Zum Inhalt der Seite

Sternenzelt

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Die Söhne Feanors

Auf der Insel Balar, tief im Südwesten Mittelerdes hatte sich Gil-galad, der junge König der Noldor, eine Festung erbaut, die sich hoch über den hellen Klippen in den Himmel reckte. Ihre Türme und Zinnen waren nicht, wie einst die Bauten Gondolins, reich und hübsch verziert und ihre Tore nur aus einfachen Materialien, doch spendete sie den Elben Hoffnung, denn sie war eine der letzten Zufluchten vor dem Wüten Morgoths, der das Festland mittlerweile fast gänzlich unter seine Kontrolle gebrach hatte.

Heute schien die Sonne eines aufkommenden Frühlings auf die hellen Steine und lockte die ersten Blüten aus ihrem Schlaf. Ein idealer Tag, um sich unter einem der alten Bäume niederzulassen und zu lesen, dachte Erestor etwas wehmütig und blickte wieder auf die Notizen vor sich. Warum musste nur ausgerechnet er den Vortrag halten? Er hasste es, vor einer größeren Gruppe reden zu müssen und Meister Annael würde ihn sicherlich wieder unterbrechen und aus dem Konzept bringen.

Plötzlich stupste ihn jemand mit dem Ellenbogen in die Seite. „Guck nicht so, als ob man dich hinrichten wollte, du machst das schon!“ Belegil grinste ihn aufmunternd an, während sie ihre Tasche unter die Bank schob.

„Hinrichten wäre deutlich angenehmer!“, grummelte Erestor und überprüfte lieber noch einmal, ob er alle Zettel dabei hatte.

Sie zuckte mit den Schultern. „Ja gut, du musst dabei weniger selbst tun, aber sonderlich schön stell ich mir 'ne Hinrichtung jetzt nich' vor.“

Erestor ignorierte sie und las noch einmal seinen Schlussteil durch. Mit dem Ende eines Vortrags war er nie zufrieden, aus irgendeinem Grund schien er ein Thema nicht wirklich gut abschließen zu können. Vielleicht sollte er einfach damit enden, was zuletzt passiert war? Eine aufkommende Bedrohung war doch wenigstens ein interessanter Schluss, andererseits war das im Grunde genommen ja überhaupt kein Schluss. Nervös knetete er seine Hände unter der Tischplatte. Belegil holte Luft, als wollte sie ihm etwas sagen, schien es sich jedoch anders zu überlegen und ihn lieber in Ruhe zu lassen, sodass erst das typische Geräusch von Meister Annaels Stock auf dem Steinboden Erestor aus seinen Gedanken riss. Er spürte, wie ihm kalt wurde, als Annael die Tür hinter sich schloss und sich langsam alle jungen Elben im Raum auf den Sitzbänken niederließen. Ihr Lehrmeister begrüßte sie und blickte dann zu Erestor, dessen Mund mit einem Mal staubtrocken wurde. „Erestor wird uns nun das Wichtigste zu Maedhros und Maglor berichten, die ihre Ankunft auf Balar angekündigt haben. Hört aufmerksam zu, damit ihr wisst, mit wem wir es bald zu tun bekommen werden.“

Erestor holte einmal tief Luft, in der Hoffnung, sich damit zu beruhigen und stand auf. Etwas hastig trat er vor die Gruppe und hörte dabei, wie jemand kicherte. War es seinetwegen? Sein Gesicht wurde heiß und kalt zugleich und sein Magen schien sich zu verkrampfen – zum Glück hatte er heute Morgen keinen Bissen herunter bekommen. Er räusperte sich, hielt seine Notizen mit beiden Händen fest und wollte gerade anfangen zu sprechen, als Annael ihn unterbrach. „Die Zettel brauchst du nicht, leg sie zur Seite.“

Erestors Blut gefror und ihm war, als hätten diese Worte ihm den Boden unter den Füßen entrissen. „Aber, da hab ich alles Wichtige stehen!“, protestierte er und versuchte dabei nicht allzu verzweifelt zu klingen.

„Ich bin mir sicher, du hast das alles auch in deinem Kopf.“ Annael trat vor und zog Erestor die Notizen aus den Fingern, dann drehte er eine Sanduhr auf dem Pult um. „Und fass dich kurz, wir wollen nur das Wichtigste hören! Du hast einen Durchlauf Zeit.“

Sein Herz begann zu rasen, nur einen Durchlauf? Gestern Abend hatte er bei der Probe fast vier gebraucht! Wie hypnotisiert starrte er den rieselnden Sand an, bis ihn Annael aus seiner Trance riss. „Die Zeit läuft übrigens bereits...“

„Äh ja, ehm also -“ Er blickte zu Belegil, die ihm bedeutete tief Luft zu holen, was er tat, dann visierte er einen Punkt oberhalb seiner Mitschüler an, damit er niemandem in die Augen blicken musste. „Maedhros und Maglor sind die ältesten Söhne Feanors, der der älteste Sohn Finwes war, des ersten Königs der Noldor“, ratterte er los. „Sie hatten noch fünf Brüder: Celegorm, Cara-“

„Leben die Brüder noch?“, unterbrach ihn Annael.

„Äh- nein.“

„Sind sie für die heutigen Geschehnisse noch relevant?“

„Ähm... nicht so richtig – vielleicht indirekt?“

„Also nicht, dann lass sie weg – fokussiere dich auf das Wesentliche, Erestor.“

Der Elbling nickte und hörte ein Kichern aus den hinteren Reihen, was ihm die Hitze ins Gesicht trieb. Rasch ging er in Gedanken durch, was alles in seinem Vortrag nun nicht mehr relevant war und beschloss, die erste Seite ganz zu überspringen.

„Also, Feanor schuf die Silmaril, drei Steine beispielloser Schönheit und Macht. Aber Morgoth trachtete nach ihnen und er säte Zwietracht zwischen Feanor und seinen Brüdern Fingolfin und Finarfin, sodass Feanor sich mit seinen Söhnen von ihnen abwandte.

Als nun Morgoth die zwei verehrten Bäume vergiftete, deren Licht Feanor in den Silmaril eingeschlossen hatte, hätten sie mit den Steinen geheilt werden können, doch Feanor wollte sie nicht hergeben, da sie dabei zerstört worden wären und er sie als seinen eigenen Besitz betrachtete und nur für sich haben wollte. Es kam zu Auseinandersetzungen und Morgoth konnte in den Verwirrungen die Steine stehlen und den ersten König, Finwe, töten. Feanor wurde so zum König und er führte uns Noldor nach Mittelerde, wohin Morgoth mit den Steinen geflohen war. Er und seine Söhne schworen, jeden zu vernichten, der ihnen die Silmaril vorenthielt.

