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Smallville-Expanded - 08

Relationship
von

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Prolog


 

PROLOG
 

Atemgeräusche.

Seine eigenen Atemgeräusche.

Überlaut klangen sie in seinen Ohren.

Eine raue, männliche Stimme klang auf. Nicht in seiner unmittelbaren Nähe, doch nah genug, wie er fand. „Wo ist er hin? Kannst du ihn sehen?“

„Da war eine Bewegung, doch ich habe ihn verloren!“, rief eine weibliche Stimme zurück und gleich darauf ertönte sie erneut, etwas lauter. „Kommen Sie heraus!“

In den blauen Augen des hochgewachsenen, athletischen Jungen lag ein gehetzter Ausdruck. Verzweifelt nach einem Ausweg aus der Lage suchend, in die er sich selbst hinein manövriert hatte, lauschte er den Geräuschen um sich herum. Aus nun geringerer Entfernung drangen andere Stimmen, die den beiden Polizisten gehören mussten, an seine Ohren. Auch sie durften ihn nicht finden. Irgendwo, hier in dem verwinkelten Lagerhaus, in der Nähe des Flusses, schlichen sie herum.

„Kannst du einen von den Beiden sehen?“

„Nein! Komm mit!“

Die wasserdichte Glock-Automatik fühlte sich fremd an, in seiner Hand. Er hoffte sie nicht einsetzen zu müssen, doch im Notfall würde er es wohl tun. Wenn es darum ging, sein Leben zu schützen. Seins und die Leben von Alicia und Samantha.

Er pirschte zwischen zwei Palettenregalen dahin. Es roch unangenehm nach Öl und vermodernder Pappe. Dabei aufmerksam zu allen Seiten sichernd. Ein schleifendes Geräusch ließ ihn kurz inne halten. Vielleicht eine Ratte. Doch wenn, so handelte sich es um eine verdammt große Ratte, befand er gleich darauf.

Zwischen zwei bepackten Paletten entdeckte der Junge eine Bewegung. Etwas blitzte metallisch. Eine Waffe. Fieberhaft sah er sich um und entdeckte, etwa zwanzig Meter vor sich eine Tür. Wenn er die Abmessungen der Halle richtig einschätzte, so würde die Tür ins Freie führen. Hinaus auf den Hinterhof des Lagerkomplexes. Vermutlich schloss sich dem Hof eine Gasse an, die hinaus führte, auf die, um diese Zeit, sehr belebte Straße. Wenn er sie erst einmal erreicht hatte, dann war er in Sicherheit. Dort konnte er in der Menge untertauchen.

Alles auf eine Karte setzend sprintete der Junge los.

Keinen Augenblick zu früh, denn zwei Schüsse bellten auf und an jener Stelle, an der er noch vor einem Moment gestanden hatte, schlugen die abgefeuerten Kugeln ein. Der Junge spürte das Adrenalin durch seinen Körper strömen. Dicht um ihn herum platzten Verpackungen auseinander und zeitgleich hörte er die Schüsse. Irgendetwas zersplitterte über ihm und schützend hielt er sich die freie Linke über den Kopf.

Geduckt verschärfte der Junge das Tempo. Wobei es ihm vorkam, als würde sich die Zeit bis ins Endlose dehnen, bis er die Tür endlich erreicht hatte. Kaum verlangsamend drückte er telekinetisch den breiten Notkontakt nach unten, der sich über die gesamte Breite der metallenen Sicherheitstür zog. Sie, vom Schwung begünstigt, kräftig aufstoßend stolperte er ins Freie und rannte über den Lagerhof, der sich anschloss. Er wusste, dass er die Hausecke erreichen musste, bevor sein Verfolger ins Freie kam. Dort konnte er in Deckung gehen und auf ihn warten. Dann war er im Vorteil.

Gehetzt rannte der Junge in die Gasse ein, die sich rechts von ihm dem Hof anschloss. So, wie er es gehofft hatte. Abrupt bremste er ab und sah, beinahe panisch, die Polizistin vor sich. Sie hatte ihre Waffe gezogen und zielte damit in seine Richtung. Dabei sah ihn die Latina, die fast einen ganzen Kopf kleiner war, als er selbst, entschlossen an und rief ihm befehlend zu: „Keine Bewegung, Christian!“

Christian von Falkenhayn dachte nicht daran, der Aufforderung von Officer Celenia Alessandra Munzon zu folgen. Stattdessen hob er die Glock-19 an und zielte, über Kimme und Korn visierend, in ihre Richtung. Dabei schien sich jedes Detail des Gesichtes, vor im, in sein Gedächtnis zu brennen. Ihre, mal lustigen, mal so ernst schauenden, dunklen Augen. Die dunklen Sommersprossen auf ihrer Stupsnase. Der Schwung ihrer etwas zu breiten Lippen.

Im nächsten Augenblick verlor sich jedes Gefühle aus den fast schwarzen Augen der Venezolanerin. Bis auf einen Hauch von Kälte.

Gleichzeitig erstarrte auch der Gesichtsausdruck des Blonden und seine Augenlider kniffen sich etwas enger zusammen. Im nächsten Moment krümmten beide gleichzeitig den Zeigefinger und zwei Schüsse peitschten durch die Seitengasse…

Entscheidungen


 

DREI TAGE ZUVOR...
 

1.
 

ENTSCHEIDUNGEN
 

„Das ist keine Villa, sondern ein Irrenhaus! Ein mondäner Taubenschlag! Hier wimmeln eindeutig zu viele Menschen herum!“

Christian von Falkenhayn stand im großen Salon der Villa, in Metropolis, die ihm seine Tante vererbt hatte und deutete hinüber zum Speiseraum. In komischer Verzweiflung sah er dabei Diane Bennings an, die sich krampfhaft ein Grinsen verbiss.

„Verstehen Sie mich nicht falsch, Diane. Ich habe Alicia und ihre Eltern gerne hier, solange die Schäden an ihrem Haus ausgebessert werden. Der Meteoritenschauer hat in Smallville ein ziemliches Chaos hinterlassen. Mein Vater und seine Verlobte… ich meine, meine Tante Christina, sind auch nicht das Problem. Die Kents waren toll, während sie hier waren, die waren mein geringstes Problem und mit Samantha verstehe ich mich besser denn je. Nach dem Wasserschaden im Haus ihrer Eltern konnte ich schlecht nein sagen, als sie mich temporär um Unterkunft bat.“

„Aber ihre Eltern sind anstrengend“, brachte es Diane Bennings auf den Punkt.

„Gelinde gesagt“, seufzte Christian und warf einen erneuten Blick nach nebenan. „Die halten die gesamte Mannschaft, in dieser Villa, auf Trab. Ich bewundere Sie, Diane, dass Sie die Lage bisher so gelassen überblickt haben und dass Sie verhindern konnten, dass hier das totale Chaos ausbricht.“

„Alles halb so wild. Sie sind das nur nicht gewohnt, Christian.“

Christian sah in die grauen Augen der hageren Frau und grinste schief. Etwas bissig erwiderte er: „Danke, dass Sie es so einfach machen. Ich bin nur gespannt, wer hier wohl noch alles aufkreuzen wird, Diane.“

„Erwarten Sie jemanden?“, kam die ironische Gegenfrage.

„Zum Glück nicht.“ Christian von Falkenhayn sah seine Persönlichen Assistentin fragend an. „Wann, sagten Sie noch gleich, findet mein Treffen mit Fynn Everett Specter, im Falken-Tower statt?“

„Sie beide hatten 10:00 Uhr ausgemacht. Sie haben also noch eine Stunde.“

Christian lächelte fein. „Danke, Diane. An Tagen wie diesen bin ich nochmal so froh, sie an meiner Seite zu haben. Als Fels in der Brandung.“

Die Frau grinste erneut. „Und ich bin froh, Ihr Jobangebot angenommen zu haben. Ich arbeite sehr gerne für Sie.“

Christian nickte mit dem Kopf in Richtung des Esszimmers. „Auch wenn es hier zugeht, wie in einem Taubenschlag?“

„Gerade dann.“ Die Frau zwinkerte ihm unmerklich zu und meinte, mit einem Blick zu Alicia Sterling, die sich ihnen, aus Richtung des Esszimmers näherte: „Ich lasse Sie und Alicia dann mal alleine.“

Der blonde, junge Mann; Besitzer des des drittgrößten Unternehmens der USA, blickte zur Seite und seine Gesichtszüge entspannten sich merklich. Er kam dem Mädchen, in das er sich vor über einem Jahr verliebt hatte, einige Schritte entgegen. Alicia sacht in den Arm nehmend küsste er sie. Wegen des Besuchs in seinem Haus kürzer, als er es gerne gesehen hätte. Er sah sie liebevoll an. Dabei flüsterte er: „Ich wollte, wir wären allein.“

Das dunkelhäutige Mädchen gab ihm einen zärtlichen Nasenstüber und erwiderte, ebenso leise: „Ja und ich kann mir denken warum.“

Sie nahm seine Hand und zog ihn, mit sanfter Gewalt, mit sich. Auf dem Weg zur Terrasse seufzte sie: „Du warst gestern Abend aber erst spät wieder hier.“

Christian seufzte schwach. „Die Jahreshauptversammlung der Aktionäre war eine einzige Qual. Cruciatus. Cruciatus mortis sogar.“

„Ach“, machte Alicia und sah ihren Freund interessiert von der Seite an. „Wird bei dieser Hauptversammlung nicht auch über die Dividende entschieden?“

Christian lächelte schwach. „Ja, und jetzt habe ich, dem Rest der Welt gegenüber, ein noch schlechteres Gewissen, als vor der Versammlung.

Alicia schritt voraus und öffnete die Tür zur Terrasse. An diesem sonnigen, warmen Sommermorgen tat der frische Luftzug gut. Gemeinsam mit Christian ins Freie tretend erkundigte sie sich: „Schlechtes Gewissen? Warum denn das?“

Christian blieb stehen, nahm Alicias Hände in seine und sah sie an. „Nun ja. Obwohl die Dividende, mit zehn Prozent nicht über das Ziel hinaus schießt, liegt sie, bei einem Gewinn von 27 Milliarden Dollar, im letzten Jahr, bei 2,7 Milliarden Dollar insgesamt. Dabei entfallen auf die 62% Aktien, die ich selbst halte, rund 1, 67 Milliarden Dollar. Nach Abzug der Steuern flattern somit dieser Tage rund 1,1 Milliarden Dollar auf mein Konto.“

Alicia machte große Augen. „Wow.“

„Ja, Wow“, machte Christian. „Das schlechte Gewissen rührt daher, dass ich für dieses Geld nicht einen Tag gearbeitet habe. Das gibt mir das Gefühl es nicht verdient zu haben.“

„Aber das ist so nicht korrekt und das weißt du auch“, widersprach ihm Alicia vehement. „Ich glaube, dass du nach deinem Studium so viel Zeit in das Unternehmen stecken wirst, dass dir dann diese Worte dann ziemlich lächerlich vorkommen werden.“

Für einen kurzen Augenblick dachte Christian an seinen Ausflug in die Zukunft. Zwei Tage lang hatte sich sein Bewusstsein im Körper seines 25 Jahre älteren Ichs aufgehalten. Dort hatte er einen kleinen Ausblick darauf erhalten, was sein würde. Diane Bennings hatte ihm dort verraten, dass er hart für das Unternehmen gearbeitet hatte, nach dem Abschluss seines Studiums an der Metropolis Universität.

Seiner Freundin einen zärtlichen Kuss gebend meinte er nach einer Weile. „Vermutlich hast du Recht, mein Engel. Ich bin glücklich darüber, dass ich dich habe. Ich werde übrigens nicht das ganze Geld für mich behalten, sondern die Hälfte davon in Projekte für Bedürftige stecken. Ich werde das Thema nachher noch eingehender mit Mister Specter erörtern, bei unserem Treffen. Er wird mir raten können, welche Projekte in Frage kommen.“

Alicia legte ihren Kopf an die Schulter ihres Freundes. „Na bitte. Die Tatsache, dass du Gutes bewirken kannst und das auch tust, zeigt doch, dass du gar kein schlechtes Gewissen haben musst. Wenn es anders wäre, dann wären wir nicht zusammen.“

Christian drückte sie leicht und genoss ihre Nähe. Erst nach einer Weile fragte er: „Wann brechen deine Eltern und Samanthas Familie wieder nach Smallville auf? Wie ich hörte, machen die Wiederaufbauarbeiten dort große Fortschritte. Ich werde, nach meinem Treffen mit Specter, auch hinfahren um wenigstens etwas mitzuhelfen. Vielleicht habe ich auch deswegen ein schlechtes Gewissen. Weil ich bisher, wegen meiner neuen, geschäftlichen Verbindlichkeiten, dazu kaum gekommen bin.“

„Dieser zweite Meteoritenschauer hat einige Zerstörungen angerichtet“, erwiderte Alicia, ohne auf die Frage des Jungen einzugehen. „Dass dein Haus, wie durch ein Wunder, keinen Kratzer abbekommen hat, ist fast unglaublich. Willst du es wirklich verkaufen?“

Christian gab ein zustimmendes Brummen von sich. „Ja. Nach dem Einbruch, vor drei Wochen, ist mir klar geworden, dass es dort nicht mehr sicher ist, für mich. Ich wollte ohnehin zu Beginn des ersten Semesters, an der Uni von Metropolis, hierher ziehen. Zum Glück hatte ich deinen Verlobungsring bereits hierher gebracht.“

Das Mädchen erinnerte sich, mit einem glücklichen Lächeln, an den Brief und den Ring. „Ja, es wäre wirklich schade um ihn gewesen.“

Christian blickte auf seine Uhr und seufzte leise: „Ich muss in ein paar Minuten aufbrechen, wenn ich nicht zu spät kommen will.“

Meine Eltern und der Collins-Clan werden wohl ebenfalls bald aufbrechen. Heute wollen wir die letzten Arbeiten am Haus selbst abschließen und damit beginnen, die Scheune auf unserem Grundstück wieder zu errichten. Nächste Woche wird die neue Einrichtung geliefert, und dann ist das Haus wieder bezugsfertig.“

„Hey toll. Obwohl Alles längst schon wieder stehen könnte, wenn dein Vater nicht so unglaublich stur wäre. Mich hat gewundert, dass er meine Hilfe, wenigstens in Bezug auf die Säuberung seiner Felder von dem Meteoritengestein, angenommen hat.“

Alicia sah Christian an und meinte ernst: „Du kennst ihn doch. Dabei habe ich ihn fast bekniet deine Hilfe anzunehmen.“

Christian streichelte sanft die Wange seiner Freundin. „Das weiß ich und ich nehme es deinem Vater nicht krumm, dass er meine Hilfe minimieren wollte. Ich kann ihn gut verstehen. Für ihn ist das eine Sache des Prinzips. Ich bin froh, dass er wenigstens meine Einladung annahm, während der Arbeiten am Haus, hier zu wohnen.“

Hand in Hand schritten die beiden zurück zur Villa. Als sie wieder den großen Salon betraten bekamen sie mit, wie Christina Wienholt-Langenhagen rasch an ihnen vorbei lief. Sich die Rechte vor den Mund haltend verschwand sie schnell im Bad.

Etwas perplex sah Christian ihr hinterher und meinte zu Alicia gewandt: „Ob ich mir Sorgen machen sollte, wegen meiner Köchin?“

Ohne wirklich eine Antwort abzuwarten schritt er weiter bis er Diane erkannte, die sich ihnen rasch, aus Richtung der Eingangshalle, näherte. „Christian, Sie haben Besuch.“

Der Junge setzte ein überraschtes Gesicht auf. „Ich erwarte niemanden. Hat der Besuch auch einen Namen?“

„Sehen Sie selbst.“

Gemeinsam mit Alicia begab sich Christian zur Eingangshalle hinüber, wo sich auch Alicias und Samanthas Eltern befanden; im Begriff sich auf den Weg nach Smallville zu machen. Zwischen den Anwesenden hindurch gehend blieb er abrupt stehen, als er im Eingangsbereich der Villa ein hübsches Mädchen in seinem Alter entdeckte. Das lange, goldblonde Haar hatte sie im Nacken mit einer Spange gebändigt. Ihre strahlend blauen Augen sahen ihn begeistert an, als sie, auf Deutsch sagte: „Hasi-Schatzi. Ich mache diesen Sommer Ferien in Amerika und da dachte ich, dass ich mal vorbei schaue und Hallo sage.“

Unangenehm berührt sah Christian von dem blonden Mädchen zu Alicia. Er erklärte schnell, was sie gesagt hatte und fügte dann hinzu: „Alicia, das ist Leonie Kaiser, aus Deutschland. Meine Ex-Freundin.“ Damit wandte er sich an das blonde Mädchen. „Leonie, das ist Alicia Sterling. Meine Freundin.“

Während es auffallend still um ihn herum wurde, deutete Christian auf den Boden und fragte, mit einem etwas unguten Gefühl im Magen: „Warum hast du so viel Gepäck dabei?“
 

* * *
 

Als Alicia mit Christian zum Pickup ihres Vaters schritt, sah sie ihn unwillig von der Seite an und erkundigte sich, mit scharfem Tonfall: „Ich kann nicht glauben, dass du tatsächlich deine Ex-Freundin bei dir wohnen lässt? Wie bist du nur auf diese glorreiche Idee gekommen, Christian?“

Christian, der wusste, wie es um die Gemütslage seiner Freundin bestellt war, wenn sie seinen Namen vollständig aussprach, sah sie fast flehend an. „Was hätte ich denn machen sollen? Sie nach Metropolis, in ein Hotel schicken?“

Kühl erwiderte Alicia: „Ja! Ich habe ja Verständnis dafür, dass ihr noch befreundet seid. Aber bei dir wohnen?“

Verwirrt sah Christian seine Freundin an. „Jetzt warte mal. Ich habe dich gefragt, was du davon hältst und du hast gesagt: Kein Problem.“

„Was hätte ich denn sagen sollen?“, gab Alicia heftig zurück. „Alle Blicke waren in dem Moment auf mich gerichtet. Nicht mir steht es zu, der Buh-Mann zu sein, sondern dir! Außerdem warf ich dir den Blick zu.“

Christian hob erstaunt seine Augenbrauen. „Welchen Blick?“

„Na, du weißt schon. Meinen Blick. Bitte sag mir jetzt nicht, dass du, nach über einem Jahr, immer noch nicht den Blick kennst.“

„Verstehst du denn nicht…“

„Ich möchte jetzt nicht darüber reden“, schnitt ihm Alicia das Wort ab und stieg eilig in den Wagen ihres Vaters, der seinerseits Christian einen langen Blick zuwarf, durch das Seitenfenster des Pickups.

Der Junge sah dem Wagen nach, als er vom Grundstück der Villa zum Tor hinaus rollte. Einen Moment so stehen bleibend wandte er sich endlich ab und begab sich zur Limousine, an der sein Chauffeur bereits auf ihn wartete. In den letzten Monaten hatte er sich angewöhnt, sich standesgemäß zu verhalten. Darum trug er, zu dem Treffen mit Fynn Specter, auch einen dunklen Anzug. Lediglich auf eine Krawatte verzichtete er nach wie vor.

Als Christian von Falkenhayn den Falken-Tower, von den Mitarbeitern zumeist nur Falkenhorst genannt, erreichte und mit dem Lift hinauf zum oberen Stockwerk fuhr, war er froh darüber, dem ganzen Tohuwabohu in seiner Villa für eine Weile entronnen zu sein. Dabei überflog ein Schmunzeln seine Lippen, als er an seinen ersten Besuch hier zurückdachte.

Oben angekommen verließ Christian von Falkenhayn den Lift und schritt rasch in Richtung des Büros des Managers seines Unternehmens. Noch immer fragte er sich gelegentlich, warum seine verstorbene Tante ausgerechnet ihm ihr Lebenswerk hinterlassen hatte. Einem Jungen, den sie so wenig gekannt hatte. Anders, als bei seinem ersten Besuch, kam Leah van Cleef ihm, freundlich lächelnd, entgegen und meinte: „Guten Morgen, Sir. Mister Specter erwartet Sie bereits.“

Christian erwiderte das Lächeln der Frau. „Danke, Misses Van Cleef. Sie sehen, heute Morgen, besonders gut aus.“

„Wer hat ihnen denn diese Art von Schmeicheleien beigebracht?“, gab die Mittdreißigerin zurück, wobei ihn ihre dunklen Augen, über den Rand ihrer Designerbrille hinweg, kritisch musterten. Nichtsdestoweniger fuhr sie sich dabei ein wenig verlegen mit den Fingern durch das kurze, braune Haar.

„Geben Sie meinem Vater die Schuld“, lachte der Junge unbekümmert. „Aber ich meinte es eben wirklich ernst, Misses Van Cleef.“

„Gar nicht schlecht“, spöttelte die Frau und deutete einladend den Gang hinunter. „Aber Sie wollen mich nicht deshalb dabei haben, bei diesem Treffen.“

„Nein“, gab der Junge zu und wurde übergangslos ernst. „Das hat einen anderen Grund. Ich setze nämlich große Hoffnungen in Sie, Misses Van Cleef. Darum möchte ich Sie, ab sofort, in meine Entscheidungen mit einbinden.“

Mit dieser Eröffnung schien die Frau nicht gerechnet zu haben, denn eine leichte Röte überflog ihre Wangen.

Obwohl es dem Jungen gegen den Strich ging, nahm er es hin, dass ihm Leah van Cleef die Tür öffnete und ihn als Ersten eintreten ließ. Es würde noch eine Weile dauern, bis er sich endgültig daran gewöhnt haben würde, dass das nun einmal den geschäftlichen Regeln entsprach. Auch wenn seine Sichtweise auf den Knigge momentan darunter etwas litt.

Fynn Everett Specter erhob sich höflich, als Christian mit seiner Begleiterin in sein Büro eintrat. Auch das gehörte zum guten Ton. Ein paar intensive Gespräche, die Christian in der letzten Zeit mit seinem Vater geführt hatte, half ihm nun etwas dabei, diese Verhaltensmuster einfach zu akzeptieren.

Nachdem Christian von Falkenhayn dem Manager die Hand gereicht hatte, zumindest etwas, das er durchgesetzt hatte, schritten sie gemeinsam zu der gemütlichen Sitzecke.

Nachdem sie Platz genommen hatten, beugte sich Fynn Everett Specter vor. Er blickte ernst, als er das Gespräch eröffnete: „Mister Von Falkenhayn, wir müssen über Ihre Sicherheit reden. Nachdem vor drei Wochen in Ihr Haus, in Smallville, eingebrochen wurde, ist es an der Zeit. Sie haben eine Verpflichtung gegenüber den Aktionären und gleichfalls gegenüber den Mitarbeitern dieser Firma.“

„Das Haus in Smallville werde ich verkaufen“, gab Christian zurück. In Specters Miene änderte sich jedoch kaum etwas.

„Mister Von Falkenhayn: Das Haus in Smallville ist nicht das Problem, sondern Ihre Einstellung zur Sicherheit Ihrer Person. Sie wurden, in diesem Jahr, mit einer Waffe bedroht. Eine gute Freundin wurde dabei angeschossen, wenn meine Informationen richtig sind.“

Mit versteinerter Miene sah der Junge den Manager an. Dabei fragte er sich insgeheim, woher der Mann diese Information hatte. Schließlich sah er zu Leah van Cleef, die ihm unmerklich zu nickte.

