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Shambles

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Warnung vor: Einer Überdosis Humor und mehreren Szenenwechseln.
Hinweis: Hier sind die Kapitäne wieder bei ihren Crews. Was zwischen ihnen passiert ist, erfährst du im KidLaw Extra-OS, der als Sidestory zur Geschichte verlinkt ist. Komplett anzeigen

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Sayōnara

Kira bedeutet namentlich 'Killer';

Meine angeborene Profession,

mein Fluch; ein Segen des Teufels.

 

Kira ist Killer niemals begegnet.

Und teilen dennoch das gleiche Schicksal.

 

Blicken durch die selbigen Augen,

existieren in einem Körper,

spüren ein Herz.

 

...Ersehnen dein Alles.

 

Sehnsucht kann töten.

Ihre Folter das missende Herz verzehren.

 

Dessen sind wir uns bewusst.

Darum haben wir dich nicht verabschiedet.

 

Abschied ist endgültig,

Wiedersehen eine Lüge.

 

Versprechen die Täuschung der Hoffnung.

Wer hofft, hat sich Angst und Verzweiflung hingegeben.

 

Das Piratenherz gleicht einem Kompass,

auf unbestimmtem Kurs Richtung Sehnsucht.

 

Zeit eine Guillotine;

uns einander entreißend,

in Spaltung zweier Menschen.

 

Dauer eine List;

Abstand schaffend,

Entfremdung erzeugend.

 

Distanz eine Begrenzung;

je weiter die Entfernung,

desto stabiler die Immunität.

 

Immun gegen Emotionen,

infiziert von Vereinsamung.

 

Ein krankes Herz kann nicht geheilt werden.

Warum hast du es so sehr versucht, Penguin?

 

...Wenn du selbst es doch bist,

der es infiziert hat.

 

Es ist nun fast eine Woche her,

seit unsere Routen sich trennten.

 

Ich suche nicht nach dir.

Werde dich finden.

Dir auflauern und dich jagen.

 

Die Sieben ist die Zahl.

Du hast keine Wahl...

 

In sieben Tagen bin ich bei dir.

Dann gehörst du gänzlich mir.

 

Sayōnara, Penguin.

 

 

 

~キラ~

 

 

 

Lautlosen Schrittes durchquerte ich den Gang von Kids und meiner Kajüte. In lässigen, gar schlendernden Bewegungen die Meinige aufsuchen wollend. Weit sollte ich nicht kommen.

Mit einem dröhnenden Knall flog die metallische Kapitänskajüte auf. Durch die Einwirkung von Teufelskraft zusätzlichen Schwung besitzend, sodass der erzeugte Windstoß meine blonde Mähne leicht wegfegte.

Kid war schlecht gelaunt. Warum? Dies wusste nicht einmal ich zu analysieren.

 

Einen halben Schritt beschleunigend, folgte ich dem Ruf der Stille meiner Kajüte und steuerte schneller auf sie zu. Vom Flurende erdröhnten Kids schweren Tritte seiner Springerstiefel, indessen meine Absatzschuhe ungehörte Klack-Geräusche erzeugten. Kids bernsteinfarbenen Augen waren in einen dunklen Schleier gehüllt, sein Blick stur geradeaus, an mir vorbei gerichtet.

Meine türlose Räumlichkeit befand sich auf halbem Flur, den ich zeitgleich mit meinem Captain erreichte. Unsere Wege schnitten sich. Er an mir vorbei, ich in meine Kajüte abbiegend.

Beinahe hätte ich es geschafft. Beinahe.

 

Abrupt blieb Kid neben mir stehen. Drehte seinen Kopf wie in Zeitlupe zu mir. Mehrmals blinzelnd. Seine Augen von rauem Bernstein zu geschliffenem Gold wechselnd.

Der Grund? Meine blau-weiß gestreifte Maske, die ich unter meinem Arm trug.

 

„Bist du's... Kira?“, fragte er sinnreich und platzierte seine Hand schwer auf meiner linken Schulter. „In echt jetzt?“

 

Lautlos seufzend nickte ich und wandte mich ihm zu, sah ihn durch den Vorhang meines blonden Ponys an. Seinen geschockten Gesichtsausdruck wollte ich mir um keinen Preis entgehen lassen.

Mehrmals glitt sein Blick prüfend über meine größtenteils verdeckte Mimik, seine geschminkten Lippen leicht geöffnet.

 

„Wo is'n dein Gesicht hin?“

 

Dies brachte mich dazu, amüsiert aufzulachen. Meine Schultern bebten dabei leicht.

Auch Kids Lippen formten ein belustigtes Grinsen, indessen ein kehliges Lachen sie verließ.

 

„Mitkommen“, befahl er mir und zog mich mit seinem breiten Arm um meine Schultern in Richtung seiner Kajüte.

„Seit fucking elf Jahren hat sich deine Visage nich' blicken lassen. Hab 'se noch nie besoffen geseh'n – das muss nachgeholt werden! Saufen. Jetzt. Befehl vom Captain.“

 

„Aye... Was ist mit deiner schlechten Laune?“

„Drauf geschissen. Nichts hebt die Laune besser, als deine Fratze!“

„Falls dies ein Kompliment sein sollte... war es ein lausiges.“

„Jawohl. Haha!“

 

Mit einem basslastigen Dröhnen fiel die Metalltür geräuschvoll hinter uns zu. Kids wegwischende Handbewegung schloss sie, ihre mehrfache Verriegelung klickend hörbar, ehe er die gesicherte Metallluke hinter seinem Königssessel öffnete. Nicht umsonst durfte niemand außer ihm sie durchqueren; Sein heiliges Reich befand sich unter ihr. Seine Werkstatt, mitsamt Schlafgemach und angrenzender Schatzkammer.

 

Geduldig – wie mein Captain nicht war – schleifte er mich mit sich, mit zielgerichteten Schritten durch den Raum. Sprang vor, zog mich mit und knallte die Luke zu. Welch freundliche Einladung...

Wir mussten uns ducken, befanden uns in einer Art Durchgang, ähnelnd einem Schacht, der knapp eineinhalb Meter misste. In Dunkelheit, die mich meine Hand vor Augen nicht sehen ließ. Kid löste seinen Griff um meine Schulter und zog zwei ovale Steine aus seinem Stiefel; Ein Feuerstein und einen aus Feuerstahl.

In einer Hand ließ er die Steine geübt aneinander reiben. Ein konstantes Klicken erklang, indessen rote Funken die kahle Umgebung erhellten. Kids Grinsen in rötliches Schattenlicht hüllend.

 

Drei Abzweigungen; Links, Rechts, Geradeaus. Auf je einer Seite vermutlich Werkstatt und Schatzkammer. Mit einer heran winkenden Bewegung dirigierte er mich geradeaus.

 

„Pass auf die Fallen auf“, warnte er mich dunkel grinsend, zeigte dabei nebensächlich auf die Spinnweben-artigen Stolperdrähte und leicht abgehobenen Holzdielen, die hier überall versteckt waren.

„Ein falscher Schritt und 'ne Explosion fetzt das halbe Schiff weg.“

 

Wie gut zu wissen, dass ich seit Jahren neben einem halben Bombenarsenal schlafe...

Wenn ich daran zurückdenke, wie oft Kid im Vollrausch zu seinen Gemächern getorkelt ist...

 

Er muss jeden einzelnen Mechanismus auswendig kennen...

Sein exzellentes Gedächtnis ist wahrhaft anerkennenswert...

 

Der kurze Durchgang endete bei einer dunklen Wandluke aus Holz, die unser Jolly Roger zierte. Geräuschvoll trat Kid sie geduckt auf. Darauf bedacht, dass sein Stiefel unser Zeichen nicht traf. Das gesamte Dunkelholz um den Jolly Roger war abgenutzt und angekratzt – Nur das Symbol blieb gänzlich unbeschadet.

Was mich schmunzeln ließ. Kid war ein wahrer Kapitän, der seinen Jolly Roger mit Ehre behandelte.

 

„Such dir 'n Platz“, wies er mich an, als er in sein Schlafzimmer voranschritt, ich ihm folgend.

„Hab nich' mit Besuch gerechnet und nich' aufgeräumt- Ha, als ob ich das je tun würde!“

 

Mit der Wucht seiner Stahlkappenstiefel trat er mehrere, leere Flaschen aus dem Weg, die ihm klirrend Platz machten. Bahnte sich dann einen Pfad – den einzig begehbaren – durch den Raum zu seinem Doppelbett und schmiss sich darauf. Schmetterte seinen Waffenbrustgürtel – den Wire letztens zusammennähen musste – in die nächste Ecke und verschränkte einen Arm hinter seinem Kopf, wartend auf meine Gesellschaft.

 

Es gab keine Sitzmöglichkeiten, außer Kleider- und Flaschenberge. Infolgedessen schritt ich zu ihm und setzte mich lässig auf die Bettkante, überschlug dabei meine Beine. Meine Maske ohne Zögern locker auf einen der Kleiderhaufen werfend.

Kid war der Einzige, der je mein Gesicht sah und noch lebte. Hier brauchte ich meine Vermummung nicht. Weder auf dem Flur, dessen Betreten einzig Kapitän und Vize vorbehalten war, noch in seinem oder meinem Reich.

 

Zielsicher griff Kid in den Zwischenraum von Wand und Bett, wo er seinen persönlichen Schnapsvorrat aufbewahrte. Zog eine leicht verstaubte Flasche hervor und hielt sie mir grinsend entgegen. Ein Edelrum des besten Jahrgangs.

 

„Ein goldenes Blondes fürs kühle Blonde.“

Überließ er mir die Ehre, die 'unheilige' Flasche zu öffnen und den ersten Schluck zu trinken. Mit einem lauten Plopp flog der Korken zu den etlichen anderen im Raum. Kid war neben Waffensammler wohl auch Korkensammler.

Schmunzelnd setzte ich den Flaschenhals an meinen Lippen an, spürte das leichte Brennen auf meiner Zunge und roch den intensiven Rumgeruch.

Als ich Kid die Flasche reichte, lachte ich leise.

 

„Ich hasse Rum.“

„Ich weiß. Hast ja auch kein Geschmack. Sieht man an deiner Atompilz-Friese, die mit meiner Pracht-Mähne nich' mithalten kann.“

 

„Dies nennt man Stil.“

„Nenn's wie de willst; Für mich bleiben's Funzeln. Aber hey, ohne sähst'e wohl aus wie das Zyklopen-Einauge der Strohbirnen-Bande.“

 

„Der Weiber-Antiheld?“

„Jop, der Tunten-Taucher.“

 

Kids hämisches Gelächter erfüllte den Raum, indessen ich eine Augenbraue hob.

„Augenblick. Hast du mich soeben als Schönling bezeichnet?“

„Eher als Pussy-Prahler. Haha!

 

Sein Lachen klang anders. Im starken Kontrast zu seiner sonst eher boshaften Art. Es klang ehrlich.

Nun... dieses Kompliment ist gewiss kein lausiges gewesen...

Ein angenehmes Schweigen kam zwischen uns auf. Ein äußerst seltener Zustand in Kids Nähe.

Stumm tranken wir, genossen die ruhige Atmosphäre und gingen keinerlei Gedanken nach. Einzig das Wir zählte. Und der Alkohol. Die Reihenfolge von beidem ist unklar...

Kids Augen waren zur Decke der Kajüte gerichtet, ehe sein Blick, zeitgleich mit dem Meinigen zu meiner Maske schweifte.

 

„Hey, Kira“, nahm seine raue Stimme eine Klangfarbe an, die er zuletzt im Jugendalter trug. Den Stimmton zu beschreiben, war mir unmöglich. Einzig dessen hervorgerufene Emotion deutbar; Sie nannte sich Freundschaft.

„Hast mich warten lassen, Drecksack... Gut, dass de zurück bist.“

 

Langsam strich ich mir meinen Pony hinter mein Ohr, blickte ihn an und schmunzelte. Ein Schmunzeln, nicht von Killer, sondern Kira.

 

„Frag mich, Kid“, bat ich ihn. Dachte zurück an seine einstigen Worte vor vielen Jahren;

'Werde mein Vize, Killer.'

Mein Schmunzeln verzerrte sich in bittere Trübnis.

„Jedoch... habe ich deinen Befehl nicht ausgeführt... und-“

 

Scharf und befehlshaberisch unterbrach mich seine basslastige Stimme.

„Seit wann stotterst'e wie 'n Sitzpisser? Wenn de mir was zu sagen hast, spuck's aus!“

 

Ein lautloses Seufzen verließ meine Lippen, mein Blick blieb unerbittlich auf Kids gerichtet.

„Ich habe keine nützlichen Informationen über das Porneglyph aus P- ...dem Heart-Pirat rausbekommen.“

 

Locker zuckte Kid mit seinen Schultern. „Na und?“

„Dies grenzt an Befehlsverweigerung“, erklärte ich sachlich weiter. Wollte abermals zum Sprechen ansetzen, doch unterbrach er mich erneut. Ein ernster Autoritätston seine Stimme verdunkeln.

„Wie lautete mein Befehl?“

 

Neutral und sachgemäß wiederholte ich Kids Aufgabe an mich wortwörtlich.

„'Gewinne das Vertrauen des Heart-Piraten'...“, begann ich, meine kristallklare Stimme nachdenklicher und langsamer werdend.