In der ersten Schlacht kämpften an seiner Seite -“

„Kürzer fassen“, schnitt Annaels Stimme in Erestors Vortrag. „Dein Thema sind Maedhros und Maglor, nicht Feanors Schlachten.“

„Oh, okay. Ähm – wie gesagt, Feanor wollte die Silmaril zurückerlangen und so kämpfte er mehrfach gegen Morgoth, wurde dabei aber schließlich getötet, sodass dann Maedhros der neue König der Noldor wurde. Morgoth lockte aber Maedhros in eine Falle und nahm ihn gefangen, um so die Noldor zum Rückzug aus Mittelerde zu zwingen. Aber Fingon, Fingolfins Sohn, rettete Maedhros und aus Dankbarkeit gab Maedhros die Königswürde an seinen Onkel, Fingolfin, ab.

Lange gelang es keinem, die Silmaril von Morgoth zurückerlangen und die Brüder herrschten als Fürsten über Maedhros' Mark am Berg Himring und über Maglors Lücke an den Quellen des Gelions.

Doch schließlich schaffte es Beren ein Silmaril von Morgoth zu erringen, da er nur so seine Geliebte, Luthien, heiraten durfte und -“

„Irrelevant!“

Erestor schluckte und überlegte rasch, was er weiter kürzen konnte. „Oh, also Luthien trug von da an das Silmaril, doch die Söhne Feanors wollten es für sich und griffen daher immer wieder diejenigen Noldor an, bei denen sich das Silmaril befand und die es nicht hergeben wollten, da es unter zu großen Anstrengungen zurückgewonnen worden war. Bis auf Maedhros und Maglor starben alle Söhne Feanors dabei und sie und ihr Gefolge schlachteten rücksichtslos alle Elben nieder, die ihnen in den Weg kamen. Zuletzt in den Häfen des Sirion, wo sie Elwing angriffen, als ihr Mann gerade mit seinen Männern in See gestochen war. Elwing selbst konnte mit dem Silmaril entkommen, doch die meisten anderen wurden getötet, darunter sogar ihre jungen Söhne. König Gil-galad versuchte noch, sie zu retten, doch er kam zu spät und er und Meister Círdans Truppen fanden nur noch Leichen in einer verbrannten Stadt.

Dies ist jetzt zehn Jahre her und seitdem hatte man nichts mehr von den Söhnen Feanors gehört, doch vor kurzem schickten sie einen Boten, der berichtete, sie wollten ihre Truppen mit Gil-galads vereinen, um gemeinsam mit ihm gegen Morgoth vorzugehen. Deshalb werden sie bald persönlich hier auf Balar eintreffen.“ Erleichtert und etwas überrascht darüber, wie schnell sein Vortrag nun vorbei war, blickte Erestor zu seinem Lehrmeister.

Annael lächelte. „Gut, danke, sogar noch knapp unter einem Durchlauf“, fügte er mit einem Blick auf die Sanduhr hinzu. „Du kannst dich setzen.“

Erestor huschte wieder auf seinen Platz und spürte, wie es ihm mit einem Mal viel besser ging. Belegil zwinkerte ihm aufmunternd zu und stellte ihm ein kleines Bündel aufs Knie. Verwundert öffnete er es unter seinem Tisch, als Annael damit begann mit den anderen Schülern weitere Berichte über Maedhros und Maglor zusammenzutragen, und freute sich über die zwei Zitronenbrote darin. Belegil kannte ihn einfach zu gut und wusste anscheinend genau, dass er vor einem Vortrag nichts essen konnte. Vorsichtig brach er immer wieder ein Stückchen Brot ab und schob es sich in den Mund, während einer seiner Mitschüler von seiner Flucht aus den Häfen Sirions vor zehn Jahren berichtete.

Maedhros und Maglor klangen wie die Schreckgestalten aus einem der alten Bücher in der Bibliothek und doch würde es nicht mehr lange dauern, bis sie Balar betraten. Die Vorstellung bald am selben Ort zu sein, wie die zwei wohl grausamsten Elben ihrer Zeit, die ohne mit der Wimper zu zucken ihre eigenen Sippen abschlachten ließen, jagte Erestor jedes Mal einen Schauer über den Rücken, dabei musste er sich nicht einmal persönlich mit ihnen auseinander setzen. Wie musste sich da wohl ihr König fühlen, der ihnen bald gegenübertreten würde? Sein Blick wanderte zum Fenster hinaus und zu den drei hohen, miteinander verschlungenen Türmen, in denen sich nicht nur der Thronsaal, sondern auch diverse Beratungsräume und die Gemächer Gil-galads befanden. Sicherlich war ihr König bereits bestens auf die Ankunft der Feanorer vorbereitet.
 

Gil-galad stand an einem der hohen Fenster des runden Raumes und blickte hinaus aufs funkelnde Meer. Irgendwo hinter dem Horizont befand sich die Küste Mittelerdes, von der aus die Söhne Feanors mittlerweile aufgebrochen sein mussten. Je nachdem wie günstig der Wind stand, konnten sie schon heute auf Balar eintreffen. Er war mit seinen Beratern alle möglichen Szenarien ihres Aufeinandertreffens durchgegangen, dennoch fühlte er sich nur unzureichend vorbereitet.

„Wenn Ihr noch länger dort steht, wird man Euch noch für eine Statue halten.“

Gil-galad zuckte zusammen und wandte sich um, er hatte Círdan nicht kommen hören, der sich nun auf einem der Stühle niederließ.

„Für eine Statue bin ich innerlich viel zu unruhig!“ Gil-galad trat hinter einen der dunklen Stühle und umfasste dessen Lehne. „Was ist, wenn sie heute schon kommen?“

Círdan lächelte mild. „Und was wenn sie morgen kommen? Es ändert nichts, wir haben alle Möglichkeiten abgewogen, nun können wir nur noch warten.“

Der junge König seufzte und fuhr sich mit den Händen durchs Gesicht. „Ich bin es leid, zu warten! Das letzte Mal waren wir zu spät und nun müssen wir warten! Ich bin wahrscheinlich der Untätigste aller Könige!“

„Ihr geht zu hart mit Euch ins Gericht, noch seid Ihr nicht lange König, doch Ihr konntet bereits vielen Flüchtenden hier ein neues Heim schaffen. Eure Leute sind wohlgenährt und fühlen sich hier sicher, das ist mehr, als so manch anderer König schaffte.“

„Das ist aber nicht mein Verdienst. Ich bin es nicht, der ihnen das Brot backt, die Fische fängt oder die Mauern bewacht. Bisher habe ich nur hier gesessen und mir angehört, was passiert, bis auf einmal, als ich in See stach um die Häfen des Sirions zu schützen und zu spät kam!“ Frustriert ließ er sich auf den Stuhl gegenüber Círdan fallen, der ihn noch immer verständnisvoll anlächelte.

