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Rette mich!

von

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POV Sie

Nixen, so habt ihr uns genannt, verwandt mit dem lateinischen Begriff fürs Töten. So musstet ihr sie nennen: Die wunderschönen bezaubernden wahrhaft magischen weiblichen Wasserkreaturen, die trotz ihrer atemberaubenden Schönheit einem Seemann schneller den Tod bringen konnten als die See selbst, um sich seine Seele einzuverleiben. Tief in den Meeren verborgen leben sie als Einzelgänger, erschaffen durch das wonach sie sich zehren, die Geister jener Unglücklichen Seelen, die ihr Ende im weiten Ozean finden mussten. Beschenkt mit ewiger Jugend durchstreifen sie die Meere nach ihrem nächsten Opfer. Ihre Stimmen sind zart und verführerisch, so sind sie dazu in der Lage mit ihrem Gesang einen jeden Mann in ihren Bann zu ziehen und ihn hinab in die Wellen zu locken. Wer das Lied einer Nixe hört wird es nicht mehr sehen. Das Licht des nächsten Tages.
 

Wieder einmal eine stürmische Nacht mitten im Ozean. Die Wellen klatschten wild gegeneinander und wüteten mit einem ohrenbetäubendem Lärm an der Oberfläche des Wassers, während der strömende Regen aggressiv darauf hinunter prasste. Das Wasser hatte sich auch in dieser Nacht wieder in ein unbezwingbares Monster verwandelt und ein kleines Boot würde wohl innerhalb einer Millisekunde von den nassen Massen ergriffen und verschlungen werden. Doch so wild es da draußen auch zuging hier unter dem Meeresspiegel hörte man nur dumpfe Töne. Besonders in diesen Lebenslagen sollte ich es schätzen mit der Gabe gesegnet worden zu sein unter Wasser atmen zu können. Denn so sehr der Sturm auch tobte, so sehr die Wellen sich dort auch überschlugen, so bekam ich davon in den Tiefen des Meeres nur angenehme Schwingungen mit, die das Wasser um mich herum leicht in Bewegung setzten. Doch ansonsten: Stille. Kein tosendes Dröhnen, nur ein leises beruhigendes Rauschen. Keine Fluten, die einen zu erschlagen drohen, nur ein Mantel aus Wasser, in dem ich mich Dank meinen flinken flossenähnlichen Beinen geschwind und frei bewegen kann. Kurz gesagt es ist die Ruhe selbst. Was würde ein einfacher Seemann nicht alles dafür geben. Dafür auch nur ein annähernd so sorgloses und behütetes Leben zu führen, wie ich es seit meiner Geburt tun kann, anstatt bei Wind und Wetter Frachten auf dem Schiff zu sichern und um sein ach so kleines Leben zu bangen, das, sein wir ehrlich, weniger Wert als die transportierten Güter war. Statt dort oben zu schuften und zu sterben, hier unten zu leben und die Tiefen des Meeres zu erkunden.
 

Doch dann gab es da natürlich auch noch die, die sich freudig in den Kampf mit den stürmischen Meeren stürzten. Der Nervenkitzel trieb sie an, das Adrenalin, das sich in ihre Adern pumpte, wenn der Himmel sich jederzeit schlagartig verdunkeln konnte und dann zu einem schwarzen Loch wurde aus dem sich Wasser über ihnen ausschüttete. Sie lebten gerne an der Grenze zwischen Leben und Tod und feierten ausgelassen, wenn sie das lebensgefährliche Abenteuer heil überstanden hatten. Ich bewunderte sie aus tiefstem Herzen. Zwei Male hatte ich bereits das Vergnügen auf solch einen Menschen zu treffen. Und ich kann nur sagen die Seelen dieser furchtlosen Männer sind wahre Delikatessen, verglichen mit den geschmacklosen Seelen, die die Besatzung einfacher Handelsschiffe zu bieten hat. Immer wieder hoffe ich mit meinem nächsten Fang endlich wieder solch einen Leckerbissen betört zu haben, aber meist werde ich schnell enttäuscht.
 

