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Schokofrüchte

von

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Tief hielt der große, schlaksige Mann die Hände in den Taschen vergraben. Jeder Atemzug erzeugte Dampfschwaden vor seinem Gesicht, führten ihm vor Augen, wie verdammt kalt es an diesem Tag war, da halfen die fingerlosen Handschuhe auch nicht wirklich. Dichtgedrängt schoben sich die Menschen an ihm vorbei. Seine Nase erschnupperte geröstete Mandeln, Zuckerwatte, Glühwein, in Knoblauchsoße ertränkte Champignons, Frittenfett und billige Parfümimitate, während seine Ohren mit Kinderlachen, wie auch heulenden Minibürgern beschallt wurden. Und dann gab es noch jene, die sich nicht entscheiden konnten. Dazwischen dudelte All I Want For Christmas und all das sorgte dafür, dass jener, der bei diesem Lied eigentlich genervt die Augen rollte, leicht mit dem Fuß wippte und gar die Lippen dazu bewegte.

Henry George Louis Graham liebte Weihnachten. 

Und all den ganzen Kram, der dazu gehörte. Das alljährlich im Dezember Christmas in the Garden stattfand, ein Weihnachtsmarkt, der sich an dem mitteleuropäischen Vorbild orientierte, war nur die Kirsche auf dem Sahnehäubchen. Irgendwie brachte es doch sowas wie Heimat in die manchmal noch fremd wirkenden Vereinigten Staaten. Wer meinte, dass die USA und das Vereinten Königreich das gleiche in Grün waren, sorgte bei dem Briten nur für entsetzten Blicke. Das war Blasphemie. Staatsverrat. Oder wie man das auch sonst nennen mochte. Aber nur, weil die USA aus verdammten, britischen Kolonien entstanden, waren sie keine siamesischen Zwillinge. Zwillinge ja. Vielleicht auch eineiig. Aber da war immer noch ein fetter Ozean zwischen ihnen! Sie verbrachten die Pubertät sozusagen in verschiedenen Familien! 

Doch selbst das Thema konnte Harry nicht die Laune vermiesen, schließlich war er hier, um zu feiern. Wenn die anderen nur endlich auftauchen würden. Kurz starrte er auf sein Handgelenk, um festzustellen, dass er keine Uhr trug. Da er aber selbst ein notorischer Zuspätkommer war, wunderte es ihn doch sehr, dass die Jungs noch nicht aufgetaucht waren. Der Siebenundzwanzigjährige schürzte die Lippen, blickte nach links und rechts, vergewisserte sich noch einmal, dass er auch an der verabredeten Glühweinhütte stand. Doch das riesige, aufgeblasene Rentier auf dem Dach, das im eisigen Wind so betrunken wie seine Besucher hin und her wankte, ließ keine Zweifel aufkeimen. Er traute ihnen durchaus zu, dass sie genau heute Rache an ihm übten und eine falsche Uhrzeit nannten. Eine Art Erziehungsmaßnahme, damit er sich in Zukunft in Pünktlichkeit übte. Eine Zeit lang waren sie grundsätzlich selbst eine halbe Stunde zu spät zur vereinbarten Bandprobe erschienen, doch nach einer Weile war Harry hinter diesen Trick gekommen und auch, wenn er es nicht wollte, vermittelte sein Unterbewusstsein ihm immer, dass er sich ja keinen Stress machen brauchte, wenn die anderen drei auch später kamen. 

Aber heute – heute! - war er pünktlich. Nun, genau genommen erschien er sechs Minuten zu spät, aber das konnte man in seinem Fall guten Gewissens mit Pünktlichkeit gleichsetzen. So wunderte es Harry noch mehr, dass er hier alleine in der Kälte seit einer geschlagenen Viertelstunde wartete.

„Na wartet, meine Rache wird grausam. Ich werde die Bierflaschen vorher schütteln oder so...“, murmelte er, während er sich die Oberarme rieb, ehe er zischend die Schultern zusammenzog, als die Eiskönigin ihre Hände in den winzigen ungeschützten Bereich seines Nackens zwischen Jacke und Schal schob. Ruckartig wandte er sich um, sah hinab auf die blasse, junge Frau mit den kupferroten Locken, welche ihn mit einem breiten Grinsen begrüßte, gleichzeitig stülpte sie sich die Handschuhe über die Hände. „Hey.“

„Ich dachte, Elsa wäre blond.“ 

„Vielleicht hatte sie Lust auf eine optische Veränderung?“ Jillian McCormick legte den Kopf schief, musterte den Briten aus ihren hellblauen Augen. „Na dann, wollen wir?“ Kaum ausgesprochen, umfasste sie schon den Arm des sichtlich verwirrten Harry und zog ihn mit sich, sodass der junge Mann einige Schritte hinter der Journalistin herstolperte.

„Nicht, dass ich mich nicht freue, dich zu sehen, aber... Wo sind die Jungs?“

Abrupt blieb Jillian stehen, ehe sie die Hände in die Hüften stemmte, dann jedoch lachte. „Das war sooo klar!“ 

Harry, welcher die Welt nicht mehr verstand, versuchte sich nicht anmerken zu lassen, dass seine Irritation nun ein komplett neues Level erreicht hatte. „Ja?“ Unweigerlich fuhr er sich durch das zerzauste Haar, hoffte einfach, dass Jillian sich erbarmte und ihn sogleich aufklärte. Tatsächlich schien sie ein Herz für verwirrte Schlagzeuger zu besitzen. 

Noch immer schüttelte sie lachend den lockigen Kopf, wobei ihre riesigen, schmaragdgrünen Ohrringe im Takt hin und her schaukelten, ehe sie ungeniert in die Tasche von Harrys Parka langte, das Smartphone schnappte und mit wenigen geübten Bewegungen ihrer Finger das Display entsperrte und sich kurz darauf schon ein zufriedener Gesichtsausdruck auf ihr Gesicht legte. Sie hielt Harry das Handy vor die Nase, welcher die Augenbrauen zusammenzog und das Gerät an sich nahm, um die angezeigte Nachricht lesen zu können. 