„Dann ist doch dieses Treffen die Gelegenheit, zu zeigen, dass Euer Name nicht Gil-galad der Untätige sein wird, sondern vielleicht Gil-galad der Weise?“

Der König schnaubte. „Der Weise?“

Círdan hob die Augenbrauen. „Nicht? Nun, wie wollt Ihr denn, dass man sich an Euch erinnert?“

„... ich weiß es nicht, doch ich bin weise genug, um zu wissen, dass ich sicher nicht weise bin! Ich möchte ein König sein, an dessen Herrschaft man sich erinnert, als eine friedliche und glückliche für alle, die sich mir anschließen!“

„Dann seid Ihr doch mit dem Bündnis mit den Feanorern auf einem guten Weg dahin.“

„Bin ich das?“ Zweifelnd musterte Gil-galad seinen alten Lehrmeister. „Ist es wirklich ein guter Schritt, sich mit den Mördern so vieler unserer Sippe einzulassen?“

„Ihr wollt Frieden mit Ihnen schließen, nicht erneut gegen sie kämpfen und es ist doch der Frieden, den Ihr wollt. Außerdem gibt es größere Bedrohungen, als die Feanorer und diese können wir nur gemeinsam bezwingen.“ Bei diesen Worten waren seine Augen auf der großen Karte vor ihm entlang gewandert, über all jene Gebiete, die bereits unter Morgoths Kontrolle geraten waren. „Wirklichen Frieden kann es nur geben, wenn der dunkle Schatten besiegt wurde und das kann uns nur gemeinsam gelingen.“

Gil-galad nickte und wusste, das Círdan Recht hatte. „Es fühlt sich dennoch nicht richtig an, sich mit jenen zu verbünden, die bis auf mich alle Nachfahren Fingolfins töteten oder vertrieben, sogar die Kinder Elwings ermordeten sie. Wie alt waren die Jungen noch? Erst sechs, nicht wahr? Vermutlich konnten sie gerade erst richtig laufen!“

„Sie konnten bereits sehr gut laufen – Ihr vergesst, dass sie Halbelben waren, sie alterten wie Menschen. Zwei wirklich aufgeweckte Jungen. Ich lernte sie kennen, als ich das Schiff für ihren Vater baute.“ Círdan schloss kurz die Augen in Erinnerungen an jene friedlichen Tage in den Häfen Sirions, so kurz vor dem Massaker, dann sah er Gil-galad eindringlich an. „Aber wir dürfen uns nicht von solchem Groll gegen Maedhros und Maglor leiten lassen. Sie haben Schreckliches getan, doch ihre Armeen sind noch immer stark und erprobt darin, gegen Morgoth zu kämpfen. Für die Toten können wir nichts mehr tun, doch um die Lebenden zu retten, bleibt uns nur dieses Bündnis!“

Gil-galad nickte und blickte wieder aufs Meer hinaus. Am Horizont erschienen die Segel mehrerer Schiffe, geschmückt mit dem achtzackigen Stern Feanors. „Sie sind da.“
 

Auf dem Schiff trat ein hochgewachsener Elb an die Reling und blickte aufs Meer.

„Bist du sicher, dass wir wirklich mit so wenigen Leuten die Insel betreten sollten?“, unterbrach die ruhige Stimme seines Bruders seine Gedanken.

Maedhros seufzte leise. „Für sie sind wir die Bösen, wir können ihr Vertrauen nur gewinnen, wenn wir zeigen, dass wir bereit sind, ihnen zu vertrauen.“

„Können wir das denn? Was wenn sie uns einfach alle niederschießen?“ Die Sorge in Maglors Stimme war nicht zu überhören.

„Wenn du Angst hast, dann bleib auf dem Schiff.“ Gab Maedhros trocken zurück.

„Wenn wir dort sterben, dann soll es so sein, aber ich bin nicht um mich besorgt...“ Maglors Blick wanderte zum Bug des Schiffes, an dem zwei Elblinge versuchten, möglichst weit vorne stehend, als erste einen Blick auf die bald erscheinende Insel zu erhaschen.

„Wir können sie nicht zurücklassen. Nur ihre Anwesenheit wird Fingons Sohn zeigen, dass wir nicht so grausam sind, wie er es vielleicht von uns denkt.“

„Und was, wenn Gil-galad nicht wie sein Vater ist? Er hat ihn doch kaum gekannt. Nur, weil du mit seinem Vater befreundet warst, heißt das nicht, dass -“

„Das Risiko müssen wir eingehen.“, stellte Maedhros in einem Ton fest, der seine Worte in Granit zu meißeln schien.

Maglor wandte sich ab. Er wusste, dass es keinen Sinn hatte, mit seinem Bruder zu diskutieren, wenn dieser einen Entschluss gefasst hatte und vermutlich hatte er sogar Recht damit, dass es der beste Weg war. Doch er würde es sich nie verzeihen können, wenn den Jungen etwas zustieße.

„Die Insel! Da vorne ist sie!“, rief plötzlich einer der beiden aus und strahlte Maglor aufgeregt an. Dieser versuchte ein entspanntes Lächeln aufzusetzen und trat neben sie. Eine Weile sahen sie nur zu, wie sich langsam die Türme Balars über den Horizont zu heben schienen, dann konnte es der Ungeduldigere der beiden nicht mehr aushalten: „Ich geh schon mal meine Rüstung anziehen!“, erklärte er, bevor er unter Deck rannte.

Maglor sah ihm lächelnd hinterher. Er würde sein Temperament vermissen.

„Maglor, wir könnten dabei sterben, nicht wahr?“, der andere Zwilling versuchte ruhig zu klingen, doch die Anspannung in seiner Stimme war nicht zu überhören. Seine klaren Augen blickten Maglor durchdringend an, der erst versucht war, diese Befürchtung mit gespielter Zuversicht fortzuwischen, wie er es so oft getan hatte, als die beiden noch klein gewesen waren, doch erkannte er nun, dass sie fast erwachsen geworden waren und die Wahrheit verdienten. „Das ist möglich.“

Der Junge nickte nur und sah wieder zu den hohen Türmen Balars.
 

