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Nichts bleibt für sie

von

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Sommer

Der Sommer war nun nicht mehr fern. Wenn die Sonne abends am Himmel versank, dann ließ sie ein Farbenspiel entstehen, das die Sinne zu berauschen wusste. Es roch nach frisch geschnittenem Gras und die verspielten Düfte der Frühlingsblüten schwanden zugunsten der schweren Aromen der farbenprächtigen Blumen, die sich so gern in der Wärme der bevorstehenden Monate zeigten.

Ihre Reise hatte sie weit fort geführt von den Orten, die ihr bekannt und vertraut waren. Zu ihrem Clan war sie niemals zurückgekehrt. Nach allem, was sie in ihren Jahren als Inquisitorin erlebt hatte – vor allem aber nach dem, was sie während des Erhabenen Rats hatte erfahren müssen – erschien es ihr unmöglich, ihrem alten Leben gegenüberzutreten. Es existierte nicht mehr, wie auch der Teil von ihr, der dieses Leben gelebt hatte, nicht mehr existierte. Einst hatte sie diese Erkenntnis mit Trauer erfüllt, doch sie war gewachsen und hatte sich abgefunden mit dem, was sie war. Sie war eine Dalish ohne Wurzeln, eine Magierin, die ihre Verbindung zum Nichts nicht mehr zu schätzen vermochte, und eine Frau, die ihr Herz verschenkt und verloren hatte.

Das alles hatte einst gedroht, sie zu vernichten. Noch immer lauerte der Abgrund in den dunklen Alkoven ihres Verstandes, doch sie hatte gelernt, mit ihren Dämonen zu tanzen, hielt sie im Zaum und zog sogar dann und wann neue Kraft aus ihnen.

In der Ferne sah sie Bauern, die ihre Felder bestellten. Sie gruben die Erde um, lockerten diese auf, und legten Samen in sie. In einigen Monaten würden sie die Früchte ihrer Arbeit ernten können. Es war ein Leben, um das die junge Elfe die Männer und Frauen dort auf dem Feld beneidete. Ein hartes Leben, gewiss, doch eines, in dem es ein Leichtes war, seinen Platz zu erkennen und auszufüllen. Etwas, das ihr vollends entfallen war. Sie war platzlos und viel zu klein geworden, als dass sie irgendetwas hätte ausfüllen können. Sie war ein Schatten und für den Moment war dies gut so, denn sie suchte und jagte einen anderen.

Einen, der sich zu verstecken wusste. Einen, der eine Gefahr war für alles, was diese Welt beinhaltete. Einen, den sie einst liebte. Etwas, von dem sie sich nicht mehr sicher war, ob sie es noch immer tat. Wann immer sie in ihr Herz zu horchen versuchte, ob da noch ein zartes Gefühl war für den Schreckenswolf, da hörte sie nur Stille. Ihr Herz strafte sie mit Schweigen. Sie konnte es ihm nicht verdenken. Es war nötig, um ihren Geist zu beschützen, und um Wunden heilen zu lassen. Bedachte sie, dass sie vor gar nicht langer Zeit nicht einmal in der Lage war, das Nachtlager zu verlassen und sich nicht sicher sein konnte, ob sie fähig dazu war, den nächsten Atemzug zu vollziehen, war sie dankbar dafür, dass ihr Herz stark genug gewesen war, sie durch das dunkle Tal ihrer eigenen Gefühle und Zweifel zu führen.

"Ja, es ist ein starkes Herz."

Er trat zu ihr. Aus dem Nichts kommend trat er an die Elfe heran, die an einer Anhöhe saß, im Schatten einer alten Eiche, und den Wind genoss, der durch ihr Haar fuhr.

"Ich wusste nicht, dass es so stark ist."

Der jugendliche Geist des Mitgefühls, der gleichzeitig ein enger und guter Freund war für sie, setzte sich ins Gras. Er verschränkte die Beine dabei und unter dem blassblonden Haar stachen seine großen Augen hervor und sahen sie an. Er freute sich.

"Es geht Dir besser, geht Dir fast gut."

Sie nickte. Ja, es ging ihr besser. Als sie sich das letzte Mal begegneten, war sie versucht gewesen, ihn um Gnade zu bitten. Um die finale Gnade, die er so vielen schon geschenkt hatte, doch er hatte sie verweigert. Heute war sie ihm dankbar dafür. Es schien ihr ewig her. Sie hatte die Monate nicht gezählt, doch die Länge ihres Haares, welches sie nunmehr zu einem langen Zopf flechten musste, damit es sie nicht störte, verriet ihr, dass eine ganze Weile vergangen sein musste. Es war nicht der erste Sommer seit jener Nacht, das wusste sie, doch die anderen Sommer waren kalt gewesen und kurz. Zumindest für sie.

"Ein Herz, das nicht mehr blutet. Vernarbt, unvollständig, ungeheilt, doch… es blutet nicht mehr."

