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Magister Magicae

Magister Magicae 7
von

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„Ja, ich merke es.“

Urnue hörte noch, wie jemand seinen Namen rief. Bekam mit, wie sich jemand schützend über ihn warf. Spürte die Hand auf seinem Oberarm. Konnte noch den rot leuchtenden Schutzschild erahnen, der zwischen ihm und den heranrasenden Far Laith hochgezogen wurde. Dann wurde sein Blickfeld endgültig schwarz. „Nein! Urnue! Bleib wach!“, rief sein unbekannter Retter ein wenig erschrocken, bevor ihm auch die Akustik wegbrach und er endgültig ins Vergessen abtauchte.

Mit einem Fluchen griff Victor in seine Manteltaschen und schaute, was er noch an nützlichen Gegenständen bei sich trug. Wenn er wenigstens gewusst hätte, womit er es hier zu tun hatte! Aber das konnte Urnue ihm ja jetzt nicht mehr sagen, wenn er das Bewusstsein verlor. Victor nahm zwar Wesen wahr, die sich auf der anderen Ebene verbargen, aber leider nicht sehr deutlich. Sein Wahrnehmungsspektrum war da begrenzt. Wesen auf der Astralebene waren für ihn fast unsichtbar, er erahnte eher ihre Bewegungen. Es war für ihn nicht mehr als ein Hitzeflirren in der Luft. Dennoch war das schon sehr viel mehr, als Menschen sehen konnten. Menschen und viele Genii-Arten konnten die Astralebene überhaupt nicht wahrnehmen. Für sie war die Astralebene wie Ultraviolettes Licht oder Radiowellen: vorhanden aber mit den Sinnen nicht zu erfassen.

Er bekam einen Zopfgummi in die Finger, den er durchaus ganz gern mal verwendete, wenn ihm seine langen Haaren auf die Nerven gingen oder im Weg waren. Nun, besser als nichts. Er schloss den Zopfgummi fest in seine Faust, legte einen einfachen aber wirkungsvollen Bann darauf und streifte Urnue den Gummi dann schnell über das Handgelenk, bevor das Ding durch die Magie hart wie ein Armreifen wurde und sich nicht mehr dehnen ließ. Das Gummiband glühte rhythmisch grün auf. Und mit jedem Aufglühen schossen kugelförmige Bannschilde davon weg, die sich in alle Richtungen ausdehnten wie Wellen auf einem See. Die ausschwärmenden Schilde versickerten nach etwa 3 Metern. Das war also der Radius, in dem Urnue sicher sein würde. Tatsächlich hielten die Angreifer zunächst auch den gebührenden Abstand und waberten unschlüssig in der Umgebung herum.

Nachdem Victor sich vergewissert hatte, daß die Kreaturen Urnue durch den Pulsar wirklich in Ruhe lassen würden, hetzte er zu Ruppert hinüber. Der eine, der sich derweile auf den Hellseher gestürzt hatte, durchschlug langsam aber sicher den von Urnue erzeugten Bannkreis, da dieser scheinbar auf den Schutz vor anderen Wesen ausgelegt war. Der Kreis würde Ruppert nicht mehr lange schützen.

„Wer bist du!?“, wollte Ruppert wissen.

Victor antwortete ihm nicht. Er wusste, daß der Hellseher seine Anwesenheit zwar auch auf der Astralebene wahrnehmen konnte, aber nur als diffuse Lichtsilhouette. Ruppert erkannte, daß sich eine Person hier befand, aber nicht, wen genau er da gerade vor sich hatte. Und so sollte es vorläufig auch bleiben. Wortlos jagte er den undeutbaren Angreifer auf Abstand, löste Urnues Bannkreis, schnappte Rupperts Astralkörper und zog ihn zu Urnue herüber. Mit hinein in den 3-Meter-Radius des Pulsars, wo sie allesamt sicher waren. Oder auch nicht, musste Victor betrübt feststellen ...
 

Als Urnue – wider Erwarten – tatsächlich wieder zu sich kam, lag er zu Hause in seinem Zimmer. Begonnen hatte ihre Reise eigentlich unten im Wohnzimmer, als Ruppert seinen Visionen nachgegangen war. Wenn sie beide auf die Astralebene entschwebten, wechselte Urnue komplett dorthin, Ruppert verließ nur seinen Körper und ließ seine stoffliche Hülle im Wohnzimmer zurück. Aber weit waren sie nicht gekommen. Sie konnten bestenfalls bis in den Vorgarten gelangt sein, als sie von den giftigen Grauen Männern überfallen worden waren. Jemand musste ihn nach dem desaströs verlorenen Kampf zurück ins Haus geholt haben und die Treppen hinauf zu seinem Zimmer geschleppt haben. „Ruppert!“, keuchte er und fuhr hoch. Aber er wurde auf der Stelle gepackt und zurück nach unten gedrückt.