Oft kann ich es bereits ahnen, wenn ich in ihre Augen sehe. Kaum höre ich auf mit meinem verführerischen Gesang und sie bemerken, dass sie sich unter Wasser befinden ganz ohne Luft zu atmen, erstarren sie und ich die nackte Angst steht ihnen ins Gesicht geschrieben. Starr vor Schock kommen sie meist nicht einmal dazu sich zu wehren bevor ich ihren Lebensgeist verschlinge und ihren Tod damit auf die am wenigsten schmerzvolle Weise, die es gibt, herbei hole. Dann weiß ich schon, dass ich mir aufs Neue eine Mahlzeit an Wasser gezogen hatte, die pure Verschwendung meiner Zeit gewesen war, wenn ich in dieser Zeit doch auch ein besseres Ziel hätte anlocken können. Bei den Männern hingegen, die, vielleicht auf Grund ihrer Rarität, so unwiderstehlich gut schmecken, macht sich der Moment der Realisation ganz anders deutlich. Ja, auch sie bekommen Angst. Nur dass sie trotz dieser Angst weiterhin in der Lage sind die Situation einzuschätzen. Sie ringen nicht vergebens nach Luft, sondern versuchen die noch übrige Luft in ihren Lungen auszunutzen und sich aus meinem Griff zu befreien, bevor dann auch sie auf Grund von zu wenig Sauerstoff bewusstlos werden. Als ich es das erste Mal erleben durfte, habe ich ihn vor Überraschung fast aus meinen Fängen entkommen lassen. Zum Glück habe ich mich rechtzeitig der Situation bemächtigen können, denn sonst hätte ich nie erkennen dürfen, dass es noch etwas anderes gab neben den faden Seelen, die ich davor nur kannte.
 

Und so mache ich mich jede Nacht auf die Suche nach ihnen. Auf die Suche nach den Seelen der tapferen Männer, die ohne jedes Zögern ohne Reue losziehen und bis zur letzten Sekunde um ihr Leben kämpfen.

POV Er

ch blicke in die Dunkelheit. Nur das kleine auf dem Ozean treibende Boot in dem ich sitze und die vereinzelten Sterne am Nachthimmel kann mein Auge bei dem nur sehr schwachen Mondlicht erkennen. Doch das ist egal, denn ich würde nichts anderes sehen als die vielen Stunden zu vor. Endlose Weiten, kein Schiff am Horizont, keine Menschenseele weit und breit. Wie lange trieb ich nun schon durch diese Gewässer? Wie lange hatte ich mein Schicksal bereits der Laune der Wellen überlassen? Wie lange schon war der letzte Funken Hoffnung in mir erloschen? Obwohl es höchstens zwei Tage her sein konnte, dass man mich auf diesem Boot ohne Segel, ohne Essen und ohne Ruder ins Wasser hinabgelassen hatte, kam es mir vor wie eine Ewigkeit, in der sich jede einzelne Sekunde unendlich lang zog. Doch das schlimmste an allem, schlimmer als der plagende Hunger und die Kälte, war der Durst. Überall um mich herum Wasser und ich konnte spüren wie ich langsam aber sicher vertrocknete. Meinem Mund fehlte bereits jegliche Feuchtigkeit und mein Hals fühlte sich kratzig und staubig an. An Schlafen war in dieser Situation sowie so nicht zu denken. Ich würde wohl nie wieder aufwachen. Und desto verrückt es auch schien, ich hatte noch immer den Willen dazu meine Augen auf und diesen Körper am Leben zu halten. Wieso ich mich nicht einfach fügte? Das wusste ich selbst nicht so recht. Vielleicht wollte ich die restlichen Stunden einfach so gut es geht auskosten? Mein Leben durchgehen, das Gute, das Schlechte.
 

