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Oak's Heir

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Soo, hier ist das erste (zugegebenermaßen ein wenig deprimierende) Kapitel meiner ersten Fan Fiction, die ich hier veröffentliche. Bitte ignoriert einfach mal den Fakt, dass Alabastia eigentlich keinen Bahnhof hat, und 'genießt' diese paar Absätze von Trauer. Keine Sorge, nicht die komplette Fanfic wird so... düster. :-D
So, und jetzt viel Spaß beim Lesen! ^-^ Komplett anzeigen

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Regen in Alabastia

Er starrte zum Fenster hinaus, und wusste nicht einmal selbst, ob er die dunkle Nadelwaldlandschaft, oder seine eigene Reflektion in der Fensterscheibe beobachtete. Er war so lange nicht mehr in Alabastia gewesen, dass es ihm vorkam, als würde er eine völlig neue Region besuchen. Zwar hatte er seine Familie immer wieder besuchen wollen, doch sein Großvater und seine Schwester waren so oft zu ihm nach Illumina City gekommen, dass es kaum Sinn gemacht hätte.

Er hatte seinen Besuch immer weiter aufgeschoben, bis es schließlich zu spät gewesen war. Bis ihn die Nachricht über den Tod seines Großvaters erreicht hatte.

Der Zug hielt an, und man konnte nur schwer in dem spärlichen Licht das Schild erkennen, auf dem „Alabastia“ geschrieben stand. Sofort griff er nach seinen Sachen und verließ als Einziger an dieser Station den Zug.

Am Bahnhof wartete nur eine einzige Person, eine junge Frau mit langen braunen Haaren, die ihn wortlos in die Arme schloss. Früher hätte er sich für Umarmungen geschämt, aber nun ließ er es einfach widerstandslos geschehen. Spätestens, als er hörte, dass sie zu schluchzen begann.

Sie standen eine Weile ohne Worte da, aber das Schweigen sagte mehr als tausend Worte. Schließlich aber setzte Gary trotzdem an: „Es ist alles gut, Sarah.“

Sie sah ihn zum ersten Mal an. Unter ihren grünen Augen, die genauso aussahen wie Garys, hatten sich dunkle Mascaraspuren abgesetzt und ihre Wangen waren sicherlich nicht nur wegen der Kälte gerötet. „Warum musste er jetzt schon sterben? Er war doch noch gar nicht so alt...“

Gary starrte an ihr vorbei, vermutlich, damit sie nicht direkt beobachten konnte, wie ihm selbst die Tränen in die Augen stiegen. Als ihn der Brief mit der Trauerbotschaft erreicht hatte, war für ihn eine halbe Welt zusammengebrochen. Zwar waren seine Eltern sehr viel jünger gewesen, als sie gestorben waren, doch an sie konnte er sich kaum noch erinnern. Das war mit seinem Großvater anders, von dem er so viel gelernt hatte, und auf den er sich immer hatte verlassen können. Seinem Großvater hatte er es auch zu verdanken gehabt, dass er überhaupt studieren gehen konnte und nun kurz vor Erhalt seines Master-Abschlusses stand.

Titel, die einen wohl kaum interessierten, wenn man deshalb den Platz seines verstorbenen Großvaters einnehmen musste.

„Lass uns ins Auto gehen“, murmelte er schließlich nur mit überraschend klarer Stimme, während er beobachtete, wie feine Wassertröpfchen langsam vom Himmel und auf das Kopfsteinpflaster fielen. „Es fängt an zu regnen.“

Blue

Er streckte sich, um zu sehen, wie viele Leute eigentlich in der kleinen Friedhofskapelle waren, doch dann sah er, dass sogar massenhaft Trauernde noch draußen im Regen standen, um der Beerdigug beizuwohnen.

Resigniert blickte er wieder nach vorne und starrte auf das Foto, das einen grauhaarigen, braungebrannten Mann im weißen Forscherkittel zeigte, der fröhlich in die Kamera lachte. Er erinnerte sich an den stets freundlichen Professor, der gerne Hawaiihemden trug, schlechte Gedichte schrieb und über alles bei einer Tasse Tee und etwas Kuchen sprechen konnte. Der Mann, dem er sein Pikachu zu verdanken hatte.