Seufzend lehnte sich Christian in seinem Sessel zurück und fragte dann, zu Specter gewandt: „Also, was schlagen Sie vor, Mister Specter.“

„Sie werden in Situationen geraten, in denen Sie vielleicht auf eine Waffe angewiesen sein werden. Darum schlage ich vor, dass Sie ein mehrwöchiges Training bei der Polizei von Metropolis absolvieren. Der Commissioner ist ein guter Freund von mir. Ich habe bereits bei ihm vorgefühlt und er wäre einverstanden. Jedoch…“

Christian bemerkte das Zögern und hakte ein: „Er will etwas dafür?“

Specter schmunzelte unmerklich. „Sie haben es erfasst. Die Ausrüstung der Polizei könnte modernisiert werden.“

„Kostenfaktor?“

Leah van Cleefs Augen weiteten sich unmerklich, bei der knappen Frage des Jungen. Mit amüsiertem Gesichtsausdruck sah sie zu Specter, der von ihr zu Christian sah und antwortete: „Der Spaß kostet die Firma eine halbe Million Dollar.“

Christian schüttelte den Kopf. „Nein, ich werde das aus eigener Tasche bezahlen. Und machen Sie eine runde Million daraus, die Polizei erfüllt immerhin eine wichtige Funktion. Aber Sie können diese Spende natürlich als Werbung für unser Unternehmen nutzen.“

Noch während Specter sein Gegenüber leicht verwundert musterte, räusperte sich Christian etwas verlegen, bevor er fortfuhr: „Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir, im Laufe der nächsten Wochen und Monate, bei etwas helfen würden. Ich würde mich nämlich gerne für soziale Projekte engagieren, die ich zu Beginn mit etwa der Hälfte der Dividende, die auf mein Konto fließen wird, unterstützen möchte. Bestimmt haben Sie einen Rat für mich, wo eine finanzielle Unterstützung besonders nötig wäre.“

„Wenn es Ihnen nichts ausmacht, Mister Von Falkenhayn, dann werde ich mich darum kümmern, Ihnen eine Zusammenstellung zu machen“, warf Leah van Cleef ein. „Habe ich richtig verstanden? Sie sagten die Hälfte?“

Christian nickte. „Ja, wir reden von rund 550 bis 600 Millionen Dollar. Das wäre der finanzielle Rahmen für ein Jahr, Misses Van Cleef. Ich würde mich übrigens sehr freuen, wenn Sie mir dabei zur Hand gingen.“

Specter, der sich etwas zurückgenommen hatte, lächelte fein und fragte dann launig: „Wollen Sie sich für ein öffentliches Amt aufstellen lassen? Denn das wird Ihnen eine sehr positive Presse einbringen. Die Presse wird sich nämlich ganz bestimmt darauf stürzen.“

Christian verzog leicht das Gesicht. „Dafür mache ich es nicht. Mir wäre sogar ganz lieb, wenn es so wenig Presserummel wie möglich gäbe.“

„Dafür kann ich nicht garantieren“, erwiderte Specter. „Bedenken Sie, dass solche Aktionen zumeist schnell Nachahmer finden. Meistens von Leuten, die nicht hinter Ihnen zurückstehen wollen. Oder besser: Von Leuten, die Sie dann noch übertreffen wollen. Und sei es nur deshalb, weil man Ihnen die gute Presse nicht allein überlassen will. Allen voran Luther-Corp, Wayne-Enterprises und Queen-Industries.“

Da trifft es keine Armen“, grollte der Junge. „Und die Menschen, denen das Geld zugute kommt, werden nicht fragen, aus welchen Motiven diese Leute gespendet haben. Wichtig ist, dass sie es tun. Wenn also der Preis dafür ist, dass die Presse herum nervt, dann werde ich das eben in Kauf nehmen.“

So etwas wie Stolz glomm in den Augen von Leah van Cleef auf und spontan meinte sie, zu Christian gewandt: „Wenn ich nicht glücklich verheiratet wäre, dann würde ich mich glatt in Sie verlieben.“

Im nächsten Moment bekam die Frau rote Ohren und fügte kratzig hinzu: „Das habe ich jetzt nicht wirklich gesagt?“

Fynn Everett Specter half ihr, indem er schnell fragte: „Was gesagt?“

Er sah dabei schmunzelnd zu Christian, der anerkennend seine Augenbrauen hob und mit seinem rechten Zeigefinger vielsagend in seine Richtung deutete.

Schnell das Thema wechselnd, damit Leah van Cleefs Verlegenheit nicht zu groß werden konnte, sagte Christian zustimmend zu Specter: „Also gut. Rufen Sie den Commissioner an und sagen Sie ihm, dass sein Erpressungsversuch Erfolg hatte.“

„Mit exakt diesen Worten?“

Christian sah Specter an und lächelte amüsiert. „Das überlasse ich Ihnen.“

Der Junge sah an Specter vorbei aus dem Fenster und war sich nicht bewusst, dass er dabei ein leichtes Seufzen von sich gab.

„Bekümmert Sie etwas?“, erkundigte sich Leah van Cleef bei Christian und erst jetzt wurde er sich des Fauxpas bewusst. Etwas verlegen erklärte er: „Nun, momentan habe ich, wegen des Meteorschauers in Smallville, einige Leute von dort bei mir wohnen, bis die Schäden an deren Häusern behoben sind. Unter anderem meine Freundin und deren Eltern. Dann stand, heute Morgen, überraschend meine Ex-Freundin vor meiner Haustür und fragte mich, ob sie für eine Weile bei mir wohnen kann.“

„Und Sie haben Nein gesagt.“

Christian schwieg, unangenehm berührt, bei dem prüfenden Blick der Frau.

Leah van Cleefs Gesicht erstarrte förmlich, als Christian mit der Antwort zögerte und ihre Stimme wankte bei ihren nächsten Worten. „Sagen Sie mir, dass Sie Nein gesagt haben.“

Noch immer schwieg der Junge, jetzt peinlich berührt, denn ihm fiel die Reaktion seiner Freundin wieder ein, die ganz ähnlich ausgefallen war.

„Wow…!“, machte Leah van Cleef und lehnte sich im Sessel zurück. „Zu Ihrer Information: Eine Ex-Freundin bei sich wohnen zu lassen, während man eine Andere hat, ist so, als würde man mit einer brennenden Fackel in ein Pulvermagazin rennen.“

Etwas ungläubig, weil er dachte, die Frau würde bewusst übertreiben, sah Christian zu Fynn Everett Specter und fragte: „Hey, wie schlimm kann das schon werden? Das ist doch vollkommen harmlos.“

Specter sah den Jungen eindringlich an. „Ihnen ist wirklich nicht bewusst, dass Sie am Rand eines ganz tiefen Abgrunds stehen? Letztlich ist es Ihre Entscheidung, aber wenn Sie sich nicht etwas einfallen lassen, dann sehe ich äußerst schwarz.“

Christian sah wieder zu Leah van Cleef, die ihn, über den Rand ihrer Brille hinweg, missbilligend ansah. Das brachte ihn ins Grübeln und er murmelte: „Ich schätze also, ich werde mich darum kümmern müssen.“

Nach einem Moment riss sich Christian von diesem Problem los und wandte sich zu Specter. „Wenn es von Ihrer Seite sonst nichts mehr gibt, dann würde ich mich gerne noch mit Ihnen über den Umbau von einem der Gästezimmer des Penthouse, zu einem Trainingsraum, unterhalten. Es wäre an der Zeit das auf den Weg zu bringen.“

Specter nickte, während sich Leah van Cleef zurückzog. Nachdem sie gegangen war, gingen er und Christian durch, wie der Umbau bewerkstelligt werden konnte.

Als sie sich schließlich erhoben und sich voneinander verabschiedeten, versicherte Specter dem Jungen: „Ich werde mich zeitnah melden und Sie darüber informieren, wann und wo das Training bei der Polizei von Metropolis startet.“

Als Christian endlich im Lift nach unten fuhr, dachte er an die Worte von Leah van Cleef und Fynn Specter. Wenn sie Recht hatten, dann musste er schnell etwas unternehmen.
 

* * *
 

Christian ließ sich auf dem schnellsten Weg nach Hause fahren. Kaum dass die schwarze Limousine vor der Villa angehalten hatte, sprang Christian, mit einem hastigen: Ich bin gleich wieder bei Ihnen, aus dem Font des Wagens und stürmte ins Haus, ohne auf den befremdlichen Blick seines Chauffeurs zu achten, der ihm normalerweise den Schlag aufzuhalten hatte.

Rasch gab er den Öffnungs-Code für die Haustür ein und betrat das Gebäude. In der Eingangshalle hörte er bereits die helle Stimme seiner Ex-Freundin. Sie schien aus der Küche zu kommen. Offensichtlich unterhielt sich das Mädchen gerade mit der Köchin.

Leonie betrat gleich darauf den Wohnraum und sie strahlte Christian an, als sie ihn erkannte. „Hi. Aber du warst doch noch nicht in Smallville, oder?“

Der Junge druckste etwas herum und sagte endlich: „Äh, nein. Hör mal: Was deinen Aufenthalt hier betrifft...“

Leonie nahm schnell einen Schluck von dem Saft, den sie in ihrer linken Hand hielt und warf rasch ein: „Danke nochmal, Christian. Ich kann dir gar nicht sagen, wie viel mir das bedeutet, hier zu sein.“

Christian kratzte sich verlegen hinter dem Ohr. Er überlegte, wie er es Leonie beibringen sollte und sagte dann gedehnt: „Ja… Es ist nur - Alicia und ich…“

„Oh, ihr seid wundervoll Es ist so erfrischend, zu erleben, wie gefestigt ihr in eurer Beziehung seid. Die meisten Mädchen hätten ein Problem damit, wenn die Ex-Freundin bei ihrem Freund wohnt. Aber nicht Alicia Sterling. Sie versteht es.“

Leonie schien der sarkastische Unterton zu entgehen, als Christian mit ernster Miene meinte: „Ja, Alicia versteht es. Die Sache ist nur, ich…“

Wieder unterbrach Leonie ihren Ex-Freund und sah ihn dabei schuldbewusst an. „Ja, ich weiß. Ich habe , nach unserer Trennung, kaum noch etwas von mir hören lassen. Darum finde ich es um so netter von dir, dass du mich hier wohnen lässt. Das ist so lieb von dir. Das werde ich dir nie vergessen, Christian.“

Leonie sah den Jungen treuherzig und mit glänzenden Augen an, nahm einen weiteren Schluck von ihrem Saft und machte sich dann auf den Weg hinauf ins Gästezimmer.

Wie betäubt vor sich hin starrend murmelte Christian tonlos: „Ich bin mir sicher, Alicia wird das auch nicht vergessen.“

Nach einem Moment riss er sich aus seiner Starre, lief in sein Schlafzimmer um sich umzuziehen und verließ dann betrübt das Haus. Diesmal hatte der Chauffeur Zeit genug, den Wagenschlag für ihn zu öffnen. Als sie beide im Wagen saßen, wies Christian den Fahrer an. „Wir fahren nach Smallville, Jereon.“

Während der Fahrt gingen Christian von Falkenhayn tausend Dinge gleichzeitig durch den Kopf. Einerseits hatte er es nicht übers Herz gebracht, Leonie in ein Hotel zu verfrachten. Andererseits ging ihm das Gespräch mit Fynn Specter nicht aus dem Kopf. Er hatte abschließend dafür plädiert, dass Christian, nach dem Training bei der Polizei, permanent eine Handfeuerwaffe bei sich tragen solle. Etwas, das ihm gewaltiges Unwohlsein bereitete, denn seine verstorbene Mutter war eine scharfe Gegnerin solcher Waffen gewesen, als sie noch gelebt hatte. Von Beruf war sie Krankenschwester gewesen, als sie seinen Vater kennengelernt hatte, was mit dem Tragen, geschweige denn dem Verwenden, von Waffen in keinem sonderlichen Einklang stand.

Nicht zuletzt war da auch noch Alicias Reaktion gewesen. Heute Morgen, nachdem er Leonie in der Villa aufgenommen hatte.

Christian war so in Gedanken beschäftigt, dass er verwundert aufsah, als die Limousine auf den Platz vor seinem kleinen Haus rollte. Es gehörte immer noch ihm und momentan überlegte er, ob er es nicht vielleicht doch noch für eine Weile behalten sollte.

Diesmal wartete Christian, bis der Chauffeur den Wagenschlag für ihn geöffnet hatte, bevor er sich daran machte den Wagen zu verlassen. Christian dankte ihm und wies ihn an, nach Metropolis zurück zu fahren. Er würde mit Alicias Eltern zurückfahren. Oder, falls alle Stricke rissen, hatte er seinen Pickup in der Garage stehen, die zum Haus gehörte.

Er sah sich um, da er schon eine Weile nicht mehr hier gewesen war, atmete tief durch und machte sich dann auf den Weg zur Farm seiner Freundin.

Morgenstimmung


 

2.
 

MORGENSTIMMUNG
 

Am nächsten Morgen war Alicia Sterling schon vor 07:00 Uhr auf den Beinen. Sie machte Kaffee und lächelte bei dem Gedanken daran, dass Christian sich sicher darüber freuen würde, wenn er aufgestanden war.

Alicia grübelte darüber nach, dass sie gestern ziemlich kurz ab zu Christian gewesen war, nachdem er ihr mitgeteilt hatte, dass er Leonie nicht in ein Hotel verfrachtet hatte. Erst als sie heute Morgen aufgewacht war, kam ihr in den Sinn, dass Christian für ein solches Verlangen einfach zu höflich war.

Also hatte sie beschlossen das Thema auf einen späteren Zeitpunkt zu vertagen. Vielleicht würde Leonies Anwesenheit gar nicht so schlimm werden, wie sie es sich gestern noch ausgemalt hatte.

Wie um ihre Gedanken Lügen zu strafen hopste im nächsten Moment Leonie, nur mit einem Slip und einem dünnen Träger-Shirt bekleidet, die Treppe hinunter. Zielsicher folgte das blonde Mädchen dem Kaffeeduft und sah Alicia begeistert an, als diese sich selbst gerade eine Tasse eingoss. „Hey, du bist ja schon sehr früh auf den Beinen, Alicia. Der Kaffee duftet großartig. Kriege ich auch einen?“

„Den habe ich eigentlich für Chris gemacht“, gab Alicia etwas unwillig zurück. Dann besann sie sich auf ihre gute Erziehung und meinte, mit gezwungenem Lächeln: „Aber klar.“

Alicia nahm sich eine weitere Tasse und goss Leonie einen Kaffee ein. Ihn ihr über den Tisch reichend, fragte sie: „Hast du auch bemerkt, dass es seltsam ruhig im Haus ist?“

Mit einem dankbaren Lächeln nahm Leonie die Tasse von Alicia entgegen. Ihr Haar zurück werfend stellte sie ihren linken Fuß auf den Stuhl neben sich und meinte: „Die sind Alle sehr früh aufgebrochen, heute Morgen. Wohin Christians Vater und seine Tante wollten, weiß ich nicht. Die beiden sind ja als Frühaufsteher bekannt. Vielleicht will Gernot seinen Bruder, in Smallville, besuchen. Mit Christina hatte ich gestern Abend eine interessante Unterhaltung. Sie ist wirklich sehr nett. So, wie ihre verstorbene Schwester war.“

Ohne von dem Kaffee zu trinken sah Leonie unschuldig zu Alicia und wechselte dann das Thema, indem sie grinsend fragte: „Also - Christian und du?“

Alicia lächelte schwach und behielt das Mädchen im Auge. Das Thema mit Leonie zu erörtern war ihr unangenehm. „Ja, richtig. Chris und ich und…“

Alicia wurde abgelenkt, als sie Christian bemerkte, der sich, etwas verschlafen und den schwarzen Morgenmantel schließend, der Küche näherte. Wieder zu Leonie blickend fragte sie: „Willst du dir nicht vielleicht etwas mehr anziehen?“

Erstaunt sah Leonie zu Alicia. „Warum denn? Christian kennt mich doch und alle anderen Vögel sind bereits ausgeflogen.“

Damit griff Leonie zur Seite und nahm sich die Anis-Dose, die sie gestern beim Kochen noch benutzt hatte. Sie gab etwas davon in den Kaffee.

Christian, der Alicia und Leonie am Tisch entdeckte, sah, irritiert wegen der spürbaren Anspannung, von einem Mädchen zum anderen. „Guten Morgen, ihr Beiden. Ist etwas?“

„Nein“, erwiderte Leonie und zwinkerte Christian dabei keck zu. „Deine Freundin hat Kaffee gemacht.“ Damit schob das blonde Mädchen die Tasse über den Tisch in Richtung ihres Ex-Freundes. „Der hier ist für dich.“

Dankbar nahm Christian die Tasse vom Tisch und nahm einen großen Schluck. Dabei gab er ein genießerisches Brummen von sich und sah zu Leonie, als er die Tasse auf den Tisch zurück stellte. Auf die Tasse deutend fragte er: „Hm. Was ist da drin? Ist das etwa…?“

„Anis!“, bestätigte Leonie vergnügt, in demselben Moment, als Christian begeistert danach fragte.

Das gezwungene Lächeln auf Alicias Gesicht erstarrte. „Anis?“

Sich für einen kurzen Moment mit dem Rücken an Christian lehnend, sah Leonie zu Alicia und erklärte: „Wenn wir uns früher, beim Lernen vor einer Klausur, die Nacht um die Ohren geschlagen haben, dann habe ich immer Anis in Christians Kaffee gegeben. Das sorgte für den Extra-Kick. Willst du es auch mal versuchen.“

Langsam ihre Tasse Kaffee auf dem Tisch abstellend, sah Alicia forschend zu Christian und erklärte: „Nein. Ich hatte bereits genug Kick für einen Vormittag. Wenn du nichts dagegen hast, dann lasse ich mich von deinem Chauffeur zu Samantha fahren.“

„Kein Problem“, versicherte Christian ihr.

Alicia machte sich auf den Weg zur Eingangshalle. Christian entschuldigte sich kurz bei Leonie und folgte seiner Freundin umgehend. Sie vor der Haustür einholend nahm er ihre Hand und zog sie nachdrücklich zu sich herum. Dabei versicherte er ihr: „Hey. Hör mal: Die Sache mit dem Kaffee und dem Anis… Ich bin sicher, Leonie hat nichts damit bezweckt. Sie wollte nur aufmerksam sein.“

„Ja, davon bin ich überzeugt“, gab Alicia ironisch zurück.

„Also bist du nicht sauer?“

Das Mädchen funkelte Christian vielsagend an. „Oh, du meinst wohl, weil sich deine Ex-Freundin so wohl bei dir Zuhause und mit deiner Familie fühlt und weil Sie Dinge von dir weiß, die ich nicht weiß? Warum sollte ich deswegen sauer sein?“

Christian sah Alicia inständig an. Dann kam ihm eine Idee und er meinte: „Sieh mal: Was hältst du davon, wenn ich im AMBASSADOR-Hotel die Präsidenten-Suite buche. Dann haben wir zwei in der nächsten Zeit Ruhe vor nervigen Mitbewohnern und Ex-Freundinnen. Wir lassen es uns gutgehen und du wirst nicht mehr damit konfrontiert.“

„Ich sollte nicht damit konfrontiert werden, weil du hättest Nein sagen sollen“, zischte Alicia, auf ihrem Standpunkt beharrend.

„Ja“, räumte Christian reumütig ein. „Aber das habe ich nicht und jetzt kann ich auch nicht mehr. Darum mein Vorschlag mit dem AMBASSADOR.“

„Nein, das kommt gar nicht in Frage. Weißt du was? Ich bin erwachsen genug um mit deiner Ex-Freundin in demselben Haus zu wohnen, klar?“

„Du kommst also damit zurecht?“

„Ja… Hasi-Schatzi. Ich werde mich eben damit arrangieren, dass Leonie, vor unseren Augen, halbnackt durch die Villa hüpft.“

Christian bemerkte den bitteren Unterton in der Stimme seiner Freundin und seufzte leise und stellte fest: „Okay, ich komme nicht ungeschoren aus dieser Nummer heraus. Aber wir schaffen das. Ein paar Tage halten wir aus, mit meiner verrückten Ex-Freundin.“

Alicia gab Christian einen flüchtigen Abschiedskuss auf die Wange und war im nächsten Moment zur Tür hinaus. Einen betreten dreinblickenden Jungen zurücklassend.
 

* * *
 

Als Christian wieder in die Küche kam, war von Leonie keine Spur zu entdecken. Er vermutete, dass sie sich ins Gäste-Bad begeben hatte. Er selbst beschloss, dass eine Dusche jetzt wirklich nicht das Verkehrteste war. Dabei griff er gedankenlos zu dem Kaffee, der noch auf dem Küchentisch stand und trank ihn aus.

Als er, eine halbe Stunde später, frisch geduscht und angezogen sein Arbeitszimmer betrat, war im Haus immer noch keine Spur von Leonie zu entdecken. Vielleicht hatte sie sich nochmal hingelegt. Christian befand, dass er das nicht bedauern würde. Auf diese Weise hatte er etwas Ruhe, um seine Gedanken und Gefühle zu sortieren.

Das Arbeitszimmer, das zum Park hinaus lag, war zu Lebzeiten von seiner Tante Annette auch zu diesem Zweck genutzt worden. Allerdings hatte er es komplett neu eingerichtet. Anders, als den Rest der Villa.

Aus der Küche hatte Christian sich einen zweiten Kaffee mitgenommen. Ganz bewusst ohne Anis. Seine neue Tagesroutine, die er sich in den letzten Monaten angewöhnt hatte, lenkte ihn etwas ab. Hin und wieder von seinem Kaffee trinkend warf er einen Blick auf die aktuellen Aktienkurse, bevor er, nach Codeeingabe, ein weiteres Fenster auf dem Bildschirm öffnete. Mit einem Blick auf den aktuellen Kontostand lehnte er sich in dem bequemen Ledersessel zurück und starrte nachdenklich auf die Summe, die dort stand. Dabei seine Tasse Kaffee in den Händen haltend.

So fand ihn Leonie vor, als sie das Zimmer, auf der Suche nach im, betrat. Sie hatte sich dezent geschminkt und auch angezogen, wie Christian erleichtert feststellte.

Ihren Ex-Freund etwas verlegen ansehend blieb sie im Türrahmen stehen und fragte mit leiser Stimme: „Darf ich eintreten, oder gehst du hoch geheime Dateien durch?“

Christian lächelte schwach. „Keine Geheimnisse. Komm rein.“

Zögerlich näherte sich Leonie dem Schreibtisch. Dabei meinte sie: „Ich hoffe nicht, dass ich zu viel Unruhe in dein Leben bringe. Ich habe übrigens bereits davon gehört, dass du zu einem der reichten Männer des Landes geworden bist. Wow. Wie kommst du damit klar?“

„Na ja“, erwiderte Christian. „Ich hatte mich an den Gedanken gewöhnt, dass ich irgendwann das Unternehmen meines Vaters übernehmen würde. Aber dass ich, mit gerade achtzehn Jahren, selbst ein solches Unternehmen besitzen würde, das kam unerwartet und ich bin mir immer noch nicht sicher, ob Tante Annette mir damit einen Gefallen getan hat.“

Leonie sah erstaunt zu ihrem Ex-Freund und dieser erklärte rasch: „Das soll keine Undankbarkeit sein. Ich weiß, dass Tante Annette es gut meinte. Offensichtlich war sie der Meinung, dass ihr Unternehmen in meinen Händen am besten aufgehoben sei. Ich bin mir nur nicht ganz sicher, ob sie mir damit nicht zu viel zugetraut hat.“

Übergangslos ernst, sah Leonie Christian an. Sie umrundete den Schreibtisch und erwiderte überzeugt: „Ich denke, sie hat an dich geglaubt. Natürlich muss ihr klar gewesen sein, dass dir das nötige Fachwissen und auch die Reife fehlt, dieses Unternehmen jetzt zu führen. Doch sie hat vermutlich darauf vertraut, dass das eines Tages anders sein wird.“

Christian nickte in Gedanken. „Vielleicht hast du Recht. Aber der Gedanke an die Verantwortung, für 250.000 Angestellte des Unternehmens, ist manchmal beängstigend.“

Deine Tante Christina sagte mir gestern, dass du hervorragende Angestellte haben würdest. Allen voran erwähnte sie einen gewissen Sprenger…“

„Specter“, verbesserte Christian grinsend, während Leonie einen kurzen Blick auf den Bildschirm warf.

