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Nimrod

Der Kronpriz von Babylon
von

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"Sechzehn Jahre lang haben wir dich angelogen"

Ich schloss die Haustür auf und ließ Joseph wortlos herein.

"Gemütlich.", sagte er anerkennend, doch ich zuckte nur mit den Schultern und ging zur Küche.

Plus stand schon in der Tür und sah mich fragend an, doch er schien nicht verwundert mich zu sehen.

"Hey Plus. Hallo Minus.", begrüßte ich auch den anderen Kater. Die Beiden strichen mir die ganze Zeit um die Beine, während ich zum Fensterbrett ging und das Päckchen in die Hand nahm. Statt es zu öffnen starrte ich es eine Weile an und drehte mich dann zu Joseph.

"Erklär es mir!", sagte ich. "Was wollte der Typ im Klassenzimmer und was ist mit meinen Eltern?" Jobs runzelte die Stirn.

"Was für ein Typ im Klassenzimmer? Und was soll mit deinen Eltern sein, die sind bestimmt schon am Treffpunkt!" Jetzt war ich verwirrt.

"Der Typ meinte aber-"

"Welcher Typ?", unterbrach Joseph mich und ich konnte eine Spur Ungeduld und Besorgnis in seiner Stimme hören. "Wie sah er aus?"

"Das weiß ich nicht genau. Er hat so einen langen Mantel an der eigentlich alles an ihm verdeckt hat. Aber was tut das zur Sache?", fragte ich, als Joseph die Lippen zusammen kniff und ein leises "Mist!" murmelte.

"Was hat er gesagt? Ist vorher irgendwas seltsames passiert?", fragte Joseph statt mir zu antworten.

"Äh... Naja, erst wurde irgendwie alles ganz still, keiner hat sich mehr bewegt, zumindest im Raum, die Bäume draußen haben sich noch bewegt und dann stand plötzlich dieser Typ hinter mir und hat irgendwas von wegen er hätte an der Zeit rum gebastelt und er hätte meine Eltern. Und er meinte, sie hätten mir irgendwas erzählen sollen und ich müsse ihn finden um sie zu retten. Dann ist er verschwunden und es war alles wieder normal." Josephs Gesicht hatte sich bei meiner Erzählung immer mehr verfinstert. "Wer war der Typ? Du scheinst ihn ja zu kennen!"

Okay, das war wirklich nur ein Schuss ins Blaue gewesen, doch Joseph nickte.

"Ich kenne ihn in der Tat besser als mir lieb ist!" Ich schluckte, das hörte sich nicht gut an. Doch er machte auch keine Anstalten, es mir zu erklären. "Jetzt mach bitte endlich den Brief auf!" Ich sah ihn irritiert an, weil er so gehetzt klang, nahm mir aber eines der Messer aus der Schublade und schnitt vorsichtig die Kante oben auf. Ich faltete den Zettel auf, der darin lag, und begann zu lesen, ich erkannte sofort die Handschrift meiner Mom:
 

Mein lieber Cyrus,

Sechzehn Jahre deines Lebens haben wir dich begleitet, Sechzehn Jahre lang haben wir dich aufgezogen, Sechzehn Jahre lang haben wir dich angelogen.
 

Angelogen? Wovon sprachen sie?
 

Doch es musste sein! Damit du uns vertraust und damit du dich nicht in Gefahr bringst.

Du bist bestimmt verwirrt, weil wir heute nicht da sind, aber bitte hör uns erst einmal zu. Wir werden dir alles so gut es eben geht versuchen zu erklären. Wenn du noch mehr Fragen hast, kannst du sie gerne Joseph stellen. Er kommt ungefähr um 11 Uhr, du gehst heute nicht zur Schule.
 

Kurz ärgerte ich mich, dass ich den Brief nicht heute morgen schon geöffnet und die beiden langweiligen Mathe Stunden über mich hatte ergehen lassen. Trotzdem las ich weiter.
 

Es tut uns so leid, dass das jetzt alles so plötzlich kommt, wahrscheinlich wirst du einiges nicht verstehen. Doch es geht nicht anders und es ist unsere Pflicht, dir alles zu erklären. Leider können wir das nicht persönlich tun, da wir bereits auf dem Weg in unser wirkliches Zuhause sind.
 

Unser wirkliches Zuhause? Wovon sprachen sie?
 

Es ist ziemlich kompliziert, dir alles in einem einfachen Brief zu erklären, aber es geht nicht anders. Bitte, glaub nicht das wir dich anlügen. Wirklich, selbst ausdenken könnten wir uns so etwas nicht. Jetzt willst du bestimmt wissen, wovon wir reden. Also, Cyrus, du bist ein Vampir.
 

