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Hin und her gerissen

zwischen Liebe und Freundschaft
von
Koautoren:  Jevi  Meitantei

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13. Januar – Jeder gegen jeden Teil 2

Es dämmerte mittlerweile schon. Noch heute war ihr die Dunkelheit nicht geheuer, in jeder Ecke lauerte die Gefahr. Seit vier Jahren tanzte sie schon auf zwei Hochzeiten. Auch wusste sie nicht, ob sie gemocht wurde, oder eher gehasst. Meistens traf sie sich sowieso nur mit diesen Leuten, um für Informationsfluss zu sorgen.

Anstelle von Carpano, lauerten ihr Plavac und Vermouth auf. Der Freund der Akajas war ja noch akzeptabel, aber diese Tussi… Man begegnete ihr nur ungern. Vor allem die meisten Frauen legten keinen Wert auf ihre Gesellschaft – ließ sie doch jede immerzu spüren, wie wichtig sie war. Und wie unwichtig alle anderen. Baileys brachte das regelmäßig auf die Palme, aber auch einige ihrer Bekanntschaften empfanden sie als einzigen Störfaktor.

„So, du hast also Informationen. Dann rück mal raus mit der Sprache“, wendete sich die Frau mit gewellten Haaren gleich an die mit dem glatten Bob.

„Mit dir wollte ich nicht reden, Vermouth. Musst du dich immer vordrängeln? Es geht um Familienangelegenheiten, die gehen dich nichts an, verstanden?“

„Heute sind wir aber mutig“, amüsierte Vermouth sich. Warum wohl? Sie glaubte, dass Plavac nicht zulassen würde, dass sie am Ende auf sie schoss.

„Am besten du ignorierst sie.“

„Wo ist Yuichi?“

Plavac wagte zu grinsen. “Keine Sorge, was du ihm zu sagen hast, wird die richtigen Leute erreichen.“

Fast wäre sie zickig geworden, aber ihn zu verabscheuen, wäre dumm gewesen.

„Jami soll sich an Osiris vergriffen haben.“

„Was juckt uns so was?“ fragte Vermouth.

Hatten die zugehört? Er hatte sich an ihr vergriffen. Die Hellbraunhaarige legte eine missmutige Miene auf. „Das war wörtlich zu nehmen. Sie ist zu Sêiichî damit gegangen.“

„Und weiter?“ fragte Plavac jetzt doch sehr interessiert nach. Er war froh, dass er so etwas wie einen siebten Sinn entwickelt hatte. Es lag ihm im Blut, dass es besser war, wenn man Yuichi nicht alles brühwarm erzählte, schon gar nicht, wenn es um Sêiichî ging. Bei der Sache hier hatte er auch geahnt, dass er ihn besser raushielt. Er hatte eh keine großartige Lust, mit der Frau zu tun zu haben. Der war schon wütend genug. Darüber, dass der Junge wagte, ihnen zu nahe zu kommen – so war das einfach nicht geplant. Neben seinem Groll gegen Vermouth mochte er noch ein paar andere nette Damen nicht besonders. Eine davon stand vor ihnen.

„Sêiichî hat ein Trauma. Jedes Mal, wenn es um solche Fälle geht, tickt er aus. Man sollte etwas gegen diese Osiris unternehmen. Sie weiß das ganz genau. Und zwar von Yakko Kajiwara. Es würde ihr wohl noch gefallen, wenn er Jami einfach umbringen würde, weil er sich etwas zu Schulden kommen lassen hat. Dabei denkt sie nicht darüber nach, was für Konsequenzen das hätte.“

‚Und du bist ein Engel, der ihm erschienen ist, um ihn vor sich selbst zu beschützen? Mach dich mal nicht so wichtig, Süße‘, dachte Vermouth, die fast nicht widerstehen konnte, ihre Worte noch lautstark mitzuteilen, aber sie grinste im Moment nur und beobachtete, was die Kleine noch so auffahren würde, um ihre Rivalen loszuwerden. Sie sollte einen Narren an Sêiichî gefressen haben, genauso wie die andere missratene Frau. Offenbar zog er böse Mädchen an, wie die Fliegen, sonst würde er ja nicht so sehr auf sie selbst stehen und immerzu versuchen, sie einzulullen.

„Schlimmstenfalls werden Jami und er sich dann wohl prügeln. Wäre ja nichts Neues, dass sich einer mit Jami prügelt.“

Und das war’s? Sie war bestürzt…

„Ihr wirkt wenig geschockt. Osiris war es. Sie sagte, er sei ein Sadist.“

Vermouth konnte sich nicht mehr halten. Sie brach in schallendem Gelächter aus. Sie hatte sich schon lange nicht mehr so köstlich amüsiert. Jami und ein Sadist. Hatte diese Frau eine Ahnung, wie so einer aussah? Wäre er einer, würde er sich nicht so über die wahren Sadisten aufregen – zum Beispiel über den Polizeichef von Kyoto. Der war wirklich sadistisch.

Die Hellbraunhaarige warf ihr einen empörten Blick zu und konnte nicht mehr an sich halten. „Was gibt’s da zu lachen? Er hat ihr was getan!“

Nur mit Mühe schaffte es die Schauspielerin ihr Lachen unter Kontrolle zu bekommen, übrig blieb ein gemeines Lächeln. „Osiris ist eine psychopathische, böswillige Frau. Also kein Wunder, dass sie es sogar schafft, dass Jami ihr eine Lektion erteilt. Denn ganz sicher ist es so gewesen. Das muss man auch erstmal können. Ich kenne einige Frauen, die schon mal frech zu ihm gewesen sind – und selbst die kriegen nicht gleich ab. Man muss sich schon gehörig anstrengen, um so etwas zu verdienen.“

„Was bitte willst du damit sagen? Dass die es verdient hat, dass man sie vergewaltigt?“

„Schätzchen – nur weil Osiris ein bisschen auf die Tränendrüse drückt, heißt das noch lange nicht, dass es so schlimm war.“ Wenn sie etwas glaubte zu wissen, dann dass Jami in dieser einen Sache absolut unfähig war. Sonst hätte er sich kaum so vehement dagegen gewehrt, was Chardonnay aus ihm machen wollte.

„Ach? Warum? Weil Jami aussieht, als könne er kein Wässerchen trüben?“

„Du musst es ja wissen, Carmina.“ Plavac zuckte mit den Schultern. So, wie er sie ansah, fühlte sie sich durchschaut, vor allem durch den spitzen Spruch. Er wusste, dass sie zumindest schon wusste, wie er drauf war, nicht? Oder war es doch so tiefgründig, dass sie gerade einmal wusste, wie er im Bett war? Immer diese Oberflächlichkeit. Er traute ihr das durchaus zu, dass das alles war. Und vielleicht seine Ähnlichkeit zu Sêiichî. Der würde allerdings keiner Frau so ohne Weiteres wehtun, eher tat er den Kerlen weh.