Der Thronsaal war ein langer Raum, der fast die gesamte Fläche der drei Türme einnahm, durch die hohen Fenster konnte man in alle Richtungen das Meer wogen sehen. Normalerweise entspannte ihn dieser Ausblick, doch heute ließ er Gil-galad flau im Magen werden. Er zupfte den Ärmel seiner aufwendig bestickten Robe zurecht, und blickte zu seinen Beratern, die zwei Stufen unterhalb des Throns an einer Wand standen. Círdan lächelte ihm zuversichtlich zu, doch das beruhigte den jungen König nicht wirklich, wusste er doch nur zu gut, dass Círdan in fast jeder Situation die Ruhe bewahren und ihm immer noch Mut machen würde. Er leckte sich über die trockenen Lippen und visierte wieder die große Eichentür am Ende des Saals an.

Nachdem sie die Segel der Feanorer gesichtet hatten, hatte er sich noch in seine königlichen Roben geworfen, die Krone in sein Haar flechten lassen und sich mit seinen Beratern kurz im runden Saal besprochen, doch jetzt schien er bereits eine Ewigkeit auf die Ankunft seiner Gäste zu warten. Was wenn sie doch einen Angriff starteten? Würden sie es hier hören? Gerne hätte er seinen Speer mit in den Thronsaal genommen, doch das Protokoll verlangte ein waffenloses Gespräch. Er zuckte innerlich zusammen, als die Tür geöffnet wurde und ein Page hineintrat. Der Junge eilte auf den Thron zu und blieb vor der untersten Stufe stehen, an der er sich verbeugte.

„Sprich.“ Gil-galad war es mittlerweile gewohnt, den richtigen Ton für einen Herrscher zu treffen, auch wenn er sich dabei oft fühlte, wie eine ganz andere Person.

„Maedhros und Maglor, die Söhne Feanors sind im Palast eingetroffen und bitten vorgelassen zu werden!“

Wie sehr er doch diese elenden Protokolle hasste. Alle wussten, dass sie kommen würden, sie wurden seit Tagen erwartet und doch mussten sie hier noch einmal darum bitten, ihn zu sprechen.

„Sie sollen vortreten!“

Der Page nickte. „Sire, sie baten weiterhin darum, zwei ihres Gefolges mitzubringen.“

Gil-galad stutze kurz. „Zwei Berater?“

„Oh.“ Der Junge blickte kurz verunsichert und peinlich errötet zu ihm auf und senkte dann wieder den Blick. „Verzeiht Sire, ich weiß es nicht, sie scheinen mir zu jung für Berater oder Krieger zu sein.“

Kurz überlegte der König, was es mit ihnen auf sich haben könnte und warf dann einen Blick zu seinen Beratern, die ihm bedeuteten, dass dies unproblematisch sei.

„Sie mögen ebenfalls vortreten!“

„Sehr wohl, Sire!“ Der Page verbeugte sich tief und eilte wieder zur Tür hinaus.

Gil-galad spürte sein Blut in den Adern rauschen und atmete tief durch, um sich zu beruhigen. Die Flügeltüren wurden geöffnet und der Page verkündete nun mit fester und dazu trainierter Stimme: „Maedhros und Maglor aus dem Hause Feanor mit ihren Begleitern!“

Gil-galad setzte sich gerade auf, einerseits, um beeindruckender zu wirken, doch ebenso sehr, um einen besonders guten Blick auf die beiden berühmten Krieger zu haben, die nun den Raum betraten. Wer von beiden Maedhros war, war unverkennbar. Nicht nur war er um ein ganzes Stück größer als sein Bruder und vermutlich auch die meisten anderen Elben, die Gil-galad bisher gesehen hatte, sein berühmtes, feuerrotes Haar umspielte zudem seinen Kopf, wie eine lebende Kreatur, die er nur halb gezähmt hatte. Maglor hingegen bewegte sich ruhig und unscheinbar neben Maedhros. Sein Haar war schwarz, glatt und im Nacken zu einem Zopf geflochten. Beide hatten die Haare an ihrer Stirn so kurz geschnitten, dass sie ihnen ins Gesicht fielen, ein seltsamer Anblick, doch war es die Mode der Feanorer. Kurz glitt Gil-galads Blick an Maedhros' Arm entlang zu dem Stumpf, der nur noch von seiner Hand übrig geblieben war. Dort hatte Fingon, sein eigener Vater, Maedhros aus Morgoths Ketten befreit. Die beiden waren gute Freunde gewesen, was mit einer der Gründe gewesen war, warum Gil-galad diesem Treffen zugestimmt hatte.

Die beiden Feanorer waren am Fuß der Treppe zum Thron angekommen und verbeugten sich leicht, deutlich weniger, als es sich gebührt hätte.

„Seid gegrüßt, Gil-galad, und habt Dank für diese Audienz!“ Maedhros' Stimme, war klarer, als er sie sich vorgestellt hätte.

„Der Dank gebührt nicht mir, denn Ihr schlugt dieses Treffen vor. Was ist es also, dass Ihr wollt?“ Gil-galad hörte, wie einer seiner Berater scharf Luft holte und wusste selbst, dass er zu direkt war, doch hatte er nicht das Gefühl, die Feanorer legten großen Wert auf das Protokoll und er selbst war es leid, zu warten.

Ein kurzes Grinsen breitete sich auf Maedhros' Gesicht aus. „Ihr seid wahrhaftig Euer Vaters Sohn! Wir haben einen gemeinsamen Feind und er wird immer stärker! Wir können ihn nur gemeinsam besiegen! Lasst uns unsere Truppen verbünden und zusammen gegen ihn vorgehen!“

„Was Ihr sagt, klingt vernünftig, doch wieso sollte ich Euch trauen? Wer sagt mir, dass Ihr unseren Bund nicht nutzt, um mir in den Rücken zu fallen?“

Maedhros nickte. „Ihr müsst Schreckliches über uns gehört haben, doch kann ich Euch versichern, dass wir eines sicher nicht sind: Eidbrecher! Alles, was wir taten, geschah nur für den Eid, den wir gegenüber unserem Vater schworen und an den wir gebunden sind und -“

„Und dieser Eid wiegt schwerer, als das Blut euer Verwandtschaft, dass ihr vergossen habt?“ Gil-galad versuchte den Zorn in seiner Stimme nicht zu zeigen. Wie konnte man mit einem Eid seinem Vater gegenüber das Morden an anderen Verwandten entschuldigen wollen?