Der Versuch, die aufkommenden Tränen wegzublinzeln, misslang ihm vollkommen. Noch bevor der Pastor überhaupt angefangen hatte zu predigen, weinte er unaufhaltsam, obwohl er sich eigentlich vorgenommen hatte, sich zumindest ein wenig zusammenzureißen. Er wollte gar nicht erst wissen, wie er weinen würde, wenn jemand zu sprechen begann.

„Wir haben uns heute alle hier versammelt, um Abschied von einem Menschen zu nehmen, den nicht nur wir, sondern auch sehr viele andere Leute aus unterschiedlichsten Regionen kannten. Einen Menschen, der unsere Gesellschaft unglaublich bereichert hat, nicht nur durch seine Forschungen und sein Wissen, sondern auch durch seine Menschlichkeit. Samuel Oak hat sein ganzes Leben den Pokémon und der Erziehung seiner Enkel Sarah und Gary gewidmet, denn er war ein selbstloser Mensch, der das Wohl aller anderen über sein eigenes stellte. Das soll aber nicht heißen, dass er sich keine Zeit für Tee- und Kuchenpausen ließ.“

Die Zeremonie verlief emotional, so, wie Ash es sich vorgestellt hatte. Jeder hatte immerhin Professor Oak geliebt.

Mehrere Reihen vor ihm, ganz vorne, saß Gary Oak, sein ehemaliger Erzrivale und nun irgendwie bester Freund. Mit Professor Oak war nicht nur Ashs Berater von ihnen gegangen, sondern auch Garys Großvater. Blut war dicker als Wasser, wie es immer so schön hieß. Vor allem, wenn die eigenen Eltern schon seit unzähligen Jahren verstorben waren.

Ash hatte Gary noch nie weinen gesehen, nicht einmal, nachdem all seine jahrelange Arbeit zunichte gemacht worden war und er seinen Titel als Champ verloren hatte. Nun aber kullerten die Tränen ohne Unterbrechung über seine Wangen und die Hand, die er manchmal vors Gesicht hielt, zitterte so stark, dass man es sogar aus der Entfernung noch erkennen konnte. Er allerdings war immer noch beherrschter als Sarah, welche aussah, als würde sie jeden Moment aus Verzweiflung zusammenbrechen.

Als der Sarg ins Grab gelassen wurde, dauerte es bei der Anzahl an Gästen eine Ewigkeit, bis Ash und seine Mutter an der Reihe waren. Sie streuten ein paar Rosenblätter auf den Sarg und Ash kniff die Augen zu, um voll mit seinen Gedanken bei dem verstorbenen Professor zu sein.

Nach der Beerdigung wollten sich die engsten Vertrauten und Verwadten bei Sarah und Gary zu Hause treffen, in dem Haus, was ihr Großvater einst hatte bauen lassen. Wortlos setzte sich die Karawane in Bewegung und marschierte zu dem Haus auf dem Hügel, das manche als Wahrzeichen von Alabastia sahen und aufgrund seines Charmes sicherlich ein halbes Vermögen wert war. Heute aber war es wohl der traurigste Ort der Welt.
 

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Die Oberfläche des Tees zitterte immer noch leicht vom Rühren, als Gary sie wortlos anstarrte. Er hatte keine sonderliche Lust, sich mit irgendjemandem zu unterhalten und so zu tun, als müsste man über irgendetwas reden oder krampfhaft versuchen, vom Thema abzulenken. Während Sarah versuchte, gastfreundlich zu bleiben und jedem Tee nachzuschenken, obwohl sie fast zusammenbrach, saß ihr Bruder in der Ecke und verlor kein einziges Wort über irgendwas.

„Wer wird jetzt eigentlich das Labor übernehmen?“, fragte schließlich eine Frau, die Gary noch nie zuvor gesehen hatte. Vermutlich hatte sie seinen Großvater an irgendeinem Tag mal getroffen oder war ein großer Fan von ihm, sodass sie nun glaubte, hier sitzen zu müssen. Noch während sie die Frage stellte, sah sie ihn allerdings schon an, als wüsste sie die Antwort bereits.

