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Red V

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Nach ein paar Jahren habe ich mich doch dazu entschieden, etwas Besseres aus dem ehemaligen "Pride" zu machen. Die Idee war mir zu wertvoll, um sie einfach verstauben zu lassen.
Ich hoffe, sie gefällt euch alten, sowie euch neuen Lesern! Falls ihr Vorschläge oder konstruktive Kritik habt, lasst es mich wissen! Positives Feedback ist natürlich auch nicht verboten ;)

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Eiskalt

Nachts war ich den Weg vom Supermarkt bis zu meiner Wohnung immer sehr zögerlich gegangen. Ich genoss es einfach, durch die Straßen zu gehen, wenn fast niemand anderes es tat. Das war natürlich nicht in allen Teilen der Stadt so, doch auf genau diesem Weg, vom Supermarkt bis zu meiner Haustür, herrschte zu dieser unchristlichen Stunde immer ein besonderer Frieden.

Blöderweise hatte ich mich gerade heute zu ziemlich leichter Kleidung entschieden. Mir schlug ein eisiger Wind entgegen, der direkt durch meinen Pullover hindurchfegte. Ein Schauer lief mir den Rücken herunter. Die Hand, in der Ich meine Einkaufstüte trug, war schon fast taub vor Kälte.

Vielleicht hätte ich doch ein Wenig schneller gehen sollen. Dann säße ich jetzt schon in meiner Wohnung. Die war zwar auch nicht gerade großzügig geheizt, doch isoliert war sie, und unter drei Decken war es schon fast so warm wie an einem Kaminfeuer. Der Gedanke an ein warmes, kuscheliges Plätzchen motivierte mich glatt dazu, die Tüte ein bisschen fester zu umklammern und bestimmt die Straße herunterzumarschieren, in dem Wissen, bald zuhause zu sein.

Im Licht der Straßenlaternen erkannte ich von Weitem die Shilouette eines Hundes. Er stand ein paar hundert Meter entfernt mitten auf der Straße, doch seinen Besitzer konnte ich nicht entdecken. Vermutlich stand er irgendwo zwischen den Autos, oder schlief in einer der Gassen.

Einen Hund zu sehen motivierte mich noch viel mehr. Ich sah zwar nicht viele Menschen mit ihren Hunden nachts durch die Straße laufen, doch hin und wieder erlebte man doch ein paar nette Überraschungen. Hunde hatten diese wunderbare Gabe, jede Situation zu verbessern. Vorausgesetzt natürlich, sie waren genauso froh, mich zu sehen, wie ich sie.

Während ich hastig einen Fuß vor den anderen setzte und die Atemwolken aus meinem Mund beobachtete, spürte ich, wie meine Wangen langsam anfingen zu brennen. Der Winter hatte gerade erst angefangen, doch nachts wurde es nochmal doppelt so kalt wie tagsüber. Hoffentlich kommt demnächst der erste Schnee. Dann lohnen sich die Minusgrade wenigstens.

Ich sah erneut zum Hund. Er hatte sich nicht von der Straße bewegt. Tatsächlich hatte er sich gar nicht bewegt. Stand still da, sein Blick direkt auf mich gerichtet.

Mir lief erneut ein Schauer über den Rücken, diesmal lag es allerdings nicht an der Kälte. Die Situation kam mir auf seltsame Weise faul vor. Irgendwas stimmte nicht.

Kurz verlangsamte sich mein Schritt, dann lief ich wieder mit gleichem, hastigem Tempo die Straße entlang, geradewegs auf den Hund zu. Er bewegte keinen Muskel. Je näher ich kam, desto schärfer wurde das Bild, umso größer und unförmiger wurde der Hund - bis ich abrupt stehen blieb. Schlagartig wurde es mir klar.

Das war kein Hund.

Ich war nur noch einige dutzend Meter entfernt. Die Shilouette bewegte sich zum ersten Mal, seit ich sie erblickt hatte. Ein paar Schritte vorwärts, direkt in den Lichtschein der Straßenlaterne. Meine Tüte fiel zu Boden.

Ein Werwolf.

Glänzende, gelb leuchtende Augen fixierten mich. Tief aus seiner Kehle ertönte ein boshaftes Knurren. Ich hielt die Luft an. Langsam, ganz langsam bewegte er sich auf mich zu, musterte mich bedrohlich und fletschte seine Zähne. Ganz eindeutig kein Zeichen dafür, dass er froh wäre, mich zu sehen.

Na großartig.

Ich musste schnell überlegen, was ich nun tat. Ich hätte rennen können, doch er wäre schneller gewesen. Ich hätte reden können, doch er wäre nicht darauf eingegangen. Ich hätte kämpfen können. Doch ich wusste nicht, wie ernst es war. Blieb mir eine andere Wahl?

Ein weiteres Knurren ertönte, diesmal lauter, aggressiver.