„Bestimmt stellt Sêiichî ihn zur Rede. Und dann? Jami lässt sich das niemals gefallen.“

„Ach, und du denkst, Jami wird ihm sofort das Maul stopfen?“ fragte Vermouth amüsiert nach. „Meine Güte. Krieg dich ein.“ Was Carmina offensichtlich noch nicht wusste, war, dass Sêiichî sich Cognac nannte und dementsprechend nicht gleich umkommen würde, nur weil er einen seiner Kollegen anging. Das war auch amüsant.

„Wie dem auch sei. Bevor Osiris noch mehr Sêiichîs Zorn entfachen kann, sollte man sie mal stoppen.“

„Und was schwebt dir vor? Soll Vermouth sie direkt erschießen, oder reicht ein bisschen erschrecken?“ Es war eine gehässige Frage, um zu schauen, wie dumm sie tatsächlich war. War sie so dämlich ihren Groll gegen diese Frau so offen zu zeigen, dass sie sogar nicken würde?

Sie stutzte und schien wohl wirklich darüber nachzudenken, wie weit sie gehen wollte, um die 25-jährige schnellstmöglich loszuwerden. Sie als frischgebackene Polizeipsychologin sollte Abstand davon halten, jemanden ermorden zu lassen.  

„Ich will einfach nur, dass sie sich von Sêiichî fernhält, diese Tussi tut ihm nicht gut. Die verdirbt nur seinen Charakter. Wie kann man jemandem, der wegen seiner Aggressionsprobleme in Therapie war, noch zusätzlich triggern? Er soll nicht töten! Es reicht doch, wenn Yuichi so etwas tut, oder?“

‚Da hat sie sich aber fein herausgewunden. Er soll nicht auch so ein Mörder werden, mhm? Als ob ich nicht wüsste, was du vom ältesten Sohn der Akajas hältst. Er war ja schließlich nicht sofort da, um Chardonnay zu stoppen, als er sich damals mit Sêiichî befassen wollte.‘ Die Gute tat alles, um Carpano in den Arsch zu kriechen. Wie dumm nur, dass sie nicht gewillt war, ihr zu verstehen zu geben, dass er sich von keinem so ohne Weiteres manipulieren ließ – noch nicht einmal von einer Meisterin, wie ihr.

Trotzdem würde es Vermouth brennend interessieren, wie weit der Kleine bei dieser Osiris gegangen war. Er würde weder eine Frau prügeln, noch andere Art von Gewalt antun.  Nicht freiwillig jedenfalls. Aber er war ein Stück weit bereitwilliger, gemein zu ihnen zu sein, sofern sie es verdient hatten. Allerdings musste sogar sie selbst sich sehr anstrengen, um das zu verdienen. Also was sagte das über Osiris aus? Sie war schlimm. Eine, wie sie sollte keine Menschen therapieren. Aber die da genauso wenig. Vermouth traute diesem Engelchen nicht. Sie sah harmlos aus, aber allein schon, dass sie zu ihnen kam. Zu Profikillern, damit sie sich mit Osiris beschäftigten, sagte ihr, dass sie ganz schön abgebrüht war und sich nicht scheute, sich ihrer Widersacher zu entledigen. Natürlich ohne selbst ihre Finger schmutzig zu machen, wo sie doch so einen anständigen Beruf wie Polizeipsychologin hatte. Da durfte man ja unter keinen Umständen einen Mord begehen. Doch, wenn sich alle weigern würden, wäre sie dann bereit, so weit zu gehen? Das konnte keiner wissen. Grundsätzlich war jeder Mensch dazu fähig diese Wege zu beschreiten, sogar die, die sich im Traum nicht vorstellen könnten, jemals einen Mord zu begehen. Vor so vielen Jahren war auch sie so jemand gewesen. Dann hatte sie sich doch dazu gezwungen gefühlt. Und auch Kenichi war keineswegs ein Freund von irgendwelcher Gewalt. Jetzt waren sie alle Richter über Leben und Tod, dann wenn man es von ihnen verlangte.

 

Gegen 19 Uhr trudelte eine Nachricht nach der Anderen ein.  Manchmal wünschte er sich, dass Weiber nicht grundsätzlich zu neugierig wären. Mehrere Male hatte sie ihm geschrieben, neugieriger ging es kaum. Wahrscheinlich fragte sie sich, was die dämliche Pussy ihm getan hatte, dass sie schon rumerzählen musste, er hätte ihr etwas zuleide getan. Es war klar Schadenfreude in ihren Nachrichten zu entdecken.

~Now don’t keep me on tenderhooks! Tell me! What has the bitch done?~

Weil er ja so ein netter Kerl war, der keiner Frau etwas tun könnte, wollte sie das wissen? Wer wusste, wem sie es noch sagen würde, wenn er ihr das verriet? Er überlegte scharf, ob er gewillt war zu reden.

~Like you said: She‘s a bitch. Let’s keep it that way.~

Dieser ungezogene Junge. Aber sie musste zugeben, dass ungezogene Jungs ihr die Liebsten waren, solange sie ihren Nutzen aus ihren Frechheiten ziehen konnte – natürlich.

Sie versuchte weniger belustigt zu wirken, sondern schrieb ihm nun ernsthafter.

~What did you do to her?~ Wenn er zu weit gegangen war, musste man sich um ihn sorgen. Obwohl sie sich um die herannahende Gefahr weniger sorgte, als darum, dass er sich selbst verabscheuen könnte.

~She had to swallow much today..~

Es dauerte einen Moment, bis sie den versteckten Hinweis in den Worten entdeckte, als der bei ihrem Kopf ankam, verzog sie angewidert das Gesicht.

What a nasty guy. Sie rümpfte die Nase. Obwohl er ihr nicht direkt verriet, was er ihr getan hatte, wusste sie, was für Dinge er nicht schon getrieben hatte. Sie würde ihn verprügeln lassen, wenn er diese Seite je ihrem Jungen gezeigt hätte. Der war schließlich noch unschuldig und sollte es gefälligst auch bleiben dürfen.

Dass er auf ihre nächsten Nachrichten gar keine Antwort mehr gab, machte sie missmutig, aber was erwartete sie? Dass er sich von ihr erziehen ließ? Aus dem Alter war er raus. Sie hatte genug zu tun, den anderen Spinner zu erziehen, der schließlich mit seinen 17 Jahren noch nicht erwachsen war, also hatte sie allen Grund dazu.

 

Nachdem er das Auto im Hinterhof geparkt hatte und gerade um das Haus ging, näherte sich ihm eine Person. Er hatte eine Sonnenbrille aufgesetzt und versperrte ihm mit einem Mal den Weg. Stutzig sah er ihn an.