„Hey, bleib liegen“, bat eine ruhige, junge Stimme.

Urnue griff sich stöhnend an den brummenden Schädel, in dem sich sofort alles drehte wie ein Karussell. Erst jetzt nahm er sich die Zeit, seine Situation zu erfassen. Er lag der Länge nach auf seinem Bett. Mit dem Kopf und Oberkörper ruhte er auf dem Schoß von jemandem, der mit bei ihm im Bett saß und ihn mehr oder weniger lose in die Arme geschlossen hatte.

„Dein Kreislauf muss sich erst stabilisieren, bevor du hochspringst.“

„Ja, ich merke es“, stöhnte der Wiesel-Tiergeist und wälzte sich schwerfällig ein wenig frei, um wenigstens zu schauen, wer ihn da eigentlich im Bett festhielt, denn er glaubte seinen eigenen Ohren nicht. Er bildete sich zwar ein, die Stimme zu kennen, aber das konnte eigentlich gar nicht sein. „Dragomir!?“, stellte er erstaunt fest. Damit hätte er nicht gerechnet. Es war schon reichlich 2 Monate her, daß der nach der Motus-Sache aus Rupperts Haus wieder ausgezogen war. Urnue hatte gar nicht gedacht, daß der noch in England war. Oder war er wieder hier?

„Ruppert geht´s blendend, keine Sorge“, merkte der Russe ein wenig humorlos an. Er wollte spürbar mitfühlend mit Urnue umgehen, aber irgendwas verhagelte ihm so sehr die Laune, daß er es nicht verbergen konnte. „Ich hab dich schon grob abgetastet. Du scheinst keine größeren Verletzung zu haben. Aber trotzdem: tut dir irgendwas weh, was sich nach mehr als einem blauen Fleck anfühlt?“

Urnue regte sich wieder, um eine andere Liegeposition zu finden. Dabei verzog er schmerzlich das Gesicht. „Meine Schulter ...“, gab er zu und deutete auf die rechte von beiden. Ihm fiel auf, daß er seine Lederjacke gar nicht mehr trug, die er bei Astralreisen immer überzog, weil es auf der anderen Seite recht kühl war. Immer noch hatte er den Pulsar am Handgelenk, der fortwährend Schutzschilde in die Welt hinaus feuerte.

Victor nickte und schob ihn in eine aufrechte Sitzhaltung. Damit befreite er sich auch gleichzeitig aus der unter Urnue gefangenen Position.

„Wo ist Ruppert?“, versuchte Urnue das Thema zu wechseln.

Victor legte dem Tiergeist sachte beide Hände um das Schultergelenk. „Kannst du sie noch bewegen? Roll die Schulter mal.“

„Ja“, beantwortete der Genius die Frage und kam der Aufforderung vorsichtig nach. „Tut aber ganz schön weh.“

„Gut. Da blockiert nichts. Ist also noch alles heil da drin. Nur eine Prellung, oder Stauchung, oder sowas.“

„Dragomir! Wo ist Ruppert!?“, verlangte Urnue daraufhin nochmal etwas nachdrücklicher zu wissen.

Victor zog ein missmutiges Gesicht. „Er hat dich in dein Bett geworfen, nachdem er auf die stoffliche Ebene zurückgekehrt ist, und ist wieder nach unten gegangen. Er hat gerade besseres zu tun, als jetzt bei dir zu sein.“

Urnue schaute ungläubig auf die Uhr an der Wand. Ihm fehlten fast 4 Stunden. So lange musste er bewusstlos hier rumgelegen haben.

„Er hat seitdem noch nicht wieder nach dir gesehen“, ergänzte Victor.

„Weiß er, daß du hier bist?“

„Nein. Ich habe mich als Fliege getarnt, solange Ruppert da war. Er hat mich noch nicht zu Gesicht bekommen. Er weiß gar nicht, daß ich überhaupt in London bin.“ Victor hatte sich ganz bewusst nicht gezeigt. Er hatte sehen wollen, was Ruppert nun tat. Bedauerlicherweise hatte Rupperts Verhalten seine Erwartungen nicht enttäuscht. Er behandelte Urnue immer noch so schlecht.