„Du solltest häufiger deine Nachrichten checken.“ Harry stimmte schon nickend zu, während er noch dabei war, die Worte in sein Gehirn aufzunehmen. „Sein Ernst?“

„Sein Ernst.“

Entgeistert starrte Harry abwechselnd das Display und die junge Frau vor sich an. „Quentin hat abgesagt?“ Nun war Jill diejenige, welche mit einem Nicken antwortete. „Nicht nur er. Scroll' mal die anderen Nachrichten durch.“

„... Als hätten sie sich abgesprochen.“

„No shit, Sherlock. Sieht also danach aus, als gäbe es nur uns beide...“

„Oh Gott.“ 

Jillian zog eine Schnute. „Ich kann auch wieder gehen.“ Erst da blickte Harry auf, streckte die Arme von sich und winkte hastig ab. „Was? Nein! So hab' ich das gar nicht gemeint! Ich wollte nur...“

„Ist ja gut... Ist ja gut! Dann... Los geht’s? Ich schaufle mir doch nicht den Abend frei, um diesen Ort dann ohne Schokofrüchte zu verlassen!“ Voller Energie packte sie abermals Harrys Arm und blickte sich um. „Wo wollen wir zuerst hin?“ 

Harry schien indes immer noch in Gedanken versunken. Es war nicht so, dass er das erste Mal mit Jillian alleine war. Scheiße, es war nicht das erste Mal, seine Kumpels ihn versetzt hatten. Aber es war das erste Mal, dass sie gezielt sein Liebesleben manipulieren wollten! Das schrie nach mehr als Bierflaschenschütteln. Das schrie nach Krieg. Das schrie nach...

„Harry?“ 

„'Tschuldige. Uhm... Ich glaube, wir sollten uns erst einmal ein wenig aufwärmen, was meinst du?“ Mit seinem Kopf deutete er zur Theke der Glühweinbude, die weiterhin von dem monströsen Rentier bewacht wurde. „Das ist eine sehr gute Idee, Mister Graham“, antwortete Jill, woraufhin Harry nur grinste. „Hab' so meine Momente.“ 

Gemeinsam kämpften sie sich durch die Masse und es dauerte tatsächlich einige Zeit, bis die Bedienung sich ihnen widmete. Und dafür sorgte, dass Harry sich ein lautes Lachen nicht verkneifen konnte. „Das Geweih steht dir, Spencie!“ 

„Halt die Klappe, Burro!“, knurrte die Kolumbianerin, knallte dann etwas lauter als beabsichtigt – wobei, so sicher war er sich da nicht - eine Tasse auf den Tisch, als sie Jillian erblickte und dann, doch wesentlich sanfter, eine zweite Tasse danebenstellte. „Hätte ich gewusst, dass ich diesen Kram tragen muss, hätte ich mir nochmal überlegt, hier auszuhelfen. Ich meine… Sieh dir das an! Terriblemente!“ Wie zur Bestätigung präsentierte sie den XXL-Ugly-Christmas-Sweater, in den sie gesteckt wurde. Fasziniert betrachtete Harry das Kleidungsstück, doch vor allem blieb sein Blick an der Nase des Rentiers, welches auf dem Pulli prangte, haften. 

Eso es america! Ja, die Nase leuchtet wirklich. LEDs.“

„Das ist schon irgendwie cool.“

„Ansichtssache. Also… Womit kann ich euch zwei Hübschen eine Freude machen? Nein, sagt nichts!“ Harry hatte gerade den Zeigefinger gehoben, da hatte sich Spencer schon mit den zwei Tassen umgedreht und Harry wusste nicht, ob er erleichtert darüber sein sollte, dass er nicht sehen konnte, was sie da tat oder ob ihn das beunruhigen sollte. Er tauschte einen Blick mit Jillian, als sich die Latina umwandte und beiden jeweils eine Tasse zuschob. „Das macht dann sechs Dollar. Pro Tasse.“ 

„Abzocke.“ Zähneknirschend kramte Harry das Geld heraus, reichte es Spencer über die Theke hinweg, die nun eine Augenbraue hob, die Hand immer noch ausgestreckt. Die anderen Finger tippelten ungeduldig auf dem Holz herum, als Harry aufstöhnte und der Freundin noch eine Dollarnote in die Hand drückte. „Gracias!“ Sie formte einen Kussmund und schnell verschwand das Trinkgeld im separaten Fach der Bauchtasche, dann stützte die junge Frau ihre Ellbogen auf der Holztheke ab. „Und? Habt ihr ein Date? Ist el amor im Spiel? Willst du sie mir nicht vorstellen?“

Harry, der gerade an dem Getränk genippt hatte, hustete die Hälfte wieder in die Tasse, verschluckte sich fast an der heißen Schokolade, die mit irgendetwas Hochprozentigem verfeinert wurde. Auch Jill erlag einem Hustenanfall, was bei ihr aber wohl eher daran lag, dass dieser Kakao es in sich hatte und definitiv nichts für Kinder war. Hoffentlich hatte sie Spencer nicht gehört! 

„Musst du nicht arbeiten?“ Harry warf der Bedienung einen eindringlichen Blick zu, welche nur mit den Schultern zuckte. „Man wird doch wohl noch fragen dürfen.“

„Was fragen?“ Die Reporterin hatte sich wieder gefangen, stellte die halbleere Tasse ab, während sie neugierig Spencer und Harry abwechselnd anstarrte, hin und wieder hustete. 

„Nichts. Spencer sagte nur, sie hätte noch zu tun. Dann stören wir sie mal nicht weiter.“ Harry exte sein Getränk, was abermals ein Husten zur Folge hatte. „Schade, dass du Jill nicht näher kennenlernen konntest. Vielleicht ein anderes Mal. Wir sehen uns Montag bei der Arbeit! Bis dann, Spencie!“ Die Worte sprudelten nur so aus ihm heraus. Schnell packte er Jills überaus kitschige Keramiktasse, drückte diese seiner rothaarigen Begleitung in die Hände, bevor er sie unter Protesten von der Hütte wegschob. 

„Du bist ein mieser Lügner. Ich bin Journalistin, ich rieche Bullshit zwölf Kilometer gegen den Wind. Mindestens.“ Harry, welcher bis dato den Kopf gesenkt hielt, riskierte schließlich einen vorsichtigen Blick, doch entgegen seiner Erwartungen wirkte Jillian nicht verärgert, eher… belustigt. 

„Tut mir leid, Spencer ist manchmal etwas… Sie nimmt jedenfalls kein Blatt vor den Mund und…“ 

„Ist es dir peinlich, dass die Leute denken, wir hätten eine Verabredung?“, schnitt sie ihm das Wort ab. Kurzzeitig hatte Harry vergessen, dass Jillian ebenso selten um den heißen Brei redete, weshalb er einen Moment lang erstarrte, sich dann aber verlegen am Hinterkopf kratzte. „Ich dachte, dir wäre das möglicherweise unangenehm.“ 

„Unsinn.“ Jillian sah zu dem wenig jüngeren Mann hinauf, bohrte ihren Zeigefinger erbarmungslos in seine Brust. „Also… Haben wir ein Date?“ 

Verschmitzt grinste Harry. Es war nicht so, dass er nicht mit Frauen umgehen konnte. Aber mit den Jahren hatte sich eine subtile Unsicherheit eingeschlichen, sobald er sich mehr vorstellen konnte – also, mehr-mehr - denn dann begann es, kompliziert zu werden. Das so eine gestandene Frau wie Jillian dann nun selbst sowas wie ein Rendezvous vorschlug, machte es Hirn und Herz nicht einfacher. Das ergab für ihn absolut keinen Sinn! Was wollte sie mit einem erfolglosen Musiker, der sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser hielt? Aber wo sie schon einmal hier waren... Vielleicht sollte er einfach den Kopf ausschalten und genießen. 