„Was machst du hier?“

Die Frage wurde ignoriert, stattdessen kam der jüngere Schwarzhaarige auf Kenichi zu. Die wütenden Augen konnte die Brille verbergen, seine Laune jedoch nicht. Dass er ihn böse angucken wollte, sah er auch ohne in die Augen zu sehen. Sein Mund verriet genügend über seine Laune, so grimmig wirkte sein Gesicht.

Er steckte die Hände in die Hosentaschen. Wie dumm. Dann passierte das Unfassbare. Sein Gegenüber zog die Waffe und richtete sie auf ihn. Nach einer Schocksekunde hatte auch er nach der Waffe gegriffen. Die er vorgehabt hatte zuhause zu lassen. Aber Vermouth hatte ihn gewarnt. <“We are criminals. Don’t forget it. We can’t afford negligence. Even if we feel safe. As a precaution always carry it around.“> Um auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein. Weil seine Feinde jederzeit eine Waffe auf ihn richten könnten, und noch viel schlimmer, sie waren gewillt abzudrücken. Sicher, er hatte damit gerechnet, dass Hiroya so auftauchte, oder sein Vater. Dass er direkt auf ihn schießen würde, um ihn wehrlos zu machen. Doch von dieser Person hätte er nicht geglaubt, dass er dreist genug wäre.

Zwei Schüsse ertönten. Danach herrschte beängstigende Stille.

„Abschaum, wie du, darf man nicht leben lassen!“ Hass und Verachtung hallten laut wider, in Form seiner Stimme.

Dass man sie alle bedrohte, war nicht neu. Doch sie würden sich wehren. Wer auch immer wagte, es zu tun.

Wäre die blonde Frau nicht aus dem Haus gelaufen gekommen, hätte Jami postwendend abgedrückt. Wohin er getroffen hätte, wer wusste das schon? Aber ihre Anwesenheit ließ ihn kurz zur Seite sehen. Eine Sache genannt Unachtsamkeit. Dann wurde geschossen. Die Dame gab einen spitzen Schrei von sich. Kurz wurde gezuckt. Trotz der Drohung war ein Loch im Hemd alles, was man ihm beschert hatte.

„Hast du sie noch alle? Wie kannst du es wagen?“ Die Stimme des 21-jährigen bebte vor Wut. Aber vor ihr wollte er nicht für Blutvergießen sorgen.

„Wie ich es wagen kann? Wie kannst du wagen, dich an einer Frau zu vergehen?! Das kann ich dir nicht durchgehen lassen!“ Er schäumte fast über und zielte.

Da rannte die Blonde zu ihnen und stellte sich vor ihm. „Hör auf! Das ist ein Missverständnis! Er würde so etwas nie tun!“ Sie hatte todesmutig beide Arme vor ihm ausgebreitet, so dass er auf keinen Fall von einer Kugel getroffen werden konnte.

„Bist du dumm? Geh aus dem Weg, du blöde Kuh!“ fauchte der Jüngere sie an und sie entgegnete mit einem sturen: „NEIN!“

Ihr Körper zitterte. Nichts lag ihm ferner, als eine hübsche Frau in Angst zu versetzen. Das machte ihn auch wütend. Er hatte ja schon gehört, dass Jami nichts anbrennen ließ und ihm angeblich die Frauen besonders mochten. Es war also nicht weiter verwunderlich, dennoch regte es ihn tierisch auf, dass sie so blöd war, einen Mistkerl noch mit dem Körper abzuschirmen.

„Cognac, du bist noch nicht lange dabei. Das ist aber auch der einzige Grund, warum ich dich nicht über den Haufen schieße!“

„Könnt ihr euch nicht beruhigen? Alle beide!“ Sie wollte nicht, dass sie nochmal schossen.

„Was du nicht sagst? Mir ist so was von scheißegal, wie hoch du stehst.“

„Ach? Du willst wohl unbedingt draufgehen!“

Cognac gab ihr einen kräftigen Stoß, der sie zu Boden beförderte. Schockiert sah man ihn an, Kenichi knurrte. „Jetzt kannst du was erleben!“

„AUFHÖREN!“ schrie sie, als sie sich vom Boden aufrappelte, aber sie konnte auch nicht verhindern, dass es zu einem erneuten Schusswechsel kam. Obwohl sie wahre Panik ausstand, als die Beiden aufeinander losgingen, war derjenige, der dem Anderen die Waffe direkt aus der Hand schoss, der Mann, der ihr gerade so wichtig war. Trotzdem gefiel ihr die Sache gar nicht. Die Waffe des Angreifers segelte zu Boden und die auf diesen gerichtete war bereit abzudrücken.

„Kenichi, nicht! Tu das nicht!“  

Frauen waren wohl grundsätzlich dazu da, um sie alle weichzumachen und dazu zu bringen, vernünftig zu sein. Sie waren gebraucht, wie sonst nichts. Ohne sie würden die Männer sich immerzu im Krieg befinden und irgendwann würden sie noch die Welt ausrotten. Mal davon abgesehen, dass sie keine Geburt aushalten konnten, denn sie waren nicht dafür gemacht.

„Ich bring keinen um, der noch ein halbes Kind ist, Retsina“, sagte er beschwichtigend.

„Was hast du da gesagt, du Scheißtyp?!“ So in Rage, wie er war, durfte man ihn keinen Moment aus den Augen lassen. Und er musste sie ja unbedingt ansehen. Da wurde er richtig attackiert und zu Boden geworfen. Kämpfen hatten sie schon als Kinder gelernt, er war jedoch immer irgendwie unterlegen.

„Dir bring ich Manieren bei! Eine Frau zu etwas zu zwingen!“

Solche Typen wollte er nicht töten. Er fühlte sich ihnen zugehörig. Wäre es darum gegangen, irgend so ein perverses Schwein zu töten, was sich wirklich an Frauen vergriff und ihnen Schmerz zufügte, dann hätte er es bestimmt ein wenig ernster genommen. Er hätte Retsina ins Haus geschickt und sie hätte hoffentlich gehört.

„Wie bist du denn drauf?“ Kaum stellte er die Frage traf ihn etwas an der Schläfe. Der dumpfe Schlag war auch noch knapp hinter ihm zu hören. Die junge Frau schlug sich die Hände ins Gesicht.

„Halt’s Maul, du Scheißkerl!“ Sie stürmte zu ihm. Er hielt sich die Schläfe, Blut tropfte zu Boden. Nicht einmal fünf Sekunden später kippte er um und landete unwissender Weise glücklich in ihrem Rock, der den Sturz dämpfte.

Sie kämpfte mit den Tränen. „Du brutales Schwein!“ Wut loderte in den hellblauen Augen.