"Es geht mir gut, Cole." sprach sie sanft und als ihre Blicke sich trafen nickte sie, als wollte sie ihre Worte unterstreichen.

"Ja." sagte er.

"Gut. Nicht ausgezeichnet, nicht euphorisch und nicht ohne Last. Aber gut. Und gut ist gut, nun. Nach allem ist gut mehr als gut. Es ist… kostbar."

Sie atmete tief ein. Die laue Luft fühlte sich gut an in ihren Lungen, brannte nicht so, wie die des kühlen Winters es zu tun pflegte.

"Der Wolf, er streift noch immer umher. Ein alter Fehler, eine alte Schuld. Er hat es nicht vergessen. Aber Dich, Dich hat er auch nicht vergessen."

Er wirkte ein wenig überrascht.

"Hast Du ihn vergessen?"

Dann fühlte also nicht nur sie die Leere in ihrem Herzen. Es verwehrte ihr die Wahrheit, doch es verwehrte auch Cole die Wahrheit wie es schien.

"Nein." sagte sie schließlich und lehnte sich gegen den Stamm der Eiche.

"Wie könnte ich denn. Ich glaube nicht, dass Herzen es können sollten."

"Erinnern tut weh."

Er wandte den Blick von ihr und ließ ihn über die Felder wandern, besah sich die Bauern, die auf diesen arbeiteten, und ihre Häuser, die nicht fern standen. Rinder und Schafe grasten auf ihren Wiesen und einige Kutschen fuhren die gestampften Straßen entlang, die sich durch das Land zogen wie Adern sich durch einen Körper.

"Es ist kostbar", sagte sie und es schien, als widerspräche sie ihm ein wenig, obgleich sie keinerlei Zweifel daran hegte, dass er recht hatte,

"Gefühle hinterlassen ihre Spuren"

"Du hasst ihn nicht." sprach Cole und seine Augen waren weit geöffnet, waren ein wenig glasig.

"Wie könnte ich?"

Ein mattes Lächeln zeichnete sich auf ihren Lippen ab, die ein bisschen weniger offen und gesprungen waren als letztes Mal. Sie waren blass und rau, ja, aber sie waren nicht kaputt.

"Nach wie vor habe ich viel gelernt. Über die Welt, die Magie und über die Liebe. Das Wissen will ich nicht wieder hergeben. Niemals. Es macht mich aus."

"Kein Mädchen vergisst die erste Liebe. Sie ist unbekannt, fremd, neu."

Die Worte reihten sich schnell aneinander, während er sie aussprach.

"Sie ist schön. Schmetterlinge im Bauch. Angst, Freude, Aufregung. Zitternde Lippen und ein bebendes Herz."

Sie nickte mit geschlossenen Augen und erinnerte sich für einen Moment.

"Doch es ist nicht mehr."

"Nein."

Sie öffnete ihre Augen.

"Und er und ich wir sind andere nun. Sind nicht mehr die Liebenden, die wir waren. Wir mögen die gleichen Namen und Gesichter tragen, doch unsere Rollen haben sich verschoben und geändert."

Sie hielt kurz inne.

"Aber das macht die, die wir waren, nicht vergessen oder ungeschehen. Es macht das, was passiert ist, nicht ohne Sinn."

Cole starrte sie an und zeigte keine Regung dabei. Es war, als überlegte er, wie er zu reagieren hatte, und ein wenig erinnerte er an ein Kind dabei. Ein Kind, das etwas Neues gelernt hatte, und nun versuchte, dies einzuordnen. Dies war keinesfalls leicht, denn jedes Kind legte sich sein Bild von der Welt zurecht und wenn etwas Neues hinzukam, musste dies seinen Platz in jenem Bild erst einmal finden. Manchmal verschoben sich andere Dinge dafür.

"Du bist gewachsen." stellte er schließlich fest.

"Du bist mehr als das, was du warst. Es freut mich. Ich freue mich. Freue mich für Dich, denn Du bist freier von Schmerz, kannst atmen, bist lebendig."

Sie berührte seine Hand mit der ihren und er schloss seine Finger um diese. Seine Haut war kühl, ihre waren vom Frühling geküsst. Zwischen ihnen stand mehr als eine enge Freundschaft, denn als der Einzige, der alles wusste, was in ihr vorgegangen war und vorging war Cole fast mehr zu einem Teil ihrer selbst geworden.

"Ich muss Dir danken." sprach sie in ihr Lächeln hinein.

"Für was?"

"Für Deine Hilfe und dafür, dass Du da bist. Dass Du zugehört hast, auch, wenn Du gar nicht da warst."

"Das ist, was ich bin. Dafür bin ich. Ich bin ich dafür." antwortete er, doch sie schüttelte den Kopf.

"Ich weiß, aber… Du bist auch ein Freund für mich."

"Natürlich bin ich das!" sagte er nunmehr, fast ein wenig empört. Sie lachte leise und es klang ein wenig heiser. Klang wie etwas, das sie lange nicht mehr getan hatte.



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