„Wir waren nur an den Silmaril interessiert, die unser Vater geschaffen hat. Das Blutvergießen hätte nicht sein müssen, wenn man sie uns ausgehändigt hätte.“ Gab Maedhros trocken zurück.

Einer seiner Berater hustete leise und Gil-galad wusste, dass er das Thema der Silmarils nicht hätte anschneiden sollen, doch konnte er nicht anders, er hatte die eingestürzten Türme in den Häfen Sirions gesehen, das verbrannte Fleisch gerochen und die Getöteten bestattet. „Ihr habt rücksichtslos Kinder abgeschlachtet, als ihr nicht bekamt, was ihr wolltet!“

Zorn verzerrte Maedhros' Züge nun und sein Bruder wirkte beunruhigt. „Es war ein Krieg! Wer im Krieg nicht flieht, kann sterben! Wir ließen ihnen die Wahl, die Häfen zu verlassen, doch sie blieben! Wenn Ihr nicht in der Lage seid, Verluste zu akzeptieren, dann seid Ihr auch noch nicht dazu bereit, ein Heer in die Schlacht zu führen, kleiner König!“

Gil-galad erhob sich, bevor er noch darüber nachdenken konnte und funkelte Maedhros wütend an. Er wollte etwas Kluges darauf erwidern, wie es die Helden in Büchern taten, doch ihm fiel nichts ein, sodass er sich nun wirklich wie ein kleiner, unfähiger König vorkam. Doch er wandte den Blick nicht von Maedhros ab, der es ihm gleich tat.

Es dauerte eine Weile, bis es jemand wagte, die angespannte Stille zu unterbrechen. „Nun, jetzt wissen wir, was Ihr uns vorwerft,“ begann Maglor mit einer Stimme, wie sie Gil-galad noch nie gehört hatte. Es war, als könnte Honig sprechen, goldig, sanft und süß. „Ich weiß, dass meine Brüder und ich viele töteten, die nicht mehr zurückzubringen sind und glaubt mir, auch wir bedauern es zu tiefst. Doch das ist nicht, warum wir hier sind. Hier und jetzt geht es darum, Morgoth zu vernichten!“

„Nun gut,“ Gil-galad wandte seinen Blick von Maedhros ab und setzte sich wieder. Vielleicht war es klüger, seine Konversation mit Maglor fortzusetzen, dessen Temperament nicht sein eigenes anstachelte. Ein kurzer Blick auf seine Berater verriet ihm, dass diese mehr als nur erleichtert darüber waren, dass die Stimmung sich wieder zu entspannen schien. Lediglich Círdan wirkte, als könnte ihn nichts erschüttern. „Was sind Eure Pläne?“

Maglor lächelte matt. „Wir können nicht mit voller Stärke kämpfen, wenn Teile unserer Truppen unsere Kinder beschützen. Ihr habt einen sicheren Ort hier auf Balar. Wir haben nicht viele Elblinge, doch würden wir sie gerne hierhin schicken, zu ihrer Sicherheit und als Versicherung an Euch, dass wir euch nicht in den Rücken fallen wollen.“

Gil-galad nickte leicht, über diese Möglichkeit hatten sie im Rat gesprochen. Es war ihnen als bester Ausgang dieser Gespräche erschienen, doch ging dies nicht zu leicht? „Wie viele sind es?“

„Einhundertsechs.“

„Ich muss mich darüber mit meinen Leuten beraten, ob wir genug Platz haben und Möglichkeiten, uns um sie zu kümmern!“ Der junge König war froh, hierdurch einen Weg gefunden zu haben, das Gespräch für eine Weile zu unterbrechen und auch Maglor schien zu erkennen, dass er dies vorhatte. „Bevor Ihr dies tut, müsst Ihr noch eines wissen: Diese beiden zog ich groß, wie meine eignen Söhne, doch sind sie es nicht. Ich weiß, ich kann Euch keine Toten wieder zurückbringen, doch vielleicht zwei Totgeglaubte.“

Gil-galad sah ihn überrascht an, als er auf die beiden jungen Männer hinter sich wies, die er bisher nicht beachtet hatte. Beide trugen die Rüstungen der Feanor, mit dem großen, hellen Stern auf der Brust und kunstvollen Helmen, die ihre Gesichter halb bedeckten. Maglor nickte und sie nahmen die Helme ab. Darunter kamen zwei identische Gesichter zum Vorschein. Zwillinge, mit dem dunklen Haar der Noldor, geschnitten wie das der Feanorer und strahlend hellen Augen, wie aus Sternenlicht.

„Elros und Elrond?!“, es war Círdans Stimme, die Gil-galad nur noch mehr erstaunte, da sein Meister zum ersten Mal aus der Fassung zu geraten schien.

Die beiden Jungen blickten zu ihm hinüber und schienen ihn zu erkennen. Der eine grinste breit, während der andere freudig lächelte und dann wieder zu Gil-galad hinaufsah, der noch immer nicht wusste, wie er darauf reagieren sollte, dass seine entfernten Cousins, die er von den Feanorern getötet glaubte, in Wahrheit von ihnen aufgezogen worden waren.

„Die beiden mögen schon recht alt aussehen, doch sie altern wie Menschen.“ Unterbrach Maedhros ungerührt das verwirrte Wiedersehen. „Sie sind noch zu jung zum Kämpfen und wir würden sie hier lassen, während wir die anderen Kinder holen.“

„Ähm, ja.“, Gil-galad räusperte sich und sah etwas verwirrt zu seinen Beratern.

„Vermutlich solltet Ihr Euch darüber noch besprechen.“ Maglor wandte sich zur Tür. „Wir warten derweil draußen.“

„Ja – geleitet sie zur Terrasse!“, befahl Gil-galad einem Pagen, bevor die Feanors und die Zwillinge wieder den Raum verlassen hatten.

Elros und Elrond lebten, das hatte keiner seiner Berater vorhergesehen. Erschöpft lehnte er sich in seinen Thron zurück und blickte zu Círdan, der nun mit den Schultern zuckte. „Einhundertsechs Elblinge - das wird sicherlich etwas mehr Leben hierhin bringen...“

Neue Prinzen

Die Segel der feanorschen Flotte machten sich langsam auf den Weg zum Horizont und ließen die beiden jungen Elben allein im Palast zurück.