Das Mädchen deutete auf die zehnstellige Zahl und fragte beeindruckt: „Ist das etwa der Umsatz deines Unternehmens? Ich bin beeindruckt.“

„Äh… nein, Leonie. Das ist mein aktueller Kontostand. Das Privatvermögen, dass mir Tante Annette vererbte. Oder besser gesagt schenkte, kurz vor ihrem Tod. Sie tat das aus steuerlichen Gründen, als ihr klar war, dass sie nicht mehr lange zu leben hat.“

Christian schloss das Fenster auf dem Bildschirm und lehnte sich wieder zurück. Dabei nahm er kaum wahr, dass Leonie, die hinter seinen Sessel trat, ihre Hände auf seine Schultern legte, und sie sanft massierte. So, wie sie es früher oft getan hatte. Dabei erklärte er, die sanfte Massage genießend: „Der Umsatz des Unternehmens lag im letzten Jahr bei rund dreihundert Milliarden Dollar, bei einem Gewinn von siebenundzwanzig Milliarden Dollar. Das sind sehr gute Werte für mein Unternehmen.“

„Und du hast noch nicht durchgedreht und dir einen Lamborghini gekauft? Oder einen eigenen Privatjet?“

Christian lachte leise und raunte angenehm entspannt: „Nein, das nicht. Obwohl ich vor kurzer Zeit meinen Flugschein gemacht habe und der Learjet, seit zwei Monaten, bestellt ist. Alicia war nicht begeistert, als ich ihr davon erzählt habe. Doch als Besitzer von Falken-Industries muss ich mobil sein und der Firmenjet wird mitunter von Fynn Specter genutzt. Außerdem muss ich, nach Außen hin, auch das Unternehmen widerspiegeln.“

Leonie lachte leise. „Dein Vater sagte, Alicia kommt aus eher…“

„Einfachen Verhältnissen? Hör zu: Alicia ist eine intelligente, junge Frau. Ich liebe sie genau deshalb, weil sie ist, wie sie ist – und was zur Hölle machst du mit meinen Schultern?“

Schnell zog Leonie ihre Hände weg. „Ach, das war unbedacht. Eine Angewohnheit aus der Zeit, als wir zusammen waren.“

„Gewöhne es dir bitte ab, okay?“ Christian fuhr den PC herunter, als sein Handy klingelte. Er griff danach, sah auf das Display und hob etwas die Augenbrauen.

„Hier Christian von Falkenhayn. Wer spricht?“

Leonie machte zwei Schritte zur Seite und beobachtete Christian dabei, wie er eine ganze Weile aufmerksam zuhörte, was sein Gesprächspartner zu sagen hatte. Erst nach geraumer Weile sagte der Junge: „In Ordnung, ich bin in einer halben Stunde auf dem Ersten Revier. Sie sagten Lieutenant Sawyer wäre Ihr Name? Okay, dann in dreißig Minuten.“

Christian unterbrach die Verbindung und sah entschuldigend zu Leonie. „Tut mir leid, aber ich muss weg. Wenn du etwas brauchen solltest, dann wende dich einfach an Diane Bennings. Falls du irgendwo hin möchtest, der Chauffeur wird dich gerne hin bringen.“

„Okay, danke Christian.“

Mit einem Lächeln verließ Christian das Arbeitszimmer, gefolgt von seiner Ex-Freundin, die den Anrufer verfluchte, der diesen Moment mit Christian unterbrochen hatte.
 

* * *
 

Am Steuer seines Pickups sitzend und in Richtung Down-Town fahrend, atmete Christian erleichtert auf. Dass Leonie ihm eben so nahe gewesen war, hatte ihn verwirrt. Der Anruf von diesem Lieutenant Sawyer, vom Metropolis-Police-Department, war darum genau zur rechten Zeit erfolgt.

Alicia hatte ihn einmal nach Freundinnen in Deutschland gefragt. Er hatte ihr wahrheitsgemäß geantwortet. Allerdings hatten sie nie darüber gesprochen, wie lange er mit Leonie zusammen gewesen war.

Er war es gewesen, der sich von Leonie getrennt hatte, nachdem sie fast zwei Jahre zusammen gewesen waren. Leonie war seine erste große Liebe gewesen. Bis er am Ende erkannt hatte, dass sie ihm, mit ihrer Art, die Luft zum Atmen genommen hatte. Dazu kam die Tatsache, am Ende feststellen zu müssen, dass ihn im Grunde mehr ihr tolles Aussehen gereizt hatte, als ihre mitunter ziemlich chaotische Art. Leonie war ein tolles Mädchen, doch keines mit dem er dauerhaft zusammen sein konnte. Diese Erkenntnis hatte am meisten geschmerzt, als er sich dazu entschieden hatte, sich von ihr zu trennen.

Das war etwa vier Monate vor dem Tod seiner Mutter gewesen. Kurz vor seinem siebzehnten Geburtstag. Dennoch war sie damals, als gute Freundin, für ihn da gewesen und das rechnete er ihr immer noch hoch an.

Christian atmete tief durch und verscheuchte die Gedanken an Leonie. Den Ellenbogen auf den Rahmen der Wagentür gelehnt blickte er in den Rückspiegel. Der Streifenwagen verfolgte ihn jetzt schon eine ganze Weile. Mit einem schnellen Blick auf den Tacho überzeugte Christian sich davon, dass er das Tempolimit eingehalten hatte. Alles in Ordnung. Er fuhr knapp unter den erlaubten 35 Meilen pro Stunde. Anders, als in Deutschland, wurde hier in den USA kein Toleranzwert abgezogen. 35 Meilen hieß: 34,9 ist in Ordnung – 35 ist grenzwertig aber in Ordnung – 35,1 und du hast ein Problem.

Wieder nach vorne blickend sagte sich Christian, dass der Beamte in dem Wagen sicherlich nur zufällig denselben Weg hatte, wie er selbst.

Keine drei Sekunden später blinkten die roten und blauen Leuchten auf dem Dach des Wagens auf und über den Lautsprecher wurde er aufgefordert, umgehend rechts ran zu fahren und anzuhalten. Die Stimme schien einer Frau zu gehören.

Sicher nur eine Routine-Kontrolle, dachte Christian, setzte den Blinker und fuhr auf den Randstreifen. Die Villa seiner Tante lag in einem Außenbezirk von Metropolis, den er gerade eben verlassen hatte.

Der Streifenwagen hielt hinter seinem Pickup. Eingedenk einiger Ratschläge seines Onkels, kurz nachdem er seinen Führerschein gemacht hatte, blieb er ruhig im Wagen sitzen, schaltete den Motor ab und wartete auf den Officer.

Im Rückspiegel erkannte Christian, dass es eine junge Frau war, die aus dem Streifenwagen stieg. Offensichtlich war seine Spende nötig, denn er erkannte außer ihr keinen zweiten Beamten im Wagen. Die Frau trug eine getönte Sonnenbrille. Trotzdem konnte Christian erkennen, dass sie einen südländischen Touch hatte, bevor sie ihre Dienstmütze auf das schwarze, straff zurück gebundene Haar setzte. Mit der Rechten auf dem Kolben ihrer Dienstwaffe, näherte sie sich nun dem Pickup und neugierig sah Christian zum geöffneten Wagenfenster hinaus. Freundlich lächelte er sie an.

„Guten Morgen, Officer. Was kann ich für Sie tun?“

Als die Frau sich auf Höhe der Fahrertür befand erkannte Christian, dass sie nicht gerade zu den Hochgewachsenen zählte. Er schätzte, dass sie bestimmt einen Kopf kleiner war, als er selbst. Wegen der Sonnenbrille war ihr Alter kaum zu schätzen, doch der Deutsche befand, dass sie kaum älter als zwanzig Jahre sein konnte. Trotz der für Frauen unvorteilhaft geschnittenen, dunkelblauen Uniform bemerkte Christian, dass sie eine sehr frauliche Figur besaß. Einer feurigen Latina angemessen, wie er fand.

„Machen Sie bitte die Wagentür auf und reichen mir die Fahrzeugpapiere heraus“, sagte sie mit heller, leicht rauchiger Stimme. Sie besaß einen deutlich vernehmbaren, lateinamerikanischen Akzent. „Aber bitte keine überhasteten Bewegungen.“

Christian bemerkte die leichte Nervosität der Frau und mit bewusst bedachtsamen Bewegungen öffnete er das Handschuhfach des Pickups. Er entnahm die Papiere und reichte sie der Polizistin. Dabei versuchte er das Eis etwas zu brechen, indem er fragte: „Was liegt denn an, Officer? Liegt ein besonderer Grund vor, mich anzuhalten?“

„Die Fragen stelle ich, Sir“, gab die Frau kühl zurück. „Dieser Pickup ist auf einen der reichsten Männer Amerikas zugelassen.“

„Ich weiß“, nickte Christian.

„So, das wissen Sie also. Sie gehören offensichtlich zu den ganz Schlauen. Dann können Sie mir auch sagen, wie Sie an das Steuer dieses Pickups kommen?“

Ein amüsiertes Lächeln überflog das Gesicht des Jungen. Immer noch freundlich erwiderte er: „Natürlich. Er gehört mir.“

Die Polizistin nahm die Sonnenbrille ab und steckte sie in den Ausschnitt ihres Uniformhemdes. Als sie bemerkte, dass die blauen Augen des Jungen ihren Bewegungen folgten, fuhr sie ihn an: „Hey, Mister, meine Augen sind hier oben! Und jetzt steigen Sie bitte aus dem Wagen aus und drehen sich um.“

Das bisher freundliche Gesicht des Jungen spannte sich an. Entgegen den Ratschlägen seines Onkels machte er keine Anstalten auszusteigen, sondern fragte verärgert: „Was soll das, Officer. Ich habe einen Termin in Metropolis. Lustigerweise bei einer Polizistin.“

In die dunklen Augen der Latina trat ein kaltes Glitzern. Ihre Hand schloss sich um den Kolben ihrer Dienstwaffe und bedrohlich sagte sie: „Ich werde die Aufforderung nicht noch einmal wiederholen, Sir.“

Christian, dem die Handbewegung nicht entgangen war, gab sich geschlagen. Ganz offensichtlich war das nicht sein Tag. Also stieg er ganz behutsam aus dem Wagen und drehte der Polizistin den Rücken zu. Nicht ohne einen letzten Versuch zu unternehmen, vernünftig mit ihr zu reden. „Bitte hören Sie, Miss. Ich habe es wirklich eilig. Wenn Sie mir etwas vorzuwerfen haben, so wüsste ich gerne was es ist.“

„Wie wäre es mit Autodiebstahl, für den Anfang?“

Im nächsten Moment legte sich eine Hand der Frau, erstaunlich fest, um sein linkes Handgelenk. Etwas Kaltes berührte sein Handgelenk und ungläubig realisierte Christian, dass sie ihm Handschellen anlegte. Da ihm klar war, wie sinnlos es sein würde Widerstand zu leisten, blieb er ganz ruhig und ließ die Frau gewähren.

Die Polizistin nahm den Schlüssel des Pickups an sich, verriegelte ihn danach ordnungsgemäß und packte Christian hart am linken Oberarm. Bestimmt führte sie ihn zum Streifenwagen, öffnete die hintere Tür und forderte ihn dazu auf einzusteigen.

Christian folgte der Aufforderung. Nicht ohne ihr dabei einen finsteren und gleichzeitig irgendwie spöttischen Blick zukommen zu lassen. Noch während sich die junge Polizistin hinter das Steuer des Streifenwagens setzte, fragte Christian resignierend: „Muss das mit den Handschellen denn wirklich sein? Wie sieht denn das aus, Officer?“

Die Frau sah ihn über den Rückspiegel ernst an. „Ich bin mir sicher, sie werden bald ganz andere Sorgen haben.“

„Also, das ist jetzt komisch“, grinste der Junge. „Denn dasselbe wollte ich auch gerade sagen. Dabei gefällt mir dieser Gedanke überhaupt nicht, denn Sie sind bestimmt eine ganz reizende Person, wenn Sie nicht gerade im Dienst und auf Krawall gebürstet sind. Verraten Sie mir wenigstens, wohin die Fahrt geht?“

„Es geht direkt zum Ersten Revier. Dort werden sich die zuständigen Beamten des Raub-Dezernats um Sie kümmern. Die werden sich freuen, dass mir bei meiner ersten Verhaftung ein Autodieb ins Netz gegangen ist.“

„Perfekt!“, gab Christian zurück. „Da wollte ich sowieso hin. Ach, ich hätte da noch eine klitzekleine Frage: Warum haben Sie eigentlich gar nicht meine Papiere kontrolliert?“

„Das erledigen meine Kollegen, auf dem Revier.“

„Ach so“, machte Christian und setzte wieder eine lächelnde Miene auf. „Na, diese erste Verhaftung werden Sie bestimmt nie im Leben vergessen.“ Damit lehnte er sich gemütlich auf der Rückbank zurück und harrte der Dinge, die da kommen sollten.
 

* * *
 

Knapp zwanzig Minuten später fuhr Christian von Falkenhayn, gemeinsam mit der Polizistin die ihn verhaftet hatte, im Ersten Revier des Metropolis-Police-Departments, mit dem Aufzug nach oben. Dabei entzifferte er den Namen, der auf einem Metallstreifen, unterhalb der Polizeiplakette auf dem linken Brustteil ihres kurzärmligen Uniformhemdes, eingraviert war und sagte ruhig: „Officer Munzon, ich werde wirklich von Lieutenant Sawyer erwartet. Darum wäre ich Ihnen sehr verbunden, wenn Sie Ihren Lieutenant darüber in Kenntnis setzen, dass ich hier bin, sobald wir unser Ziel erreicht haben.“

Munzon sah ihn unwillig und etwas gereizt an. „Sie wollen es wohl ganz genau wissen? Okay, ich sage Ihnen was. Ich werde Sie gleich jetzt persönlich zum Lieutenant bringen. Denn Maggie Sawyer steht gar nicht auf solche Witzbolde, wie Sie, Mister!“

Christian deutete lächelnd eine Verbeugung in Richtung der Polizistin an. „Ich bin Ihnen wirklich sehr verbunden, Officer Munzon.“

Die junge Frau presste die Lippen aufeinander, sagte jedoch nichts. Es war ihr hingegen anzumerken, dass ihr seine ruhige Reaktion gar nicht passte.

Christian erwiderte den finsteren Blick ihrer lebhaften, fast schwarzen Augen ungerührt. Dabei stellte er fest, dass Munzon wirklich gerade einmal 1,65 Meter messen konnte. Eher etwas weniger.

Als sie den Aufzug verließen packte Munzon Christian wieder fest am Oberarm, den er diesmal spontan anspannte. Dabei meinte er leichthin: „Sie haben einen festen Griff, Officer. Treiben Sie Kampfsport?“

„Für Sie reicht es, auch wenn Sie gut in Form zu sein scheinen“, zischte die Frau unterdrückt und mit immer noch düsterer Miene.

Als sie endlich das Büro des Lieutenants erreichten, klopfte Munzon an die offen stehende Tür des Büros und trat, zusammen mit Christian ein.

Hinter dem Schreibtisch saß eine sportliche Enddreißigerin. Sie sah zu Munzon auf und blickte dann zu dem jungen Mann, an der Seite der Polizistin. Dabei weiteten sich die grauen Augen des Lieutenants und mit einem stechenden Blick, in Richtung Munzon, fragte sie scharf: „Erlauben Sie sich gerade einen Scherz mit mir, Officer Munzon?“

Die Latina sah ihre Vorgesetzte etwas verwirrt an. „Ma´am, ich verstehe nicht…“

Maggie Sawyer erhob sich von ihrem Sessel und blickte entschuldigend zu Christian, bevor sie Munzon wieder scharf ins Auge fasste. „Wissen Sie eigentlich, wen Sie da gerade, in Handschellen, in mein Büro geschleift haben, Officer Munzon? Sehen Sie nicht hin und wieder Nachrichten?“

„Äh… Eher selten, Ma´am. Dieser Autodieb hier…“

„Ab sofort werden Sie jeden Tag Nachrichten schauen, Officer Munzon!“, unterbrach die donnernde Stimme von Sawyer die Latina. „Das ist ein Befehl! Und jetzt nehmen Sie Mister Von Falkenhayn endlich die verdammten Handschellen ab!“

Munzon sah den jungen Mann an ihrer Seite aus immer größer werdenden Augen an und Christian raunte ihr amüsiert zu: „Sie wollten ja nicht meine Papiere kontrollieren.“

Die Latina erwiderte nichts darauf. Stattdessen beeilte sie sich, die Anweisung ihrer Vorgesetzten auszuführen und nahm ihm die Handschellen ab.

Maggie Sawyer umrundete ihren Schreibtisch dabei einen strafenden Blick auf die Latina abfeuernd. Zu Christian gewandt sagte sie bedauernd: „Ich entschuldige mich bei Ihnen. Auch im Namen des Commissioners.“

„Ach, das war jetzt nicht so tragisch, Lieutenant. Officer Munzon hat mich ja ganz pünktlich zu Ihnen gebracht.“ Mit einem ironischen Seitenblick fügte er, sich die Handgelenke reibend, hinzu: „Ganz standesgemäß. Nicht machen – machen lassen.“

„Es freut mich, dass sie diese Peinlichkeit mit Humor nehmen, Sir. Wenn Sie eine Beschwerde gegen Officer Munzon…“

Schnell hob der Junge seine Hände und bat: „Aber nicht doch, Lieutenant. Da ich es war, der die Schmach der Verhaftung erdulden musste, möchte ich um eine Gunst für Officer Munzon bitten. Bitte fassen Sie dieses kleine Malheur als Missverständnis auf und gehen Sie der Angelegenheit nicht weiter nach. Ich trage ja auch meinen Anteil daran. Denn ich hatte die Gelegenheit, dem Officer von mir aus zu sagen, wer ich bin und habe diese Gelegenheit ungenutzt gelassen. Es war also, in gewisser Weise, auch mein Fehler, Lieutenant Sawyer.“

Maggie Sawyer funkelte Munzon noch einmal giftig an, bevor sie erwiderte: „Also schön. Ich danke Ihnen für Ihr Verständnis und Officer Munzon wird Ihnen gewiss auch danken wollen. Nicht wahr, Officer?“

Die Latina verstand den Wink. Zerknirscht sah sie Christian an und sagte kratzig: „Ich danke Ihnen ganz herzlich, Mister Von Falkenhayn.“

Der Tonfall in Munzons Stimme hätte genauso gut zum Satz: Fahr zur Hölle gepasst.

Sein freundlichstes Lächeln aufsetzend, gab Christian von Falkenhayn, übertrieben galant, zurück: „Aber ich bitte Sie, Miss Munzon. Ein wahrer Edelmann ist dem gemeinen Volk immer zugetan, heißt es.“

Maggie Sawyer, die diese kleine Szene schmunzelnd verfolgte, wandte sich an Christian und meinte dabei, mit einem feinen Schmunzeln: „Da Sie beide sich, bereits jetzt, so hervorragend verstehen und Sie sich, auf so eindrucksvolle Art und Weise, miteinander bekanntgemacht haben, brauche ich mich gar nicht lange nach einem Mentor für Sie umzusehen, Mister Von Falkenhayn. Ich bin mir sicher, dass Officer Munzon genau die Richtige ist, für diese Aufgabe. Also, Officer Munzon: Ich entbinde Sie, für die nächsten vier Wochen, von ihren sonstigen Obliegenheiten und stelle Sie, als Mentor, an die Seite dieses jungen Mannes. Vertreten Sie das Department bitte würdevoll.“

Beinahe erschrocken sah die Latina ihre Vorgesetzte an. Sie wollte etwas sagen, doch ein warnender Blick von Sawyer unterband das im Ansatz.

Stattdessen warf Christian einen amüsierten Seitenblick zu der Latina und sagte dann zu Maggie Sawyer: „Ich danke Ihnen, Lieutenant. Was steht als Erstes auf dem Programm?“
 

* * *
 

Zehn Minuten später betraten Sie den Schießstand, auf dem, zu diesem Zeitpunkt, noch nichts los war. Munzon hatte sich beim zuständigen Officer, am Eingang zur Schießanlage, eine Glock-17 aushändigen lassen. Eine Halbautomatik, wie jene, die sie selbst an ihrer Hüfte trug.

Christian hatte, in den Monaten vor seinem Schulabschluss, gemeinsam mit Lex Luthor, auf dessen privatem Schießstand, mit der gleichen Waffe geübt. Lex hatte ihn davon überzeugt, dass es einem Milliardär gut zu Gesicht stand, anständig schießen zu können.

Zunächst hatten sich Munzon und Christian einen Gehörschutz übergestreift. Danach hatten sie sich Brillen mit einer gelben Tönung aufgesetzt. Sie sollten den Kontrast verstärken, beim Anvisieren des Ziels.

Durch sein Training mit Lex wusste Christian um eine korrekte Haltung beim Schießen. Doch als ihm Munzon die Waffe übergab, stellte er sich so auf, wie es Offiziere der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg getan hatten. Den linken Fuß zurück und das rechte Bein leicht durchgebeugt hielt er den linken Arm nach hinten und hielt die Pistole in der ausgestreckten Rechten.

„Halt! So wird das nie etwas!“, stöhnte Munzon über die offensichtliche Unfähigkeit ihres Probanden. „Stellen Sie sich so auf, dass Ihre Füße auf Schulterbreite auseinander stehen. In Ordnung, und jetzt die rechte Faust in Ihre Linke.“

Christian verkniff sich ein Grinsen als er sich etwas ungeschickt aufstellte. Geduldig ließ er es zu, dass Munzon, die dicht hinter ihn getreten war, seine Hüfte in die richtige Position drehte und dann seine Schultern ausrichtete. Von hinten umfasste sie ihn vorsichtig, als habe sie Angst, den Jungen mit ihrem Körper zu berühren und korrigierte leicht die Haltung seiner Arme.

Ein Schuss löste sich und schlug knapp sechzig Yards weiter in die Dämmung der Rückwand ein.

„Zu früh abgefeuert!“, entfuhr es Christian.

Mit einem hämischen Lachen, wobei sie immer noch seine beiden Unterarme fest hielt, schob sich Munzon an seine linke Seite und spottete: „Das ist Ihnen doch bestimmt nicht zum ersten Mal passiert?“

Christian grinste schief und erwiderte ihren Blick. „Sie besitzen ja fast Humor, Officer Munzon. Das ist das erste Mal, dass ich Sie lächeln sehe. Gefällt mir gut.“

Übergangslos wurde die Frau ernst und Christian visierte erneut die Scheibe an. Er schoss und die Kugel durchschlug diesmal die Papierscheibe, knapp neben der linken Schulter des aufgedruckten Zieles.

„Das war immerhin schon einmal die Scheibe“, bemerkte Munzon sarkastisch. „Das gibt Anlass zur Hoffnung. Seien Sie froh, dass wir kein Publikum haben.“

Christian lächelte unmerklich. Wieder die Scheibe anvisierend fragte er: „Ach, Officer Munzon: Haben Sie auch einen Vornamen? Dieses unpersönlich Sie gefällt mir so ganz und gar nicht, müssen Sie wissen.

Er schoss, und die Kugel durchschlug die Scheibe dort, wo sich bei der Zielfigur der Schritt befand. „Hu… Das hätte im Ernstfall fürchterlich weh getan, schätze ich.“

Munzon lachte hell und erwiderte dann herausfordernd: „In Ordnung, Mister. Wir machen einen Deal. Wenn Sie mit einem der nächsten drei Schüsse die Zehn treffen, dann verrate ich Ihnen meinen vollen Vornamen und Sie dürfen mich mit ihm ansprechen. Aber kein Duzen. Na, was sagen Sie dazu, Mister Von Falkenhayn.

Christian sah der Latina in die Augen und erkundigte sich: „Versprochen? Und Sie werden mich Christian, oder einfach Chris nennen?“

„Versprochen.“

Christians Mundwinkel verzogen sich in die Breite. „Warum haben Sie das denn nicht gleich vorgeschlagen?“

Im nächsten Moment verschwand jeglicher Humor aus dem Gesicht des Jungen. Er visierte wieder die Scheibe an, konzentrierte sich und feuerte dreimal schnell hintereinander auf das Ziel.

Fassungslos blickte Munzon von der Scheibe zu Christian von Falkenhayn. Dicht nebeneinander lagen alle drei Treffer innerhalb des kleinen Zehner-Kreises.