„Nun, also... Uhm... Sieht so aus.“ Kaum waren die Worte über seine Lippen gekommen, hakte sich Jill auch schon ein, nachdem sie ihre Tasse ebenfalls geleert hatte. Jedoch nicht, ohne dabei das Gesicht zu verziehen. Harry wusste, dass sie kein großer Fan von Alkohol war und auch kaum etwas vertrug, daher wunderte ihn diese Geste etwas – aber vielleicht musste sich auch eine Frau wie Jillian McCormick hin und wieder etwas Mut antrinken. Auch wenn es für ihn kaum vorstellbar war, immerhin war ihr Selbstbewusstsein, neben der geballten Energie, die sie Tag für Tag aufbrachte und ihrem Händchen im Umgang mit Menschen das, was er am meisten an ihr bewunderte. 
 

Während sie durch den Oregon Garden schlenderten, hielt auch bald schon die Dunkelheit Einzug und die unzähligen Lichter in verschiedenen Formen und Farben, welche den Garten schmückten, entfachten vollends ihre Wirkung. „Wenn es jetzt noch schneit, ist es perfekt“, murmelte der derzeitige Fabrikarbeiter und Jillian nickte zustimmte, seufzte dann aber. „Leider schneit es in Portland selten. Dafür müssten wir in die Berge.“ 

„Das heißt, nächstes Jahr Skiurlaub am Mt. Hood?“ Harry lachte und Jillian stimmte kurz ein, verstummte jedoch recht schnell, starrte einen Augenblick in die Ferne. Harry, der vermutete, ein wenig mit seinem Kommentar übers Ziel hinausgeschossen zu sein, wollte gerade das Thema wechseln, als der Rotschopf an dem Ärmel seiner Jacke zupfte. „Lass uns Schlittschuhlaufen gehen.“ Das Entsetzen musste sich unweigerlich auf Harrys Gesicht platziert haben, denn Jillian konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. „Jetzt sag‘ bloß, du kannst das nicht?“ 

„So würde ich das nicht ausdrücken, aber… Erwischt. Ich bewege mich auf dem Eis wie ein neugeborenes Kalb.“ 

„Kälber können sich nach der Geburt ehrlich gesagt ziemlich gut bewegen. Wenn es ein Vergleich aus dem Tierreich sein soll, dann bist du eher ein… Faultierbaby.“ 

„WAS?!“ Harry brachte gespielte Empörung zum Ausdruck. „Ganz dünnes Eis, junge Frau. Ganz dünn!“ 

„Das werden wir jetzt testen.“ Nun war es Jillian, die Harry vorwärts schob und jener wurde tatsächlich ein wenig nervös bei dem Anblick der weitläufigen Eisfläche, auf der sich kleine und große Menschen wie ein Leichtes mit Hilfe von Kufen unter den Füßen bewegten. Das war doch unnatürlich! Vielleicht sollte er den Kerl da drüben im Rollstuhl fragen, ob er sich den Untersatz kurz ausleihen dürfte, dann hätte er zumindest eine Ausrede. Kurz beobachtete er, wie der Mann seine Liebste an den Enden ihres Schals zu sich hinabzog, ihr zärtlich einen Kuss auf die Lippen hauchte – nur um dann diesen unbedachten Moment auszunutzen und der Brünetten die augenscheinlich letzten zwei Fritten aus der Tüte zu klauen. „Luke!“ Entrüstet sah die junge, elegant gekleidete Frau ihrem Freund hinterher, der längst sich ins Fäustchen lachend davonrollte, bevor sie sich daranmachte, ihn schnellen Schrittes zu folgen, dabei noch belustigt die leere Papptüte in einen Mülleimer warf. „Na warte!“ 

Harry ließ sich zu einem Lächeln hinreißen. „Süß die beiden.“ Jillian nickte andächtig, seufzte kaum hörbar, bevor sie wieder abrupt die Gute-Laune-Miene auflegte und ihren Plan weiter ausführte, ihren Begleiter aufs Eis zu bringen, sodass Harry gar nicht in Versuchung kam, zu fragen, ob alles in Ordnung war. 

Für Harry war es das nicht. Zumindest nicht, sobald er die krampfhaft an die Bande geklammerten Finger löste. Kaum hatte er die Schlittschuhe angezogen und das Eis betreten, lag er auch schon unter Begleitung von Jillians Gelächter auf dem Hintern und schaffte es nur mit ihrer Hilfe, wieder auf die Beine zu kommen. „Ich hab‘ dir gesagt, dass das nichts wird!“ Vorsichtig zog er sich an der Absperrung entlang, während der Rotschopf lockerflockig neben ihm herlief, hin und wieder sogar eine einfache Drehung vollführte. „Du machst das gut... Wirklich!“, kam unter Prusten über ihre Lippen, während Harry sich gerade noch abfangen konnte, um nicht wieder den Boden zu knutschen. „Die Absperrung ist mein Freund… Die Absperrung ist mein Freund…“, murmelte er gleich einem Mantra vor sich hin, doch eine falsche Bewegung und seine Beine zappelten abwechselnd hin und her, kaum hatte er mit dem einen Halt erlangt, schlug das andere aus und es dauerte er eine Weile, bis er beide Füße wieder gleichzeitig auf der Eisfläche halten konnte – selbstverständlich alles begleitet von dem Spott der Journalistin. Jene hielt sich vor lauter Lachen schon den Bauch, wischte sich gar eine Träne aus den Augenwinkeln, bevor sie dann dem Gleichgewichtslegastheniker die Hand hinhielt. „Komm schon, ich pass' auf dich auf.“ Natürlich sagte sie das nicht, ohne zwischendurch von unkontrolliertem Kichern unterbrochen zu werden. Harry schüttelte nur energisch den Kopf, festigte seinen Halt um die Bande. „Diese Schönheit hier…“ Er klopfte gegen die Absperrung. „… ist echt nett zu mir. Du nicht.“ Das belustigte Zucken um seinen Mundwinkel ließ sich nicht verbergen – als ob sowas seinen Humor stehlen würde! - doch tatsächlich spiegelte sich seine Nervosität in den dunklen Augen wider, sobald er die Eisfläche fixierte. Das war nicht sein Territorium, nicht sein Revier… Er sollte sich von dieser gefährlichen, unbezwingbaren Bestie fernhalten! Das kleine Mädchen, etwa im Grundschulalter, dass mit hoher Geschwindigkeit lachend – lachte sie ihn aus? Sie lachte ihn aus - an ihm vorbeiraste und auch noch eine Pirouette vorführte, ignorierte er gekonnt.

