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Guitars in the night

von

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Der kalte Wind peitschte die See auf, welche doch schon zuvor nicht ruhig gewesen war. Wellen steigerten sich zu meterhohen Mauern, nur um schließlich krachend am Felsen zu vergehen. Das sanfte Mondlicht wand sich diffus durch wilden Wassermassen, brach sich mal hier und mal dort und war doch nicht zu fassen. Der Mond, welcher dort oben so unerreichbar Fern am Himmelszelt stand sucht heute Nacht vergeblich nach seinem Ebenbild in den Wellen. Die Natur und ganz besonders die steilen Küstenhänge schienen all ihre Anstrengungen darauf zu verwenden eine lebensfeindliche Atmosphäre zu erschaffen. Niemand, der noch bei klarem Verstand war wagte sich in dieser Nacht vor die Tür, aber vor allem würde niemand mit einem Rest an Verstand den schmalen Pfad zum höchsten Punkt der Klippen wählen. Menschenleer und nur von der eigenen Musik der Natur erfüllt lagen die Hänge trotz der Gewalt des Windes im sanft schimmernden Mondlicht. Es wirkte so obskur, so schrecklich widersprüchlich in sich selbst. Das Meer und der Wind fochten ihren Kampf auf Leben und Tod bereits seit Stunden, während Luna‘s sanftes Licht das mit flachem Gras bewachsene Plateau beschien, als wäre es ein gänzlich anderer Teil des Universums. Die teilweise bizarr aufragenden Felsen schützen diese kleine Ebene vor dem Kampf der Giganten. Hier war es beinahe Windstill, das Tosen der Gischt war zu einem leisen Rauschen abgeschwollen. Die Luft war kühl und doch erschien sie einladend Warm, wenn man sich bei diesem Wetter bis hier hoch gewagt hatte. Die alte Trauerweide stand beinahe unbewegt, ihre langen Äste bildeten einen undurchsichtigen Vorhang, verbargen alles, was sich unter ihnen befand.
 

Stille, nach einem Tag der Hektik, endlich Stille und Frieden. Tief durchatmend kam sie zum Stehen und schloss für einen langen Moment die Augen. Wie sehr sie sich in den hektischen Tagen nach der Einsamkeit gesehnt hatte. Vorsichtig schüttelte sie den Regen aus ihrem langen Haar und blickte durch einen Felsenspalt auf die tobende See hinab. Hier geschützt vor der Außenwelt begann sie zu Lächeln. Dieser Ort hatte schon seit ihrer Kindheit etwas Magisches. Es war ihr Ort ganz allein, niemand wusste, dass der Spalt zwischen den Felsen tatsächlich ein Durchgang war, ein Tor zu einer anderen Welt. Die Zeit schien langsamer zu vergehen, als würde ihr Herzschlag zusammen mit dem Sekundenzeiger langsamer werden konnte sie spüren, wie sie immer und immer ruhiger wurde. Die Entspannung ihrer Muskeln übertrug sich auf ihren Geist und sie konnte spüren, wie die wirbelnden Gedanken zumindest ein wenig leiser wurden. Verstummt waren sie seit vielen Jahren nicht mehr, aber sie wurden hier für den Moment erträglicher.
 