„...'und zerstöre ihn.'“

 

Kids Grinsen wurde breiter.

„Wiederhol' den letzten Satz.“

 

Und zerstöre-

Meine Lippen konnten nicht weiter sprechen, waren nicht imstande dazu, blieben fassungslos geöffnet.

Ich verstand. Verstand die Botschaft hinter Kids Worten in ihrer Gänzlichkeit.

Sein raues, doch warmes Lachen nahm ich nur unbewusst wahr.

 

„Is' deine Leuchte endlich angegangen. Hab gedacht, wärst so'n schlaues Schlitzohr... Dass ich den Tag noch erleben darf, an dem ich deine helle Birne haushoch besieg. ...Prost!“

 

Zerstöre ihn...

Zerstöre 'Killer'...

 

Ist die Entführung des Heart-Piraten nur aus diesem Grund von ihm inszeniert worden?

...Um Kira zurückzuholen?

 

Was hat Kid in Penguin gesehen, was meinen Augen zu jener Zeit verwehrt blieben?

 

„Ha! Du solltest deine Visage sehen. Dafür haben sich die elf Jahre warten gelohnt!“

 

Kid ist mindestens ein ebenso großes Mysterium,

wie ich selbst es für andere bin...

 

Grinsend hielt er mir die Flasche hin. Abwesend griff ich nach ihr.

Umgriff dabei jedoch seine Hand, welche das Glas nicht losließ. Tief sah er mir in die Augen, übergab mir dann die Flasche und ballte seine Hand zur lockeren Faust, welche er mir stattdessen entgegenhielt.

Seine dunkle Stimme autoritär und unmissverständlich. Sein Satz die Antwort, die ich suchte.

 

„Du bist mein Partner, Kira.“

 

Keine Frage, eine Kapitänsentscheidung.

Einstige Worte, die nun einen Namen trugen.

 

Meine Faust traf auf die Seinige.

 

„Aye, Captain.“

 

 

 

 

 

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„Aye, Käpt'n.“

 

Sprach ich in die Mini-Teleschnecke mit gefleckter Plüschmütze und kappte die Verbindung.

Land in Sicht. Law informierte uns über Bepos Entdeckung und schickte uns auf unsere Posten. Bis zur Ankunft sollten wir unseren gewohnten Aufgaben nachgehen.

Doch zuvor bog ich in den Gang zum Navigationsraum ein. Was ich dort wollte? Bloß eine sachliche Information einholen.

In meiner Hand die schwarz-weiß gepunktete Pinguin-Feder haltend, lehnte ich mich locker gegen den Türrahmen und sprach Bepo mit desinteressierter Stimme an.

 

„Irgendwelche Schiffe in der Nähe?“, fragte ich unseren Navigator.

Wie jeden verdammten Tag. Wie immer erhielt ich die gleiche Antwort.

„Nein. Tut mir leid.“

 

Mit einem dankenden Nicken zog ich den Schirm meiner Kappe über meine Augen und verließ stumm seufzend den Navi-Raum. Die gepunktete Feder drehte ich unruhig zwischen meinen Fingern und steckte sie letztlich zurück in meine Overall-Brusttasche. Nahm mir stattdessen einen Schraubenschlüssel, den ich locker in meiner Hand rotieren ließ, während ich zurück zu meinem Arbeitsplatz ging, dem Maschinenraum.

Ich war – neben Assistenzarzt – zudem Mechaniker und kümmerte mich um die Instandhaltung unserer Gerätschaften.

Jeder Heart-Pirat übte zwei Berufungen aus, eine von ihnen im Medizinfeld.

 

Unser gewohnter Piratenalltag war zurückgekehrt, mit ihr die Routine. Ich hatte mein altes Leben wieder.

Die Kid-Piraten waren fast vergessen... bloß fast. Materielle und geistige Erinnerungen überdauerten die Zeit.

 

Wenig später erreichte ich den Maschinenraum. Das Alleinsein, untermalt von den gleichbleibenden Brummgeräusche der Maschinen, verschaffte mir Ruhe. Hier war mein Rückzugsort. Der Platz, an dem ich hingehörte. Wo ich ungestört nachdenken konnte... doch nicht wollte.

Sobald ich meinen Gedanken begann zuzuhören, verfluchte ich sie. Sie redeten mir Blödsinn ein.

 

Als ob ich jemanden vermissen würde...

Pah, soweit kommt's noch!

 

Ablenkung war die beste Medizin. Wenn ein Heart-Pirat nicht wusste, was das optimale Medikament war, dann wusste es niemand.

So schraubte ich eher lustlos an einer lockeren Sechskant-Schraube eines großen Rohrs herum, prüfte die anderen nach ihrer Richtigkeit und warf mehrere Blicke auf die Anzeigen der Motormaschinen. Das Zucken der roten Anschlagnadel verfolgte ich einige Momente mit gelangweiltem Blick. Setzte mich dann auf eines der Rohre und stützte meine Ellenbogen locker auf meine Oberschenkel, meine Hände zwischen meinen Beinen lässig herabhängend.

Drei Sekunden später lüftete ich meine Kappe. Zwei weitere nahm ich sie ab und strich mir wirr durch mein kurzes Haar. Eine letzte... und ich schmiss den Schraubenschlüssel in die nächste Ecke. Wo er laut scheppernd liegen blieb.

 

Diese verdammte Ruhe ist nicht auszuhalten!

 

Knurrend sprang ich auf und lief in unruhigen Kreisen zwischen den Geräten hin und her. Ihre abgesonderte Hitze war heute noch unerträglicher. Das Oberteil meines weißen Overalls von meinen Schultern streifend, band ich mir dessen Ärmel um meine Hüfte.

Egal, wie warm es war, meine Kappe behielt ich stets an.

 

Plötzlich wurde die Tür zum Maschinenraum mit Schwung aufgestoßen. Was mich in meiner kreisenden Bewegung anhalten ließ, ehe ich einen Giftblick Richtung des Störenfrieds warf. Die gute Laune in Person hatte mir gerade noch gefehlt.

 

„Huhuuu, Penguin-“

„Nenn mich nicht so!“, fauchte ich Shachi dazwischen.

Der Name erinnerte mich an das, woran ich mich nicht erinnern wollte. Jedes Crew-Mitglied, das meine Kappenaufschrift laut las, tat es nur einmal. Der Schatten meines Kappenschirms war zu meiner Waffe geworden. Er verlieh meinen Augen eine ausdrucksstarke Bedrohlichkeit.

 

Lange konnte ich meinen besten Freund jedoch nicht wütend ansehen. Weswegen ich nun seufzend meinen Blick von seinem fragenden abwandte und meine Arme vor meiner Brust verschränkte. Leise murrte ich ihm eine Entschuldigung zu und senkte meinen Kopf. Shachi konnte nichts für meine Unausgeglichenheit.

„'Tschuldige. Was gibt’s?“

 

Mehrere Augenblicke sah Shachi mich prüfend an. Seine Sorge um mich konnte ich selbst durch die verdunkelten Gläser seiner Sonnenbrille sehen. Dann kam er lächelnd auf mich zu.

„Nichts. Ich hab dich einfach sehen wollen“, gestand er mir offen. Legte mir lachend seinen Arm um meine angespannten Schultern und hielt mir dann ein Zuckerstück vor meinen aufeinander gepressten Mund.

„Iss einen Zuckerwürfel, sonst wirst du noch zum Brummbär. Einer in der Crew reicht alle Male.“

 

„Ich verzichte“, schob ich seine Hand weg, die den Würfel gegen meine knurrenden Lippen presste.

Shachi zuckte mit seinen Schultern; „Dann eben nicht“, und steckte ihn sich selbst in seinen lächelnden Mund. Seine Stimme hellte sich auf, während sein Lächeln breiter wurde.

„Ich mag dich auch, wenn du schlechte Laune hast, Peng.“

 

Seine überzuckerte Offenherzigkeit ist schädlich für meinen säuerlichen Säure-Haushalt..

Diabetes ist nichts gegen Shachis Honigmaul...

 

„Solltest du nicht im Lager sein?“, lenkte ich ab und sah seinen ertappten Gesichtsausdruck. Seine Augen schauten überall hin, nur nicht zu mir.

„Eigentlich schon... Also, na ja, das war so-“

 

Seine phantasievollen Ausreden blieben ungehört, wurden jäh unterbrochen.

Die ohrenbetäubenden Alarmsirenen. Erschallend durch das gesamte U-Boot. Orange flutete alle Räumlichkeiten. Die Deckenleuchter blinkten warnend auf.

Hallo, Ablenkung!

Es war das automatische Notfallsystem, das schlagartig Bewegung in die Mannschaft brachte. Die elektronische Stimme berichteten uns über die Wandlautsprecher von der Lage.

 

„Mehrere Beschädigungen in Sektor Acht. Rapider Wasseranstieg. Zehn Minuten verbleiben bis zur Überflutung des Sektors.“

 

Shachi und ich schauten uns an. Griffen uns je einen Schweißbrenner. Und rannten los.

 

Zeitgleich spürten wir das Beben, das unsere Rennbewegung erschwerte. Eine Außeneinwirkung musste es erzeugen. Irgendetwas griff die Polar Tang an.

Auf dem schmalen Gang hörten wir die Schritte und Stimmen der anderen, die allesamt auf dem Weg zur untersten Ebene waren, wo sich der Maschinenraum befand. Shachi und ich waren somit am nächsten an Sektor Acht; Einem der Lagerräume. Dort bewahrten wir unsere Sprengladungen auf. Torpedos und andere, hochexplosive Fracht.

Nun war es der gefasste Stimmklang unseres Kapitäns, der durch die Schneckensprecher ertönte.

 

„Bringt die Ladung ins zweite Lager und dämmt die Lecks. Bepo, leite den Turboantrieb ein.“

 

Ein starker Ruck ging durch die Polar Tang.

Shachi und ich stießen die metallische Tür synchron mit unseren Schultern auf. Wir waren ein eingespieltes Team, bis zum letzten Muskelzucken synchronisiert.

 

Überall Wasser. Rauschend schoss es durch die Löcher in den Wänden ins Innere. Der Wasseranstieg so rapide, dass wir bereits bis zu unseren Knien hoch darin standen. Unsere weißen Hosenbeine waren völlig durchgeweicht.

Die Gegenwirkung des nassen Elements erlahmte uns, erschwerte uns den Weg, den wir mit mühevollen Schritten durchkämpften. Immerhin blieben unsere Socken – dank der wasserfesten Stiefel – trocken.

 

Im Frachtlager angekommen, nahmen wir uns wortlos einen der schweren Torpedos, jeder eine Seite anpackend und ihn hochhebend. Zeitgleich stürmten weitere Männer in den flutenden Raum und taten es uns gleich.

Nach und nach schafften wir im Eiltempo die explosiven Gegenstände aus dem Raum. Erst dann konnten wir damit beginnen, die Lecks zu schließen.

 

Mittlerweile ragte uns das Wasser bis zu unserer Brust. Die Tür wurde vorsorglich hinter Shachi und mir verschlossen, damit die gesamte Ebene nicht zu überschwemmen drohte.

In absoluter Synchronisation agierten mein bester Freund und ich. Zugleich zogen wir den Sichtschutz der Schweißermaske über unsere Gesichter, ehe wir die Schweißbrenner einschalteten. Routiniert griffen wir uns jeder eine Stahlplatte, drückten sie gegen die beschädigten Wände und begannen sie dort anzuschweißen.

Stichflammen glühten, Funken sprühten, Metall schmolz. Wir handelten völlig im Automatik-Modus.

 

Insgesamt waren es sechs Lecks. Zu unserem Glück befanden sie sich über dem ansteigenden Wasserspiegel. Andernfalls hätte das Element das Schmelzmetall brüchig werden lassen.

Als wir an den letzten beiden Lecks arbeiteten, standen wir bis zu unserem Hals in Salzwasser. Shachi – der einen Kopf kleiner war, als ich – sogar fast bis zu seiner Nase, durch die er atmen musste.

Rechtzeitig konnten wir unsere Arbeit beenden, womit wir den Flüssigkeitsanstieg stoppten.

 

Nun musste das Wasser nur noch durch einen Schlauch abgepumpt werden. Weil wir uns jedoch Unterwasser befanden, mussten wir dafür auftauchen. Den Auftauchvorgang hatte Bepo bereits mit dem Turboantrieb eingeleitet. So waren Shachi und ich vorerst hier eingesperrt.

Was auch immer uns angegriffen hatte – Wir konnten ihm entkommen. Es waren wohl aggressive Meeresbewohner. Der Löcherform nach zu urteilen, vermutlich Schwertfische mit verstärkter Schnauze, die durch die Außenhülle des U-Boots stießen. Auf der Grandline hausten die seltsamsten Kreaturen.

Auch diesmal gingen sie der Polar Tang am Heck vorbei.

 

Ein ganz normaler Tag im Leben eines Heart-Piraten...

 

„Und jetzt?“, blubberte mir mein bester Freund zu. Er musste sich auf Zehenspitzen stellen, um mit mir sprechen zu können und seinen Kopf über Wasser zu halten.