Jill hingegen ließ sich nicht ignorieren, fuhr auf ihn zu und löste mit sanfter Gewalt die Hände des Drummers von der Eisbahnbegrenzung. Unweigerlich sträubte er sich etwas, die schützende Wand zu verlassen, doch die Frau mit dem kupferroten Haar war gnadenlos, doch statt Amüsiertheit lag nun Zuversicht in ihrem Blick. „Das klappt schon, vertrau‘ mir.“ 

„… und dies waren die letzten Worte, die er in seinem jungen, traurigen Leben hörte.“

„Hey!“ Gespielt verärgert boxte sie ihm gegen den Oberarm, schmunzelte jedoch. „Du hältst dich auch für witzig, was?“

„Ich bin witzi… Uaaaah!“ Die Journalistin hatte die Ablenkung zu ihrem Vorteil ausgenutzt, Harry bei beiden Händen – deren Griff er aufgrund der Witzelei gelockert hatte – gepackt und mit sich gezogen. „Ichwerdesterben.Ichwerdesowasvonsterben.“ 

„Vielleicht solltest du für den Anfang erst einmal die Augen öffnen.“ Ganz langsam öffnete der der Todesängste ausstehende Eiskunststolperer erst ein, dann das andere Lid und blickte in das grinsende Gesicht Jillians. „Und? Ist doch gar nicht so schlimm, oder?“ 

„Äh… N-nein…“ Wirklich überzeugend klang das nicht und Harry musste tatsächlich dem Drang widerstehen, erneut die Augen zuzukneifen und auf sein Ende zu warten. Wäre das nun ein Disneyfilm, Liebesroman, eine Soap Opera oder was auch immer, hätte Harry nun sein unentdecktes Talent zum Schlittschuhlaufen entdeckt und hätte der Liebe wegen hart trainiert, um irgendwann bei einer Meisterschaft anzutreten und mit dem Preisgeld den größten Wunsch seiner Angebeteten erfühlt. Oh, oder ein Bollywood-Movie, dann hätte er noch eine traumhafte Performance auf dem Eis mit einer Gruppe weiterer Tänzer in einem goldenen Anzug aus Satin hingelegt. Er stellte sich Jillian für einen Augenblick mit einem Nasenring vor und wusste nicht, ob er das heiß oder verwirrend finden sollte. Eine gruselige Mischung aus beidem vielleicht.

Aber das war kein Musical, kein Bollywoodfilm. Um ehrlich zu sein, konnte er es kaum erwarten, wieder griffigen Boden unter den Füßen zu haben. Aber Jill führte ihn so sicher über die spiegelglatte Oberfläche, dass sich zumindest seine Haltung minimal entspannte.

„Ich lass' dich jetzt los, einverstanden?“

„Nein!“, kam es wie aus der Pistole geschossen. Erneut keimte Panik in seinen Augen auf, entsetzt starrte er die rothaarige Frau vor sich an, welche sich diesmal nicht über ihn lustig machte – auch wenn er nicht wusste, wie er das Zucken ihrer Mundwinkel deuten sollte.

„Du schaffst das. Keine zwölf Meter bis zur Bande, eine Leichtigkeit.“ Dann ließ sie auch schon seine Hände los, kurvte rückwärts, während Harry erst für eine Sekunde wie angewurzelt stehen blieb, sich schließlich doch in Bewegung setzte. Gaaanz langsam, ziemlich ungelenk und umgeben von einer Woge aus Angst und Unsicherheit gelangte er vorwärts, konzentrierte sich auf jede einzelne Bewegung seines Körpers und tatsächlich kam er voran. Zwar langsam, aber bewegte sich. Und während er langsam auf

Jillian zustackselte, zeigte sich auf dem Gesicht jener Frau ein zufriedenes und gar ein wenig selbstsicheres Lächeln.

Das kurz darauf gefror und dem Eis Konkurrenz machte. Ihre Augen weiteten sich, ein tonloser Schrei entwich ihren Lippen, während Harry nicht wusste, wie ihm geschah.

„Jenna, pass auf! Verdammt!“

„Aaaaachtung!“

Mit einem Mal ging alles ganz schnell: er sah die junge Frau – sehr junge Frau, ziemlich sicher noch ein Teenager noch ein Teenager – aus den Augenwinkeln auf ihn zurasen. Wie in Zeitlupe wandte sich sein Kopf in ihre Richtung, doch sie war so schnell auf den Schlittschuhen, dass Harry keine Zeit blieb, sie genauer zu mustern, als ihn auch schon etwas am Handgelenk packte und aus dem Weg zog. Wie sollte es auch anders sein, verlor er er das Gleichgewicht, stieß dabei gegen Jillian, welche vermutlich gerade Schlimmeres verhindert hatte, nur damit sie gemeinsam auf den Boden prallten.

„Was steht der auch da so rum?!“, hörte er die Fremde gedämpft zetern. „Wenn der nicht fahren kann, hat der hier nix zu suchen oder er soll sich so einen Pinguin für Kinder nehmen!“ Doch war er damit beschäftigt, sich auf dem Eis abzustützen, um Jillian nicht mit seinem Gewicht zu erdrücken.

„Hast... Hast du dir was getan?“ Besorgt sah er auf seine Begleitung hinab, welche entgegen ihrer sonst so selbstbewussten Natur ein wenig zaghaft nickte. Ihre Blicke trafen sich und dann war es da, dieses berühmte Knistern, das jeder kannte, aber niemand so recht beschreiben konnte. Auch Harry merkte dann, dass ihre Gesichter nur noch wenige Zentimeter von einander entfernt waren. Sein Augen wanderten zu ihren Lippen, als sich auch schon ihre Hände in seinen Nacken legten, ihn ganz langsam zu sich zogen. Harry schluckte schwer, sein Herz rastete regelrecht auf, wollte den Brustkorb sprengen und er hatte Sorge, dass sie seine Nervosität selbst durch die dicke Winterkleidung spürte. Sein Hirn schien plötzlich blutleer – was vielleicht ganz gut war, sodass er nicht weiter darüber nachdachte, was gleich folgen sollte. Zärtlich strich er ihr eine verirrte Locke aus dem Gesicht, fuhr weiter über ihre Wange und...

… hielt inne, runzelte die Stirn.