„Weiß ich nicht“, murmelte Gary, obwohl er die Antwort ebenfalls wusste.

„Gary wird vermutlich die einzige Möglichkeit sein, und es ist sicherlich keine schlechte, denn er ist auf dem besten Weg, sein Masterstudium mit Bravour abzuschließen“, meldete sich seine Tante Agatha zu Wort, doch die Komplimente, die sie ihm vorhin gemacht hatte, prallten an ihm ab.

Eine andere ältere Frau rümpfte die Nase. „Es wird keinen Ersatz für Samuel geben, selbst, wenn es offensichtlich in der Familie bleibt. Er hat unser Wissen über Pokémon revolutioniert; dagegen wird ein junger Mann ohne jegliche Erfahrung doch ziemlich blass aussehen“, sagte sie. Gary kannte sie, obwohl er sich gewüscht hätte, sie niemals getroffen zu haben. Offensichtlich war sie nämlich ein absoluter Groupie von seinem Großvater gewesen, und war ihm früher fast überall hin gefolgt.

„Papperlapapp!“, erwiderte seine Tante barsch, „Gary hatte immer hervorragende Noten, und hat für sein Alter so viel Erfahrung, wie man eben hat, wenn man im Ausland studiert und schon einmal Champ und Arenaleiter gewesen ist!“ Sie warf Gary einen Blick zu, der verlangte, dass er ihr zustimmen sollte, doch in diesem Augenblick klingelte es an der Tür. Zum ersten Mal an diesem Tag bewegte Gary sich ruckartig und sprang von seinem Stuhl auf, um zur Tür zu laufen.

Er hatte mit irgendjemandem aus dem Dorf gerechnet, irgendjemand, der ihm eine Beleidskarte in die Hand drücken und dann stundenlang beteuern würde, was für ein toller Mensch sein Großvater gewesen war, doch keine dieser Erwartungen bewahrheiteten sich.

Vor der Tür stand nämlich ein Mädchen, das Gary noch nie in seinem Leben gesehen hatte.

„Ich weiß, dass es vermutlich ein ungünstiges Timing ist“, sagte das Mädchen anstelle eines 'Hallo' oder einer Erklärung, wer sie eigentlich war, oder was sie hier tat. Sie trug ein kurzärmliges, schwarzes Kleid und ihre klitschnassen dunklen Haare klebten an ihrer Stirn. Eigentlich war es viel zu kalt, um sie hier stehen zu lassen, oder um überhaupt solche kurzen Klamotten Ende Oktober anzuziehen.

„Kommt drauf an, wer du bist, oder was du hier willst“, erwiderte Gary nur verwirrt und musterte sie eindringlich, als wäre sie irgendeine fremde Spezies.

„Wer ich bin?“, wiederholte sie lächelnd, als hätte sie nicht mit dieser Frage gerechnet. „Oh komm schon, ich hoffe, du erinnerst dich noch an mich! Wo wir doch mal so gute Freunde waren... na ja, in der Grundschule jedenfalls.“

Gary starrte sie an. Er war in der Regel gut darin, sich Dinge und Gesichter zu merken, doch fürs Erste war er völlig verwirrt. Schließlich aber wusste er doch wieder, wo er diese hellblauen Augen schon einmal gesehen hatte...

„Blue?!“ Es war ihr Spitzname, den sie sich aufgrund ihrer saphirblauen Augen eingehandelt hatte. Eigentlich hieß sie 'Amelie', aber Gary glaubte nicht, dass er ihren wirklichen Namen jemals benutzt hatte.

Ihr Lächeln wurde freundlicher. „Sehr gut, du scheinst dich ja doch noch zu erinnern. Das hatte ich eigentlich von dir erwartet, immerhin sind wir verheiratet.“

An diese verdammte Hochzeit im Kindergarten hatte er tatsächlich gar nicht mehr gedacht. Er hatte damals einen Zylinder getragen und sie einen viel zu langen Schleier, sein Großvater war Pastor gewesen und sie hatten Ringe aus dem Spielzeugautomaten getragen...

„Klar erinnere ich mich an meine eigene Hochzeit.“ Bei dem Gedanken daran merkte er, dass sich seine Mundwinkel nach oben zogen. Es war nur sehr kurz und nicht stark, aber man konnte es fast als 'Lächeln' durchgehen lassen.