Ich blicke in die Dunkelheit, ich höre die Wellen hin und her schwappen. Mir geht meine Mutter durch den Kopf, die sich bestimmt die Augen ausweinen wird, wenn sie von mir erfährt. Genau so wie mein Vater auf hoher See gestorben. Sie war immer für mich da und es schmerzt mich so von ihr zu gehen und ihr noch einen weiteren Verlust anzutun. Anderseits erinnere ich mich zurück an meinen unmenschlichen Kommandeur, der mit den armen Schiffsjungen so grausam umgegangen ist, dass sie am Ende des Tages kaum noch stehen konnten und einen 14 jährigen Knaben wegen eines simplen Fehlers aussetzten wollte. Kein Stück bereue ich es seinen Platz eingenommen zu haben. Doch jetzt hier in dieser voran trottenden Nussschale scheint das alles wie von einer anderen Welt. Zum zigsten Mal streiche ich mir mit der wenigen Kraft, die mir übrig bleibt über meine Arme, nur hauchdünn von Stoff bedeckt. Für die Wärme die es tatsächlich spendet hätte ich es mir eigentlich sparen können, aber ich bilde mir ein die Kälte nicht mehr so stark wie vorher zu fühlen.
 

Ich blicke in die Dunkelheit, ich höre die Wellen hin und her schwappen. Worauf warte ich?
 

Und dann von jetzt auf gleich wurde mir klar worauf ich gewartet hatte, als ich eine Stimme durch meinen Körper vibrieren spüren konnte. Ein Ton, der mich von jetzt auf gleich gefangen nahm. Vergessen war die Welt jenseits dieses Bootes, vergessen war die Vergangenheit, die nie kommende Zukunft. Nur ein wohlig warmes Gefühl machte sich breit. Erst wärmte es das träge gewordene schlappe Herz in meiner Brust wieder auf, erquickte es und ließ es sogar schneller schlagen als nie zuvor. Von dort aus bahnte sich das Gefühl dann einen Weg durch meinen ganzen Körper. Bis in meine steifen Fingerspitzen hinein, wo es sie zum Auftauen brachte. In meine schlaffen Glieder, wo es zu neuer Energie verhalf. Und auch in meine tauben Wangen kam wieder Gefühl. Die Stimme wurde zu einer Melodie. Das Gefühl änderte sich. Auf einmal hatte es mehr etwas von mich zerfressender Hitze und Verlangen als von wohliger Wärme. Wie ein Tier packte mich der Instinkt dieser Stimme folgen zu müssen, wo auch immer sie mich hinbringen würde. Ganz ohne Erklärung verzehrte sich mit einem Schlag jede Faser meines Körpers einzig und allein nach dieser einen Stimme, wem sie auch gehören mochte. Jede einzelne Sekunde, die ich weiter nur lauschte und sie nicht für mich beanspruchen konnte, fraß mich von Innen aus auf und nagte an mir. Verzweifelt sah ich mich um und brachte vor lauter Hektik das Boot gefährlich ins Schwanken. Wo war es, das wundervolle Geschöpf, dem diese Stimme gehörte? Weit und breit nur Wasser zu sehen. Panik packte mich. Ich könnte es schier nicht ertragen ohne sie zu sein! Da sah ich etwas kleines aus dem Wasser ragen. Mein Gesicht hellte sich auf und ich fiel fast ins Wasser, als ich mich mit klopfendem Herzen zu ihr hinüber lehnte. Sie kam näher und ich konnte die ersten Umrisse ihres Gesichtes erkennen.
 

Und es passierte. Die Melodie wurde zu Gesang, unglaublich fesselndem Gesang, der mich ergriff und aus der Hitze wurde ein prickelndes Gefühl, dass sich überall auf meiner Haut ausbreitete.
 

The sun is drowning

diving into the sea

even tomorrow

for all eternity
 

Wie ein süßer Schauer lief es mir den Rücken hinunter und nicht vor Kälte, sondern vor Aufregung stellten sich auch meine kleinsten Härchen langsam auf.
 