„Bist du bescheuert? Er ist ein Arschloch, was sich über den Willen von Frauen hinwegsetzt.“

Mehrmals schüttelte sie den Kopf. „Das muss ein Irrtum sein. Er ist derjenige, der dafür sorgt, dass genau solche Kerle Derartiges nicht tun. Wenn du das wirklich von ihm denkst, kennst du ihn ganz und gar nicht!“

„Ach?“ Er sah den liebevollen Umgang der Frau mit Jami. Der bekam das nicht einmal mit, so doll hatte er zugeschlagen, als er geschafft hatte seine Waffe wiederzubekommen. Sie konnte froh sein, dass er ihn nicht gleich erschossen hatte. Sein Atem raste regelrecht, solche Dinge machten ihn einfach wahnsinnig. „Warum sollte man mich anlügen?“

Eine zweite Frau kam angelaufen und betrachtete sich die Szene. „Was ist hier denn schon wieder los?“

„Dieser Typ wollte ihn erschießen… Und weil er ihn entwaffnet hat, hat er ihn jetzt in einem unachtsamen Moment niedergeschlagen!“

Sie begab sich zu dem Schwarzhaarigen und sah ihn abschätzend an. „Sei froh, dass das Japan ist. In Amerika werden Leute einfach erschossen, wenn sie sich unerlaubt auf dem Grundstück befinden.“

„Keine Sorge, Frauen tue ich nichts“, sagte er. „Ich mag Frauen.“

„Ruf die Polizei, Serena, bitte.“

„Besser nicht, die werden nur blöde Fragen stellen. Sag mal, kennen wir uns?“ fragte die adrett gekleidete Frau, die ein wenig älter wirkte, als die Frau, in deren Armen sein Widersacher nun lag.

„Nicht, dass ich wüsste. Es ist sehr dumm, einen Vergewaltiger zu mögen, meine Liebe.“

Serena machte Schnappatmungen. „Einen Verge-waltiger? Kenichi?“ Es verschlug ihr wirklich die Sprache. „Wie kommst du denn darauf?“

„Verschwinde, oder ich schrei um Hilfe!“ sagte die Jüngere trotzig, daraufhin lachte der Mann.

„Ganz schön naiv, mhm? Wir haben geschossen, das scheint hier keinen großartig zu interessieren. Warum sollten sie da auf Schreie reagieren?“

Ganz schön großkotzig. Irgendwie hatte Serena einen Verdacht und lächelte jetzt.

„Du jagst also Vergewaltiger? Interessant.“

„Nicht dein Ernst“, sagte Retsina, ihre Cousine hatte offenbar nur ein Interesse, Leute zu finden, die sich für sie mit Chardonnay anlegen könnten. „Wenn du schlau bist, verschwindest du ganz schnell.“

„Halt dich da raus. Du solltest deinen Kerl besser in Sicherheit bringen…“ Dieser stöhnte auf und griff sich automatisch an die Schläfe, da sah die junge Frau zu ihm runter.

„Oh Gott sei Dank, er macht die Augen auf.“

„Oh mein Schädel.“

„Ich hoffe, es tut schön weh!“ sagte der Schwarzhaarige mit Sonnenbrille, da erhob sich Kenichi ein wenig, sah dann aber hoch ins Gesicht der Blauäugigen. „Bin ich auf deinem Schoß?“

„Gott bewahre“, sagte Serena und ignorierte die Zwei, sie interessierte sich für etwas vollkommen Anderes. Ihr Lächeln war gemeingefährlich, hinterhältig und lockend. „Weißt du, ich kann Männer wie dich ganz gut leiden. Möchtest du nicht ins Haus kommen und etwas trinken? Glaub mir, Kenichi ist kein Vergewaltiger oder so was. Du irrst dich.“

Aus der Dunkelheit der Nacht ertönten Schritte und die Augen der Schönheit starrten mit blankem Entsetzen in die Richtung, aus der sie zu hören waren. „Jesus Christ… Da ist wer.“

Der junge Mann drehte sich herum und erspähte die Straße. Dann sah er den schwarzen Schatten, der sich ihnen geheimnisvoll näherte.

„Serena-san, Sie sollten schleunigst zurück ins Haus gehen. Wer weiß, welche Albträume Ihnen sonst begegnen?“ Seine Stimme raunte tief und ließ durch ihren Körper ein Zittern fahren. Sie erkannte die versteckte Drohung, wusste jedoch nicht, wieso sie sie verdient haben sollte.

„Plavac“, meinte Retsina. „Dieser Kerl hat ihn angefallen.“

„Stimmt das?“

„Warum sollte ich darauf eine Antwort geben? Typen, die Frauen zu etwas zwingen, haben es verdient.“

„Und ungezogene Kerle wie du erstrecht“, sagte er mit einem leisen Zischen in sein Ohr, dann griff er sich ihn an der Jacke. Es fühlte sich an, als wollte er ihn vom Boden abheben lassen, der Stoff war schwer und er merkte den Zug an diesem.

„Was soll denn der Scheiß?“

„Der Boss wäre wenig amüsiert, wüsste er, dass du einen seiner wichtigen Leute versuchst zu massakrieren. Merk dir eines: Der Boss ist der Einzige, der solche Entscheidungen trifft. Kleine Handlanger, wie du, die enden als Fischfutter, wenn sie sich vorbeibenehmen. Wo hast du den Käse aufgeschnappt, dass Jami Frauen zu irgendwas zwingt? Bestimmt hat man dir da einen kleinen Bären aufgebunden.“

„Er wollte es nicht glauben, er war davon überzeugt“, sagte Retsina.

„Ach so, ihr gehört alle dazu? Na, das kann ja heiter werden“, spielte der junge Mann alles herunter und tat auf cool und lässig.

„Ja. Der Boss hat Jami damit beauftragt, dich im Auge zu behalten. Er soll sich darum kümmern, dass du kapierst, wie der Hase läuft. Was glaubst du würde passieren, wenn der Boss hiervon erfahren würde? Dann landest du wie Abfall irgendwo und treibst eine Runde flussabwärts. Als Neuer hat man keine großen Töne zu spucken.“

„Und du hast das Recht, mir das einfach so zu sagen?“

„Ich kann gern Vermouth herholen, die wird dir noch ganz andere Dinge antun, wenn sie das hier wüsste.“

„Wie oft muss ich noch sagen, dass mir diese Frau keine Angst einjagt? Da kann sie machen, was sie will.“

„Mir brummt der Schädel. Schlagen kann er sich jedenfalls, Plavac“, äußerte sich Jami, auch wenn das Blut ihm mitten übers Gesicht rann und ihm teils versuchte die Sicht zu versperren. „Ich gehe nicht gleich zum Boss. Wer weiß, was er machen würde. Aber eines will ich klarstellen: Ich habe noch nie eine Frau vergewaltigt und ich würde es auch niemals tun. Wir sind also Verbündete.“

„Warum erzählt mir Osiris dann, dass du ihr etwas getan hast?“

„Osiris?“ wunderte sich Serena. „Oh, bestimmt hat Jami ihr tatsächlich was getan, aber ich bezweifle, dass es in Richtung einer Vergewaltigung ging. Jami verabscheut so was.“

„Ich verstehe gar nichts mehr. Wieso sollte sie mich anlügen?“

„Du hast noch viel zu lernen, Cognac“, meinte Kenichi, dem von Retsina jetzt aufgeholfen wurde. „Geht’s dir gut?“

„Hast du Eis? Das hilft vielleicht bei dem Brummschädel. Weil unser wildgewordener Neuzugang sich nicht beherrschen kann.“ Er warf dem 17-jährigen einen Blick zu. „Schaff dir Beherrschung an, sonst erschießt du den Falschen. Das wäre dein Untergang!“ Unter Garantie würde es Chardonnay schaffen, ihn so wütend zu machen, dass er ihn im Jähzorn erschoss. Auch er kam oft genug an seine Grenzen, wenn er an diesen Bastard dachte.