Mit einem geradezu schadenfrohen Grinsen legte der Junge die Waffe auf die Ablage vor sich und sah zu Munzon. „Also, wie lautet Ihr Vorname, Officer Munzon?“

Während sie die Brillen und Ohrenschützer zur Seite legten, sah Munzon ihr Gegenüber, noch immer etwas ungläubig an. Er hatte sie an der Nase herumgeführt. Aber Sie hatte ihm ihr Versprechen gegeben. Dennoch beschwerte sie sich: „Sie sind ein Betrüger. Sie haben mir etwas vorgemacht.“

Mit entsagungsvoller Miene erwiderte Christian kopfschüttelnd. „Und diese harten Worte, nachdem ich mich eben erst, bei Lieutenant Sawyer, für Sie eingesetzt habe, Officer. Das ist wirklich undankbar. Also, wie heißen Sie?“

„Ich heiße Celenia. Celenia Alessandra Munzon.“

Christian reichte der jungen Frau seine Hand. „Sehr angenehm, Celenia. Mein voller Name ist Christian Gerrit von Falkenhayn.“

Die Latina reichte Christian die Hand. Er schüttelte sie jedoch nicht, sondern führte sie sacht an seinen Mund. Ohne die Frau dabei aus den Augen lassend, so wie es sich für einen perfekten Handkuss gehörte, drückte er flüchtig seine Lippen auf ihre Finger, bevor er ihre Hand wieder zurück führte und sie losließ.

Sichtlich verlegen schob die Frau eine Haarsträhne, die sich gelöst hatte, hinter das Ohr und räusperte sich. „Schießen können Sie also. Dann schlage ich vor, dass wir hier Schluss machen und zum Nahkampf-Training über gehen. Die Trainingssachen stellt natürlich das Department. Mal sehen, wie Sie sich dabei schlagen werden… Christian.“

„Ah… Vielleicht sollte ich diesmal vorher erwähnen, dass ich, in meiner Freizeit, Muay Thai trainiere. Sowohl die waffenlose, als auch die bewaffnete Variante. Aber ich bin offen für andere Nahkampf-Stile, Celenia.“

Diesmal war es Celenia Munzon, die fein grinste. „Na, dann…“
 

* * *
 

Christian taumelte leicht zurück, nachdem Celenia Munzon einen harten Treffer am Kopfschutz gelandet hatte. So wie Munzon, mit einer langen Trainingshose, einem T-Shirt und Turnschuhen bekleidet, sah er sie abwartend an. Ihre schwellenden Brüste, nun durch einen Sport-BH gebändigt, hatten ihn für eine Weile dazu verleitet, zu glauben, Munzon wäre kein ernst zu nehmender Gegner für ihn. Doch das hatte sich schnell als Irrglaube herausgestellt. Leichtfüßig tänzelte die sportliche Latina auf der Bodenmatte um Christian herum und sah ihm auffordernd in die Augen. „Seien Sie froh, dass Sie nicht gänzlich ohne Erfahrung sind, Christian, sonst wäre der Kampf längst gelaufen.“

„Ja, das glaube ich auch“, gab Christian zurück und blieb für einen Moment außer Reichweite der Latina. „Sie sind wirklich schnell, Celenia. Das ist mein voller Ernst.“

„Danke, für die Blumen. Aber reden wir nur, oder machen wir weiter?“

Statt einer Antwort näherte sich Christian der Frau. Er ließ zwei ihrer Angriffe ins Leere laufen und nutzte eine winzige Unaufmerksamkeit, um sie mit einem Treffer an der linken Schläfe zu Boden zu schicken. Sofort ging er wieder auf Abstand.

„Entschuldigung, Celenia!“

Geschmeidig kam die Frau wieder auf die Beine. Dabei sagte sie gereizt: „Sie müssen lernen sofort nachzusetzen, Christian. Das hier ist nicht das Training für einen Sportwettkampf, sondern hier sollen Sie lernen, wie man einen Gegner ausschaltet. Sie müssen lernen, einen Vorteil zu nutzen.“

„Verdammt, ich will Ihnen nicht weh tun, Celenia.“

„Passen Sie lieber auf, dass Ihnen nicht weh getan wird, Christian.“ Damit griff sie schnell wieder an und Christian hatte seine liebe Not, keinen erneuten Treffer einzustecken. Sie belauerten sich für eine Weile. Dann übernahm er die Initiative.

Zwei Attacken konnte Celenia ausweichen. Bei der Dritten bekam Christian Zugriff. Er warf die Latina rücklings auf die Matte und saß im nächsten Moment auf ihrem Bauch. Dabei ihre Handgelenke festhaltend und auf den Boden drückend. „War es das, was Sie damit meinten, ich solle meinen Vorteil nutzen?“

„Ja“, gab die Frau zurück. „Aber jetzt lassen Sie mich bitte wieder los.“

Sich für einen Moment über den unsteten Blick wundernd grinste Christian, ohne ihrer Aufforderung Folge zu leisten. Stattdessen beugte er sich ganz nah zu ihr hinunter und raunte lächelnd: „Aber dann würde ich doch meinen Vorteil aufgeben.“

„Steigen Sie runter von mir und lassen Sie mich los!“, schrie die Latina ihn mit überkippender Stimme an.

Erschrocken gab Christian sie frei. Sich schnell vom Boden erhebend löste er an beiden Händen den Schutz den er trug und nahm danach den Kopfschutz ab.

Celenia Munzon tat dasselbe, wobei sie ihn mit funkelnden Augen ansah. Die Sachen wütend in die Ecke der Sporthalle werfend, schritt sie auf ihn zu.

„Celenia, was ist denn…“

Weiter kam er nicht, denn einen Moment später klatschte es scharf und seine linke Wange begann, wie Feuer zu brennen. Celenia Munzon hatte ihm eine schallende Ohrfeige gegeben. Ihn einen Moment lang fast erschrocken, aber auch immer noch wütend, ansehend wandte sie sich gleich darauf ab und lief in Richtung der Damenduschen davon.

Wie vom Donner gerührt stand Christian da, bevor er die Sachen, die Munzon so wütend in die Ecke gefeuert hatte, aufsammelte und danach die Duschen für Männer aufsuchte. Dabei versuchte er zu verstehen, was da eben passiert war.
 

* * *
 

Als Christian geduscht und sich umgezogen hatte, fand er Munzon im Trainingsraum, auf einer der Bänke sitzend vor. Vorgebeugt hatte sie die Ellenbogen auf ihre Oberschenkel gelegt und starrte vor sich ins Leere. Sie trug wieder ihre Dienstuniform.

Sich vorsichtig der Bank nähernd setzte sich Christian, mit etwas Abstand, neben die Latina und sah sie von der Seite an. Nach einigen Augenblicken fasste er sich ein Herz und fragte leise: „Was ist passiert, Celenia?“

Die Latina sah ihn an. Die Wut war aus ihrem Blick gewichen. Dafür lag eine gewisse Bitterkeit in ihren dunklen Augen. Sie sagte nichts und starrte wieder vor sich hin.

Christian drängte sie nicht, sondern erklärte seinerseits: „Wissen Sie, Celenia, meine Freundin stammt aus Smallville. Wir lernten uns kennen, als drei Gangster versuchten, sie in eine abgelegene Gießerei zu zerren und zu vergewaltigen. Damals kam ich gerade noch rechtzeitig um das Schlimmste zu verhindern.“

„Ihre Freundin hatte mehr Glück, als ich“, erwiderte Munzon tonlos, weiter zu Boden starrend. „Es passierte als ich sechzehn war. In der Schule. Sie waren zu zweit und haben später bestritten, mit mir zusammen gewesen zu sein. Niemand hat damals meine Version der Geschichte geglaubt, weil sich diese Schweine gegenseitig ein Alibi gegeben haben. Sie stammten aus gutem Hause und ich war die Latina, deren Eltern, aus ärmlichen Verhältnissen stammend, von Venezuela hierher immigrierten. Ich ging, unter anderem, zur Polizei um solchen Mistkerlen das Handwerk zu legen.“

Für eine Weile blieb es still zwischen ihnen, bevor Christian leise sagte: „Jetzt verstehe ich ihre Reaktion von eben und ich bin Ihnen nicht böse deswegen. Ich weiß, wie es Alicia ging, nach der Attacke im letzten Frühjahr. Wenn ich eine Ahnung gehabt hätte, dann hätte ich Sie nie auf dem Boden festgehalten. Ich gehöre nicht zu diesen Mistkerlen, auf die Sie es abgesehen haben, Celenia. Obwohl ich aus gutem Haus stamme.“

Die Latina sah nach einer Weile zu Christian auf. Sein vorhin so unbekümmert wirkendes Gesicht wirkte plötzlich härter und irgendwie erwachsener. In seine blauen Augen sehend, murmelte Munzon betrübt: „Ich wollte Sie nicht beleidigen, Christian und ich wollte Sie nicht schlagen. Es tut mir leid.“

„Vergessen wir das“, schlug Christian vor. „Was steht für heute sonst noch auf dem Plan, den Ihnen Sawyer vorhin gegeben hat?“

„Nochmal Schießtraining.“

Christian grinste schief. „Das werden wir schwänzen und dafür lieber in die Stadt fahren, um bei einem Kaffee etwas miteinander zu reden. Wenn Sie möchten, heißt das. Immerhin werden wir in den nächsten Wochen einige Zeit miteinander verbringen. Aber dieses Mal fahre ich vorne mit.“

Ein aufmunterndes Zwinkern nahm seinen letzten Worten die Spitze. Zaghaft lächelnd erhob sich Munzon von der Bank, als auch Christian sich erhob. Spontan reichte sie ihm die Hand und fragte: „Dann sind Sie also wirklich nicht sauer auf mich?“

Christian drückte die Hand sanft und erwiderte beruhigend: „Ich bin nicht sauer. Aber jetzt kommen Sie, damit Sawyer uns nicht dabei erwischt, wenn wir uns verkrümeln.“

Nachrichten aus La Roche-Guyon


 

3.
 

NACHRICHTEN AUS LA ROCHE-GUYON
 

Über zwei Stunden lang hatten Christian und Celenia Munzon miteinander verbracht. Sie hatten lange und sehr vertraulich miteinander gesprochen und am Ende gemerkt, dass sie einander sehr gut verstanden. Im Anschluss hatte sich Christian von Celenia Munzon zu seinem geparkten Wagen fahren lassen. Die Latina wollte sich fast ausschütten, vor Lachen, als Christian ein Ticket wegen Falschparkens hinter dem Scheibenwischer auf der Fahrerseite hervorgezogen und ihn anklagend in ihre Richtung gehalten hatte.

Als Christian endlich auf sein Anwesen fuhr, da rannte ein seltsam großer, weißer Hund einfach mit auf das Gelände und wartete, bis Christian ausgestiegen war. Erst dann trottete das Tier treuherzig auf den Blonden zu.

Christian sah das Tier verwirrt an. Erst nach einem langen Moment begriff er, was, oder besser wen er vor sich hatte. Er kniete sich ab und fragte: „White-Wolf?“

Der, wie ein weißer Hund aussehende, Gestaltwandler scharrte einmal mit dem Vorderfuß und Christian deutete auf einige Büsche, hinter denen sie in Deckung gingen. Er hatte im letzten Sommer zwar die Menschen kennengelernt, die sich hinter ihren Decknamen verbargen, doch er war der Ansicht gewesen, dass White-Wolf einer der Männer ist. Zu seiner großen Überraschung verwandelte sich das Tier in eine splitternackte, weißblonde Frau. Sie zog sich etwas hinter den Busch zurück, und Christian war taktvoll genug, ihr direkt in die grün-grauen Augen zu sehen, als er fragte: „Was machst du hier?“

„Wir müssen reden, Shifter. Aber nicht nackt und im Gebüsch. Ich werde in einer halben Stunde wieder hier erscheinen. In meiner menschlichen Gestalt. Geh nirgendwo hin in der Zwischenzeit. Es wäre vielleicht lebensgefährlich.“

Bevor Christian etwas erwidern konnte, hatte sich die Frau bereits schon wieder in den weißen Wolf verwandelt, den man leicht mit einem Hund verwechseln konnte. Im nächsten Moment sprintete das Tier durch das noch geöffnete Tor, hinaus auf die Straße.

Die mysteriöse Erscheinung brachte Christian ins Grübeln. Im letzten Sommer hatte er in dem kleinen französischen Künstler-Dorf La Roche-Guyon die aktuellen Mitglieder der JUSTICE SOCIETY of EUROPE kennengelernt. Bei der JSE handelte es sich um eine Geheim-Gesellschaft, die sich dem Kampf gegen das Unrecht verschrieben hatte. Allerdings stand diese Gesellschaft außerhalb des Systems und musste von daher im Geheimen agieren. Wenn nun ein Mitglied dieser Gesellschaft bei ihm auftauchte, so war sicherlich auch sprichwörtlich etwas im Busch und Christian fragte sich nun, was das sein konnte.

Ich werde es in einer halben Stunde erfahren, dachte er, als er den Tür-Code eingab, seine Hand auf den Scanner legte und die Villa betrat. Das Haus schien leer zu sein. Erst als Christian den großen Salon betrat fand er dort Diane Bennings vor.

Als die Frau Christian erkannte sprach sie ihn an: „Ihre Ex-Freundin hat sich nach Down-Town fahren lassen, Christian. Der Rest ist noch unterwegs.“

„Sehr gut, Diane.“ Er räusperte sich, als die Frau ein verstehendes Grinsen aufsetzte und fügte schnell hinzu: „Ich erwarte nämlich eine Bekannte, die ich lange nicht mehr gesehen habe. Alicia und ich haben die Dame, letztes Jahr, in Frankreich kennengelernt.“

„Aha“, machte Diane Bennings. „Ich wollte eigentlich für eine Stunde weg. Doch ich kann das notfalls verschieben, falls Sie mich brauchen sollten.“

„Nein, nicht nötig“, lächelte der Junge. „Ich komme schon zurecht. Zumindest diese Dame wird auch nicht sehr lange bleiben.“

„Dann wünsche ich Ihnen einen angenehmen Nachmittag.“

Christian beobachtete Diane Bennings beim Verlassen des Hauses und atmete dann erleichtert auf. „Endlich für einige Minuten lang Ruhe.“

Er schritt zu einem der Bücherregale, entnahm ein Buch, dass er vor einigen Tagen angefangen hatte zu lesen und machte es sich in einem der Lesesessel bequem.

Als es an der Tür klingelte war der Junge so sehr in das Buch versunken, dass er fast aufschreckte. Das musste White-Wolf sein.

Kommt auch nicht so oft vor, dass ich selbst die Tür öffne, dachte Christian ironisch, als er die Eingangshalle durchquerte. Vor der Tür stand, wie erwartet, die Frau, die er vorhin im Gebüsch gesehen hatte. Jetzt, in ein luftiges Sommerkleid gehüllt und frisiert, hätte er sie fast nicht wiedererkannt.

„Hallo, komm doch rein.“

Christian schloss die Tür hinter der schlanken, hochgewachsenen Frau. Ihre Gesichtszüge wirkten eurasisch. Sie in den kleinen Salon bittend meinte er neugierig: „Ich habe damals, in La Roche-Guyon, ganz vergessen zu fragen, wie du heißt. Kann ich dir vielleicht etwas zu trinken anbieten, oder sonst etwas?“

„Nein, danke“, lehnte die Frau ab und sah Christian unruhig an. „Mein Vorname ist Narin. Mehr zu sagen ist momentan nicht notwendig. Viel wichtiger ist die Nachricht für dich. Es gibt verstärkt Hinweise darauf, dass in das Attentat, bei dem deine Mutter starb, noch ein Attentäter involviert war. Einer, der den deutschen Behörden entgangen ist.“

Christian, der Narin einen Platz anbot, sah sie nun entsetzt an. „Bist du sicher?“

Narin nickte knapp und warf ihr langes Haar zurück. „Zero hatte bereits die Spur der Person aufgenommen, sie aber am Flughafen Paris-Orly verloren. Wir konnten ihre Identität nicht ermitteln, aber wir wissen immerhin, dass es sich um eine Frau handelt. Sie soll noch ziemlich jung sein. Wie sie zu den anderen Attentätern steht, ist ebenfalls nicht bekannt.“

Sie schritten gemeinsam zur gemütlichen Sitzecke hinüber und nahmen Platz. Christian legte nach und erkundigte sich: „Was ist über diese Person bekannt?“

„Leider sehr wenig“, gab Narin zu. „Es heißt aber, dass sie der südländische Typ sein soll. Etwa 1,60 bis 1,70 Meter groß, frauliche Figur und hübsch. Sie soll Spanierin sein. Hierzulande könnte sie sich aber perfekt als Latina ausgeben.“

Bei der Beschreibung kam Christian ein furchtbarer Verdacht. Doch konnte das wirklich sein? Konnte es sein, dass er sich in Celenia so sehr getäuscht hatte. Dann jedoch fiel ihm ein, wie sie Kontakt zu ihm aufgenommen hatte. Vielleicht ging es ihr dabei nur darum, sein Vertrauen zu gewinnen? Er war die Schlüsselfigur, die sie direkt zu seiner Familie führen würde, falls sich sein Verdacht bewahrheitete.

Christian versuchte sich damit zu beruhigen, dass er bereits in der Zukunft geweilt hatte. Dort war alles in Ordnung gewesen. Doch das bedeutete vermutlich nicht, dass diese Zukunft eintrat, falls er in der Gegenwart allzu sorglos wurde.

Narin, die Christian auf etwa Mitte Zwanzig schätzte, schien seinen Zustand bemerkt zu haben, denn sie erkundigte sich, mit ernster Miene: „Was hast du?“

Christian zögerte damit, Narin von seinem Verdacht zu erzählen. „Ich weiß nicht. Es könnte vielleicht sein, dass ich der fraglichen Person bereits begegnet bin. Heute Morgen erst. Die Beschreibung von dir passt zumindest. Doch sie ist Polizistin und das passt irgendwie nicht zusammen.

„Vielleicht ist sie ja gar nicht die echte Polizistin“, warf Narin überraschend ein. „Es wäre immerhin möglich, dass es sich um eine Doppelgängerin handelt, die ihren Platz eingenommen hat. Wie habt ihr euch kennengelernt?“

Christian berichtete von seinem Erlebnis am Morgen und Narin hörte schweigend zu. Als er endete, meinte sie: „Es gibt hier zumindest Verdachtsmomente. Allein die seltsame Verhaftung macht mich misstrauisch.“

„Ich weiß nicht“, widersprach der Blonde. „Als wir uns unterhielten und sie darüber sprach, dass sie an der Schule missbraucht wurde, da wirkte ihre Trauer wirklich echt.“

„He, wach auf, mein Junge!“, warnte Narin ihn eindringlich. „Glaubst du, eine Terroristin, die Leute ermordet, würde es nicht fertigbringen auf Kommando zu weinen?“

Christian blieb die Antwort schuldig. Mit verändertem Tonfall hakte Narin ein: „Was ist eigentlich mit diesem Clark Kent? Stehst du noch mit ihm in Kontakt? Vielleicht kann er dir helfen, in dieser Angelegenheit?“

Christian lächelte schwach. „Wir stehen noch in Kontakt, aber momentan wäre er nur eine weitere Zielscheibe. Er hat nämlich seine Kräfte nicht mehr.“

„Bist du sicher?“

„Absolut!“

Narin machte ein sorgenvolles Gesicht. „So ein Mist. Wir hatten darauf gehofft, dass Clark dich beschützen kann. Warum hast du die JSE nicht informiert?“

Christian wand sich etwas, bei dem strengen Blick der Frau. „Na ja, ich dachte, das wäre nicht so wichtig.“

„Falsch gedacht“, beschied ihm Narin. „In Bezug auf Clark ist Alles wichtig. Hätte Laurin das geahnt, dann wäre nicht nur ich hergekommen. Doch so sind nun leider alle anderen Mitglieder der JSE auf Missionen.“

Christian sah Narin nachdenklich an. „Durchdenken wir das Ganze mal. Wenn Celenia wirklich die Terroristin wäre, dann hätte sie heute Morgen bereits ein halbes Dutzend Gelegenheiten gehabt, mich zu erledigen. Hat sie aber nicht. Das bedeutet, entweder ist sie es nicht, oder aber sie will vorher etwas von mir. Wenn das stimmt so würde das bedeutet, dass ich nicht Gefahr laufe, hinterrücks von ihr erschossen zu werden. Was mir wiederum die Gelegenheit geben wird, sie mit meinen eigenen Kräften zu entwaffnen und zu überwältigen, falls das notwendig sein sollte.“

„Das ist aber ein ziemlich großes Wenn, findest du nicht?

Christian machte eine vage Geste. „Natürlich ist es ein Risiko. Doch wenn Celenia es ist, so will sie etwas von mir. Ansonsten hätte sie mich bereits heute Morgen erledigt. Wir waren unbeobachtet auf dem Schießstand. Sie hätte es als Unfall hinstellen können.“

Narin erhob sich geschmeidig und Christian war sich in diesem Moment sicher, dass sie regelmäßig Sport trieb. „Ich werde in der Nähe bleiben, Shifter.

Christian, der Narins Beispiel folgte, brachte sie zur Tür. Dort nahm ihn die Frau bei den Schultern und legte sacht ihre Wange an seine und flüsterte: „Pass auf dich auf.“

Damit ging sie und Christian sah ihr mit ernster Miene hinterher. Auf dem Weg zum Arbeitszimmer fiel ihm etwas ein. Clark konnte ihn vielleicht nicht mehr beschützen, aber vielleicht wusste er etwas über Zeitreisen.

Im Arbeitsraum angekommen setzte er sich an seinen Schreibtisch, nahm sein, gegen Abhören gesichertes Handy und drückte die Kurzwahl für Clarks Gerät. Es dauerte nur ein paar Sekunden bis die Verbindung zustande kam.

„Hi, Clark“, begrüßte Christian den Freund knapp, nachdem er sich gemeldet hatte. „Ich muss dir eine seltsame Frage stellen. Und zwar: Was weißt du über Zeitreisen in die Zukunft? Weißt du überhaupt etwas darüber?“

Es dauerte einen langen Moment, bis Clark erwiderte. „Nicht sehr viel, fürchte ich. Was ich, aufgrund einiger Lektionen meines Vaters weiß ist, dass Zeitreisen in beide Richtungen möglich sind. Bei einer Reise in die Zukunft siehst du aber immer nur eine mögliche Zukunft, keine feststehende Zukunft.“

Christian schluckte und fragte dann ahnungsvoll: „Das heißt also, diese Zukunft, die ich sehen würde, könnte eintreten – muss es aber nicht. Wenn ich bei einer Reise in meine Zukunft sehen würde, dass ich zwei Töchter habe, so könnten es in Wirklichkeit auch drei Söhne werden? Oder aber ich erlebe diesen Moment gar nicht, weil ich vorher sterbe?“

„Vereinfacht ausgedrückt, aber richtig, Chris“, gab Clark, am anderen Ende der Verbindung zurück. „Aber warum fragst du mich das Alles?“

„Nicht jetzt, Clark. Das erkläre ich dir später. Jetzt muss ich erst einmal einige sehr wichtige Dinge klären. Oh, und grüß Lana von mir. Chloe sagte mir, vor einigen Tagen, ihr Zwei seid jetzt endlich zusammen?“

Ein leises zufrieden klingendes Lachen war die Antwort. „Ja, endlich kann ich mit Lana zusammen sein, so wie ich es mir immer gewünscht habe.“

„Dann wünsche ich euch beiden alle Gute. Wir sehen uns.“

Als Christian die Verbindung unterbrach setzte er sich auf die Platte des Schreibtisches, vor dem er stehen geblieben war. Wenn Clark Recht hatte, dann war nichts von dem, was er kürzlich in der Zukunft erlebt hatte, wirklich sicher. Nicht einmal, dass er das Jahr 2030 erleben würde. Ein Gefühl von Verzweiflung machte sich in ihm breit.

Neuigkeiten


 

4.
 

NEUIGKEITEN
 

Als Christian am nächsten Morgen aufwachte, galt sein erster Gedanke Alicia. Sie hatte die Nacht in ihrem eigenen Zimmer verbracht, das sie in der Villa bewohnte. Die gestrige Versicherung, sie sei nicht sauer, konnte er also getrost streichen. Sie war sauer.

Dann war da das seltsame Verhalten von Leonie. Was genau bezweckte sie tatsächlich, mit ihrem plötzlichen Besuch, bei ihm?