With its last glow

the blood-red sky

even more beautiful

than a butterfly
 

Immer Meer konnte ich die wunderschöne junge Frau erkennen, dass all diese Gefühle in mir weckte. Ihr schwarzen nassen langen Haar fielen in einzelnen kleinen Strähnen an der Seite ihres wohlgeformten Gesichtes hinunter. Ihr Haut so pur und makellos wie nichts was ich zuvor je erblicken durfte. Ihre Lippen sanft geschwungen und in einem lieblichen Rosé.
 

Be not afraid

of giving in

towards the water

your every sin
 

Endlich konnte ich sie in ihrer gänzlichen Schönheit bewundern. Wie aus Marmor geschlagen war sie nun vor mir. Das bezauberndste Geschöpf dieses Planets, wahrlich gesegnet von Mutter Natur. Als wäre sie einem Gemälde entsprungen, das in Monate langer Arbeit perfektioniert worden war. Ich würde wahrlich mein Leben geben für diese Frau.
 

The depth of sea

sink into it

let it devour your

every part every bit
 

Und ihre Augen! Wie zwei Saphire in Form geschliffen von den besten Handwerksmännern glühten sie mir förmlich entgegen, heller als das Licht des nächtlichen Mondes. Ihnen zu widerstehen war unmöglich und ich wollte tief in ihnen versinken. So merke ich nicht, wie ich mich langsam nach vorne lehne. Zärtlich greift sie nach meinem Gesicht streicht über meine trockene schmutzige Haut, lässt ihre zierlichen Finger durch meine ungepflegten Haare gleiten und immer weiter lehne ich mich zu ihr hin. Es knistert in der Luft und unsere Lippen treffen sich. Meine aufgerissenen, geschundenen und leicht bläulichen Lippen treffen auf ihre feuchten und watteweichen Lippen. Nie hätte ich zu träumen gewagt einmal in meinem Leben solch eine Ekstase zu verspüren. Viel zu schnell lösen wir uns wieder und sie öffnet ihren Mund, um die letzte Zeile ihres Liedes zu singen. Es klingt wie Honig für meine Ohren.
 

Your soul will be mine
 

Mit dem letzten Ton wird ihr Griff stärker und auf einmal tauche ich ein in das kühle nass. Erst am Hinterkopf hinunter gezogen, dann gleitet ihr Griff an mein Handgelenk und ich werde an meinem Arm hinab gezerrt. Von ihr geleitet sinke ich immer tiefer und tiefer. Ich wehre mich nicht und lasse mich einfach von ihr führen. Ich höre nur noch Rauschen, ich sehe nur noch schwarz, ich schmecke nur noch Salz, ich kann nichts mehr riechen, ich spüre nur noch nass und kalt und unvorstellbar aber ich bin so glücklich wie noch nie zuvor. Die Stelle an der ihre Hand mich fest umklammert gibt mir die einzige Sicherheit die ich brauche. Es ist die einzige Empfindung, die jetzt für mich noch zu zählen scheint.
 

Auch als unser Tauchgang auf einmal ein Ende findet und ich wie durch Zauberei hier unter den Wellen trotz tiefster Dunkelheit etwas sehen kann, bleibt der Griff um mein Gelenk weiter stark und lässt mein Herz um vieles höher Schlagen. Doch umso mehr noch die Möglichkeit ihr Gesicht noch einmal zu erblicken. Noch einmal bevor ich…bevor ich ster- So langsam verblasst das Prickeln und ,die Trance in die ich gefallen war, löst sich auf. Mir wird klar, wo ich mich befinde. Mir wird klar, dass ich nicht mehr atmen kann. Mir wird klar, dass ich wohl kaum noch lange leben würde. Kurz gesagt das Gefühl der Aussichtslosigkeit war zurück gekehrt. Nur dass es diesmal anders war. Diesmal war ich nicht alleine. Ich würde nicht in Einsamkeit sterben, ohne dass es überhaupt irgendjemand bemerken würde, wie Schrödingers Katze habe ich mich gefühlt. Jetzt aber… Es war anders. Warum auch immer, dieses wunderschöne Wesen meinen Tod ein wenig schneller herbei führen wollte, zumindest war sie bei mir. Und das ist immerhin mehr, als ich mir je hätte erträumen können.
 