Cognac wirkte nicht, als wäre er damit einverstanden, sich belehren zu lassen. Doch mit einem hatte Jami Recht. Er hatte noch viel zu lernen. „Weißt du, Cognac. Nicht alles, was Frauen dir so erzählen, entspricht der Wahrheit. Manchmal lügen sie nur, um dich dazu zu bringen, das zu tun, was sie gerade wollen. Es gibt genug Frauen, die Jami nicht mögen, obwohl er jederzeit für sie in den Kampf ziehen würde, nur damit sie heil bleiben. Das allein reicht, damit sie erfinderisch werden, nur um ihm zu schaden. Auf der einen Seite ist er ein gutaussehender Kerl, auf der anderen steht er hoch genug, um für ihren eigenen Untergang zu sorgen. Du hast der Kleinen sicher den Schock ihres Lebens versetzt.“ Retsina war bisher noch wohlbehütet. Sie hatte noch nicht die schlimmsten Dinge erlebt. Blutvergießen, wie man es sonst nur im Krieg kannte. Und von Sharon wusste er, dass das besser so war. Jami würde das bestimmt auch so sehen. Hoffentlich würde sie nichts davon beeinflussen.

„Jetzt kann sie ihm noch seine Wunden lecken. Schon erstaunlich, dass er sich von einem Newbie so niederstrecken lässt.“

Wenn Cognac glaubte, dass es einen Grund gab, sich über seinen Sieg zu freuen, war er ganz schön dumm. Er selbst wusste, dass die Anwesenheit der Frau Jami verunsicherte und er deswegen so leicht zu besiegen war.

Aber ihm fiel auch auf, wie abschätzend und missgünstig Serena sich dazu äußerte, dass diese Frau es ihm einfach angetan hatte.

„Freu dich doch, dann gehört er vielleicht irgendwann zur Familie. Dann wird er vielleicht doch noch für dich arbeiten…“  

Cognac sah zu dem Mann auf, der ein Stück größer als er war. Was zum Geier meinte er damit?

Dass dieser Kerl schon wieder ihre Pläne andeuten musste, fand sie unmöglich. „Nimm diesen wildgewordenen Kerl mit, bitte. Ich muss ins Haus, das Ganze genau beobachten. Nicht, dass sie noch zu ihm ins Bett steigt.“

Cognac sah ihnen nach, während Plavac nur seufzte. ‚Das willst du doch. Schnellstmöglich am besten. Am besten er fällt gnadenlos über sie her.‘ Ihm war schon aufgefallen, dass sie alles mieszumachen versuchte. Er hatte einfach kein gutes Gefühl, immer wenn sie sich begegneten. Dass sie Chardonnay um jeden Preis aus dieser Welt entfernen wollte, machte sie zu einem manipulativen, gehässigen Miststück. Jami wollte keinen Ärger riskieren, nur weil sie es gern so hätte, dass er Chardonnay tötete – ihm das aber untersagt war. Ihm wehtun, ihn ärgern, das war okay. Ihn umbringen jedoch nicht. Weil die Organisation ihn noch gut gebrauchen konnte. Das Gleiche hatte sie auch bei ihm probiert, schließlich war er doch prädestiniert für diesen Job. Er als Sohn eines Inzest-Vaters, der diesen in die ewigen Jagdgründe befördert hatte. Chardonnay war diesem Monster auch leider ähnlich…

„Halt dich von ihr fern, Cognac. Die spannt jeden für ihre Zwecke ein. Vor allem kleine Möchtegernhelden, wie dich, die dann tapfer einen Heldentot für sie sterben.“

„Und warum sagst du das?“

Dann drehte er sich herum. „Geh nach Hause.“

Irgendwo hatte er ihn schon mal gesehen. Beim Davongehen, als er die Bewegung seiner Schultern sah, dämmerte es ihm. ‚Ist das unser Onkel?[ Was hatte der denn bitte mit dieser Sache zu schaffen? Und warnte er ihn, weil er zur Familie gehörte? Und wieso nur vor ihr? Jamie hatte ihn vor Chris gewarnt, er nicht. Wem sollte man da noch glauben?

 

Als Retsina das Wohnzimmer erreichte, bat sie ihn, sich auf die Couch zu legen, dann stürmte sie los, um die Verbandsmaterialien zu suchen. Wenig später kam sie auch schon wieder und setzte sich dicht zu seinem Kopf hin, nur um diesen kurz darauf sanft auf ihren Schoß zu heben.

„Halt still, ja? Das muss man erst einmal säubern.“ Er hielt still. Und überhaupt, ihr Schoß war fast so wie der Himmel, es machte ihm also wenig aus, still zu halten und die zarten Frauenhände ihre Arbeit machen zu lassen.

„Tut mir leid, dass du so etwas mitansehen musstest. Ich war selbst ganz geschockt, als er auf einmal vor mir stand.“

„Diese Osiris, von der sie gesprochen haben, muss dich wirklich wenig mögen, wenn sie jemanden gegen dich aufhetzt. Erzähl mir was von ihr.“

„Gott bewahre. Alles, was ich von ihr erzählen könnte, widert mich viel zu sehr an. Das ist nichts für dich.“

„Sie hat einen Mann so sehr gegen dich aufgebracht, dass er drauf und dran war, dich einfach zu erschießen. Ich muss doch wissen, wer meine Gegner sind.“ Sie blickte ihn überzeugt an und er lächelte milde.

„Keine Sorge, ich werde mich das nächste Mal vorsehen. Versprochen. Du musst dir also keine Sorgen machen. Und dich auch nicht einmischen. Ich komm ganz allein klar.“

„Aber…“

„Dass du dich um mich kümmerst, ist genug. Das ist ganz erholsam, ich hatte keinen so angenehmen Tag, weißt du?“ Seine Augen blickten an der eigenen Stirn hoch zu ihrem Gesicht. Sie war ganz vorsichtig beim Desinfizieren, dabei war er ja nicht aus Zucker.