Und zu guter Letzt war da diese junge Polizistin, die er auf so ungestüme Art und Weise kennengelernt hatte. Konnte sie wirklich eine eiskalte Mörderin sein? Er bezweifelte das, aber vielleicht war es angebracht vorsichtig zu sein. Wenn er sie nachher sah, so würde er sie aufmerksam unter Beobachtung behalten, nahm er sich vor.

Nach einer Weile hielt Christian es nicht länger im Bett aus, obwohl es noch vor 07:00 Uhr sein musste. Er suchte das Bad auf, duschte ausgiebig und kleidete sich an, nachdem er seine restliche Morgentoilette beendet hatte.

Als der Junge das Wohnzimmer betrat traf er dort, zu seiner gelinden Überraschung, seine Tante Christina vor. Sie sah etwas blass aus und Christian erinnerte sich daran, dass sein Vater gestern einen etwas besorgten Eindruck gemacht hatte. Als sie ihn bemerkte, sah sie zu ihm auf, dabei die Teetasse, die sie in ihren Händen hielt, nervös hin und her bewegend.

„Guten Morgen“, grüßte Christian und kam zu ihr. Deutlicher, als eben noch, spürte er die Nervosität der Frau und mit fragendem Blick nahm er ihr gegenüber Platz.

Christina erwiderte den Morgengruß leise. Sie sah ihren Neffen lange an, bevor sie tief durchatmete und meinte: „Ich möchte mit dir reden, Christian. Wie du reagiert hast, im letzten Sommer, als du von dem Zusammensein von deinem Vater und mir erfahren hast, das fand ich großartig. Doch jetzt…“

Christian verstand im ersten Moment nicht, worauf Christina hinaus wollte. Doch dann drängten sich die Erinnerungen an die Zukunft unaufhaltsam in seine Überlegungen. Dort, im Jahr 2030, hatte er das Foto einer blonden, jungen Frau auf seinem Schreibtisch stehen gehabt. Von seiner kleinen Schwester, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht geboren war. Auf dem Foto hatte sie ausgesehen, wie Anfang Zwanzig. Er hatte ganz selbstverständlich angenommen, dass die Geburt noch Jahre in der Zukunft liegen würde. Doch jetzt erkannte er seinen Denkfehler. Das Bild konnte Jahre alt gewesen sein. Danach hatte er Diane Bennings, die Diane Bennings in der Zukunft, nicht gefragt. Und nach dem, was Clark ihm gestern gesagt hatte, konnte vielleicht ohnehin Alles ganz anders kommen.

Sich leicht im Sessel vor beugend sah Christian seiner Tante direkt in die Augen. Einmal mehr stellte er dabei fest, wie ähnlich sie seiner Mutter war. „Ich denke, ich sollte damit aufhören, dich Tante zu nennen. Das scheint mir nicht mehr angemessen. Ich habe die Anzeichen bemerkt, in den letzten Tagen. Dein Unwohlsein am Morgen. Papas besorgte Blicke; jedesmal, wenn du im Bad verschwindest. Du bist schwanger, habe ich Recht?“

Mit wachsendem Erstaunen, aber nun auch gleichfalls unangenehm berührt, sah Christina Wienholt-Langenhagen ihren Neffen, am Ende beinahe schon panisch an.

Christian lächelte beruhigend, froh darüber, einige Informationen zu besitzen, die er unter normalen Umständen nicht gehabt hätte. „Ich freue mich für euch Zwei. Wenn deine größte Sorge die war, dass ich etwas dagegen haben könnte, dann kann ich dich beruhigen.“

Gerührt sah Christina ihren Neffen an. Leise sagte sie: „Bitte setz dich für einen Moment zu mir her, auf die Couch.“

Christian folgte der Aufforderung und Christina schloss Christian in die Arme, als er neben ihr saß. Den Kopf an seine Schulter lehnend, flüsterte sie: „Meine Schwester hat so einen tollen Sohn groß gezogen.“

Einen Moment später begannen die Schultern der Frau zu zucken und Christian legte beruhigend seinen Arm um sie. „He, du darfst dich nicht aufregen. Du weißt, dass ich dich schon als kleiner Junge sehr gerne hatte und das wird sich nie ändern. Aber ich werde dich nicht Mama und auch nicht Mutter nennen, egal was passiert.“

Sich gegen Christian lehnend sagte die Frau nach einer ganzen Weile: „Ich bin so ungeheuer erleichtert, dieses Gespräch hinter mir zu haben. Dein Vater und ich waren uns nicht sicher, wie du reagieren wirst. Du warst so lange Einzelkind, dass…“

„Ein Einzelkind, dass sich immer eine kleine Schwester gewünscht hat“, beendete Christian den angefangenen Satz. „Vielleicht wird es ja was. Wenn es wirklich ein Mädchen wird, dann müsst ihr es Thora nennen. Unbedingt.“

Christina Wienholt-Langenhagen hob ihren Kopf von der Schulter ihres Neffen und sah ihn, etwas erstaunt an. „Hey, der Name ist wirklich großartig. Wie ist dir der denn so spontan eingefallen?“

„Ich habe den Namen erst kürzlich gehört“, erwiderte Christian wahrheitsgemäß. Auch wenn dieses Kürzlich im Jahr 2030 gelegen hatte. Damit stand er auf und besorgte ein paar Kleenex für Christina.

Als sich Christian wieder zu ihr gesetzt hatte, nahm die Frau spontan seine Hände in ihre und sagte ergriffen: „Du hast eine ziemliche Entwicklung durchgemacht, seit du hier in Amerika lebst. Eine sehr positive Entwicklung. Ich bin mir sicher, dass Alicia daran einen nicht ganz unbeträchtlichen Anteil hat. Sie hat einen guten Einfluss auf dich.“

Christian erwiderte leicht den Händedruck seiner Tante. Er spürte, dass ihr noch etwas Anderes auf der Seele lag und er ahnte, was es war. Darum fragte er seinerseits: „In welchem Monat befindest du dich?“

„Mitte des zweiten Monats.“

Christian lächelte fein. „Dann bleibt dir und Paps nicht mehr lange Zeit. Ich meine, um zu heiraten, bevor man etwas sieht und dir ein schickes Hochzeitskleid nicht mehr passt. Ich hoffe, die Einladung trudelt rechtzeitig genug ein, damit noch Zeit bleibt, um mit Alicia in Metropolis ein schickes Kleid für sie auszusuchen.“

Erleichterung zeichnete sich auf den Zügen der Frau ab. Aber Christian erkannte, dass es immer noch einen Schatten in ihrem Blick gab und darum erkundigte er sich vorsichtig: „Da scheint es aber noch etwas zu geben, weswegen du mit mir reden wolltest?“

Christina Wienholt-Langenhagen nickte und es schien ihr etwas peinlich zu sein darüber zu sprechen. Dann sagte sie beherzt: „Nun, bisher warst du der Alleinerbe deines Vaters. Das wird sich ändern, wenn wir ein Kind bekommen.“

Christian nickte hintergründig. „Ja, deswegen muss ich ein ernstes Wort mit Paps reden. Bevor ihr Zwei wieder nach Deutschland fliegt. Denn ich möchte, dass er eine signifikante Änderung an seinem Testament aufnimmt.“

Christian blickte in die erschrockene Miene seiner Tante und erklärte schnell: „Wegen des Erbes von Tante Annette bin ich jetzt schon so reich, wie Onkel Dagobert. Da wäre es unangemessen, wenn er mir auch noch die Hälfte seines Vermögens und des Unternehmens vererben würde. Ich werde, nach dem Studium, genug mit meinem Unternehmen zu tun haben, und auch genug damit verdienen. Da bliebe gar keine Zeit, sich um ein zweites Unternehmen zu kümmern. Aber selbst dann, wenn Tante Annettes Erbe mir nicht zugefallen wäre, so würde ich, mit der Hälfte des Erbes, immer noch mehr besitzen, als 99,9 Prozent aller anderen Menschen auf dieser Welt. Wenn das wirklich deine große Sorge war, so kann ich dich beruhigen. Nein, ich meinte: Ich will mit Paps reden, dass er sein Testament dahingehend ändert, dass er mir auf gar keinen Fall die Hälfte seines Unternehmens vermacht und auch keine größere Geldsumme, oder einen Teil seiner sonstigen Anlagen. Lediglich einige persönliche Gegenstände.“

Zuerst ungläubig, dann sehr stolz sah Christina den Jungen an. Etwas fester seine Hände drückend erwiderte sie ergriffen: „In Momenten, wie diesen erinnerst du mich so sehr an Andrea. Du besitzt dieselbe Bescheidenheit und dieselbe Großzügigkeit, wie sie. Ich werde sie dir nicht ersetzen können. Niemand könnte das. Aber ich hoffe zumindest, dass ich deinem Vater eine gute Frau sein kann und eine annähernd so gute Mutter für das Kind, wie es meine Schwester für dich war.“

Christian nickte und sagte zuversichtlich: „Das wirst du ganz bestimmt. Du bist Mom in so vielen Dingen ziemlich ähnlich. Ich bin froh, dass Paps dich hat. Und du ihn.“

Christina Wienholt-Langenhagen umarmte ihren Neffen spontan und drückte ihn sanft, bis im Hintergrund eine sonore Stimme aufklang. „He, junger Mann. Das ist meine Freundin, mit der du da herummachst.“

Christina loslassend sah der Junge in das feixende Gesicht seines Vaters. „Ich werde sie dir nicht streitig machen Paps. Für Kinder bin ich nämlich noch nicht bereit.“

Gernot von Falkenhayn sah von ihm zu Christina. „Ihr habt also miteinander gesprochen. Wie mir scheint, war es ein gutes Gespräch?“

„Das war es“, bestätigte die Frau und reichte mit einer Hand über die Lehne der Couch nach oben. Der Mann ergriff sie und hielt sie in seiner.

Seinen Sohn ernst ansehend meinte Gernot von Falkenhayn: „Okay, du weiß es jetzt. Ich wäre dir aber verbunden, wenn du es für dich behalten würdest. Ausgenommen Alicia, die darfst du einweihen. Aber sorge bitte dafür, dass auch sie dichthält. Wir möchten es allen Anderen nämlich selbst sagen.“

Christian nickte in Richtung seines Vaters und erhob sich von der Couch. Schmunzelnd erklärte er: „Ich werde mich dann mal dezent zurückziehen. Ich hatte heute Morgen noch keinen Kaffee und ich schätze ich werde einen brauchen. Im Dezernat steht heute Theorie auf dem Programm. Thema: Deeskalation.“
 

* * *
 

Mit der zweiten Tasse Kaffee begab sich Christian in sein Arbeitszimmer. Er hatte noch Zeit, bevor er zum Polizeirevier aufbrechen musste. Also hatte er sich vorgenommen, ein Telefonat mit Fynn Everett Specter zu führen. Er hatte vor, einen Teil seines momentanen Barvermögens, von immerhin 12 Milliarden Dollar, in Falken-Industries Aktien zu stecken. Ein weiteres Prozent des florierenden Unternehmens zu besitzen konnte nicht schaden. Fynn Specter würde wissen, wann und wie man in dieser Hinsicht verfahren musste.

Christian hatte gerade das Gespräch beendet und sein Handy weggesteckt, als es leise an der geöffneten Tür klopfte. Alicia stand dort, in ein buntes Sommerkleid gekleidet und sah ihn fragend an.

„Störe ich, oder hast du einen Moment Zeit?“

Ein zufriedenes Lächeln aufsetzend erwiderte Christian: „Du störst mich nie.“

Damit erhob sich Christian und kam Alicia entgegen, als sie eintrat, um sie in die Arme zu nehmen. Er küsste sie und Alicia erwiderte seinen Kuss leidenschaftlich. Erst nach einer geraumen Weile löste er sich von seiner Freundin und sah in ihre, fast schwarzen Augen. Dabei sagte er raunend: „Ich liebe dich, Alicia. Dich und keine Andere.“

„So, so“, erwiderte Alicia mit hochgezogenen Augenbrauen. „Deine Laune scheint ja beängstigend gut zu sein, heute Morgen. Sind die Aktienkurse durch die Decke geschossen?“

Christian sah seine Freundin erheitert an. „Nein, es ist etwas familiäres. Paps und Christina erwarten Nachwuchs. Aber bitte behalte das für dich, okay?“

„Wow. Hey, so eine Meldung schießt man doch nicht einfach trocken, aus der Hüfte ab. So ganz ohne Vorwarnung.“

Christian lachte vergnügt. „Weißt du, als kleiner Junge wollte ich immer eine kleine Schwester haben. Aber daraus wurde nie was. Vielleicht klappt es ja jetzt endlich.“

Glaubst du, dein Vater und Christina wären sauer, wenn sie wüssten, dass du mir das anvertraut hast“, erkundigte sich Alicia.

„Nein. Paps und Christina haben mir ihr Okay gegeben, dich einzuweihen. Vorausgesetzt, dass du dichthältst. Die Beiden sehen dich als Teil der Familie an.“

Sie küssten sich erneut, bis sie Schritte hörten, die sich zu nähern schienen. Sich immer noch umarmend sahen die beiden Teenager zum Eingang des Arbeitszimmers, an dem gleich darauf Leonie Kaiser auftauchte.

Mit erfreuter Miene meinte das blonde Mädchen: „Ah, da bist du ja. Ich wollte dich fragen, ob wir zwei heute Abend miteinander essen gehen?“

Während Alicia die Stirn runzelte, seufzte Christian entsagungsvoll und entgegnete: „Hör zu, Leonie, ich halte es für keine gute Idee, dass wir zwei…“

„Wer redet denn mit dir?“

Das Mienenspiel von Christian und Alicia wechselte deutlich, während Leonie sich nun direkt an das Mädchen wandte: „Ich würde sehr gerne mit dir essen gehen, Alicia. Wir könnten uns einmal ganz in Ruhe unterhalten, ohne den ganzen Trubel im Haus.“

Mit einem kurzen Seitenblick zu Christian antwortete Alicia freundlich: „Ja gerne. Wann treffen wir uns?“

Leonie machte ein zufriedenes Gesicht. „Am einfachsten wäre es, wenn wir beide, gegen neunzehn Uhr, direkt gemeinsam von hier losfahren würden. Du stellst uns doch die Limousine zur Verfügung, Christian?“

Der Junge nickte stumm.

„Okay, Alicia, dann ist das abgemacht. Ich freue mich schon auf heute Abend.“ Damit wirbelte Leonie auf dem Absatz herum und war im nächsten Moment wieder verschwunden.

Erst jetzt schien Christian zu begreifen, was eben passiert war. Unwillig starrte er Alicia an und fragte: „Wie konntest du nur zustimmen?“

„Ach“, machte Alicia. „Du meinst, so wie du zustimmen konntest, als sie dich darum bat, hier zu wohnen? Hey, es tauschen sich heute Abend doch nur zwei Mädchen miteinander aus, mit denen du geschlafen hast. Das sollte kein Problem für dich sein.“

Christian entging nicht der ironische Unterton und etwas verstimmt entgegnete er: „He, das ist nicht komisch, Alicia.“

Alicia sah Christian bestimmt an. „Hätte ich die Einladung etwa ausschlagen sollen? Das hätte mich unsicher erscheinen lassen und das bin ich nicht. Finde dich also damit ab, mein Freund. So, und jetzt werde ich meine Handtasche holen. Samantha will mit mir in Metropolis shoppen gehen.“

Damit rauschte Alicia hinaus und Christian folgte ihr auf dem Fuß. Im Wohnzimmer traf er auf Samantha, die bereits bereit war, nach Down-Town aufzubrechen.

„Guten Morgen, Chris“, begrüßte ihn Samantha lächelnd. „Sag mal: Was hatten denn Alicia, Leonie und du eben zu besprechen? Leonie wirkte seltsam beschwingt.“

Christian deutete mit dem Daumen über die Schulter und sagte besorgt: „Sie und Alicia wollen heute Abend miteinander essen gehen, in Metropolis. Allein.“

Samantha grinste breit. „Oh je. Deine Ex-Freundin tauscht sich, heute Abend, mit deiner jetzigen Freundin aus. Na, das kann ja was werden.“

Christian stöhnte gequält auf. „Ich weiß, dass es ein Fehler war, Leonie hier wohnen zu lassen, Samantha. Ich würde ihn ja auch ungeschehen machen, wenn ich das könnte. Aber das kann ich nicht. Nicht mehr. Das Ganze kommt mir langsam vor, wie ein Albtraum, der partout kein Ende finden will.“

Samantha lachte vergnügt. „Hey, komm wieder runter. Ich kenne Alicia wirklich lange genug und deshalb weiß ich, dass eure Geheimnisse bei ihr sicher sind.“

„Ich weiß“, erwiderte Christian. „Das ist auch nicht meine Sorge. Ich vertraue Alicia, aber meine Ex-Freundin ist manchmal ein wenig verrückt. Gelinde gesagt.“

„Alicia liebt dich“, flüsterte Samantha noch rasch, als ihre Freundin bereits die Treppe herunter kam.

Mit einem langen Blick zu Christian erkundigte sich Alicia bei ihrer Freundin: „Können wir los?“

Christian einen letzten, vielsagenden Blick zu werfend, wandte sich Samantha von ihm ab: „Ich bin schon lange soweit.“

Sie verließen das Haus und nachdenklich blickte Christian auf seine Armbanduhr. Auch für ihn wurde es langsam Zeit. Dabei dachte er: Deeskalation, wie passend.

Emotionen


 

5.
 

EMOTIONEN
 

„Das war zum Auswachsen“, beschwerte sich Christian bei seiner Begleiterin. „Ich komme mir vor, als hätte ich die ganze Nacht in einer Wanne voll Weichspüler gelegen. Vier Stunden das sanfte Getue. Bloß keinen Streit riskieren. Aber Sawyer ist schon klar, dass zu streiten der Inbegriff einer geschäftlichen Verhandlung ist? Seine Essenz sozusagen.“

Celenia Munzon lachte hell auf. „Jammern Sie nicht. Im Notfall können wir hinauf gehen, in den Trainingsraum. Wenn ich Sie erst einmal eine halbe Stunde lang verprügelt habe, dann werden Sie sich garantiert anders fühlen.“

„Napoleon soll mal gesagt haben: Ich wollte, es wäre Nacht und die Preußen kämen. Jetzt verstehe ich ein wenig, was ihn dazu bewogen hat.“ Überlegend sah Christian seine Begleiterin an und meinte dann ablehnend. „Nach Kampftraining steht mir im Moment nicht der Sinn. Bei der momentanen, drückenden Hitze draußen, wäre ein Schwimmtraining genau das Richtige, finden Sie nicht?“

„Das kann ich einrichten“, erwiderte Munzon überraschend. „Lieutenant Sawyer lässt mir etwas Spielraum und es würde sich, hoch offiziell, mit dem Trainingsplan in Einklang bringen lassen. Unweit des Reviers ist die Schwimmhalle, in der das Department seine Leute trainieren lässt. Wollen wir?“

„Aber so was von. Es sei denn, das Department würde keine Badesachen stellen, dann wäre es vielleicht doch zu peinlich.“

Celenia Munzon lachte kurz auf. „Das Department hat sicherlich ein Badehose in Ihrer Größe, Christian. Keine Sorge, wir haben Alles, was wir brauchen, vor Ort.“

Christian nickte zufrieden. Gleichzeitig fielen ihm die Warnungen von White-Wolf wieder ein und seine Miene bekam einen nachdenklichen Zug.

Celenia Munzon schien diese Veränderung bemerkt zu haben, denn sie erkundigte sich fast umgehend: „Was haben Sie plötzlich?“

„Oh, es ist Nichts“, wich Christian von Falkenhayn aus. „Eine private Angelegenheit.“

„Verstehe“, erwiderte Munzon leichthin und hakte nicht weiter nach.

Am Aufzug kam ihnen Maggie Sawyer entgegen. Aus den Augenwinkeln sah Christian, wie stehen blieb und sie beide kurz musterte.

Als sie im Aufzug nach unten fuhren, sagte Christian zu seiner Begleiterin: „Ich glaube, Ihr Lieutenant fragt sich, warum wir so gut miteinander auskommen. Ich glaube fast, sie hatte damit gerechnet, dass es zwischen uns richtig scheppern würde, nachdem sie uns zusammen gespannt hat.“

Die Latina nickte zustimmend. „Ich glaube es auch fast. Ob sie sehr enttäuscht sein wird, wenn wir am Ende als gute Freunde auseinander gehen?“

„Gute Freunde?“, spöttelte Christian augenzwinkernd. „Wir wollen es mal nicht gleich übertreiben, Officer Munzon.

Der Junge blickte Celenia Munzon todernst an, bis ihn ihre immer finsterer werdende Miene zum Lachen reizte. „Entschuldigen Sie, Celenia. Ich lache Sie nicht aus. Es ist nur so, dass ihre Miene eben wirklich goldig aussah.“

Der Blick der Frau blieb finster, als sie erwiderte: „Sie wissen, dass ich bewaffnet bin und notfalls von der Waffe Gebrauch machen darf?“

Christian hob leicht seine Hände. „Nur ein kleiner Spaß. Kein Grund gleich das Feuer zu eröffnen.“

„Das denken Sie.“

Sie verließen den Lift im Erdgeschoss, durchquerten die große Marmorhalle, mit dem im Boden eingelassenen Logo der Metropolis-Police und schritten zu Celenia Munzons Streifenwagen. Im Innern sah die Frau zu Christian, während er sich anschnallte. In ihrem Gesicht arbeitet es, bis sie schließlich herausplatzte: „Mit einer einfachen Streifenmaus, wie mir, befreundet zu sein ist offenbar unter Ihrer Würde?“

Vollkommen überrascht sah Christian zu Munzon und fragte perplex: „Wow, woher kommt denn das jetzt? Das eben, im Dezernat, war schlicht ein leichtherziger Scherz. Nicht mehr und nicht weniger. Ich war der Ansicht, wir würden uns mittlerweile gut genug dafür verstehen. War das ein Irrtum?“

Die finstere Miene der Frau entspannte sich deutlich und verlegen gab sie zurück: „Es tut mir leid, ich habe da wohl eben etwas überreizt reagiert.“

Christian nickte in Gedanken. „Dasselbe habe ich, vor über einem Jahr, bei meiner Freundin erlebt. Sie dachte auch, ich würde mich nicht mit ihr abgeben wollen, nur weil ich aus reichem Haus stamme. Manchmal glaube ich fast, dass Standesdünkel genau anders herum gepflegt werden. Was mich betrifft: Ich hege keine.“

Celenia Munzon erwiderte nichts darauf. Sie sah Christian nur an.

Der Junge schmunzelte unterdrückt und meinte dann: „Streifenmaus? Hey, das Wort gefällt mir. Darf ich…“

„Nein!“

Ein launiges Lachen war die Reaktion des Jungen. „In Ordnung. Aber ich finde das Wort trotzdem heiß.“

Sie fuhren los und waren knapp fünf Minuten später am Ziel. Auf dem Weg ins Innere des Gebäudes erkundigte sich Munzon, ohne auf die vorangegangene Unterhaltung einzugehen: „Können Sie gut schwimmen?“

„Wie ein Frosch. Aber für eine Teilnahme an Olympia reicht es bei Weitem nicht.“

Munzon sah ihn an und lachte dann: „Der Frosch und die Streifenmaus. Das Kinderbuch schreibt sich von selbst, würde ich sagen.“

„So eine Geschichte kenne ich nicht“, sinnierte Christian. „Dafür aber eine von einem kleinen Bär und einem kleinen Tiger und der Tiger hat eine Tiger-Ente. Eine Holzente auf Rädern, mit Streifen drauf. Die Geschichte heißt: Oh, wie schön ist Panama.“

„Mist“, knurrte Munzon finster. „Ich hatte mich schon auf die Tantiemen gefreut.“

Sie lachten sich an. Gemeinsam betraten sie den Vorraum, von dem aus es zu den beiden Umkleidebereichen ging. Dort kam ihnen eine Frau entgegen, die ebenfalls den Eindruck bei Christian hinterließ, aus Mittel- oder Südamerika zu stammen.

Die Frau rief Celenia Munzon etwas auf spanisch zu und blickte dabei vielsagend und irgendwie anzüglich zu Christian.