Seufzend antwortete ich ihm;

„Jetzt heißt es warten.“

 

„Wie langweilig...“

„Das hat Warten so an sich.“

 

Voller Euphorie fragte er mich;

„Wie wär's mit einem Wasserkampf?“

„Nein.“

„Ein Wettschwimmen?“

„Nein.“

„Und wie wäre-?“

„Nein.“

 

„Menno, doofer Spielverderber...“, schmollte Shachi und sank mit seinen aufgeblasenen Backen ins Wasser. Neben ihm trieb seine Sonnenbrille, weswegen ich seinen beleidigten Blick in all seiner Trotzigkeit zu spüren bekam. Die reinste Folter... nicht.

Weil ich resistent gegen seine Spaß-Erreger war und sein Ausdruck keine Wirkung erzielte, versuchte er es mit seiner Geheimwaffe: Das Ohrabkauen.

 

So redete er fröhlich – ohne Punkt, Komma und jegliches anderes Satzzeichen – über alles, was ihm so durch den Sinn ging; zu viel.

Von seinem Frühstück, über seine patentierten Horror-Rezepte, bis zu seinen Träumen und seinen morgigen Plänen konnte ich mir alles, wirklich alles anhören. Musste traf es eher. Selbst der dicke Seitenstoff meiner Kappe konnte Shachis helles Stimmorgan nicht dämmen.

 

Ob ich mich selbst ertränken kann?

Einen Versuch wär's wert...

 

BlubbBla ...Und dann werde ich Bepo einen riesigen Fisch fangen! BlaBlubbBla ...Fünfundsiebzig. Hier sind fünfundsiebzig Schrauben in der Wand. BlaBlubb ...Oh nein, meine Zuckerwürfel sind aufgeweicht... Egal. Jetzt schwimmen wir in Zuckerwasser! Juhu~“

Eine Pause, um dem Echo seines Jubelrufs zu lauschen.

Dann blickte er mich wieder in all seiner Naivität an. Ein Blick, der nichts Gutes verhieß.

„Peng-Peng? Hör mal... Du bist viel grimmiger geworden, seit du mit diesem blonden Todesmäher-“

 

„Bin ich nicht!“, schoss meine Antwort verdächtig schnell über meine Lippen. Meinen Kappenschirm zog ich eilig über meine Augen, ihren verräterischen Wahrheitsfunken verbergend.

Warum muss er ausgerechnet dieses Thema ansprechen?!

 

„Weißt du, ich hab euch am Strand gesehen und-“

„Hast du nicht.“ Hat er nicht... Hat er nicht...

„Doch, hab ich wohel.“ Verdammt! Kann es noch schlimmer werden?

„Was habt ihr da eigentlich gemacht?“ Kann es... und wie es das kann!

 

Shachis erwartungsvollen Augen blickten mich mit vollstem Interesse an – plötzlich völlig stumm geworden – während ich immer weiter rückwärts von ihm wegschwamm. Ich konnte meinen besten Freund nicht belügen. Schweigen war definitiv die bessere Wahl.

...Wäre Shachi nur nicht so hartnäckig.

 

„Sag schon, Peng. Oder vertraust du mir etwa nicht?“

 

Die Vertrauens-Trumpfkarte...

Die hat die Flitzpiepe doch mit voller Absicht gespielt!

 

Ach, verflucht... Was soll's...

Kappenschirm runter und durch...

 

Meinen Blick auf das Wasser vor mir richtend, antwortete ich zögerlich;

„Wir...“ „Ihr?“ „Nun ja...“ „Ja?“ Jetzt mach's mir nicht noch schwerer!

 

Im Ernst: Wie halte ich das tagtäglich mit diesem Weichkeks aus?

Ah, stimmt... Das nennt sich Familie...

 

Ein Seufzen meinerseits. Dann rückte ich mit der Sprache raus.

„Keine Ahnung...“, fuhr ich mir nervös über meinen Nacken, holte Luft und zuckte dann mit meinen Schultern.

„Wir haben uns bloß... geküsst“, presste ich das letzte Wort nuschelnd hervor.

 

„Ihr habt... WAS?!“

Erinnerung an mich selbst: In Shachis Nähe immer Marimo-Stöpsel dabeihaben...

 

Der Gesichtsausdruck ist's mir wert gewesen...

Seine Augen sind fast Waltran-fett geworden...

 

„Ist doch nichts dabei“, versuchte ich das Ganze, mitsamt meiner Verlegenheit herunterzuspielen und mimte den Lässigen. Innerlich wütete ein Schwarm Stachelrochen in meiner Brust. Mein Herzschlag überschlug sich fast vor Nervosität.

 

Hellauf begeistert schwamm Shachi Richtung Tür.

„Das muss ich sofort Bepo erzählen! Und Law-“

„Hiergeblieben!“, hielt ich ihn von hinten an seinem Overall-Kragen fest. „Das kannst du sowas von knicken!“

Wir dürfen und können hier ohnehin nicht raus...

 

„Shachi“, sah ich ihn nun ernst an, ihm tief in seine honigfarbenen Augen blickend.

„Versprich mir, dass du es niemandem sagst.“

 

„Nicht mal Bepo?“

„Nein, auch nicht ihm.“

„Okay.“

 

So einfach?, suchte ich in seinen unschuldig leuchtenden Augen nach etwas Trügendem. Shachi log nicht. Was mich erleichtert aufatmen ließ.

„Danke.“

 

In all seiner naiven Unschuld fragte er plötzlich mit vollstem Ernst:

„Aber, Peng... bist du jetzt nicht schwanger?“ Was zum Henker, Shachi!?

 

Imaginär klatschte ich mir meine Handfläche gegen meine Stirn. Mein `Dein-Ernst´-Blick schwankte zwischen Fassungslosigkeit und Unglaube. Soll ich nun weinen oder lachen?

Ich entschied mich für Letzteres. Ausgelassen prustend, schüttelte ich meinen Kopf, womit mir meine Kappe halb vom Kopf rutschte.

 

Shachi war ein Spezialist in der Krankenpflege. Er kannte sich mit allen pflegerischen Tätigkeiten bestens aus. Von Gynäkologie und Urologie hatte er jedoch nicht den blassesten Schimmer. Laws Spezialgebiet war die innere Medizin, mitsamt Chirurgie. Mein Fachgebiet; Die Allgemeinmedizin.

Zwischen zwei lachenden Atemzügen legte ich meine flache Hand auf seine Ballonmütze und sagte dann in grinsender Zweideutigkeit:

„Du hast von tuten und blasen echt keine Ahnung.“

„Hey, ich kann Mundharmonika spielen!“

 

Ja, das kannst du...

Wie stolz er darauf ist...

 

Shachis Treuherzigkeit ließ mich zum ersten Mal seit Tagen sorglos lachen. Meine schlechte Laune wurde durch seine gute deutlich besser. Wir glichen uns stets aus. Unser bescheuertes Gespräch hatte mich allen Ernstes aufgeheitert. Hat er die dämliche Frage etwa absichtlich gestellt?

Für manche mochte Shachi eine naiver Plagegeist sein... für mich ist und bleibt er mein Bruder.

Seine Liebe war die reinste, die ich jemals erfahren hatte. Sie galt ganz allein seiner Familie und seinen Freunden. Shachis Empathievermögen war ausgeprägter, als bei jedem anderen Piraten – Er verkörperte einen wahren Heart-Piraten.

Mein Grinsen wurde breiter, als ich auf das Jolly Roger-Symbol seiner linken Brustseite sah. Wir trugen unsere weißen Overalls mit vollstem Stolz.

 

Neugierig, wie Shachi nun mal war, fragte er;

„Und was ist danach am Strand passiert?“

„Nichts.“

„Wie 'nichts'? Ich will wissen, wie's weitergeht!“

„Wir sind wortlos zu unseren Schiffen zurück und getrennte Routen gefahren- Warum erzähl ich dir das, du warst dabei, du Depp!“

„Stimmt, hehe...“

 

Wenige Zeit später durchbrach die Polar Tang die Wasseroberfläche. Kurz darauf öffnete sich die Tür, womit Shachi und ich den Raum verlassen konnten. Während die anderen sich um das Abpumpen der Überflutung kümmerten, begaben wir uns zum Deck.

Die Sonne stand hoch. Das Gebiet von tropisch-heißen Temperaturen erfüllt, sollten unsere nassen Kleider binnen einer Stunde trocken sein. Eine Dusche – wegen dem kratzenden Salz auf unserer Haut – war dennoch nicht umgehbar.

Wie immer war Bepo einer der Ersten an Deck. Durch sein dickes Fell schwitzte er schneller in dem viel zu warmen U-Boot. Jedes Auftauchen war für ihn eine Erlösung.

 

Doch nicht heute. Heute war seine Stimmung nicht aufhellbar.

Auf der Polar Tang war alles beim Alten. Kaum etwas hatte sich in meiner Abwesenheit verändert.

Außer eines; Ein Mink mit Liebeskummer.

Bepos neuestes Hobby war der Jammergesang über sich selbst, den wir uns seit Tagen anhören mussten.

 

Kaum eine Veränderung, wie ich schon sagte...

 

Bepo, Shachi und ich standen am unteren Deck des U-Boots, weit abseits von den anderen. Unser kurzer Not-Stopp hatte uns zu einer kleinen Tropeninsel geführt.

Auch heute brummte Bepo unverständliche Jammertiraden vor sich hin und lief unruhig auf dem Deck auf und ab. Damit machte er nicht nur sich selbst nervös, sondern die gesamte Crew. Die Stimmung litt merkbar unter unserem Brummbären.

Mit heruntergezogenem Kappenschirm beobachtete ich ihn und stützte mich seufzend auf der Reling ab. Das Trauerspiel war echt nicht mehr mitanzusehen.

 

Was ist bloß los mit ihm?

Wie können wir ihm nur helfen-?

 

Plötzlich blieb Bepo abrupt stehen. Seine dunkle Bärennase zuckte kurz. Dabei stellten sich seine weißen Ohren auf, ehe er seinen Kopf langsam zum Horizont drehte. Wie eine Salzsäule gefror er in seiner Position und starrte gar entsetzt über die Reling zur Waldinsel.

Übernervös funkelten seine onyxfarbenen Knopfaugen, hin und her gerissen zwischen tierischer Angst und animalischer Innigkeit. Einen Spalt weit stand seine Schnauze offen, kein Jammerwort mehr hervorbringend. Hinter seinem weißen Fell erschien ein leichter Rotschimmer auf seinen Wangen.

Shachi und ich warfen uns einen fragenden Blick zu, bevor wir an Bepos Rücken vorbei zur Insel schauten. Und synchron grinsten.

 

„Oho~“, pfiff Shachi summend, während ich meine Arme lässig vor meiner Brust verschränkte und Bepo wissend angrinste.

„Das ist sie also... deine Bärenfrau.“

 

Ohne Scherz; Bepo hatte soeben seine Auserwählte erkoren.

Ein Wunder ist geschehen! Dass wir das nochmal erleben!

 

Eine Pandabärin. Die Dame hatte uns längst entdeckt, saß am Ufer und schaute mit einem Bambusstock im Maul interessiert zu uns rüber.

Shachi beugte sich flüsternd zu Bepos linkem Ohr. „Hey, sie sieht her.

 

Geräuschvoll klappte Bepos Schnauze zu, bevor er sich mit seinen Tatzen seine Knopfaugen zuhielt. Als dürfte er seine Auserwählte nicht ansehen, als wäre er ihrer nicht würdig.

Lächelnd legte Shachi seinen Arm um Bepos Schultern.

 

„Schnapp sie dir, Grizzly!“, feuerte er ihn ermutigend an. Locker legte ich meine Hand auf Bepos Schulter, meine sanfte Stimme Aufmunterung und Zuspruch tragend.

„Du schaffst das. Wir glauben an dich.“

 

Vehement schüttelte Bepo seinen Kopf, ließ seine Ohren schlapp hängen und schaute zwischen seinen weißen Tatzen schüchtern zu ihr. Fragend legte die Pandabärin ihren Kopf schief und kaute ruhig weiter auf ihrem Bambusstock, den sie in ihrer schwarzen Pfote hielt.

Langsam nahm sie den Stock aus ihrer Schnauze, ihre schwarzen Lefzen nach oben ziehend, und hielt den Bambus nach vorne. Als würde sie ihn Bepo anbieten wollen.

 

Shachis Lächeln wurde breiter.

„Trau dich. Geh zu ihr“, lächelte er ihm aufbauend zu.

„Keine Panik, wir sind bei dir. Auf uns kannst du zählen!“

 

Grinsend zog ich den Schirm meiner Kappe herunter.

„In dir schlägt der Jolly Roger der Heart-Piraten, Bepo“, sprach Stolz aus meiner Stimme. Mit einem Auge hinter meinem schräg-liegenden Kappenschirm funkelte ich ihn in Verbundenheit an.

„Wer, wenn nicht du, kann ihr Herz erobern?“

 

„I-Ich“, zitterte Bepos brummige Stimme, „meine Hinterpfoten wollen sich nicht bewegen...“

 

Mein Grinsen wurde verwegen.

„Wenn das so ist...“

Schauten Shachi und ich uns wissend an, nickten uns hinter Bepos Rücken zu und sprachen synchron;

„...werden wir dir liebend gern helfen.“

 

Zeitgleich gingen wir langsam in die Hocke, nahmen eine gespiegelte Karate-Haltung ein...

„Dafür sind Freunde schließlich da!“

...Und kickten Bepo mit einem liebevollen Doppel-Karate-Tritt über die Reling.