„Weißt du, dass es mir viel bedeutet, dass du nichts von all dem glaubst, was sie gesagt hat? Aber ich bin kein so guter Mensch, wie du glaubst. Ich kann auch wenig nett, also so richtig gemein, sein.“

„Dann hat man es gewiss verdient!“ entgegnete sie stur. „Ich kann trotzdem nicht zulassen, dass jemand so schlecht von dir spricht, dann muss ich dich doch verteidigen, wo wir so gute Freunde sind.“

Ein trauriges Lächeln erschien in seinem Gesicht. Für einen Moment hatte er doch wirklich für möglich gehalten, dass das zwischen ihnen mehr war. Irrte er sich? Aber es fühlte sich trotzdem sehr schön an.

„So, fertig. Ich würde dir raten, zu schlafen. Vielleicht hast du eine Gehirnerschütterung. So kräftig wie er dich mit der Pistole geschlagen hat.“

„Einverstanden. Aber ich möchte, dass du bleibst.“

Schlagartig errötete sie, schließlich lag sein Kopf auf ihrem Schoß. „Das geht doch nicht.“

„Aber wieso? Ich fühl mich wohl bei dir.“

Während ihre Cousine tausend Tode starb vor Scham, aber doch recht erfolgreich von ihm eingelullt worden war, murmelte sie etwas sehr Gehässiges vor sich hin. Als nächstes lud er sie entweder zu sich ins Zimmer ein und bat sie, bei ihm zu schlafen, oder er stieg direkt in ihr Bett, um auf ihr zu liegen – und ihre einfältige, naive Cousine merkte noch nicht einmal etwas von seinen Absichten. Männer waren nie einfach nur so nett.

„Ich bin auch gern in deiner Nähe“, flüsterte sie, da beugte sie den Kopf über sein Gesicht und hatte dabei beide Hände in sein Gesicht gelegt.

„Wirklich? Dann kann ich ja zufrieden die Augen schließen und mich entspannen.“ Sie lächelte, weil es nicht nur wie höfliche Worte klang, sondern so, als wenn er sich gerade wirklich glücklich fühlte. Nach einem so schrecklichen Tag, mit noch schrecklicheren Menschen, war er froh, Abstand von diesen Dingen zu gewinnen, sonst wurde er am Ende noch wahnsinnig, so wie dieser Cognac. Er hatte nicht ausgesehen, als sei er auf irgendeine Weise gefährlich. Wie schnell man sich doch irrte. Aber Leute wie er waren wichtig.

 

~Just imagine, your love toy Cognac almost kicked us in the door… If I hadn't been right there, surely someone would have died. He isn’t so harmless like you thought, it seemed. Quite interesting person by the way. As always. The people my dear sister brings along, are always bringing the fun~

Es war kurz vor elf, als sie die Nachricht erreichte. Serena hörte sich gern selbst reden und genauso wirkten ihre Nachrichten auch. Viel Wind um nichts – würde sie behaupten. Sie mochte das Analysieren, deswegen las sie ihren Text mehrmals. Je öfter sie das tat, umso mehr regte sie sich darüber auf.

~Who would‘ve died?~

Ihre hingegen waren meist kurz und knapp, mit so wenig Emotionen, wie möglich. Sie war gern undurchschaubar. Man sollte aus ihren Nachrichten nicht genauso viel herauslesen, wie bei ihrer Schwester.

~Only Jami, that badass. Always playing the innocent~

Nur. Ja, genau. Nur Jami. Besser hätte ihr gefallen, wäre es Chardonnay gewesen. Ganz entgegen ihrer Vorstellung sollte Cognac sich gefälligst von diesem Dreckskerl fernhalten. Aber in ihren Worten verbarg sich noch viel mehr. Serena konnte mit Liebe wenig anfangen. Ihre Spitze bezüglich des love toys wurde geflissentlich ignoriert, schließlich war die einzige Liebe, die sie empfinden konnte, die für sich selbst, nicht wahr? Dass irgendeine Frau einen Mann mögen oder sogar lieben könnte, stieß bei ihr auf Unverständnis. Sie liebte ja noch nicht mal den eigenen. Aber das konnte sie verschmerzen, solange er sie vor weiterem Unheil bewahrte. Viel schlimmer war, dass sie Interesse an Cognac zeigte, nicht offensichtlicher könnte sie ihre Gedanken in ihrer Nachricht mitteilen. Es störte sie nicht bloß, es ging ihr auch nicht nur ein bisschen auf den Wecker, sondern es löste Zorn in ihr aus.

~One thing, my darling. Keep him out of your revenge. He’s too young to get into problems. I warn you. No stupid actions or we get problems with each other. Got it?~Noch nie, seit ihrem ersten Treffen, hatte sie ihrer Schwester gedroht, das war nicht notwendig. Aber die Vorstellung, dass sie all das Vergangene auch mit Cognac machte, veranlasste sie dazu, zu intervenieren. Wenn es sein musste auch, indem sie ihre Schwester verängstigte.

~Oh, come on, don’t be silly. All men are only playmates for you. Never serious. Leave out your mother complexes, dear.~

Vermouth knurrte, als sie den Text las und schob das Handy knapp über den Tisch.

„Warum bist du so angepisst? Ärgert dich jemand? Oder ist es noch das, was ich dir vorhin gesagt habe?“ fragte eine männliche Person, die ihr gegenübersaß.

„Meine Schwester kann fast keinen Mann ernstnehmen, ich natürlich auch nicht. Alles andere würde sie vermutlich anwidern. Jami wollte ihr nicht gehorchen, wie kann er es wagen? Sie scheint zu feiern, was du mir berichtet hast. Mir gefällt das nicht. Den einen Jungen konnte sie nicht in ihren persönlichen Abgrund reißen, jetzt riecht sie die nächste Chance. Und natürlich, Männer sind nur zum Benutzen da. Für sie ist das völliger Ernst. Und meine Show ist offenbar so perfekt, dass jemand, der mich so gut kennen sollte, um zu wissen, dass ich das nur spiele, es mir noch abkauft. Als ob es ihr nicht gefallen würde, dann muss sie nicht noch aushalten, wie ich glücklich werde.“

„Reg dich nicht auf. Sie ist eine verbitterte Frau, die keinem sein Glück gönnt. Und es ist auch besser, wenn sie nicht dahinter steigt. Du weißt, ich mein das nicht böse, aber vertrau ihr bloß nicht an, wenn aus irgendeiner Beziehung was Ernstes wird. Sie würde noch ihre Cousine den Wölfen zum Fraß vorwerfen, Hauptsache, sie ist nicht glücklicher, als sie selbst.“

„Ich hab’s erst nicht begriffen, aber jetzt wird mir einiges klar. Kenichi ist ein gutaussehender Kerl, von dem sie dachte, dass sie ihn manipulieren kann. Als er ihr den Gehorsam verweigert hat, war sie empört. Wenigstens tanzt ihr Mann ihr einigermaßen nach der Pfeife, sonst würde sie noch dem den Tod wünschen.“