Blitzschnell wirbelte ich herum, um nach einer nützlichen Waffe zu suchen. Nein, mir blieb keine andere Wahl. Dieses Tier wollte keinesfalls spielen, geschweige denn diskutieren.

Noch bevor ich in meine Einkaufstüte greifen konnte, machte der Wolf einen Satz. Er riss mich mit seinem gesamten Gewicht zu Boden und drückte meine Schultern mit seinen Pranken auf den Asphalt. Ich schnappte nach Luft. Während sich seine Klauen in mein Fleisch bohrten, schnappte er wie wild nach meiner Kehle, konnte sie jedoch nicht erreichen, solange ich ihn weit genug von mir wegstemmte. Ein paar spitze Steine stachen mir gnadenlos in den Rücken und ließen den Schmerz wie eine Schockwelle durch meinen Oberkörper laufen.

Keine Zeit. Keine Zeit für Schmerzen.

Ich riss meinen Ellbogen hoch und zielte mit der geballten Faust direkt auf die Kehle. Aus dem Wolf ertönte eine Mischung aus Winseln und Würgen und für den Bruchteil einer Sekunde verlagerte er sein Gewicht so, dass ich mich von ihm befreien konnte. Ich rollte zur Seite, richtete mich schnellstmöglich auf und wich aus, als er erneut versuchte, sich auf mich zu schmeißen. Der Wolf landete krachend in einem Autofenster.

Im nächsten Moment begann die Welt, sich zu drehen. Das Hupen der Autoalarmanlage vermischte sich mit dem Rauschen in meinen Ohren. Ich musste mit dem Kopf aufgeschlagen sein, oder ich hatte mich zu schnell aufgerichtet, doch was es auch war, ich musste weitermachen. Ich musste kämpfen. Ich musste. Kämpfen. Dieser Werwolf war zwar riesig, doch er war bei Weitem nicht so schwerfällig, wie er hätte sein sollen. Er bewegte sich eher wie ein vierzigpfündiger Kampfhund als eine tonnenschwere Bestie.

Mir graute, dass ich es nicht einfach mit einem kampflustigen Wolf aus der feindlichen Organisation zu tun bekommen hatte. Doch was er auch sein konnte - wenn ich nicht maßgeblich handelte, würde ich sterben. Das war mir sonnenklar.

Aus dem Augenwinkel sah ich, wie sich mein Gegenspieler aus dem Fenster zu befreien versuchte. Mir blieben nicht mal mehr Sekunden, bis er wieder auf mir sitzen würde. An ein gegenüberliegendes Auto gelehnt kniff ich die Augen zusammen und suchte nach einer passenden Energiequelle, tief in meinem Innern. Nach etwas, das ich normalerweise nicht antastete. Wenn ich heute noch lebendig nach Hause kommen wollte, musste ich auf andere Maßnahmen als pures Können zurückgreifen.

Erst das kreischende Geräusch von Blech, das auf den Asphalt geschleudert wurde. Dann das wütende Schnauben der Bestie. Ich gelang immer tiefer in meinen Geist, ging leuchtende Energien durch, die ich beim besten Willen nicht anrühren wollte. Aber musste.

Gerade, als ich kurz davor war, meinen Halt zu verlieren und von der Motorhaube abzurutschen, fand ich das, wonach ich gesucht hatte. Die Welt hörte abrupt auf, sich zu drehen. Nichts schwankte mehr, nichts schmerzte. Alles, was meine Schwächen hätte andeuten können, verflog.

Ich öffnete meine Augen. Unmittelbar vor mir sprang der Werwolf auf mich zu, bereit, mir die Kehle zu zerfetzen und das Herz aus dem Leibe zu reißen. Nur bewegte er sich nahezu in Zeitlupe. Alles ging unglaublich langsam.

Auf meinem Gesicht breitete sich ein teuflisches Grinsen aus. Ich stieß mich vom Auto weg, machte ein paar anmutige Schritte auf meine Einkaufstüte zu, griff hinein und holte eine billige Flasche Wein heraus. Prüfend musterte ich sie, wog sie einige Male hin und her und entschied mich dann, dass sie wohl als Waffe ausreichen würde. Alles war eine Waffe, wenn man sie zu benutzen wusste.

Mit dem Grinsen auf meinen Lippen und der Flasche in meinen Händen sah ich noch ein Mal zu dem Wolf. Er war nur noch wenige Armlängen davon entfernt, erneut auf einem PKW aufzuschlagen.

Dann rannte ich los. Die erst langsamen Bewegungen des Angreifers wurden schneller, bis sie ihr ursprüngliches Tempo wiedererlangt hatten. Mit einem lauten Dröhnen beulte er das Auto ein, landete aber in derselben Sekunde wieder auf den Beinen. Er versuchte, sich ein weiteres Mal auf mich zu werfen, doch ich wich fast schon elegant aus und schlug mit voller Wucht auf seinen Brustkorb ein. Einige seiner Rippen gaben ein bedenkliches Knacksen von sich; der Wolf winselte.