Sofort wurde er aber wieder in die Realität zurückgeschleudert, als sie ihm einen schwarzen Umschlag in die Hand drückte, der vom Regen komplett durchnässt war. Sie waren keine fünf Jahre mehr alt, sondern sein Großvater war vor zwei Tagen gestorben und er hatte sie seit dreizehn Jahren nicht mehr gesehen. Und nun stand sie hier erstmals wieder vor seiner Tür, und es gab so vieles, was sie sich zu erzählen hätten, wenn Gary zur Zeit nicht gerade andere Probleme hätte.

„Danke“, sagte er, obwohl er nicht ganz wusste, wofür. Er würde sich diese Beileidskarten sowieso nicht durchlesen.

„Dein Großvater war ein toller Mann“, sagte sie schließlich. „Ich hab ihm früher oft im Labor geholfen, während du draußen Fußball gespielt hast... mich hat das alles unglaublich interessiert, und obwohl ich als Grundschülerin nichts verstanden habe, hat er so getan, als wäre ich genauso wichtig für seine Forschung wie seine Angestellten.“

Daran wiederum konnte er sich nicht erinnern, aber wahrscheinlich hatte sie recht, und sein Interesse für die Arbeit seines Großvaters war früher tatsächlich viel zu gering gewesen. Er suchte nach Worten, doch in seinem Kopf breitete sich bloß eine dunkle Leere aus.

„Wir sollten reingehen, dir ist doch bestimmt kalt“, war schließlich das einzige, was ihm einfiel.

„Oh, ich will eigentlich keine Umstände machen.“

„Tust du nicht. Da drinnen sind schon genug Leute, die ich am liebsten wieder loswerden will.“

Sie lächelte nur, und folgte ihm schließlich ins Haus und anschließend ins Wohnzimmer. Erst wurden Gary und Blue nicht beachtet, doch als der Blick seiner Tante auf die beiden fiel, machten es ihr viele Leute gleich und schließlich wurden sie von zweiundzwanzig Augenpaaren angestarrt.

„Ich dachte, du würdest auf Blondinen stehen?“, fragte sein Cousin direkt.

„Weder stehe ich auf Blondinen, noch ist sie meine Freundin“, erwiderte Gary murmelnd, und sah dann hoffnungsvoll zu Sarah herüber. „Sie ist komplett nassgeregnet. Hast du vielleicht ein paar neue Klamotten für sie?“

„Ähm, natürlich, aber ich würde gerne wissen, wer sie ist und warum du sie jetzt angeschleppt hast...“

„Ich bin Amelie. Vielleicht kannst du dich an mich erinnern, Sarah“, übernahm Blue ihre Vorstellung selber.

Sarah starrte sie erst nichtssagend an, bis sich schließlich ihre Augen weiteten. „Aber natürlich! Du hattest früher immer sehr viel Spaß an der Laborarbeit, aber Gary hatte mir erzählt, du wärst auf einmal weggezogen... warte mal kurz, ich schaue nach, ob ich etwas für dich habe. Du kannst währenddessen duschen gehen; Gary zeigt dir bestimmt, wo die Dusche ist“, sagte sie und stand auf, bevor sie ihren Bruder vorwurfsvoll ansah. Dieser drehte sich um, und ging wortlos dicht von Blue gefolgt die Treppe nach oben. Er war froh, wenn er hier nicht mehr länger sitzen musste mit all diesen Menschen, die seinen Großvater nicht einmal ansatzweise so gut wie er gekannt hatten.
 

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Wenig später ließ sie das warme Wasser auf sich niederprasseln. Sie hatte Gary gar nicht so freundlich in Erinnerung, sondern vielmehr als großspurigen und arroganten, aber trotzdem irgendwie interessanten Mädchenschwarm. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte sie ihm gerne erzählt, warum sie damals weggezogen war...

