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Die Einhörner von Sarn-Scaraan

von

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Das Schicksal einer Welt


 

7.
 

Als Careya langsam wieder zu sich kam, fand sie sich, an Händen und Füßen gefesselt, auf einer schmalen Pritsche wieder. Am Rumpeln der Pritsche erkannte sie, dass man sie auf einem Fahrzeug fort transportierte. Sie versuchte sich daran zu erinnern, wie sie hierher gekommen war.

An diesem Punkt ihrer Überlegungen angekommen öffnete sie ihre Augen und erblickte, als Erstes, den klaren Morgenhimmel über sich. Dann schließlich wandte sie ihren Blick ahnungsvoll zur linken Seite. Sie stieß einen schrillen Schreckensschrei aus, als sie die beiden insektoiden Wachen bemerkte, die auf der gegenüber liegenden Pritsche saßen und sie mit ihren schwarzen Facettenaugen kalt anstarrten.

Beide Insekten waren bewaffnet und nur ihre Fühler bewegten sich, als das Mädchen seine Angst herausschrie. Ansonsten zeigten sie keinerlei Reaktion und ganz langsam beruhigte sich Careya etwas. Schließlich hob sie ihren Kopf leicht an und blickte über den offenen Rand der Ladefläche, nach vorne ins Führerhaus des altertümlichen, bodengebundenen Vehikels. Dort entdeckte sie ebenfalls zwei der Fremdwesen. Für eine Weile beobachtete sie den Fahrer dabei, wie er den Laster steuerte und lenkte sich damit von ihrer Angst ab. Krampfhaft redete sie sich ein, dass die Freunde bereits auf der Suche nach ihr sein und sie am Ende befreien würden.

Die rumpelnde Fahrt über das sanft hügelige Land dauerte weiter an und Careya blickte von Zeit zu Zeit zum Himmel hinauf, an dem die orange-gelbe Sonne merklich weiter gewandert war.

Es musste bereits später Nachmittag sein und ihr Magen begann zu knurren. Doch sie traute sich nicht, eine der Wachen nach etwas zu Essen zu fragen. Sie erstarrte leicht, als sie am Himmel über sich einen großen, violetten Vogel entdeckte, der einige Male hoch über sie hinweg flog, um dann tiefer zu gehen und einige Minuten über dem Lastwagen zu kreisen.

Beruhigende Gedanken hüllten Careya ein und sie wusste plötzlich, dass Hilfe in der Nähe war. Eine unerklärliche Erleichterung überkam sie und fast sorglos entspannte sie sich auf der Pritsche, während der violette Vogel langsam in der Ferne verschwand.
 

* * *
 

Die fünf Jugendlichen waren erleichtert, nachdem Nazcaraan zurückgekehrt war und berichtet hatte, dass Careya zwar eine Gefangene der Vlooran war, sich aber bei bester Gesundheit befand.

„Sobald es dunkel geworden ist werden wir Careya befreien“, sagte Thargan überzeugt und legte seine Hand auf Oras´ Schulter.

Gemeinsam bestiegen sie den Gleiter.

Vizaraan folgte den Kursanweisungen Nazcaraans und folgte vorsichtig dem Konvoi, in dem der Laster mitfuhr, auf dem Careya gefangen gehalten wurde. Vizaraan hielt den Gleiter dicht über dem Boden und folgte den Vlooran mit soviel Abstand, dass das am Schluss fahrende Fahrzeug gerade noch erkennen konnte.

Das rettete ihnen das Leben!

Als der Abend anbrach gab es plötzlich einen Ruck und der Gleiter raste zu Boden. Sämtliche Aggregate waren gleichzeitig ausgefallen.

„Festhalten!“, rief Thargan den Anderen zu und legte seine Arme schützend um Auranea. Gleich darauf erfolgte der Aufprall und die Insassen des Gleiters wurden von den Beinen geschleudert. Bis auf ein paar Beulen und blaue Flecken kamen sie mit dem Schrecken davon. Am besten hatte es Nara dabei getroffen. Sie wurde quer durch den Gleiter, genau in Thurgyrrs Arme geschleudert und begrub ihn unter sich.

Das sechsgliedrige Wesen gab einige heftige Zischlaute von sich, während er das Mädchen in seinen Armen hielt. Dann half er Nara dabei sich wieder zu erheben, bevor er selbst aufstand.

Es dauerte eine Weile, bis es ihnen gelang das verzogene Schott zu öffnen und den schrottreifen Gleiter zu verlassen.

