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Magister Magicae

Magister Magicae 7
von

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„Welche Fähigkeiten hast du?“

„ ... was soll das heißen, weg?“, raunte jemand, als Nyu am nächsten Morgen langsam zu sich kam. Sie lag in einem weichen, warmen, bequemen Bett und war noch im Halbschlaf gefangen. Vermutlich hatte das Gespräch im Zimmer sie geweckt.

„So wie ich es sage! Verschwunden! Weg!“, gab eine andere, dunklere Stimme gereizt zurück. Wesentlich lauter als die erste. „Oder siehst du ihn hier irgendwo? Du und Josh, ihr werdet auf der Stelle losziehen und ihn zurückholen.“

„Ausgeschlossen. Das ist gefährlich. Nyu hat noch nie ein Trainings-Center von innen gesehen.“

„Das ist mir völlig egal!“

„Aber heute Mittag soll der Psychologe von der Kriminalpolizei kommen, der sich Nyus Zustand ansehen will! Da kann ich nicht einfach mit ihr abhauen!“

Nyu stöhnte und wälzte sich im Bett herum, den beiden Stimmen zu. Es waren ihr Schützling Danny und sein Vater Ruppert, die da rumdiskutierten. „Was ist verschwunden?“, hauchte Nyu müde und versuchte die Augen aufzublinzeln. Sie rieb sich den Schlafsand aus dem Gesicht.

„Oh, du bist ja wach. Hallo“, gab Danny zurück. „Urnue ist offenbar weg.“

„Was, weg? Aber gestern Abend war er doch noch da! Wo ist er denn?“ Die junge Genia war plötzlich hellwach und schnellte aus dem Liegen in eine sitzende Position hoch. Sie mochte Urnue. Das erste Wesen in ihrem Leben, das sie wirklich mochte. Sie wollte nicht, daß er weg war!

„Abgehauen, was denn sonst!?“, raunzte Dannys Vater sauer. „Wäre ja auch nicht das erste Mal, daß dieser Abschaum sowas macht“, fügte er vielsagend an.

„Quatsch, warum sollte er das tun? Wohlmöglich ist er von jemandem verschleppt worden“, meinte Danny.

„Ach ja? Und warum sollte DAS jemand tun?“

„Vielleicht, weil du einer der mächtigsten und einflussreichsten Banker landesweit bist und letzte Woche all deinen Konkurrenten den Krieg erklärt hast?“, schlug Danny mit einem Kapierst-du´s-nicht?-Tonfall vor.

„Mein Gott, wir müssen Urnue sofort suchen!“, beschloss Nyu und sprang hektisch aus dem Bett, um sich Kleider über den Leib zu reißen und auf der Stelle kopflos aus dem Haus zu rennen. Für sie war klar, daß etwas nicht stimmte. Urnue konnte nicht einfach abgehauen sein. Das ließ der Codex gar nicht zu.

„Nun mal langsam. Das ist gefährlich! Und du bist völlig ...“

„Ich hab zwar nie offiziell trainiert, aber kämpfen kann ich!“, beharrte sie. „Ich bin eine Harpyie! Wenn ich was kann, dann austeilen!“
 

Keine halbe Stunde später, gegen 10 Uhr, spazierten sie auf Nyus Drängen hin bereits zielstrebig los: sie, Danny, sein Bruder Josh und dessen Genius Intimus, den man nur 'Steinbeißer' nannte. Ob man damit auf den Speisefisch oder auf die Fantasy-Filmfigur aus 'Die unendliche Geschichte' anspielte, wusste Nyu noch nicht. Der Steinbeißer war ein seltsamer, dicker Typ, der ganz und gar dem Klischee eines Computerfreaks und Gamers entsprach und kein Wort sagte. Schon in der Haustür hatte er schlecht gelaunt ein Handy mit riesigem Display und Internetfunktion gezückt und hatte es seither permanent vor der Nase. Er schien genervt davon, das Haus verlassen zu müssen. Oder auch nur sein Zimmer verlassen zu müssen. Nyu hatte ihn abgesehen von der Vorstellungsrunde gestern im Garten kein einziges Mal mehr zu Gesicht bekommen. Es war offensichtlich, daß er mit der Gesellschaft seines Schützlings schon mehr als bedient war. Mehr soziale Kontakte brauchte er nicht. Die Harpyie fand den Kerl auf Anhieb unsympathisch.