Ihr Leben hätte völlig andere Wendungen genommen, wenn sie damals hiergeblieben wäre. Wenn sie hier zur Middle und High School gegangen wäre, hätte sie vermutlich ein ganz normales Leben geführt, das ähnlich wie diese ganzen US-Filme aufgebaut war. Vielleicht hätte sie einen Freund gehabt, und ihre Freunde hätte sie niemals verlassen müssen. Wenn sie so daran dachte, wurde sie ganz traurig und benommen, weil jeder außer sie einfach weitergelebt hatte. Niemals mehr würde sie die Phase ihres Lebens wiederholen können.

Sie stieg aus der Dusche und schnappte sich eines der Handtücher, um ihren Körper abzutrocknen. Früher dachte sie, sie wäre neidisch auf das viele Geld der Familie Oak gewesen. Nach dem Tod von Samuel Oak erst wusste sie, dass sie niemals neidisch auf das Geld, sondern auf die komplette Familie gewesen war. Wo jeder sich um den anderen kümmerte und wo man sich immer auf jeden verlassen konnte. So, wie normale Familien eben waren.

Die Klamotten, die Sarah ihr herausgesucht hatte, waren ihr etwas zu groß und eigentlich überhaupt nicht ihr Stil, aber sie wollte und konnte sich nicht beschweren. So zog sie das graue T-Shirt und den lachsfarbigen Cardigan sowie den schwarzen Rock an und verließ das Badezimmer. Sie wollte dieser Familie nicht noch mehr Schwierigkeiten bereiten, als ohnehin schon.

Als sie wieder im Kaminzimmer ankam, um sich für alles zu bedanken, merkte sie, dass die vielen Menschen von vorhin verschwunden waren. Zurück blieben nur Sarah und Gary, die schweigend auf dem Sofa saßen und vor sich hinstarrten, bis sie Blue bemerkten.

„Danke für alles“, begann Blue schließlich, weil weder Sarah, noch Gary irgendetwas sagte, „Aber ich glaube, ich werde nun gehen.“

„Im Dunkeln?“, hakte Gary nur nach, und musterte sie von Kopf bis Fuß. „Alleine und mit nassen Haaren?“

„Ich kann ganz gut auf mich selbst aufpassen“, sagte sie, obwohl sie wusste, dass es ein riesiger Fehler war, so etwas zu denken und das Schicksal sie schon oft genug vom Gegenteil überzeugt hatte.

„Kann ja sein, aber ich lasse kein Mädchen alleine mitten in der Nacht zurückfahren nach -“

„Saffronia City“, beendete Blue den Satz leise, denn sie wusste selbst, wie lang die Strecke zwischen Alabastia und Saffronia City war.

Gary schnaubte nur, und auch Sarah hob nun eine Braue. „Das ist ja eine halbe Weltreise. Wie unnötig, wo wir mehr als genug Gästezimmer haben.“

Blue seufzte schwer, weil sie es hasste, für schwach gehalten zu werden. Sie war zweiundzwanzig und hatte sicherlich in ihrem Leben sehr viel schlimmere Sachen gesehen als die verzogenen Enkel des wohlhabenden Professors – aber andererseits konnte sie Gary wohl nicht vom Gegenteil überzeugen, und außerdem war es bestimmt auch mal ganz interessant, sich mit ihm nach all den Jahren auszutauschen.

Jedoch wusste sie auch, was Gary und Sarah gerade eben durchgemacht hatten, und dass es sicherlich nicht die feine Art war, sich jetzt auf ihrer Gastfreundschaft auszuruhen.

„Macht euch das wirklich keine Umstände?“, fragte sie, und sah die beiden eindringlich an, „Ich meine -“

„Es ist alles in Ordnung“, schnitt Gary ihr das Wort ab.

Sie wollte nicht weiter protestieren, weil sie wusste, dass es nichts bringen würde. Stattdessen lächelte sie nur, und ließ sich kurz darauf das Gästezimmer zeigen.

Team Rockets Comeback

Leere, Stille und Dunkelheit um ihn herum, so wie in seinem Kopf.

Er wusste nicht, wann er zum letzten Mal vernünftig geschlafen hatte, aber es war verdammt lange her gewesen. Seit Tagen lag er wach und versuchte sich irgendwie abzulenken, bis die Bilder im Kopf wieder zu dem Gesicht seines Großvaters abdrifteten.

