil, an dem Agarmendon hing, ein abgemachtes Zeichen, dass Runen und hoffentlich die anderen mittlerweile eingetroffenen Helfer, die Aufforderung gab, ihn hochzuziehen.
 

Es klappte und der Centauryn wurde langsam nach oben gezogen.

Doch irgendwas schien ihn zu beunruhigen: „Warte …“

„Was? Tut dir was weh?“

„Du … musst …“, er hielt mir seine Hand entgegen, noch war er nicht sehr weit weg vom Felsvorsprung auf dem ich stand. Ich würde auch gleich nach oben gezogen werden, aber offenbar behagte Agarmendon dieser Gedanke nicht, mich hier alleine zu lassen. Noch bevor ich diesen Gedanken zu Ende gedacht hatte, umschlang etwas meinen eigenen Fuß und zerrte mich sofort zu Boden. Doch ich schaffte es, mich so gerade eben an einigen abstehenden Felsen fest und so auf dem Vorsprung zu halten. Angst überhiel mich, lange konnte ich das nicht durchhalten!

Schließlich packte mich etwas und zog mich hoch, Agarmendon war an das Seil gekommen, an dem ich festgebunden hing, es bohrte sich schmerzhaft in meine Hüfte und Bauch, denn das Wesen zerrte weiter an mir.

„Deine … Hand …“, schnauzte Agarmendon und hielt mir seine vor Erschöpfung zitternde Hand entgegen. Ich erreichte sie und als unsere Hände sich berührten, ließ das Wesen abermals los.

Warum?

Im Grunde war es mir jetzt auch einfach egal.
 

Der Centauryn hievte mich irgendwie auf seinen Rücken, sicher kein angenehmes Gefühl, denn die Seile und mein zusätzliches Gewicht sorgten sicher für Schmerzen, wenn er nicht ohnehin welche hatte. Von seinem Rücken aus versuchte ich nach oben zu spähen, wir kamen der Oberfläche näher, doch es dauerte noch eine Weile. Mir kam es wie ein ganzer Tag vor. Zumal Agarmendon seinen Oberkörper nach unten hingen ließ und ständig kehlige Laute von sich gab, die er anscheinend versuchte so gut es ging zu unterdrücken. Ich glaube er musste sich sogar einmal kurz übergeben. Da strich ich ihm behutsam über den menschlichen Rücken.

„Wir sind gleich oben …“, was Besseres fiel mir einfach nicht ein.

„… ist schon … gut …“, lautete die knappe Antwort, die wie eine kaum aussprechbare Lüge klang.
 

Die Sonne erreichte uns und nur einen Augenschlag später half mir Runen von Rücken seines Bruders runter und Tariom sowie weitere Centauryn hebten Agarmendon aus der Schlucht. Ich fiel vor Runen auf die Knie und hielt mich für eine Weile an seinem Vorderbein fest. Erst dann traute ich mich, den Kopf zu wenden, um Agarmendon anzusehen. Der sonst so stolze Centauryn lag auf dem Boden wie erschlagen: kraftlos, blass und mit glasigen Augen, die einen Ausdruck der totalen Fassungslosigkeit verrieten. Wie ein müder Krieger, der eine Schlacht verloren hatte und nun den Tod erwartete.

Runen legte mir seine Hand auf den Kopf und strich mir sacht durchs Haar.

Die ausgewachsenen Centauryn legten Agarmendon auf ein weites Tuch und trugen ihn davon. Der Verwundete sprach etwas, was ich nicht verstand und so wie seine Klangmelodie sich anhörte, schien es was zu sich selbst zu sein. Sein Vater warf einen besorgten Blick auf Agarmendon, dann bogen sie auf ihrem Weg ab. Noch eine ganze Weile saß ich wie versteinert dar, bis Runen mich sacht hochhob und mit sich trug.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Hier gibt es die Geschichte auch mit ein paar Bildern dazu ^^. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hier gibt es das Kapitel auch mit kleinen Bildern ^^. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hier gibt es das Kapitel auch mit zwei Bildern. ^^ Komplett anzeigen

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