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Hunter of Darkness - Sidestories

Sidestories
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Beginn der Sidestory 2-Eins aus Junas Blickwinkel ist vor dem 25. Kapitel der Hauptstory Hunter of Darkness.
Ab Kapitel 2-Zwei verläuft die Geschichte parallel zu Kapitel 25. der Hauptstory. Komplett anzeigen

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Juna - 1-Eins

Kaum hatte die erste Pause angefangen, hatte ich schon so ein beklemmendes Gefühl im Magen. Eigentlich hatte ich angefangen, dieses Gefühl einfach zu ignorieren, bis es von selbst wieder verschwand.

Eigentlich...

Denn, irgendwie funktionierte es dieses Mal nicht. Je mehr ich es ignorierte, umso mehr schob es sich wieder in den Vordergrund und machte mich fast verrückt. Also gab ich das Ignorieren auf und ging diesem nervtötenden Gefühl auf den Grund, indem ich mich auf dem überfüllten Schulhof suchend umschaute. Als mein Blick die Mauer zum Lehrerparkplatz streifte, kribbelte es plötzlich verräterisch in meinem Bauch. Was auch immer mir mein seltsames Bauchgefühl sagen wollte, es hatte also auf jeden Fall mit dem Lehrerparkplatz zu tun.

 

Während ich nun geradewegs auf den Lehrerparkplatz zu steuerte, blickte ich mich dennoch weiter um. Immerhin war es als Schüler nicht erlaubt, den Lehrerparkplatz zu betreten. Doch, da kein Lehrer in Sicht war, schlüpfte ich einfach durch das leicht offen stehende Tor.

Und augenblicklich sackte mein Magen ab.

Hastig schaute ich mich um und entdeckte ein paar Schüler am anderen Ende des Parkplatzes. Ich sah zwar nur die drei, mir zugewandten, Rücken, doch konnte ich mir denken, dass sie jemanden in die Ecke zwischen der Mauer und einem der Autos drängten. Ohne zu Zögern ging ich auf die Gruppe zu und hörte schon nach wenigen Schritten, wie jemand laut aufschluchzte. Auf der Stelle zog sich mir das Herz zusammen und mir wurde schlecht. Trotzdem ging ich weiter.

 

„Du hast was damit zu tun! Du hast doch gesagt, wir dürfen nicht fahren!“

„Ja, du bist schuld daran, dass Frau Miller im Krankenhaus liegt!“

„Du hast den Unfall verursacht! Gib's zu!“

Es waren zwei Jungen und ein Mädchen, die verbal auf die am Boden kauernde Person los gingen. Als das blonde Mädchen in der Ecke die Anschuldigungen der anderen Drei hörte, schluchzte es erneut laut auf.

„N-nein...! Ich... I-ich hab' doch nur... Ich wollte nicht...“ Endlich war ich nahe genug dran, um den nächstbesten Jungen an der Schulter zu packen und ihn von dem Mädchen weg zu ziehen.

„Ganz schön mutig, zu dritt ein Mädchen fertig zu machen“, meine Stimme war so von Hass erfüllt, dass ich selbst etwas irritiert war, doch ließ ich es mir nicht anmerken.

„Was mischst du dich da ein? Verpiss' dich!“ Der Junge holte mit der Faust aus, doch gab ich ihm nur einen einfachen Stoß gegen die Brust, damit er gegen die anderen beiden stolperte.

„Verpisst ihr euch gefälligst selbst!“ Einen Moment lang starrten wir uns einfach nur an, bis das Mädchen der Gruppe den Jungen von eben an der Schulter packte.

„Lasst uns besser gehen...“ Auch wenn ihre Worte nur gemurmelt waren, hörte auch ich sie. Und, trotz dass der Junge einen Augenblick zögerte, so gehorchte er ihr doch und stapfte davon, gefolgt von den anderen beiden.

 

Ich schaute ihnen noch nach, bis sie auf den Schulhof verschwunden waren. Währenddessen beruhigte sich das unangenehme Gefühl langsam wieder und ließ nur noch etwas vages, ängstliches zurück. Etwas, was mich dazu bewegte, vor dem blonden Mädchen in die Hocke zu gehen.

„Hey... Alles okay, sie sind weg“, versuchte ich sie zu beruhigen, doch schüttelte das Mädchen heftig den Kopf, sodass nun auch der Rest ihres Gesichts von ihren Haaren bedeckt war.

„Nichts ist okay...“ Fragend zog ich die Augenbrauen zusammen, ehe ich zu ihr krabbelte und mich neben sie setzte.

„Wieso ist nichts okay?“

„Weil sie recht haben!!“ Unwillkürlich zuckte ich bei der Heftigkeit ihrer Worte zusammen.

Mit was hatten sie recht?

Wenn ich die anderen richtig verstanden hatte, hatten sie von dem Unfall des Schulbusses vom letzten Wochenende geredet, durch welchen Frau Miller ins Krankenhaus gekommen war. Und sie hatten ihr die Schuld an diesem Unfall gegeben. Wie sollte das denn bitte stimmen?

„Wie sollst du an diesem Unfall schuld gewesen sein? Es ist doch bereits bewiesen, dass die Bremsen vom Bus einfach versagt haben. Du wirst wohl kaum unter den Bus gekrabbelt sein, um die Bremsen zu manipulieren, oder?“ Langsam schüttelte das Mädchen den Kopf und ihr Schluchzen beruhigte sich etwas.

Aber ich wusste, dass es passieren wird...“, ihre Worte waren so leise, dass ich sie beinahe nicht verstanden hätte. Doch war ich gerade deswegen auch davon überzeugt, mich gerade verhört zu haben.

Also strich ich ihr das blonde, kinnlange Haar hinter ein Ohr und beugte mich etwas zu ihr hinüber.

„Hast du gerade wirklich gesagt, du hast gewusst, dass es passieren wird?“ Als sie auf diese Frage tatsächlich mit „Ja“ antwortete, blinzelte ich ein paar Mal ungläubig. Doch sagte mir dieses seltsame Bauchgefühl, dass sie nicht log. Also beschloss ich vorerst, dass sie mir das genauer erklären sollte, bevor ich sie als verrückt erklärte.

„Was meinst du damit, dass du es gewusst hast?“ Zum ersten Mal schaute mich das Mädchen nun an. Sie linste aus verunsicherten, karamellbraunen Augen zu mir herüber.

„Ich habe es einfach gewusst... Ich wusste, dass etwas passieren würde... Aber niemand wollte auf mich hören...“

„Du hast es ihnen gesagt?“ Ich wusste nicht wieso, aber die Tatsache, dass sie es gewusst hatte, überraschte mich weitaus weniger, als die Tatsache, dass sie die Vorahnung anderen mitgeteilt hatte.

Verwirrt blinzelte das Mädchen und hob etwas den Kopf an.

„Ja, habe ich. Mein Dad sagt, ich soll es den anderen sagen, damit ihnen nichts passieren kann.“ So schnell, wie sie den Kopf angehoben hatte, hatte sie ihn auch schon wieder gesenkt und das Kinn auf ihre Knie gelegt.

„Außer meinem Dad hat mir niemand geglaubt. Deswegen war ich auch die einzige, die nicht mit auf diesen Ausflug gefahren ist. Er hat bei der Erlaubnis einfach angekreuzt, dass ich nicht mit darf, auch wenn meine Mom deswegen gemault hat.“ Nachdenklich legte ich den Kopf etwas schief.

„Da hast du echt Glück, so einen Dad zu haben.“ Mit einem leichten Lächeln nickte das Mädchen mir zu und setzte sich endlich gerade auf, auch wenn ihr Blick weiterhin am Boden zu ihren Füßen hing. Nachdenklich schürzte ich die Lippen, betrachtete den Himmel und die Wolkenfetzen an diesem, dann den polierten, glänzenden roten Lack des Autos neben uns und schließlich wieder das Mädchen neben mir.

„Wie heißt du eigentlich? Ich bin Juna.“ Ich konnte ihr ansehen, dass ich sie aus ihren Gedanken riss, als sie zusammenzuckte und mich überrascht musterte. In diesem Moment beschlich mich das starke Gefühl, dass dieses Mädchen keine Freunde hatte, was mich irgendwie traurig stimmte.

„Primrose.“ Mit einem erwartungsvollen Ausdruck in den Augen betrachtete die Blonde mich nun und ich grinste.

„Gut, Prim. Was hältst du davon, wenn wir für heute den Rest des Unterrichts blaumachen? Wenn du deinem Dad davon erzählst, was passiert ist, wird er es sicher verstehen, dass eine Freundin dich wieder aufmuntern wollte, oder?“ Überraschung machte den karamellfarbenen Ton ihrer Augen ein wenig heller, als sie mich anstarrte. Also stand ich kurzerhand auf und reichte ihr meine Hand, um ihr aufzuhelfen.

„Wir sind doch Freunde, oder, Prim?“

„J-ja... Ja, sind wir.“ Die Freude in ihrem Gesicht reichte mir aus, dass ich Prim einfach mit mir zog, um den Lehrerparkplatz, in Richtung Straße, zu verlassen. In meinem Inneren spürte ich, dass ich genau das Richtige tat und es machte mich selbst irgendwie glücklich.

Juna - 1-Zwei

Prim und ich hatten das letzte dreiviertel Jahr beinahe durchweg miteinander verbracht. In den Sommerferien hatte ich ihre Eltern das erste Mal kennengelernt, wobei ihre Mutter meine Freundschaft mit ihrer Tochter missbilligte, auch wenn ich nicht verstand wieso. Ihr Vater wiederum hätte mich am liebsten adoptiert. Und auch meine Eltern nahmen unsere Freundschaft vollkommen gelassen, so wie sie nun einmal waren. Solange ich mich nicht mit „den falschen Personen“ einließ, würden sie nie etwas gegen jemanden sagen, den ich mit nach hause brachte. Und bisher lagen ihre Einschätzungen immer richtig, weshalb ich auf ihr Urteil viel Wert legte, obwohl ich schon bald 17 Jahre alt wurde.

Doch waren die Sommerferien schon eine Ewigkeit lang her. Heute begannen endlich die Frühlingsferien und ich freute mich auf diese eine Woche mehr Freizeit mit Prim. Immerhin sahen wir uns durch den Klassenunterschied nicht so häufig, wie mir lieb war, auch wenn ihre Mom behauptete, wir würden jede freie Minute aufeinander sitzen. Vielleicht taten wir das auch, aber irgendwie reichte mir das in letzter Zeit nicht mehr aus.

Meine Gedanken hingen weiterhin bei Prim und dem Thema Zeit mit ihr zu verbringen, als ich nach dem Läuten der Glocke das Schulgebäude verließ. Ich bemerkte nicht einmal, dass die Person, auf die meine Gedanken fixiert waren, neben mir her lief, bis Prim mich sanft am Arm berührte. Überrascht schaute ich auf sie hinab und blickte auf das scheue Lächeln, das mir mittlerweile so vertraut war.

„Wo hängst du denn schon wieder fest, Juna?“

„Ich, oh...“ Ich unterbrach mich mit einem ertappten Lachen und überging diese Frage kurzerhand. Irgendwie fand ich es unpassend, ihr meine Gedanken zu verraten, wenn ich auch sonst eigentlich nichts vor ihr verheimlichte.

„Nun ja, überall und nirgendwo.“ Ich wedelte mit der Hand, als ob ich eine Fliege verscheuchen wollte. „Na, was wollen wir in dieser freien Woche machen?“ Augenblicklich kippte die Stimmung und ich blieb mitten auf dem Bürgersteig stehen, sodass die anderen Schüler einen Bogen um uns machen mussten. Ich beachtete sie nicht weiter, stattdessen musterte ich die karamellfarbenen Augen meiner besten Freundin, die mal wieder den Boden nach etwas nicht vorhandenem absuchten.

„Prim, was ist los? Wenn deine Eltern schon etwas geplant haben und du deshalb keine Zeit hast, ist das kein Grund, gleich so geknickt zu sein, okay?“ Ich lag oft mit meinen Vermutungen nahe genug an der Wahrheit, weshalb ich den ersten Gedanken, der mir in den Sinn kam, einfach aussprach. Und, wie so oft, traf ich auch jetzt ins Schwarze, denn die Blonde hob ihren Blick an und Unsicherheit spiegelte sich in ihren Augen wider. Kurzerhand überbrückte ich den Abstand zwischen uns und ich legte ihre meine Hände auf die Schultern, wobei ich sanft lächelte.

„Hey, keine Angst, ich bin niemandem böse, wenn du mit deiner Familie etwas unternimmst.“ Was nicht ganz stimmte, denn in meinem Inneren krampfte sich etwas zusammen, das sich nach einer eigenartigen Form von Einsamkeit und Eifersucht anfühlte.

„Aber... Eigentlich wollte ich mit dir...“ Mein Mundwinkel hob sich zu einem schiefen Grinsen an.

„Ich würde auch lieber mit dir die Frühlingsferien verbringen, aber ich bin nicht deine Familie. Ich stehe an zweiter Stelle. Aber das macht nichts. Deine Mom sagt sowieso, dass wir viel zu oft zusammenhängen. Vielleicht will sie einfach nur wieder etwas Zeit mit ihrer Tochter verbringen?“ Abrupt machte Prim einen Schritt zurück, befreite sich so von meinen Händen und schüttelte den Kopf.

„Nein.“ Nur dieses eine Wort und ich war vollkommen davon verwirrt. Ganz kurz nahm ich Kenntnis davon, dass fast alle Schüler die nähere Umgebung der Schule bereits verlassen hatten und nur noch vereinzelte Nachzügler an uns vorbei eilten. Und im nächsten Moment konzentrierte ich mich bereits wieder ausschließlich auf Prim.

„Was meinst du mit „Nein“? Prim, ich verstehe dich gerade nicht.“ Und das kam nicht sehr oft vor, weshalb ich noch einen Moment länger an Ort und Stelle stehen blieb. Beklommen schaute meine Gegenüber mich an und irgendetwas zog sich in mir zusammen.

„Was verheimlichst du mir?“ Angst schwang in meiner Stimme mit, während ich nun doch wieder auf die Blonde zu ging.

„Ich...“ ihr Blick glitt wieder zum Boden, doch ich lies mich nicht beirren und näherte mich weiter, bis ich vor ihr stand. „Meine Dad... Er...“ Ich hatte keine negativen Erfahrungen mit ihrem Dad, weshalb ich ihr Zeit lies, ihre Worte zu ordnen und den Mut zum Sprechen zu fassen.

„Wir... Wir werden umziehen...“ Diese Worte trafen mich wie ein Schlag in den Magen und ich taumelte einen Schritt zurück. Ich konnte einen Moment lang nur auf die Kleinere hinab starren und versuchen, mich selbst wieder in den Griff zu bekommen. Für mich waren diese Worte unglaublich schlimm und Prims Reaktion nach auch für sie.

„Aber... Doch nicht jetzt, direkt, oder?“ Das heftige Kopfschütteln lies Prims Haare wieder in ihr Gesicht fallen, sodass dieses dahinter versteckt lag.