Seine mittlerweile schmerzenden Augen starrten auf den flimmernden Fernseher und seine Finger bewegten sich mechanisch in irgendeine Richtung. Er wusste nicht, wie der Spielspand bei seinem aktuellen Spiel war oder wann es ihm jemals egal gewesen war, wenn er verlor, aber er konzentrierte sich auch nicht eine Sekunde lang auf FiFa. Auch interessierte es ihn nicht, wie spät es war. Irgendwo in einem Zeitraum von null bis sieben Uhr machte alles für ihn irgendwie Sinn.

Ein lautes Klirren unterbrach die nachgemachten Stadiongesänge und den Kommentator des Spiels. Er pfefferte seinen Controller irgendwo auf sein Bett und schlich sich im Dunkeln aus seinem alten Kinderzimmer, denn er brauchte keinen Lichtschalter, um die Tür zu finden. Danach ging er nach unten zu dem Raum, aus dem er glaubte, das Geräusch wahrgenommen zu haben, das sich irgendwie nach einer zersprungenen Glasscheibe angehört hatte. Entweder Sarah oder Blue wanderten nachts durch das Haus, oder jemand brach ein.

Sein Weg führte ihn zu dem alten Labor seines Großvaters, den er notdürftig mit dem grellen Licht seines Handys beleuchtete. Als er eine Person davor stehen sah, stolperte er vor Schreck einige Schritte zurück.

„Schon gut, kein Grund mich gleich zu blenden“, hörte er Blues Stimme, und als er seine Taschenlampe erneut auf sie hielt, merkte er, dass sie es tatsächlich war.

„Was zur Hölle machst du hier mitten in der Nacht?“, fragte er, und merkte erst jetzt, dass ihn die Kopfschmerzen einholten.

„Ich denke dasselbe, was du auch tust“, sagte sie, und musterte ihn eindringlich. Vielleicht bildete er sich das ein, aber ihr Blick blieb ungewöhnlich lange an seiner Brust hängen, vermutlich, weil er kein Oberteil trug. Instinktiv verschränkte er die Arme vor seinem Brustkorb.

„Du schleichst dich also nachts durch die Gegend und wirfst Vasen um, oder was genau tust du hier?“

„Klar, das mache ich gerne.“ Ein Grinsen umspielte ihre zarten Lippen, doch dann wurde sie direkt wieder ernst. „Eigentlich wollte ich nur ins Labor um zu gucken, woher das Klirren kam, aber es ist mit einem Code gesichert...“

Gary schnaubte. „Natürlich ist es das.“

Sie trat wortlos zur Seite und ließ ihn somit an das Eingabegerät heran, gegen das sich sein Großvater immer gewehrt hatte, weil er meinte, mit einem einfachen Schlüssel käme man genauso weit. Es hatte jahrelange Überzeugungskraft gekostet, bis er nachgegeben und Gary das codegesicherte Schloss einrichten hatte lassen. Dementsprechend wusste er auch den Code auswendig.

Die Tür öffnete sich mit einem Surren und offenbarte somit viele ansteigende Reihen von Regalen und mehrere Schreibtische mit PC's. Aus dem Augenwinkel nahm Gary eine schwarze Silhouette wahr, welche schnell davonrannte. Ohne nachzudenken sprintete er hinterher, musste sich aber bald eingestehen, dass der Vorsprung, den die Person gehabt hatte, viel zu groß gewesen war. Bald schon hatte er sie wieder aus den Augen verloren.

„Hier ist noch nie jemand eingebrochen“, stieß er schließlich hervor, und starrte auf den Punkt, an dem er den Einbrecher aus den Augen verloren hatte. Fahrig fuhr er sich durch das Haar, unfähig, irgendetwas zu machen.

„Ich rufe die Polizei“, bot Blue an, und zog sofort das Handy aus ihrer Hosentasche.

Garys Blicke fuhren panisch über die Regale, und schließlich rannte er zu einem Tresor, um die Sicherheitscodes einzugeben. Die Sicherheit der Daten im Labor hatte oberste Priorität, denn immerhin ging es um unverkäufliche wissenschaftliche Erkenntnisse, die in den falschen Händen Schlimmes anrichten könnten. Nicht, dass Gary in alles eingeweiht wäre – er war zu lange weg gewesen und hatte Alabastia zu selten besucht, um wirklich jede Einzelheit zu erfahren.