Nächster Schritt, Flasche zerbrechen. Zwar hätte ich auf seinen Kopf zielen und hoffen können, dass sie dort zerbricht, doch die Wahrscheinlichkeit war mir zu niedrig. In einer flinken Bewegung schleuderte ich den Boden der Flasche auf den Asphalt. Glasscherben klirrten und flogen in die verschiedensten Richtungen, während sich der Wein als winzige Flut auf dem Grund ausbreitete.

Gerade in dem Moment erwischte das Tier meinen Arm und warf mich mit seiner Masse gegen einen parkenden Kleinbus. "Scheiß Köter!" keuchte ich, holte aus und versenkte die zerbrochene Flasche tief in seinem Genick. Knapp einen Meter taumelte er noch rückwärts, bevor er in dramatischem Jaulen zu Boden fiel.

Ich ließ mir keine Zeit fürs Durchatmen. Stattdessen schnappte ich mir augenblicklich eine dolchartige Scherbe der zertrümmerten Weinflasche und ging direkt auf die keuchende Kreatur zu meinen Füßen zu. Mit einem kräftigen Tritt drehte ich ihn auf den Rücken.

Ich hätte schwören können, dass so, wie der Wolf da lag, wie sich sein Brustkorb geradezu ängstlich auf und ab hob - dass dort eine gewisse Ehrfurcht durch seine Verwundbarkeit schien. Seltsam für einen Feind.

"Letzte Worte, Struppi?", fragte ich kühl, obwohl ich ehrlich gesagt nicht plante, diesem Vieh noch zuzuhören. Ich drückte ihm meinen Stiefel auf die Brust und hörte, wie es ihm die Luft aus der Lunge stieß. Mit der einen Hand schob ich unsanft sein Kinn nach oben, sodass ich an die Kehle kam, mit der anderen umfasste ich die Scherbe vielleicht ein bisschen zu fest, als ich sie an seinem Hals ansetzte.

"Warte", krächzte es plötzlich aus dem Wolf. Ja, aus dem Wolf. Die Stimme musste einem jungen Mann gehören. "Ich ergebe mich."

Mit schmalen Augen musterte ich das Tier unter mir. Nichts hatte sich verändert, nur die Stimme kam aus ihm. Sie hörte sich lediert, wenn nicht sogar gebrechlich an, was ja mal so gar nicht zu dem Fleischberg unter meinem Stiefel passte. Seine gelben, raubtieraften Augen standen im Kontrast zu dem Flehen, mit dem er mich ansah. Doch irgendetwas irritierte mich trotzdem. Es war mir so, als steckte unter dieser hilflosen Ergebenheit noch etwas anderes, kaum merkbares. Etwas wie Sicherheit.

"Ich ergebe mich", wiederholte er, diesmal mit festerer Stimme. Ich sah für eine Sekunde zur Seite, bevor ich schnaubend den Kopf schüttelte und mich zu ihm herunterbeugte. "Das interessiert mich einen Scheißdreck."

Dann schlitzte ich ihm die Kehle auf.

Glaubte ich zumindest. Ich hatte es ganz fest vor, ich hatte es praktisch schon vollbracht, doch... Die Scherbe glitt einfach aus meiner Hand. Mit fassungslosem Blick sah ich ihr nach, wie sie klirrend auf dem Untergrund landete. Sie hatte tiefe Schnittwunden in meiner Handfläche hinterlassen, doch das war in dem Moment mein kleinstes Problem.

Nach und nach wurde jedes meiner Gliedmaßen taub. Nichts gehorchte mir mehr, kein Teil meines Körpers tat das, was ich ihm befahl. Ganz grundlos sackte ich zusammen, wie eine Marionette, dessen Fäden man abgeschnitten hatte. Ich wusste nicht, wie mir geschah. War etwas schiefgelaufen? Hatte ich die falsche Energiequelle gewählt?

Mit einem dumpfen Schlag kam ich auf dem Asphalt auf. Hat da unter mir nicht eben noch der Wewolf gelegen? Was zur Hölle passiert hier?

Tanzende Lichter breiteten sich über mein Sichtfeld aus, als alles begann, zu verschwimmen. Gleißender Schmerz schoss erst durch meinen Kopf, dann durch meinen restlichen Körper. Brennend wie ein hungriges Feuer spürte ich plötzlich all die Verletzungen, die ich vorher betäubt hatte.

So unklar, als hätte man Watte in meine Ohren gesteckt, hörte ich jemanden reden. Eine männliche Stimme. Nein, zwei sogar. Die andere war deutlich tiefer. Aus irgendeinem Grund stellten sich bei mir sämtliche Haare auf, als ich die tiefere Stimme näher an meinem Ohr hörte. Vielleicht lag es aber auch an dem, was sie sagte, denn selbst in meinem Zustand der Ohnmacht drangen diese Worte in meinen Verstand, wie ein Speer durch eine Bullenhaut.

"Herzlichen Glückwunsch, Kriegerin Montgomery."



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