„Dein Ohrring.“

„Wow, du weißt auch, wie man einen magischen Moment zerstört.“ Der Frust in ihrer Stimme war kaum verkennbar. Aber leider ist das hier immer noch kein schmalziger Roman von Nicholas Sparks, Harry dafür aber ein Vollidiot.

Der Musiker stemmte sich auf, schüttelte den Kopf und blickte sich um. „Dein Ohrring ist weg.“

Nun fasste sich Jill selbst an die besagte Stelle, betastete einige Male das Ohrläppchen. „Oh nein...“

„Er muss hier noch irgendwo liegen.“ Harry rollte sich wenig elegant zur Seite, sodass Jillian sich aufrichten konnte, um danach ihm auf die Beine zu helfen. Nun suchten sie gemeinsam die Eisfläche ab, doch von dem Schmuckstück keine Spur und der Rotschopf wirkte regelrecht geknickt.

„Die habe ich von meiner Großmutter bekommen“, kam es leise von ihr, woraufhin Harry sich weiterhin verzweifelt umsah, sich dabei gewohnheitsmäßig durch das Haar streifte. Natürlich hatten die Dinger eine Bedeutung, anderweitig hätte die Journalistin einfach nur gelacht und abwinkend deutlich gemacht, dass sie zuhause noch siebenundsechzig Paar ihrer geliebten Ohrschmuckstücke besaß. Doch Harry wusste nicht, wie er ihr helfen konnte. Die Chance, den Ohrring wiederzufinden, schätzte er als verschwindet gering ein. Es war nicht nur dunkel, nein, da waren auch die zahlreichen Menschen, die unachtsam sich ihren Weg durch den Park bahnten und damit den Ohrring schon sonst wohin getragen haben konnten – sie wussten ja nicht einmal, wo Jill ihn überhaupt verloren hatte.

Auch Jillian schien sich dessen bewusst, ein schweres Seufzen entfloh ihr, nachdem sie die Schlittschuhe wieder abgegeben und – endlich – wieder in festem Schuhwerk steckten. „Ich... Es tut mir leid. Kann ich dich vielleicht auf ein paar Schokoerdbeeren einladen? Um dich zumindest ein kleines Bisschen aufzuheitern?“ Jillian rang sich ein trauriges Lächeln ab, nickte dann jedoch. Doch der Kummer, den sie ausstrahlte, machte Harry deutlich, dass der Abend so gut wie gelaufen war.

„... Tausend Dollar bei K.O.! TAUSEND! Alles, was ihr dafür tun müsst, sind läppische zehn Dollar Startgebühr an den Tag legen und diese wundervolle Dame hier...“ Der Mann mit dem Irokesenschnitt deutete auf eine Frau mit orangerotem Haar und einer auffälligen Fliegerbrille auf dem Kopf, welche dem Kerl mit dem Mikrofon einen skeptischen Blick zuwarf. „... auf die Bretter schicken! Zehn Dollar Startgebühr, meine Damen und Herren! Oder ihr wettet auf einen Kämpfer – ihr setzt, was ihr wollt und wenn euer Favorit gewinnt, verdoppelt sich euer Einsatz! Leicht verdientes Geld, die Weihnachtsgeschenke können kommen und denkt nur daran, was ihr damit...“ Er wedelte mit vermutlich zehn Hundertdollarnoten herum. „... alles anstellen könnt!“

„ICH SCHLAGE KEINE MÄDCHEN!“, kam es aus der Menge von einem Halbstarken und seine Kumpels lachten sich kaputt, johlten regelrecht – das waren sie ihm für den ach so coolen Spruch natürlich schuldig.

„Unsere Lexi hier, ist kein Mädchen, sie ist ein Biest!“

„Eddie, so langsam ist gut...“ Ein noch kleinerer Mann murmelte dem Moderator die Worte ins Ohr, doch der Angesprochene ließ sich nicht beirren, legte einen Arm um die Boxerin, die durchaus einen trainierten Eindruck machte. Gut, laut Harrys Maßstäben waren alle Menschen trainiert, die auch nur einmal die Woche joggen gingen, aber diese Lexi schien zu wissen, worauf sie sich einließ.

„Aber ich kann schon verstehen, dass du Angst hast“, sprach Iro-Eddie nun den Proll an, beugte sich von dem weihnachtlich geschmückten Podest, das scheinbar auch als Ring fungierte, hinab und grinste süffisant den jungen Kerl an. Jener schien mit sich zu hadern, doch glücklicherweise scharte jeder Halbstarke auch eine Halbstarken-Gang um sich herum, die schon dafür sorgten mit ihrem Gegröhle schon dafür, dass dem Jungspund keine andere Wahl mehr blieb.

Doch gerade hatte er einen Schritt nach vorne gemacht, drängelte sich ein anderer Mann vor, der im Gegensatz zu dem anderen doch eine gut definierte Statur aufweisen konnte. „Ich mach's.“

Milchbubi nutzte dann die Chance, um in der Menge unsichtbar zu werden, auch wenn der Schausteller mit der verrückten Friseur doch ein wenig enttäuscht war – hatte er doch gehofft, dass Lexi dem kleinen Großkotz mal ordentlich den Hintern versohlte – schien der neue Gegner doch ein wenig mehr die Menge zum Jubeln zu bringen. Schließlich sah er wenigstens so aus, als hätte er zumindest den Hauch einer Chance.

Der kleinere Mann auf dem Podest, der nicht das Spektakel moderierte, half mit einem kräftigen Handgriff dem Herausforderer hinauf. Der wollte direkt an ihm vorbei in die Mitte des Podests, doch der Mann mit dem ausladenden Pelzmantel stellte sich ihm in den Weg. „Die Startgebühr.“

Es dauerte einen kurzen Augenblick, dann wurde ihm – natürlich nicht ohne Grummeln – ein Schein in die Hand gedrückt und der Waghalsige wurde durchgelassen.

„Danke, Butch... Nun, heißen wir unseren Herausforderer willkommen... Wie ist dein Name, Junge?“

„Jared.“ Er winkte in Richtung Publikum und Harry glaubte, dass er einem Mädchen zuzwinkerte.

„Und du kommst aus?“

„New York. Bin gerade auf Weihnachtsbesuch in Portland. Bin aber hier geboren und groß geworden.“

„Ein waschechter Portlander also! Na, wenn das keinen Applaus wert ist!“ Die Menge klatschte und Jared verneigte sich leicht.