Innerlich abgeschlossen sehe ich ihr ein letztes Mal in die kristallklaren Augen und ein Lächeln zieht sich unbewusst über meine Lippen. Auch als ihre Augen sich auf einmal in ein dunkles sattes rot verfärben, sehe ich sie weiterhin an. Anscheinend waren einige der Gute-Nacht-Geschichten nicht ganz unwahr. Es gab sie also wirklich...

POV Sie

Es war ausnahmsweise eine klare ruhige Nacht, als ich über mir ein kleines Boot in den leichten Wellen schwankend erkennen konnte. Die Besatzung würde zwei oder drei Männer wahrscheinlich nicht überschreiten, schätzte ich an der Größe des Holzgestells. Ich blickte mich um, ob es vielleicht von einem größeren Schiff aus hinunter gelassen worden war, aber weit und breit nur klares Wasser, durch das ich den Nachthimmel schimmern sehen konnte. Und so steuerte ich sie zu, auf die noch nichts ahnenden nächtlichen Besucher. Zuerst verschaffte ich mir einen kurzen Blick auf die heutige Beute. So kam ich nur mit der Hälfte meines Kopfes an die Oberfläche und spähte durch die Dunkelheit hindurch. Kurz mussten sich meine Augen an den Wechsel gewöhnen, aber schnell war es mir möglich klar zu sehen, auch wenn der Mond, heute Nacht von der Sonne verdeckt, kaum Licht spendete und ein normaler Mensch wohl kaum mehr als seine eigene Hand sehen konnte. Leider musste ich feststellen, dass nur ein einziger junger Mann dort drüben über das Meer trieb. Die Wahrscheinlichkeit einen Treffer gelandet zu haben sank auf fast null und fast hätte ich mich wieder auf gemacht und hätte an einer anderen Stelle mein Glück versucht. Aber es war schon spät und es würde sich in dieser Nacht wohl kaum noch etwas anderes finden lassen. Natürlich würde ich auch ein paar Nächte ohne eine Mahlzeit überstehen. Doch es war etwas, dass ich nur sehr ungern tat.
 

Also bereitete ich mich kurz vor und begann dann mit meinem Durchlauf. Ein bisschen Gesang, ein bisschen hübsch aussehen, mehr war das nicht. Schon hatte ich ihn in meinen Fängen. Wie von selbst lehnte er sich aus dem Boot heraus. Einige seiner zerzottelten Haselnuss-braunen Haarsträhnen fielen ihm ins Gesicht und wie von selbst komme ich nicht drum herum, sie ihm aus dem Gesicht zu streifen bevor ich nach seinem Nacken greife, um ihn mit runter zu nehmen. Damit mache ich auch gleich die Sicht auf seine Augen frei, die mich mit ihrem satten grün stark an eine Katze erinnerten. Sie strahlten mich mit lauter Bewunderung und Energie an. Bisher war die Reaktion auf meinen Gesang noch nie so stark gewesen. Der Zustand entsprach eher einer starren Trance. Doch bei diesem jungen Mann war es ganz anders. Trotz fahler Haut und trockener aufgesprungener Lippen sieht er lebendiger aus als jeder davor. Und ohne dass ich es aufhalten kann macht mein Herz einen Sprung. Ich weiß nicht warum und kann es auch demzufolge nicht besonders gut erklären oder beschreiben, aber gleichzeitig macht sich da auch noch dieses Gefühl breit. Besser gesagt eine Erinnerung an ein Gefühl, da ich nicht wirklich in der Lage bin menschliche Emotionen zu verspüren. Es kommt mir bekannt vor und dann auch wieder nicht. Komplett neuartig und irgendwie vertraut.
 