Bevor Munzon etwas erwidern konnte, erwiderte Christian in akzentfreiem Spanisch: „Nein, der Kleine ist nicht Munzons neuer Freund. Aber finden Sie wirklich, dass ich einen süßen Hintern habe?“

Die Durchblutung der Epidermis, im Gesicht der Frau, an die Christian seine Frage gerichtet hatte, steigerte sich deutlich.

Erstaunt sah Celenia Munzon von ihrer Kollegin zu Christian und fragte nach einem langen Moment: „Sie sprechen und verstehen Spanisch?“

„Neben Deutsch, Französisch, Englisch und Japanisch. Und noch etwas Latein.“

Etwas ungläubig, gerade als er Japanisch erwähnte, sah Munzon ihren Begleiter an und Christian fügte ernsthaft hinzu: „Kein Scherz.“

„Japanisch? Wirklich?“

Christian winkte ab. „Mit dem Lesen hapert es noch. Doch das Sprechen und das Verstehen funktioniert schon einigermaßen. Ich bin sehr interessiert an Fremdsprachen.“

„Darauf wäre ich jetzt gar nicht gekommen“, gab Munzon ironisch zurück. Sie verwies Christian an einen Kollegen und meinte zu ihm: „Wir sehen uns dann gleich am Becken wieder.“

Christian nickte ihr zu und folgte dann dem Polizist.

Als er sich umgezogen und geduscht hatte, betrat er durch eine Glastür die eigentliche Schwimmhalle. Dort musste er noch eine Minute auf Munzon warten. Zum ersten Mal, seit sie sich begegnet waren, sah Christian sie mit offenem Haar. Zu seiner Überraschung stellte er fest, dass es lockig war. Sonst fest zurückgebunden und zu einem Knoten, hinter dem Kopf, zusammengesteckt, fiel dieser Umstand gar nicht auf. Im dunklen Einteiler, mit dem Logo der Metropolis-Police auf der linken Brustseite, sah sie geradezu sexy aus, wie Christian zugeben musste. Die Muskeln an Armen und Beinen waren gut definiert. Offensichtlich war sie sehr gut durchtrainiert.

Der Junge bemerkte die Blicke der Frau und er realisierte, dass sie offensichtlich dieselben Überlegungen anstellte. Um seine eigene Verlegenheit zu überspielen meinte er anerkennend: „Sie machen eine sehr gute Figur, Officer.“

„Danke, Sie brauchen sich aber auch nicht zu verstecken. Wie sieht es aus? Schwimmen wir um die Wette, oder ganz locker und entspannt?“

„Lieber locker und entspannt“, sagte Christian. „Ich darf mein Muay Thai Training nicht vernachlässigen. Da wäre es nicht gut, wenn ich mich hier schon verausgaben würde.“

„Ganz wie Sie möchten. Planschen wir ein Wenig herum.“

Sie begaben sich ins Becken und schwammen einige Bahnen entspannt nebeneinander. Andere Kollegen oder Kolleginnen von Munzon waren im Moment nicht hier. Es war schließlich Christian, der die Stille brach und unvermittelt fragte: „Was halten Sie davon, wenn wir dieses unpersönliche Sie weglassen würden und dafür das etwas persönlichere Du verwenden würden? Ich weiß, dass normalerweise Sie mir das Du anbieten müssten, da Sie die Ältere sind.“

„Oh, mein Gott. Es stimmt also, was über die Förmlichkeit und Übergenauigkeit der Deutschen gesagt wird.“

Christian lächelte schwach. „Ich weiß nicht, ob es Sawyer Ihnen gegenüber erwähnte, doch mein Vater gehört dem deutschen Hochadel an. Sein Titel ist Graf. Ein Titel, den ich nach seinem Tod übernehmen werde. Das verpflichtet zu gewissen Umgangsformen. Und gleichfalls dazu, sie auch einzuhalten. Manchmal ist es schwierig, das abzulegen.“

Munzons größer werdende Augen bewiesen, dass sie davon keine Ahnung gehabt hatte. Nach einem Augenblick erklärte sie: „Also okay, ich bin einverstanden damit, dass wir diese verstaubten Etikette über Bord werfen und uns Duzen.“

Christian lächelte versonnen und beobachtete das Gesicht der Frau eine Weile. Dann meinte er: „Dein Freund ist zu beneiden. Oder gibt es keinen Freund?“

„Es gibt keinen Freund, aber dafür eine Freundin.“

Es dauerte einige Augenblicke, bis Christian begriff. Dann meinte er: „Wenn das Thema zu persönlich ist, dann sag es ruhig. Aber darf ich fragen, wie sie ist?“

Sie schwammen etwas langsamer und dichter beieinander, als Munzon begann: „Ihr Name ist Nicole. Wir lernten uns kurze Zeit nach dem… Du weißt schon. Nach der Attacke des Jungen, an der High-School, lernten wir uns kennen. Damals hatte ich das Gefühl, dass ich mich im freien Fall befinde. Bei meinen Eltern fand ich damals wenig Verständnis. Nicole fing mich auf, um im Bild zu bleiben. Sie gab mir den Halt, den ich überall sonst damals so dringend, aber auch vergeblich, gesucht hatte. Zunächst wurden wir Freundinnen. Dann die besten Freundinnen. Kurz nach meinem achtzehnten Geburtstag dann, nach einem gemeinsamen Abend der ganz bezaubernd gewesen war, landeten wir noch bei ihr. Irgendwann habe ich Nicole einfach geküsst. Ich hatte mich damals fast erschrocken. Doch dann übernahm Nicole das Kommando. Sie küsste mich. So sanft, so liebevoll. In diesem Moment habe ich mich in Nicole verliebt. Ich wusste in diesem Moment, dass Nicole nie grob zu mir sein würde. Oder gemein. Sie ist ein wundervoller Mensch.“

Sie wendeten und Christian lächelte: „Das freut mich für dich.“

„Warum?“

Diese Frage brachte Christian aus dem Konzept. Endlich sagte er: „Weil mir die Menschen nicht egal sind, Celenia. Das werden sie nie sein. Darum engagiere ich mich auch für soziale Projekte. So, wie es meine verstorbene Mutter getan hat.“

Celenia Munzon bemerkte den melancholischen Ausdruck in den blauen Augen des Jungen und entschuldigend meinte sie: „Ich wusste nicht…“

„Schon gut. Es ist jetzt etwas mehr als eineinhalb Jahre her. Die Verbrecher wurden inzwischen gefasst und eingesperrt. Das Attentat, bei dem sie starb, galt meinem Vater.“

Christian beobachtete aufmerksam die Reaktion der Frau, an seiner Seite. Doch er konnte in ihrem Gesicht nichts Verdächtiges feststellen. Der Verdacht, den White-Wolf zwischenzeitlich in ihm geweckt hatte, bei ihrem Gespräch, legte sich. In der Tat glaubte er immer weniger daran, dass Munzon die Person war, die ihm an den Kragen wollte.

Sie schwammen zwei Bahnen in einem etwas schnelleren Tempo. Jedoch artete es nicht in einen Wettkampf aus. Als sie sich schließlich in etwas flacherem Wasser gegenüberstanden da fragte die Latina überraschend: „Wie reagierte deine Freundin, als du sie zum ersten Mal berührt hast? Ich meine, nach der Attacke auf sie.“

„Sie war es, die den Kontakt herstellte“, erwiderte Christian, in der Erinnerung lächelnd. „Sie nahm meine Hand, als wir nebeneinander saßen und ein Footballspiel ansahen. Nur das unserer Schulmannschaft. Dann korrigierte er sich und meinte: „Halt, Moment, das stimmt nicht. Zum ersten Mal legte sie ihre Hand auf meinen Arm, als ich ihr von meiner Mom erzählt habe. Sie spürte, dass mich die Erinnerung an sie traurig machte. Und ich berührte mit drei Fingern ihr Kinn.“

„Das meinte ich nicht“, erklärte Munzon. „Ich meinte eher, wann du sie richtig berührt hast. Eine richtige Umarmung.“

Christian überlegte kurz. „Das war während unseres ersten Muay Thai Trainings. Ich stellte ihr die richtige Atemtechnik vor, damit sie sich etwas lockert. Dabei legte ich meine Hände auf ihre Schultern. Sie zuckte kurz zusammen, aber dann entspannte sie sich. Ich riet ihr damals, sich ihren Dämonen zu stellen. Nach und nach wurde sie immer ruhiger. Etwas später war übernahm sie erneut die Initiative und küsste mich das erste Mal. Erst zu diesem Zeitpunkt habe ich es gewagt, zum ersten Mal meine Arme um sie zu legen, und sie sanft an mich heran zu ziehen. Vorher hatte ich Bedenken das zu tun. Aber warum fragst du?“

Celenia sah zu Christian auf. Sie schluckte und antwortete schließlich rau: „Seit diesem schrecklichen Tag, an der High School, habe ich es nie wieder zugelassen, dass mir ein Mann allzu nahe kommt. Allein der Gedanke, dass mich ein Mann umarmt, versetzt mich schon in Panik. Hände zu schütteln ist noch okay und es machte mir auch vorhin nichts aus, deine Schusshaltung zu korrigieren. Zumindest nicht viel. Aber vor Umarmungen von Männern habe ich Angst und bekomme Panik. Darum auch meine heftige Reaktion, beim Kampftraining. Aber ich hasse diese Angst. Ich möchte sie loswerden.“

„Hast du mal versucht, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen?“

Heftig schüttelte Celenia Munzon den Kopf. „Nein. Einem fremden Mann will ich das nicht anvertrauen und eine Frau, die nicht dasselbe erlebt hat wie ich, versteht es möglicherweise nicht. Nicht wirklich, meine ich. Du hingegen…“

Christian machte eine zweifelnde Miene. „Ich kann mir nicht vorstelle, in wie weit ich dir da helfen könnte.“

Celenia drehte ihm den Rücken zu und sagte leise: „Bitte lege deine Hände auf meine Schultern, wie du es damals bei deiner Freundin gemacht hast.“

„Hältst du das wirklich für eine gute Idee? Ich lege es wirklich nicht darauf an, dass du anfängst panisch zu schreien und um dich zu schlagen.“

„Das werde ich nicht“, versicherte die Latina und fügte etwas leiser hinzu. „Glaube ich jedenfalls.“

Christian überlegte für einen Moment und sagte dann ernst. „Also schön. Aber falls du merkst, dass du es nicht ertragen kannst, dann sagst du mir sofort Bescheid und ich nehme meine Hände weg. Ich erwarte, dass du in dieser Hinsicht ehrlich gegenüber dir selbst bist.“

Celenia Munzon atmete tief durch. „Ich bin bereit, Christian.“

Christian trat dichter an die Frau heran, die bis zur Brust von Wasser umgeben war. Bevor er seine Hände auf ihre Schultern legte, sagte er beruhigend: „Ich werde nichts tun, was du nicht wirklich willst, Celenia. In dieser Hinsicht kannst du mir vertrauen.“

Sie erwiderte nichts und beinahe übervorsichtig legte der Junge seine kräftigen Hände ganz sacht auf die gebräunten Schultern der Frau. Er glaubte zu spüren, wie sich jeder Muskel in Celenia anspannte und wollte seine Hände bereits wieder fort nehmen, als sie, heftig durchatmend sagte: „Es ist schon okay, Christian. Ich will mich dieser Angst stellen.“

Christian schluckte. Ihm wurde bewusst, welches Vertrauen ihm Celenia in diesem Moment entgegen brachte. Leise sagte er: „Dann stelle dich jetzt deinen Dämonen, schließe die Augen und atme ruhig und gleichmäßig ein und aus. Durch die Nase ein und durch den Mund aus. Und ein – und aus…“

Celenia Munzon folgte seiner Aufforderung. Mit jedem Atemzug schien sie etwas ruhiger zu werden. Nach einer halben Minute sagte sie mit vibrierender Stimme: „Ich fühle mich, als würden Millionen von Ameisen über meine Haut rennen. Aber ich schaffe es.“

„Wie ich eben schon sagte: Ein Wort von dir, und ich gehe wieder auf Abstand.“

„Nein“, erwiderte Celenia Munzon beinahe flehend. „Mir wird zwar immer noch heiß und kalt, doch es wird schwächer. Da ist noch etwas Anderes. Ich kann nicht sagen, was es ist, doch es fühlt sich nicht unangenehm an.“

„Ich glaube, deine Freundin wäre sehr stolz auf dich, wenn sie sehen könnte, wie du dich hier deinen Ängsten stellst“, gab Christian aufmunternd zurück. „Glaubst du, du kommst damit klar, wenn ich meine Hände ganz sacht zu deinen Oberarmen bewege?“

„Ich weiß nicht. Aber versuche es.“

„Ich verspreche dir, dass ich niemals grob zu dir sein werde, Celenia. Es ist, wie ich es schon gesagt habe, ich werde Nichts gegen deinen Willen tun.“ Damit bewegte er seine Hände, die ganz eben noch ihre Haut berührten, zu ihren Oberarmen, wo er sie sanft auflegte. Etwas rau fragte er: „War das schlimm?“

„Nein, es ging. Zuerst hatte ich etwas Panik, doch das ließ diesmal sehr schnell nach. Ich konnte spüren, wie behutsam du vorgehst.“

Christian meine ablenkend: „Ich weiß, dass das viel verlangt ist, aber ich möchte dich dennoch darum bitten, nicht alle Jungs über einen Kamm zu scheren. Ich bin mir sicher, dass es mehr Jungs gibt, die in Ordnung sind, als fiese Typen.“

Celenia antwortete nicht darauf. Sie begann schneller zu atmen und sich selbst überwindend bewegte sie sich rückwärts zu Christian, bis ihr Rücken seine Brust berührte. Mit zitternden Händen reichte sie nach hinten und berührte, beinahe gehaucht, seine Hüften.

Christian hielt für einen Augenblick den Atem an. Erst nach einigen Herzschlägen flüsterte er: „Wow, das ist sehr mutig von dir, Celenia. Aber du musst es wirklich nicht übertreiben. Wenn du merkst, dass du panisch wirst, dann handelst du hoffentlich.“

Celenia atmete mehrmals tief durch, um die aufsteigende Panikattacke niederzuringen. Dann erwiderte sie kratzig: „Es geht. Wirklich.“

Für eine geraume Weile standen sie so da, bis sich Celenia Munzon traute, sich wieder zu bewegen. Vorsichtig nahm sie ihre Hände wieder von Christian und bat ihn: „Lege jetzt deine Hände auf meine Hüften.“

Christian zögerte einen Moment lang, bevor er der Aufforderung nachkam. So behutsam, wie schon zuvor, legten sich seine Hände auch diesmal an den Körper von Celenia Munzon. Diesmal blieb die erwartete, heftige Reaktion jedoch aus. Schneller als zuvor hörte das Zittern ihres Körpers auf.

Christian sog überrascht die Luft ein, als die Latina nachdrücklich seine Hände in ihre nahm und seiner Arme um ihren Körper legte. Ihre Hände dabei auf seine gelegt. Dabei sagte sie heiser: „Das Herz schlägt mir gerade bis zum Hals, aber ich habe keine Angst vor deiner Umarmung. Ich weiß, dass ich dir vertrauen kann. Es ist ein unbeschreibliches Gefühl.“

„Ich weiß nicht, was ich sagen soll, Celenia. Ich weiß nicht, ob ich mich das, an deiner Stelle, trauen würde. Ich wünsche mir nur, dass dir das wirklich helfen wird.“

Für eine Weile blieb es wieder still, bevor Munzon leise bat: „Bitte nimm deine Arme jetzt etwas nach vorne, ich möchte mich zu dir umdrehen.“

Christian verzichtete diesmal auf eine Mahnung und folgte der Bitte einfach. Fast übervorsichtig wandte sich Celenia Munzon zu Christian um. Ihre Hände zitterten auch diesmal, als sie seine Hüften berührten. Es dauerte fast eine Minute, bis sie sich an den Jungen geschmiegt hatte. Bis sich ihre festen Brüste gegen ihn drückten und ihre Hände auf seinem Rücken lagen.

„Nimm mich jetzt wieder in deine Arme.“

Wieder ganz behutsam legte Christian seine Hände auf ihren Rücken. Stolz glomm in seinen Augen, als er Celenia ansah. Die Angst schien fast ganz aus ihren dunklen Augen gewichen zu sein.“

Etwas ironisch erklärte Christian, mit schiefem Grinsen: „Wenn Alicia das jetzt sehen würde, dann könnte ich mich auf etwas gefasst machen.“

Etwas mehr von Celenia Munzons Anspannung fiel von ihr ab, als sie lächelnd erwiderte: „Das glaube ich sofort. Ich denke, Nicole wäre auch nicht erbaut davon. Ich liebe sie von ganzem Herzen.“

„So, wie ich Alicia liebe“, bekräftigte Christian.

Die Latina sah dankbar zu Christian auf bevor sie ihren Kopf an seine Brust bettete. Einen Moment später erklangen zwei rohe ungeübte Töne. Munzon presste die Zähne fest aufeinander, um sich nicht von ihren Emotionen überwältigen zu lassen, doch der Damm brach und ihre Schultern begannen zu zucken.

Christian ließ sie gewähren und schwieg. Erst nach einer ganzen Weile legte er sanft seine linke Hand an ihren Kopf und streichelte ganz behutsam über ihr Haar. Dabei forderte er Munzon leise auf: „Lass es raus. All das, was du in den letzten Jahren in dich hinein gefressen hast. Danach wird es dir besser gehen.“

Die Latina weinte so sehr, dass es sie schüttelte und Tränen rannen über die Wangen des Jungen, der ihren Kummer fast körperlich spüren konnte. Er schämte sich nicht dafür. Als sich Munzon nach geraumer Weile beruhigte, und ihr Schniefen leiser wurde, gab Christian kurz ihren Kopf frei um sich mit dem Handrücken über die Wangen zu wischen. In diesem Moment schämte er sich nur für seinen Verdacht gegen sie, den White Wolf geweckt hatte.

Schließlich drückte Munzon den Jungen sanft und flüsterte: „Lass uns gehen, Christian. Mir wird allmählich kalt, hier im Wasser.“

Unter Beschuss


 

6.
 

UNTER BESCHUSS
 

Eine halbe Stunde später saßen Munzon und Christian von Falkenhayn wieder im Streifenwagen und die Latina sah dankbar zu dem Blonden. „Das werde ich dir nie vergessen, Christian. Vielleicht hätte ich mich, ohne dich kennenzulernen, meiner schlimmsten Angst niemals gestellt und sie hätte mich ein Leben lang beherrscht.“

Christian wiegelte schnell ab. „Ich bin mir nicht sicher, ob das eben schon die Lösung gewesen ist. Ich denke immer noch, dass du auch noch einen Profi zu Rate ziehen solltest.“

„Jetzt klingst du schon, wie Nicole, zu Anfang.“

„Da du Nicole liebst, nehme ich das als Kompliment“, gab Christian lächelnd zurück.

Munzon fuhr los. Kaum hatte sie den Streifenwagen auf die Hauptstraße, in Richtung Mid-Town gelenkt, da erreichte sie ein Funkspruch.

„An alle Einheiten: Wir haben einen Zwei-Null-Sieben. Zwei Beamte sind einem verdächtigen SUV zu einem Lagerhaus am Metropolis-River gefolgt. Lower Eastside. Pier 127. Wagen THX 1138! Bitte umgehend bei der Zentrale melden!“

Munzon blickte stirnrunzelnd zu Christian und griff nach dem Mikro des Funkgerätes: „Hier Officer Munzon! Was gibt es, Zentrale?“

„Wenn Mister Von Falkenhayn bei Ihnen ist, dann bringen Sie ihn umgehend zum Revier zurück. Seine Freundin, und eine zweite junge Frau, wurden entführt. Sie haben es aber vermutlich auf den Besitzer von Falken-Industries abgesehen. Ende!“

„Verstanden. Ende und Aus!“

„Wir müssen zu diesem Lagerhaus!“, rief Christian erregt aus. „Die haben Alicia, aber sie wollen mich haben!“

„Christian, das darf ich nicht, dafür…“

„Verdammt, Celenia, das sind eiskalte Terroristen! Ich bekam gestern eine Meldung, dass eine der Personen zu jener Gruppe gehört hat, die meine Mom töteten. Die machen kurzen Prozess mit Alicia, wenn ich mich verstecke. Also fahr mich da hin, oder ich werde aus dem Wagen springen und auf eigene Faust dort hin gelangen! Natürlich wäre meine Überlebenschance größer wenn du mir hilfst!“

„Das ist nicht fair!“ Mit verkniffenem Gesicht sah Munzon in Christians entschlossene Miene, bevor sie sich geschlagen gab. „Also schön, du wilder Hund. Aber wenn dieser Stunt schief geht, dann bin ich es die dich erschießt, damit das klar ist!“

Christian nickte finster: „Sonnenklar! Und jetzt schalt endlich das verdammte Blaulicht ein und wir fahren über ein paar Rote!“

Während Munzon den Wagen in Richtung des Flusses jagen ließ, fluchte sie erbittert: „Sawyer wird mich anschließend hochkant ´rauswerfen! Dass ich jemals Detective werde kann ich absolut vergessen. Vielen Dank auch!“

„Dann verschaffe ich dir einen Job bei Falken-Industries. Besser bezahlt. Und jetzt fahr bitte, wie der Teufel, zu diesem Lagerhaus.“

Eine halbe Meile vor dem Ziel schaltete Munzon die Sirenen ab und ließ nur noch das Blaulicht aktiviert. Mit quietschenden Reifen hielt der Streifenwagen vor einem etwas heruntergekommenen Lagerhaus.

„Das ist es“, stieß Munzon hervor, jetzt ganz Polizistin. „Du bleibst im Wagen, während ich reingehe.“

„Kommt gar nicht in Frage!“, protestierte Christian. „Du weißt doch gar nicht wo deine Kollegen sind. Also hast du momentan nur mich als Rückendeckung. Außerdem: Was soll ich machen, wenn die plötzlich hier draußen auftauchen? Böse gucken?“

Munzon schnaubte: „Weißt du was? Du nervst!“

Christian sah bestimmt in ihre Augen und seufzend zog Munzon schließlich ihr linkes Bein an. Zu seiner Überraschung nahm sie eine Glock-19 aus einem Halfter, den sie am Fußgelenk trug. Eine etwas kleinere Version ihrer Dienstwaffe, die sie an der Hüfte trug. Sie lud die Waffe durch und drückte sie Christian in die Hand.

„Doppelt genäht hält besser!“, erklärte sie knapp und öffnete die Tür um auszusteigen. „Aber Vorsicht, die ist jetzt entsichert.“

Auch Christian stieg rasch aus. Über das Dach des Streifenwagens hinweg sah er Munzon an und fragte: „Warum bekomme eigentlich ich die kleinere Waffe?“

Munzon erwiderte ungläubig seinen Blick. „Das ist jetzt nicht dein Ernst!“

Kopfschüttelnd setzte sie sich in Bewegung und Christian folgte ihr auf dem Fuß. Vor der Tür hielt sie den Jungen am Arm zurück. „Hey, pass da drin bloß auf deinen Hintern auf. Wenn dir was passiert, dann wird es Jahre dauern, bis ich den Bericht formuliert habe.“

Vorsichtig öffnete Munzon die Tür und spähte ins halbdunkle Innere. Als sie nichts Verdächtiges erkannte, gab sie Christian ein Zeichen,ihr zu folgen.

Sie schlichen über eine, etwas erhöhte, Galerie und stiegen, nach allen Seiten sichernd, eine vierstufige Treppe hinunter. Nachdem sie einen engen Gang hinter sich gelassen hatten erreichten sie eine unübersichtliche, verwinkelte Halle.

Munzon überlegte kurz, bevor sie flüsterte: „Okay, das ist jetzt blöd. Ich werde links herum gehen. Du bleibst auf der rechten Seite. Am anderen Ende dieser Halle führt vermutlich ein Durchgang zu einer weiteren Halle.“

Christian nickte bestätigend und schlich geduckt davon.