 

Mit einem abklatschenden High-Five schlugen Shachi und ich ein. Hinter uns ein lautes Platschen, mitsamt aufsteigender Wasserfontäne und Bepos ersticktem Japsen hörbar.

Als er unter der Oberfläche auftauchte, schüttelte er kurz das nasse Fell seines Kopfes und blickte unsicher zu uns rauf. Seine unausgesprochene Frage beantworteten wir mit einem;

„Natürlich stehen wir dir zur Seite!“

 

Noch während unseres Rufens sprangen wir ihm nach, hielten dabei grinsend unsere Mützen fest und landeten je links und rechts neben ihm im lauwarmen Meer. Zu dritt lächelten wir uns an. Angespornt durch unseren Beistand, fand Bepo endlich den Mut, dem Ruf seines Herzens zu folgen.

Seine onyxfarbenen Knopfaugen leuchteten in Tapferkeit und Selbstbewusstsein, ehe er los schwamm, zielsicher Richtung Waldufer. Wie ein Torpedo schoss er auf seine Angebetete zu, sodass wir kaum mit ihm mithalten konnten.

 

Als drittes und viertes Segel am Schiff, blieben wir abseits. Feuerten ihn stumm vom Uferrand aus an und beobachten ihn von einer günstigen Position, hinter zwei Büschen. Unsere Daumen blieben für unseren Nakama gedrückt.

 

Klitschnass, sein Fell und Overall völlig durchnässt, stieg Bepo aus dem Meer ans Ufer, wo die Pandabärin saß. Kurz schüttelte er sich – Wasser und Nervosität gleichermaßen abschüttelnd – bevor er mutig zu ihr tapste. Selbstsicher stand er vor ihr, strich sich das feuchte Fell seines Kopfes mit seiner Pfote nach hinten und sah ihr mit dem Onyx-Funke der Entschlossenheit in ihre obsidianfarbenen Augen.

Dann begann er zu sprechen, in einer tief-grollenden Bärenstimme, die überhaupt nicht zu ihm passte. Er ging in die Vollen, mimte den vorbildlichen Gentlebär.

 

„Bepo“, stellte er sich knapp vor, verbeugte sich vor ihr und nahm ihre schmalere Tatze in die hellere Seine. Kavaliersmäßig hauchte er einen Luftkuss auf ihren Pfotenrücken und brachte sie damit in geschmeichelte Verlegenheit. Es läuft gut... zu gut...

 

Als er zu ihrem Gesicht aufsah, fiel sein Blick auf ihre schwarzen Ohren – seine absolute Schwäche. Das war der Moment, in dem seine innere Unruhe gewann. In dem alles schief ging.

Seine Stimme begann zu zittern, wie er selbst, sein Stimmton schwankend zwischen höchstem Piepsen und tiefstem Grollen. Aus seiner Schnauze sprudelten alle möglichen Worte, die keinen Zusammenhang besaßen.

 

„N-Niedlich. Du niedlich. Ohren flauschig. Entschuldigung! Ich Bepo. Ich Bepo“, hatte er einen Hänger, wiederholte seinen Namen in Dauerschleife, bis er bloß noch unverständliches Kaudawels hervorbrachte. Seine Wangen wurden mit jedem Wort röter.

Plötzlich ergriff ihn die Panik. Geschockt ließ er ihre gehaltene Tatze los und drehte sich blitzschnell um. Eilends sprang er kopfüber ins Meer zurück. Was tut er?!

 

Ein Wellenschlag später hopste er wieder ans Ufer. Auf allen Vieren und mit gesenktem Kopf reumütig zu ihr laufend. In seiner Schnauze einen großen Fisch tragend, den er vor ihre Füße legte.

 

„Fisch!“, zeigte er auf seinen Fang und anschließend auf sie. „Du Fisch. F-Für dich.“

Hat er sie gerade 'Fisch' genannt?

 

Was er dann sagte, in aller Ernsthaftigkeit, ließ Shachi und meine Kinnlade zu Boden segeln.

 

„Paare dich mit mir!“

Doch damit nicht genug, musste die Fusselstrippe noch eins drauf setzen.

„Die Namen unserer fünfzig Junges werden...“

Er zählte ihre Namen auf. Jeden einzelnen.

Fremdscham war eine maßlose Untertreibung.

 

Nach Bepos Flusenflut herrschte Stille. Absolute Stille.

Zu dritt hielten wir den Atem an. Angespannt auf die Reaktion der Pandabärin wartend.

Kein einziges Mal hatte sie ihren Blick von Bepo abgewendet, keine einzige Regung gezeigt. Bis jetzt.

 

Ein weibliches Bärengrollen hallte über die Insel. Ich konnte kein Bärisch, deutete die höher werdende Stimmlage jedoch als gutes Zeichen, gar als einen Freudenruf.

Euphorisch stach sie den Fisch auf ihren Bambusstock und fraß ihn glücklich. Bepo indessen kratzte sich verdutzt an seinem Hinterkopf.

 

„Oh...“, brachte er sinnreich hervor, „du sprichst ja gar keine Menschensprache.“

 

Womit ihr die fusselnde Tragödie erspart geblieben ist...

Hey, das heißt; Er hat immer noch eine Chance!

 

Daraufhin unterhielten sich die beiden in tierischen Worten. Bepo in seiner Muttersprache reden zu hören war echt seltsam. Aber zeitgleich erinnerte es uns daran, dass er nur für uns die menschliche Sprache erlernt hatte. Um Freunde zu finden. Freundschaft kannte immer eine Route.

 

Zwischen all den Groll-Lauten erkannten wir nur ein einziges Wort, welches die Bärin mit lächelnden Lefzen aussprach. Es lautete; 'Bepo'

 

Irgendwann beschlossen wir, die beiden allein zu lassen. Shachi und ich kehrten zur Polar Tang zurück, einen letzten Blick auf das Bärenpaar werfend, welches ihre Schnauzen sanft aneinander rieb.

Ist das eine Begrüßung? Eine freundschaftliche Geste? Oder... mehr?

Wenig später knabberten sie beide an je einem Ende des Bambusstocks. Wie Fussel und Struppi...

 

Selbst Law hatte sich irgendwann zu uns an die Reling gesellt. Seine tätowierten Arme auf ihr abgestützt, ein leichtes Schmunzeln umspielte seine Lippen.

Eigentlich hätten wir längst wieder ablegen müssen. Eigentlich.

Unser Käpt'n war die Pünktlichkeit in Person. Verzögerungen standen auf seiner schwarzen Liste der hundert unannehmbaren Dinge. Gefolgt von seiner grauen Liste der unzumutbaren. Und allen anderen dunklen Farben, die je eine eigene Liste umfassten.

 

Doch heute machte er eine Ausnahme. Er würde Bepo später zu jeder Einzelheit ausfragen.

Laws Beschützerinstinkt gegenüber seiner Crew ist verdammt unheimlich und grenzt an extremes Stalking...

 

Na ja... Der Wille zählt...

 

„Gute Arbeit“, lobte er uns plötzlich für unsere Reparaturarbeit. Was Shachi und mich verdammt stolz machte.

Ein Lob von unserem Käpt'n war eine Seltenheit. Meist nickte er lediglich anerkennend – Die Worte zu hören, brachte uns in leichte Verlegenheit. Weswegen Shachi und ich unsere Mützen herunterzogen und peinlich berührt lachten. Breiter hätten wir nicht vor uns hin grinsen können.

Ohne weitere Worte ging Law schweigend ins Schiffsinnere. Shachi und ich sahen ihm perplex nach.

 

Ist er etwa nur um uns das zu sagen hierher gekommen?

Blödsinn... oder?

 

Als Bepo später wiederkam, trug er ein verträumtes Grinsen auf seinen Lefzen, als hätte er einen Jahresvorrat Edelfisch erbeutet. Bepo schwieg abwesend, gedanklich im Glücksbärenland.

Langsam tauchte die Polar Tang ab. Bepo leicht betrübt werdend. Was sich schnell änderte.

Über das Meer schallte ein inbrünstiges Pandarufen. Im Abschied, der nicht für immer währen sollte.

 

Neugierig fragte Shachi; „Was hat sie gesagt?“

Bepo lächelte wissend. Hüllte sich in Schweigen. Sein funkelnder Blick ins Nichts und Alles gerichtet.

Erst nach mehreren Minuten fand er ins Hier und jetzt zurück.

 

„'Sie' hat einen Namen. Sie heißt Mimi“, erzählte er stolz und übersetzte dann ihre Worte für uns;

„'Ich werde auf dich warten, bis die Gezeiten dich mir wiederbringen.'“

Ein tiefer Rotton umschmeichelte Bepos Wangen, als er in einer leiseren Stimmlage peinlich berührt zu Ende sprach.

„...'Mein Bärchen.'“

 

Das hätte er uns nun wirklich nicht übersetzen müssen...

 

Shachi fragte ihn überschwänglich weiter aus, während ich grinsend meinen Kappenschirm herunterzog und mich zurück auf meinen Posten begab. Beim Gehen hörte ich noch einen Teil ihres Gesprächs mit, Bepos Stimme immer leiser werdend, bis die zufallende Tür sie vollends abdämmte.

 

Wenn ein Heart glücklich ist, sind es alle...

Unsere Herzen schlagen im Einklang...

 

Mein Herz gefror. Mit ihm das Blut in meinen Adern und ich selbst.

Zu meiner Überraschung – Schock traf es eher – begegnete ich Law, der im Maschinenraum auf mich wartete. Das tat er noch nie. Etwas stimmte hier ganz und gar nicht.

Mein Nervosität-Pegel schoss sofort über die Werte-Skala. W-Was hab ich angestellt?!

Oh nein, ist es wegen dem einen Mal vor einer Woche, als-

 

„Peng-ya“, klang seine autoritäre Stimme ernst. Viel zu ernst.

Mir lief kalter Schweiß den Rücken herunter, als ich meine Kappe abnahm und meinen Käpt'n ansah. Seine silbernen Augen schnitten sich in die meinen.

Piepsend brachte ich ein; „Ja?“, hervor.

 

Sekunden, die sich wie Tage anfühlten verstrichen. Bis Laws Augenlicht kurz aufblitzte.

Ohne seinen Blick von meinem zu lassen, drückte er mir wortlos etwas in meine Hand. Weswegen ich den Blickkontakt brach, um auf die Schriftrolle zu sehen. Ich erkannte sie sofort.

 

„Ist das etwa-?“

„In der Tat.“

 

Geschockt sah ich ihn an. Dass er mir etwas von solcher Wichtigkeit anvertraute, konnte ich in Verblüffung nicht begreifen. Laws Blick blieb nüchtern und sachlich.

 

„Als mein Vize weißt du, was du zu tun hast.“

 

Ich nickte abwesend, während er bereits zum Gehen ansetzen wollte. Doch hielt ich ihn mit meiner Stimme auf. Nun war der richtige Zeitpunkt um ihn zu fragen. Auch, wenn ich damit das Thema komplett wechselte.

 

„Wie hast du es gemacht?“ Dass meine Frage zu undeutlich formuliert war, merkte ich an seiner hochgezogenen Augenbraue. Also versuchte ich es erneut, deutlicher.

„Meine Gedächtnisstörung. Wie hast du mir meine Erinnerungen wiedergeben können?“

 

Law hüllte sich in Schweigen. Ein wissendes Schmunzeln tragend.

Gespannt wartete ich auf seine Antwort und fügte noch einen Gedankengang hinzu;

„Es war nicht dein Shambles...“

 

„Mitnichten“, wurde sein Schmunzeln gerissen, „sondern ein Counter-Shock.“

 

„Wie meinen?“, stand ich auf dem Schlauch, sodass Law ausführlicher erklärte.

„Ein winziger Strom-Impuls, mit dem ich die Synapsen deiner Großhirnrinde reaktiviert habe.“

 

Die Großhirnrinde ist für die Speicherung des Langzeitgedächtnis' verantwortlich...

Die Erkenntnis traf mich, wie ein Eimer Eiswasser.

E-Er hat in meinem Kopf herum gedoktort?!

 

Laws Schmunzeln, als er tonlos ging, war der Inbegriff von unheimlich.

Auch, wenn er genau wusste, was er tat; Der Gedanke, dass er mit seinen Teufelskräften selbst das menschliche Gehirn manipulieren konnte, war verdammt furchteinflößend.

 

Mein Käpt'n ist immer noch gruselig...

Ist wohl wirklich alles beim Alten geblieben...

 

Langsam sank die Polar Tang in die Tiefen des Meeres.

Tiefer, immer tiefer...

 

 

 

 

 

###

 

 

 

 

 

Tiefer!“, befahl Kid. „Versenkt ihn tiefer!“

 

Hinter meiner Maske schmunzelte ich amüsiert, mit Kids dreckigem Grinsen konkurrierend. Als beste Freunde teilten wir den gleichen Humor. Die Obszönität seiner Wortwahl sehr wohl von ihm beabsichtigt.

Heat wischte sich grob den Schweiß von seiner Stirn und schnaufte.

 

„Tiefer geht’s nich, Boss. Sie is knochentrocken“, pustete er sich eine Rastalocke aus seinem fahlen Gesicht und knotete anschließend seine hellblauen Haare zu einem Rasta-Dutt.

Nachdenklich verzog er seine Mimik. Wenn Heat nachdachte, rauchte sein Kopf – wortwörtlich. Aus seinen Ohren stiegen unlesbare Rauchzeichen in Form blass-grauer Wolken.