„In wenigen Minuten wird sich zeigen, ob du mutig oder einfach nur dumm bist. Was glaubst du, wie das für dich enden wird?“

„Uhm... Ich...“

„Ach, ist ja auch egal. Du kannst dich jetzt noch zwei Minuten aufwärmen und mein Bruder Butch bringt dir dann die Handschuhe. Kurz zu den Regeln: keine Tritte, keine Schläge in die Weichteile, kein Beißen, kein Schubsen, kein Kratzen, kein...“

Die Boxerin konnte ihr Grinsen nicht verkneifen. „Wie du mit den Dingern kratzt, will ich sehen.“ Dabei hob sie schon die behandschuhten Fäuste hoch.

„Ich mein' ja nur... Also, hast du alles verstanden?“

Jared nickte, schien aber doch ein wenig verwirrt, als ihm auch schon der Mann namens Butch, der keine 1,70m maß, die Boxhandschuhe reichte, ihm dann ein kleines Teil aus Plastik in die Hand drückte. „Zahnschutz. Sonst schlägt sie dir Löcher ins Gebiss.“

Bevor er jedoch reagieren konnte, ertönte wieder die Stimme des Irokesen-Typens aus den Lautsprechern. „Du darfst dir jetzt noch ein Lied wünschen.“

Lexi zu, welche spielerisch ein paar Kniebeugen vollzog, dann ein paar mal in die Luft boxte, schmunzelte amüsiert: „Such dir schnell was aus. Sonst macht er es. Und das willst du nicht.“

„Wollen wir weiter?“, fragte Harry an Jillian gerichtet und jene nickte. Wenig später drang aus den Boxen schon Run DMCs It's Like That und die Menge jubelte. Harry wusste nicht, auf wen er gewettet hätte, aber ihm war klar, dass es bei diesen Showkämpfen nicht immer mit rechten Dingen zuging. Ob das hier der Fall war... Keine Ahnung.

„Alter, du hättest da mitmachen sollen, was bist du denn für 'ne Muschi?!“

„Hast du ihre Bauchmuskeln gesehen? Die hätte mich auseinander genommen!“

„Das ist ein Weib, was soll die schon groß können?!“

„Hast du das auch gesagt, wenn deine Mutter dich mit dem Schlappen verprügelt hat? Whatever... Ich habe dieses Prachtstück gefunden, da krieg' ich sicher auch 'nen Hunni raus.“ Der Grünschnabel wedelte mit einem Gegenstand, der bläulich in dem Schein der Lichter aufblitzte. Ruckartig wandte Harry den Kopf um.

„Krass!“Das ist voll die Antiqualität!“

„Antiquität. Und das gehört nicht dir.“ Harry hatte sich von Jillian gelöst und war auf das kleine Grüppchen junger Männer zu geschritten. Kurz nahm er die Truppe von vier Personen in Augenschein, sie waren maximal alle Anfang zwanzig, trugen alle die gleiche Frisur und auch ihre aufgeblasenen Jacken schienen sie alle beim gleichen Ausstatter zu kaufen.

„Was willst du? Den hab' ich gefund'n.“ Verächtlich starrte er Harry an, während er den Ohrring in seiner Jackentasche gleiten ließ. „Hör' mal, ich will keinen Ärger. Der Ohrring da gehört meiner Freundin. Wie du siehst, hat sie noch den zweiten. Und ich fänd's echt gut, wenn du mir das Ding gibst und wir dann wieder unsere Wege gehen.“

„Hör' mal, ich will auch keinen Ärger. Ich fänd's gut, wenn du dich einfach verpisst“, äffter er dann Harry nach, woraufhin seine Jungs wieder gehässig lachten. Sie wandten sich schon zum Gehen ab, dann packte Harry die Schulter des Diebes.

„Komm' schon, ihr liegt viel an dem Teil.“

Jener zuckte mit den Schultern, befreite sich schüttelnd von Harrys Griff und spuckte auf den Boden. „Hätte die Fotze eben besser drauf aufpassen müssen.“

Das war der Moment, in dem sich Harrys Blick verfinsterte. Tief atmete er ein, versuchte sich zusammenzureißen und hielt die Hand geöffnet dem Fremden entgegengestreckt.

„Gib' den Ohrring zurück. Ich sag's nur noch ein letztes Mal.“

„Harry, nicht... Das ist es nicht wert...“

„Sonst was? Willst du Lauch mich verprügeln?“

„Zum Beispiel.“

Nicht mit dem Schlag rechnend, taumelte der Kerl zurück. Harry war zwar nicht wirklich trainiert, doch das Schlagzeugspielen sorgte dafür, dass der Treffer am Kinn des Typen doch einiges an Wumms dahinter hatte. Jener fackelte nicht lange, nachdem er kurz voller Entsetzen den Lauch angestarrt hatte, stürzte begleitet von einem wütenden Schrei auf Harry zu. Der erste Schlag streifte seine Wange, doch zweite grub sich in seinen Magen, sodass Harry gekrümmt zurück taumelte.

„Hört auf!“, konnte er Jillian rufen hören, doch Grünschnabel sah nur noch rot – und Harry hätte nicht gedacht, dass hinter der großen Klappe mehr steckte. Gerade noch konnte er einem weiteren Faustschlag ausweichen, bevor er nun selbst den Ellbogen hochzog, den Kerl ordentlich traf. Jener schien sich auf die Zunge gebissen zu haben, Blut rann seinen Mundwinkel hinab, doch dies schien ihn nur noch mehr anzustacheln.

Harry bemerkte nicht, wie sich die Menschen um die beiden kämpfenden versammelten, fixierte nur seinen Gegner, der wutentbrannt auf ihn eindrosch. Schützend hielt er die Arme vors Gesicht. Die Weihnachtsmarktbesucher begannen zu jubeln und so langsam hoffte Harry, dass ein Polizist auf die ganze Scheiße aufmerksam wurde. Wobei - lieber nicht. Am Ende wurde er noch erschossen.

So sehr auf den Schutz seines Kopfes bedacht, dachte er nicht daran, dass andere Körperteile ungeschützt waren. Der Schmerz, der sich in seinem Schritt manifestierte, dann mit voller Wucht ausbreitete und kurzzeitig an den Rand der Ohnmacht brachte. Während der Schmerz in weiter in den Unterleib wanderte, sackte der Siebenundzwanzigjährige zusammen, kämpfte nun mehr mit Übelkeit anstatt dem abschwellenden Schmerz. Sein Gegner schubste ihn auf den Rücken, ehe er sich auf ihn drauf warf und Harrys ungeschütztes Gesicht mit Faustschlägen malträtierte. Harry versuchte ihn von sich zu stoßen, doch der Kerl war wesentlich kräftiger, sodass Harry die Schläge über sich ergehen lassen musste, weiterhin begleitet von Jillians verzweifelten Rufen. Anfänglich noch der Meinung, er machte hier gar keine so schlechte Figur, hatte sich das Blatt nun gewendet. Er war ihm schlichtweg ausgeliefert.