Elrond stand am Geländer des Balkons und sah zu, wie die Schiffe mit dem vertrauten Stern Feanors verschwanden. Sie waren nicht gefragt worden, als die Elbenlords entschieden hatten, dass sie hierbleiben würden und obwohl Maedhros und Maglor ihnen ihren Plan schon vor Wochen dargelegt hatten, hatte er doch immer gehofft, dass sich noch etwas ändern würde.

Eigentlich hatte er sich vorgenommen, Balar zu hassen und bei ihrer Rückkehr den Feanorern zu berichten, wie schrecklich es sei und er besser bei ihnen aufgehoben wäre, doch der Ort machte es ihm viel zu schwer, an diesem Plan festzuhalten.

Nachdem sie sich heute Morgen von den Feanorern verabschiedet hatten, war Círdan zu ihnen gekommen und hatte sie durch die Stadt hinauf in den Palast geführt. Balar war aus hellem Stein gebaut und erstreckte sich den gesamten Hügel von den Klippen hinab ins Tal, in dem grüne Felder bestellt wurden. Auf einem anderen Hang wuchsen auf kleinen Plateaus Obstbäume, die Elrond an den Geschmack von Pfirsichen denken ließ. Er erinnerte sich nicht, je einen gegessen zu haben, doch wusste er auf einmal wieder, wie sehr er sie mochte. Der Wind in den Gassen war warm und roch nach Salz, die schmalen Häuser besaßen hohe, große Fenster, alles wirkte hell und freundlich und erschreckend vertraut. Ob die Häfen Sirions auch so ausgesehen hatten? Elrond erinnerte sich kaum noch an sie. Der Palast befand sich an der höchsten Position der Klippen und wirkte mit den drei großen, ineinander verschlungenen Türmen und den vielen kleineren daneben, wie eine wogende Welle aus weißem Stein. Er und Elros hatten ihre eigenen Zimmer bekommen und wollten schon protestieren, da sie nicht getrennt werden wollten, doch Círdan schien dies geahnt zu haben und zeigte ihnen nur mild lächelnd den Balkon, der die beiden Räume verband. Wie perfekt es doch war. Elrond strich über den kalten Stein des Geländers, wie um sich zu versichern, dass er ihn wirklich spürte und es kein Traum war. Er hatte manchmal Träume, die erschreckend real wirkten, doch dies schien keiner von ihnen zu sein.

„Elrond! Komm mal schnell!“, gluckste Elros aus seinem Zimmer. Als Elrond dieses betrat, musste er laut loslachen. Elros hatte die Truhe in seinem Zimmer geöffnet und ein paar Kleider gefunden, von denen er eines nun trug. Es war ihm viel zu groß, sodass er mit dem zartgelben Stoff nun den Boden wischte, während er versuchte, die weiten Ärmel irgendwie sinnvoll umzuschlagen. „Die sind doch viel zu lang! Wie isst man denn damit? Die hängen doch bestimmt im Essen!“

Elrond kicherte. „Das musst du König Gil-galad fragen, der hatte gestern doch auch sowas an.“

„Dein Ernst? Das ist ein Gewand für Männer?!“

„Na ja, Círdan trägt auch sowas – nur weniger... voluminös.“

Elros betrachtete sich irritiert im Spiegel an der Wand. „Meinst du, sie tragen Hosen darunter?“

„Also das würde ich lieber keinen von ihnen fragen wollen.“

Beide prusteten los, bis sie ein Klopfen an der Tür unterbrach. Sie tauschten einen panischen Blick aus, bis Elrond flüsterte: „Das ist deine Tür!“

„Oh, ja... herein?!“

Círdan betrat den Raum und lächelte beide mild an. „Wie ich sehe, habt ihr schon die Kleidung gefunden, die wir für euch herausgesucht haben.“

„Was?!“ - „Sowas ziehen wir nicht an!“ - „Es ist auch viel zu groß!“

Der alte Elb hob beschwichtigend die Hände. „In der Truhe gibt es verschiedene Gewänder – in unterschiedlichen Größen, da wird bestimmt auch etwas für euren Geschmack dabei sein.“

„Aber warum brauchen wir denn solche Kleidung? Wir haben unsere eigene mitgebracht!“ Elros deutete auf seine Kiste, die heute Morgen vom Schiff hierhergetragen worden war.

„Die meiste Zeit dürft ihr auch eure Kleidung tragen, aber heute Abend zum Beispiel, braucht ihr etwas Feineres, deshalb wurde euch etwas bereitgestellt.“

„Aber wir haben auch eine feine Gewandung!“ Elros zog sich das Gewand über den Kopf und ließ es auf den Boden fallen, bevor er seine Kiste öffnete und in dieser zu kramen begann. Elrond hob das Gewand auf, er wollte nicht, dass Círdan sie für unordentlich hielt. Der Stoff glitt durch seine Finger wie Wasser, fasziniert betrachtete er es einen Moment, bevor er versuchte, es zusammenzulegen, was nach kurzem Ausprobieren eher zu einem Zusammenrollen wurde. Wie viel Stoff es doch war.

„Hier!“ Elros zog das purpurne Gewand aus schwerem Samt hervor, bestickt mit einem großen Stern auf der Brust. Es war typisch feanorisch geschnitten, knielang, leicht tailliert, mit schmalen Ärmeln, deren Enden einfach geschlitzt waren und einem engen Kragen um den Hals. „Elrond hat das Gleiche nur in blau.“

Círdan trat näher und betrachtete es lächelnd. „Gut, das dürfte angemessen sein.“

„Angemessen wofür denn?“, fragte Elrond, während er das Gewand in der Kiste verstaute.

„Ihr werdet heute Abend mit dem König und seinem Rat speisen.“

Die Jungen sahen ihn überrascht an. „Wie kommen wir zu der Ehre?“

„Der König hat keine Kinder und ihr seid seine nächsten Verwandten, man könnte euch Prinzen nennen. Hat Maglor dies nie erwähnt?“

Die Zwillinge schüttelten den Kopf. „Er sagte uns, wir seien die Kinder eines Fürstens, der viel zur See gefahren sei“, begann Elros und Elrond fügte hinzu: „Er hatte ein Schiff in Form eines Schwans, ich kann mich daran erinnern, wie Ihr es mit ihm gebaut habt.“

Círdan nickte. „Das ist richtig, eure Eltern haben nie besonderen Wert auf ihre Herkunft gelegt. Auch wenn beide königliches Blut in sich trugen.“

„Trugen? Heißt das, sie sind beide tot?“ Elros versuchte neutral zu klingen, doch zitterte seine Stimme etwas, denn sie hatten sich nie getraut, Maglor oder Maedhros danach zu fragen, was aus ihren Eltern nach der Schlacht geworden war.