Eine Weile wanderte sie einfach nur über die Lichtung, bevor sie sich dazu entschloss den Weg zur alten Weide einzuschlagen. Gerade als sie die Hand nach den Zweigen ausstreckte erklang ein leiser Ton. Mitten in der Bewegung erstarrte sie vollkommen und hielt den Atem an. Diese Klänge gehörten nicht an diesen Ort. Beinahe bedrohlich klang es in ihren Ohren wieder, während es sich mit dem Rasen ihres Herzens zu einem Sturm in ihrem Inneren vermengte. Nur langsam schaffte sie es ihre Atmung zu beruhigen und wieder klarer zu denken. Noch einmal konzentrierte sie sich auf die leisen Töne. Nein sie gehörten wahrhaftig nicht an diesen Ort, sie waren nicht natürlich, ein Fremdkörper an diesem Ort und doch schienen sie sich in die Atmosphäre einzufügen. Wie dem Plateau selbst wohnte ihnen eine eigene Magie inne, so unendlich zerbrechlich und doch so stark zur selben Zeit. Vorsichtig zog sie sich ein paar Schritte zurück und umrundete den Baum, leise schob sie die Zweige ein wenig beiseite und schielte dazwischen hindurch. Unwillkürlich musste sie lächeln, auch wenn sie nicht wusste woher dieser Drang kam. All die Jahre hatte sie den Moment gefürchtet in dem jemand ihr Geheimnis entdecken würde, jetzt erschien es ihr plötzlich nicht mehr so furchterregend. Der hochgewachsene Mann wirkte ob der Größe des Baumes nicht mehr imposant, während er entspannt an dessen Stamm lehnte. Er hatte die Augen geschlossen, während die wirren braunen Locken sein Gesicht beinahe gänzlich verbargen. Er schien in seiner eigenen Welt gefangen, als er in unregelmäßigen Abständen an den Saiten der offenkundig alten Gitarre zupfte. Der weiße Lack war an mehreren Stellen abgestoßen, viel genutzt und doch scheinbar von einem hohen emotionalen Wert. Die Klänge, welche er dem Instrument beinahe so beiläufig entlockte brachten die Stille der Nacht zum Vibrieren. Erst nach einer Weile wurde ihr bewusst, dass sein Spiel die Stille nicht brach, sondern sie bereicherte. Er war gleichzeitig so fokussiert auf das Instrument und so weit weg in seiner eigenen Welt, dass sie sich sicher war, dass er sie nicht bemerken würde. Langsam schob sie sich ins Innere des Schleiers und positionierte sich auf der anderen Seite des mächtigen Stammes. Als sie ebenfalls den Rücken an die glatte Rinde lehnte und die Augen schloss musste sie grinsen. Unbewusst nahm sie dieselbe Haltung ein wie der Fremde den sie belauschte. Seine Melodie nahm sie gefangen, wie von selbst kroch eine Gänsehaut über ihren Rücken und sie ergab sich der Lockung. Zum ersten Mal seit Jahren verstummten die Gedanken ganz.
 

Der Schrei einer Möwe störte die Stille und sein Spiel. Langsam öffnete sie die Augen, als der Klang der Gitarre plötzlich erstarb. Blinzelnd versuchte sie sich zu orientieren, sie hatte jegliches Zeitgefühl verloren, sein Spiel hatte sie beinahe schon tranceartig mitgerissen. Vorsichtig schüttelte sie ein wenig den Kopf, noch immer war sie nicht wieder vollständig im Hier und Jetzt angekommen. Ein Blick auf die Uhr verriet, dass beinahe drei Stunden vergangen waren, seit sie sich niedergesetzt hatte, sie hatte das vergehen der Zeit gar nicht bemerkt. Er scheinbar auch nicht, mit einem kaum hörbaren Seufzen schien er sich zu erheben und verfrachtete die Gitarre voller Umsicht wieder in ihre Tasche. Sie hielt die Luft an, eigentlich hatte sie vorgehabt zu verschwinden, bevor er auf die Idee kam sich seine Umgebung genauer anzusehen, dieser Plan war gerade gescheitert. Eine nicht erklärbare Angst machte sich in ihr breit, sollte er herausfinden dass sie hier war würde es die Magie des Momentes zerstören. Sie wusste nicht woher die Erkenntnis kam, dass sie diesen Ort von nun an teilen musste, noch woher der Wunsch entstanden war diesen Zustand einseitig zu halten. Sie war sich sicher, dass er mit dem Wissen um ihre Anwesenheit nicht mehr so versunken spielen würde, wie er es tat, aber sie wollte dem weiterhin lauschen. Langsam zogen die Minuten dahin, dann hörte sie das leise Rascheln der Zweige, er hatte sie tatsächlich nicht bemerkt. Lautlos stieß sie die angehaltene Luft aus und schloss noch einmal die Augen. Wie ein Echo lag der Klang der Gitarre noch immer in der Luft, als wollte das Tal etwas davon bewahren um seinen Zauber damit zu verstärken. Nach einer Weile wurde der Nachhall unhörbar, sie wusste er war noch da und doch konnte sie ihn nicht mehr halten. Vorsichtig erhob sie sich wieder und machte sich an den Heimweg. Sie war so ruhig, wie sie es seit Jahren nicht mehr gewesen war. Ein Lächeln zupfte an ihren Mundwinkeln als sie das Bild heraufbeschwor, wie er unter dem Baum gesessen hatte. Kopfschüttelnd schloss sie die Tür ihrer Wohnung auf und tastete durch den dunklen Flur. Sie wollte das Licht nicht einschalten, der grelle Schein der Elektrizität würde den Zauber der Erinnerung zunichtemachen. Wie hatte sie von der Annahme ausgehen können, dass er ein Fremdkörper war? Nun da sie zurück war in der realen Welt erschien es ihr als würde er tatsächlich mehr an diesen Ort gehören, als sie es jemals getan hatte. Sie zehrte von der Magie des Ortes, er jedoch schien sie zu bereichern. Seufzend kroch sie unter ihre Decke und schloss die Augen, als wären diese wundersamen Klänge in ihrer Seele verankert wurde sie von ihnen begleitet, als sie langsam in den Schlaf hinüber driftete.
 