Ganz schön grausam, was sie redeten und vor allem noch ernstmeinten. Er sah ihren traurigen Blick, als sie diese Erkenntnisse laut aussprach. Die Enttäuschung darüber klang deutlich heraus. Wenn es sich um irgendwen handeln würde, wäre es ihr wahrscheinlich egal. Dann könnte sie ihr uneingeschränkt wehtun, wenn sie etwas Dummes tat, aber leider war dieses Miststück ihre eigene Schwester – zum Glück bloß Halbschwester – das hätte sie jedoch nie so gesagt, schließlich hatte sie sich stets allein gefühlt und sich jemanden gewünscht, der an ihrer Seite kämpfte. Doch dieser Kampf fand nicht zu ihren Gunsten statt, sondern war von Egoismus geprägt. Und, wenn sich Madamchen übernahm, musste ihre Schwester es immer richten. Es war doch klar, dass auch sie eines Tages die Schotten dicht machen würde. Das Einzige, was sie noch davon abhielt, war, dass noch niemand verletzt worden war, der ihr wichtig war. Es war beinahe wie ein böses Omen, aber er glaubte nicht, dass es allzu lange dauern würde, dass die Intrigantin einen Fehler machte.

„Hast du eigentlich achtgegeben, dass Sêi-chan auch wirklich heil zuhause ankommt?“ fragte sie, da beschwichtigte er mit einem Lächeln.

„Ich mache keine halben Sachen.“

Er hatte gewartet, bis seine Eltern und die Kinder ihn in Empfang genommen hatten, erst dann war er gegangen. Der Schatten, der ihn bis nach Hause begleitet hatte, ohne dass er ihn überhaupt bemerkt hatte.

 

Sêiichî war sich nicht bewusst, wie viel Ryochi sich bereits denken konnte. Wie groß seine Angst war, dass er nicht mehr nach Hause kommen würde, so wie damals schon Yuichi. Ein bisschen Schelte hatte er bekommen, für sein so spätes Erscheinen – das war’s auch schon.

Ganz anders war es bei Ryochi. Der lauerte ihm förmlich auf, als der Junge in sein Zimmer wollte, stand er gegen die Wand gelehnt da.

„Ich dachte, du bist wieder abgehauen. Warum musst du allen immer solchen Kummer machen?“ Es war nicht seine Art, ihn anzugreifen, nur weil er ein bisschen wild und ungezogen war. Aber er hatte geglaubt, dass er diesmal nicht mehr nach Hause käme. Dass die ihn einfingen, oder ihn gleich umbrachten, weil er etwas herausgefunden hatte, was ihn nichts anging.

„Warum bist du so verärgert?“

„Lass mich gefälligst nicht allein zurück, hast du kapiert? Das ist nicht witzig!“ Seit sie ganz klein gewesen waren, hatte Ryochi niemanden mehr einfach so geschlagen, schon gar nicht seine Brüder, aber diesmal bekam er seine Faust zu spüren, wenn auch nur gegen die Schulter.

„Ey, sag mal, was soll das denn?“

„Meinst du, ich bin blöd?“

Sêiichî holte Luft, denn sein Freund war drauf und dran alles auszusprechen, was er sich denken konnte, da legte er ihm die Hand auf den Mund. „Nicht. Doch nicht hier draußen“, flüsterte er. Ryochi nickte, während er unter dem versperrten Mund seinem Freund ins Gesicht sah, welches ernst wirkte. Dann zog er ihn in sein Zimmer. Hinter verschlossener Tür seufzte er langgezogen.

„Ich hab voll Ärger gekriegt, weil ich draußen rumschnüffle. Voll doof so was.“ Sêiichî kniff cool ein Auge zu, verschränkte die Arme hinter dem Nacken und hopste dann aufs Bett. Ryochi kam direkt hinterher, bis sie wenig später zusammen gegen die Wand gelehnt saßen. Sie waren coole Jungs, die so etwas Kindisches schon lang nicht mehr taten, aber sein Kopf lag wenig später an der Schulter des anderen Jungen. „Du kannst doch nicht einfach andauernd über Nacht wegbleiben. Weil du versprochen hast, keine Waffe mehr mitzunehmen, ist das ganz schön gefährlich. Was, wenn du den Falschen in die Arme läufst und wieder-“

„Ach was“, meinte der Junge - gezwungen lächelnd, während er ihm beschwichtigend auf die Schulter klopfte und ihn sogar an sich randrückte. „Ich kann doch mittlerweile auf mich aufpassen. Auf dunklen Pfaden treib ich mich schon nicht rum.“

„Und das soll ich dir glauben?“ fragte der Detektiv ungläubig und sichtlich besorgt.

„Jap!“ sagte er locker, dann legte er sich den Finger auf den Mund und sprach sehr leise: „Ich verrate dir was, wenn du brav bist.“

„Ja, pff, wieso sollte ich etwas sein, was du aus Prinzip nicht bist?“ Er setzte sich im Schneidersitz hin und sah überhaupt nicht ein, wieso er der einzige Junge der Familie sein sollte, der brav war.

Sêiichî wusste sehr genau, warum Ryo Angst um ihn hatte. Die Bilder, wie auf ihn geschossen wurde, würde er sicher nie mehr loswerden. Und er wollte ihn nicht auch noch verlieren, so wie Yuichi, von dem keiner wusste, wo er sich rumtrieb.

„Du machst keinen Blödsinn, oder? Nicht diesen Leuten nachjagen, oder? Yuichi wäre nicht so begeistert, wenn wir uns versuchen mit denen anzulegen.“ Sie waren Kinder. Und er vernünftig genug, das einzusehen, dass sie noch nicht erwachsen genug für so etwas waren. Sêiichî hingegen glaubte, er würde genauso ein großer Held werden, wie Yuichi. Dass er alle beschützen würde, wenn es darauf ankam. War er wirklich so dumm zu glauben, dass diese Verbrecher, die Erwachsenen sich von ein paar Kindern ärgern ließen?

„Was soll das heißen, Yuichi wäre nicht so begeistert?“ schmollte Sêiichî.

„Weißt du genau. Er will nicht, dass wir denen zu nahekommen. Weil er uns beschützen will. Also mach ihm seine Pläne nicht kaputt.“

‚Bist du verrückt? Ich will Yuichi helfen. Erstmal will ich wissen, was die mit ihm gemacht haben. Wer weiß, was aus ihm geworden ist? Kenichi hasste Waffen und jetzt rennt er wohl regelmäßig damit rum. Ich hab nichts gegen Waffen. Sie sind ein nützliches Mittel gegen Leute, die keine andere Sprache verstehen. Ich kann mich wehren. Auch, wenn du das nicht glaubst. Die glauben, dass sie mit uns Kindern alles machen können. Ja klar, in Japan wird nicht jedes Kind gleich mit Waffenschein geboren. Aber ich, ich bin Halbamerikaner. Ich kenn die Dinger, seit ich meinem Vater mit knapp sechs Jahren beim Schießen zugesehen hab. Und mit acht, hatte ich selbst so ein Ding in den Fingern… Ich kann’s mit den Großen und Starken aufnehmen.‘

Einige, hätten sie seine Gedanken gekannt, hätten sich den Kopf gehalten, bei so viel Größenwahn.