Mit einem ganz und gar unguten Gefühl in der Magengrube sah Munzon ihm nach und schlich in die andere Richtung weiter. Es dauerte eine geraume Weile, bis sie, ohne großartig Geräusche zu verursachen, das andere Ende erreichte. Von Christian keine Spur. Sie verfluchte ihre Entscheidung, ihn mitgenommen zu haben. Doch jetzt war es müßig darüber nachzudenken, denn es ließ sich nicht mehr korrigieren. Sie musste die Mädchen finden und danach würde sie Christian suchen. Sofern er dann noch lebte, hieß das.
 

* * *
 

Das einzige, was Christian hören konnte, waren Atemgeräusche. Seine eigenen Atemgeräusche. Überlaut klangen sie in seinen Ohren. Irgendwo am Ende der ersten Halle war er falsch abgebogen. Zumindest hatte er Munzon aus den Augen verloren und er wollte es nicht wagen, nach ihr zu rufen.

Für einen Moment lang war er unachtsam und mit seinem rechten Fuß stieß er gegen eine leere Getränkedose, die jemand irgendwann einmal im Gang liegengelassen hatte. Christian erschien ihr Scheppern geradezu ohrenbetäubend.

„Komm raus, ich habe dich im Visier!“

Christian ließ sich nicht bluffen. Er verharrte und lauschte, was um ihn herum passierte. Eine raue, männliche Stimme klang plötzlich auf. Nicht in seiner unmittelbaren Nähe, doch nah genug, wie er fand. „Wo ist er hin?“

„Da war eine Bewegung, doch ich habe ihn verloren!“, rief eine weibliche Stimme zurück und gleich darauf ertönte sie erneut, etwas lauter. „Kommen Sie heraus!“

In den blauen Augen des hochgewachsenen, athletischen Jungen lag ein gehetzter Ausdruck. Verzweifelt nach einem Ausweg aus der Lage suchend, in die er sich selbst hinein manövriert hatte, lauschte er den Geräuschen um sich herum. Aus nun geringerer Entfernung drangen andere Stimmen, die den beiden Polizisten gehören mussten, an seine Ohren. Auch sie durften ihn nicht finden. Irgendwo, hier in dem verwinkelten Lagerhaus, in der Nähe des Flusses, schlichen sie herum.

„Kannst du einen von den Beiden sehen?“

„Nein! Komm mit!“

Die wasserdichte Glock-Automatik fühlte sich fremd an, in seiner Hand. Er hoffte sie nicht einsetzen zu müssen, doch im Notfall würde er es wohl tun. Wenn es darum ging, sein Leben zu schützen. Seins und die Leben von Alicia und Samantha. Von den Mädchen hatte er jedoch noch keine Spur entdeckt.

Er schlich zwischen zwei Palettenregalen dahin. Es roch unangenehm nach Öl und vermodernder Pappe. Dabei aufmerksam zu allen Seiten sichernd. Ein schleifendes Geräusch ließ ihn kurz inne halten. Vielleicht eine Ratte. Doch wenn, so handelte sich es um eine verdammt große Ratte, befand er gleich darauf.

Zwischen zwei bepackten Paletten entdeckte der Junge eine Bewegung. Etwas blitzte metallisch. Eine Waffe. Fieberhaft sah er sich um und entdeckte, etwa zwanzig Meter vor sich vor sich eine Tür. Wenn er die Abmessungen der Halle richtig einschätzte, so würde sie ins Freie führen. Hinaus auf den Hinterhof des Lagerkomplexes. Zumindest hatte Munzon so etwas angedeutet, bevor sie hier eingestiegen waren. Vermutlich schloss sich dem Hof eine Gasse an, die hinaus auf die, um diese Zeit, belebte Straße führte. Wenn er sie erst einmal erreicht hatte, war er in Sicherheit. Dort konnte er in der Menge untertauchen.

Alles auf eine Karte setzend sprintete der Junge los.

Keinen Augenblick zu früh, denn zwei Schüsse bellten auf und an jener Stelle, an der er noch vor einem Moment gestanden hatte, schlugen die abgefeuerten Kugeln ein. Der Junge spürte das Adrenalin durch seinen Körper strömen. Dicht um ihn herum platzten Verpackungen auseinander und zeitgleich hörte er die Schüsse. Irgendetwas zersplitterte über ihm und schützend hielt er sich die freie Linke über den Kopf.

Geduckt verschärfte der Junge das Tempo. Wobei es ihm vorkam, als würde sich die Zeit bis ins Endlose dehnen, bis er die Tür endlich erreicht hatte. Kaum verlangsamend drückte er telekinetisch den breiten Notkontakt nach unten, der sich über die gesamte Breite der metallenen Sicherheitstür zog. Sie, vom Schwung begünstigt, kräftig aufstoßend, stolperte er ins Freie und rannte über den Lagerhof, der sich anschloss. Er wusste, dass er die Hausecke erreichen musste, bevor sein Verfolger ins Freie kam. Dort konnte er in Deckung gehen und auf ihn warten. Dann war er im Vorteil.

Gehetzt rannte der Junge in die Gasse ein, die sich rechts von ihm dem Hof anschloss. So, wie er es gehofft hatte. Abrupt bremste er ab und sah, beinahe panisch, Celenia Munzon vor sich. Sie hatte ihre Waffe gezogen und zielte damit in seine Richtung. Dabei sah ihn die Latina entschlossen an und rief ihm befehlend zu: „Keine Bewegung, Christian!“

Christian von Falkenhayn dachte nicht daran, der Aufforderung von Officer Celenia Alessandra Munzon zu folgen. Stattdessen hob er die Glock-19 an und zielte, über Kimme und Korn visierend, in ihre Richtung. Dabei schien sich jedes Detail des Gesichtes, vor im, in sein Gedächtnis zu brennen. Ihre, mal lustigen, mal so ernst schauenden, dunklen Augen, die vorhin noch so voller Trauer, aber auch Erleichterung und Dankbarkeit, gewesen waren. Die dunklen Sommersprossen auf ihrer Stupsnase. Der Schwung ihrer etwas zu breiten Lippen.

Im nächsten Augenblick verlor sich jedes Gefühle aus den fast schwarzen Augen der Venezolanerin. Bis auf einen Hauch von Kälte.

Gleichzeitig erstarrte auch der Gesichtsausdruck des Blonden und seine Augenlider kniffen sich etwas enger zusammen. Im nächsten Moment krümmten beide gleichzeitig den Zeigefinger und zwei Schüsse peitschten durch die Seitengasse.

Für einen Moment lang schien sein Herz stehenzubleiben. Celenia Munzon hatte auf ihn geschossen. Doch schon im nächsten Moment erkannte er seinen Irrtum. Panisch seinen Körper betastend stellte er keine Verwundung fest. Auf diese Distanz konnte Munzon aber unmöglich vorbeigeschossen haben. Ahnungsvoll wandte er sich um.

Hinter ihm lag eine Frau auf dem Boden. Tödlich getroffen von der Kugel, die Celenia Munzon abgefeuert hatte.

Die Polizistin wirkte nicht weniger überrascht, als er selbst, als auch sie sich umwandte und einen Mann am Boden liegen sah. Unweit von ihm ein Revolver auf dem Boden liegend, den er hatte fallen lassen, als ihn die Kugel aus Christians Waffe traf. Aufstöhnend hielt er sich die Schulter, aus der Blut sickerte.

Christian und Munzon sahen sich endlich wieder in die Augen und beiderseitiges Verstehen glomm in ihren Augen auf. Die Latina machte eine fragende Handbewegung und Christian deutete stumm mit dem Daumen nach oben.

Einen Moment später kamen zwei Polizeibeamte ins Freie. Beide mit einem Mädchen an ihrer Seite. Etwas verschmutzt, aber ansonsten unversehrt.

Unendliche Erleichterung durchströmte Christian, als er seine Freundin unverletzt auf sich zu kommen sah. Schnell schritt er zu Munzon und übergab ihr die Waffe, bevor er zu Alicia lief, die ihm entgegen kam. Stürmisch schlossen sie einander in die Arme und küssten sich. Als Samantha sie erreichte, nahmen Alicia und Christian die Freundin mit in die Arme und drückten sie, erleichtert lachend.

Für einen Moment sah Christian zu Munzon und lächelte ihr dankbar zu, bevor er von Alicia abgelenkt wurde, die ihn erstaunt fragte: „Sag einmal: Was machst du denn hier? Und dann auch noch bewaffnet?“

„Deinen Hintern retten, was denn sonst!“, lachte Christian. „Ich war zufällig mit Officer Munzon unterwegs, als die Durchsage kam, dass man dich und Samantha entführt hat. Ich konnte sie überreden, sofort herzufahren, statt mich zuerst beim Dezernat abzusetzen, wie sie es eigentlich tun sollte.“

Samantha sah den Freund etwas ungläubig an. „Sie hat dir einfach ihre Waffe gegeben? Warum das denn?“

„Ihre Zweitwaffe“, verbesserte Christian. „Wir mussten improvisieren, da wir nicht wussten, wie dringend es sein würde, euch zu finden. Zu zweit hatten wir mehr Chancen.“

Celenia Alessandra Munzon räusperte sich und Christian meinte, noch immer erleichtert, dass Alles so glimpflich ausgegangen war: „Wir werden jetzt wohl zum Dezernat mitfahren müssen um unsere Aussagen zu machen, in dieser Angelegenheit.“

Die beiden Mädchen nickte zustimmend und folgten Christian zu Celenia Munzon.

Liebe und Freundschaft


 

7.
 

LIEBE UND FREUNDSCHAFT
 

Auf dem Revier dauerte es eine Stunde, bis die Aussagen aller Beteiligten aufgenommen worden waren. Als Munzon den Besprechungsraum verließen, in dem sie Maggie Sawyer persönlich in die Mangel genommen hatte, verließen auch Samantha Collins und Alicia gerade den Verhörraum, der gleich nebenan lag.

Alicia kam schnell zu Christian, drückte ihm einen Kuss auf die Wange und sagte: „Wir sehen uns dann später.“

Erstaunt fragte der Junge: „Wieso später? Wenn ihr beide noch etwas abwartet dann könnten wir doch gemeinsam zu mir fahren.“

„Du hast wohl vergessen, dass ich heute mit Leonie zum Essen verabredet bin?“

Christian seufzte schwach. „Nein, aber ich hatte gehofft du hättest es vergessen.“

Alicia grinste, beinahe spitzbübisch. „Das hätte dir wohl so gepasst. Ich weiß gar nicht, warum du dich so anstellst. Bitte warte nachher nicht auf uns.“

Damit hakte sich Alicia bei Samantha ein, die ihm einen mitleidigen Blick zuwarf. Ihnen, mit gerunzelter Stirn, nachsehend bemerkte Christian, dass Celenia Munzon an seine Seite trat und ihn fragend ansah.

„Wer ist jetzt schon wieder diese Leonie?“

„Meine Ex-Freundin, aus Deutschland“, brummelte Christian düster. „Ich habe den Fehler gemacht, sie bei mir wohnen zu lassen und jetzt sind die Beiden miteinander zum Abendessen verabredet. Ist das eigentlich so schlimm, wie es sich anhört?

„Nein, das ist schlimmer“, grinste Munzon erheitert und bestätigte damit das, was er heute schon einmal gehört hatte. „Aber mal was Anderes. Etwas, nach dem ich dich bereits vorhin fragen wollte. Von wem genau hast du die Nachricht erhalten, die du erwähntest, als wir von der Entführung erfuhren?

„Das war eine gute Bekannte. Niemand den du kennst.“

„Soweit war ich auch schon“, gab die Latina ungerührt zurück. „Du willst also nicht darüber reden?“

„Nicht einmal ansatzweise“, bestätigte Christian bestimmt.

Sie wurden abgelenkt, als Lieutenant Maggie Sawyer, mit den schriftlich niedergelegten Aussagen, aus dem Büro kam. Auf sie zu gehend sah sie Christian unwillig an. „Sie hatten heute mehr Glück, als Verstand. Ich bin bereit, die Schießerei vor dem Lager als Notwehr anzusehen, Mister Von Falkenhayn. Ich war so frei, Ihre Persönliche Assistentin anzurufen. Ihr Chauffeur ist auf dem Weg. Für heute haben Sie meine Stadt lange genug unsicher gemacht. Fahren Sie nach Hause, Sir.“

Sawyer war bereits im Begriff sich wieder abzuwenden, als sie Munzon prüfend ansah und meinte: „Und Sie müssen mir, bei Gelegenheit, nochmal ganz genau erklären, wie dieser junge Mann an ihre Zweitwaffe gelangt ist.“

Damit verschwand Maggie Sawyer wieder in ihrem Büro und erleichtert sah Munzon zu Christian. „Der Kopf ist noch dran und ich habe auch noch meinen Job. Der Tag endet besser, als ich befürchtet hatte.“

Die Latina ansehend erklärte Christian ernsthaft: „Vielleicht kann ich dazu beitragen, damit er noch etwas besser endet. Wir kennen uns zwar noch nicht sehr lange und unser Kennenlernen war, gelinde gesagt, etwas stürmisch. Doch eine nette Freundin, aus Smallville, hat mal behauptet, dass die besten Geschichten und Freundschaften so beginnen. Wenn du also einverstanden bist, dann würde ich dich zukünftig sehr gerne als eine gute Freundin betrachten, Celenia Alessandra Munzon.“

Ein ironisches Lächeln überflog das Gesicht der Latina. Nur ihre Augen verrieten, wie es wirklich in ihr aussah, als sie keck erwiderte: „Na, warten wir erst einmal ab, wie sich das Training entwickelt, in den nächsten Tagen und Wochen. Wenn du dich, ab sofort, gut führst, du dich aus allen Polizeiaktionen heraushältst und nicht mehr auf Leute schießt, dann werde ich es mir überlegen. Gilt der Deal?“

Christian deutete eine Verbeugung an. „Wie Mademoiselle meinen.“ Schnell wieder ernst werdend deutete Christian mit dem Daumen in Richtung Lift. „He, das ist nur ein Essen, richtig? Wie schlimm kann das schon werden?“

Munzon verdrehte die Augen und seufzte: „Ich habe Feierabend, also keine Probleme mehr, okay. Wenn du auf mich wartest, bis ich umgezogen bin, dann könntest du mich vielleicht mitnehmen. Ich wohne nicht sehr weit von hier.“

„Gerne. Ich warte unten, in der Tiefgarage, auf dich.“

Christian sah Munzon nach, die das offene Treppenhaus, im hinteren Teil des Bürokomplexes, hinauf steig und machte sich auf den Weg. In der Tiefgarage angekommen entdeckte er seine Limousine sofort und schritt darauf zu. Ein anderer Wagen parkte zwei Plätze entfernt. Als er sich näherte stieg eine schlanke Frau aus und Christian erkannte sofort um wen es sich handelte.

„Narin, was machst du denn hier.“

Die Frau schenkte ihm ein befreites Lächeln. „Du hattest Recht, auf dein Gefühl zu hören. Ich habe Munzon überprüft. Sie ist sauber. Der Komplize der Attentäterin war jedoch, als Zivilangestellter hier beim Dezernat beschäftigt. Ich hatte also nicht ganz Unrecht damit, dass es hier einen Attentäter geben könnte. Der Mann, den du angeschossen hast. Er stammt ebenfalls aus Spanien und gehörte einer baskischen Terrorzelle an, bevor er von den Leuten rekrutiert wurde, die deinen Vater töten wollten. Die JSE wird ihn zur Verantwortung ziehen, darum bekomme keinen Schrecken, wenn du morgen in der Zeitung lesen solltest, dass er auf mysteriöse Weise verschwunden ist.“

„Will ich wissen, wie ihr das bewerkstelligen werdet?“

„Nein!“

Christian lächelte ironisch. „Das dachte ich mir. In dem Fall: Bon voyage, Narin.“

„Pass auf dich auf, bis wir uns wiedersehen“, erwiderte die Frau, mit den auffallend weißblonden Haaren und stieg wieder in das Auto.

Sie war gerade aus der Tiefgarage hinausgefahren, als sich Celenia Munzon aus Richtung des Aufzuges näherte. Christian wartete, bis sie ihn erreicht hatte und schritt dann mit ihr zur Limousine hinüber.

Aufmerksam sprang der Chauffeur nun aus dem Wagen und öffnete ihnen beiden den Wagenschlag.

Christian ließ der Latina den Vortritt. Dann folgte er ihr und bemerkte amüsiert, wie sich die Frau im Innern des Fonts der Limousine umsah.

„Fast größer, als meine Küche“, murrte sie und sah Christian kritisch an.

Der Blonde fuhr den Trenner zwischen Font und Fahrerbereich herunter und sah Celenia Munzon auffordernd an. „Wohin soll es gehen, Mylady?“

Die Latina nannte dem Chauffeur die Adresse, an der er sie absetzen sollte. Etwas leiser meinte sie dann zu Christian: „Ihr Adeligen wisst schon, wie ihr eine Dame umgarnen müsst, was? Erst Mademoiselle, jetzt Mylady… Was folgt wohl morgen? Etwa Fürstin, oder gar Prinzessin?“

Christian lachte vergnügt: „Prinzessin wäre gar nicht so weit weg, wenn wir zusammenkämen und ich dich heiraten würde. Als Sohn eines Landgrafen, wie der exakte Titel lautet, ist mein aktueller Titel nämlich tatsächlich der eines Prinzen.“

Celenia Munzon sah den Jungen ungläubig an. „Jetzt verscheißerst du mich doch!“

„Pfui, wie gewöhnlich“, rümpfte Christian die Nase und lachte, bei dem Gesicht, das die Latina machte. Schnell wieder ernst werdend erklärte er: „Nein, das war kein Scherz. Tatsächlich bin ich berechtigt den Titel Prinz zu führen. Aber auf diese Idee käme ich im Leben nicht. Es reicht mir bereits, wenn ich zu offiziellen Empfängen, die es Gottlob selten genug gibt, so tituliert werde. Ich möchte, dass mich die Leute für das beurteilen, was ich bin, nicht dafür, wer ich bin.“

Es wurde etwas heller im Font, als die Limousine ins Freie fuhr und Celenia Munzon erkannte im Blick ihres Gegenübers, dass er nicht schwindelte.

„Wow. Andere Mädchen küssen Prinzen und ich verhafte sie.“

Sie sahen sich an und lachten. Christian sah verschmitzt zu Celenia und neckte sie: „Dann bist du vielleicht gar keine Lady, sondern die böse Fee. Oder eine Hexe?“

„Wo ist der Besen“, schnaubte Munzon verächtlich. „He, pass bloß auf, sonst muss ich dich in einen Frosch verwandeln. Passend zu deinen Schwimmfähigkeiten.“

Christian grinste und machte eine anerkennende Geste. „Gut gekontert.“

Einen Moment später hielt die Limousine und Celenia Munzon stellte etwas überrascht fest: „Wir sind ja schon da. Na, dann bis morgen, mein Prinz.“

Sie wollte schon den Wagenschlag öffnen, doch Christian machte eine unterbindende Geste. „Willst du den Chauffeur beleidigen? Als Lady wartet man, bis die Tür geöffnet wird. Ach und eine Frage noch: Soll ich dich morgen abholen?“

„Nein, ich habe mein Pferd… äh… mein Motorrad gestern fahrtüchtig gemacht. Aber vielen Dank für das Angebot.“

Der Wagenschlag wurde geöffnet und mit einem letzten dankbaren Blick reichte Munzon Christian die Hand. „Danke. Für Alles.“

„Dann bis morgen, Celenia.“

Christian wartete, bis der Chauffeur eingestiegen war, bevor er unterdrückt lachend zu ihm sagte: „Und jetzt fahren Sie die Kutsche bitte in den Stall, Jereon.“
 

* * *
 

Christian von Falkenhayn war erleichtert, als er endlich Zuhause angekommen war. Samantha hatte auf ihn gewartet und ihm mitgeteilt, dass Alicia und Leonie bereits unterwegs waren. Mit etwas Galgenhumor orakelte Christian: „Dann hat das Verhängnis bereits seinen Lauf genommen. Ich brauche jetzt erst einmal ein Bad.“

Damit verschwand er ins Badezimmer und schloss hinter sich ab. Erst nach über einer Stunde tauchte er, etwas erholter aussehend, wieder auf. In der Küche machte er sich etwas zu essen und schritt dann mit einem Fruchtsaft hinüber zum Kleinen Salon, wo er Ruhe zu finden hoffte. Im Großen Salon unterhielt sich nämlich seine Tante angeregt mit Alicias Mutter und im Wohnzimmer sahen sein Vater, der Vater von Samantha und Jerome Sterling irgendeine Sportsendung.

Zu seinem Pech hatte ausgerechnet Samanthas Mutter den Kleinen Salon mit Beschlag belegt und stöberte gerade in seiner Bibliothek. Christian wollte sich unbemerkt davon stehlen, als Samantha ihn bemerkte und zu sich winkte.

Mann, habe ich heute ein Glück, dachte der Junge finster, bevor er sich auf den Weg zu Samantha machte. Das Mädchen fing ihn jedoch schnell ab und deutete zum Durchgang. „Können wir einen Moment auf die Terrasse gehen?“

Beinahe erleichtert darüber, Samanthas Mutter zu entkommen, stimmte er freudig zu. Sie durchquerten das Arbeitszimmer und traten hinaus auf die Terrasse. Langsam auf den Rasen schreitend sah Christian das Mädchen fragend an. „Was gibt es denn?“

Etwas verständnislos erwiderte Samantha seinen Blick. „Du stürmst heute Nachmittag, zusammen mit der Polizei, ein Lager, nachdem Alicia und ich entführt wurden, schießt einen der Entführer nieder und dann fragst du ernsthaft, was los ist? Ich will jetzt wissen was da los war! Was wollten diese Leute und kann das wieder passieren?“

„Entschuldige Samantha. Natürlich hast du ein Recht zu erfahren, was los ist.“ Christian sah sich kurz zur Villa um und berichtete dann: „Es ging im Grunde nicht um dich, Samantha. Diese Entführer wollten über Alicia an mich heran. Die Frau gehörte zu jenen Terroristen, die meine Mutter auf dem Gewissen haben. Den Komplizen hatte sie in Spanien rekrutiert, für ihre Zwecke. Ich vermute, dass der nur am Rande eingeweiht war, worum es bei der gesamten Aktion wirklich ging.“

„Also ist es vorbei?“

Christian faste die Freundin an den Schultern und sah sie eindringlich an. „Ja, das kann ich dir garantieren. Ach und wundere dich nicht, wenn morgen in den Nachrichten das mysteriöse Verschwinden dieses Mannes gemeldet wird. Dieser Mann wird nie wieder Irgendjemandem Scherereien machen. Die Presse wird im Übrigen keine Namen veröffentlichen, denn Lieutenant Sawyer vom Police-Department versprach mir, dass sie keine Namen der Beteiligten Personen weitergeben wird.“

Etwas sprachlos sah Samantha in die Augen des Freundes. „Willst du damit etwa sagen, dass du den Mann verschwinden lassen willst?“

„Ich lasse niemanden verschwinden, Samantha. Eine Organisation aus Europa hat jedoch ein reges Interesse daran, ihn dorthin zurückzuführen und dort abzuurteilen. Das zu verhindern liegt außerhalb meiner Möglichkeiten.“

Das Mädchen musterte Christian scharf. „Aber du weißt davon?“

Christian nickte ernst. „Ja, ich weiß davon und ab sofort werden wir nie wieder ein Wort über diese Angelegenheit verlieren, Samantha. Der Albtraum, der den Tod meiner Mutter zur Folge hatte, ist nun endlich wirklich vorbei. Lass es bitte dabei und schweige über das, was ich eben gesagt habe. Mit Alicia werde ich selbst reden.“

Die Bestimmtheit, mit der Christian gesprochen hatte, verschlug Samantha für einen Augenblick die Sprache. Dann zischte sie: „Also gut, Chris. Ich werde schweigen.“

Christian spürte, dass es in Samantha brodelte und eindringlich sah er das Mädchen an. Leise aber betont schärfte er ihr eindringlich ein: „Samantha, das Ganze ist kein Spiel oder böser Wille meinerseits. Hier stehen Menschenleben auf dem Spiel, wenn du redest. Es gibt Dinge, die du nicht wissen möchtest. Zu deiner eigenen Sicherheit.“

Die untergehende Sonne ließ das Gesicht des Jungen etwas rötlich beinahe dämonisch erscheinen. Doch dieser Eindruck hielt nur wenige Augenblicke vor. Samantha kannte Christian mittlerweile lange genug um den Ernst der Worte einordnen zu können. Sie fröstelte etwas und murmelte: „Das kann einem ja Angst machen.“

Christians Miene entspannte sich. „Ja, das kann es. Hast du deiner Mom von der Entführung erzählt?“

So etwas, wie Entsetzen zeichnete sich in den Augen des Mädchens ab: „Nein! Die hätte längst die gesamte Villa rebellisch gemacht.“

Christian lachte leise auf. „Oh ja, das kann ich mir lebhaft vorstellen. Aber wer würde das nicht, bei einer solchen Nachricht. Ich finde jedoch, dass es in Smallville genug schlechte Nachrichten gab, seit dem letzten Meteoritenschauer.“

Samantha nickte und wechselte dann das Thema: „He, wer ist denn diese sexy Polizistin, mit der du vorhin unterwegs warst. Ich will hoffen, dass sich da Nichts entwickelt, mein Lieber. Sonst bekommst du etwas von mir zu hören, damit du klarsiehst.“

„Diese, wie du es nennst, sexy Polizistin lebt in einer glücklichen Beziehung. Mit einer Frau, wenn du es genau wissen willst. Ich mag sie. Aber nicht mit irgendwelchen Absichten, sondern so, wie ich dich mag. Comprendo Señorita?“

„Alles klar, Mister“, knurrte Samantha, gespielt finster. Mit einem etwas schadenfrohen Grinsen meinte sie dann: „Ich wette, du wünschtest dir in diesem Moment, dass Leonie nie hier aufgekreuzt wäre, stimmt´s?“

„Du ahnungsvoller Engel, du. Komm, lass uns wieder reingehen.“
 

* * *
 

Den Abend über unterhielt sich Christian mit Samantha darüber, was er vor einigen Tagen mit Fynn Specter und Leah van Cleef besprochen hatte. Danach sprachen sie ausgiebig darüber, welche Ziele sie sich für das Studium gesteckt hatten.