Bis er seine vernähten Lippen zu einem unheildrohenden Grinsen verformte. Zeitgleich zog er seine weinrote Ballonhose herunter.

 

„Man, hab ich 'nen Mordsdruck“, nahm Heat sein schlaffes Untotem zur Hand, „ich werd se mit 'nem heißen Strahl befeuchten!“

 

Ehe er sich auf der trockenen Erde erleichtern konnte, rammte Wire seinen Spaten zwischen Heats Stiefel, sein untotestes Stück nur knapp verfehlend.

Fauchend zischte Wire ihm zu, sein hohes Fauchen ähnelte dem einer Fledermaus.

 

„Wage es dich nicht, deine Klöten von Nodreck Damn unter meinen zarten Augen zu entblößen!“, war Heats Hose schneller wieder oben, als sich seine Weichteile zusammenziehen konnten.

Sein bester Freund seufzte, prüfte in seinem Handspiegel sein Gesicht auf von ihm gefürchtete Sorgenfalten und atmete erleichtert auf. Folglich warf Wire seinen langen Umhang in einer arroganten Bewegung nach hinten, griff an seinen Ring-Gürtel und zückte eine seiner selbstgebrauten Tinkturen.

„Bevor ich in deinem Natursekt herumstochere, opfere ich lieber eine meiner kostbaren Kreationen.“

 

Wire war ein Sprengstoffexperte und selbsternannter 'Naturhexer'. Sein fragwürdiges Gebräu stellte er in seiner Druidenküche her, welche direkt an Heats Reich – die Schnapsbrennerei – angrenzte.

Auf der Adventure Galley munkelte man, dass des Nachts ein schaudererregendes Hexenlachen von besagter 'Küche' durch die verlassenen Schiffsflure hallte.

Seemannsgarn. Zu meinem Vorteil; ruhigere Nächte und ungestörte Nachtwachen.

 

Mit einem angedeuteten Luftkuss verabschiedete sich Wire von seiner 'Kreation' – Heat nannte sie 'Clare', weil die Flasche eine 'klare' Flüssigkeit beinhaltete – ehe der Hexer das bauchige Glas geräuschvoll auf den Boden schmetterte. Ein wahrlich fürsorglicher Schöpfer...

Das flüssige Gebräu verteilte sich weitflächig über die Erde, zischte und dampfte, indessen es ins Erdreich einsickerte. Womit die harte Oberfläche binnen eines Augenblicks vollends aufgelockert war und wir unsere Suche fortsetzen konnten.

 

Eine Schatzsuche genau genommen. Seit einer Stunde grub die Mannschaft mit Spaten um – Klischee ließ grüßen – die mit X-markierte Stelle. Außer meiner Wenigkeit, der einen Wachposten in der höchsten Baumkrone bezogen hatte.

Sogar der Captain höchstpersönlich beteiligte sich an der körperlichen Arbeit, gänzlich ohne Hilfe seiner Teufelskräfte. Kid war gewiss als Tyrann verrufen, doch stand er mit Tat, Stolz und Leben hinter seinen Männern.

 

„Schneller!“, trieb er seine Mannschaft wieder voran, ihnen neue Motivation auf seine spezielle Art gebend.

„Zeigt der fucking Grandline das männliche Stoßtempo eines waschechten Kid-Piraten!“

 

Sein Blick schnellte zu mir, der ich bequem im Schneidersitz den Wind von hier oben genoss, der leise durch meine Maskenlöcher pfiff.

 

„Hör auf zu grinsen, Killer!“, zogen sich meine Mundwinkel weiter auseinander, indessen ich in lautloser Schadenfreude auflachte.

„Und schaukel deine Eier gefälligst leise!“

 

Es war in der Tat äußerst beeindruckend, wie exakt Kid meine maskierte Mimik deuten konnte. Ich saß mit dem Rücken zu ihm. Er stand mit selbigem Körperwinkel mehrere Meter hinter mir und dem Baum.

Auch ich wusste seinen Gesichtsausdruck zu deuten. Trotz der Lautstärke seiner kraftvollen Stimme trugen seine Lippen ein belustigtes Grinsen. Weil es ihm Spaß bereitete, seine Muskeln zu trainieren und dabei der Welt seinen freien Oberkörper zu präsentieren.

 

„B-Boss?“, bebte Heats dünne Stimme. Seine Gesichtszüge zusammenkneifend, indessen er sein Gewicht tänzelnd von einem Bein auf das andere verlagerte.

„I-Ich muss echt schiffen...“

 

Kid zog eine seiner haarlosen Augenbrauen in die Höhe.

„Was soll ich mit der Info? Brauchst'e jetzt schon 'ne scheiß Erlaubnis zum Pissen?! Schieb' deinen fauligen Arsch ins Gebüsch!“

 

„D-Danke, Boss!“, zischte Heat schneller ab, als Kid ihm einen Befehl nachrufen konnte.

„Und besorg' uns was zum Beißen, bevor der Nudel-Nudist wieder mit seiner Pasta ankommt!“

 

Dies habe ich gehört“, hauchte ich seufzend in meine Maske.

 

„Solltest'e auch! Wenn mann jeden verfickten Tag bloß Nudeln sieht, wird selbst der geilste Kerl schwul!“

 

Ich schmunzelte – Er grinste.

Gespräch beendet, Informationen ausgetauscht.

Ein versteckter Code der Freundschaft. Eine Sprache, welche nur Kid und ich verstanden.

 

Kid und der Lebendenschänder Trafalgar Law?

Nun, ich bin mir nicht gewiss, wen von beiden ich mehr bedauern soll... meine Schadenfreude ist beidseitig amüsierend...

 

Trotz dessen... Ich habe nie daran gezweifelt, dass Kid sein Vorhaben verwirklicht..., fand ein Ausdruck der Anerkennung auf meine Lippen, beinahe als 'lächelnd' beschreibbar. Zur Antwort hob ich schweigend meine Hand, Kid noch immer den Rücken gekehrt, ehe meine Finger ihm eine Teufelsgabel zeigten.

'Glückwunsch'...

 

Doch wären wir nicht Kid-Piraten Vize und Kapitän, wenn wir die unpassend emotionale Stimmung nicht zu zerstören wussten.

 

„Nichts gegen Pasta.“

„Nichts, was bei dir noch hilft!“

 

Unser Umgang miteinander hatte sich verändert. Seit wann, war ungewiss. Niemand störte sich daran, noch konnte ich behaupten, dass die Veränderung negativer Natur war. Beinahe fühlte es sich an, als wenn sich unser freundschaftlicher Bund noch weiter gefestigt hätte. Welch vernunftwidriger Gedanke...

Unmerklich zuckte ich mit meinen Schultern. Nicht alles war mit Vernunft erklärbar.

 

Stumm beobachtete ich den Horizont. Ließ meine versteckten Augen aufmerksam durch die Wälder streifen, prägte mir dessen Beschaffenheit detailliert ein und achtete auf jedwede Bewegung. Die vom Wind bewegte Natur, schwebende Blätter, den Flug der Pollen, das Wanken der raschelnden Gräser. Nichts blieb meinem Blick verborgen.

Für Außenstehende wirkte dies möglichenfalls als eine triste und schlichte Aufgabe. Ein Irrtum. Kid vertraute nicht umsonst meiner Wenigkeit diesen Posten an. Es war eine Verantwortung, die er einzig mir übertrug.

Zurzeit hielten wir uns in feindlichem Gebiet auf. Eine Insel unter der Überwachung der Regierung. Dieses Territorium gehörte einem der vier Kaiser;

Kaido höchstpersönlich.

 

Die Schatzsuche war nicht Kids höchste Priorität; Viel mehr wollte er dem Kaiser – Zitat Kid – 'ans Bein pissen.'

Schmunzelnd erinnerte ich mich an unsere Ankunft hier. Wir begegneten den Wachen, die hier stationiert waren.

Kid begrüßte sie mit seinem dreckigsten Grinsen. Und seiner Faust.

Ups. Meine Hand ist ausgerutscht“, waren seine Worte, als er sie K.O. schlug.

Er tötete sie nicht. Nicht direkt zumindest. Es waren Zeugen, die beseitigt werden mussten. Das Meer übernahm für uns die Arbeit. Seebestattungen von Smilefruchtnutzern, gänzlich ohne Zementgewichte.

 

Karma ist eine rachsüchtige Hure.

Welche Auswirkungen unser Besuch in Kaidos Revier haben würde, sollten wir erst in später Zukunft herausfinden. Dies war eine andere Geschichte, welche noch ungeschrieben war.

Im Piratenleben zählte stets das Jetzt. Ob es ein Morgen geben würde, war nie gewiss. Ein Kid-Pirat ließ die Nächte zum Tag werden und feierte in den Morgen des Ungewissen. Wir würden das Ende mit erhobenem Rum begrüßen.

 

In der Ferne sah ich Heat aus den Wäldern auftauchen, seine Jagd von Erfolg gekrönt. Auf seinen vernähten Lippen ein dickes Grinsen, unter seinen Armen zwei Wildschweine tragend.

Und so haben sich meine Pasta in Dampfnudeln aufgelöst...

 

Nachdem ich mich versicherte, dass keine Gefahren im Umkreis sichtbar waren, sprang ich gekonnt von der Baumkrone. Die Ferne weiterhin in einem Auge behaltend, fing ich Heat ab und übernahm die Zubereitung des Mittagessens, indes er sich um das Lagerfeuer kümmerte.

Im Filetieren war ich ein Spezialist. Meine Klingensammlung umfasste nicht grundlos hochwertige Filetiermesser.

Im Abgrunde könnte man meine Sichelklingen ebenfalls als solche bezeichnen...

 

Die Zeit verstrich, jeder ging seiner Aufgabe nach. Irgendwann saßen wir alle um das aufgebaute Lagerfeuer, um welches auf Stöcken das zubereitete Fleisch spießte. Neben Kid die Schatztruhe stehend, der triumphierende Ausdruck nicht von seinen Gesichtszügen weichend.

 

„Hergehört, Männer!“, begann er seine Ansprache, wie für andere das Gebet vorm Essen. Dabei seine Stiefel geräuschvoll auf die Holzkiste stellend.

„Ihr wisst, wie's läuft; Die Beute wird gerecht geteilt, bis zum letzten Berry.“

 

Heißt; Alles für ihn, eine Goldmünze für jeden uns...

Eine Bande von Zockern benötigt nicht mehr, um daraus ein Vermögen zu machen...

 

„Aye, aye!“, erklang es grölend im Chor.

Ein jeder hob seinen Krug, folglich den Fleischspießen, ehe sie ihre Zähne darin versengten.

Wer benötigt Konversationen? Schmatzen und Grunzen ist unsere Form eines tiefgründigen Dialogs...

 

Ruhig nahm ich mir meinen provisorischen Essensteller, auf welchem das Fleisch in winzige Stücke filetiert war. Langsam führte ich eines der Filetstücke zu den Löchern meiner Maske...

Bemerkte dann die plötzliche Stille der verstörten Blicke, die mir zugeworfen wurden. Und schmunzelte.

 

„Was?“, fragte ich amüsiert.

„Noch nie einen hungrigen Piraten essen gesehen?“

 

Kid lachte rau auf, indessen die restlichen Männer die Welt nicht mehr verstanden.

Sie rechneten fest mit dem nahenden Weltuntergang. Weil ich ein Stück Fleisch aß.

 

'Ich aß nicht. Nicht mit ihnen.'

Nun... irren ist menschlich, nicht wahr?

 

 

 

 

 

###

 

 

 

 

 

„Du benötigst Koitus, Peng-ya.“

 

Trocken, nüchtern, absolut sachlich, sprach Law diese Worte zu mir. Wie eine klare Diagnose.

Ich brauche- ...WAS?!, realisierte ich die Bedeutung eine Sekunde später und schaute ihn mit geweiteten Augen an. Das hat er nicht ernsthaft gesagt!?

Stille. Doch hat er...

 

Bepo döste zufrieden an Deck, leise Brummgeräusche und Entschuldigungen im Schlaf murmelnd. Gegen ihn unser Käpt'n gelehnt, der mir einen flüchtigen Blick hinter seiner Mützenkrempe zuwarf. Oberkörperfrei sonnte er sich in der grellen Mittagssonne, seine charakteristischen Tattoos stachen einem deutlich ins Auge.

 

„Heute Abend erreichen wir die Insel“, wechselte er gekonnt das Thema. Als wenn er mir nicht vor die Kappe geknallt hätte, dass ich sexuell frustriert wäre. Pah, als ob!

Law schloss seine schmunzelnden Augen, als er weitersprach.

„Ihr seid bis morgen Früh, Punkt sechs Uhr von jedweden Pflichten befreit. Pünktlich zu Sonnenaufgang ist jeder wieder an Bord, ohne Ausnahme. Die Anwesenheit zur Routineuntersuchung ist Pflicht. Abwesenheit wird nicht geduldet und hart bestraft.“

 

'Hart bestraft'. Jean Bart saß heute noch in der Schatzkammer, die er bewachen sollte. Der Riese passte kaum in den Raum, schaute durch eine winzige Boden-Netzluke heraus. Und hatte mir den Schreck meines Lebens eingejagt, als ich seine 'Riesen'-Augen zwischen meinen Stiefeln gesehen habe. Bestes erstes Kennenlernen.