Nyu selbst kaute noch auf den Resten ihres Frühstücks herum. Sie hatte nicht lange genug still sitzen können, um es noch daheim aufzuessen. Keiner wollte Urnue dringender finden als sie, und dabei kannte sie ihn noch keine zwei Tage. „Hast du schon eine Idee, wohin wir gehen müssen?“, wollte sie hoffnungsvoll wissen.

Danny nickte. „Allerdings. Von Vaters Konkurrenten kenne ich nur einen, der auf so krasse Methoden zurückgreifen würde, einen Genius Intimus zu entführen. Vielleicht kriegt Vater ja im Laufe des Vormittags eine Lösegeldforderung.“

„Was aber ziemlich sinnlos wäre. Jeder weiß, daß er die niemals zahlen würde“, fügte sein Bruder Josh an.

„Warum nicht? Das ist sein Genius Intimus!“, fragte Nyu fassungslos nach.

„Ja, schon. Aber er hält nicht viel auf Genii, weißt du? Er ist größenwahnsinnig und erfolgsverwöhnt genug, um zu glauben, daß er ganz gut allein klarkommt. Und wenn Urnue sich wirklich von einem Kidnapper wegfangen lässt, würde das Vaters Glauben an seine Unfähigkeit und Nutzlosigkeit nur noch bestärken ... Urnue hat ihm schon so oft den Hintern gerettet. Manchmal wünsche ich mir fast, daß er mal auf irgendwas stößt, wo Urnue ihm nicht mehr helfen kann. Damit er´s mal merkt.“

Nyu sah nachdenklich zu Boden. Sowas in der Art hatte Danny ja gestern schon angedeutet. Es war schade, wenn das Verhältnis zwischen einem Schutzgeist und einem magisch Begabten so war. Die beiden sollten sich eigentlich gegenseitig achten und helfen. Sie selbst war auch noch nicht so weit, gestand sie sich ein. Sie hatte immer noch ein wenig Angst vor Danny, von seiner Familie ganz zu schweigen. Aber sie war ja auch erst seit zwei Tagen hier. Urnue rang schon seit etlichen Jahren um die Anerkennung seines Schützlings.

„Die Kubikas wohnen am anderen Ende des Viertels“, erklärte Danny weiter und deutete die ganze Straße hinunter. Allein die Geste verdeutlichte, daß es sich um ein nennenswertes Stück Weg handeln musste. Mit der anderen Hand fingerte er verstohlen nach dem Verband unter seinem T-Shirt. Die Risswunden auf seiner Brust schmerzten höllisch und er bekam kaum richtig Luft. Er fühlte sich furchtbar und hoffte inständig, daß Josh es nicht merkte. Aber der hatte zum Glück gerade andere Sorgen.

„Mann, wieso nehmen wir nicht das Auto?“, maulte Josh. „Ich bin 19 und hab einen Führerschein. Ich hätte sogar selber fahren können, wenn Vater uns schon nicht rumkutschieren will.“

„Weil es einerseits zu auffällig wäre, mit Vaters Luxuskarosse vorzufahren, und weil er zweitens zu geizig ist, uns die Karre zu überlassen. Wir könnten ja auf den paar Meilen den ganzen Tank leer fahren.“

„Wenigstens ne Fahrkarte hätte er uns spendieren können.“

„Jetzt sei nicht so faul. Ein Spaziergang wird uns nicht schaden“, stellte Danny klar und lief kraftvoll und enthusiastisch vorweg. „Vor allem nicht deinem Computerfreak von Genius Intimus. Der könnte ruhig öfters mal ... Äh, Josh?“, meinte Danny verwundert, als der erwartete Protest seines Bruders ausblieb. Verdutzt blieb er stehen und sah zurück, weil Josh auch plötzlich nicht mehr neben ihm lief. Der junge Mann war ein paar Schritte zuvor an einer heruntergekommenen, leerstehenden Lagerhalle zurückgeblieben und starrte diese nachdenklich an.

„Josh?“, wollte Danny vorsichtig wissen, als er wieder zu seinem Bruder zurück kam.

„Urnue ist da drin“, meinte Josh fest überzeugt.