Wow. Etwas ganz anderes, das von meinen Eltern zu hören. Oder eher zu lesen. Heute morgen hätte mich das allerdings mehr geflasht...
 

Das mag unglaublich und nach einem Märchen klingen, doch es ist die Wahrheit. Doch lass mich weiter ausholen, um es dir zu erklären.

Uns Vampire, denn auch dein Vater und ich sind welche, gibt es schon sehr, sehr lange. Unendlich lange. Keiner kann heute mehr genau sagen, wie lange schon, doch es soll uns bereits zur Zeit der Neandertaler gegeben haben. Wir waren immer weiter als die Menschen, die Homo Sapiens Sapiens. Wir hatten Fähigkeiten, die die Menschen sich nur erträumen konnten und die ihnen Angst machten. Im Mittelalter wurden wir gejagt und getötet, denn die Hexenjagd hat auch uns nicht verschont.

Doch mit der Zeit haben die Menschen sich verändert, ihr Aberglaube und ihre Angst vor uns schwand, und auch wir haben uns verändert. Unsere Fähigkeiten teilten sich auf, unsere Fangzähne wurden kleiner und unsere Unverträglichkeit zur Sonne verschwand. Schon lange trinken wir kein Menschenblut mehr. Wir sind lange nicht mehr unsterblich, Weihwasser ist wirkungslos gegen uns und geweihten Boden dürfen auch wir betreten, auch wenn wir es immer noch nicht gerne tun.

Eine irrsinnige Geschichte und ich weiß, dass es dir schwer fällt, uns zu glauben.
 

In der Tat. Wie kam sie da nur drauf?
 

Du bist fernab dieser Welt aufgewachsen und das aus einem guten Grund. Ich möchte dir jetzt gerne sagen, was ich damit meinte, dass wir dich angelogen hätten.

Du bist nicht unser Sohn, Cyrus. Deine Eltern haben dich uns anvertraut, kurz bevor dein Onkel Hunor sie beide tötete.
 

Ich stoppte. Okay, das ging jetzt definitiv zu weit. Vampire schön und gut. Doch jetzt hieß es, sie wären nicht meine Eltern und meine richtigen Eltern wurden von meinem Onkel getötet? Absurd.

"Mylord?"Joseph sprach mich vorsichtig an. "Alles in Ordnung?" Er musste meinen komplett verwirrten Gesichtsausdruck bemerkt haben. Ich antwortete ihm nicht sondern las weiter.
 

Der Bruder deines Vaters war schon immer Macht besessen und neidisch auf deinen Vater Magor, der der ältere der Beiden und somit rechtmäßiger König war. Als du dann geboren wurdest, verstand Hunor, dass er niemals das Recht auf den Thron haben würde, selbst wenn Magor sterben sollte, denn jetzt gab es ja dich. Er hasste dich, genauso wie er seinen Bruder hasste. Eine Woche nach deiner Geburt griff er mit seinen Anhängern das Schloss an.

Milde gesagt: Wir hatten keine Chance und deine Eltern wussten das. Sie haben dich uns anvertraut und einen bereits toten Säugling an sich genommen. Wir sollten dich aufziehen, weitab von deinem Heimatort, sollten dich unwissend lassen und dich in dem Glauben lassen, wir seien deine Eltern. Bis zu deinem sechzehnten Geburtstag, der Tag, an dem du alt genug sein würdest, das Thronerbe anzutreten.

Hunor riss den Thron an sich und regiert als Tyrann die Vampire und seine Anhänger. Wir, die dem rechtmäßigen König und dir ewige Treue geschworen haben und ihm immer noch Treue erweisen, nennen ihn Namrūd ibn Kanʿān, was soviel heißt wie: tyrannischer Herrscher, denn genau das ist er.

Bitte Cyrus, so unwirklich alles klingen mag, so sehr es nach einem Märchen klingt, du musst zurück kommen! Du musst dein Erbe antreten.

Du allein bist der Thronfolger von Babylon, der Vampir Hauptstadt.

Aber überstürze nichts, schon seit langem planen wir deine Rückkehr. Joseph wird dir helfen, den Weg zurück zu finden.
 

Mylord Cyrus, rechtmäßiger Thronprinz von Babylon, wir warten sehnlichst auf Eure Rückkehr. Befreit Euer Volk aus der Tyrannei und nehmt Euch das, was Euch zusteht. Wir werden und bald wieder sehen.

Untertänigst ergeben, Amanda und Kalne.



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