Obwohl er schwieg, wollte er als Kind immer alles mit Yuichi machen. Er war ihm sprichwörtlich nachgerannt, immer dann, wenn er mit den großen Kindern was machen wollte. Sie kannten sich so lange. Er wollte nicht mehr die kleine Heulsuse sein, die beschützt werden musste. Aus dem Windelalter war er jawohl raus, oder etwa nicht? Wenn er und Yuichi sich trafen, würde er schon sehen, was für ein großer und starker Kerl er jetzt war… Seit dem Anschlag vor zwei Jahren hatte Sêiichî sich oft in Fitnessclubs rumgetrieben, um genauso stark zu werden, wie sein Bruder.  Und er bildete sich auch ein, dass er es mit ihm aufnehmen könnte. Er war darauf vorbereitet, auf die zu treffen. Am liebsten hätte er Ryochi gesagt, dass er sogar Ashida heute gnadenlos fertig gemacht hatte. Und Ryochi hätte vermutlich gelacht, weil Kenichi immer derjenige gewesen war, der unterlegen war. Was nicht hieß, dass er kuschte, sondern es trotzdem immer vergeblich probiert hatte, sich mit den anderen Jungs zu prügeln. Meistens mit den Älteren. Aber bei Takeshi Iwamoto hatte er sich das nie getraut, mit dem lag immer sein Bruder Yuichi im Clinch. Und auch der hatte oft genug den Kürzeren gezogen und musste dann verarztet werden. Sie waren eben Jungs, die kamen oft mit blauem Auge nach Hause. Mittlerweile würde Yuichi Takeshi wohl aber auseinander nehmen. Er war ja schließlich schon 19 und Takeshi gerade einmal 25. Bestimmt war auch er fit wie ein Turnschuh und konnte es mit allen aufnehmen…

 

Während die Kinder sich aneinander klammern wollten, führten Takeshi und Akiko ein ernsthaftes Gespräch, von dem die Jungs nichts wussten.

„Also wirklich. Ich dachte, dass die Therapie damals bei ihm gefruchtet hätte.“

„Ja, ich war auch ganz sprachlos. Dein Freund Shiro meinte, dass es ein glücklicher Umstand war, sonst hätte einer der beiden den anderen über den Haufen geschossen. Und Sêiichî hat sogar angefangen. Weil er etwas in den falschen Hals bekommen hat.“

„Also willst du ihn wieder in Therapie schicken? Er wird dich nicht gerade dafür lieben.“

„Eltern sind nie dafür da, um nur gemocht zu werden, das weißt du doch. Und es muss sein. Sein Halbbruder hat im Zorn Sêiichîs Freundin schwer verletzt und vergewaltigt. Dass er das gesehen hat, hat ein Trauma in ihm ausgelöst, das muss man eben verarbeiten. Da kann er noch so stark tun, von alleine geht das nicht mehr weg.“

„Hoffen wir, dass wir einen guten Therapeuten finden. Keine Frau, die aus einem Patienten ihren festen Freund macht.“

„Sêiichî behauptet, dass es von ihm ausging. Glaubst du ihm?“

Takeshi gab ein Lachen von sich, dann grinste er schelmisch. „Sêiichî muss man Einiges zutrauen, auch so was. Weißt du, ich hab aus ihm rausgekitzelt, dass er schon wieder in eine ältere Frau verliebt ist. Und es ist genau die Frau, die ihm damals geholfen hat. Was sonst?“

„Und jetzt? Sie gehört zur Organisation.“

„Jetzt muss man aufpassen, dass er nicht auf dumme Gedanken kommt. Genau. Ryochi hat ihn schon daran erinnert, dass im Frühjahr Prüfungen anstehen und sie schon mal mit Lernen anfangen sollten. Du weißt, wie konsequent dein Sohn sein kann. Er wird ihn nerven, bis er es nicht mehr hören kann und freiwillig lernt.“

„Das erinnert mich ein bisschen an die anderen Jungs in Kyoto. Hiroya hatte auch nie Lust zu lernen und wurde von seinem besten Freund regelrecht dazu gezwungen.“

„Der auf Feldern und Äckern rumgeturnt ist, während andere strampeln mussten, ich weiß. Praktisch war Hiro-kun sein einziger Freund. Die anderen Kinder hatten Angst, dass sie an seinen Leistungen gemessen werden und konnten ihn kein Stück leiden. Aber derjenige, der in ihm den größten Störfaktor sah, war Hiroyas Vater selbst.“ Weil er den besten und intelligentesten als Sohn wollte, aus dem Mal ein ganz Großer wurde. Der sich aber nichts aus Lernen machte. Er wollte auch einfach nur rumtollen, so wie die anderen. Während Kenichi beinahe im Schlaf dem Unterricht gefolgt war, musste er seinem Freund immer Nachhilfe geben, damit der überhaupt eine gute Note bekam. Und als Hiroyas Vater die Kinder unbedingt testen wollte, hatte der Junge seinen Freund sogar darum gebeten, sich nicht anzustrengen. Danach hatte Hiroya kräftig Prügel bekommen, weil er ihm trotzdem unterlegen war. Dass der jetzt auf Sêiichî schoss, mit seinem Jähzorn, hatten sie nur dessen Vater zu verdanken. Weil er ein hartherziger und grausamer Mann war, der nicht mal seinen Kindern Spaß gönnen konnte. Da holten sie sich den eben anderweitig. Den vermissten Spaß kompensierte der Kerl jetzt damit, auf Verbrecher zu schießen. Eine Sache, der er unbedingt nachgehen musste. Schon allein deswegen, damit er nie wieder wagte, einfach so auf Minderjährige zu schießen – aus welchem Grund auch immer.

Er hatte seiner Frau nicht alles gesagt, aus Rücksicht. Dass Kenichi auch denen beigetreten war, behielt er lieber für sich. Vielleicht waren ihre beiden Söhne auch endlich mal befreundet – nein wahrscheinlich eher nicht. Dafür war Yuichi viel zu unnahbar und kam beinahe arrogant rüber. Wahrscheinlich hatte das arme Kind wieder keine Freunde. Wie auch? Er war ein intelligenter kleiner Klugscheißer, der jetzt auch noch Arzt wurde. Eigentlich wunderte ihn das kein bisschen. Obwohl Yuichi sich damals von dem Ashida-Jungen fernhielt – das hatte aber eher an dessen Anhängsel gelegen. Hiroya war eben ein kleiner, neidischer Junge, der bei keinem der Kinder gut angekommen war. Und sein einziger damaliger Freund eben eine Intelligenzbestie. Eine nicht so beliebte Combo.

 



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