Zum Inhalt der Seite

Nichts bleibt für sie

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Nirgendwann II

"Offen, blutend. Niemals heilend. Eine alte Wunde."

Solas wusste, dass der Geist da war, noch ehe dieser das Wort ergriffen hatte. Er hatte seine Präsenz gespürt, zum einen, und zum anderen war dies sein Reich. Das Reich Fen'Harels. Wie also konnte er sich des Besuchers nicht bewusst sein. Für einen langen Moment jedoch vermied er es, den Geist, der ein ehemaliger Gefährte und auch ein Freund seinerseits war, anzusehen. Er ließ seinen Blick weiterhin über die lange von der Zeit unberührten Wiesen und Wälder wandern, die nun eine Heimat für all jene geworden waren, die sich ihm angeschlossen hatte. Elfen aus aller Herren Länder. Einige waren dalish, andere hatten die Fesseln von Sklaverei und Unterdrückung abgeworfen und er hatte sie alle willkommen geheißen. Der einstige Glanz, der seinem Volk abhanden gekommen war, er wollte diesen zurückerobern. Wollte einen alten Fehler, der all dieses Unglück über seine Brüder und Schwestern gebracht hatte, ausradieren.

"Cole." sagte er schließlich und mit einem matten Lächeln auf den Lippen wandte er sich endlich um. Der, den er sah, erinnerte fast an ein Kind. Vielleicht eher an einen jugendlichen Mann, der seine kindliche Neugier niemals abgestreift hatte. Im Schneidersitz saß der Geist in einer Ecke der Schreibstube und besah sich all die Bücher und Schriften, die in dieser untergebracht waren.

"Wir haben lange nicht gesprochen." stellte Solas fest und nickte dabei. Dann trafen sich ihre Blicke und beide wussten, weshalb der Geist hier war.

"Sie ist fort. Gealtert, gestorben."

Der Elf nickte erneut, dieses Mal langsamer.

"Du hast Dich verabschiedet. Hast sie ziehen lassen. Hast ihr geholfen, gehen zu können. Losgelöst."

"Sie ist nun frei." sprach Solas und trat auf den Jungen zu. Dass der Elf sich nunmehr anders kleidete, anders sich verhielt, das merkte er fast gar nicht, hatte er ihn doch stets für das gesehen, was er war. Als jemand, der nicht die physische Maske oder die oberflächlichen Charakterzüge einer Person wahrnahm, sondern viel mehr alles identifizierte, was dahinter lag, war es für Cole niemals schwer gewesen, Solas als das zu erkennen, was er war: Der Schreckenswolf. Er hatte nichts Falsches darin erkannt. Jeder war nun einmal das, was er oder sie war – entscheidend war doch, was man daraus machte, Mochte sie, die Geliebte des Wolfes, erschrocken gewesen sein darüber, dass Cole wusste aber nicht darüber sprach, so war er derjenige gewesen, der keine Relevanz darin gesehen hatte.

"Sie wäre Dir gefolgt. Wäre mitgekommen, hätte geholfen, mehr als das. Hätte gestützt, hätte getragen – Dich und wofür Du kämpfst."

"Ich weiß." antwortete der Elf und ein wenig Schwermut zeichnete sich in seinen Zügen ab.

"Doch wie hätte ich es verlangen können? Von ihr, die die Welt wie sie heute ist, rettete?"

Es war ein Schmunzeln, das nunmehr seine Züge streifte.

"Es wäre eine bittere Ironie gewesen, nicht?"

Er wandte sich wieder ab und trat den Raum entlang. Hierbei passierte er viele Bücherregale, die aufragten bis zur Zimmerdecke. Einige lose Pergamente raschelten, als er an ihnen vorbeitrat und somit einen kleinen Luftzug entstehen ließ.

"Sie erst alles retten zu lassen, um dann… die Vernichtung davon einzufordern. Nein. Wie hätte ich das verlangen können?"

Cole legte seine Hände an seine Füße, die wegen des Schneidersitzes nah an seinem Schoß ruhten, und wippte ein wenig vor und zurück. Er dachte nach und versuchte, zu verstehen. Hierfür ergründete er, was er über Gefühle wusste, was er gelernt hatte und auch das, was er nunmehr spürte in dem Schreckenswolf, der so ruhig mit ihm sprach.

"Hast nicht auch Du geholfen, gerettet, geschützt?"

Er sprach leise und schnell. Seine Worte schienen kurz davor sein, übereinander zu stolpern und zu stürzen. Der Elf blieb stehen.

"Taten, die meinem Ziel dienten." erklärte er.

"Nicht alle. Nein, nicht alle. Du hast geholfen. Du bist… ein Helfer, ein Schützer."

Der Elf senkte das Haupt kaum merklich.

"Es ist einerlei nun. Was ich in Gang gesetzt habe, will und werde ich nicht mehr zum Ruhen bringen. Ich tue, was ich tun muss."