Ungehindert singe ich weiter und zum ersten Mal nehme ich die Worte aus meinem Mund wirklich wahr. Sie sind auf einmal kein simpler Bannspruch mehr, den ich seit Anbeginn kenne, sondern sie kommen aus den tiefen meines Herzen, wo sie schon immer hergekommen sind. Es sind die Worte meines Ursprung. Die Worte der von der See verschlungenen Seelen, die sich nach Abschluss sehnten, ihn aber nie erhalten würden. Nur verstehe ich das erst jetzt und wie von selbst ziehe ich mich zu dem Grund für meine Erkenntnis hoch und unsere Lippen vereinen sich. Es ist nicht mein erster Kuss. (Manchmal musste ich ein wenig nachhelfen.) Es ist der erste, der nicht hätte sein müssen und ich bin von mir selbst überrascht, dass mich dieser Mann wie aus dem Nichts auf einmal unheimlich anzog.
 

Unfähig meine eigenen Aktionen nachzuvollziehen mache ich trotzdem weiter wie ich es immer tat. Es wäre reine Verschwendung dem auf den Grund zu gehen und zu versuchen Emotionen zu ergründen, die ich eigentlich nicht wirklich besaß. Ich hatte sie zwar und sie waren irgendwie da, aber sie waren nie wirklich meine eigenen gewesen, sondern etwas, dass ich mir von anderen nur lieh. So faste ich ihn also und zog ihn, wie so viele davor schon, nach unten. Immer tiefer und tiefer bis eine Flucht dem Unmöglichen gleich kam. Die ganze Zeit über halte ich ihn am Handgelenk fest, sodass er mir nicht entfleuchen würde, diesmal schien es mir dabei so viel wichtiger als sonst, weswegen mein Griff heute besonders stark war. Mit der letzten Zeile meines Liedes sollte sich auch so langsam der Bann von ihm heben, aber statt in Panik aufzugehen zieht sich ein ergreifendes Lächeln über seine Lippen, als hätte er mit allem abgeschlossen und würde die Sekunde seines Todes sogar willkommen heißen. Als würde er mich akzeptieren und keine Angst vor mir haben. Ich dachte mir, dass er vielleicht auch einfach nicht begriff, was gerade passierte, denn noch nie ist jemand mir gegenüber so ruhig und ausgeglichen gewesen, wenn er mein wahres Gesicht gesehen hat. Wenn er gesehen hatte was für ein Monster sich hinter diesem hübschen Gesicht wirklich verbarg. Und da war es auch schon wieder, dieses fremde Gefühl. Ich wollte einfach nur noch, dass es weg ging und mich in Ruhe ließ, denn ich konnte nichts damit anfangen. Und so zeigte ich ihm meine Blutroten Augen, als er mich ein letztes Mal ansah, um ihm sein verdammtes Schicksal vor Augen zu führen. Aber sein Blick bleibt fokussiert und er sieht mich unverändert ohne Angst an. Ich konnte es nicht glauben. In all den Jahren.
 

Und auf einmal war ich es, die Panik bekam. Wollte ich wirklich, dass diese eine Person, die mich zum ersten Mal etwas hat fühlen lassen und mich in meiner wahren Form zu akzeptieren schien, durch meine Hände starb? Nein! Ich wollte nicht, dass er stirbt und ich nicht ein einziges Mal die Chance hatte ein Wort mit ihm zu wechseln. Ich wollte ihn nicht verlieren, so verrückt es auch schien. Ich wollte diesen Mann. Mit diesen Gedanken muss ich zusehen, wie vor meinen Augen die letzte Luft aus seinen Lungen entweicht und er sein Bewusstsein endgültig verliert. Ich werde hektisch. Die Oberfläche war zu weit weg, als dass ich es rechtzeitig schaffen würde. Es schien aussichtslos. Sollte es wirklich jetzt schon vorbei sein? Sollte ich dazu verdammt sein ihm tatenlos beim Ertrinken zusehen zu müssen? Das konnte ich einfach nicht akzeptieren. Schon zu lange habe ich mich nach der Oberfläche gesehnt, an der man mich bisher nur gefürchtet hatte und die ich nur zum stillen meines endlosen Hungers mit meinem Gesang kurzzeitig erreichen konnte. Schon zu lange habe ich hier unten Zeit in dieser einsamen, unendlich langen Stille verbracht. Und so kommt mir in letzter Minute die rettende Idee.
 