***
 

Genau eine Woche später schob sie sich vorsichtig durch den Felsspalt und atmete tief durch. Hektik, immer und überall, die ganze Welt schien nur noch aus Hektik und Eile zu bestehen. Langsam atmete sie tief durch und blickte sich um. Noch immer schien die Zeit an diesem Ort still zu stehen. Lediglich die Tatsache, dass es wärmer war als das letzte Mal diente als Anhaltspunkt dafür, dass auch hier Zeit eine Rolle spielte. Kurz nahm sie die Stille in sich auf, dann schlich sie mit wachsender Neugier in Richtung der Weide, am Kranz der Äste angelangt begann sie befreit zu lächeln. Er war da. Auch wenn sie es sich niemals eingestanden hätte sie hatte gehofft ihn erneut zu finden. Der Frieden in ihrer Seele war auch Tage nach dieser Nacht noch vorhanden gewesen, der Stress schien an den Melodien abzuprallen, welche sich beim ersten Hören in ihrem Herzen festgesetzt zu haben schienen. Leise schlich sie um den Baum herum und nahm lautlos den Platz ein, welchen sie auch schon das letzte Mal okkupiert hatte. Erneut schien er sie nicht wahrzunehmen, wieder schien die Welt seiner Gedanken so tief zu sein, dass er nichts und niemanden zu bemerken schien. Lautlos seufzend schloss sie die Augen und lehnte den Kopf gegen den Stamm. Ihr ganzes Sein schien mit den Gitarrensaiten zu klingen, während all das Negative von ihr abfiel, tiefer und tiefer driftete sie fort aus der realen Welt in den Sog den seine Klänge erschufen. Zeit und Raum wurde etwas abstraktes, während ihr Herzschlag den Takt bildete über dem sein Spiel wie ein feines Konstrukt zu schweben schien und einfach ganz natürlich alles andere verdrängte. Sie schwebte mit der Melodie und auch wenn sie ihn nicht kannte so war sie doch sicher, dass auch er hier irgendwo den Klängen folgte und die Welt einfach einmal die Welt sein ließ.
 

Erst das Heulen des Windes riss sie aus ihrer Trance, sie hatte sich erneut verloren, während die Welt sich einfach weiter gedreht hatte. Die Zeit war verflogen und das Wetter umgeschlagen. Er schien den Wechsel ebenfalls zu spüren, wieder hielt sie die Luft an, wieder schien er sie nicht zu bemerken, als er seine Gitarre in ihren schützenden Kokon legte und den Rückweg antrat. Sie grinste ein wenig, als auch sie sich kurz nach ihm auf den Rückweg machte, ein wenig erschien es wie ein verbotenes Spiel. Sie beobachtete ihn ohne ein Recht dazu zu haben und doch konnte sie einfach nicht anders. Er wirkte eine so große Faszination auf sie aus, dass sie sich ihm einfach nicht entziehen konnte. Bereits jetzt hoffte sie ihn erneut anzutreffen, wenn sie ihren geheimen Ort das nächste Mal besuchen würde.
 