Der Tresor war leer, und Gary brauchte einige Augenblicke, um dies zu verarbeiten. Team Rocket hatte also das Gift geklaut, das sein Großvater gefunden und dessen Existenz er so lange geheimgehalten hatte, weil er genau gewusst hatte, dass das Gift einen für kurze Zeit stärker, schneller und besser machte, vor allem die Pokémon. Auf eine lange Sicht allerdings wurden sie krank davon; nicht nur körperlich, sondern auch physisch. Es war wie bei echten Drogen. Gary wollte sich gar nicht vorstellen, was Team Rocket erst mit einem solchen Gift anstellen würde... es schien genau das zu sein, was sie schon seit Jahren gesucht hatten.

Dann war sein Großvater seit drei Tagen tot, und schon wurde das geklaut, was er stets versucht hatte mit seinem Leben zu beschützen.

Es dauerte einige Zeit, bis die Polizei eintraf, und die Spuren absicherte sowie Blue und Gary als Zeugen befragte. Inzwischen war Sarah auch eingetrudelt und lief panisch herum, da auch sie wusste, was der Diebstahl für das Labor und womöglich für die ganze Region bedeuten könnte. Gary allerdings fand, dass das nur verschwendete Zeit war – er wusste genau, wer dahinter steckte, und, dass derjenige die Daten nie wieder herausrücken würde. Das, was soeben geschehen war, war unumkehrbar.

„Gab es Hinweise darauf, dass Team Rocket zurückgekehrt ist?“, fragte Gary und unterbrach somit den Polizisten, der gerade versucht hatte ihm zu erklären, was die Spurensicherung ergeben hatte.

„Bitte?“, fragte dieser perplex. „Na ja, also...“ Er sah sich ratlos im Labor um, so, als würde irgendetwas hier drinnen ihm antworten, ob er die vertraulichen Dinge der Polizei Kantos erzählen durfte, oder nicht.

„Lass mich das mal regeln“, mischte sich Officer Rocky in das Gespräch ein, und sah Gary dabei eindringlich an. „Ich weiß, dass ich dir vertrauen kann, Gary. Aber nur um noch einmal ganz sicher zu gehen: das ist vertraulich, ja?“

„Natürlich. Das alles hier war auch vertraulich, und ich habe es dreiundzwanzig Jahre lang niemandem erzählt.“

Officer Rocky seufzte. „Also gut... du hast recht, es gibt einige Indizien dafür, dass Team Rocket wieder zurückgekehrt ist. Vor einigen Tagen wurde bereits in das Museum von Marmoria City und in die Pokéballfabrik eingebrochen...“

„Die Fabrik steht in Kalos“, sagte Gary mit gerunzelter Stirn.

„Ja... aber da es drei Einbrüche in vier Tagen waren und zwei davon in Kanto stattfanden, gehen wir davon aus, dass es Team Rocket war.“ Erst jetzt bemerkte Gary, dass Officer Rocky völlig übermüdet aussah mit ihren tiefen Augenringen und der fahlen Haut. Sie schien tatsächlich in der letzten Zeit einiges zu tun gehabt und sich vollkommen überarbeitet zu haben.

Gary schwieg. Es war ungewöhnlich für Team Rocket, außerhalb der Region zu agieren, die sie damals schon fast erobert hatten. Aber fast blieb eben fast – und warum sollte man zusätzlich noch eine andere Region in Angst und Schrecken reißen, wenn man schon an bloß einer gescheitert war?

„Gut, ich denke, wir haben dann hier alles“, nutzte Rocky die Stille aus, um einen Schlussstrich zu ziehen.

„Okay“, erwiderte Gary gedankenverloren, denn er hatte nichts dagegen, dass Rocky endlich in ihren wohlverdienten Feierabend ging. Allerdings bezweifelte er, dass die Polizei irgendetwas unternehmen konnte, denn das letzte Mal, als Team Rocket aufgetaucht war, hatten sie alles einer einzigen Person überlassen, die dann die gesamte Region gerettet hatte.
 