Ich war mir nicht sicher, ob es wirklich funktionieren würde. Schließlich bin ich nicht unbedingt ein Experte, was das retten von Ertrinkenden anzugehen schien, aber selbst ich wusste, dass ich ihm einfach auf irgendeine Weise Sauerstoff zuführen musste. Der einzige Sauerstoff in Form von Luft, den es in Reichweite gab befand sich allerdings in mir selbst. Wenn meine Erinnerungen mich nicht betrügen, gibt es zum Glück auch eine Möglichkeit ihm diesen zu überreichen. Eine Mund zu Mund Beatmung schien der einzige Ausweg zu sein, sollte er denn auch wirklich funktionieren. Andere Optionen fielen mir auf die Schnelle nicht ein und so zog ich so viel Sauerstoff aus dem Wasser wie es mir auf einmal möglich wahr, faste meinen Gegenüber ein wenig grob am Kinn und zerrte seine Lippen auseinander, um ihm in meiner Hektik so schnell wie möglich etwas von meiner Luft zum Atmen abzugeben. Etwas unbeholfen versuchte ich meinen Mund geöffnet auf seinen zu pressen und in ihn hinein aus zu atmen. Doch es tat sich nichts.
 

Kurzerhand brach ich diese unglaublich dämliche Aktion ab und steuerte den kürzesten Weg zurück zur Oberfläche an. Wie bereits abgeschätzt dauerte es eine Weile bis ich den Ende der Wassermengen vor mir sehen konnte. In der Hoffnung jedoch, dass das Beatmen vielleicht ein wenig Helfen konnte und ein Mensch vielleicht auch eine Weile ohne Sauerstoff überleben konnte, tat ich einfach mein bestes und schwamm mit voller Kraft. Ich hatte nichts mehr zu verlieren. Mein Herz tönte währenddessen immer noch laut pochend in meiner Brust. Zum einen vor Aufregung und zum anderen aus Angst. Angst um diesen Mann, den ich eigentlich überhaupt nicht kannte. Und vielleicht auch nie kennenlernen würde, sollte ich es nicht rechtzeitig schaffen ihn an die Luft zu bringen. Allein bei dem Gedanken daran legte ich noch einmal einen Zahn zu, auch wenn ich es gar nicht für möglich gehalten hätte, dass ich noch schneller konnte, als ich ohne hin schon schwamm. Not verleiht Flügel oder wie war das noch gleich?
 

Die letzten paar Meter hechtete ich durch das Nass und durchbrach dann endlich mit schwerem Atem und schmerzenden Gliedern den Meeresspiegel. Doch auch als ich ihn Überwasser zog, schnappte er nicht nach Luft, sondern lag genauso leblos in meinen Armen, wie er es unter Wasser getan hatte. Das hatte ich nicht erwartet und so vergingen auch schon wieder einige Momente, wo ich komplett untätig darüber nachdenken musste, was man hier normalerweise tun müsste. Da sah ich zum Glück das Bot in der Ferne und erinnerte mich in irgendeinem entfernten Winkel daran, dass man das Wasser aus seinen Lungen drücken musste. Also steuerte ich in Eiltempo auf das Bot zu und betete derweil dafür, dass es nicht schon seit langem zu spät war. Angekommen hievte ich ihn mit letzter Kraft über den Rand des Bootes und hielt mich daran fest, da meine Beine und Arme bereits etwas schwächelten. Dann zog auch ich mich in die Holzschale und fing ohne langes weiteres überlegen an erste Hilfe zu leisten, soweit Teile von mir sich daran zu erinnern schienen...



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