Danny sah sich die bedrohliche Lagerhalle genauer an und schluckte schwer. „Hast du geraten, oder sagt dir das deine magische Intuition?“

„Meine Intuition“, antwortete er, sah sich aufmerksam in alle Richtungen um und schob schließlich das angelehnte Tor auf, welches der einzige Zugang zum Grundstück war. Er hielt vor lauter Anspannung die Luft an. Was wollte der Genius Intimus seines Vaters in einer verlassenen Lagerhalle? Oder was wollte IRGENDWER in einer verlassenen Lagerhalle, wer auch immer Urnue in seiner Gewalt hatte?
 

Danny fluchte leise. Im Flüsterton, damit es keiner hörte. Er spähte durch einen Türspalt in die abgedunkelte Lagerhalle hinein. Die Fenster waren seit Jahren nicht mehr geputzt worden und so dreckig, daß sie kaum noch Sonne herein ließen. Die Halle war leer bis auf einige Kisten, die an der Rückwand hochgestapelt waren. Und mitten in der Halle, auf dem blanken Fußboden, lag Urnue. Seine schwarze Biker-Lederjacke und die schwarzen Wuschelhaare waren selbst über diese Entfernung unverkennbar. Er lag offensichtlich bewusstlos in einem Bannkreis, soweit Danny das erkennen konnte.

„Das riecht ja geradezu nach einer Falle“, maulte er und sah überlegend Nyu, Josh und dessen Genius Intimus an. Überlegend, was er um Himmels Willen tun konnte, um keinen von ihnen mehr als nötig zu gefährden, beziehungsweise, wer ihm gerade am nützlichsten war, um Urnue zu retten. „Okay, Nyu, jetzt ist es an der Zeit, mir was über dich zu erzählen. Welche Fähigkeiten hast du?“

„Fähigkeiten?“, gab sie verunsichert zurück. „Ich hab eigentlich keine.“

„Naja, zum Beispiel ...“ Danny zuckte hilflos mit den Schultern.

„Hmmmm ... Ich kann mich verwandeln, siehst du!?“, fiel ihr ein und sie nahm ihre wahre Gestalt an.

Dem Steinbeißer entfuhr ein schockierter Fluch, als er entsetzt zurückwich und dabei sein Handy fallen lies. Anstelle der kleinen, drahtigen 17-Jährigen mit der schwarz-grünen Lockenpracht kauerte vor ihm plötzlich dieser riesige, massige Vogel mit räudigem, dunkelgrauem Gefieder, einem langen, vorn abgekanteten Geier-Schnabel und weißen, trüben Augen, die wie blind wirkten. „Harpyie!“, keuchte er nur.

„Beherrsch dich, Mann!“, fauchte Josh seinen Genius Intimus an und deutete an, ihm einen Klapps auf den Hinterkopf geben zu wollen. Aus irgendeinem Grund schien der Harpyien nicht ertragen zu können. Nyu fragte sich einen Moment lang, was der wohl in seiner wahren Gestalt für ein Wesen war. Aber Dannys weitere Fragen lenkten sie wieder davon ab.

„Nagut, das kann jeder Genius“, hielt Danny ihr vor. „Aber du musst doch irgendwelche magischen Fähigkeiten haben. Alle Genii haben welche.“

„Ich ... weiß aber wirklich von keinen“, gestand sie eingeschüchtert. „Ich kann mich in Kämpfen ganz gut behaupten. Und ein bisschen heilen. Aber meine Heilerfähigkeit ist nur rudimentär vorhanden und ich hatte auch nie die Möglichkeit, sie zu trainieren.“

Hilfesuchend drehte Danny sich also zu seinem älteren Bruder Josh um. Vielleicht wusste der mit seiner übernatürlichen Intuition etwas. Aber auch der schüttelte nur unwissend den Kopf. Ein Genius ohne Fähigkeiten, gab es sowas überhaupt? „Du hast mich zu Hause durch den ganzen Keller geschleudert, ohne mich zu berühren. Wie hast du das gemacht?“, wollte Danny wissen. Sein letzter Hoffnungsschimmer, ihr doch noch irgendeine Art von magischer Fähigkeit andichten zu können. Wieder wanderte seine Hand zur Brust und den Wunden, ohne daß er es merkte.

„Energieübertragung. Schlichte Energiearbeit, das kann doch jeder“, gab sie zurück und schaute dann verwirrt in die dummen Gesichter der Jungen.

„Nein, Nyu. Distanzüberbrückung ist keine sehr weit verbreitete Fähigkeit“, erklärte Josh ruhig und sah plötzlich sehr feierlich aus.

„Was sind denn bitteschön eure Fähigkeiten?“, hakte Nyu nach.



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