-
 

Unsanft wurde er von einem schrillen Klingeln aus dem Schlaf gerissen. Seine Hand tastete schlaftrunken den Nachttisch nach seinem Handy ab, bis er es letztendlich fand und den grünen Hörer drückte, ohne bis hierhin überhaupt die Augen geöffnet zu haben.

„Ja?“, fragte er, unterbrach sich dann aber selbst wegen eines Gähnens.

„Wie immer bist du vollkommen unbrauchbar, wenn man dich anruft“, hörte er eine Stimme am anderen Ende der Leitung, die ihm sehr bekannt vorkam.

Ash öffnete schlagartig die Augen, und warf einen Blick auf die Uhrzeit des Handydisplays. „Erzähl' mir bitte mal, wer um 04:46 Uhr wach ist!“, erwiderte er, und war schon jetzt genervt von dem Telefonat, das erst geschlagene sechs Sekunden dauerte. Dann aber rief er sich wieder ins Gedächtnis, dass Garys Großvater erst vor Kurzem gestorben war, und man ihm deshalb nicht für sein egoistisches Verhalten maßregeln sollte.

„Sarah, die gesamte Polizeistation Alabastias und ich“, antwortete Gary trocken. „Team Rocket ist gerade ins Labor eingebrochen.“

„Bitte, was?“, wiederholte Ash verwirrt. Er war zwar vielleicht wach, aber sein Gehirn befand sich noch im Halbschlaf. Deswegen machten die Worte, die er hörte, irgendwie keinen Sinn.

„Team Rocket. Ist. Ins. Labor. Eingebrochen“, wiederholte Gary so langsam, als hätte Ash irgendeine geistige Störung.

Ash brauchte ein paar Sekunden, um die Worte zu verarbeiten. „Ich hab Team Rocket zerschlagen.“

„Ich weiß, aber anscheinend hat deine Heldentat nicht so lange angehalten.“

Wieder dauerte es seine Zeit, doch bevor Gary sich über ihn beschweren konnte, ergriff Ash das Wort: „Das... kann nicht.“ Vielleicht wäre es doch besser gewesen, zu schweigen.

Gary schnaubte. „Wenn du mir nicht glaubst können wir auch gerne warten, bis sie wieder zuschlagen. Allerdings haben sie laut Officer Rocky bereits vor einigen Tagen das Museum in Marmoria City und die Pokéballfabrik in Kalos ausgeraubt, also geht es vermutlich sehr schnell.“

„So schnell agieren sie normalerweise gar nicht“, murmelte Ash überfordert, „und erst recht nicht außerhalb Kantos...“

„Sie scheinen stärker geworden zu sein“, erwiderte Gary.

„Gibt es denn konkrete Hinweise darauf, dass jede Tat von Team Rocket stammt?“ Ash konnte sich einfach nicht vorstellen, dass der Haufen von Vollidioten, den er als Fünfzehnjähriger bezwungen hatte, zu solchen Taten in so kurzer Zeit in der Lage war. Zumal sie schön öfters versucht hatten, das Labor auszurauben, aber immer gescheitert waren.

„Angeblich wohl. Aber auch, wenn sie für irgendetwas nicht verantwortlich waren, ist es genau die Vorgehensweise, die sie normalerweise immer hatten. Und ich glaube wir sind uns einig, dass wir sie auslöschen müssen, oder?“

„Ja, natürlich.“ Ash gähnte noch einmal demonstrativ. „Aber bitte nicht um viertel vor fünf!“

„Gut, dann treffen wir uns eben in zwei Stunden.“

„In zwei...“, wiederholte Ash, während er in seinem Kopf ausrechnete, wie spät das sein würde. „Gary, verarsch' mich nicht!“

„Tu ich nicht. Also, wir sehen uns dann um sieben bei mir.“

Bevor Ash Einspruch erheben konnte, hatte Gary bereits aufgelegt.



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Kommentare zu dieser Fanfic (1)

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Von:  Auraya
2019-08-16T08:42:38+00:00 16.08.2019 10:42
Hui, die Fanfic ist sehr spannend und ich freue mich jetzt schon auf das nächste Kapitel :)


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