„Okay... Dann bleibt uns also noch Zeit zusammen...“ Ich konnte nur erahnen, dass der Blick ihrer karamellfarbenen Augen auf mir lag, als ich nun wieder zu Prim ging, um sie in die Arme zu nehmen.

„Ihr werdet vermutlich in den Sommerferien umziehen, oder?“ Ich spürte das leichte Nicken an meiner Brust und biss die Zähne zusammen. Das waren gerade mal noch 2 Monate.

„Okay... Okay. Gut.“ In wenigen Sekundenbruchteilen festigte sich ein Entschluss in meinem Innern und ich lockerte meinen Griff um Prim ein wenig.

„Du weißt, dass ich nach der Schule an keine HighSchool gehen will, sondern direkt arbeiten?“ Eigentlich musste ich sie das gar nicht erst fragen, da ich wusste, dass sie sich alles, was ich ihr erzählte, merkte. Das selbe galt auch im umgekehrten Fall. Trotzdem wartete ich darauf, dass die Jüngere zu mir auf sah.

„Sag mir, wo ihr hin zieht und ich suche mir einen Job dort.“ Überrascht zuckte Prim erneut zurück, doch hielt ich sie bestimmt fest.

„Ich lasse dich doch nicht alleine, was denkst du denn?“ Auch wenn mir eigentlich nicht danach war, so grinste ich doch zuversichtlich auf die Blonde hinab. Und das führte dazu, dass sie sich leise schluchzend wieder an meine Brust warf und sich an mir fest klammerte. Sachte streichelte ich ihr über das Haar und legte mein Kinn auf ihrem Kopf ab, wobei ich die ruhige Umgebung betrachtete. Ihr Schluchzen riss an meinem Herzen und festigte meinen Beschluss. Ich würde in dieser Woche direkt sämtliche Firmen anschreiben, die das Internet mir ausspucken würde. Einfach jede. Irgendeine würde mich schon nehmen müssen.

Juna - 1-Drei

Die letzten beiden Monate verstrichen schneller, als mir lieb war. Doch blieb ich nicht untätig. Denn für jede Absage, die zurückkam, schrieb ich mindestens zwei neue Bewerbungen. Auch wenn ich langsam frustriert war und mich manchmal sogar fragte, ob es an meinem Aussehen lag, dass man mir nur Absagen zurücksendete. Man, ich trug nun einmal ausschließlich schwarz, das änderte jedoch nichts an meiner Arbeitsmoral. Und noch weniger an meiner Hartnäckigkeit. Trotzdem führten die Absagen dazu, dass ich mich immer weiter umschaute und in Branchen hineinschaute, von deren Existenz ich bisher nicht einmal wusste.

Doch meine Eltern standen voll und ganz hinter mir und unterstützten mich, wo sie nur konnten, wenn ich mal wieder niedergeschlagen den Kopf hängen lies. Ich weiß nicht wieso, aber es überraschte sie kein bisschen, dass ich wegen Prim wegziehen würde. Immerhin diesen Rückhalt hatte ich, während ich für Prim eine Stütze sein musste. Denn, je näher der Umzugstermin rückte, desto verschlossener wurde die Blonde. Es machte mich wütend, sie so zu sehen, doch zeigte ich ihr nichts davon. Stattdessen wanderte ich des Nachts immer noch etwas umher, wenn ich sie heim gebracht hatte oder von ihr nach hause ging. Ich versuchte etwas zu finden, das sie wieder aufmuntern könnte, doch würde dies vermutlich nur eine sichere Zusage für einen Job fertig bringen.

 

Mit einem Seufzen blickte ich in den sternenklaren Himmel hinauf. Auch heute Nacht wanderte ich wieder durch die Feldwege am Stadtrand. Meine Gedanken spielten Pingpong und wanderten von Prim, zu den ganzen Absagen und wieder zurück. Ich wusste, dass die Absagen sie daran zweifeln ließen, dass ich mein Versprechen wahr machen würde. Und das setzte nicht nur ihr zu, sondern auch mir. Wütend trat ich einen Stein vom Weg und hörte, wie er durch das hohe Gras raschelte, ehe er irgendwo auf den Boden traf und nach einem Moment wieder das nächtliche Zirpen der Grillen weitergeführt wurde.

Gerade, als ich wieder weitergehen wollte, klingelte plötzlich mein Handy. Überrascht zog ich es aus meiner Hosentasche und nahm hastig ab, als ich den Namen auf dem Display las.

„Prim? Was ist los?“ Am anderen Ende der Leitung hörte ich leises Schluchzen.

„Ich... Tut mir Leid, dass ich so spät noch anrufe... Aber... Ich kann nicht schlafen... Ich... Kannst du vorbeikommen...? Bitte...?“ Nur kurz huschte mein Blick auf meine Armbanduhr, da ich das Gefühl für Zeit in den letzten Wochen verloren hatte. Tatsächlich war es bereits 1 Uhr in der Früh und das erklärte ihre Entschuldigung. Insgeheim fragte ich mich, wie lange ich sonst immer unterwegs war und ob meinen Eltern dies auffiel, doch schob ich diese unwichtigen Gedanken beiseite.

„Natürlich. Ich bin gleich da, okay?“ Noch während ich diese Worte sprach, hatte ich den Weg zu Prim eingeschlagen und lief zügig zu ihrem Haus. Das gehauchte „Danke“ verunsicherte mich mehr, als mir lieb war, weshalb ich noch einen Zahn zu legte und, ein wenig außer Atem, schließlich eine halbe Stunde später bei ihr ankam.

 

Leise schlich ich um das Haus ihrer Eltern, bis ich auf der rückwärtigen Veranda den bekannten Blondschopf ausmachte.

„Prim?“ Sie saß mit unter das Kinn gezogenen Knien da und starrte auf den Boden. Erst bei meinen Worten zuckte sie leicht zusammen und stand dann zögerlich auf. Trotz der Dunkelheit konnte ich die Tränen auf ihrem Gesicht sehen, die sie mir die letzten Wochen nicht hatte zeigen wollen. Augenblicklich überbrückte ich den Abstand zwischen uns und zog sie in meine Arme.

„Was ist passiert?“ Sanft schüttelte sie den Kopf und schluchzte einfach nur leise. Erneut zerriss es mir das Herz, doch wartete ich, dass sie sich selbst zum Reden durchringen würde. Währenddessen streichelte ich ihr beruhigend über den Rücken. Nach einer gefühlten Ewigkeit drückte Prim sich schließlich von mir weg und wischte sich die Tränenspuren aus dem Gesicht.

„Können wir wo anders hin?“ Während ich bereits nickte, überschlug ich im Kopf, wo wir um diese Uhrzeit hin konnten.

„Lass uns auf den Spielplatz gehen“, schlug ich dann vor, da dieser nicht weit weg war, aber weit genug von den Häusern, dass wir niemanden störten. Erst, als Prim zustimmend genickt hatte, schlang ich einen Arm um ihre Schultern und führte sie die Straße hinunter, an dem Garagenblock vorbei zu dem versteckten Spielplatz, der sich hinter diesen befand. Einer meiner Mundwinkel zog sich zu einem schiefen Lächeln nach oben, als ich daran dachte, wie viel Zeit wir im letzten Jahr hier verbracht hatten. Und aus diesem Grund lenkte ich unsere Schritte zu einer Bank, die uns beiden vertraut war, damit wir uns setzen konnten.

„Was beschäftigt dich, dass du mich mitten in der Nacht anrufst, hm?“ Ich unterbrach die Stille zwischen uns mit dem Wissen, dass Prim sich sonst um eine Antwort drücken würde. Dann wartete ich geduldig auf ihre Antwort.

Ich... Ich kann... nicht mehr... Ich... Ich will nicht... Ich will nicht weg ziehen... Ich will nicht weg... von dir... Ich...“ Überrascht hielt ich die Luft an, als die Blonde zu sprechen begann. Wieder lief ihr eine Träne über die Wange und ich konnte mich nicht davon abhalten, diese mit dem Daumen aus ihrem Gesicht zu wischen.

„Ich hab dir doch versprochen, dass ich dich nicht alleine lassen werde, oder etwa nicht?“ Ich sah, wie sie sich auf die Unterlippe biss, ehe sie den Blick abwandte und die Knie wieder unters Kinn zog. Kritisch zog ich einen Moment lang die Augenbrauen zusammen.

Aber... Du hast... Du hast immer noch keinen... Job... Du kannst nicht umziehen, wenn du... wenn du kein Geld... verdienen kannst... Und... Wir... Wir können uns dann... dann... nicht mehr... sehen...“ Wieder stieg Wut in mir auf. Wieso vertraute Prim sich selbst und anderen nur so wenig? Sie musste endlich sehen, dass ich meine Versprechen hielt, egal unter welchen Umständen. Doch wie sollte ich das anstellen? Frustriert seufzte ich vor mich hin, ehe ich näher zu ihr rückte und den Arm wieder um ihre Schultern legte.

„Prim“, ich ließ ein wenig Nachdruck in meiner Stimme mitschwingen, damit sie mich anschaute. „Ich habe dir etwas versprochen und ich breche meine Versprechen nie, verstanden? Wenn ich nicht direkt einen Job finde, muss ich mich Vorort eben persönlich bei denen vorstellen, bis ich etwas habe. Und wenn ich solange vom Geld meiner Eltern lebe, schön. Ich zahle es ihnen zurück, sobald ich selbst Geld verdiene. Ich lasse es nicht zu, dass du in einer fremden Stadt alleine bist.“

Aber... Aber...“

„Kein Aber. Du bist mir wichtig, deswegen werde ich alles dafür tun, um einen Weg zu finden, bei dir zu bleiben.“ Erschrocken riss Prim die Augen auf. Mist, hatte ich etwas falsches gesagt? Als sie aufstand, lies ich locker, um ihr ihren Freiraum zu lassen. Doch als ich ihr nun in die Augen sehen konnte, war da keine Angst zu sehen. Der Blick ihrer karamellfarbenen Augen war forschend, nachdem sie sich die Augen mit dem Ärmelrücken ihres grauen Hoodies trocken gewischt hatte.

„Was... meinst du... damit...?“ Okay, ich hatte einen Schritt zu weit nach vorne gewagt. Innerlich rang ich mit mir selbst, während ich die Ellenbogen auf meinen Knien ablegte. Ich würde erst einmal versuchen, sie nicht mit meinen Gedanken zu verschrecken, die ich mir in den letzten Wochen gemacht hatte. Vermutlich waren ihr diese Gedanken zu viel, also versuchte ich es einfach auf der freundschaftlichen Basis, die sich zwischen uns beiden aufgebaut hatte.

„Ich meine es so, wie ich es gesagt habe, Prim. Ich lasse dich nicht alleine.“ Prims Augenbrauen zogen sich misstrauisch zusammen und ich konnte erkennen, dass sie genau merkte, dass ich ihr etwas verheimlichte. Aus Angst, dass sie davon laufen würde, stand ich von der Bank auf und machte einen Schritt auf sie zu. Ich musste ihr also meine Gedanken offenbaren.

„Gut, es ist nicht ganz so, wie ich es gesagt habe. Ich meine-...“ Mit einem Mal wurde ich von Prim unterbrochen, die mit schockiertem Blick zurück stolperte und auf dem Hosenboden landete. Ihre Augen leuchteten in der Dunkelheit und jagten mir einen kalten Schauder über den Rücken. Doch hielten sie mich nur einen Moment tatsächlich davon ab, auf Prim zu zu stürzen und mich zu ihr zu knien. Denn, als ich bei ihr saß und meine Hände sie berührten, spürte ich ihr heftiges Zittern und ich verfluchte mich für mein Zögern.

„Prim? Was ist los?“ Angst schnürte mir fast die Kehle zu, da ich dieses Verhalten von ihr nicht kannte und sie kein bisschen auf mich reagierte.

„Prim?!“

Es kommt... Es ist gleich da...“ Wieder erschauderte ich, als ich die geflüsterten Worte der Blonden hörte.

„Prim, verdammt, was kommt?“ Und da befiel auch mich ein ungutes Gefühl. Dieses beklemmende Gefühl im Magen, wenn etwas nicht stimmte, wenn böses in der Luft lag. Dieses Gefühl, das sich mit brennenden Krallen in meinen Nacken klammerte und mich panisch herum fahren lies. Doch stand dort niemand, auch wenn ich fest damit rechnete.

„Was zur Hölle...? Prim, verdammt...“ Mein Gefühl trieb mich dazu an, fort zu laufen, also packte ich die Blonde unter den Achseln und versuchte sie auf die Beine zu hieven, da sie noch immer auf dem Boden saß. Ich spürte, dass sie versuchte, auf ihren eigenen Beinen zu stehen und lies den Blick kurz von der Umgebung zu ihr hin schweifen.

„Prim, alles klar?“

„Juna“, ihre Stimme klang schwach, als hätte sie hohes Fieber. „Du bist in Gefahr... Etwas wird dich...“

„Sei ruhig“, herrschte ich sie jedoch an und blickte mich wieder voll unbegründeter Panik um.

„Ich bring dich jetzt heim, dir geht’s nicht gut. Und mir passiert nichts, okay?“ Ich hatte Prim kaum drei Schritte vorwärts geschleppt, da warf sich irgendetwas auf meine Brust. Ich konnte nur im Augenwinkel ausmachen, wie Prim den Halt verlor und stürzte, während ich selbst von etwas Unsichtbarem auf den Boden geschmettert wurde. Panische Angst schnürte mir die Kehle zu und ich spürte heißen Atem in meinem Gesicht, doch war dort nichts. Da ich mich nicht auf meine Augen verlassen konnte, kniff ich diese zusammen und konzentrierte mich auf das schwere Gefühl auf meiner Brust. Dort lag etwas, das definitiv um die 50 Kilogramm wog. Doch es schien mir nichts tun zu wollen. Ich spürte, wie es das Gewicht verlagerte und sich in eine andere Richtung umwandte. Einen kurzen Moment war ich erleichtert, bis mir in den Sinn kam, dass Prim in dieser Richtung sein musste.

„Verdammt!“

Ohne auch nur einen weiteren Gedanken zu verschwenden, griff ich nach vorne und ertastete ledrige Haut. Was ich spürte, erinnerte mich an Echsen und verwirrte mich, weshalb ich die Augen öffnete und wieder ins Leere blickte. Was zur Hölle ging hier ab? Egal, ich musste Prim beschützen. Also krallte ich meine Finger in das Fleisch unter diesen und zog dieses 50-Kilo-Tier an mich heran. Ich konnte spüren, wie es in meinem Griff herumwirbelte und ebenso, dass es wütend knurrte, denn das Brummen vibrierte in meinem eigenen Körper wider.

Und im nächsten Moment durchschoss mich nur noch ein siedend heißer Schmerz am Kopf. Das Letzte, das ich wahrnahm, war der moderige Mundgeruch dieses Wesens.

Dann war alles still.

Juna - 1-Vier

Als ich die Augen einen Moment später wieder öffnete, erblickte ich eine wunderschöne Frühlingswiese und mich durchströmte augenblicklich eine innere Ruhe. Doch etwas in mir wollte diese Ruhe nicht haben. Schlagartig kroch in mir eine verzweifelte Wut hoch, die mich auf dem Absatz herumfahren lies. Noch während ich mich umdrehte, schlug ich mit der Faust zu und spürte eine Wand hinter meinen Knöcheln, die ich nicht sehen konnte.