„Nein, euer Vater war nicht in Sirion und eure Mutter konnte entkommen. Doch sie glaubten, dass ihr tot seid und sind mit der Vingilot, dem Schiff in Schwanenform, Richtung Valinor gesegelt, um die Valar zu bitten, uns im Krieg gegen Morgoth zu unterstützen. Seitdem haben wir nichts mehr von ihnen gehört.“

Die Zwillinge sahen sich an und wussten nicht, was sie sagen sollte. Sie hatten ihre Eltern für tot gehalten, doch nun waren sie vielleicht noch am Leben, aber an einem Ort, von dem es keine Rückkehr gab und den die Meisten nie betreten durften.

Círdan musterte sie. „Wenn ich fragen darf... was haben euch Maglor und Maedhros erzählt, wie ihr zu ihnen gekommen seid? Könnt ihr euch daran erinnern?“

Die Jungen schwiegen zunächst, doch irgendwann begann Elrond zu berichten, ohne Círdan anzusehen: „Unsere Mutter hatte das Silmaril und wollte es nicht hergeben. Maglor und Maedhros hatten Boten nach Sirion geschickt, um zu verhandeln, aber diese wurden weggeschickt. Sie haben einen weiteren Boten geschickt, der Mutter warnte, dass sie angreifen werden, doch dachten die Bewohner Sirions wohl, dass ihre Stadt dem Angriff standhalten würde und blieben. Die Armeen der Feanorer waren stärker und gewannen. Sie kämpften sich ins Schloss durch und dort fanden sie uns. Maglor nahm uns mit, da er Mitleid hatte, weil man uns allein zurückgelassen hatte. Er hat sich immer gut um uns gekümmert!“, fügte er hinzu, ohne so richtig zu wissen warum.

„Das glaube ich euch.“

„Aber jetzt hat er uns auch zurückgelassen, wie Mutter damals“, grummelte Elros und blickte finster auf Meer hinaus.

Círdan nickte, denn seine Überlegungen der letzten Stunden, seit die Zwillinge aufgetaucht waren, schienen sich zu bestätigen. Er hatte damit gerechnet, dass sie ein positiveres Bild der Feanorer hatten, als von ihren Eltern, doch zeigte dies wenigstens, dass Maglor sie gut behandelt haben musste. Das Beste würde es wohl sein, die Jungen mit beiden Seiten auszusöhnen. Wer wusste schon, was ihre Zukunft bringen konnte? Vielleicht war es eines Tages einer von ihnen, der die Elben wieder vereinen konnte, wenn Gil-galad und die Feanorer es nicht schafften. „Ihr seid jetzt schon älter, wahrscheinlich geht er davon aus, dass ihr gut auch ohne ihn zurechtkommen werdet und eure Mutter hat euch sicherlich nur zurückgelassen, weil sie euch nicht mehr fand oder euch bereits für tot hielt.“

„Sie ist aus dem Fenster gesprungen.“ Elronds Stimme war leise, doch die Bestürzung darin war unüberhörbar.

Círdan sah ihn überrascht an. Elwing hatte nie berichtet, wie sie entkommen war und er hatte die Situation für zu belastend für sie empfunden, um nachzufragen.

„Sie ist aus dem Fenster gesprungen, als Maglor anfing, die Tür aufzubrechen“, ergänzte Elros. „Sie hat uns einfach dort gelassen! Wir dachten, sie sei in den Fluten unter den Klippen ertrunken und -“ Er brach ab. Einen Moment sagte niemand etwas, selbst dem weisen Círdan schienen die Worte zu fehlen. Schließlich holte Elrond tief Luft und wechselte das Thema: „Wann findet das Abendessen statt?“

„Zur zwölften Stunde – bei Sonnenuntergang. Ich werde euch abholen. Ihr könnt bis dahin das Bad benutzen. Es ist gleich das erste Zimmer neben Elronds, ein Diener steht dort bereit und hat schon das Wasser erhitz.“

„Danke, dann sehen wir uns zur zwölften Stunde.“

Círdan nickte und verabschiedete sich. Er musste vor dem Essen noch mit Gil-galad über die Jungen sprechen.
 

Er fand den König im Garten am Fuße der höchsten Türme auf einer Bank.

„Círdan, setzt Euch.“

Der alte Elb ließ sich auf der Bank neben Gil-galad nieder. „Was lest Ihr?“

„Einen Bericht über den Fall von Gondolin.“ Er betrachtete nachdenklich die Schriften. „Viele Elben hätten gerettet werden können, wenn mein Onkel auf die Warnungen gehört und sich nicht auf die gute Lage Gondolins verlassen hätte.

Auch Balar mag sich zwar sicher anfühlen, aber darauf können auch wir uns nicht verlassen. Ich würde gerne auch die anderen Sindar auf unserer Seite wissen, nicht nur Eure Leute. Doch ich weiß nicht, ob auch Celeborn eine Allianz mit den Feanorern eingehen würde.“

Círdan nickte zustimmend. „Es ist kompliziert. Die Elben von Doriath kämpften gegen Morgoth, gegen die Feanorer und zuletzt gegen die Zwerge, die ihre Heimat im Wald zerstörten. Nun leben sie schon fast 50 Jahre an der Küste, doch nur wenige setzten zu uns über und schlossen sich uns an. Sie vertrauen nicht vielen und auch Celeborn hat bisher jede Einladung hierher abgelehnt.“

„Was ist mit den Jungen? Sind sie nicht Urenkel des letzten Königs von Doriath? Vielleicht kann ihr Überleben bei den Feanorern Celeborn davon überzeugen, wenigstens an ihrer Seite zu kämpfen?“

Círdan seufzte. „Ja, sie sind neben Euch die letzten Nachfahren Fingolfins und damit Prinzen der Noldor, sie sind die Ziehsöhne der ältesten Söhne Feanors, und die verschollenen Urenkel des verloschenen Königshauses Doriaths und die Enkel des Königs der Menschen. Und sie wissen davon nichts.“

„Nichts?“ Gil-galad starrte ihn überrascht an. „Habt Ihr mit ihnen gesprochen?“

„Ja, sie dachten, sie seien die Kinder eines Fürsten und seiner Elbenfrau. Nun, das stimmt ja in gewisser Weise auch, nur waren sie sich bis eben nicht bewusst, welche Bedeutung dies hatte.“