„Bei unserem Weltraumeinsatz scheint der Gleiter, durch Trümmerstücke, beschädigt worden zu sein“, erklärte Vizaraan und blickte der Vlooran-Kolonne sinnend nach. „Von nun an werden wir wieder laufen müssen.“

Sie holten rasch ihr Gepäck aus dem Gleiter, wobei Thurgyrr den Rucksack von Careya an sich nahm. Dabei erweckte er fast den Eindruck, als vermisse er das Mädchen. Sie folgten der rasch kleiner werdenden Kolonne und verloren sie nach einiger Zeit vollständig aus den Augen.

Vizaraan nahm wieder die Gestalt eines Vogels an, stieg in den Abendhimmel auf und folgte den Vlooran in der Luft, um den Begleitern den Weg zu weisen. Erst, als es schon merklich dunkler geworden war, kehrte er zurück und nahm sogleich die gewohnte Einhorn-Gestalt an. Wir werden die Vlooran in etwa zwei Stunden einholen, erklärte er den Menschen auf telepathischem Weg. Sie haben ihr Lager auf der Lichtung eines Ausgedehnten Waldes aufgeschlagen und Careya im größten Zelt, etwa im Zentrum des Lagers untergebracht.

„Wird bestimmt nicht leicht werden, sie da heraus zu holen“, unkte Oras düster. „Nach der letzten Nacht, werden die Vlooran sicher auf der Hut sein. Außerdem sind sie sicher darüber informiert, dass sie in der nächsten Zeit keinerlei Nachschub zu erwarten haben, sonst wären sie sicher nicht so rasch aufgebrochen und hätten den Landeplatz ihrer für ihre Raumgleiter verlassen.“

„Damit werden wir schon fertig“, versuchte Nara ihren Bruder zu beruhigen. „Wir werden Careya schon bald wieder bei uns haben.“

Sie machten sich auf den Weg, in die Richtung, die Vizaraan ihnen wies wobei es Oras war der ein strammes Tempo vorlegte. Trotzdem erreichten sie den Waldrand erst, als es bereits vollkommen finster geworden war.

Vorsichtig, fast in Zeitlupe, pirschten sie sich vollkommen lautlos immer näher zum Feindlager vor. Als sie den Rand der Lichtung erreicht hatten übernahm Vizaraan, in menschlicher Gestalt, die Führung. Einzeln schlichen sie von Zelt zu Zelt, wobei sie den Vlooran-Wachen geschickt aus dem Weg gingen. Sie erreichten so ungesehen ein Zelt, fast im Zentrum des Lagers. Das Zelt in dem sich Careya aufhalten sollte stand weniger als zwanzig Meter entfernt. Thargan spähte kurz um die Ecke und erkannte, dass zwei Wachen vor dessen Eingang standen.

„Was jetzt?“ fragte er flüsternd zu Vizaraan gewandt. „Wenn wir auf die beiden Wachen feuern, haben wir in kürzester Zeit das gesamte Lager am Hals. Und ob wir ihnen ohne Transportmittel entkommen können ist mehr als fraglich.“

Er spähte erneut um die Ecke und bemerkte diesmal, dass an der Seitenwand des großen Zeltes einige der primitiven Lastwagen abgestellt waren und ganz vage reifte in seinen Gedanken ein tollkühner Plan heran.
 

* * *
 

Careya lag, an Händen und Füßen festgeschnallt, auf einer harten, glatten Unterlage und blickte auf eine Traube von Lampen die über ihrem Kopf hing. Einige Vlooran hielten sich im Hintergrund des Raumes auf und das Mädchen hörte sie dort rumoren. Ab und zu verließ einer von ihnen den Hauptraum in Richtung der abgeteilten Nebenräume, die sie nicht einsehen konnte und kehrte dann nach kurzer Zeit zurück. Die Vlooran hatten sie völlig entkleidet. Trotzdem begann sie, unter den warmen Lampen, zu schwitzen.

Nach einer Weile, die Careya endlos lang vorkam, traten drei Vlooran an ihr Lager. Einer von ihnen trug einen schwarzen, ärmellosen Umhang und musterte sie eingehend. Careya spürte die ungeheure Energie, die von diesem Wesen ausging und ihr Blick streifte zur Seite, wo einer seiner beiden Begleiter dabei war, einige glänzende, silberne Instrumente und Gegenstände zu sortieren. Es dauerte nur einen Moment, bis sie begriff was das Erscheinen dieser drei Wesen zu bedeuten hatte.

Der Vlooran, den sie zuerst beobachtet hatte, trug dort Schwarz, wo Ivan Tomisenkow ein makelloses Weiß bevorzugte. Ihr wurde klar, dass er Chirurg war und er wollte sie sezieren, um ihre Anatomie zu studieren. Und das bei lebendigem Leib!

An diesem Punkt ihrer Überlegungen angekommen weiteten sich ihre Augen unnatürlich weit und sie schrie gellend auf.
 

* * *
 

Kaum hatte Thargan seine Begleiter in seine Pläne eingeweiht, als aus dem großen Zelt gegenüber ein gellender, menschlicher Schrei drang. Oras, der Careyas Stimme sofort erkannt hatte, hielt es dabei nicht länger auf seinem Platz. Mit der Waffe im Anschlag stürmte er los, direkt auf den Eingang des großen Zeltes zu und schoss die beiden überraschten Wachen nieder. Gleich darauf verschwand er im Inneren des Zeltes.

Thurgyrr zögerte keinen Moment lang. Er sprang Oras in weiten Sätzen hinterher, noch bevor die Anderen reagieren konnten.

„So viel zu meinem Plan!“, fluchte Thargan erbittert, als er sich endlich von seiner Überraschung erholte und setzte den Beiden nach. „Gebt mir Feuerschutz!“

Oras hatte inzwischen den Vorraum des Zeltes durchquert und war in den Hauptraum vorgedrungen. Er verharrte kurz bei der Szene die sich ihm bot und schoss dann, ohne zu zögern, auf den schwarz gekleideten Vlooran der sich gerade über Careya beugte.

Der Vlooran wirbelte getroffen zur Seite und erst jetzt erkannte Oras das blitzende Skalpell, dass er in seiner Hand gehalten hatte. Als die beiden Assistenten sich ihm zuwandten, sprang ein riesiger Schatten an seiner linken Schulter vorbei. Erleichtert stellte Oras fest, dass es Thurgyrr war, der sich auf die beiden Vlooran stürzte und sie in einen der hinteren Nebenräume schmetterte. Das riesige Wesen sprang ihnen nach, tobte dort weiter und brachte damit den gesamten Zeltaufbau in Gefahr.

Der Junge rannte schnell zu Careya, die mitreißend hilflos auf dem hohen Metalltisch lag. Hastig schnallte er Careya los und nahm die Ohnmächtige vorsichtig auf seine Arme. Aus den Augenwinkeln sah er Thargan ins Zeltinnere stürmen. Thargan schoss auf einen weiteren Vlooran, der in einem der anderen Nebenräume gelauert hatte.

Der Schwarzhaarige blickte sich kurz sichernd um und ergriff dann Careyas Kleidung.

Fast im selben Moment kehrte Thurgyrr in den Hauptraum zurück. In seinen Händen hielt das Wesen die Energiewaffe, welche die Vlooran dem Mädchen abgenommen hatten.

Schnell verließen sie das Zelt und wandten sich, auf Thargans Anweisung hin, nach Links. Gerade in dem Moment, als sie die vlooranschen Lastwagen erreichten, kam Careya wieder zu sich. Oras stellte sie fast übervorsichtig auf die Füße.

„Ich weiß wie man diese Dinger steuert“, rief sie den Anderen zu, nachdem sie sich kurz orientiert hatte. Schnell schlüpfte sie in das Hemd, dass sich Oras vom Leib gerissen und ihr umgelegt hatte. Für mehr blieb im Moment keine Zeit, denn hinter ihnen war fast das gesamte Lager auf den Beinen, um sie unschädlich zu machen.

„Dann fährst du auch!“ rief Thargan ihr über den entstehenden Tumult hinweg zu und kletterte auf den Beifahrersitz.

Glücklicherweise waren die Türen des Führerhauses nicht verriegelt, aber wer rechnete auch damit, dass Jemand eines dieser Vehikel mitten aus einem Vlooranlager stehlen würde? Die Vlooran offensichtlich nicht.

Während die Anderen noch dabei waren, auf die Ladepritsche zu klettern und sich so flach wie möglich hinlegten, versuchte Careya den Laster zu starten. Beim ersten Versuch machte der Lastwagen einen wilden Satz nach Vorne und der Motor erstarb gleich wieder. Dann erst erinnerte sie sich an das Pedal ganz links. Sie trat das Pedal durch, startete den Motor erneut und ließ das Pedal langsam los, während sie gleichzeitig mit dem Pedal ganz rechts Gas gab. Aufheulend ruckte das Fahrzeug an während die Vlooran erste, ungezielte Schüsse auf sie abgaben.

Careya lenkte den Laster, so schnell sie konnte, aus dem Lager heraus, wobei sie mehrere Zelte der Vlooran einfach niederfuhr. Auf der Ladepritsche hoben die Freunde ihre Waffen, legten auf die zurückbleibenden Fahrzeuge an und zerschossen deren Motoren und Reifen, so gut es ging.

Rumpelnd fuhr der Lastwagen im wilden Slalom durch den Wald und verschwand gleich darauf in der Dunkelheit. Mehrmals wäre Careya dabei fast gegen einen Baum gefahren, doch immer wieder gelang es ihr, den plötzlich auftauchenden Hindernissen im letzten Moment auszuweichen.

Als sie endlich die freie Ebene erreichten wurde die Sicht etwas besser und das Mädchen besann sich auf die Gangschaltung des Wagens. Nach einigen Versuchen, hatte sie die richtige Reihenfolge der Gänge herausgefunden und langsam entwickelte sie ein Gespür dafür, wann sie hoch oder herunter schalten musste.

Das Dröhnen des Motors senkte sich auf ein erträgliches Maß herab und immer schneller rumpelte das primitive Vehikel durch die Nacht. Seltsamerweise gab es an dem Lastwagen keine Scheinwerfer, so dass sie Hindernissen oft erst im letzten Moment ausweichen konnte.

Doch Careya steuerte das Fahrzeug mit beinahe unheimlicher Sicherheit durch die Dunkelheit. Immer noch war Oras´ Hemd das einzige Kleidungsstück was sie trug. Doch auch jetzt war keine Zeit um auf solche Dinge zu achten.

Einige Stunden lang fuhren sie, auf Anraten der beiden Metamorpher, in südwestliche Richtung, bis der Boden so uneben wurde, dass es selbst Careya zu gefährlich erschien weiter zu fahren. Sie stoppte den Lastwagen und stellte den Motor ab.

„Wenn ich bei diesen Bodenverhältnissen im Dunkeln weiterfahre, dann werden wir uns sämtliche Knochen brechen“, erklärte sie. „Ich fürchte, wir müssen warten, bis die Morgendämmerung einsetzt.“

„Du hast Recht“, stimmte Thargan ihr zu. „Nutzen wir die Zwangspause, um ein Wenig zu schlafen.“

Er stieg aus und ging nach hinten, während gleich darauf Oras zu ihr in das Führerhaus stieg und Careya ihre Sachen reichte. Schnell schlüpfte sie hinein und fiel Oras anschließend stürmisch um den Hals. Erst jetzt fand sich die Zeit, ihm für ihre Rettung zu danken, von der ihr Thargan, in knapper Form berichtet hatte.

Als Oras seine Arme um sie legte spürte er das leichte Zucken ihrer Schultern und gleich darauf hörte er sie unterdrückt schluchzen. Ihm begann zu dämmern, dass sie erst jetzt die Ereignisse der letzten Stunden und Tage richtig zu verarbeiten begann.

Wortlos hielt Oras das Mädchen in seinen Armen.

Als Careya sich nach geraumer Weile beruhigte, sagte sie mit erstickter Stimme: „Ich hatte solche Angst, ich würde dich nie wiedersehen.“

Im nächsten Moment lagen ihre Lippen auf seinen und sie küsste ihn, als wäre es die letzte Gelegenheit. Möglicherweise stimmte das sogar.
 

* * *
 

Thargan Dareon erwachte, als Auranea ihn an der Schulter berührte und sanft auf die Wange küsste. Ihr besorgter Gesichtsausdruck verhieß ihm nichts Gutes. „Ist etwas passiert?“

„Die Vlooran verfolgen uns anscheinend“, bestätigte sie die dunklen Vorahnungen des Jungen. „Offensichtlich war unsere Sabotage der anderen Lastwagen nicht erfolgreich genug, oder sie besitzen mehr von diesen Fahrzeugen, als wir dachten.“

Thargan folgte ihrem ausgestreckten Arm mit seinem Blick und er erkannte eine gewaltige Staubwolke am nordöstlichen Horizont. Die Dämmerung hatte bereits merklich eingesetzt, obwohl die Sonne noch hinter den Bergen verborgen war. Careya, die zusammen mit Oras die Nacht im Führerhaus verbracht hatte, ließ bereits wieder den Motor an.

Der Laster ruckte an, kaum dass Thurgyrr als letzter auf die Ladefläche gestiegen war. Careya beschleunigte den vlooranschen Lastwagen so gut sie konnte, wobei sie geschickt den Bodenwellen und Senken auswich. Sie schien sich geradezu zu einer Spezialistin für diese urtümlichen Vehikel zu entwickeln.

Trotzdem stellte sich schon eine halbe Stunde eine unangenehme Tatsache heraus: Der Gegner holte auf! Anscheinend besaßen diese vlooranschen Lastwagen eine Reserveschaltung, die Careya entgangen war, oder die es in diesem Fahrzeug nicht gab.

Wie auch immer; die Vlooran kamen langsam aber sicher näher. Oras, der sich hin und wieder zum Fenster hinauslehnte und nach Hinten blickte schätzte, dass sie in etwa einer Stunde auf Schussweite heran sein würden.

Nazcaraan, die wieder eine menschliche Form angenommen hatte, beugte sich auf der Fahrerseite über die Ladepritsche und rief Careya zu: „Fahre einen weiten Linksbogen zu dem Geländeeinschnitt, den du dort hinten erkennen kannst. Dort liegt das Ziel unserer Reise. Ein uraltes Heiligtum meines Volkes, in dem wir in früherer Zeit stets, zu Zeiten der größten Not, Zuflucht gesucht haben.“

Careya fand den angegeben Geländeeinschnitt sofort und fuhr in weitem Bogen darauf zu, um nicht zu viel von ihrem Vorsprung einzubüßen. Als sie ihn eine halbe Stunde später erreichten, musste Oras erkennen, dass seine Schätzung falsch gewesen war, denn ein Gewehrprojektil zerschmetterte den Außenspiegel auf seiner Seite.

Auf seine hastige Warnung hin warfen sich die Begleiter auf der Ladefläche hin und machten sich so flach wie nur irgend möglich. Doch kein weiteres Projektil traf den Wagen, so dass sie langsam zu der Überzeugung gelangten, dass es sich bei dem Treffer um einen Hundert-Gulden-Schuss gehandelt haben musste.

Trotzdem atmete Careya erleichtert auf, als sie in die enge Schlucht einfuhr und sie, wenigstens kurzzeitig, aus dem Feuerbereich der Vlooran gelangten. Trotz der starken Bodenwellen fuhr Careya in halsbrecherischem Tempo durch die Schlucht und die Freunde auf der ungefederten Ladefläche wurden ordentlich durchgeschüttelt. Als sie endlich den Ausgang der Schlucht erreichten, sahen sie, was Nazcaraan angekündigt hatte.

Vor ihnen erhoben sich vier mächtige, stählerne Türme. Jeder von ihnen mindestens zweihundert Meter hoch und an der Basis fünfundzwanzig Meter durchmessend. Im Abstand von fünfzig Metern bildeten die achteckigen, sich nach oben verjüngenden Türme die Eckpunkte eines exakten Quadrats. Ein flimmernder Energieschirm hüllte die vier schwarz-bläulich schimmernden Türme ein.

„Und was nun?“ fragte Thargan Dareon zu Nazcaraan gewandt.

„Wir fahren weiter, bis zum Schutzschirm“, rief die Metamorpherin Careya zu und beantwortete damit gleichzeitig Thargans Frage. „Alles Andere wird sich finden, sobald wir das Heiligtum erreicht haben.“

Die Türme erhoben sich in etwa zwei Kilometer Entfernung. Als sie etwas mehr als die Hälfte dieser Strecke überwunden hatten, fuhren die ersten, verfolgenden Lastwagen aus dem Hohlweg, fächerten nach Außen auf und bildeten mir den nachfolgenden Fahrzeugen eine breite Kette. Sie waren nun in diesem Tal gefangen.

„Wenn uns am Heiligtum nicht ganz schnell etwas einfällt, dann sieht es verdammt schlecht für uns aus“, murmelte Careya düster und spürte, dass Oras ihr beruhigend eine Hand auf die Schulter legte. Ganz dicht fuhr sie den Lastwagen an den Schutzschirm heran und stoppte das Fahrzeug.

Auf der Ladefläche erhoben vier junge Menschen ihre Waffen und visierten jeweils eins der Verfolgerfahrzeuge an. Als ihnen die ersten Kugeln der Vlooran um die Ohren pfiffen erwiderten sie das Feuer. Drei der sich nähernden Lastwagen gingen in Flammen auf, was die anderen dazu veranlasste zu stoppen.

Während Nara beobachtete, wie die Vloorans schnell von den Fahrzeugen absaßen um hinter ihnen in Deckung zu gehen, gab Kumor neben ihr ein unterdrücktes Stöhnen von sich. Entsetzt bemerkte das Mädchen, dass der Junge an der Schulter blutete.

„War nur ein Streifschuss“, ächzte Kumor und verbiss sich den Schmerz. „Na, warte! Die Brüder können was erleben…!“ Damit visierte er bereits einen neuen Gegner an und feuerte seine Waffe ab.

Careya und Oras hatten die Kabinentüren geöffnet und nahmen den Gegner ebenfalls unter Beschuss.

„Ewig werden wir uns die Vlooran nicht vom Hals halten können“, rief Careya resignierend. „Was wir jetzt brauchten könnten, wäre ein Weg durch den Schutzschild.“

Oras, der bei ihren Worten unwillkürlich einen schnellen Blick zum Schutzschild warf, stieß einen lauten Schrei aus: „Da sieh nur!“

Careya blickte in Fahrtrichtung und bemerkte sofort, was Oras so sehr in Aufregung versetzt hatte. Ein breiter Streifen des Weges hatte sich gelblich gefärbt und führte wie eine Straße durch die Mitte des Heiligtums hindurch. Außerdem gab es eine sichtbare Lücke im Schutzschirm vor ihnen.

Ohne lange zu fackeln schloss Careya die Fahrertür, startete den Motor des Lasters und fuhr durch die Lücke im Schutzschirm. Unbeschadet steuerte sie das Fahrzeug hindurch und hielt auf des Zentrum zwischen den Türmen zu.

„Ich wünschte mir nur, das Heiligtum könnte die Vlooran irgendwie verschwinden lassen!“, rief Oras aus.

„Ja“, stimmte Careya zu, wobei sie einen besorgten Blick zur Tankanzeige warf. „Und das möglichst bevor uns der Sprit ausgeht.“

Nur einen Moment später schoben sich spiralartige Läufe aus allen vier Türmen. Zur Überraschung der Flüchtenden wurden alle vlooranschen Verfolgerfahrzeuge von einem violetten Glühen eingehüllt, wobei sich die Konturen immer mehr auflösten. Gleichzeitig wurde das Glühen immer intensiver bis es abrupt aufhörte. Einen Moment waren die Gegner verschwunden und Nichts zeugte mehr davon, dass es auf diesem Planeten jemals Vlooran gegeben hatte.

Verwirrt und gleichzeitig fragend blickten die vier jungen Menschen auf der Ladepritsche zu den Metamorphern.

„Was war das?“ fragte Thargan, der als Erster die Sprache wieder fand.

Nazcaraan und Vizaraan, die ebenso überrascht waren wie alle Anderen, wechselten einige schnelle Blicke miteinander, bevor sie gemeinsam erklärten: „Wir wissen es nicht. Bisher ist noch nie etwas Derartiges geschehen.“

Oras, der in diesem Moment vom Beifahrersitz kletterte, bekam die letzten Worte mit und mischte sich ein: „Vielleicht hat das Heiligtum Ohren.“

Er ignorierte die spöttischen Mienen der Freunde und erklärte: „Als Careya sich eine Öffnung im Schutzschirm wünschte, da erschien eine. Und als ich mir wünschte, die Vlooran mögen verschwinden, da waren sie auch schon fort.“

„Vielleicht sollte ich es dann auch mal probieren“, meinte Thargan sarkastisch, während Careya den Motor des Lasters abstellte. „Alle guten Dinge sind schließlich Drei.“

„Kann nicht schaden“, schmunzelte Kumor.

Thargan blickte, zu Oras´ Verdruss, grinsend in die Runde und meinte dann entsagungsvoll: „Also schön, dann versuche ich es mal. Nun gut, wenn es einen Eingang zum Heiligtum gibt so möge er sich für uns öffnen und uns einlassen.“

Kaum hatte der Junge den Satz beendet, da begann der Boden unter ihnen zu vibrieren und senkte sich gleich darauf ab. Eine Fläche von zwanzig mal zwanzig Metern, an deren Rand der Lastwagen stand, versank in einem geraden Schacht, dessen Wände glasiert worden waren. Tiefer und tiefer sanken sie hinab, bis die Öffnung über ihren Köpfen kaum noch zu erkennen war.

„Glaubst du es jetzt?“ fragte Oras grimmig und fragte sich, wie weit es wohl noch abwärts gehen mochte. Als der Boden endlich zum Stillstand kam waren etwa drei Minuten vergangen. Zu seiner Linken öffnete sich ein breites Schott und weißes Licht flutete den Schacht. Hinter der Öffnung gähnte eine weite Halle, die rechts und links des Schotts mit riesigen Maschinen und Apparaturen angefüllt war. Dazwischen führte ein breiter, etwa fünfzig Meter langer, Gang zu einer riesigen Schaltanlage.

Thargan betrat als Erster den Gang und machte sich auf den Weg zu der Steueranlage. Die Anderen folgten ihm dichtauf. Thurgyrr, der sich nicht wohl zu fühlen schien und von den Metamorphern beruhigt werden musste, machte dabei den Schluss.

Das zehn Meter weite, hufeisenförmige Rund der Steueranlage war angefüllt mit einer sinnverwirrenden Anzahl an Sensorflächen, Kontrollanzeigen und Holo-Bild-Emittern, die zum größten Teil in Betrieb waren. Einige von Ihnen zeigten verschiedene Gegenden auf Sarn-Scaraan, andere das Weltall und auf einem von ihnen entdeckte Kumor eine fremdartige Landschaft, wie er sie noch nie zuvor gesehen hatte. Tausende von Vlooran tummelten sich dort und umringten eine Reihe von Fahrzeugen, wobei ihre Fühler heftig hin und her zuckten. Erst nach einer Weile dämmerte ihm, was für eine Ungeheuerlichkeit er hier entdeckt hatte und laut rief er die Anderen zu sich.

„Da! Seht euch diese Szene genau an!“, rief er fassungslos aus, als die Freunde bei ihm waren. „Der zweite Lastwagen von links trägt eindeutig die Brandspuren einer Energiewaffe. Und zwar genau dort, wo mein letzter Schuss ihn gestreift hat.“

„Du willst damit sagen, das Heiligtum hat die Vlooran von hier, direkt nach Hause befördert – zu ihrem Heimatplaneten? Dann wäre das Heiligtum in Wahrheit nichts Anderes, als ein gigantischer Materie-Transmitter. Vielleicht könnte man mit seiner Hilfe sogar den Planet Sarn-Gorean, oder gar die Erde erreichen.“

Nur wir wissen, dass es diesen Transmitter gibt“, erklärte Careya leise und mit einer seltsamen Betonung. Sie warf einen fragenden Blick in die Runde.

Die übrigen fünf Jugendlichen schwiegen nachdenklich. Sie wussten, was Careya damit hatte sagen wollen. Wenn die erwachsenen Schiffbrüchigen von diesem Transmitter erfuhren, dann würde Sarn-Scaraan die längste Zeit ihre Heimat gewesen sein. Andere Menschen würden hierher kommen, um die Technik des Gigant-Transmitters zu erforschen.

„Ich möchte nicht anders leben, als bisher“, erklärte Kumor leise und nahm Naras Hand in seine. Auf dem Gesicht des Mädchens entdeckte er dabei Zustimmung.

Thargan blickte nacheinander in die Gesichter seine Freunde und erklärte dann: „Der Transmitter gehört den Sarn-Scaraanern und als einzige humanoide Sarn-Scaraaner haben wir das Recht zu entscheiden, wem wir davon erzählen wollen und wem nicht. Wir haben einstimmig beschlossen zu schweigen, wenn ich mich nicht irre.“

Die fünf Freunde nickten ihm einmütig zu.

Nazcaraan, die sich bisher im Hintergrund gehalten hatte, trat nun zu Thargan und sagte eindringlich zu ihm: „Du bist dir bewusst, dass eure Entscheidung den havarierten Raumfahrern die Möglichkeit nimmt das Leben zu führen, dass sie sich wünschen. Habt ihr in dieser Angelegenheit vielleicht nicht etwas zu egoistisch gedacht?“

Der Schwarzhaarige blickte nachdenklich in die goldenen Augen der exotischen Schönheit, bevor er schließlich antwortete: „Schon möglich. Doch andererseits habe ich, soweit ich zurückdenken kann, kaum jemals einen von ihnen traurig, oder gar unglücklich gesehen. Ich kann mir nicht denken, dass sie woanders zufriedener leben würden, als hier. Auf Sarn-Gorean oder Terra hätten sie vermutlich viel mehr Stress und dafür weniger Freude am Leben. Ich meine damit, am wirklichen Leben. Vielleicht ist es ihnen manchmal gar nicht bewusst, aber ich glaube, sie sind hier glücklich. Glücklicher, als sie es an irgendeinem anderen Ort sein könnten.“

Kumor trat an die Seite des Freundes.