Nein...“ Panisch hob ich erneut die Faust an, um gegen diese Glaswand zu schlagen, während meine andere auf der unsichtbaren Barriere lag und sie ertastete. Wieder und wieder schlug ich auf die Wand ein, während das Entsetzen mir die Luft nahm.

Ich... muss... zurück...“ Die Worte blieben mir fast im Halse stecken, trotzdem sprach ich sie aus und im nächsten Moment stürzte ich nach vorne, hinab in die Dunkelheit. Dann schlug ich plötzlich hart auf dem Boden auf und es trieb mir den letzten Rest Luft aus den Lungen. Doch wusste ich, dass ich nicht liegen bleiben durfte, auch wenn ich kurz vor dem Hyperventilieren stand. Also sprang ich auf und stürzte nach vorne, auf das hundeartige Tier zu, das gerade vor Prim zum Stehen kam.

„Prim!!“ Mit all meinem Gewicht warf ich mich auf das Tier und rollte mich mit ihm ein Stück von der Blonden weg. Kaum dass wir lagen, war das Tier auch schon aufgesprungen und knurrte aggressiv, wobei es den Kopf witternd und die Ohren lauschend in alle Richtungen wandte. Sein Kopf erinnerte mich an eine Säbelzahnkatze. Es hatte sogar diese langen Hauer, die aus dem Maul herausragten. Nur hatte es kein Fell und seine kleinen Augen schienen mich nicht zu sehen

Als es einen gereizten Ton ausstieß und blind nach der Luft schnappte, hielt ich unwillkürlich meine Luft an und blieb ruhig sitzen. Während es sich suchend im Kreis drehte, wagte ich es mich – in Zeitlupe – aufzustehen. Nur kurz blickte ich mich um und sah, dass Prim von ihrem Platz weg gekrochen war. Sie war an den Ort gekrabbelt, an dem ich zuvor zu Boden gegangen war... und... immer noch lag.

Wieder spürte ich, dass ich zu hyperventilieren drohte und so riss ich den Blick von diesem Anblick weg. Mein Körper lag dort drüben, aber ich stand hier und hatte soeben ein Tier angegriffen, das ich vorher nicht einmal gesehen hatte.

Verdammt, was ging hier vor?

Als das Tier vor mir sich langsam wieder beruhigt hatte, hob es die Nase witternd in Prims Richtung und lies ein schnarrendes Geräusch verlauten.

Nein, nein, nein!

Verzweiflung hielt mich in einer Starre gefangen, bis die Wut diese ablöste und ich wieder auf das Tier zu sprang. Augenblicklich fuhr es zu mir herum, doch machte ich einen Satz über es hinweg und kam stolpernd vor Prim und meinem Körper zum Stehen. Mein Fuß berührte das Bein meines Körpers und aus einfacher Wut wurde Rage.

„Du lässt sie in Ruhe!! Verstanden?! Ich lasse nicht zu, dass du“ Der schlagartige Wechsel in meinen liegenden Körper, lies meine Rede nicht enden. „ihr etwas tust!!“ Nur kurz blickte ich mich um, als ich den neuen Blickwinkel und das Blut in meinem Sichtfeld wahrnahm. Doch hievte ich mich da auch schon auf meine steifen Knie hoch, um mich dem Tier entgegen zu stellen. Die verstört wirkende Prim schob ich mit tauben Fingern hinter mich, während ich die andere Hand in die Richtung des Angreifers ausstreckte. Kurz verschob sich meine Sicht und ein heftiger Schmerz ging durch meinen Kopf, doch lies ich mich davon nicht abhalten, mich zwischen Prim und das Vieh zu schieben.

„Bleib weg!!“ Und mit einem Mal blitzte etwas zwischen uns und dem Tier auf und eine leuchtend gelbe, durchschimmernde Halbkugel zog sich um uns herum. Erschrocken zuckte ich zusammen, als das Tier gegen diese Barriere prallte, doch als ich sah, wie die Kugel flackerte, strengte ich mich an, mich darauf zu konzentrieren, dass sie standhaft blieb. Und es funktionierte. Die Halbkugel erzitterte zwar unter den rasenden Attacken des Tieres, doch hielt sie stand.

Juna...“ Kurz blickte ich über meine Schulter hinweg und konnte in Augen blicken, die meiner eigenen Panik in nichts nachstanden.

Prim...“ Ein Schluchzen schnürte mir die Kehle zu, doch sah ich erneut das Flackern der Kuppel, weshalb ich die Augen zusammenkniff und mir vor meinem inneren Auge vorstellte, wie die Kuppel, massiv wie Stahl, allem stand hielt und nicht ein einziges Mal erzitterte.

Was... passiert hier...?“ Da ich meine eigene Selbstbeherrschung sinken spürte, öffnete ich die Augen einen Spalt weit und hob nun auch die zweite Hand abwehrend vor mich. Während ich versuchte, meinen Blick wieder scharf zu stellen, fixierte ich das Säbelzahntier auf der anderen Seite des Gewölbes, das sich tobend auf dieses stürzte .

„Ich... weiß es nicht... Aber... vertrau mir... bitte...“ Mittlerweile konnte ich jedes Erzittern der Kuppel am eigenen Leib spüren und das jagte mir eine Heidenangst ein. Was bedeutete das? Gab sie vielleicht doch nach? Was sollten wir überhaupt jetzt machen? Warten, bis das Vieh aufgab? Es sah nicht danach aus, als ob es das vor hatte. Was dann? Ich wusste ja noch nicht mal, wie diese Kuppel zustande gekommen war und sie war das einzige, was ich nutzen konnte, um Prim zu beschützen. Außerdem verschwamm mir ständig die Sicht und mein Denken schien immer langsamer abzulaufen. Irgendwie fühlte sich alles so schwammig an.

Irgendetwas stimmte mit meinem Kopf nicht...

Langsam aber sicher liefen mir die Tränen über das Gesicht und ich unterdrückte schmerzhaft ein Schluchzen, als die Kuppel erneut flackerte. Ich hatte das Gefühl, dass diese Kugel nicht mehr lange standhalten würde und dann wäre alles vorbei. Ich hatte zwar Zeit herausgezögert und trotzdem nichts bewirkt. Ich konnte Prim nicht schützen.

Wieder flackerte unser Schutz gefährlich und ich schluchzte nun doch laut auf.

Bit... te... ni... cht...“ Und in diesem Moment, als die Halbkugel in tausend kleine Splitter zerbarst und sich dann in Luft auflöste, schoss von der Straße her etwas an uns vorbei. Noch bevor die Zähne des Tieres uns etwas anhaben konnten, stürzte sich ein anderes Tier auf es und stieß es grollend von uns weg. Nur kurz verbissen die beiden sich ineinander und ich konnte das Tier, das uns beschützte, betrachten. Es war sandfarben, hatte weiße Flecken auf dem Fell und wirkte wie ein kleiner Löwe, denn es trug eine goldene Mähne und sein Schwanz hatte diesen typischen Löwenpuschel am Ende. Verstört durch die plötzliche Hilfe und das Versagen der Kontrolle über meinen eigenen Körper, lies ich die Arme in meinen Schoß sinken. Dieses Tier erinnerte mich durch seine Fellzeichnung zwar an etwas, aber das war ausgeschlossen. Dieses Etwas da war kein Hund.

Spot...?“ Und doch nannte Prim den Namen ihres Hundes, an den ich eben gedacht hatte. Ratlos und hilflos blieb ich sitzen und starrte weiter auf den Kampf der beiden Tiere, während ich spürte, dass mein Körper mir immer weniger gehorchte. Als der Löwenhund am Nacken gepackt und von dem anderen Tier weggeschleudert wurde, quiekte Prim hinter mir auf. Irgendwie war ich jedoch nicht in der Lage, zu Handeln, sie gar schützend in den Arm zu nehmen. Ich saß einfach nur da und starrte vor mich hin, während ich das Geschehen beobachtete, als sei es ein Film und ich nur Zuschauer.

 

Erschrocken schrie Prim wieder auf und warf sich an meinen Rücken, als das Säbelzahntier sich auf uns stürzte. Konnte sie es gerade etwa sehen? Doch erreichte es uns auch dieses Mal nicht, denn ein mächtiger Stab sauste auf es herab, sodass seine Kiefer direkt vor meinen Augen mit einem lauten Klacken aufeinander schlugen, ehe das Kinn auf den Boden knallte. Teilnahmslos lies ich den Blick vor meine Knie wandern, wo das Tier sich aufrappelte und wild um sich schnappte. Kurz darauf hatte es den Stab zwischen den Zähnen und ich konnte spüren, wie sich die Härchen auf meinen Armen aufrichteten, als eine Art Blitz durch den Stab in das Tier entladen wurde. Dem Tier entfuhr ein widerlicher Laut, als es zurückwich und den Kopf schüttelte. Nun war das Löwentier wieder da. Es hinkte zwar ein wenig, aber es schien von knisternder Elektrizität umschlossen zu sein, als es sich dem anderen entgegen stellte. Jetzt sah ich auch, dass der restliche Körperbau und der Kopf dieses Tieres eher einem schlanken Hund ähnelten, als einem Löwen. Doch hatte mein gesundes Denken mittlerweile so weit ausgesetzt, dass mich das nicht weiter überraschte. Das dort war der Haushund von der Familie MacCavanaugh, warum auch immer er so seltsam aussah. Und warum auch immer er stetig kleine Blitze entlud, während er das Säbelzahntier attackierte und es von uns fort trieb.

Während ich diesem Treiben zu sah, ging jemand neben mir in die Hocke, legte eine große, starke Hand an meinen Schädel und drehte diesen sachte zu sich, sodass ich zu ihm schauen musste. Auch, wenn ich den Mann nicht mit den Augen fixieren konnte, so erkannte ich ihn doch wieder.

Dad...?“ Dieser Mann war Prims Vater Per.

„Dich hat es ganz schön erwischt, was, Juna?“ Mein Blick wanderte ziellos von ihm weg, doch schob sich Pers Kopf wieder in mein Sichtfeld und er wedelte kurz mit der freien Hand vor meinen Augen herum.

„Juna? Hey, Juna!“ Dann schnippte er mit den Fingern, doch konnte auch das nicht dazu führen, dass er meine Aufmerksamkeit bekam. Also betastete er meine Schläfen und schob das von Blut verklebte Haar aus dem Weg, um mich besser betrachten zu können. Ich hörte zwar, dass Per die Luft scharf zwischen den Zähnen einsog, doch reagierte ich erst mit einem spitzen Aufschrei, als er mich an der betrachteten Stelle berührte. Es tat höllisch weh und lies mir kurz schwarz vor den Augen werden. Als ich mit einem schielenden Versuch dabei versagte, den Mann anzusehen, hob er mich langsam auf seine starken Arme und stand mit mir auf.

Dad... Was ist hier los...?“ Ich konnte Prims wimmernde Stimme hören und war heilfroh, dass sie nun in Sicherheit war.

„Später, Schatz. Wir müssen jetzt erst mal Juna helfen.“

„Sie... Sie wird doch wieder gesund, oder...?“ Ich konnte spüren, dass Per eilig lief und hörte, wie er jemanden her bestellte. Nur wenige Minuten später fuhr ein Auto vor, doch es war mehr ein Erahnen der Ereignisse um mich herum, als ein wirkliches Wahrnehmen.

„Juna, bleib wach, haben wir uns verstanden?“ Ich wurde auf die Rückbank gehievt und konnte gedämpft hören, wie Prim und ihr Vater diskutierten, dann stiegen beide ebenfalls ins Auto und die Fahrt ging los. Meine Augenlider ließen sich nicht mehr offen halten, weshalb ich diese einfach schloss. Augenblicklich griff eine Hand nach mir und rüttelte sanft an meinem Arm, während sich etwas befelltes auf meinen Schoß drückte und winselte.

Juna, bitte, bitte, bleib wach... Oh... Das ist alles meine Schuld... Hätte ich dich nur nicht angerufen... Bitte, Juna...“ Es war Prims schluchzende Stimme, die es nun doch schaffte, meine Aufmerksamkeit zu erlangen. Mit einem halb geöffneten Auge betrachtete ich die Blonde und hob einen Mundwinkel an, wobei ich hoffte, dass dies so etwas wie ein Lächeln war.

„Du... b... bist... ni... cht... sch... schuld...“ Irgendwie versetzten diese Worte Prim nur in einen noch hysterischeren Heulkrampf und ich war mir nicht mehr sicher, ob ich auch das gesagt hatte, was ich hatte sagen wollen. War vielleicht mein Kopf so weit beschädigt, dass ich nicht mehr ordentlich sprechen konnte? Egal, ich hatte Prim beschützt, das war das wichtigste.

Juna - 1-Fünf

Die nächsten Geschehnisse waren Fetzen, die ich im Nachhinein nicht mehr ordentlich aneinanderreihen konnte. Ich spürte, wie das Auto anhielt und ich aus dem Auto gehoben wurde. Das nächste waren hektische Stimmen um mich herum. Plötzlich lag ich und eine sanfte Stimme sprach auf mich mit unverständlichen Worten ein. Irgendwo klapperte Metall auf Metall. Licht, das mir direkt in die Augen schien und mich blendete. Mir war kalt, so unsagbar kalt und Hektik brach um mich herum aus. Prims Schluchzen genau neben mir und Wärme, die mich durchströmte und mich beruhigte. Und dann war alles still und ich schlief einen langen, traumlosen Schlaf.

 

Das erste, das ich sah, als ich die Augen wieder öffnete, war eine weiße Zimmerdecke über mir und eine Leuchtstoffröhre, die leise vor sich hin surrte. Nebenbei hörte ich das Piepen von Geräten und dachte direkt an eine typische Krankenhausszene, bei der ich nun der Patient im Bett war und an Schläuche angeschlossen da lag. Kurz schielte ich zu meiner linken Seite und bekam die Bestätigung, dass ich recht hatte. Doch spürte ich da ein benommenes Gefühl in meinem Kopf und wollte reflexartig die rechte Hand an diesen legen, um zu prüfen, ob alles in Ordnung war, jedoch spürte ich meine Hand nicht. Ein wenig verwirrt von dieser Tatsache lies ich den Blick wandern und sah, dass da ein bekannter Blondschopf auf meinem Arm lag. Bei dem Versuch die Finger zu bewegen, geschah nichts und mir war klar, dass der Rest meines Armes eingeschlafen war. Mit einem leicht belustigten Schnauben hob ich mühsam die andere Hand an und legte sie auf Prims Haar. Augenblicklich zuckte diese zusammen und fuhr in die Höhe. Ihre erschrockenen Augen richteten sich auf mich, ehe sie in Tränen ausbrach und sich mir an den Hals warf.

„Juna! Juna, du bist wach!“ Etwas irritiert blinzelte ich vor mich hin und versuchte die Erinnerungsfetzen zu ordnen, während Prim an meiner Schulter weinte.

„E... I... Isssch...“ Mit einem unwirschen Grummeln hielt ich kurz inne und versuchte dann weiter, Worte zu formen, ehe ich den Versuch einstellte. Mein Kopf war nicht ganz okay.

Moment, da war doch etwas gewesen! Mein Hirn hatte sich geweigert, meinen Körper handeln zu lassen, wie ich es eigentlich gewollt hatte, nachdem... Ja, nachdem wir angegriffen wurden. Von einem... Säbelzahntier. Es wollte Prim angreifen, nachdem es mir... in den Kopf gebissen hatte, das war die einzige Erklärung für diesen Schmerz, den ich gespürt hatte.

Zitternd schlang ich meine Arme um Prim, wobei der rechte sich unecht anfühlte, da er noch am aufwachen war.

„Be... Pi... Pri... mmmh...“ Schlagartig wurde Prims Schluchzen heftiger, doch richtete ich da meine Aufmerksamkeit auf die Tür, die lautlos geöffnet wurde. Herein traten Per, das Löwentier, das wohl tatsächlich Spot war, und eine mir unbekannte Person. Es war eine junge Frau mit einem Sidecut, der Rest ihrer Haare war Schulterlang und azurblau. Ihre lilafarbenen Augen stierten mir entgegen und mein eh schon matschiges Hirn fühlte sich nun noch etwas seltsamer an, was mich das Gesicht wütend verziehen lies. Was auch immer sie tat, sie tat es und mir ging es schlechter dadurch. Bei diesem Gedanken wurde der Blick der Frau entschuldigend und sie hielt sich mit Was-auch-immer zurück, während wir beide Per anschauten.

„P... arh...“ Hastig schlug ich die Zähne aufeinander und kniff die Augen zusammen. Ich konnte nicht richtig sprechen. Mürrisch ballte ich die nicht kribbelnde Hand zur Faust, ehe ich mir mit dieser an den Kopf fasste und mit den Fingerspitzen auf einen Verband traf.

Verband, noch mehr Verband und keine Haare.

Verwirrt blinzelte ich, doch wusste ich es besser, als dass ich einen weiteren Versuch zu sprechen beginnen würde. Stattdessen schaute ich wieder zu der Fremden zurück. Etwas in mir sagte mir, dass sie mir helfen konnte, mich zu verständigen. Leicht kritisch verzog ich das Gesicht, als ich wieder dieses seltsame Gefühl im Kopf spürte, doch wehrte ich mich diesmal nicht dagegen, sondern lies es geschehen. Und da ertönte auch schon eine weibliche Stimme in meinem Kopf und lies mich überrascht zusammen zucken, sodass Prim mich alarmiert anschaute.

'Ich bin Lynda. Keine Angst, ich will dir als Dolmetscherin dienen, solange du nicht richtig reden kannst.'

'Wie ist das möglich?' Prim schaute verwirrt zwischen uns hin und her, als die Frau leise kicherte.

'Diese Frage wirst du noch beantwortet bekommen. Vorerst musst du nur wissen, dass ich mit dir über Gedanken kommunizieren kann.' Zögerlich nickte ich leicht und setzte mich vorsichtig auf, wobei Prim mir gleich zur Hilfe eilte. Dankbar drückte ich ihre Hand und sie setzte sich ordentlich neben mich auf die Matratze, wobei sie verwirrt drein schaute.

'Okay, gut, dann eben später. Aber, sagst du mir dann, was da gestern... vorhin... wann-auch-immer... passiert ist?' Der Blick von Lynda wurde ernst.

'Das, was euch passiert ist, war vor zwei Wochen. Du hast zwei Wochen lang im Koma gelegen.' Erschrocken zuckte ich zurück und musste mir den Kopf halten, der dank der Heftigkeit meiner eigenen Bewegung wieder schmerzte.

„Juna!“ Beschwichtigend tätschelte ich Prims Hand und hob den Blick wieder zu Lynda an.

'Okay... Was ist da vor zwei Wochen passiert? Was war das für ein Tier? Erst hat es mich angesprungen und ich konnte es nicht sehen, dann hat es mir in den Kopf gebissen und ich stand auf dieser verfluchten Wiese, von der ich fast nicht zurück gekommen wäre und dann liegt mein Körper da rum, während dieses Säbelzahntier versucht, Prim anzugreifen und dann bin ich plötzlich wieder in meinem Körper und dann ist da diese Kuppel, die uns vor dem Tier schützt und...'

'Ganz ruhig, eins nach dem anderen, Juna.' Ich hielt inne und wartete erst einmal auf eine Antwort zu dem, was ich zuvor geäußert hatte.

'Also, dieses Tier, das euch angegriffen hat, war ein Finsternis-Wesen. Wir gehen davon aus, dass es auf Prim angesetzt wurde, da sie die Tochter von Perun ist.' Ich setzte mich etwas aufrechter hin und riss die Augen weiter auf. Mein Hirn hatte das Wort aufgesogen und mir etwas verwertbares ausgespuckt, was mich verwirrte und faszinierte.

'Finsternis-Wesen', brummelte ich in Gedanken und wusste, dass diese Wesen gefährlich waren und ich etwas effektives gegen sie unternehmen konnte. Zumindest jetzt, da ich das war, was ich nach dem Biss geworden bin.

'Dieses Wesen hat mich getötet und diese Wiese war die Zwischenwelt, oder? Irgendwer hat das mal Regenbogenbrücke oder so genannt...'

'Genau. Und dein Wille, zurück zu kommen, hat das Tor zurück geöffnet. Kannst du mir genau sagen, was dann passiert ist?' Ich grübelte nach, zuckte kurz unter Kopfschmerzen zusammen, doch lies ich nicht nach, meine eigenen Erinnerungen zu durchforsten.

'Ich wollte Prim beschützen und hab mich auf das Wesen gestürzt und als ich dann zwischen ihnen stand, war ich plötzlich wieder in meinem Körper. Ich habe Prim beschützen wollen, deswegen hab ich irgendwie diese Kuppel aus... Licht... erschaffen.' Lynda nickte zustimmend.

'Genau. Du hast instinktiv auf dein Element zurückgegriffen und einen Schutzschild aus Licht erschaffen. Damit hast du Prim das Leben gerettet und auch dir selbst.' Kritisch verzog ich die Augenbrauen.

'Aber, ich war tot, wieso lebe ich jetzt wieder? Und, was hat es mit diesem Licht-Element zu tun? Was bin ich jetzt?'

'Ja, du warst tot, doch du hast dich dagegen gewehrt, um ein Finsternis-Wesen zu bekämpfen. Du hast dich unbewusst für den Weg eines Hunter entschieden.' Leicht kniff ich die Augen zusammen und musterte Lynda und Per einen Moment lang, ehe ich auf meine Hand hinunter schaute.

'Ihr seid auch Hunter. Wieso ist mir vorher nicht aufgefallen, dass Pers Augen so strahlen?' Wieder kicherte Lynda leise.

'Hunter erkennen Hunter an ihren Augen, normale Menschen bemerken die Andersartigkeit meist nicht, außer sie sind selbst Mediale, Animalisten oder Spiritualisten mit beinahe 17 Jahren.' Ich dachte eine Weile über die Worte nach und schaute auf den Boden neben meinem Bett. Langsam schlich sich Spot in mein Sichtfeld und schaute zurückhaltend zu mir auf. Nach kurzem Zögern streckte ich die Hand nach ihm aus und er legte die Vorderpfoten neben mir aufs Bett, sodass ich ihn besser zwischen den kleinen Hörnchen auf seinem Schädel streicheln konnte.

'Wie habt ihr es geschafft, dass Spot hier rein darf?'

'Er trägt kein Halsband, deswegen sehen normale Menschen ihn nicht.' Grübelnd zog ich die Stirn kraus und dachte darüber nach. Normale Menschen sahen solche Wesen nicht, deshalb hatte ich das Finsternis-Wesen auch nicht gesehen, als es mich umgerissen hatte. Nach einer Weile fiel mir jedoch noch etwas anderes auf, Dinge, die sich immer klarer in mein Bewusstsein drängten.

'Du und Prim, ihr seid das selbe. Ihr seid beide Mediale.' Diese Erkenntnis war etwas, was ich tief in meinem Innern spürte. Überrascht starrte mich Lynda an.

'Sie ist noch keine 17, ihre Fähigkeiten sind noch nicht sonderlich ausgeprägt, aber ja, sie ist eine Mediale, solange sie nicht von einem Finsternis-Wesen getötet wird.' Wütend begegnete ich ihrem Blick.

'Niemand wird Prim töten!' Doch zuckte ich im nächsten Moment wieder unter Kopfschmerzen zusammen. Prims Hand legte sich auf meine Wange und sie zog mich in eine sanfte Umarmung, wobei sie an mir vorbei zu ihrem Dad schaute.

„Du solltest dich noch etwas ausruhen, Juna“, das war Pers Stimme und ich schaute vorsichtig zu ihm hinüber.

'Ich habe zwei Wochen geschlafen, ich muss nicht noch mehr schlafen. Meine Eltern machen sich bestimmt tierische Sorgen um mich. Und... Wenn ich mich jetzt ausruhe... Wer sagt mir, dass Prim noch da ist, wenn ich das nächste Mal aufwache?' Eigentlich wollte ich das nur für mich denken, doch an Lyndas Blick erkannte ich, dass sie noch immer auf meine Gedanken lauschte. Also schaute ich sie erwartungsvoll an, ehe ich wieder zu Per blickte.

„Perun, sie hat Angst, dass Prim weg ist, wenn sie sich jetzt weiter ausruht. Sie weiß, dass sie zwei Wochen im Koma gelegen hat. Sie weiß, dass ihr eigentlich in diesen Tagen umziehen wolltet. Außerdem will sie mit ihren Eltern reden.“ Ihre Interpretation meiner Gedanken war ganz passabel.

„Prim wird so lange bei dir bleiben, wie ihr beiden es wollt, Juna. Sie hat schon die letzten beiden Wochen, Tag und Nacht, hier gesessen, da wird sie dir jetzt auch nicht davonlaufen.“ Per lächelte beschwichtigend, als ich überrascht den Kopf etwas von Prim löste, um sie anzuschauen. Doch die Blonde wich meinem Blick schüchtern aus.

„Und, was deine Eltern betrifft, wissen sie, dass du einen Unfall hattest und im Koma liegst. Wir haben dich zwar in unserer persönlichen Einrichtung behandeln lassen, doch befindest du dich hier nun auf der Intensivstation im städtischen Krankenhaus. Dank unseres Einflusses durfte Prim bei dir bleiben. Wenn du willst, können wir deine Eltern gleich informieren, damit sie vorbei kommen können.“ Ich weiß nicht, welches Gefühl in diesem Moment stärker war, das des Schrecks, dass ich auf der Intensiv lag und meine Eltern mich nicht sehen durften, das der Verzweiflung, dass ich nicht mit ihnen reden können würde, wenn sie her kamen oder das des heimlichen Glücksgefühls, dass man Prim nicht ein einziges Mal von mir getrennt hatte. Zum Schluss siegte jedoch die Verzweiflung.

'Ich... Ich will sie wissen lassen, dass ich wach bin. Und dass es mir gut geht, auch wenn ich noch nicht sprechen kann.' Lynda nickte und gab die Worte weiter.

„Dann ruh' dich noch etwas aus, bis deine Eltern hier sind.“ Ergeben nickte ich und rutschte wieder tiefer in das Kissen. Als ich mich auf die Seite rollte, legte ich meinen Kopf auf Prims Oberschenkel und schlief fast augenblicklich ein.

Juna - 1-Sechs

Seit ich aus meinem Koma erwacht war und die Ärzte sich sicher waren, dass der Druck durch die vorangegangene Hirnblutung gänzlich abgeklungen war, hatte man mich aus der Intensivstation entlassen, doch behielt man mich weiterhin unter Beobachtung da. Mittlerweile waren weitere 2 Wochen vergangen, doch mein Mund war immer noch nicht davon überzeugt, so zu funktionieren, wie er sollte. Ich hatte zwar tägliches Sprachtraining, bei dem ich darauf bestand, dass Prim mich derweil alleine lies, doch zeigte dieses nur mäßigen Erfolg. Je länger ich mich mit diesem Problem beschäftigte, um so mehr frustrierte es mich und ich wollte nicht, dass Prim das mitbekam. Auch wenn ich mir ziemlich sicher war, dass sie mich schon lange durchschaut hatte. Denn auch sie sprach mittlerweile weniger und achtete mehr auf meine Mimik und Gestik. Meine Eltern hatten auch schon behauptet, dass wir eine eigene Art zu kommunizieren entdeckt hätten, da wir uns ohne jegliche Worte verstanden.

Doch änderte dies nichts daran, dass ich auch jetzt wieder mit Tränen in den Augen vom Sprachtraining kam. Ich hatte mir das alles einfacher vorgestellt. Immerhin hatten die Ärzte gemeint, dass es sie wunderte, dass lediglich meine Aussprache so gestört war, denn Lesen, Schreiben und Verstehen waren kein bisschen betroffen. Niemand konnte mir sagen ob und wann ich wieder richtig sprechen konnte. Ich unterdrückte einen frustrierten Laut, als ich mich auf eine Parkbank setzte und über meine, nun wieder fast 3 Zentimeter langen, Haare strich.

Das Ganze war so unfair!

Für einen Moment lies ich es zu, dass die Bitterkeit mich übermannte und ich zog die Knie unter mein Kinn, um mein Gesicht hinter diesen zu verstecken, während ich stumm weinte. Ich wollte Prim nicht weiter belasten, also lies ich jetzt alles raus, ehe ich mich wieder zusammenreißen würde. Für Prim würde ich weiterhin das Kinn oben halten und ihr den Daumen hoch zeigen, wenn sie mich danach fragte, wie das Sprachtraining gelaufen war. Außerdem wartete sie auf mich und deswegen hatte ich keine Zeit, hier lange herum zu sitzen.

„Mi... sssss... t...“ Zittrig sog ich die Luft ein und wischte mir die Tränen aus dem Gesicht. Das war mal wieder genug Selbstmitleid gewesen. Also stand ich von der Bank auf, biss die Zähne zusammen und ging weiter. Prim wartete auf mich.

 

Als ich mein offizielles Einzelzimmer betrat, in dem Prim sich eingenistet hatte, stand diese am Fenster und schaute hinunter auf den Park. Mit einem beklommenen Gefühl im Magen, schloss ich die Tür hinter mir und blieb mitten im Raum stehen. Ich wartete nur einen Augenblick, da drehte sich die Blonde auch schon zu mir um. Ihre karamellfarbenen Augen wanderten prüfend über mich und ich zwang mich zu einem Lächeln. Doch quittierte Prim dieses mit einem strengen Blick und so unterließ ich es, den Daumen hoch zu zeigen. Sie musste mich von hier aus gesehen haben.

„Es... Isch...“ Überfordert von ihrem Blick, schaute ich auf den Boden und dachte fieberhaft nach, was ich ihr denn als Ausrede liefern konnte, damit sie sich keine Sorgen machen würde. Auch wenn ich wusste, dass jede Ausrede von ihr durchschaut werden würde.

„Lüg' mich nicht an, Juna...“ Überrascht hob ich den Blick wieder an und blickte direkt in Prims Gesicht, da diese nun vor mir stand. Ihr Blick war durchdringend und ich konnte spüren, wie er an einem Damm in mir rüttelte. Langsam schüttelte ich den Kopf und hoffte, sie würde mich nicht so zu einer Antwort drängen. Denn genau das tat sie, auch wenn sie mich eigentlich nur ansah.

„Esss... wird... wi... rd...“ Ich legte eine Pause ein, wie immer, wenn ich versuchte, Worte so deutlich wie möglich aus zu sprechen. „Ni... scht... be... sss... ser.“ Mit den Augen suchte ich während dieser Worte hektisch nach einer Fluchtmöglichkeit, die nicht existierte, weshalb ich Prims Blick nicht sehen konnte. Erst, als sie nach meiner Taille griff und mich an sich zog, spürte ich mein eigenes Zittern und die Tränen auf meinen Wangen.

„Doch, wird es. Es dauert nur, Juna. Vor 2 Wochen hättest du noch nicht einmal so deutlich sprechen können, wie eben. Du musst nur Geduld haben.“ Als sich Prim leicht von mir löste und zu mir auf schaute, sah ich auch in ihren Augen Tränen. Tränen, die sie wegen mir vergoss und die mich noch heftiger Aufschluchzen ließen.

„Hey, Juna.“ Sanft legte die Blonde ihre Hände an meine Wangen und zog mein Gesicht zu ihrem hinunter, um ihre Stirn an meine zu legen. „Du musst nicht für mich stark sein, sondern für dich selbst. Und wenn du es im Moment nicht kannst, dann helfe ich dir dabei, wieder stark zu sein, okay?“ Mit bebender Lippe versuchte ich ein weiteres Schluchzen zu unterdrücken und die karamellfarbenen Augen meiner Gegenüber zu fixieren. „Du bist mir wichtig, also vergiss deine Einzelgängertour. Die hast du schon viel zu lange durch gezogen, um hinter mir zu stehen, okay? Du brauchst jetzt Hilfe, nicht ich. Also nimm sie bitte an, ja?“ Verunsichert legte ich meine Hände auf die Hüften der Kleineren und schloss kurz die Augen, um tief durch zu atmen.

„Dank... ke.“

„Gutes Mädchen“, kaum hatte Prim diese Worte gesagt, hauchte sie mir einen sanften Kuss auf die Lippen und lies mein Gefühlschaos erneut los brechen. Sie hatte nicht nur meine Aufmunterungstaktiken und Lobworte abgekupfert, sie hatte mich gerade tatsächlich geküsst! Ich vergaß vor lauter Schock sogar, weiter zu weinen und starrte einfach nur ungläubig in Prims schüchtern niedergeschlagene Augen. Ihre Hände lagen zwar noch immer auf meinen Wangen, doch schien sie all ihren Mut verloren zu haben, denn sie zitterten leicht. Mit einem breiten Grinsen auf den Lippen schlang ich meine Arme nun ganz um Prims Taille, um sie anzuheben und auf der Stelle mit ihr herum zu wirbeln, um ihr meine Freude greifbarer auszudrücken.

Wie lange hatte ich schon in Gedanken daran verbracht, dass ich dieses Mädchen wirklich mochte? Ich hatte nur Angst gehabt, sie mit solch einem Geständnis zu verschrecken. Und nun hatte dieses Unglück dazu geführt, dass sie den Mut fasste und mir ihre Gefühle mit diesem Kuss offenbarte. Für den Moment war all meine Frustration vergessen. Glücklich schmiegte ich meine Wange an Prims, als ich diese wieder auf dem Boden abgesetzt hatte. Kichernd lies sie die Liebkosung über sich ergehen und hatte ihre Arme um meinen Hals geschlungen.

„Heißt das, ja?“ Ich schnaubte belustigt. Sie hatte ja noch nicht mal die große Frage gestellt und wollte darauf eine Antwort haben? Mit spöttisch erhobenen Augenbrauen musterte ich die Blonde und wartete, während sie sich genierend in meinen Armen wand.

„Also... Ich meine... Du... Also, willst du...?“ Ein leises Kichern stieg aus meiner Kehle und ich beugte mich ein wenig zu Prim nach vorne, um mit meiner Nase an ihre zu stupsen.

„Ja.“ Doch wurde dieser wunderbare Moment in Zweisamkeit damit zerstört, dass meine Zimmertür geöffnet wurde und jemand ebenso erschrocken im Türrahmen stehen blieb, wie wir beide auch gefroren.

„Prim?“ - „Juna?“ Hörte ich die fragenden Stimmen von meiner Mom und Prims Dads gleichzeitig sagen und wir sprangen förmlich auseinander, wobei unsere Köpfe knallrot leuchteten.

„Was hab ich verpasst?“ Und da war auch schon mein Dad, der sich mit einem breiten Grinsen an den anderen vorbei schob und bei unserem Anblick nur noch breiter grinste.

„Ooooh. Hat meine Tochter etwa was unanständiges gemacht?“ Ich bezweifelte zwar, dass es ging, doch ich hätte schwören können, dass die Röte auf meinem Gesicht noch intensiver wurde.

„Eeh“, das Wort, das in meiner derzeitigen, sprachlichen Verfassung einem „Nein“ am nächsten war, kam völlig automatisch und ich schüttelte heftig meinen Kopf.

„Und wieso bist du dann so rot?“ Als ich langsam den Blick anhob, lagen die Augen der Erwachsenen aufmerksam auf mir. Ich biss mir auf die Zunge, sprechen war immer noch zu schwierig, also ergriff ich vorsichtig Prims Hand und nannte das einzige Wort, das ich mittlerweile wieder perfekt aussprechen konnte:

„Prim.“ Überrascht blinzelte diese mich an und drückte dann schließlich meine Hand, ehe sie näher an mich heran trat. Sie versteckte sich halb hinter mir und klammerte sich leicht an meinen Arm, was mich sanft lächeln lies. Das war die offensichtlichste Antwort, die ich unseren Eltern geben konnte. Und es schien ihnen zu reichen, denn sie lösten sich endlich aus ihrer Starre und traten ganz ein.

„Eigentlich sind wir ja hier, um euren Umzug zu planen und deine Fortschritte zu besprechen, Juna.“ Überrascht schauten wir beide auf und ich drückte erneut kurz Prims Hand, damit sie die Frage aussprach, die wir uns beide stellten:

Unser Umzug?“

Juna - 1-Sieben

Meine Eltern setzten sich auf eines der Betten, während Per stehen blieb. Erst jetzt fiel mir auf, dass Spot dabei war, doch schien niemand außer mir ihn zu bemerken. Irritiert blinzelte ich den Hund – das „Licht-Wesen“, berichtigte mich mein Unterbewusstsein – an und suchte automatisch nach dem nicht vorhandenen Halsband, ehe Prim sich mit mir auf das andere Bett setzte. Doch konzentrierte ich mich dann auf meine Eltern, denn das folgende Gespräch würde wichtig werden.

„Per hat gemeint, dass er von deinen ganzen Bewerbungen nichts wusste, also haben wir ihm von deinem Plan erzählt.“ Dass meine Mom Per freundschaftlich bei seiner Kurzform nannte, verriet mir, wie viel Zeit sie in den letzten Wochen zusammen verbracht haben mussten. „Wir haben ihm erzählt, dass du sowieso nach der Schule direkt in einen Job hattest wechseln wollen. Als er uns erzählte, dass seine Familie in die selbe Stadt ziehen würde in welcher du dich nach einer Arbeit umgesehen hast, haben wir ihm erzählt, dass du wegen Prim dort hin ziehen wolltest. Auch wenn wir bis eben nicht gedacht hätten, dass ihr euch so nahe steht.“ Meine Mom lächelte ein wenig schief, wobei mein Vater überheblich das Kinn reckte.

„Ich hatte es geahnt, aber mir wolltest du ja nicht glauben, Beatrice.“ Automatisch kicherte ich leise, als ich sah, wie meine Mom ihre grauen Augen verdrehte.

„Jedenfalls hatten wir uns gedacht, dass ihr beiden vielleicht zusammen in eine Wohnung ziehen wollt. Immerhin sind WGs in der heutigen Zeit ja so modern.“ Ein wenig hilflos hob Mom die Schultern an und lies ihren Blick dann zu Per wandern. Kurzerhand folgte mein Blick ihrem und ich blickte direkt in die strahlenden, hellbraunen Augen des Mannes, der mich aufmerksam musterte. „Per meinte, es würde euch beiden gut tun und dir bei deiner Heilung sicher helfen, wenn du nicht alleine wärst. Außerdem...“ Erst jetzt realisierte ich die Worte, die meine Mom sprach, wirklich und ich hob die Augenbrauen überrascht an.

Moment, WG so wie in Wohngemeinschaft?

Hastig wandte ich mich meiner Mom zu, lies meine Mimik spielen und hob dabei eine Augenbraue an, während ich die andere zweifelnd nach unten zog und das Auge etwas zusammen kniff.

„Weeeh... Geh?“ Ein Strahlen breitete sich auf ihrem Gesicht aus, das mir verriet, dass ich tatsächlich viel zu lange geschwiegen und sie die Fortschritte meiner Sprache selbst noch gar nicht gehört hatte. Ich sah, wie sie mit den Tränen kämpfte, doch riss sie sich zusammen.

„Ja, Juna. Wir dachten uns, dass euch das vielleicht gefallen würde. Außerdem würde die Miete dann je zur Hälfte auf euch beide aufgeteilt.“ Die Vorstellung, mit Prim eine Wohnung zusammen zu beziehen, war wunderbar. Zumindest für mich. Mit erhobenen Augenbrauen schaute ich nun also erst einmal zu Prim, die neben mir saß und meine Hand weiterhin festhielt.

„Prim?“ Kurz wechselten wir einen Blick, der mir schon vor ihren Worten verriet, was sie dachte.

„Ja, mir würde es auch gefallen.“ Mit einem Grinsen auf den Lippen schaute ich nun wieder auffordernd zu meiner Mom zurück. Sie hatte eigentlich noch etwas anderes sagen wollen, ehe ich sie unterbrochen hatte.

„Wasss... nh... noch?“ Wieder wanderte der Blick meiner Mom zu Per und ich fragte mich, was sie wirklich alles gemeinsam besprochen hatten.

„Per schlug vor, dass er dir, in der Firma in der er arbeitet, eine Stelle organisieren könnte, bei der dein Problem nicht weiter schlimm wäre...“ Schön, dass nicht nur ich dieses Sprachproblem als ein wirkliches Problem ansah. Und schon knuffte mir Prim in die Hand, da sie mir wohl diesen Gedanken angesehen haben musste. Ich rollte leicht mit den Augen und grinste dabei. „Du würdest dein eigenes Geld verdienen können, selbst wenn...“ Als meine Mom abbrach wurde mein Blick ernst. Es reichte, wenn ich mir darüber den Kopf zerbrach, dass ich vielleicht nie wieder richtig sprechen können würde.

„Mom.“ Überrascht blickte sie zu mir hinüber und ich erkannte die Hilflosigkeit und ihre Verzweiflung, die ihr Augenringe beschert hatten, die sie zu überschminken versucht hatte. Auch wenn mich diese Erkenntnis hart traf, so biss ich doch die Zähne zusammen und schöpfte Kraft aus Prims Hand, die sich fester um meine eigene schloss.

„Eh... Isch wehr... werd wieh... der.“ Diese ganzen missgestalteten Worte ärgerten mich zwar selbst unheimlich, doch ertrug ich es nicht, diese Trauer in den Augen meiner Mom zu sehen. Also versuchte ich mich in Worte zu fassen, so gut es ging.

„Isch... lehr... ne.“ Ich strengte mich an, so zuversichtlich wie nur irgend möglich aus zu sehen, während Tränen über die Wangen meiner Mom liefen. Ein wenig verunsichert stand ich vom Bett auf und lies Prims Hand los, um die Arme um meine Mom zu legen. Kaum hatte ich meine Mom in die Arme genommen, zog uns mein Dad ebenfalls in eine Umarmung.

Wir schaffen das, Beatrice. Juna lernt wieder richtig zu sprechen, du hörst ja, wie sie sich schon gebessert hat. Und wir unterstützen sie einfach weiter, wo wir nur können. Dieser Umzug ist ein Anfang und kein Ende“, die geflüsterten Worte meines Dads wärmten mir das Herz und ich schmiegte kurz meine Wange an seine schwarzen Haare. Eine Weile verharrten wir in dieser Umarmung, bis mein Dad uns schließlich los lies und mir über die Wange streichelte.

„Auch wenn du wegziehst, stehen wir immer hinter dir, verstanden? Wenn du für irgendetwas Unterstützung brauchst, wir sind da.“ Ich nickte beschwingt.

„Ja. Dank... ke.“ Die Finger meines Dads wanderten zu meinen kurzen Haaren, die seinen in nichts nachstanden, und er zog leicht an ihnen.

„Außer du lässt deine Haare so kurz, dann enterben wir dich.“ Lachend trat ich einen Schritt zurück und schüttelte den Kopf, bevor ich die ungefähre Länge meiner vorherigen Frisur andeutete und dann einen Daumen nach oben zeigte. Auch wenn ich nicht viel gesprochen hatte, so strengte es mich doch immer noch an, weshalb ich lieber wieder mehr auf Mimik und Gestik zurück griff. Grinsend gab mir mein Dad ebenfalls einen Daumen hoch. Doch wechselte ich dann wieder auf das eigentliche Thema, wobei ich im Raum stehen blieb und mit den Händen die Luft abwog.

„Tschob.“ Meine Mom nickte und wischte sich die Tränen aus den Augen.

„Per hat da etwas von Tieren erzählt, um die du dich kümmern könntest. Du magst doch Tiere und sie wollen nicht zwingend, dass man mit ihnen spricht. Also haben wir, unter Vorbehalt, zugesagt.“ Wissend legte ich ein schiefes Grinsen auf und nickte bereits. „Unter Vorbehalt“ stand dafür, dass ich selbst entscheiden durfte, auch wenn sie den Vertrag quasi schon besiegelt hatten. Man wartete nur noch auf meine Unterschrift. Doch grinste ich nicht nur wegen dieser Aussage. Es war auch die Erkenntnis, dass Per ein ausgezeichneter Lügner war, wenn er meine Eltern von seinen Vorschlägen überzeugt hatte. Denn mein Job hatte nur indirekt etwas mit Tieren zu tun und das „um sie kümmern“ sah auch anders aus, als meine Eltern sich das vorstellten. Lynda hatte es bereits gesagt: Ich hatte mich für den Weg eines Hunter entschieden. Und ein seltsames Wissen, das sich mir manchmal aufdrängte, erklärte mir, dass Per mich ausbilden lassen würde und das musste noch vor meinem 17. Geburtstag beginnen. Wie Lynda erwähnt hatte, war der 17. Geburtstag etwas Wichtiges, was mir auch mein Gefühl bestätigte. Und da ich nur noch wenige Wochen Zeit hatte, versuchte er jetzt bereits alles unter Dach und Fach zu bekommen, um das Einverständnis meiner Eltern zu bekommen.

„Fffer... sssuch.“ Ich hatte nebenher über meine Aussprache nachgedacht, doch stand es nun für mich fest: Ich würde meine Sätze so kurz wie möglich halten und – wenn machbar – nur in einzelnen Worten sprechen, bis sich meine Aussprache gebessert hatte. Man, das konnte sich ja niemand anhören, wie man ein Wort wie „Versuch“ so abartig verunstalten konnte! Womit ich meinte „Ich kann es ja mal versuchen“, auch wenn für mich bereits alles fest stand:

Ich war ein Hunter und würde diesen Weg weiter gehen. Um Prim zu beschützen und diesen Finsternis-Wesen den Gar aus zu machen, wenn sie auch nur daran denken würden, ihr zu nahe zu kommen.

Juna - 2-Eins

 Fast 16 Monate später, Prim würde heute 18 Jahre alt werden, begann für uns der Tag, wie jeder andere. Ich rollte mich nach dem Ausschalten des Weckers aus dem Bett, während Prim noch vor sich hin döste, und zog mir meine wunderbar schwarzen Klamotten an. Die Jeans war enganliegend und hatte nichts von dem typischen Modeschnickschnack. Auf meinem Shirt wiederum prangte ein auffälliger Aufdruck von Disturbed. Danach verließ leise ich das Schlafzimmer und machte mich auf ins Bad, wo ich mich nach dem Zähneputzen nur flüchtig im Spiegel betrachtete, um Ordnung in mein asymmetrisch geschnittenes Haar zu bringen. Dann legte ich mir noch schnell schwarzen Lidschatten auf und zog mir auch endlich meine Armstulpen an, die über ihre ganze Länge mit Schnallen verziert waren.

Mein blonder Engel würde noch höchstens eine halbe Stunde vor sich hin dösen, bis sie endlich aufstand. Bis dahin hatte ich noch etwas zu besorgen. Noch ehe ich die Wohnung verließ, griff ich eine mehrreihige, silberne Gürtelkette von der Kommode im Flur, die ich mir beim Laufen an der rechten Seite meiner Hose befestigte.

 

Auch wenn es bereits hell war, so war mein Blick aufmerksam, während mich meine Schritte zum Bäcker um die Ecke führten. Nur weil es Tag war, hieß das nicht, dass keine Finsternis-Wesen unterwegs waren, auch wenn sie die Dunkelheit bevorzugten. Doch war es heute ebenso ruhig, wie immer, als ich den vorbestellten Geburtstagskuchen abholte. Auch wenn meine Gedanken bereits beim Abholen des Blumenstraußes waren, ließ ich meine Aufmerksamkeit nicht sinken und erhaschte den Blick auf zwei Ember Chaser, die sich mit schnarrenden und quiekenden Lauten unterhielten, während sie auf einem Hoftor hockten. Als sie mich sahen, sprangen sie in den Hof hinein. Kopfschüttelnd folgte ich ihnen durch das Tor, das einen über und über mit Pflanzen ausgestellten Hof vom Gehweg trennte. Die beiden Zwielicht-Wesen sausten zwischen den Blumentöpfen umher und nahmen keine weitere Notiz von mir, als sie im Blumenladen verschwanden.

„Morgen, Kathy!“ Meine Stimme war laut genug, dass man sie auch in der hinteren Rumpelkammer hören konnte, während ich den Laden betrat. Und ich wartete auch nicht lange, bis genau aus jenem Raum eine Antwort kam.

„Juna?“

„Ja.“

„Perfektes Timing!“ Die Rothaarige kam durch die Tür und hob zwei verschiedenfarbige Schleifenbänder nach oben. „Welches soll ich nehmen? Ich kann mich nicht entscheiden.“ Kurz huschten meine Augen zwischen den Bändern hin und her, dann entschied ich mich für das weniger aufdringliche, zarte Grün. Augenblicklich grinste mich meine Gegenüber an und eilte wieder davon. Als sie wenige Minuten später zurück kam, drückte sie mir einen üppigen Blumenstrauß in die Hand, der mit eben diesem Band verziert worden war. Auf jeder ihrer Schultern saß nun eines der beiden Zwielicht-Wesen vom Hoftor.

„Und? Wie findest du ihn? Er ist doch nicht zu protzig geworden, oder? Als ich mich an den Strauß gemacht habe, hab ich mich völlig darin verloren. Und Mera und Raise waren auch keine große Hilfe dabei.“ Mit einem kurzen Kichern schüttelte ich den Kopf.

„Perfekt.“ Die unterschiedlich gefärbten Augen der Frau strahlten vor Freude, da er mir gefiel.

„Oh, ich hoffe, dass er Prim auch gefällt.“

„Mit Sicherheit.“ Schnell wich die leichte Sorge wieder aus Kathys Blick und sie nickte, was ich entgegnete, ehe ich mich zum Gehen abwandte.

„Wir sehen uns, Juna!“

„Bis später.“

 

Ich hatte die Sachen gerade auf den Küchentisch gestellt, da hörte ich, wie Prim die Küche betrat. Ihr Blick wanderte müde über den Tisch, dann zu mir und wieder zum Tisch zurück, ehe sie die Augen aufriss.

„Ist der für mich?“ Mit kritischem aber grinsendem Blick betrachtete ich die Blonde.

„Für wen sonst?“ Ehrfürchtig berührte Prim die Blumen und drehte sich dann zu mir um, die Müdigkeit war ganz aus ihrem Blick gewichen.

„Oh, die Blumen sind wunderschön. Danke.“

„Alles Gute zum Geburtstag.“ Sanft küsste ich meine Freundin und hielt sie einen Moment bei mir, ehe ich wieder von ihr abließ.

„Kuchen?“

„Ja, gerne.“ Trotz des süßen Kuchens, war auch das heutige Frühstück beinahe gewöhnlich. Wir sprachen über unseren Tagesplan und einigten uns darauf, dass ich Prim nach dem Unterricht abholen würde. Wenn alles normal verlief, würde sich daran auch nichts ändern. Immerhin hatte Prim heute einen normalen Tag an der Universität, während ich die Gilde unsicher machen konnte.

 

Nachdem die morgendliche Routine damit endete, dass ich Prim zur Uni fuhr und dann selbst in der Gilde ankam, schaute ich erst einmal in der Kantine vorbei. Diejenigen, die hier wohnten, schienen mit ihrem Frühstück auch bereits alle geendet zu haben, denn es saßen nur noch die üblichen Grüppchen an ihren Tischen und unterhielten sich. Als mein Blick Daisy traf, winkte ich der Blondine kurz zu, bevor ich zu den Übungsräumen ging. In meinem gewohnten Übungsraum traf ich auf Per, der mich schon erwartete.

„Morgen, Per.“

„Auch schon da?“ Das Grinsen auf den Lippen des Mannes verriet mir, dass er eigentlich damit gerechnet hatte, mich erst später zu sehen.

„Ja. Uni.“ Kurz verdrehte ich die Augen, doch war der Smalltalk hiermit auch schon wieder beendet. So gerne ich mich auch mit meinem Schwiegervater in Spe unterhielt, mir war das morgendliche Training mit ihm lieber. Also schaute ich ihn herausfordernd an und wartete darauf, dass er den Kampf begann.

„Soll ich jetzt gekränkt sein, dass du nicht weiter über meine Tochter reden willst?“ Träge hob ich eine Augenbraue an, dann zog ich einen Mundwinkel zu einem schiefen Grinsen nach oben.

„Und so was lebt mit meiner Tochter zusammen.“ Per hatte kaum die Möglichkeit, den Satz zu beenden, da schoss auch schon eine Kugel aus weißem, heißen Licht über ihn hinweg und zwang ihn, sich zu ducken. Noch ehe er sich wieder aufgerichtet hatte, war ich los gelaufen und holte mit einem Kampfstab nach ihm aus, den ich mitten in der Luft erscheinen lies und ihn aus dieser herausgriff. Jedoch riss mich etwas aus meiner Bahn und ich schlitterte quer durch den Raum. Kurz vor der Wand blieb ich endlich liegen und suchte meine Umgebung ab. Wo war dieser Löwenhund? Als ich ihn nicht vor mir entdeckte, wirbelte ich mit dem Stab herum und verfehlte Spot nur knapp, da dieser über meinen Stab hinweg sprang. Die Schadenfreude über seinen ersten Treffer stand ihm im Gesicht und lies mich ebenfalls Grinsen, als ich eine Schicht aus Licht über die Enden meines Stabes legte. Augenblicklich war die Schadenfreude verschwunden und der Hund schoss außer Reichweite.

„Feigling.“ Ich nutzte die kurze Pause, um meine Wirbelsäule mit einem Knacken wieder ein zu renken, dann machte ich mich auf den Weg zu Spot und Per, der gerade einen Schalter an der Wand betätigte. Irritiert kniff ich ein Auge halb zusammen und versuchte mich daran zu erinnern, ob ich die Funktion dieses Schalters kannte, doch brachte mich da ein Beben unter meinen Füßen aus dem Gleichgewicht, ehe sich der Boden unter einem meiner Füße schlagartig anhob. Mit einem erschrockenen Geräusch fiel ich auf den Boden, der sich nicht bewegte, und schaute zu den Mauern auf, die sich nun bis zur Decke ausgefahren hatten.

Ein Labyrinth!

Das war neu. Und es gefiel mir.

Mit einem breiten Grinsen stand ich auf und huschte, in geduckter Haltung, durch meinen Gang, bis ich an eine Abzweigung kam. Lauschen, um die Ecke spitzeln, weiter. So arbeitete ich mich eine Weile voran, folgte teilweise meinen Wegen zurück, da ich die falsche Abzweigung nahm und traf schlussendlich wieder auf Spot, der mich herausfordernd anknurrte, als wir uns im Knick einer Ecke trafen. Nur kurz lies ich die Informationen sickern, die ich durch seine jetzige Erscheinung wahr nahm: Er stand unter Strom und brannte darauf, mir ein paar Stromstöße zu verpassen. Kurzerhand verstärkte ich die Lichtfelder an meinem Stab, die bis eben beinahe erloschen waren, und ging direkt zum Angriff über. Spot lies sich diese Gelegenheit nicht entgehen und sprang auf mich zu, das Maul aufgerissen. Kurz zielte ich, dann stieß ich den Stab nach vorne, doch wich Spot mir aus. Er sprang über meinen Stab hinweg und auf meinen Kopf zu. Kurzerhand riss ich meinen linken Arm in die Höhe und hielt so ein kleines Lichtschild zwischen uns beide, was dazu führte, dass ich erneut auf dem Boden landete. Innerlich fluchend ließ ich noch etwas Energie in den Schild fließen und weitete ihn so aus, dass sich seine Enden seitlich von mir in den Boden gruben, damit ich das Gewicht meines Angreifers nicht mit dem Arm halten musste. Stattdessen fuhr meine Linke nach unten und griff um mein Schild herum, um eine Lichtkugel genau auf die Seite meines Gegners abzufeuern. Ich hörte das Knistern von statischer Entladung und einen erschrockenen Laut von Spot. Dann zerbiss er einfach mein Schild und landete mit vollem Gewicht auf meiner Brust. Keuchend entwich mir die Luft und ich lies den Stab verschwinden, ehe ich Schilde über meine Hände legte und nach Spots Schnauze griff. Als er merkte, dass er so nicht voran kam, schüttelte er meine Hände ab und sprang über mich hinweg. Noch während er herum drehte, um erneut an zu greifen, sprang ich auf und trat ihm wieder mit meinem Stab entgegen. Dieses Mal traf ich ihn mit diesem und schlug ihn zu Boden. Ein leises Knurren kam von ihm, als ich näher trat und die Linke mit einem überheblichen Grinsen auf ihn richtete.

Doch war ich wohl zu siegessicher, denn im nächsten Moment lag ich erneut am Boden, da man mir die Füße unter mir weggefegt hatte. Verdutzt blickte ich direkt auf das Ende eines anderen Kampfstabes und daran vorbei in Pers hellbraune Augen.

„Eins zu eins. Du hättest Spot mit einer Lichtkugel den Rest gegeben, dafür hätte ich dich jetzt ausgeschaltet. Was war dein Fehler?“ Ich lies den Stab in meiner Hand wieder verschwinden, während ich mich auf den Rücken drehte und streckte die Arme neben mir mit einem Seufzen aus.

„Übereifer. Licht.“ Bei diesen Worten nahm Per seinen Stab aus meinem Gesicht und stützte sich lässig auf diesem ab, um geduldig auf mich hinab zu blicken.

„Richtig. Du darfst dich von der Leichtigkeit des Lichtes nicht zur Überheblichkeit hinreißen lassen. Außerdem hättest du dir davor schon Probleme einhandeln können.“ Fragend hob ich eine Augenbraue an und legte den Kopf schief. „Wenn Spot schwerer wäre oder besser gelandet wäre, nachdem er dein Schild zerstört hatte, hättest du deine Hände nicht nutzen können. Für so einen Fall musst du dir noch etwas einfallen lassen.“ Grübelnd zog ich die Stirn in Falten und setzte mich auf, nur, um eine nasse Nase ins Gesicht gedrückt zu bekommen.

„Spot“, begrüßte ich ihn nun offiziell und kraulte ihm die goldene Mähne. Das Wesen genoss es sichtlich und schmiegte sich mit dem Kopf an meinem an.

„Nochmal?“ Spot entgegnete meinen Blick aus roten Augen heraus und grummelte herausfordernd.

„Gut.“ Kurzerhand zog ich mich an dem Wesen in die Höhe und musterte Per, der nichts anderes zu erwarten schien.

Juna - 2-Zwei

Das Training war keine große Verausgabung für mich, da wir uns auf ein Minimum an praktischem Einsatz von Fähigkeiten beschränkten. Nur, für den Fall, dass im Laufe des Tages die Fähigkeiten noch gebraucht wurden. Trotzdem tobten Spot und ich uns körperlich ein wenig aus, sodass wir uns beide äußerst zufrieden, nach dem Mittagessen, in einem kleinen Raum neben der Cafeteria ausruhten. Ich hatte mir diesen Raum schon vor einem Jahr zu eigen gemacht und mir eine Kuschelecke mit dicker Matratze auf dem Boden und einem Haufen aus Kissen und Decken eingerichtet. Für viel mehr war in dem Räumchen auch kein Platz. Doch das genügte voll und ganz, wenn man sich austobte und danach, so wie jetzt, einfach nur selig zusammenrollen wollte. Spot lag dabei quer über mir drüber, doch hatte ich mich schon längst an ein zusätzliches Gewicht beim Schlafen gewöhnt. Denn, wenn er es nicht war, dann war es Prim.

 

Erst, als der Wecker klingelte, öffneten Spot und ich träge unsere Augen. Gezielt schlug ich neben mich und traf den Ausschalter, ehe ich die Hand auf Spots Kopf legte und ihn müde anblinzelte. Im selben Moment gähnte dieser mir auch schon ausgiebig ins Gesicht und ich beeilte mich, ihn von mir herunter zu schieben.

„Spoooot“, zog ich seinen Namen in die Länge, was mir einen viel zu schelmischen Blick von ihm einbrachte. „Du stinkst“, grummelte ich dann weiter und stand mit Schwung auf. Ich könnte schwören, dass das Tier mich innerlich auslachte, da er das mit Absicht getan hatte. Vielleicht war dies ja die Rache dafür gewesen, dass ich ihn im Training öfter auf die Bretter geschickt hatte, als er mich? Mit einem ausgiebigen Strecken verließ ich, gemeinsam mit Spot, den Raum und machte mich auf den Weg zu Per, um ihm seinen Partner zurück zu bringen.

Gesagt, getan.

Doch bekam ich von meinem Schwiegervater in Spe einen nicht zu deutenden Blick zugeworfen, der mich erst einmal innehalten und abwartend dreinschauen ließ. Nach einem kurzen Blick zur Uhr fixierte Per mich mit leicht erhobener Augenbraue.

„Hast du noch was vor?“ Ich spürte, dass sich eine leichte Röte auf meine Wangen legte, doch blickte ich ihm stur weiter in die Augen.

„Wieso?“ Und da löste sich der ernste Ausdruck im Gesicht meines Gegenübers und er lächelte schief.

„Weil du sonst länger schläfst.“ Kurz blinzelte ich ungläubig, dann legte sich ein ebenso schiefes Grinsen auch auf meine Lippen.

„Prims Geburtstagsüberraschung.“

„Na dann, verschwind' endlich, bevor du zu spät kommst.“ Dieser Mann war einfach der beste. So gnadenlos wie er im Training und so eiskalt wie er im Kampf war, so herzlich ging er mit seiner Familie um. Und ich wusste mittlerweile, dass er mich definitiv dazu zählte. Nicht nur wegen meiner Beziehung zu Prim, auch wenn diese das Verhältnis intensivierte.

So tippte ich mir nun, halb salutierend, mit zwei Fingern an die Schläfe und machte auf dem Absatz kehrt.

 

Keine 5 Minuten später saß ich auch schon in meinem mattschwarzen Lexus LC 500 und war auf dem Weg zu Prims Universität. Der Bass wummerte aus meinem Kofferraum und gab mir ein Gefühl der Freiheit, als ich über die Waldstraße fegte. Erst, als sich der Wald langsam lichtete, bekam ich plötzlich ein ungutes Gefühl. Etwas Gefährliches war im Anmarsch und ich verengte die Augen ein wenig, während ich den Fuß vom Gas nahm. Die Umgebung hier wurde immer übersichtlicher, je weiter ich voran kam, doch konnte ich nichts neben der Straße entdecken. Nichts, was dieses Gefühl hervorrief. Bis sich plötzlich ein Schatten über mein Auto legte und etwas Massiges mit solcher Wucht auf meine Motorhaube prallte, dass diese über den Asphalt schrammte und sich verkeilte, während mein Heck abhob. Wie in Zeitlupe konnte ich sehen, wie sich Risse durch meine Frontscheibe zogen und mich durch diese hindurch Faust-große, tiefrote Augen an stierten. Und dann begegnete ich auch schon frontal meinem Airbag.

Auch wenn es nur Millisekunden dauerte, so hatte ich beinahe Panik, dass ich nicht schnell genug von dem Gurt los kam, der mir die Luft aus der Lunge gepresst hatte. Doch griff ich direkt nach dem Gurtschloss und ließ die Zunge herausspringen, um mich im nächsten Moment gegen meine Fahrertür zu werfen. In diesem Augenblick hatte ich mein Umfeld noch gar nicht wieder bewusst wahrgenommen. Es gab nur diese Erinnerung an diese riesigen Augen und das reichte, dass ich blindlings aus der Kabine herausstürzte und mich auf der Straße erst einmal auf die Nase legte. Mein Kreislauf war wohl für den Moment nicht wirklich mit mir kompatibel, aber er musste mir gehorchen, also drückte ich mich mit den Händen vom Boden ab und sprang wieder auf die Beine. Ein wenig schwankend wandte ich mich meinem Schrotthaufen von einem Auto zu – es sah aus, als wäre ein LKW von oben auf die Haube drauf gefallen – und entdeckte das größte Finsternis-Wesen, auf meiner Motorhaube stehend, das ich je gesehen hatte. Und es hatte Augen!

Richtige, sehende Augen!

Erschrocken stolperte ich einen Schritt zurück, bis ich mich wieder fing.

Schalt' dein Hirn ein, Juna, ermahnte ich mich in Gedanken. Meinem aktuellen Gefühlszustand zu folge, hätte ich sowieso kein ordentliches Wort über die Lippen gebracht. Da ich nun sah, wie weitere Wesen auf mich zu schlichen, während das riesige Vieh noch immer auf meiner Motorhaube stand, tastete ich nach dem Pieper an meinem Gürtel und betätigte den SOS-Knopf. Warum auch immer, diese Viecher hatten mich hier gezielt abgefangen. Während nun langsam der Schock des Aufpralls nach ließ, setzte mein logisches Denken wieder ein:

Warum, zur Hölle, handelte ich noch nicht?!

Mit dem Denken, kam endlich auch das Erfassen meiner näheren Umgebung hinzu: Um mich herum scharten sich Raider und Ravager, die aus den Tiefen des Waldes angeschlichen kamen. Sie kreisten mich ein, während die roten Augen des monströsen Finsternis-Wesens auf mir ruhten. Ich konnte in den Augenwinkeln sehen, dass die Biester alle in einem gewissen Abstand stehen blieben und mir schauderte es. Sie schienen auf etwas zu warten, allesamt. Doch worauf?

Unruhig zuckten die Finger meiner rechten Hand, während ich abwartete und die Wesen in meinem Sichtfeld zählte. Zehn, zwanzig, dreiundzwanzig, plus den Autozerstörer. Das bedeutete, wenn sie ungefähr gleich verteilt waren, dass sich rund Fünfzehn außerhalb meines Sichtfeldes befanden. Und ich wagte es nicht, den Kopf zu wenden, um dies bestätigt zu bekommen. Doch waren knapp vierzig Finsternis-Wesen eindeutig zu viel für mich, vor allem, wenn die Horde aus Ravager und Raider bestand.

Wieder zuckten meine Finger und ich hoffte, dass ich mit Stillhalten genug Aufschub bekam, bis mir jemand zu Hilfe kommen würde. Immerhin hatte ich den Notruf mit den GPS-Daten abgesetzt, der einmal direkt in die Zentrale gesendet und zum anderen auch an die Hunter in der Nähe geschickt wurde. Ich befand mich hier näher an der Schule, als an der Gilde, was bedeutete, dass...

Verdammt!

Die Hunter, die mir am nächsten waren, waren Prim und diese Kristina, mit der sie seit knapp 2 Wochen bekannt war. Langsam wurde mir mulmig zumute. Prim konnte hier nichts ausrichten, wenn sie meinen Namen jedoch auf dem Display las, würde sie unweigerlich her kommen. Ebenso wie die kleine Erbin. Hieß das etwa, dass ich nur das Lockmittel war und sie mich deshalb noch nicht angriffen?

Gereizt zuckte mein linkes Augenlid, als ich eine straffere Haltung einnahm und mich nun endlich doch umschaute. Wenn ich nur der Köder war, durfte ich mich unbeschadet rühren, solange ich nichts tat, oder? Da sich nur ein paar Ravager unruhig auf der Stelle bewegten, als ich mich im Kreis drehte, schien ich wohl recht zu haben.

Die Summe der Zählung belief sich auf fünfunddreißig Finsternis-Wesen, wovon zehn davon gepanzerte Ravager waren. Ebenso schienen sich in den Schatten des Waldes noch einige mehr zu verstecken, doch waren diese vorerst zu weit entfernt, als dass ich sie mit einberechnen konnte. Und zusätzlich stand dieses schulterhohe Mistvieh auch immer noch auf meinem Auto. Langsam aber sicher wurde ich wütend und ich begriff, dass sich nun auch der Rest meines Adrenalins abgebaut hatte, da nun auch meine Rippen weh taten.

Doch, auch wenn ich die Lage nun überblickt hatte, so konnte ich doch nichts weiter tun, als hier zu stehen und zu warten, wenn ich nicht sterben wollte. Frustriert biss ich die Kiefer aufeinander, bis meine Muskeln schmerzten. Da wurde das monströse Vieh plötzlich unruhig und wandte den Blick ab, die Straße entlang, in Richtung Stadt. Das Knurren, das aus seiner Kehle kam, ähnelte dem Bass aus meinem Auto und ich folgte automatisch seinem Blick. Aus der Ferne kam ein Auto auf uns zu gerast. Ein gelber Mustang jagte die Straße hinab und mich überlief ein Schauder:

Loren Angus.

Juna - 2-Drei

Und mit einem Mal kam Bewegung in die Sache.

Das Geräusch, das die riesige Bestie beim Anblick des Mustangs nun ausstieß, klang wie das Brüllen eines Bären, das mir durch Mark und Bein ging. Mit einer kleinen Handbewegung legte ich einen kreisrunden Schild aus Licht um mich, dann prallten auch schon die ersten Leiber gegen diesen.

Doch war es ein Fehler gewesen, dass diese Biester mich so lange hatten ausruhen lassen, denn jetzt konnte ich mich problemlos zur Wehr setzen, da ich mich völlig beruhigt hatte. Als die nächsten Raider auf den Schild sprangen, schickte ich einen Impuls durch diesen hindurch, der sie durch eine Art Brand verletzte und sprengte dann den Schild nach außen auf, sodass weitere Wesen davon geschleudert wurden. Im selben Moment beschwor ich meinen Stab und ließ an jedem Ende eine strahlend weiße Klinge erscheinen, deren Licht ich auf mehrere 1.000 °C aufheizte.

Die Viecher sollten brennen!

Mit diesem Gedanken holte ich aus, während ich nach vorne sprang und den erstbesten Raider mit einer Klinge zerteilte. Es war nur so einfach, weil dieser noch vom vorherigen Zurückschleudern verwirrt war. Während ich im Augenwinkel sah, dass der Körper sich in schwarze Rauchschwaden auflöste und vom Wind verweht wurde, schlug ich schon den nächsten Raider mit der harmlosen Stabseite von mir. Die Wesen griffen unablässig an, egal, ob ich nun einen von ihnen tötete oder sie verletzte. Sie kamen immer wieder und das natürlich nicht fein säuberlich, einer nach dem anderen. Als ich einem weiteren Raider ins Gesicht trat und gleichzeitig meinen Stab im Maul eines Ravagers verkeilte, da dieser ungünstig angriff, hörte ich das Quietschen von Reifen und das erneute Brüllen von dem Riesen. Im nächsten Moment flog ein Raider an mir vorbei.

Hatte Loren ihn absichtlich angefahren oder aus Versehen? Egal! Dieser Gedanke war gerade mehr als überflüssig.

Fuck“, fauchte ich atemlos, da die Schmerzen meiner Rippen mir bei einer blöden Drehung die Luft stahlen. Ich hatte schon wieder ein ungutes Gefühl, doch dieses bezog sich auf die Insassen des Autos. Und mit einem Mal wusste ich auch, wieso: Prim musste tatsächlich dabei sein!

Verflucht...“ Ich konnte den Ravager nicht abwehren und sein Gewicht, das gegen meinen Stab drückte, blockierte mir beide Hände, also ließ ich mich einfach rücklings fallen, als es mir günstig erschien. Kaum, dass ich auf dem Boden lag, trat ich den Ravager über mich hinweg. Und, sobald er in der Luft war, schleuderte ich eine heiße Lichtkugel auf seinen ungeschützten Bauch. Sein Jaulen klingelte in meinen Ohren, ehe es erstarb, doch hastete ich da auch schon wieder auf meine Beine und mit der Schulter voran gegen den nächsten Angreifer. Wieder ein Ravager. Diesen erledigte ich, indem ich ihm die Kehle durchschnitt, bevor mein Sprint in Richtung Auto damit endete, dass mich eine riesige Pranke von den Beinen riss.

Der Schlag kam so überraschend, dass ich einen schmerzlichen Laut von mir gab, als er meine eh schon schmerzenden Rippen traf und ich über den Asphalt geschleudert wurde. Mit angehaltenem Atem blieb ich einen Moment lang benommen liegen und blinzelte die Sternchen vor meinen Augen weg, doch zog ich dann, keine Sekunde zu spät, einen Schild um mich herum hoch, denn der Große setzte mir nach und stand alsbald über mir.

Was für ein unfairer Kampf war das denn?

Schwerfällig rappelte ich mich auf und verstärkte den Schild um ein Vielfaches, als der Große attackierte. Durch die Wesen um mich herum konnte ich nichts sehen, doch ich hörte Prims Rufe und dass jemand sie davon abhielt, zu mir zu laufen. Zumindest hörte sich das Ganze nach Zeter und Mordio an, was bei mir ankam. Und das passte sehr gut zu dieser Vorstellung.

Doch da ertönte ein Knacken und meine Augen wurden groß und huschten erschrocken zurück zu dem monströsen Biest. Es brach meinen Schild auf, indem es seine Zähne in Schatten hüllte und damit auf den Schild los ging.

Verdammt noch mal, es nutzte ein Element!

Noch bevor der Schild brechen konnte, sprengte ich ihn wieder nach außen auf und stürzte mich nach vorne weg, um für den Moment aus seiner Reichweite zu kommen. Dann rief ich direkt wieder meinen Stab herbei und zuckte schmerzlich zusammen, als ich meine Kampfhaltung einnahm. Dass die anderen Wesen sich auf die Neuankömmlinge konzentrierten kam mir zugute. Das hieß, dass ich mich vorerst nur auf den Dicken zu konzentrieren hatte.

„Juna!! Pass' auf!! Vier Ravager!!“ Erneut zuckte ich zusammen und duckte mich unter einem Angriff des Großen hinweg, ehe meine Augen die Umgebung absuchten. Da! Vier Ravager kreisten mich und den Großen ein, während dieser wütend brüllte. Und schon sprangen die gepanzerten Wesen auf mich zu. Ich kam mir fast vor, als würde ich eine Trainingsübung vollziehen, als ich einen Schild zur Hälfte um mich zog und auf der anderen Seite die beiden anderen Ravager mit einer Lichtkugel und dem Stab von mir fern hielt. Beides waren nur leichte Verletzungen, doch hielt mir das die Biester kurz vom Leib, sodass ich mich umdrehen und den Schild verschwinden lassen konnte, um einen der Ravager kurzerhand die vorderen Gliedmaßen ab zu trennen. Er jaulte fürchterlich auf und ich machte dem Ganzen ein schnelles Ende, damit er in die Schatten übergehen konnte. Dann ging ich in die Hocke, zog einen kleinen Schild um mich und wiederholte die Sprengung dessen, als die drei anderen auf mich zusprangen. Danach schleuderte ich eine weitere Lichtkugel auf den Ravager, dem ich zuvor eine leichte Schnittverletzung verpasst hatte und erwischte ihn vorteilhaft, sodass auch er sich in Rauchschwaden auflöste.

„Der Große, rechts, hinter dir!“ Prims präzise Vorwarnung ließ mich in die angegebene Richtung herumfahren und mit einer fließenden Bewegung aufstehen, als der Große auf mich zu sprang. Dabei holte ich tief mit meinem Stab aus und zog die Klinge über seine gesamte Unterseite, bis zum Kinn nach oben, während ich die Hitze dieser stark erhöhte. Als er auf mir landete, blieb er einen Moment regungslos stehen, die Pranke auf meinem Brustkorb, dann klappten die Beine unter ihm weg und die schwarzen Schlieren verwehten mit dem Wind, noch ehe sein massiger Körper mich berühren konnte.

„Hoch mit dir!“ Genau. Keine Zeit, liegen zu bleiben. Über die Seite hinweg stand ich wieder auf und bekam sogleich einen Ravager auf die Brust. Es fühlte sich für einen unendlich langen Moment so an, als würde ich durch die Schmerzen ersticken, da meine Lungen versagten, und so verlor ich die Kontrolle über meinen Stab, welcher prompt in einem gleißenden Blitz verpuffte. Ich hörte das Knacken eines Wirbels in meinem Rücken, während dieser seine angestammte Position einnahm, als ich auf den Boden prallte und sog zischend die Luft ein, als es mir endlich wieder möglich war. Zeitgleich stemmte ich ein Knie und einen Arm gegen Bauch und Kehle meines Angreifers, der geifernd nach mir schnappte. Es war der Ravager, der bisher noch ungeschoren davon gekommen war. Ich war so konzentriert auf meinen eigenen Kampf, dass mich Prims Aufschrei heftig zusammen zucken ließ. Das Maul des Ravagers näherte sich meinem Gesicht gefährlich durch die Unachtsamkeit und ich hätte die Möglichkeit gehabt, jeden einzelnen Zahn seiner beiden, hintereinander liegenden Zahnreihen zu zählen. Doch flammte in diesem Moment die Wut in mir auf und ich hob die freie, linke Hand, um eine Lichtkugel direkt an seinem Brustkorb entflammen zu lassen. Jaulend stolperte er von mir herunter und gegen den verbliebenen Ravager, sodass ich problemlos auf springen und zu Prim hasten konnte.

Ich entdeckte sie, unweit von meinem Schrotthaufen von Auto, wo sie von Kristinas Partner geschützt wurde, während Kristina von Prim weg gedrängt wurde. Nur kurz überblickte ich das Geschehen, dann trat ich einen Raider beiseite und Prims Blick traf direkt auf meinen. Die Angst in ihrem Blick wich Hoffnung. Doch huschte mein eigener auch schon wieder weiter, als ich zwei weitere Raider hinter ihr entdeckte, die sich um das Auto herum schlichen.

„Runter!“ Prim gehorchte und ließ sich im Bruchteil einer Sekunde auf die Knie sinken, die Stirn beinahe auf dem Boden. Und schon sprang ich über sie hinweg, rief meinen Stab herbei, der mit einer einzigen Klinge ausgestattet war, und senste den heran springenden Raider kurzerhand um. Den anderen stellte ich hinter einen Schild, ehe ich mich Prim zuwandte und diese zu mir hoch zog.

„Alles gut?“ Die Blonde nickte, doch leuchteten ihre Augen und sie zitterte am ganzen Leib, was bedeutete, dass sie viel zu viele Visionen hintereinander bekommen hatte und erneut eine sah.

„Kris, hinter dir!“ Sie blinzelte bei diesen Worten heftig und wandte sich nun endlich richtig an mich, nur noch ein schwaches Leuchten umspielte ihre Iriden. Ihre Fähigkeit lief auf Hochtouren und schien im Kampfmodus zu sein.

„Juna... Du musst aufpassen... Sie wollen Kris...“ Ich hörte das Brüllen der schwarzweißen Großkatze, als diese einen Gegner neben uns zu Boden schmetterte und in dessen weiche Unterseite biss.

„Okay...“ Missmutig ruhte mein Blick auf meiner Freundin, dann stieß diese mich leicht von sich weg, während ihre Augen erneut aufleuchteten.

„Juna. Hinter dir.“ Gut, also weiter kämpfen und schauen, dass Prim und Kristina nichts passierte. Wo Loren und Dew steckten war mir im Moment egal, solange ich keinen von beiden aus Versehen umsenste oder diese mich abfackelten. Also stattete ich meinen Stab wieder mit der zweiten Lichtklinge aus und schritt auf meinen eigenen Gegner zu, der mich hinterrücks hatte anspringen wollen.

Juna - 2-Vier

 Der Raider war schnell beseitigt und so folgte ich erst einmal Prims Anweisung und setzte hinter Kristina her, die von zwei Wesen angegriffen wurde. Noch bevor der Ravager die Braunhaarige jedoch erwischen konnte, stieß ich sie zur Seite und verkeilte meinen Stab in dessen Maul. Nur kurz nutzte ich diesen Moment zum Verschnaufen und trat dann nach dem weichen Bauch des gepanzerten Viehs, um es von mir weg zu bekommen. Doch scharten sich da auch schon weitere Raider um uns und ein überhebliches Grinsen legte sich auf meine Lippen. Als ich begriff, was das zu bedeuten hatte, schüttelte ich jedoch heftig den Kopf und konzentrierte mich: Kein Hochgefühl. Ich durfte mich nicht von meinem Element zur Unachtsamkeit treiben lassen. Währenddessen zerlegte die weiße Großkatze einen Raider mit vor Schatten wabernden Zähnen.

„Juna!“ Trotz Prims Warnruf ließ mich der Anblick des Schattenelements kurz in der Bewegung erstarren. Diese Unachtsamkeit nutzte ein Raider, um mich von den Füßen zu fegen und so landete ich schon wieder unter den Pfoten eines dieser Wesen, was mich innerlich fluchen ließ. Jedoch kam mir nun endlich die Braunhaarige zu Hilfe, indem sie mit einem Schattenschild einen weiteren Angreifer abwehrte, während ich mich meines Gegners entledigte. Als ich einen kurzen Blick zu Kristina warf, konnte ich in ihrem Gesicht erkennen, dass sie endlich ihre Gefühle unter Kontrolle hatte. Das, gemeinsam mit dem Schattenschild, erklärte mir zumindest, warum sie zuvor nicht gehandelt hatte. Licht und Schatten waren nicht einfach zu handhaben, wenn man Angst hatte und dieses Gefühl nicht unterdrücken konnte. Doch jetzt war sie bereit, sich selbst zu schützen. Und so widmete ich mich wieder unseren Gegnern. Wobei mir sehr schnell klar wurde, das ein bestimmter fehlte: Der Ravager war nicht mehr bei uns.

Einer sehr negativen Eingebung folgend ließ ich meinen Blick zu Prim schweifen und konnte nur noch mit ansehen, wie besagter Ravager sich auf meine Freundin stürzte. Ein Biss in ihre Kehle, ein harter Ruck mit dem Kopf und sie rührte sich nicht mehr.

Nein“, das Wort, das sich meiner Kehle entrang, war kaum mehr als ein Hauchen, als ich einen Schritt nach vorne tat. Doch sprangen mich da auch schon zwei Raider an, wobei sich einer in meinem Arm verbiss und dieser Schmerz meinen Schock zurückdrängte.

„Fuck!“ Wütend legte ich die andere Hand an den Schädel des Wesens, welches sich in meinem Arm verbissen hatte und jagte ihm eine Kugel Licht durch diesen hindurch, sodass er sich in nicht einmal einer Sekunde in Rauch auflöste. Das zweite Wesen fing ich dann mit der Hand im Flug ab. Während die Wut in mir ins unermessliche stieg, starb auch dieser Raider durch eine Lichtkugel, die seine Kehle verbrannte und ihn entsetzlich aufjaulen ließ, ehe er in die Schatten überging. Doch als der nächste Raider meinte, sich mir in den Weg zu stellen, war es aus. Das letzte bisschen Beherrschung, das ich bisher noch in mir hatte, löste sich in Luft auf, als ich meinen Stab herbei rief, ihn beidseitig mit Klingen ausstattete und diese auf die Kerntemperatur der Sonne erhitzte. Und dann ging alles ganz schnell. Ich setzte nach vorn, zerschnitt den einen, dann den anderen Raider. Wurde ich angegriffen, bemerkte ich es kaum und löschte meinen Angreifer lediglich mit einer außerordentlich heißen Lichtkugel aus, statt meinen Stab zu nutzen.

 

Ich weiß nicht, wie lange es dauerte oder wie viele Finsternis-Wesen ich in die Schatten zurück schickte, doch irgendwann war alles still um mich herum. Die Angreifer waren besiegt. Meine Wut war jedoch noch immer präsent, weshalb ich mit dem Stab herum fuhr und beinahe Kristinas Partner in zwei Stücke zerteilt hätte, wenn diese nicht gerade noch rechtzeitig einen doppelten Schild vor dem Kater aufgebaut hätte. Schwer schnaufend starrte ich auf die Schilde aus grauem Schatten, in denen sich meine Klinge aus Licht verkeilt hatte, nachdem sie ein gutes Stück in diese hineingeschnitten hatte. Erst nach einem langen Moment ließ ich meinen Stab endlich verschwinden und trat auf das Licht-Wesen zu, welches Prim zu schützen schien. Kurz flackerte der brüchige Schattenschild, dann zerfiel er auch schon und ich konnte endlich zu meiner Freundin, die regungslos am Boden lag.

Meine Augen glitten über ihren Körper, blieben an ihren zerzausten Haaren hängen, starrten in die verzweifelt aufgerissenen, sonst so strahlenden und nun so trüben, karamellfarbenen Augen.

„Prim...?“ Unter mir knickten meine Knie ein und ich landete schwer auf diesen, direkt neben Prim. Zitternd streckte ich eine Hand nach ihrem Gesicht aus, strich sanft darüber, doch es kam keine Reaktion darauf. Während die Tränen meinen Blick verschleierten, fiel mein Blick zum ersten Mal auf Prims Hals. Dieser war blutverschmiert. Prims Blut. Meine Augen huschten über den Boden neben ihr, über ihr Oberteil. Überall war ihr Blut.

Und mit einem Mal traf mich die Verzweiflung mitten ins Gesicht und ich brach mit einem verzweifelten Aufschrei zusammen. Während sich die Gewissheit ihres Todes in mein Herz fraß, bildete sich ein kreisrunder Schild um uns herum und sperrte die grausame Welt einfach aus.

 

Nicht viel später hörte ich plötzlich eine vertraute Stimme in meinem Rücken. Es war Per, Prims Dad. Trotzdem dauerte es eine Weile, bis seine Worte für mich Sinn ergaben, während er immer weiter sprach.

„Juna, beruhige dich. Wenn du den Schild aufrecht erhältst, sperrst du nur Prims Seele aus, wenn sie zurück kommt. Lass den Schild sinken, Juna.“ Verzweifelt schüttelte ich den Kopf und spürte in meinem Innern, wie Per eine Hand an den Schild legte.

„Juna, du musst den Schild sinken lassen.“ Unter einem lauten Aufschluchzen ließ ich schlagartig alle Energie aus dem Schild fahren, sodass dieser mit einem klirrenden Geräusch zersprang und sich auflöste. Und im nächsten Moment zog mich Per an sich. Zuerst versuchte ich noch, mich aus seinem Griff zu befreien, doch ließ ich es schlussendlich zu und klammerte mich weinend, wie ein kleines Kind, an den Mann.

„Per... Prim...“

„Shht... Ganz ruhig, Juna. Es ist nicht deine Schuld. Alles wird gut. Du weißt doch, wie sehr dich Prim liebt. Sie wird den Weg zurück finden, das weiß ich. Alles wird gut.“ Wie gerne ich mich diesen Worten doch hingab und all meine Hoffnung in sie legte, während Per beruhigend über meinen Rücken strich. Ich konnte ohne Prim nicht leben, es war, als würde mein Herz aus meinem Körper gerissen. Prim musste zurück kommen. Und so wenig, wie ich an Gott glaubte, so sehr betete ich nun zu diesem, dass er mir Prim zurück gab.

Und da geschah es plötzlich:

Prim hustete und rollte sich auf die Seite.

Prims Seele war zurück!

„Prim!“ Schlagartig vergaß ich alles um mich herum und wollte mich schon an ihre Brust werfen, als mich jemand fest hielt. Mit weit aufgerissenen Augen starrte ich Per an, auf dessen Wangen Tränen glänzten und der leicht den Kopf schüttelte.

„Mach langsam, Juna. Prim ist immer noch verletzt. Lass mich die Wunde erst versorgen, damit nichts weiter passiert, bis der Doc da ist.“ Unter starkem Zittern ließ ich den Mann gewähren und blieb schweigend sitzen, während ich ihn durch den Tränenschleier hindurch beobachtete. Er tat, was er konnte, ehe er Prim einen Kuss auf die Stirn gab und ihre Hand drückte.

„Alles wird gut, mein Schatz. Der Doc ist gleich da.“ Dankbar lächelte Prim ihren Vater an und schloss kurz die Augen, ehe sie endlich meinem Blick begegnete. Zitternd streckte sie die Finger der freien Hand nach mir aus, welche ich ergriff, noch bevor sie diese wieder kraftlos sinken lassen konnte. Währenddessen stand Per auf. Dass Loren zu uns herübergekommen war, hatte ich bis jetzt gar nicht bemerkt. Doch interessierte es mich auch nicht weiter. Jetzt war nur noch Prim wichtig, die nun ganz leicht den Kopf schüttelte. Ich wusste, dass sie mir ansah, dass ich mir Vorwürfe machte. Es bedurfte keiner Worte zwischen uns, weshalb ich auch gar nicht erst versuchte zu sprechen, während wir auf unseren Doc warteten.
 


 

→ Fortführung in der Hauptgeschichte Hunter of Darkness Kapitel Siebenundzwanzig



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Kommentare zu dieser Fanfic (2)

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Von: Futuhiro
2018-10-12T17:22:29+00:00 12.10.2018 19:22
Okay, das verspricht eine interessante Situation zu werden. Bin gespannt, was Prim´s Mom DAZU sagen wird. XDD

Juna ist aber sehr fixiert auf die Kleine. Sicher hat das irgendeine Bedeutung. Das sind doch sicher irgendwie Seelenverwandte, oder?
Von: Futuhiro
2018-10-12T17:12:30+00:00 12.10.2018 19:12
Juna ... Ich überlege gerade, ob mir der Name drüben bei HoD schonmal begegnet ist. Sagt mir gerade gar nichts. ^^°

Wie spricht man "Primrose" bzw. Prim denn aus? Deutsch oder Englisch? Ich tendiere gerade zum englischen prime mit ai-Anlaut für das i.
Antwort von:  Plotchaser
06.11.2018 21:15
Huch, da bist du auch schon über das Special gestolpert =D
Hier habe ich erstmal Charaktere rausgenommen, die aktuell noch nicht in in der Hauptstory vorkommen, deren Story aber schon fast so lange besteht, wie die eigentliche Hauptstory. Außerdem werde ich bei ihrem Auftauchen wenig auf sie eingehen, aber dafür ist mir ihre Hintergrundgeschichte doch zu wichtig.. ^^°

Bei Prims Namen bin ich bei deutscher Aussprache hängen geblieben, da ich es in abgekürzter Form irgendwie schöner finde.

Ansonsten nehm ich mal nicht zu viel vorweg ;)
Liebe Grüße
Chaser <3


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