"Keine Zweifel, Gewissheit. Das Richtige tun, das Falsche ungeschehen machen."

Noch immer wippte die kinderartige Gestalt vor und zurück.

"Die Bürde tragend. Allein."

"Das… ist richtig, ja." gestand Solas ein.

"Mein Herz, mein Geist mögen im Konflikt gelegen haben. Ich wollte nicht, dass auch sie diesen durchlebt. Wollte nicht, dass sie leidet."

"Wie Du leidest." fügte Cole hinzu.

Der Elf widersprach ihm nicht, stimmte ihm allerdings auch nicht zu. Es war, als wägte er die Worte des Geistes ab. Seine Fingerspitzen wanderten über die Rücken einiger schier riesiger Folianten, die im Regal neben ihm standen. Ob er ihre Titel las oder nicht war seinen Zügen nicht zu entnehmen; es wäre ebenso möglich, dass er allzu tief in seine Gedanken eingesunken war und lediglich eine Beschäftigung für seinen Leib zu finden versuchte.

"Ich bin ihr ein grausamer Liebhaber gewesen."

Das Eingeständnis an sich selbst kam für Cole keinesfalls überraschend, doch die Aufrichtigkeit, mit welcher Solas diese Worte sprach, ließ ihn aufhorchen.

"Das bereue ich. Es war egoistisch und-"

"Sie hat es nicht bereut."

Obgleich er flüsterte, schnitten die Worte des Geistes in den Satz des Wolfes ein und brachten diesen zum Erliegen.

"Schmerz, Trauer, ein Gefühl des Verlorenseins. Aber keine Reue. Nie Reue.«

Seine Züge erhellten sich.

"Oft Liebe."

Dass sie ihn stets geliebt hatte, auch noch als viele Winter vergangen waren und ihr Leben sich dem Ende neigte, das wusste der Elf. Oft hatte er sie besucht im Traum, wortlos und ohne Berührung. Und doch hatte er es gespürt. Ein Gefühl, für das zu finden er sich hasste. Doch gleichzeitig war die Erinnerung an ihre Umarmung und das Wissen, dass sie noch immer nicht verloren war, für seine gequälte Seele ein Trost, den diese zu missen nicht imstande war. Auch dies war egoistisch, das wusste er. Nun jedoch waren diese Arme nicht mehr. Geblieben war in ihm eine Leere, die nicht einmal Trauer gestattete. Es war, als stünde er im leeren Raum, und müsste sich noch bewusst werden, welche Gefühle er mit ihrem Tod verband. Im Moment waren es gar keine.

"Weshalb, mein alter Freund, erzählst Du mir dies?" fragte er schließlich. Er fragte ohne einen Vorwurf in seiner Stimme, fragte aus dem Wunsch heraus, zu verstehen.

"Ich…"

Cole schloss seine Lippen wieder, kaum, dass er zum Sprechen angesetzt hatte. Er ging in sich selbst und für einen langen Augenblick war er still.

"Sie wollte, dass Du weißt. Dass Du fühlst, Liebe und Geliebtwerden. Das Zweite mehr als das Erste."

Er senkte den Blick und starrte seine Füße an, die er noch immer mit seinen Fingern umklammert hielt.

"Und ich wollte, dass Du weißt, was sie Dich wissen lassen wollte."

"Sie war Dir eine Freundin."

Schon damals hatten die Elfe und der Geist eine freundschaftliche Verbindung miteinander gehabt. Eine, die im Laufe der Jahre nicht abgebrochen war und die bis zum Ende gehalten hatte. Sogar noch darüber hinaus, bedachte man, wie sehr ihr Dahinscheiden und ihre Geschichte Cole beschäftigten.

"Ja." sagte er.

"Es tut Dir noch immer weh, nicht wahr? Ihr Leid?"

Als Geist des Mitgefühls war es Cole möglich, die Emotionen aller lebenden Wesen zu spüren. Wenn sie litten, so war es ihm mehr als ein Bedürfnis, dieses Leiden zu lindern oder sogar vollends zu beenden. Sie hatte dies niemals zugelassen, nicht in dem Sinne, wie er es sonst tat. Sie hatte ihn zuhören lassen und die Nähe eines Freundes genossen. Doch sie hatte nicht vergessen wollen. Als der Schmerz am stärksten, ihr Leid am lautesten durch das Nichts zu ihm schrie, hatte sie mit dem Gedanken an Erlösung gespielt. Etwas, das dann wiederum er ihr verweigert hatte. Danach hatte sie zu heilen begonnen. Heilung.

"Sie war wieder ganz."

Er nickte, wollte seine eigenen Worte bestätigen – vor sich selbst und vor dem Elfen.

"Anders als Du es bist."

Erneut trafen sich ihre Blicke. Solas sprach nicht und der Geist spürte einen alten Schmerz in ihm. Mit jedem Schlag seines Herzens zog er mit dem Blut durch alle Adern seines Leibes.

"Offen, blutend. Niemals heilend. Eine alte Wunde."



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück