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Feliz Navidead

von

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All Overboard!

"Wie viele Runden fährt der Zug gleich noch mal?"

Die Zuckermandelfee sah von dem Kind auf, dem sie gerade die Nase abwischte. "Drei. Warum fragst du?"

Chuck zählte in Gedanken die Male zusammen, die der Zug nun schon an ihnen vorüber gezuckelt war. "Das war gerade die Dritte, aber er hält nicht an."

Die Zuckermandelfee fuhr auf. Sie sah der kleinen Miniatur-Lok nach, die dampfend zwischen den Styroporbergen verschwand.

"Legt er vielleicht eine Extrarunde ein?" Chuck hoffte, dass die Antwort darauf ein Ja sein würde, doch die in nachdenkliche Falten gelegte Stirn der Zuckermandelfee sagte etwas anderes.

"Unmöglich. Es gibt einen Mechanismus, der den Zug automatisch nach der dritten Runde im Bahnhof anhält."

"Dann sollten wir uns das besser einmal ansehen", schlug Chuck vor. In diesem Moment rauschte der Zug ein weiteres Mal an ihnen vorüber. Die Kinder, die sonst immer begeistert winkten, wenn sie Chuck und die Zuckermandelfee sahen, blickten verängstigt von einer Seite zur anderen.

"Hallo, ich muss mal aufs Klo", klang ein zartes Stimmchen durch das Rattern der Räder. "Ich auch!", fiel ein weiteres zittriges Stimmchen mit ein und kurz bevor der Zug erneut um die nächste Kurve verschwand, hatte auch der Rest der mitfahrenden Kinder in das Weinen eingestimmt.

Der Zugführer saß reglos in seiner Lok und wackelte lediglich im Takt des Zuges mit.

"Verdammter Mist!", fluchte die Zuckermandelfee ungeniert. "Der wird doch nicht eingepennt sein?! Die armen Kinder..."

 

"Wenn das mal keine Absicht war, dann bin ich ab sofort die Mäusekönigin."

Chuck sah schweigend auf den Haufen herausgerissener Kabel hinab, die aus dem Verteilerkasten des Bahnhofs hingen und offensichtlich für das Versagen des Bremsmechanismus verantwortlich waren. Dazu brauchte es noch nicht einmal einen Detektiv, um das festzustellen. Lediglich das gekräuselte Geschenkband war ihnen ein Rätsel.

"Ich will zu meiner Mamiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii-"

Der lange klägliche Schrei riss Chuck und die Zuckermandelfee aus ihren Gedanken.

"Wir müssen die Kinder irgendwie vom Zug herunter bekommen und dann-dann-dann weiß ich auch nicht."

"Kümmern wir uns zuerst mal um die Kinder und dann sehen wir weiter", tröstete Chuck die völlig aufgelöste und überforderte Zuckermandelfee. "Sobald der Zug wieder hier vorbei kommt, springe ich auf. Du rennst neben uns her und ich übergebe dir ein Kind nach dem anderen. Und danach suche ich jemanden, der uns mit dem Zugführer hilft."

 

 

Chuck wusste genau, wer derjenige war, der ihnen mit dem Zugführer helfen konnte. Es gab nur einen einzigen, der dafür in Frage kam.

Ned versuchte, seine langen Beine irgendwie in einen der mittlerweile leeren, aber durch die Geschwindigkeit ständig ruckelnden Waggon zu bekommen, was bei voller Fahrt gar nicht mal so einfach war. Außerdem musste er darauf achtgeben, den Zugführer nicht aus Versehen zu früh zu beleben, denn bei dieser Geschwindigkeit bestand die Gefahr, dass der Wiederbelebte aus der Lok fiel und wenn das am falschen Platz geschah, dann wusste er nicht, ob er ihn in der einen Minute, die ihnen blieb, auch wieder rechtzeitig finden und ausschalten konnte.

"Hast du Emerson gesehen?", fragte Ned.

Chuck, die in einem Waggon Abstand zu ihm saß, schüttelte den Kopf. "Von Olive habe ich auch nichts mehr gehört, seit sie mit dieser Puppe davongegangen ist. Weißt du was, Ned?"

Ned warf einen vorsichtigen Blick über seine Schulter zu Chuck hinüber, die durch den ganzen Tannenwald gelaufen war, um ihn zu suchen.

"Dieses Weihnachten gefällt mir nicht mehr. Es hat etwas von Halloween bekommen, nur sind die Kostüme hier noch viel gruseliger weil sie so nett aussehen, und wenn ich ehrlich bin, wäre ich jetzt doch ganz gerne in einem Chinesischen Restaurant..."

"Wäre ich auch gerne, wenn ich genauso ehrlich bin." Ned warf Chuck ein herzliches Lächeln zu, das die junge Frau erwiderte. "Aber zuerst schauen wir mal, wer den armen Kerl hier dazu verbannt hat, auf ewig im Kreis zu fahren."

 

 

Der Kuchenbäcker rieb sich die schmerzenden Ohren, während er dem Weg durch den verschneiten Kunsttannenwald folgte, den ein hilfsbereiter Elf ihm großzügigerweise gezeigt hatte.

"Hallo, hallo", rief Ned testweise, um sicherzugehen, dass der Hörsturz wieder vergangen war. Seine Ohren klingelten noch immer, so laut hatte der Zugführer geschrien, nachdem er ihn wiederbelebt hatte. Aber bis auf dieses ständig gebrüllte "Tuuut, tuuut, bitte einsteigen!" hatten sie nichts Brauchbares aus ihm herausbekommen.

Immerhin wusste er jetzt, wo Emerson steckte, denn der Elf, der ihm den Weg gezeigt hatte, hatte ihm auch von Papen Countys großartigsten Santa Claus berichtet. Ausgerechnet Santa, dachte Ned schaudernd.

Die Schlange aus wartenden Kindern war so lang, dass sie, würde man sie direkt hintereinander aufstellen, statt platzsparend in Serpentinen, einmal um das ganze Weihnachtsdorf gereicht hätte.

Kurzerhand drängelte sich der Kuchenbäcker an den ihm mürrisch nachschauenden Kindern vorbei, bis er am Beginn der Schlange angekommen war – und gleich beiseite gezogen wurde, noch ehe er Santa Emerson hatte begrüßen können.

"Hier wird nicht vorgedrängelt", fuhr ein finster dreinschauender Elf Ned an.

"Sehe ich etwa so aus, als warte ich darauf, mich auf Santas Schoß zu setzen?", gab Ned verblüfft zurück.

"Der erste wären Sie jedenfalls nicht..."

"Davon stand aber nichts im Vertrag!", rief Emerson von seinem Platz aus. "Das kostet extra!"

Ned befreite sich aus dem eisernen Griff des verärgerten Elfs und flüchtete schnell zu Santa, der in seinem Ohrensessel saß und heller strahlte als der Stern von Bethlehem, der über ihm schwebte.

"Na, was wünschst du dir von Santa, Kuchenjunge?" Die Stricknadeln in Emersons Händen klapperten fleißig. Reihe um Reihe wuchs der grün-rot-weiß geringelte Schal an, der sich bereits zu Füßen des Privatdetektivs ringelte.

Ned, der sich so nahe bei Santa sichtlich unwohl fühlte, stotterte: "Es-es-es gab noch einen – Mord..."

"Oh, das wäre dann Nummer drei", entgegnete Emerson beiläufig.

"Nummer drei?" Ned zählte schnell nach. "Meines Wissens nach sind es zwei, was meinem Empfinden nach auch völlig ausreicht."

Die Stricknadeln legten eine kurze Pause ein, weil Emerson einen seiner beiden Zeigefinger brauchte, um damit verneinend vor der Nase des Kuchenbäckers zu wedeln. "Es sind drei. Kurz nachdem ich aus der Bäckerei kam, bin ich der Spur aus Geschenkband gefolgt und weißt du, wo ich gelandet bin?"