„Mit dem Geld für Alicias Studium wird es knapp werden“, warnte Samantha den Freund am Ende. „Und dir ist klar, dass weder Jerome Sterling, noch seine Frau, noch Alicia finanzielle Hilfe von dir annehmen werden.“

„Was ich schräg genug finde“, führte Christian die Bemerkung von Samantha fort. „Aber da werde ich schon einen anderen Weg finden, um etwas zu schaukeln, damit Alicia nicht auf das Studium an der Met-U verzichten muss.“

„Du glaubst doch nicht wirklich, das würden Alicia und ihre Eltern nicht sofort durchschauen, Christian? Das kriegst du nie hin.“

„Nein, das glaube ich auch nicht“, grinste der Junge, fast fröhlich. „Aber das ist mir vollkommen egal, solange ich glaubhaft jegliche unterstützende Beteiligung abstreiten kann. Und ich verspreche dir, das werde ich hin kriegen, Samantha.“

Sie vertieften sich wieder in die Unterhaltung. Als es langsam immer ruhiger im Haus wurde, da sah Christian auf seine Uhr und stellte erstaunt fest, dass es bereits 23:00 Uhr durch war. Samanthas Mutter saß immer noch bei ihnen, in ein Buch vertieft. Dabei hielt sie sich an dem Wein schadlos, den seine Tante zuletzt, im Keller der Villa, eingelagert hatte. In den letzten Tagen war das bestimmt bereits die fünfte oder sechste Flasche gewesen. Jede von ihnen nicht weniger als 250 Dollar wert.

Nach weiteren zwanzig Minuten hielt es Christian nicht länger in seinem Sessel aus. Immer wieder auf die Uhr sehend begann er im Salon auf und ab zu schreiten. Schließlich schloss Larissa Collins das Buch, in dem sie gelesen hatte, nahm genießerisch einen Schluck von dem Rotwein in ihrem Glas und sagte zu Christian: „Sie hätten dieser Leonie Kaiser, von Anfang an, nicht erlauben sollen, hier zu wohnen. Ihre Villa ist doch keine Absteige, mein Junge. Sie sollten dieses Schmarotzertum nicht dulden.“

Ungläubig sah Christian auf die leere Weinflasche und von dort zu Samantha. „Bitte sag mir, dass deine Mutter die Ironie erkennt.“

Verstimmt, wegen der Bemerkung des Jungen, bedachte Samanthas Mutter Christian mit einem missbilligendem Blick und verließ dann grußlos den Salon. Auch Samantha sah den Jungen unwillig an. „Musste das jetzt wirklich sein?“

Bevor Christian etwas erwidern konnte, sagte das Mädchen kurz angebunden: „Nacht!“ Damit folgte sie ihrer Mutter nach oben, in den ersten Stock.

Ist doch wahr, dachte Christian frustriert. Wenn das kein Wein wäre, sondern Weizenbier, dann hätte ich längst SIE vor die Tür gesetzt. Er nahm seine Wanderung durch den Salon wieder auf und schritt dann hinüber ins Wohnzimmer. Von hier aus hatte er eine gute Sicht zum Durchgang, der in die Eingangshalle führte.

Der Junge erschrak beinahe, als die Tür sich öffnete und Alicia zusammen mit Leonie eintrat. Schon vor einiger Zeit hatte er Alicia den Code zum Öffnen des Außentores und der Haustür verraten. Natürlich erkannte der Scanner nun auch ihren Handabdruck. Zunächst hatte Alicia davon nicht viel gehalten, Letztlich hatte sie aber seine Argumente eingesehen. Immerhin hatte sie zugestimmt hier zu wohnen, sobald sie ihr Studium an der Universität von Metropolis antrat. Immer zwischen Metropolis und Smallville hin und her zu pendeln wäre nicht machbar gewesen und eine Studentenbude konnte sie sich nicht leisten.

Als die beiden Mädchen Christian im Wohnzimmer erkannten, sahen sie sich kurz an. Alicia war es, die zu Leonie sagte, als sie näher kamen: „Das hat Christian wirklich getan? Ich kann nicht glauben, dass du so lange mit ihm zusammen warst.“

Das hörte sich nicht gut an, befand Christian und sah, mit einem ganz und gar unguten Gefühl in der Magengrube, von Alicia zu Leonie. „Okay, Leonie. Raus mit der Sprache. Was hast du meiner Freundin über mich erzählt?“

„Die Wahrheit“, gab Leonie, mit ernster Miene, kühl zurück.

Gleich darauf erklärte Alicia mit gleichfalls ernster Miene: „Ich hatte ja keine Ahnung, Chris. Du bist gar nicht der Junge, den ich zu kennen glaubte.“

Für einen Augenblick sprachlos, wehrte sich Christian gegen diese Anklage, indem er meinte: „Vielleicht hörst du dir erst einmal meine Version an, Alicia.“

Gleichermaßen anklagend sahen die beiden Mädchen ihn an, bis ihre Mundwinkel gleichzeitig verdächtig zu zucken begannen. Im nächsten Moment brachen sie beide in schallendes Gelächter aus und Alicia prustete: „Du hattest Recht, Leonie! Christian legt den Kopf wirklich etwas zur Seite, wenn er unsicher wird! Das ist mir bisher nie aufgefallen!“

Finster den Heiterkeitsausbruch der Mädchen beobachtend brummte Christian verstimmt: „Das ist absolut das Letzte, Mädels. Ernsthaft.“

Ohne den Einwand zu würdigen umarmte Alicia das blonde Mädchen und sagte aufrichtig: „Der Abend mit dir war wirklich toll, Leonie. Das müssen wir bei Gelegenheit unbedingt wiederholen.“

„Ja, das müssen wir, Alicia.“ Leonie löste sich von Alicia und sah, immer noch grinsend, zu ihrem Ex-Freund. „Gute Nacht, Christian.“

„Gute Nacht!“, brummte Christian, noch immer verstimmt. Dann sah er zu Alicia die nun langsam, sich mühsam ein Lachen verbeißend, näher kam. Dabei sah sie ihn entschuldigend an und meinte erheitert: „Tut mir leid, Chris, aber den kleinen Spaß eben nimmst du mir doch nicht krumm, oder etwa doch?“

„Nein. Aber jetzt mal ernsthaft: Was hat sie dir von mir erzählt?“

Die Hände des Blonden in ihre nehmend und sie um ihre Hüften legend, sah Alicia ihn ernst an und versicherte ihm: „Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, dich noch etwas länger zu grillen, weil du so dumm gewesen bist, Leonie hier wohnen zu lassen. Doch weißt du was? Nach diesem Abend, mit deiner Ex-Freundin, liebe ich dich noch um Einiges mehr, als ohnehin schon, mein Held. Außerdem hast du dich persönlich bereits zum zweiten Mal in Gefahr begeben, um mich zu retten.“

Im nächsten Moment küsste Alicia ihren Freund – lang und sehr liebevoll. Als sie sich nach geraumer Weile voneinander lösten, flüsterte sie: „Deine Ex-Freundin ist eine lustiges und sehr energisches Mädchen dem man nicht so schnell etwas abschlagen kann.“

„Das ist wahr.“

„Aber solange wir zusammen sind wird sie nie wieder hier wohnen, verstanden?“

„Absolut!“, versicherte Christian Alicia und sah sie treuherzig dabei an. „Weder sie, noch Samanthas Mutter!“

Sie lachten sich an und küssten sich erneut. Nach einem langen Moment nahm Christian sie an die Hand und zwinkerte ihr verschwörerisch zu. „Du siehst zum Anbeißen aus, in deinem neuen Kleid.“

„Wow, ist dir aufgefallen, dass dieses Kleid neu ist?“

War ´ne 50:50 Chance, dachte Christian zufrieden lächelnd. Wenn es nicht neu gewesen wäre, hätte ich mich einfach blöd gestellt und behauptet, du hättest es noch nie in meiner Gegenwart getragen.

Laut sagte der Junge: „Hey, du dachtest doch nicht etwa, ich würde dich als selbstverständlich ansehen und nicht darauf achten. Mir fällt jedes noch so geringe Detail an dir auf, mein Engel.“

„Ja, klar“, spottete Alicia. „Darum habe ich es ja auch dreimal in deiner Gegenwart tragen können, ohne dass dir auffiel, dass es neu ist.“

Verdammter Mist, verdammter.

Betreten sah Christian Alicia an, bis sie ihm lächelnd einen Klaps auf die Brust gab und ihn, nicht fest aber spürbar ins linke Ohr kniff und hauchte. „Damit sind wir quitt. Jetzt komm, wir waren schon viel zu lange nicht mehr zusammen. Ich will dich.“
 

* * *
 

Christian zeichnete mit der linken Hand spielerisch die Kontur von Alicias Rücken nach, als sie, glücklich lächelnd, eng an ihn geschmiegt in seinem Arm lag. Ganz sacht berührten seine Fingerspitzen ihren Po und ein leises Schnurren entfuhr dem Mädchen, als er seine Hand ganz darauf legte und sanft zudrückte.

In der letzten halben Stunde hatten sie so miteinander gekuschelt, während Christian seiner Freundin, auf dem Rücken liegend, von den Ereignissen der letzten Tage erzählt hatte. Er ließ auch nicht aus, was im Schwimmbad geschehen war. Alicia hatte Christian ruhig zugehört und meinte, lange nachdem er geendet hatte: „Deine unbedingte Aufrichtigkeit ist etwas, das ich am meisten an dir liebe, Chris. Schon, als du letztes Jahr diese Mayson Drake kennengelernt hast, habe ich mich etwas gewundert, dass du mir davon erzählt hast. Ich habe mich manchmal gefragt, ob ich ebenso mutig und aufrichtig wäre.“

„Daran würde ich niemals zweifeln. Es sei denn, du würdest mich enttäuschen und diesen Glauben schwer erschüttern. Aber das glaube ich nicht. Was Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit betrifft, bist du ebenso veranlagt, wie ich, Alicia.“

Die Hand des Mädchen strich sacht über die nackte Brust des Jungen. Sich vor beugend küsste Alicia ihren Freund. Ganz sachte, fast nur ein flüchtiger Hauch. „Weißt du, als du mir angeboten hast, hier zu wohnen, wenn wir in Metropolis studieren, da hatte ich Angst. Angst davor, dass wir uns irgendwann über haben könnten. Doch als wir eben miteinander geschlafen haben, da habe ich gemerkt, wie sehr du mir in den letzten Tagen gefehlt hast. So sehr, dass es fast weh tat.“

Christian streichelte wieder ihren Rücken, bis hinauf zu ihrem Nacken. „Denkst du denn, mir würde es anders ergehen. Ich werde dich nie über haben, mein Engel. Es gibt so unendlich viel, was wir noch nicht miteinander gemacht haben. So viel, was ich aber noch mit dir erleben möchte, Alicia. Willst du mich dabei begleiten?“

„Was für eine Frage. Natürlich will ich das.“

„Sehr schön.“ Alicia enger zu sich heran ziehend fragte er vorsichtig: „Und es macht dir wirklich Nichts aus, dass ich so ein tollkühn-verrückter, reicher Schnösel bin? Der einen Pilotenschein hat, und in einigen Wochen einen eigenen Learjet besitzen wird.“

„Nicht, wenn ich hin und wieder mal mitfliegen darf“, raunte Alicia leise lachend. Dann wurde sie ernst und meinte: „Trotzdem werde ich nach dem Studium mein eigenes Geld verdienen. Auch wenn du über die Abrechnungen Tränen lachen wirst.“

„Das werde ich nicht. Weil ich weiß, wie wichtig dir das ist“, versprach Christian. Dann fiel ihm sein Gespräch mit Samantha wieder ein und er erzählte Alicia davon.

Als er geendet hatte blieb es still bis Christian fragte: „Was für ein Freund wäre ich, wenn ich dir in einem Notfall helfen könnte, aber es nicht tun würde? Stell dir das bitte nur mal für einen Moment lang umgekehrt vor. Würdest du mir in einem solchen Fall nicht auch helfen wollen? Was soll ich denn machen, falls deine Eltern wirklich nicht für das Studium aufkommen können. Soll ich etwa dabei stehen und tatenlos zusehen? Soll ich mit hunderten von Millionen Dollar fremden Menschen helfen, aber der Frau, die ich liebe, nicht mit einigen tausend Dollar helfen dürfen? Das will ich nicht akzeptieren, Alicia.“

„Ich verstehe dich, Chris, aber…“

„Nein, Alicia“, widersprach Christian mit fester Stimme. „Hier gibt es kein Aber. Das ist eine einfache Ja-oder-Nein-Frage.“

Alicia hob ihren Oberkörper etwas an und sah ihrem Freund in die Augen. Als sie nichts dazu sagte, atmete Christian tief durch und sagte weich: „Ich habe mir etwas überlegt, Alicia. Eine Lösung für dieses Dilemma. Vielleicht darf ich dein Studium nicht zahlen. Aber ich könnte es immerhin finanzieren.“

Interessiert sah Alicia ihrem Freund in die Augen. „Widerspricht sich das nicht? Wie meinst du das überhaupt?“

Christian lächelte verlegen und erklärte: „Vielleicht färbt ja Fynn Everett Specter auf mich ab, aber es gibt da einen feinen Unterschied. Denn wenn ich dir das Geld nur leihen würde, und in einem Vertrag festhalten würde, dass du mir das Geld zurückzahlst, so wäre das nur eine Finanzierung. In einem solchen Vertrag könnte festgelegt werden, dass du mir das Geld für das Studium in festgelegten Raten zurückzahlst, sobald du dein Diplom als Chemikerin besitzt und eine Anstellung gefunden hast.“

Alicia drängte sich wieder gegen Christian und fragte misstrauisch: „Glaubst du etwa, ich durchschaue das nicht? Du rechnest doch bestimmt damit, dass ich diesen Vertrag irgendwann vergesse und sich Alles von selbst erledigen wird, nicht wahr?“

Ungewohnt hart erwiderte Christian: „Nein, damit solltest du lieber nicht rechnen. Ich werde jeden Cent von dir zurückfordern und ich werde, aus ethischen Gründen, nicht eher mit dir vor einen Traualtar treten, bis du die Summe komplett zurückgezahlt hast. Als kleiner Anreiz, dass du es auch genau nimmst, mit der Rückzahlung.“

Alicia lachte vergnügt, bis sie wieder in die Augen ihres Freundes sah. Etwas darin ließ sie plötzlich aufmerksam werden und unsicher fragte sie: „Du meinst das ernst? Am Ende willst du wohl auch noch Zinsen dafür verlangen.“

„Den üblichen Zinssatz“, gab Christian ungerührt zurück. Er sah Alicia unverwandt an, bis ihn ihr ungläubiger Blick dazu reizte immer breiter zu grinsen. Belustigt erklärte er: „Du könntest mich auch bezirzen und mit mir schlafen, dann erlasse ich dir vielleicht ein oder zwei Prozent. Das wäre doch was?“

Bevor Alicia ernsthaft sauer werden konnte küsste Christian sie und meinte beschwichtigend: „Der letzte Teil war Spaß, aber das mit der Finanzierung meine ich todernst. Ich möchte, dass du die Ausbildung bekommst, die du dir erträumt hast. Weil du eine intelligente, junge Frau bist, die es sich redlich verdient hat und weil ich dich liebe. Überlege es dir. Günstigere Konditionen, als bei mir, wirst du kaum bekommen.“

Mit einem leisen Lachen schob sich Alicia über ihren Freund und ließ ihre Hände erneut auf Wanderschaft gehen. Dabei gurrte sie lockend: „Das werde ich. Aber zuerst werde ich dich bezirzen und mit dir schlafen. Nur wegen der Prozente, versteht sich.“

„Touché“, raunte Christian, leise lachend, zurück, bevor er sich erneut in dieser Nacht ganz den Zärtlichkeiten seiner Freundin hingab.
 

* * *
 

Der nächste, frühe Morgen hielt für Christian eine Überraschung bereit. Als er das Wohnzimmer betrat, entdeckte er das gesamte Gepäck von Leonie in der Eingangshalle, als er zum Durchgang blickte. Nachdenklich sah er sich in der Villa um und fand Leonie, zusammen mit Alicia und Samantha, im Großen Salon. Anscheinend verstanden die drei Mädchen sich gut. Im Gegensatz zu gestern bereitete das Christian jedoch keine Bedenken mehr. Gutgelaunt schritt Christian zu ihnen. „Guten Morgen, ihr Drei.“

Die drei Mädchen wandten sich ihm zu und erwiderten seinen Gruß. Während Christian Alicia einen Kuss auf die Wange drückte, erkundigte er sich bei Leonie: „Du willst schon wieder gehen?“

Leonie nickte lebhaft. „Ich habe gestern meine Cousine, in L.A. angerufen und ihr meinen Besuch angekündigt. Wir haben uns ewig nicht mehr gesehen und ich freue mich schon darauf, ihre kleine Tochter endlich kennenzulernen.“

„Aber…“

Diesmal bemerkte er den Blick von Alicia rechtzeitig und er rettete sich in den Satz: „Aber das ist ja großartig. Das wird ja eine Wiedersehensfreude werden.“

„Ja, nicht wahr?“, grinste Leonie und Christian bemerkte den kleinen Seitenhieb. „Mein Flug geht in etwas mehr als einer Stunde.“

„Jereon wird dich natürlich zum Flughafen bringen“, bot Christian ihr an.

„Das ist sehr aufmerksam von dir“, strahlte Leonie. Dann schien ihr plötzlich etwas einzufallen und sie bat ihren Ex-Freund: „Ach, Christian, wärst du bitte so freundlich, am International-Airport, in Los Angeles, anzurufen, um dort für mich einen Mietwagen zu bestellen? Das wäre furchtbar nett.“

„Natürlich. Ich mache das vom Arbeitszimmer aus, denn die Nummer habe ich nicht wirklich auf meinem Handy.“

Er ging, und Samantha schloss sich ihm unaufgefordert an.

Als Leonie mit Alicia allein war, zwinkerte Leonie Alicia vielsagend zu. „Schön, dass wir für einen Moment allein sind, Alicia. Ich wollte mich besonders bei dir bedanken, dass du das Alles so locker aufgenommen hast. Ich wünsche dir wirklich, dass es mit dir und Christian funktioniert.“

Etwas verwundert erwiderte Alicia: „Danke, Leonie. Dabei dachte ich zuerst, du hättest etwas ganz Anderes vorgehabt.“

Freimütig gab Leonie zu: „Das hatte ich auch. Doch ich habe gesehen, wie du mit Christian umgehst. Und er mit dir. Da ist etwas, das man nicht beschreiben kann, aber es ist da. Genau das, was zwischen mir und Christian gefehlt hat. Als ich in Deutschland von dir hörte, da musste ich mich davon überzeugen, dass du nicht irgendeine Tussi bist, die es nicht ernst mit Christian meint. Jetzt bin ich fast etwas neidisch, weil Christian so eine tolle Freundin hat, aber auch irgendwie beruhigt.“

Alicia schluckte. „Dir liegt immer noch sehr viel an ihm?“

Leonie nickte, etwas ernster werdend. „Ja, ich habe nie aufgehört ihn zu mögen. Doch zu mehr, als mögen, reichte es bei ihm letztlich nicht. Darum musst du dir auch keine Sorgen machen, in Bezug auf mich. Schließen wir Freundschaft?“

„Nach dem gestrigen Abend unbedingt“, lachte Alicia.

Gerade, als sich die beiden Mädchen umarmten, kam Christian mit Samantha zurück und etwas ironisch erkundigte sich der Junge: „Ob ich mir vielleicht doch Sorgen machen sollte, Samantha?“

„Nein, das glaube ich nicht. Obwohl…“

Christians anfängliches Lächeln schwand schnell und giftig meinte er: „Das ist so was von gar nicht cool, Samantha.“

Sie lachten und begaben sich zu Alicia und Leonie.

Schnell wechselten Christian und Alicia ein paar bedeutsame Blicke miteinander und Leonie sah Alicia vielsagend an. Christian informierte indessen den Chauffeur und gemeinsam halfen sie ihm mit dem Gepäck.

Als die Limousine durch das breite Tor fuhr winkten die drei Teenager zum Abschied.

Während sich Samantha schnell wieder in die Villa begab, legte Christian draußen seinen Arm um die Schulter seiner Freundin und sagte aus tiefstem Herzen: „Du bist wundervoll, Alicia. Wenn es nicht schon vor über einem Jahr passiert wäre, dann würde ich mich auf der Stelle in dich verlieben.“

„Vor einem Jahr, drei Monaten, zwei Wochen und einem Tag.“

Christian zog Alicia bei diesen Worten in seine Arm, sah sie liebevoll an und erkundigte sich dann mit leichter Ironie in der Stimme: „Du weißt es nicht mehr auf die Minute genau, mein Engel?“

Sie sahen sich in die Augen und Alicia erwiderte irgendwann: „Die Hauptsache ist, dass ich den Moment nie vergessen werde, in dem es passiert ist. An jenem Freitag Nachmittag, in deinem Zimmer, auf der Farm deines Onkels und deiner Tante. Als du mir von deiner Mom erzählt hast und plötzlich so traurig warst.“

Christian lächelte in der Erinnerung. „Ich habe es an demselben Tag gemerkt. Allerdings erst, als ich dich nach Hause begleitet habe. Da gab es einen Moment, in dem du mich auf eine ganz besondere Weise angesehen hast. Nicht der Blick.“

Alicia küsste Christian kurz. Dann sagte sie entschieden: „Ich werde deinen Vorschlag annehmen, Chris. Ich meine, den mit der Finanzierung. Egal, was meine Eltern dazu sagen. Ich möchte unbedingt Chemie studieren und mein Diplom machen. Aber wir werden das vertraglich festhalten und ich werde dir jeden Dollar und jeden Cent zurückzahlen. Das wird meine Bedingung sein, hast du gehört?“

„Christian lächelte zufrieden. „Laut und klar, Alicia.“

Dabei dachte er amüsiert: Wird ohnehin in der Familie bleiben, weil wir, irgendwann in sieben Jahren, heiraten werden.

Davon war Christian, nach den Ereignissen der letzten Tage mehr denn je überzeugt. Dann sah er auf seine Armbanduhr. Zeit sich von Alicia zu verabschieden um zum Metropolis-Police-Department zu fahren.
 

ENDE
 



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