Das Seltsame an der makabren Situation; Die Strafzeit war längst vorbei. Unser neuestes Mitglied blieb freiwillig dort, schien sich wohl zu fühlen und war vollends zufrieden mit seiner anvertrauten Aufgabe.

 

Wie hieß es noch gleich laut Gerüchten;

Nur die Irrsten waren irre genug um der Crew des Todeschirurgen beizutreten.

Wir waren besonders und stolz drauf. Stolz auf unsere einzigartige Familie.

 

„Law ist der Beste!“ Shachi jubelte laut auf, während ich mich schweigend über den Landgang freute. Immer noch angesäuert wegen seines unnötigen Kommentars. Das hätte er sich echt sparen können...

 

Einen halben Tag Urlaub. Für Laws Verhältnisse war das mehr, als ein Heart-Pirat sich wünschen konnte.

Als Mannschaft eines Workaholic waren Urlaubsstunden eine Rarität. Uns störte es wenig, unsere Berufung war unsere Lebensaufgabe. Was nicht hieß, dass wir jemals nein zu Urlaub sagten. Wir würden jeden Moment davon auskosten.

Auch die anderen Heart-Piraten bekamen freie Stunden zugesprochen, doch wir waren die Einzigen, die nicht auf Rückruf bereit stehen mussten – als Belohnung für die Abdichtungsarbeit. Unsere Mini-Teleschnecken trugen wir trotzdem immer bei uns. Auf der Grandline konnte man nie vorsichtig genug sein.

 

So fieberte die Crew der Ankunft auf besagter Urlaubsinsel entgegen. Der Mittag verstrich quälend langsam. Als wir endlich unser Ziel erreichten, war die Unruhe zwischen den Reihen auf ihrem Höhepunkt.

Nichts konnte unsere Launen senken, niemand uns aufhalten, nichts unseren Urlaub vermiesen.

 

Was soll schon passieren?

Oh, wie ich mein Unglück doch verfluche...

 

 

--

 

 

Shachi und ich saßen in einer heruntergekommenen Bar, an einem der hintersten Tische. Abgenutzte Möbel, schimmelnde Wände und das schäbigste Gesöff gab es hier. Wer Grog kannte, wollte ihn nicht kennen. Es war die billigste Variante von Rum; verdünnt mit achtzig Prozent heißem Wasser und viel zu viel Zucker. Eklig...

 

Nach einer langen Diskussion mit dem ungewaschenen Barkeeper und genug Berry als Überzeugungsargument mischte er mir einen Whiskey-Grog mit wenig Zucker. Shachi bekam Tequila-Grog – ein Tropfen Tequila, der Rest heißes Zuckerwasser.

Das Schlechte an Grog: Der widerliche Geschmack. Das Gute: Der Zucker haut einem den Alkohol durch die Blutbahnen.

Deswegen trank ich meinen Krug in kleineren Schlucken, während Shachi sich seine Zunge zweimal am Heißgetränk verbrannte und dann wie ein Wilder pustete, um seine tägliche Dosis Zucker zu verschlingen.

 

Ein Wunder, dass er noch nicht auf die Idee gekommen ist, noch mehr Zuckerwürfel in seinen Krug zu-

Er ist drauf gekommen...

 

Angewidert verzog ich mein Gesicht, als mein bester Freund fröhlich pfeifend die überzuckerte Masse mit seinem Zeigefinger umrührte, den er dann summend in seinen Mund steckte um von seiner Kreation zu probieren. Selbst er rümpfte seine Nase, doch ließ er sich sonst nichts anmerken und trank seine Mischung lächelnd.

„Nächstes Mal wird’s besser schmecken!“

Shachi war der Optimist von uns beiden, ich der Pessimist. Wie diese Gegensätze über all die Jahre harmonieren konnten, wusste niemand.

 

Grinsend setzte ich den hölzernen Krug an meinen Lippen an.

„Vergiss nicht, dass Morgen Laws Routineuntersuchung ist... Willst du dir wieder einen acht stündigen Vortrag über Blutzucker anhören?“

Shachis Lächeln fiel mit jedem meiner Worte weiter, übergehend in ein nervöses Mundwinkelzucken.

„Bloß nicht. Laws gleichbleibende Stimmlage ist total einschläfernd... Seine Weckmethoden sind so gemein.“

 

Unser Käpt'n meinte es nur gut mit uns. Zu gut. Akribisch achtete er auf unsere Gesundheitswerte und prüfte jede Abweichung mehrmals. Auf sich selbst – und seinen erhöhten Koffeeinkonsum – achtet er am wenigsten.

Das war wohl Laws Art uns zu zeigen, dass er sich um uns sorgte und wir ihm wichtig waren.

 

Langsam setzte Shachis Hyperaktivität ein. Sein rechtes Bein wippte unruhig unter dem Tisch, bevor er einen Bewegungsdrang entwickelte. Weil wir nicht zu viel Aufmerksamkeit erregen durften, zischte ich ihm flüsternd zu; „Bleib in meiner Nähe und stell keine Dummheiten an.“

Nickend rannte er los, das Stillsitzen nicht mehr aushaltend. Sein Ziel war der Barkeeper, der alsbald von seiner unaufhaltsamen Redeflut überschwemmt werden sollte.

Mein Beileid... aber überwiegt meine Schadenfreude...

Der Kerl würde sich davor hüten, Shachi nochmal einen Zucker-Drink zu geben.

 

Mit Zeigefinger und Daumen zog ich den Schirm meiner Kappe nach unten und lehnte mich locker in die Sitzbank zurück. Eine Hand um den halb-leeren Krug gelegt, die andere unterm Tisch auf meinen Revolver, den ich an meinem Gürtel trug. Nun, wo ich allein war, konnte ich mich auf das konzentrieren, was mir bereits länger aufgefallen war: Die vermummte Gruppe, die uns seit Betreten der Bar beobachtete.

Von ihrem Platz aus – dem vorderen Teil der Bar – sah es so aus, als würde ich dösen. Meinen versteckten Blick konnten sie nicht erahnen. Der Schatten meiner Kopfbedeckung, mitsamt der spärlichen Kerzenbeleuchtung verdeckte mein gesamtes Gesicht.

 

Drei Männer. Ihre Statur verriet ihr Geschlecht. Zur Unauffälligkeit spielten sie ein Pokerspiel, doch schweiften ihre Augen öfters zu Shachi und mir. Durch unsere Overalls sah jeder, zu wem wir gehörten.

Das leichte Anheben ihrer Köpfe, beim Kartenblick über dessen Rand schielend, war Zeichen genug zur Vorsicht. Zudem spürte ich über mein Haki ihre doppelgesichtigen Emotionen. Die Farbe ihrer Auren Schmutz gleichend.

 

Was wollen die von uns?

Gehören sie zur Marine?

 

So viel zu entspanntem Urlaub...

Kann man auf einer Insel niemals seine Ruhe haben?!

 

Meine Revolvertrommel war geladen. Bereit zum Einsatz, falls es zur Eskalation kommen sollte.

Ich ging jederzeit vom schlimmsten Szenario aus. So war ich für alles gewappnet. Wobei man niemals auf wirklich alles vorbereitet sein konnte.

Mit einem großen Schluck leerte ich den Krug, den ich mit einem hohlen Klopfen auf den Holztisch vor mir abstellte. Zeitgleich brüllte einer der zwielichtigen Typen wütend los. In Rage sprang der Kerl auf und riss ihren Tisch, mitsamt Karten um.

 

„Du hast beschissen!“, erhob er seine zornige Stimme und zeigte auf seinen Nebenmann. Ebendieser zog eine Pistole, die sein Gegenargument darstellte.

Fies grinsend richtete er ihren Lauf auf seinen erzürnten Kumpanen.

„Habe ich das? Können Patronen etwa lügen?“

 

Nun war ich mir sicher: Es war eine Bande von Kopfgeldjägern. Selbst die Marine besaß Ehre, kriminelle Organisationen nicht. Dafür mehr Skrupellosigkeit, weswegen Shachi und ich noch vorsichtiger sein mussten. Wenn wir wirklich in ihrem Visier waren, würden sie ihr Ziel mit allen Mitteln erreichen wollen.

Es war nicht das erste Mal, dass ein Heart-Pirat als Mittel zum Zweck benutzt wurde. Unser Käpt'n besaß ein ordentliches Kopfgeld von 200 Millionen Berry. Viele wollten sich daran bereichern und schreckten vor Entführung, mitsamt Erpressung nicht zurück.

 

Streitend verließ die Gruppe die Bar. Sie würden in der Nähe bleiben. Auf uns warten und uns im richtigen Moment abpassen.

Gelassen schlenderte ich zum Tresen, warf dem Barkeeper einige Berry zu und schnappte mir den ununterbrochen redenden Shachi, den ich an seinem Kragen hinter mir herzog. Der dankende Gesichtsausdruck des Barkeepers galt nicht dem Geld.

Ohne in meiner gehenden Bewegung Richtung Ausgang anzuhalten, erzählte ich Shachi in Kurzform von meiner Entdeckung.

 

„Kopfgeldjäger. Lockvogelmethode.“

 

Nun kam unsere eingeübte Taktik zum Einsatz. Wer den Lockvogel spielte, stand auf seiner Kappe.

Shachi war von der Geschwindigkeit her zwar schneller als ich, doch war ich in ausdauernden Ablenkungsmanövern besser.

 

Vor dem Eingang der Bar flüsterte ich ihm zu;

„Geh zur Polar Tang zurück. Ich komme nach.“

Lächelnd nickte er mir zu.

„Pass auf dich auf, Bruder.“

 

Dann zog ich die Aufmerksamkeit der lauernden Schattenfiguren hinter einer nahegelegenen Häusermauer auf mich. Geübt zog ich meinen Revolver, einen unüberhörbaren Schuss Richtung Himmel abfeuernd. Das war das Signal für Shachi loszurennen.

Grinsend zog ich den Schirm meiner Kappe herunter.

 

„Kommt und holt mich, wenn ihr euch traut!“

 

Jetzt wusste die Gruppe, dass wir sie bemerkt hatten. Meine Kampfansage war deutlich. Wut über ihren gescheiterten Überraschungsplan ließ sie im Affekt handeln. Anfänger...

Mein bester Freund war längst verschwunden, als ich in die entgegengesetzte Richtung hetzte. Die Kopfgeldjäger mir dicht auf den Fersen. Vorerst musste ich sie vom Ankerplatz weglocken, dann konnte ich versuchen, sie abzuhängen und selbst fliehen.

 

Ist verdammt schwierig mit Kugeln im Rücken...

Zu meinem Glück sind das echt miese Schützen...

 

Durch die Schussklänge hinter mir konnte ich den Abstand zwischen meinen Verfolgern und mir abschätzen. Unsere Distanz war gleichbleibend. Zu weit um mich zu treffen, zu nah um sie abzuschütteln.

In die vierte Seitenstraße bog ich ein, im Zickzack zwischen umgeworfenen Mülleimern und verwelkten Blumentöpfen durch. Die Hindernisse kamen mir sehr gelegen. Einen Kopfgeldjäger – den korpulenten und unbeweglicheren – konnte ich früh loswerden. Lautstark fluchend riss er bei seinem Sturz einige Blumentöpfe um, die scheppernd zerbrachen.

So waren es nur noch zwei.

 

Seine Komplizen dachten nicht daran, anzuhalten und nach ihm zu sehen. Aber verlangsamte sie das Nachladen ihrer Pistolen kurzzeitig. Ungeduldig hantierten sie mit den Patronen herum, von denen mehrere zu Boden fielen. Das klingende Geräusch von Metall und Bordstein hallte in der schmalen Gasse wider. Abgelöst vom dröhnenden Knall, im Doppel abgefeuert.

Ihre Schüsse waren unkoordiniert. Ein Glücksspiel mit mir als bewegende Zielscheibe.

 

Ein unglücklicher Glückstreffer. Verdammt!

Weil der Platzmangel meine Ausweichmöglichkeiten stark einschränkte, wurde ich von der Kugel getroffen. Ein Streifschuss an meinem rechten Oberarm, der höllisch brannte.

Ohne langsamer zu werden, warf ich einen Seitenblick zu dem zerrissenen Armstoff, hinter dem ich die Wunde nicht genau erkennen konnte. Nur die Rotfärbung meines Overalls ließ mich den Schweregrad der Verletzung erahnen. Sie blutete, doch nicht stark. Eine Arterie wurde somit nicht direkt getroffen. Es war nur eine oberflächliche Wunde.

Nichts, was mich am Weiterrennen hinderte.

 

Warum schießen sie willkürlich?

Würden sie auf meine Beine zielen-

 

Mist, zu laut gedacht!, leise knurrend merkte ich die Veränderung ihrer Taktik. Jetzt visierten sie vorwiegend meinen Unterkörper an. Weswegen ich in springende Bewegungen übergehen musste.

Die Enge zwischen den Wänden ermöglichte es mir, sie zu meinem Vorteil zu nutzen.

In schrägen Bögen sprintete ich an der linken Wandseite entlang. Kurz, immer knapp einen Meter, bis ich die Wandseite wechselte. Langsam wurden meine Beine müde. Ich hatte die Ausdauer meiner Verfolger unterschätzt.

Wie lange ich nun schon pausenlos rannte, wusste ich nicht. Eine Verschnaufpause könnte ich echt gebrauchen.