Urnue behielt seine Mimik halbwegs im Griff, nur seine Augen liefen mit Wuttränen voll wie ein Staubecken, während er Victor ungläubig anstarrte. Das erklärte Victors seltsame Stimmung. Der Wiesel-Genius schluckte hart. Er war stundenlang bewusstlos gewesen, im Zweifelsfall sogar vergiftet. Und Ruppert ließ ihn in diesem Zustand unbeaufsichtigt? Das war kreuzgefährlich. Ihm hätten die Vitalfunktionen aussetzen können, oder er hätte an seiner verschluckten Zunge oder an Erbrochenem ersticken können. Man konnte einen Ohnmächtigen doch nicht alleine rumliegen lassen. „Bedeute ich Ruppert wirklich so wenig?“

Victor seufzte und wich Urnues Blick aus. „Willst du darauf eine ehrliche Antwort?“ Darauf hatte Victor ihn doch schon aufmerksam gemacht, als er sich nach dem Niedergang der Motus wochenlang hier bei Ruppert verkrochen und sich dabei mit Urnue angefreundet hatte.

Urnue ließ sich seitlich auf seine Bettmatratze fallen, ungeachtet der schmerzenden Schulter. Er fühlte sich plötzlich furchtbar leer und verlassen. „Ich will nicht mehr, Dragomir ... Ich kann nicht mehr. Ich habe so sehr die Nase voll von diesem Mann.“

„Komm her“, hauchte Victor tröstend, zog Urnue mit Kraft zu sich heran und in eine Umarmung. Der gab zwar aufgrund seiner verletzten Schulter zuerst einen leisen, schmerzlichen Protest von sich, nahm es dann aber dankend an.

„Ich habe mir immer eingeredet, daß Ruppert bloß kein herzlicher Typ ist. ... Daß er es einfach nicht so zeigen kann, wenn ihm jemand wichtig ist. ... Aber ... langsam glaube ich selber nicht mehr daran. ... Er verachtet Genii wirklich.“

Victor rieb ihm aufmunternd über den Rücken und brachte ihn damit zu einem Seufzen und einem akuten Entspannen aller Muskeln. Es hätte einem Zusammenbrechen geglichen, wenn er nicht sowieso schon in der Waagerechten gelegen hätte.

Das tat irgendwie gut. Urnue genoss eine ganze Weile einfach nur die Ruhe und Schwere, die ihn einhüllte, während Victor ihm weiter in langsamen, nicht zu kräftigen Strichen den Rücken hinauf und hinunter fuhr. Dabei schob er das Wissen um Victors wahre Persönlichkeit bewusst von sich. Ihm war klar, daß Victor nicht immer so 'lieb' war. Er wusste, daß Victor miese Ecken und Kanten hatte. Und er war sicher nicht mit allem einverstanden, was dieser Mann trieb. Der war de facto ein Schwerverbrecher. Schon zu Motus-Zeiten, und auch jetzt noch. Aber trotzdem hatte sich Urnue noch nie so sicher und gut aufgehoben gefühlt wie hier und jetzt in Anwesenheit dieses jungen Kerls. Und wenn er als 39-jähriger sowas sagte, dann musste es schon richtig was bedeuten. Jetzt, hier, in diesem Moment, war Victor für ihn kein skrupelloser Killer, sondern einfach nur ein Freund, der sich Sorgen um ihn machte. „Krieg ich das Ding auch wieder ab?“, wollte Urnue irgendwann wissen und zeigte sein Handgelenk mit dem grün glühenden Zopfgummi hoch.

„Den Pulsar? Nein, leider nicht. Ich hatte keine Zeit mehr, den Zauber reversibel zu machen. Mit dem Ding wirst du jetzt wohl oder übel 'ne Woche rumlaufen müssen. Der Gummiring geht erst wieder ab, wenn der Bann erloschen ist.“

Urnue nickte nur leicht und beäugte den magischen Ring um sein Handgelenk weiter, um sich abzulenken.

„Sieh es positiv, solange musst du dir keinen Kopf um Angriffe von der anderen Ebene machen. ... Und wenn das grüne Licht dich stört, dann verdeck den Pulsar einfach. Knote ein Tuch drum, oder stülpe ein Schweißband drüber, oder sowas.“

„Ist das Ding etwa 3-fach gesichert?“, fasste Urnue seine Beobachtungen in Worte. Das erstaunte ihn.