Gerade, als Harry dachte, dass das sein Ende war... Dass er hier und jetzt zu Tode geprügelt wurde, nur weil er den Helden spielen musste, spürte er, wie das Gewicht auf ihm ruckartig verschwand. Da ein Auge schon angeschwollen war, öffnete er vorsichtig das andere und sah, wie diese Lexi den Schläger am Kragen gepackt hatte, ihn auf die Beine zog und ihm nur einen gezielten, aber dafür heftigen Schlag ins Gesicht verpasste. Die Menge tobte, hatte sich längst von dem Podest in die Richtung der kleinen Fläche verlagert, an welcher zuvor die beiden Männer gekämpft hatten und die Boxerin dem Kerl die Leviten las. "Ich trete nie mehr jemandem in die Weichteile. Außer, es ist ein mieser Vergewaltiger oder Pädophiler... Oder er will mich töten. Sag es!" Ihre Worte, die sie selbstverständlich schlagkräftig untermauerte, sorgten nach erstem Sträuben doch für die gewünschte Wirkung, sodass er mit zittriger Stimme ihre Worte wiederholte.

„Oh, was für eine Wendung! Lexi, Kämpferin für Gerechtigkeit, unterbrach den Kampf, um einem jungen Mann zur Hilfe zu eilen! Was für eine Frau!“ Die Stimme, die durch das Mikrofon schallte, dröhnte in Harrys Kopf, während er sich langsam aufrappelte. „Der Ohrring... Er hat noch den Ohrring...“

Die sportliche Frau blickte ihn kurz irritiert an, dann schien es Klick zu machen und soe wandte sich wieder dem Dieb zu, welcher mittlerweile herzzerreißend wimmerte. Noch immer hielt sie ihn am Kragen seiner Jacke fest, hielt ihm eine Hand hin. „Ohrring.“

„O-... Okay...“ Kleinlaut holte der Typ das Schmuckstück heraus, reichte es der Boxerin, woraufhin sie ihn losließ. „Und jetzt verzieh' dich.“ Er ließ sich das nicht zweimal sagen, stolperte unter dem Gelächter seiner Freunde davon. „So, hier. Jetzt muss ich weiter machen. Der da bettelt um Schläge.“ Sie nickte in Richtung des Podests, auf welchem noch der verdutzte Jared schulterzuckend, dafür mit blutiger Nase, stand. Harry nahm den Ohrring entgegen, rang sich ein schiefes Lächeln ab. „Danke.“

Sie salutierte kurz. „Keine Ursache. Du solltest aber auch verschwinden, bevor die Bullen auftauchen. Da haben eine paar Spießer schon ihre Handys gezückt. Also, bis dann.“ Sie joggte kurz die paar Meter zu dem Podest, auf das sie sich begleitet von tosendem Applaus hinaufzog.

„Warum bist du so... so dumm?!“ Jillian tupfte mit einem Taschentuch das Blut aus Harrys Gesicht, während jener leise auflachte. Sie hatten sich auf einer Bank niedergelassen und glücklicherweise fahndete niemand nach ihnen – was vielleicht auch an den Schaustellern lag, die glaubhaft vermittelten, dass das ganze zu ihrer Show gehörte.

„Ach ja...“ Harry strich Jillian das lockige Haar hinter das linke Ohr, nur um das geliebte Schmuckstück an jenem zu befestigen. „Weißt du eigentlich...“

„Hm?“ Sie sah zu ihm hinauf, hoffnungsvoll, aber auch voller Wehmut.

„... Dass die Teile unglaublich hässlich sind?“

„Idiot!“ Jillian boxte ihm in den Bauch, woraufhin Harry sich nicht entscheiden konnte, ob er schmerzerfüllt stöhnen oder lachen sollte.

„Ich suche gleich den Typen und sage ihm, er soll dir nochmal in die Eier treten!“ Sie schnaubte auf, ehe auch sie in das Lachen einstimmte. Kaum verebbte ihr Gelächter, legte Jillian den Kopf schief und platzierte ihre Hände in den Schoß. „Danke, Harry. Ohne dich hätte ich dieses unglaublich hässliche, aber genauso mir unglaublich wichtige Teil nie wieder gesehen. Da kann kein Weihnachtsgeschenk gegen anstinken.“

Er wollte abwinken, ihr sagen, dass er das jeder Zeit wieder machen würde – vielleicht das nächste Mal, ohne sich verprügeln zu lassen – da hatte sie sich schon zu ihm herüber gebeugt und ihre weichen Lippen berührten sanft seine Wange. Plötzlich wurde ihm unheimlich warm, sein Hirn fuhr wieder Karussell und tanzte gleichzeitig Polka. Bevor er jedoch reagieren konnte, hatte sich die Reporterin erhoben. „Auch Schokofrüchte? Die gehen natürlich auf mich.“ In dem Augenblick segelten die ersten Flocken hinab und zeitgleich blickten beide gen Himmel, welcher mit jeder Sekunde mehr Pulver verschoss.

„Ist auch noch ein Bier drin?“, fragte er, nachdem er endlich seine Sprache wiedergefunden hatte.

„Vielleicht sogar zwei“, antwortete der Rotschopf zwinkernd, bevor sie sich umwandte und dem Getümmel an der Bude annahm.

Harry sah ihr nach, eine Hand berührte unweigerlich seine Wange. Obwohl die Jungs nicht dabei waren. Obwohl Spencer ihn in Verlegenheit gebracht hatte. Obwohl er sich auf dem Eis zum Affen gemacht hatte. Und obwohl er nun hier hockte, den Körper übersäht mit zahlreichen Blessuren, mochte er behaupten, dass das Date ein voller Erfolg war.

Jetzt konnte kommen, wer wolle – aber niemand würde es schaffen, das breite Grinsen aus dem Gesicht zu prügeln.



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Kommentare zu dieser Fanfic (6)

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Von:  Sha-of-Pride
2018-12-07T09:54:51+00:00 07.12.2018 10:54
Ich finde die Beiden einfach süß zusammen *_*
Von:  Keinseier
2018-12-02T20:15:37+00:00 02.12.2018 21:15
Jetzt hab ich es auch geschafft ;D

Wirklich meeeega süße Story und toll das so viele andere Charaktere einen kurzen Gastauftritt haben <3
Harry ist wirklich ein Romantiklegastheniker vom allerfeinsten xD Oder sagen wir... er hat kein Timing und dabei sollte er das doch gerade als Schlagzeuger haben :')
Nein, ich finde das macht ihn sehr symphatisch und die schlagfertige Jill passt tatsächlich ziemlich gut zu ihm.