***
 

Ihr stilles Flehen wurde erhört, auch das nächste Mal fand sie ihn in derselben Position unter der Weide. Wieder lauschte sie stundenlang seinen Klängen und wurde aus dem Hier und Jetzt gerissen. Es funktionierte einfach immer und immer wieder. Jedes Mal war er bereits da, wenn sie das geschützte Tal betrat und jedes Mal wurde ihr Lächeln ein wenig breiter, ihre Vorfreude, wenn sie sich der Weide nährte ein wenig größer. Hatte sie am Anfang noch gedacht diese merkwürdige Art der Gravitation und der Trance würde weniger werden, so hatte sie nun eher das Gefühl, dass der Drang ihm zu lauschen nur von Mal zu Mal größer wurde. Noch immer schlich sich ein schrecklich diebisches Grinsen auf ihre Lippen, wenn er sie wieder einmal nicht gesehen hatte. Wie ein Kind, welches immer wieder und wieder die Finger in den Honigtopf steckte, während die Mutter in Reichweite war verspürte sie einen beinahe schon rauschartigen Adrenalinschub, welcher sich in Glücksgefühle auflöste, wann immer er ging, ohne sie bemerkt zu haben. Scheinbar verspürte auch er eine Trance, anderenfalls müsste er sie schon lange gesehen haben, gerade da sie dieses Spiel nun bereits seit Monaten spielten. Also sie spielte es, der gelockte Gitarrist schien noch immer Ahnungslos.
 

***
 

Wieder einmal saß sie mit geschlossenen Augen unter der alten Weide und lauschte seinem Spiel, während ein sanftes Lächeln ihre Lippen umspielte. Erst nach einer Weile fiel ihr auf, dass sein Rhythmus langsamer geworden war und so schlug sie langsam die Augen auf. Normalerweise hörte er abrupt auf zu spielen, da ihn etwas aufgeschreckt hatte, dieses langsamer werden war neu. Das plötzliche Durchbrechen ihres Rituals irritierte sie zutiefst. Erschrocken zuckte sie zusammen, als ein fremder Ton die Stille brach. Erst nach einem langen Moment wurde ihr klar, dass er derjenige war, welcher diesen Ton produzierte. Er lachte wurde ihr schließlich klar und sie legte irritiert die Stirn in Falten, während sie nicht verhindern konnte, dass der Klang seines Lachens sie zum Strahlen brachte. Was brachte ihn in der Stille der Nacht zum Lachen? Warum war es das erste Mal, dass er diese Gefühlsregung überhaupt zeigte? Ihre wirren Gedanken wurden unterbrochen, als sein Lachen ebenso schnell erstarb, wie es gekommen war. Die plötzlich eintretende Stille schien beinahe schon gespenstisch zu sein. Nur durchbrochen durch das Klingen einzelner Saiten saßen sie lange in der vollkommenen Stille und ihr kroch eine Gänsehaut über den Körper. Sogar der Wind schien nun zu schweigen und sie wusste, dass sich etwas verändert hatte. „Warum kommst Du nicht näher? Ich war der Meinung, dass die vergangenen Monate Dir gezeigt haben sollten, dass ich dir nichts tun werde.“ Kurz erstarrte sie gänzlich, bevor sie spüren konnte, wie sie sich von ganz allein um die alte Weide herum bewegte. In seiner Stimme klang weder Verwunderung, noch ein Vorwurf mit. Ganz so, als hätte er ihr Spiel genauso gespielt, wie sie es getan hatte. Nur kurz begegnete sie seinem Blick, als sie sich neben ihm niederließ, dann schloss er erneut die Augen, während er den Kopf wieder entspannt gegen den Stamm sinken ließ. Sie zog die Knie an und legte das Kinn darauf ab, während sie die Augen schloss, als er erneut zu spielen begann. Braun. Nach all den Monaten wusste sie nun auch welche Farbe seine Augen hatte. Von einem merkwürdigen und doch so tief gehenden Frieden erfüllt lauschte sie seinem Spiel und ließ zu, dass der Klang sie wieder tiefer hinab zog.



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