„Ja. Ich musste drei verschiedene Bann-Zauber übereinander legen, bis es endlich geholfen hat. Da ich nicht gesehen habe, was genau euch da angegriffen hat, musste ich raten und rumprobieren. Was für Dinger waren das? Ich hatte echte Probleme, die los zu werden.“

„Das waren Far Laith. Graue Männer“, begann der Wiesel-Tiergeist zu erzählen und holte etwas weiter aus, da er glaubte, daß Victor als Russe nicht so viel Ahnung von den in England vertretenen Wesen hatte. Far Laith liebten verschmutzte, giftige Umgebungen. Zur Zeit der Industrialisierung, als ganz London förmlich unter einer Smog-Glocke begraben war, waren diese kreuzgefährlichen Kreaturen ein echtes Problem gewesen. Nach dem historischen Vorfall des 'giftigen Nebels von London' von 1952, der zehntausende das Leben gekostet hatte, hatte man Maßnahmen eingeleitet, um England und vor allem London wieder wesentlich sauberer zu machen. Seither gab es hier eigentlich auch so gut wie keine Far Laith mehr. Urnue hatte seit Jahrzehnten von keiner Sichtung mehr gehört. Um so ungewöhnlicher war es, gleich drei von denen an der Backe zu haben.
 

Urnue kam die Treppe herunter und blieb in der Wohnzimmertür stehen. Da lag Ruppert also. Der Fernseher lief, er hatte sich auf dem Sofa lang gemacht und schlürfte unbekümmert eine Dose Bier.

Als er über die mentale Verbindung auf den plötzlichen Unmut seines Schutzgeistes aufmerksam wurde, schaute er fragend herum. „Oh, du bist wieder wach?“

Urnue sah ihn lange an. Wartete auf mehr. Aber es kam nichts. Seine Augen verengten sich übellaunisch. „Das ist alles? 'Du bist wieder wach'?“

Ruppert runzelte die Stirn. „Was willst du denn hören?“

„Wenigstens die Frage, ob es mir gut geht!? Ich war stundenlang bewusstlos. Und du liegst hier in Ruhe auf dem Sofa, guckst deine Serien, und säufst Alkohol, statt einen Arzt zu rufen oder wenigstens selber mal zu schauen, ob ich noch lebe und atme. Machst du dir überhaupt keine Sorgen um mich? Nichtmal ein bisschen?“

Der Hellseher verdrehte die Augen. „Meine Fresse, bist du verweichlicht“, attestierte er seinem Schutzgeist und nippte gelassen an seiner Bierdose. „Wärst du kein Schutzgeist geworden!“

„Habe ich dir nicht das Leben gerettet?“

„Hast du? Soviel ich mitbekommen habe, ist da jemand dazwischen gegangen, weil du versagt hast.“

da, ya byl etim“ [Ja, ich war das.], mischte sich Victor aus der anderen Raumecke ein und ließ Ruppert erschrocken herumfahren. Er hatte das Gespräch in seiner Fliegengestalt quasi unsichtbar mitverfolgt. Eine Fliege an der Wand nahm schließlich keiner für voll. Nun fühlte er sich aber doch veranlasst, sich dem Banker endlich mal zu zeigen und sich einzumischen.

„Dragomir!“, machte der Hellseher irritiert und setzte sich aufrecht. „Du, hier? Du warst das, der uns gerettet hat? Was tust du hier?“

„Da sind gleich 3 Far Laith über euch hergefallen!“, hielt der russische Vize ihm vor, ohne auf die Frage einzugehen. „Was erwartest du von Urnue? Soll er es etwa alleine mit denen aufnehmen?“

„Du hast es doch auch geschafft“, hielt Ruppert uneinsichtig dagegen.

„ICH!“, betonte Victor sauer, „... bin ein Magister Artificiosus Magicae! Urnue hast du nichtmal eine richtige Ausbildung absolvieren lassen! Herrgott, Ruppert, wo ist dein Verstand geblieben!? Außerdem solltest du dir mal einen Kopf darüber machen, warum ihr mitten in London von so vielen Far Laith angegriffen werdet! Zu Gruppen schließen die sich sonst nicht zusammen. Ich hatte den Eindruck, die wurden angestiftet! Geh gefälligst mal rausfinden, von wem, damit ihr euch nicht unnötig weiter in Gefahr bringt!“

„Seit wann kannst du auf die Astralebene wechseln?“, ignorierte der den Einwand.

„Kann ich nicht. Ich kann nur Wesen wage wahrnehmen, die sich dort rumtreiben. Darum habe ich eure missliche Lage mitbekommen. Und ich kenne Magie, die auf die andere Ebene Effekt hat. - Passt etwas besser auf euch auf, hört ihr? Ich bin zwar immer mal in London, aber es war wirklich purer Zufall, daß ich gerade jetzt hier vorbei kam.“ Mit diesen Worten nahm er wieder seine Fliegengestalt an – die kleinste Form, die er als Gestaltwandler beherrschte – und sirrte durch die offene Terrassentür hinaus und davon. Weg war er. Ohne Abschied. Er hinterließ lediglich den Eindruck, daß er verdammt schlechte Laune hatte.



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