Love-Luke und Iro-Eddie kamen definitiv unerwartet und die Vorstellung ist wirklich zu gut!
Auch mit Jareds Auftritt habe ich nicht gerechnet. Was ihn da wohl geritten hat? War bestimmt wirklich das Mädchen dem er da zugegrinst hat. Aus Spaß an der Freude wäre er wohl eher weniger in den Ring gestiegen. Ich fürchte ja gegen Lexi hatte er dann doch keine Chance, aber hey - anscheinend hat er sich nicht so ganz mies geschlagen xD
Tara wäre wirklich prädestiniert fürs Pöbeln, allerdings kannten die sich da ja wirklich noch nicht. Schade schade!

Mir hat die Geschichte jedenfalls sehr gut gefallen. Die weihnachtliche Stimmung kam einfach total gut rüber. Ein sehr gelungener Start in unseren wunderbaren Adventskalender <3
Von:  Mireen
2018-12-02T17:02:37+00:00 02.12.2018 18:02
Ich finde die Geschichte einfach nur wundervoll <3 Für das erste Türchen unseres Kalenders ein ganz zauberhafter Einstieg - gerade weil so viele unserer Charaktere vorkommen, was total geschickt und niedlich verpackt ist. Harry und Jill sind oberniedlich; besonders Harry, wie er den romantischen Moment verkackt und Jill frustriert schnaubt xD Klasse! Und auch sehr schön aufgebaut - wie die Schokofrüchte mehrfach erwähnt werden und es dann doch wieder wechselt, wer sie wem ausgibt. Total süß. Die weihnachtliche Stimmung kommt auch perfekt rüber. Generell konnte ich mir alles sehr gut vorstellen, weil du es so wundervoll geschrieben hast, ich liebe deinen Stil und deine Details. Dass Harry Weihnachten liebt, passt total :) Und auch dass er am Ende noch ein Küsschen auf die Wange bekommt.
Mit wem war denn Jenna eigentlich Schlittschuhlaufen? Habe kurz gedacht, dass Tara da so rumpöbelt - aber die kannten sich da ja noch gar nicht xDD Oder pöbelt Jenna so rum? Würde auch passen... xD

Also ganz ganz klasse, ich bin total begeistert und freue mich auf weitere Geschichten von dir (sollten noch mehr kommen^^) Und ich habe jetzt (bzw. gestern schon als ich sie gelesen habe) Lust auf Weihnachtsmarkt und Schokofrüchte. Und einen Kakao mit zu viel Schuss xD
Von:  XxChrissixX
2018-12-01T09:08:13+00:00 01.12.2018 10:08
Ich finde diese Story besser als jeden Nicholas Sparks-Kitschroman :') Mit ganz viel Humor und dennoch unglaublich viel Gefühl geschrieben! Auch ich liebe die Vorstellung vom glücklichen Luke und der lachenden Riley ein wenig abseits des ganzen. Generell das ganze zufällige Auftauchen, der vielen unterschiedlichen Charaktere, ob es nun Jenna, Spence oder sonst wer war. Eddy hat mich gekillt. Ich hab ihn mit seinem Irokesen-Schnitt vor mir gesehen. Und auch Butch mit seinem Pelzmantel, der erstmal die Kohle will :') Lexis Heldentat mal in den Hintergrund gerückt ist der eigentliche Held der Geschichte aber wirklich Harry - WENN DAS KEINE ROMANTIK IST!!! Und ich hoffe, dass Jill ihre hässlichen und gleichzeitig bezaubernden Ohrringe für immer in Ehren hält :') Und das Eddy, Butch und Lexi Scheine zählend nach Hause fahren konnten.....Jared hat hoffentlich fair gekämpft - weil Mädchen schlägt man nicht und so ! Wobei er darf das....wie das wohl ausgegangen ist?
Wie auch immer ich bin sehr froh, dass das DATE allerdings ein großer Erfolg war! Mögen die Beiden auch heute noch an diesen wundervollen Abend denken.

Toller Start, Sarah!
Von:  Chucks
2018-12-01T08:01:21+00:00 01.12.2018 09:01
So, ich hab mir zuerst mal überlegt, wie ich kommentiere und mach das mal hier.

Eventuell muss ich mich aber noch immer mit die Vorstellung des... fröhlichen... verlieben... Fritten klauenden Lukes verarbeiten... der Riley am Schal zu sich zieht.... diese Vorstellung macht mich fertig.
Aber auch abgesehen davon liebe ich es, dass du es geschafft hast so viele Charakter unter zu bringen und meines Erachtens nach, hast du sie auch wirklich alle sehr gut getroffen. also ich bin sehr zufrieden, wie du meine Liebsten dargestellt hast <3
ich mag sehr, dass wir Harry und Jill durch die Geschichte begleiten und ich hasse dich ein bisschen dafür, dass du die Romantik an der einen Stelle zerstört hast. Das war so verdammt typisch :')
Ich mag wie Spencer ihnen den Kakao 'dezent' zu stark mixte und Harry über Jill ausfragen will und können wir an dieser Stelle mal kurz über Iro-Eddie sprechen? I R O - E D D I E? Eventuell ist mein Hirn an der Stelle kurz explodiert. Erst Love-Luke und dann Iro-Eddie... der die heldenhafte Lexi in der Tat ausgesprochen gut angepriesen hat. Ich liebte das sehr :') Jareds Auftritt hat mich überrascht und die Vorstellung wie er irritiert und mit blutender Nase da steht und irritiert Lexi hinterher blickt...
ich bin auf jeden Fall sehr glücklich mit diesem Türchen, fühlte mich ausgesprochen gut unterhalten und liebe, dass wenigstens irgendwelche Lippen am Ende irgendwelche Haut berührten :')

Ein toller Kalenderstart und ich freu mich auf die Dinge, die noch kommen <3
Von:  Nyrmiel
2018-12-01T07:30:44+00:00 01.12.2018 08:30
Herrje, wäre ich heute Morgen nicht zufällig auf Mexx reingestolpert, hätte ich den Adventstart wohl erst auf Arbeit bemerkt.
Und ich musste es sofort lesen, mit Kaffee und Frühstück habe ich mir das nicht nehmen lassen!

Ich danke dir für diesen wundervollen Start. 💕 War bei deinen Fragen die ganze Zeit schon neugierig wie die Geschichte wohl sein würde. Und sie ist perfekt, das ich sie schon fast zwei Mal gelesen habe. Die ganze Zeit hatte ich die Szenen vor Augen und es ist Klasse wie du die Charaktere wie Spencer, Eddy und Lexi eingebracht hast um noch mehr Schwung einzubringen. Besser hätte ich mir so ein Date nicht vorstellen können. Chaotisch und liebenswert.
Danke nochmal. Das versüßt mir den Tag. 😍


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