„Außerdem würden Menschen über Menschen hierher kommen und den gesamten Planeten kolonisieren, wenn sie von ihm erfahren. Sie würden ihn für sich in Besitz nehmen“, argumentierte der untersetzte Junge. „Das Leben würde sich für alle Lebewesen auf diesem Planeten drastisch verändern. Auch für euch.“

Nazcaraan wechselte einen langen Blick mit Vizaraan und sagte schließlich: „Wir akzeptieren eure Entscheidung und werden uns nicht einmischen. Jetzt, da wir das Geheimnis des Transmitters kennen und wissen, wie man sich Zugang verschafft, können wir jeder weiteren Gefahr von Außen selbst begegnen. Falls ihr es euch doch irgendwann anders überlegen solltet, dann wisst ihr wo der Transmitter zu finden ist. Wir werden euch nun an den Goldmeerklippen absetzen. Danach senden wir Thurgyrr und den Lastwagen dorthin zurück, wohin sie gehören. Nehmt bitte eure Sachen vom Laster.“

Nachdem die sechs jungen Menschen ihre Rucksäcke und Waffen geschultert hatten, ging Thargan langsam zu Nazcaraan und reichte ihr seine Hand.

Die Metamorpherin ergriff sie zögernd und erwiderte vorsichtig den sanften Druck.

„So verabschiedet man sich bei uns von guten Kameraden“, erklärte der Junge.

Nazcaraan lächelte nachsichtig, trat dann etwas näher an ihn heran und umarmte ihn sanft bevor er reagieren konnte. Sie gab ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange und sagte dann lächelnd: „Und so verabschieden sich Freunde bei den Menschen, nicht wahr?“

Thargan nickte verlegen und wandte sich schnell an Vizaraan um ihm ebenfalls zum Abschied die Hand zu reichen. Danach schritt er zu Thurgyrr und legte seine Hand auf die kalte feuchte Brust des Wesens.

„Thurgyrr“, sagte er und blickte zum Gesicht des Wesens hinauf. „Du warst uns ein ein prima Kamerad und Freund.“

Thurgyrr wiederholte diese Geste bei Thargan und zischte heiser dessen Namen, was dem Riesen, wie schon beim ersten Mal, sichtlich Mühe bereitete.

Auch die fünf Anderen verabschiedeten sich von den drei ungewöhnlichen Wesen.

Als sich Careya von Thurgyrr verabschiedete, standen Tränen in ihren Augen. Irgendwie hatte sie dieses fremdartige Lebewesen tief in ihr Herz geschlossen. Als sie zum Abschied ihre Hand auf seine Brust legte und seinen Namen sagte tat das Wesen etwas sehr Seltsames. Etwas, das er bei keinem der Anderen getan hatte. Er legte die Arme seines unteren Armpaares um das Mädchen und drückte es so sanft, wie man es ihm aufgrund seines Äußeren niemals zugetraut hätte. Dabei beugte Thurgyrr seinen Kopf ganz tief zu ihr hinab und sagte, mit weniger Zischen in der Stimme, als bei allen Anderen: „Careya!“

Das Mädchen wischte sich ihre Tränen ab und schritt langsam wieder zu Oras, als Thurgyrr sie schließlich freigab.

Mit melodischer Stimme wünschte Nazcaraan die sechs jungen Menschen zu den Goldmeerklippen und augenblicklich veränderte sich, vor den Augen der Jugendlichen, die Umgebung. Fassungslos sahen sie sich an, als sie entdeckten, dass sie fast wieder Zuhause waren. Sie hatten von dem Transport hierher absolut Nichts gespürt.

Thargan Dareon blickte in die Runde und schlug vor: „Lasst uns nach Hause gehen, Freunde. Man wird sich sicher einige Sorgen um uns gemacht haben.“

„Was erzählen wir unseren Familien und allen Anderen, wenn sie uns fragen was wir gemacht haben“, fragte Kumor unsicher. „Die werden uns doch bestimmt Löcher in den Bauch fragen, sobald das Donnerwetter vorbei ist.“

Thargan sah seinen besten Freund mit leisem Unglauben an. „Jetzt sag bloß nicht, du hast Schiss vor dem Krach, den deine Eltern schlagen werden? Nach all dem, was wir in den letzten Tagen erlebt haben?“

Kumor sah trotzig in die Runde. „Na, ja. Das haben wir immerhin glücklich überstanden. Aber meine Eltern…? Die reißen mir doch den Kopf ab.“

Die Freunde blickten sich einen Moment lang an bevor sie in schallendes Gelächter ausbrachen, in das am Ende selbst Kumor einfiel. Schließlich machten sie sich endlich auf den Heimweg. Sie waren wieder Zuhause.



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