Ned schüttelte den Kopf.

"In der Schneekugel! Und weißt du, wen ich da am Ende der Kräuselband-Spur gefunden habe?"

Ned schüttelte erneut mit dem Kopf.

"Nicht Olive..."

Ned atmete erleichtert aus.

"Es war Rudolph mit der blauen Nase und in seinem Körper stach eine riesige Pfefferminzstange", beendete Emerson nicht ohne Genugtuung seinen Vortrag.

"Das ist ja furchtbar", murmelte Ned. "Ich habe keine Lust mehr, hier ständig irgendwelche toten Leute zu finden."

Emerson, der dem Kuchenbäcker nur noch mit halbem Ohr zuhörte, weil er ein Bonbon entdeckt hatte, das sich in seinem wirren Bart verfangen hatte, zupfte sich die klebrige Süßigkeit vorsichtig aus der weißen wallenden Mähne, um sie anschließend prüfend gegen das Licht zu halten.

"Hast du auch herausgefunden, was mit Olive ist?"

"Die ist, nachdem ich die Schneekugel als Tatort gesichert und für sämtliche Unbefugte abgesperrt hatte, laut Mary aufgestiegen." Emerson rieb das Bonbon an seinem Ärmel ab.

"Zu Mrs. Santa?" Ned versuchte sich die winzige Olive an Santas Seite vorzustellen.

"Nein, zum Himmlischen Chor." Wie lange sich das Bonbon wohl schon in diesem Bart befunden hatte?

"Ich schätze, du kommst nicht mit, Olive suchen?"

"Richtig geschätzt", gab Emerson knapp zurück. "Ich habe hier Kundschaft, wie man sehen kann."

Ned verdrehte die Augen und sprang das Podest hinab.

Emerson war gerade im Begriff, sich das Bonbon in den Mund zu stecken, als es ihm aus heiterem Himmel aus der Hand geschlagen wurde.

"Was zur Hölle ist dein Problem mit Santa, dass du immer gleich zuschlagen musst?", maulte Emerson Ned an, der sich im Weggehen umentschieden hatte und umgekehrt war, um dem Privatdetektiv mittels Hechtsprung das Bonbon aus der Hand zu schlagen.

In seinen Bart maulend bückte sich Emerson nach dem Bonbon, das unter den Ohrensessel gerollt war. "Das ist das letzte Mal, dass ich dich warne, Kuchenjunge. Zeig gefälligst etwas mehr Respekt vor Santa!"

In diesem Augenblick gab es einen Knall hinter Emerson.

Ned sog tief die Luft ein und auch Emerson schien beeindruckt zu sein, von dem, was er sah, als er sich wieder aufrichtete. Der Stern, der über ihm gehangen hatte, war herabgefallen und zerbrochen und einige der Spitzen stachen genau an der Stelle im Sesselpolster, wo Emerson kurz zuvor noch gesessen hatte.

"Langsam wird es unheimlich", flüsterte Ned und sah sich vorsichtig um.

"Langsam? Willst du mal sehen, was ich noch unter dem Sessel gefunden habe?" Emerson wartete erst gar nicht die Antwort ab, sondern präsentierte dem Kuchenbäcker ein wirres Konglomerat an bunten glitzernden Bändern. "Geschenkband. Überall liegt Geschenkband an den Tatorten. Das kann kein Zufall mehr sein."

"Auf diese Geschenke kann ich gerne verzichten."

"Ich denke, wir haben den Schuldigen oder besser gesagt: die Schuldige." Emerson erhob sich. Er legte seinen weißen Bart ab und verkündete seinem gebannt lauschenden Publikum: "Santa muss sich kurz entschuldigen, er muss drei Morde und einen Mordversuch aufklären. Und dann etwas essen, er ist nämlich heute morgen ohne Frühstück aus dem Haus gegangen."

Und mit diesen Worten stieg Santa Emerson auf die Erde hinab.

 



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