 

Taktische Planänderung. Statt nach Vorne, wollte ich nach Oben.

Geübt zog ich meinen Revolver. Ein Zeitfenster von ungefähr zwei Minuten wäre genug Vorsprung. Wenn ich die Häuserwände hoch springen wollte, brauchte ich ungefähr drei.

Ob ich mein Unglück herausfordern soll?

Dann fiel mir der Grund ihrer Ungenauigkeit ein: Alkohol. Die Kerle mussten in der Bar getrunken haben.

Warum ist mir das nicht vorher eingefallen? Und was bringt mir die Information jetzt?

 

Konzentriere dich, Peng! Lass dich nicht ablenken!

 

Reflexartig stieß ich einen der größeren Blechmülleimer um, seinen Inhalt weitflächig verteilend. Ablenkung Nummer Eins.

Ohne anzuhalten, entriegelte ich meinen Revolver und zog aus meiner Overalltasche zwei Berry-Münzen. In meiner rechten Hand die Schusswaffe haltend, in meiner linken die Münzen. Über mein Haki erspürte ich ihre Positionen, den exakten Abstand zu mir und ihnen.

 

Einmal tief durchatmen. Dann flippte ich die Münzen geschickt in die Luft, eine flink nach der anderen, beinahe zeitgleich. Und schoss auf sie.

Zwei Schnell-Schüsse, ihr Knall-Schall sich gar überschneidend, ehe die Kugeln in absoluter Zielgenauigkeit die rotierenden Münzen trafen. Im 35 Grad-Winkel von ihnen abprallend, sausten die Geschosse präzise zu ihrem Zielpunkt; Dem linken und rechten Schuh der beiden Verfolger.

Das Schuhwerk treffend, zwei Löcher in jedem hinterlassend. Die Patronen verfehlten die beiden großen Zehen haarscharf.

Vor Schreck bremsten die Kopfgeldjäger abrupt.

 

Zwei Minuten gewonnen...

Los geht’s!

 

Mehrere Meter rannte ich weiter, steckte meinen Revolver weg und setzte dann zum entscheidenden Sprung an. Nach Oben. Links, Rechts, Links, Recht, immer weiter die Wände herauf.

Wären die trockenen Wetterbedingungen nicht auf meiner Seite gewesen, wäre ich abgerutscht. Die rutschfeste Beschaffenheit der Wände war mein Helfer, mitsamt den festen Sohlen meiner Stiefel.

Meine Hindernisse bremsten die beiden Kerle nur wenig. Natürlich folgten sie mir zum Dach, die Feuertreppe nehmend. Müssen die so hartnäckig sein?!

 

Langsam war ich nicht nur erschöpft, sondern auch genervt. Zu was Menschen für Geld fähig waren, war echt ekelhaft. 200 Millionen mag eine ordentliche Summe sein, aber nagen die Kerle wohl kaum am Hungerseil...

Es gab nichts widerlicheres, als materielle Gier. Wie konnte jemand so tief sinken und sich von Besitztümern leiten lassen? Selbst die Habgier von Piraten war nicht so ausgeprägt, wie die von Kopfgeldjägern.

 

Wir sind also Abschaum?

Schon mal in den Spiegel geschaut, ihr Penner?

 

Meine aufgewühlten Emotionen ließen mich für eine Sekunde unachtsam werden. Eine einzige Sekunde, die mir fast zum Verhängnis wurde.

Als ich den letzten Meter zur Dachkante erreichte, knickte mein linker Fuß von der Wand weg. Weswegen ich mich nun mit meinem rechten abstieß und meine Hände an die Kante klammerte. Das brennende Ziehen meines verwundeten Oberarms war verdammt schmerzvoll. Doch biss ich die Zähne zusammen und zog mich schwerfällig hoch.

 

Geschafft!

 

Auf dem flachen Dach angekommen, warf ich keinen Blick zurück. Mit Sicherheit ließen die Kerle nicht locker und verfolgten mich immer noch. Als ich mit meinem linken Fuß auftrat, stellte ich erleichtert fest, dass ich ihn nach wie vor vollständig belasten konnte. Er war nicht gezerrt. Mit ein Grund, warum wir Heart-Piraten festes Schuhwerk tragen...

Aber verlangten meine Beine nach einer dringenden Pause. So schweiften meine Augen hektisch über das Dach und entdeckten einen großen Luftschacht. Was mich grinsen ließ.

Eilig riss ich meinen zerfetzten Ärmel von meinem Körper und befestigte den verfärbten Stoff an der Klinke der Dachtür, die sich in der gegensätzlichen Richtung zum Luftschacht befand. Damit legte ich eine falsche Fährte und hoffte, dass meine Verfolger darauf hereinfielen.

 

Alkohol, steh mir bei...

Lass ihre Gehirnzellen in dir ertränkt sein...

 

Gehetzt kletterte ich in den Schacht, mitten in die Dunkelheit. Klaustrophobie wäre nun ein echtes Problem. In der Beengung kroch ich ein ganzes Stück vorwärts, von Spinnenweben umzingelt werdend. Grob wischte ich sie mir aus Gesicht und von Kappe.

Nachdem ich dachte, weit genug im Inneren des Luftschachts zu sein, hielt ich meinen beschleunigten Atem ruhig und wartete. Die Stimmen vom Dach drangen gedämmt schallend zu mir durch.

 

„Wo ist die Giftkröte hin?“

„Ist das nicht ein Stück seiner Kleidung?“

„Gib her! Ja, ist es.“

„Meinst du, er ist die Tür-?“

„Nein. Er muss noch hier oben sein.“

 

Verflucht! So viel zu meinem 'tollen' Plan...

Jetzt bloß keinen Ton von mir geben-

 

Bölle. Bölle. Bölle.

Meine Mini-Teleschnecke – Der miese kleine Verräter.

 

Shachis Timing ist wieder spitzen klasse...

Kann er seine Sorgen nicht ein einziges Mal zurückschrauben?

 

Schnell holte ich die Teleschnecke aus meiner inneren Brusttasche heraus und nahm den Hörer ab. Ohne eine Begrüßung, zischte ich Shachi ein: „Jetzt nicht!“, zu und legte auf, bevor ich im Eiltempo den Schacht weiterkroch. Das rumpelnde Beben des Untergrunds verriet mir, dass die Kopfgeldjäger mir folgten. Schon wieder...

 

Mir reicht's wirklich...

 

Noch mehr Spinnenweben. Noch schlechtere Laune. Meinen freien Abend hatte ich mir anders vorgestellt. Stumm fluchte ich vor mich hin und erreichte nach Minuten das Ende des Schachts. Es führte mich wieder nach Draußen, hinab, zurück in die schmale Seitenstraße.

Angefressen, wie ich war, ging ich nun in die Offensive über. Direkt gegenüber des Schacht-Endstücks lehnte ich mich an die Häuserwand und zog meinen Revolver. Die Trommel öffnend, sie leerend und neu ladend.

Entschlossen zielte ich mit dem Revolverlauf auf den Schacht. Sobald einer der Kerle herauskam, wollte ich ihn mit einer Betäubungspatrone begrüßen. Wollte...

Doch auch nach etlichen Momenten regte sich nichts. Es war verdammt still geworden.

 

Warum?

 

Und... wann hat es angefangen zu regnen? Verwirrt streckte ich meine offene Hand nach vorne. Auf meine Handfläche fiel ein einzelner Tropfen, dessen warme Berührung ich spürte.

Als meine Augen ihn erfassten, weiteten sie sich. Seine Farbe war ein dunkles Rot.

Es regnet- Es regnet... Blut...

 

Langsam hob ich meinen Kopf Richtung Dach. Völlig unbewusst, aus einem Impuls heraus. Mein Haki war es, welches mir diesen Impuls schickte. Gefahr... Violetten...

Das Aufblitzen einer doppelten Sichelklinge. Von der Spitze ihrer gewellten Klinge die Lebenstropfen gen Boden fallend. Eine Rotperle traf direkt auf meine Kappe, was mich schlagartig der Situation bewusst werden ließ.

Er... hat die Typen...

 

Killers Maske schaute vom Dachrand aus statuenhaft zu mir herunter. In vollkommene Stille gehüllt. Selbst die Nacht schien von ihm zum Schweigen gebracht worden.

Ein fühlbarer Herzschlag. Dann setzte Killer sich blitzschnell in Bewegung.

Ohne Zögern sprang er mit einem sich überschlagenden Salto vom fünfstöckigen Dach-

Vom verdammten Dach?!

 

Ist der Wahnsinnige lebensmüde!?

 

In der Gasse hallte das finstere Surren seiner rotierenden Sicheln wider, die er geräuschvoll gegen die Häusermauer schlug. Womit er seinen Fall ausbremste, zu einer Gleitbewegung wandelnd. Mit einem lauter werdenden Kratzgeräusch näherte er sich mir. Die Spitzen seiner Waffen funkten, erhellten das Nachtdunkel mit doppelten Blitzlichtern, ähnelnd einem Sternenschauer aus zig erlöschenden Lichtfunken.

 

Von seinem Anblick gefangen, war ich starr vor Faszination. Doch reagierte meine rechte Hand plötzlich aus Reflex. Der Nachteil eines Observationshakis... ist die impulsive Handlung...

Mein Zeigefinger lag noch immer auf dem Abzug, den ich intuitiv auslöste. Der Lauf meines Revolvers auf Killer zeigend.

Ein Schuss, der alles übertönte. Ein Feuerfunke, der Lichtblitze in Schatten stellte. Eine Sekunde, bis die Kugel traf.

Ihr Ziel die Mauer – einen verdammten Zentimeter neben Killer.

 

Ich... habe verfehlt?, wurde mir bewusst. Als Meisterschütze hatte ich seit meinem Crew-Beitritt niemals verfehlt. Es sei denn... ich habe Killer instinktiv nicht treffen wollen...

 

Selbst meine Emotionen sind verdammt schlechte Lügner...

 

Zeit zum Nachdenken blieb mir nicht. Zwei Meter über mir löste er seine Sicheln, die in zwei tiefen Rillen von unverputzten Ziegeln stecken blieben. Mit einem letzten Sprung erreichte er meine Position am Boden. Sobald Killers Schuhe den Bordstein hinter mir lautlos berührten, fiel er über mich her.

Er wurde einzig von seinem Instinkt geleitet. Seine Bewegungen waren gezeichnet von Besitzergriffenheit.

 

Bestimmend drückte er meinen Oberkörper abrupt gegen die kühle Außenfassade. Meine Handflächen, mitsamt haltendem Revolver stützten sich reflexartig gegen die raue Oberfläche, um meinen Aufprall abzufangen. Mir blieb die Luft weg, die ich keuchend einsog.

Killers Hände waren überall an mir. Ich spürte jede Berührung. Es waren zu viele, um sie in ihrer Einzelheit zu erfassen. Das leise Rascheln meines Overalls untermalte seine Fühlungen.

 

Von hinten tasteten seine unruhigen Finger über meine bedeckten Schulterblätter, weiter über meinen Rücken. In einer fließenden Bewegungen zu meinen Seiten, Links und Rechts meine Hüfte bis zu meinen Rippen nach oben. Letztlich bahnte er sich einen Weg zu meiner Brust, zum Reißverschluss meines Overalls, den er zwischen seine Finger nahm. Dabei drückte er seinen erhitzten Körper enger an den Meinen.

Das reißende Zipp-Geräusch erklang. Doch vernahm ich etwas viel ausdrucksvolleres.

 

Der Klang von Killers Atem...

Sein Gesicht ist meinem so nah...

 

Als seine Fingerkuppen unter meinem weißen Overall verschwanden und meinen Oberkörper über mein schwarzes Muskelshirt befühlten, versuchte ich gehetzte Worte über meine geöffneten Lippen zu bringen.

Meine atemlose Stimme brach mehrmals.

 

„Hey-! Jetzt- warte- doch mal verdammt!“

 

Er ignorierte meine Aufforderung. Unaufhaltsam tastete er mich weiter ab.

Dann ließ er seinen fieberhaften Atem sprechen. Ein Knurren aus tiefster Brust, dessen Vibration ich an meinem Rücken erfühlte.

 

„Haben sie dich verletzt?“, schwankte sein sonst so monotoner Stimmton zwischen Zorn und Unrast.

Mit einem Mal wurde es mir bewusst: Seine Finger suchen meinen Körper nach Wunden ab...

Deswegen besitzen seine Berührungen wilde Sanftheit...

 

Meine Mundwinkel glitten leicht nach oben. Meine Augen schimmernd in dankbarer Verbundenheit.

Ich wollte ihm sagen, dass ich in Ordnung war. Wollte ihm zeigen, dass er sich nicht um mich sorgen brauchte...

Doch war sein Blick auf meine verfärbte Schulter schneller, als meine Lippen.

 

Es ist nur ein Streifschuss..., konnte ich ihm nicht mitteilen. Stattdessen drehte er meinen Körper zu sich, sodass mein Rücken die Hauswand traf. Dann umgriff er mein Handgelenk – fester als beabsichtigt – weil er seine Kraft vor Unmut nicht unter Kontrolle hatte.

Schweigend betrachtete er sich die rötliche Schramme, ehe er abermals missgestimmt knurrte.

 

Fucking Bastarde...“

 

Der Schirm meiner Kappe saß zu tief, als dass ich zu ihm aufblicken konnte. So sah ich bloß seinen durchtrainierten Bauchbereich, den einzelnen, geschlossenen Knopf seiner gepunkteten Bluse. Und den rot-gefärbten Stoff meines zerrissenen Ärmels, der aus seiner hellblauen Hosentasche ragte.

Es musste mein getrocknetes Blut gewesen sein, welches ihn rasend vor Unbeherrschtheit machte.

 

Ich will ihn beruhigen...

Ihm seine Sorge nehmen...

 

Meinen Kappenschirm schob ich mit dem Lauf meines Revolvers nach oben, ehe ich ihn locker wegsteckte. Mit sanftem Blick erfasste ich Killers Maske, an dessen Seite ich meine freie Hand legte. Mein anderes Handgelenk hielt er weiterhin fest. Noch immer lag seine Aufmerksamkeit auf meiner Schulter, weswegen ich seine Kopfbedeckung langsam zu meinem Gesicht drehte.

Ein liebevolles Lächeln schimmerte auf meinen Lippen, die ihm in stiller Herzenswärme zuflüsterten.

 

„Mir geht es gut, Kira.“

Nicht die Bedeutung meiner Worte war es, die seine Wildheit besänftigte. Sondern sein gefühlsbetonter Name, welcher die Anspannung seines Körpers verblassen ließ, zu seelenvoller Ruhe werdend.

Dann wurde mein Stimmton ernster, gar trübender, während ich den Blick zu seiner Maske mied.

„Warum... hast du sie umgebracht? Sie haben den Tod nicht verdient... Niemand hat es.“

 

Bin ich der Grund?

Trage ich die Schuld an ihrer Hinrichtung?

 

„Die Kanalratten haben viel Grausameres verdient.“

 

Wie kann er so teilnahmslos darüber sprechen?

Hat er noch immer nicht die Wichtigkeit eines Lebens akzeptiert?

 

Es machte mich traurig. Traurig, dass er meine Überzeugung nicht anerkannte.

Aus dem Schatten meiner Kappe warf ich ihm einen Seitenblick zu. Schuld und Trauer in meinen Augen sichtbar. Was Killers Stimmklang milderte, beinahe übergehend zu Aufmunterung.

 

„Sie sind nicht tot. Sie leben... noch“, gestand er mir, Widerwille seine Worte zeichnend.

Er wollte ihnen den Gnadenhieb geben, musste mit sich ringen um es nicht zu tun. Das zuzugeben, fiel ihm hörbar schwer.

Die Frage nach dem Warum stand in meinen irritierten Augen geschrieben, von denen er sie ablas. Seine Antwort sprach er in schmunzelndem Flüsterton aus.

Weil du es nicht gewollt hättest.

 

Mit diesem Satz ließ jegliches Schuldgefühl von mir ab. Mein Lächeln war von aufrichtiger Dankbarkeit erhellt.

Killers Griff um mein Handgelenk lockerte sich, doch ließ er mich nicht los. In einer langsamen Bewegung führte er meine Hand zu der Unterseite seiner Maske, bevor meine Fingerrücken das kühle Metall berührte.

Gegen meine Knöchel traf sein warmer Atemhauch, der seine liebevolle Geste verdeutlichte. Als würde er mir einen Kuss auf meinen Handrücken hauchen.

 

Halb neckisch, halb verlegen murrte ich ihm grinsend zu: „Verdammter Casanova...“

Was sein verstecktes Schmunzeln breiter werden ließ.

 

„Einzig für dich“, wurde sein Schmunzeln mit jedem gewisperten Wort hörbarer, „weil du dabei rot wirst.

 

Sofort zog ich meinen Kappenschirm tiefer, sodass sein Schatten die Farbe meiner Wangen minder überdeckte. Knurrend drehte ich meinen Kopf von ihm weg. Verflucht sei seine Direktheit!

Zur Ablenkung griff ich in meine innere Overalltasche, wollte ihm den Gegenstand entgegen pfeffern, griff jedoch ins Leere. Verwundert sah ich Killer an. Wusste, dass er diebisch schmunzelte.

 

„Sucht du die hier?“, fragte er scheinheilig und präsentierte mir die Schriftrolle.

Der Langfinger hatte sie mir eiskalt geklaut!

 

Sarkasmus hinterließ freundliche Grüße.

„Eigentlich suche ich das One Piece, das sich natürlich in meinem Overall befindet.“

 

Locker verschränkte ich meine Arme vor meiner Brust und grinste. Übergehend in ein leises Lächeln, weil er die Schriftrolle nicht öffnete. Nicht ohne meine Erlaubnis.

Ich ließ ihn extra warten, bis ich erneut zum Sprechen ansetzte.

 

„Lese sie. Es ist ein Liebesbrief... von meinem Käpt'n an den deinen.“

 

Seinen fragenden Gesichtsausdruck konnte ich mir bildlich vorstellen. Ich wusste, was auf der Schriftrolle war. Wusste, dass Killer gleich genauso verblüfft sein würde, wie meine Wenigkeit, als Law mir das anvertraute.

Langsam rollte er die Schriftrolle auf, enthüllte dessen Aufdruck und schaute mindestens so blöd aus der Wäsche, wie ich. Wie gern ich jetzt sein Gesicht gesehen hätte.

Seine sonst so neutrale Stimme trug nie einen fassungsloseren Ton.

 

„Das Porneglyph.“

„Jop.“

„Ist die Kopie echt?“

„So wahr ich ein Heart-Pirat bin.“

 

Law hatte Eustass Kid in aller Echtheit eine Zweitkopie von Zepos letztem Andenken an Bepo überlassen. Big Moms Porneglyph.

Die Gründe würden wir niemals erfahren. Laws Motive waren unergründlich.

 

Meine Aufgabe als Vize ist damit erledigt...

 

„Bring sie am besten gleich zu-“

 

Abrupt zog Killer mich an seine gestählte Brust und legte seinen Arm um meinen Rücken. Immer darauf bedacht, meine verletzte Schulter nicht zu beanspruchen.

Eine innige Umarmung. Ist das sein Danke?

 

Später...“, hauchte er mir zu und brachte mein Herz zum Stillstand.

Ich bin ihm in diesem Moment wichtiger als seine Pflicht als Vize?

 

Unserem Größenunterschied wegen, lag mein Ohr an seiner linken Brustseite, sodass ich seinen kraftvollen Herzschlag vernehmen konnte. Selbst durch die Dämmung meiner Kappenseite hörte ich seinen innersten Impuls in aller Deutlichkeit. Er überstimmte den beschleunigten Meinigen.

Bis Killers raunendes Flüstern ihn zum kurzzeitigen Herztod brachte.

 

Hier in der Nähe gibt es ein Hotel...“, ließ er den Satz ins Leere verlaufen. Er brauchte ihn nicht zu beenden. Ich wusste, was er mich fragen wollte.

'Möchtest du die Nacht mit mir verbringen?'

 

Nervosität und Aufgewühltheit. Beides lieferte sich ein Kopf an Kopf Rennen mit meinem rasenden Puls.

Während ich fieberhaft nachdachte – über vieles und nichts – wanderte Killers Hand langsam, doch leidenschaftlich über meinen Rücken. Weiter über meine Hüfte, bis zu meinen Oberschenkeln, deren Innenseite er seitlich zur Mitte fuhr. Was das Nachdenken verdammt schwer machte.

Er konnte seine Finger nicht davon abhalten, mich zu berühren. Allein der Gedanke an Intimität ließ seine Beherrschung stark schwanken. Sein schneller werdender Herzimpuls war gezeichnet von Erregung.

 

In vollkommener Gegensätzlichkeit war ich es, der die Ruhe selbst blieb. Innerlich zumindest.

Die Signale meines Körpers waren deutlich. Aufregung, Erwartung, Hitze...

Ich wollte diesen Mann. Hier und Jetzt. Heute Nacht.

Wagte es nicht, auf längere Zeit oder gar Lebzeiten zu hoffen.

 

Nur für eine Nacht... werde ich es mir erlauben, egoistisch zu sein...

 

Ein Nicken meinerseits. Eine schnelle Bewegung seinerseits.

Er wollte mich hochheben. Was er sowas von vergessen kann!

Reflexartig duckte ich mich unter seinen Armen weg, dabei hielt ich meine Kappe fest und rannte dann los. Dass ich Killers Reaktionsgeschwindigkeit jemals überlisten konnte, hatte ich nicht erwartet.

 

Ha, ausgetrickst!

 

Auf meinem Rückweg durch die Gasse traf ich den dritten Kopfgeldjäger. Der korpulente Kerl war durch seinen Schnecken-Sprint völlig außer Puste. Ohne seine beiden Komplizen sah er sehr verloren aus.

Als ich an ihm vorbeirannte, zeigte ich mit meinem Daumen auf das Dach.

„Deine Kumpel brauchen dringend medizinische Hilfe. Kümmere dich um sie. Und beeil dich!“

 

So schnell hatte ich die schnaufende Rum-Kugel noch nicht rennen gesehen. Seine Kollegen mussten ihm mehr bedeuten, als die Berry-Summe meines Kapitäns.

Es sind wohl doch nicht alle Kopfgeldjäger gleich...

 

Killer hatte zwischenzeitlich seine Sicheln geholt, was mir einen kurzen Vorsprung verschaffte.

Grinsend rief ich ihm über meine Schulter zu;

„Deine Ausdauer ist heute Nacht nicht die beste, was?“

 

Keinen Herzschlag später hatte er mich überholt.

„Meine Ausdauer?“, verfinsterte sich sein verstecktes Schmunzeln zur düsteren Zweideutigkeit.

„Folge mir... wenn du mit mir mithalten kannst. Und du wirst sie in ihrer Gänzlichkeit erfahren.“

 

Damit verdreifachte er seine Geschwindigkeit. Wie er das tat, blieb mir unerklärlich.

Ich musste mich verdammt anstrengen, um ihn nicht aus den Augen zu verlieren.

 

...So ist der Jäger letztlich doch zum Gejagten geworden...

 

 

 

 



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Angel_Cas
2020-03-13T17:16:01+00:00 13.03.2020 18:16
Guten Abend blackNunSadako🌼
Und auch dieses Mal hat es mir wieder sehr viel Spaß gemacht
das Kapitel zu lesen und wieder mal ein mehr als gelungenes Kapitel! ^_^
Die Szene als Kira Peng gegen die Außenfassade drückte und seine Finger über Peng wanderten... Hat mir sehr gut gefallen ^\\^ und dann noch mehr als raus kam warum er das macht... Oder :
"Meinen Kappenschirm schob ich mit dem Lauf meines Revolvers nach oben, ehe ich ihn locker wegsteckte."
Ich konnte es mir so richtig gut vorstellen...
Cool und süß zugleich von Peng *^*

Einen schönen Abend noch ^_^~
Viele Grüße
Flower_Rain

Antwort von:  blackNunSadako
14.03.2020 23:41
Die liebsten Grüße an dich, wundervolle Flower_Rain.💐

Erneut darf ich dich herzlich begrüßen, strahle noch immer übers ganze Gesicht und finde aus dem von dir geschenkten Lächeln nicht mehr heraus. (˵◕‿◕˵✿)
Dass du noch immer Freude am Lesen meiner Werke hast, macht mich unbeschreiblich glücklich. Wenn ich jemandem mit meinen Texten die Zeit etwas verschönern kann, hat sich mein Wunsch erfüllt. Du hast mir mit deinen lieben Worten meinen Abend so sehr versüßt – bist einfach herzallerliebst, ein Goldschatz.✨

Dein Vorstellungsvermögen ist wahrlich bemerkenswert. Ich bin noch immer der Meinung, dass ein Autor lediglich eine Seite der Medaillie auszeichnet – nur die Worte schreibt – Der Leser ist es, der die Bilder erschafft. Du bist sehr phantasievoll, dafür spreche ich dir größte Anerkennung aus.♥

Deine Beschreibung von Peng >>cool und süß zugleich<< trifft perfekt auf ihn zu. Eine klasse Charakter-Deutung deinerseits❣ ^-^
Es macht mir ehrlich Spaß, ihn zu schreiben. Er ist nach wie vor einer meiner liebsten Chars. Zu lesen, dass du ihn auch magst, bereitet mir umso mehr Freude, über ihn zu schreiben. Ich freue mich, bald etwas Neues zu ihm und Killer hochzuladen! ^.^
Seit Jahresbeginn war ich zeitlich leider ziemlich eingeschränkt, habe jedoch niemals mit dem Tippseln aufgehört. Es ist und bleibt meine Herzleidenschaft. Beruflich orientiere ich mich in Richtung therapeutische Texte, daher sind Fanfiktion leider etwas kürzer gekommen. Aber(!) es geht voran. ^-^
Du ahnst nicht, wie froh es mich macht, dass meine Werke noch immer gelesen werden. Ich danke dir so sehr, dass du seit Anbeginn meiner Zeit hier auf Animexx an meiner Seite bist. Ich schätze mich sehr glücklich – schätze dich.✨

Bitte bleibe der einzigartig wundervolle Mensch, der du bist.💝
Und bleibe wohlauf, liebste Flower_Rain.🌹

Alles alles Liebe und Gute dir❣
(✿ ◕ワ◕)つ━━✫✧・゚*✧・゚*

Herzlichst,
Sawako ʕᵔᴥᵔʔノ♥


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