„Ihr habt es ihnen gesagt?“

„Nur, dass sie hier als die Kronprinzen gesehen werden können. Ich befürchte, das war schon Schock genug für sie. Wir sollten sie nicht mit zu vielen Dingen belasten, sie haben schon zu viel durchgemacht und kämpfen gerade damit, nun schon wieder alleine unter Fremden zu sein.“

Gil-galad nickte. Er wusste nur zu gut, wie es sich anfühlte, zu früh zu viele Erwartungen erfüllen zu müssen. „Ich möchte, dass Ihr ein genaues Auge auf sie habt. Ihr habt auch meine Ausbildung geleitet, ich sehe sie bei Euch in guten Händen. Doch sie sollten auch zur Schule gehen. Vielleicht hilft ihnen Kontakt zu anderen Kindern, sich hier wohler zu fühlen.“

„Eine gute Idee. Heute Abend werden auch die Lehrmeister anwesend sein, wir sollten nach dem Essen mit ihnen beraten, wie die Jungen unterrichtet werden sollten.“

Der König nickte und sah einer Weile einem Eichhörnchen zu, welches zwischen den Bäumen umhersprang, dann kam ihm ein Gedanke: „Wisst Ihr, wer der Ältere von beiden ist?“

„Ihr denkt an Eure Nachfolge, nicht wahr?“

Gil-galad betrachtete die Schriften in seiner Hand. „Es wird Krieg geben, ich wäre nicht der erste König, der im Krieg stirbt.“ Die Stimme des jungen Herrschers war fest und wenn er Angst vor dem Tod hatte, so ließ er es sich nicht anmerken.

„Ich bedauere, mein König. Ich weiß nicht, welcher der beiden älter ist.“
 

„Wir werden es ihnen nicht sagen, wenn sie es nicht wissen“, stellte Elros entschieden fest und wusch sich den Schaum aus den Haaren. „Wenn sie es nicht wissen, ist das ihr Problem, aber keiner von uns wird anders behandelt, nur weil er vielleicht König werden könnte.“

Elrond seufzte und betrachtete die Malereien an der Decke des Bads. Sie hatten den Diener weggeschickt, der das Wasser temperiert hatte und waren seitdem allein in dem marmornen Raum mit all den Tiegeln voller Seifen gewesen. Elros hatte an ein paar davon gerochen und sie ins Wasser gekippt, sodass dieses nun eine zartrosa Farbe hatte und nach Tannen und Rosen duftete. Elrond wollte ihn erst aufhalten, da er sich nicht sicher war, ob sie wirklich die Seifen benutzen durften, war dann jedoch so angetan vom entspannenden Geruch, dass er ihn machen ließ. „Sie wissen es doch vermutlich ohnehin. Wenn wir wirklich so wichtig sind, wie Círdan gemeint hat, wird sowas wahrscheinlich irgendwo aufgeschrieben worden sein.“

„Ja, in Sirion! Aber das ist niedergebrannt. Elrond, wenn sie es wissen, werden sie einen Unterschied zwischen uns machen. Möchtest du das?“

„Nein.“ Die Vorstellung auch noch von Elros getrennt zu werden, drückte schwer gegen seinen Magen, dennoch fügte er hinzu: „Auch wenn du kein schlechter König wärst.“

„Pah, und dann so komische Kleider tragen und auf 'nem großen Stuhl hocken und Reden schwingen? Wir sollten beide große Krieger werden, Elrond. Dann beschützen wir einfach Gil-galad so gut, dass es nie wichtig wird, wer von uns der Ältere ist und bleiben immer Seite an Seite!“

„Na ja, Gil-galad bräuchte nur ein Kind, dann wäre das auch egal...“

„Ich möchte dich ja nicht enttäuschen, mein lieber Bruder, aber das ist etwas, was wir ihm beide nicht geben können“, meinte Elros mit ernster Miene.

Elrond stieß ihm einen Schwall Wasser ins Gesicht. „Das hab ich auch nicht gemeint!“

Elros kicherte und lehnte sich gegen die Beckenwand zurück. „Man kann's hier schon aushalten, oder?“

Elrond nickte.

Eine Weile saßen sie schweigend und genießend im Wasser, bis Elros aussprach, worüber Elrond nachdachte. „Hättest du gedacht, dass sie noch leben?“

Sein Bruder schüttelte den Kopf. Es war eine seltsame Vorstellung, dass ihre Eltern noch irgendwo da draußen waren. „Kannst du dich an sie erinnern?“

„Ein bisschen – aber meist nur, wie sie sprang.“

„Meinst du, sie hat gewusst, dass Maglor uns nichts tun wird?“

„Dann hätte sie uns nicht für tot gehalten“, stellte Elros trocken fest.

Elrond nickte und stand auf. „Ist ja eigentlich auch egal, wer nach Valinor geht, kommt nicht zurück. Komm raus, unsere Haare müssen noch trocken bis zum Essen.“

Elros murrte etwas, folgte aber schließlich seinem Bruder, hoffentlich würde das Essen nicht so steif werden, wie ihr erster Empfang beim König.
 

„...und Ihr sprecht nur, wenn man euch anredet“, beendete Círdan seine Anweisungen an die Jungen auf dem Weg die Treppen hinauf zum Kleinen Speisesaal. Als die großen Flügeltüren geöffnet wurden, musste Elrond sich unwillkürlich fragen, wie gewaltig der Große Speisesaal war, wenn man diesen hier klein nannte. Er befand sich ein Stockwerk unterhalb des Thronsaals jedoch mit Blick auf die Stadt und die Hügel dahinter. Eine große Tafel war in der Mitte des Raumes Gedeckt worden mit Platz für gut zwei duzend Personen, doch man hätte mit Leichtigkeit noch doppelt so viele am Tisch Platz nehmen lassen können. Im Moment, in dem sie eintraten, erhoben sich die anwesenden Elben und blickten sie gespannt an. Ein paar hatten die Jungen bereits bei ihrer Ankunft im Thronsaal gesehen, doch wurden sie ihnen nun erst durch Círdan vorgestellt. Im Rat waren Kriegsminister, Minister für Landwirtschaft, die oberste Heilerin, Lehrer, der Leiter der Bibliothek und viele weitere, deren Namen und Rang die Jungen zwar versuchten zu behalten, jedoch teilweise so ähnlich klangen, dass sie Schwierigkeiten hatten, sie auseinander zu halten. Ein paar jedoch waren recht einprägsam, unter ihnen Annael, ein Elb mit weißblondem Haar, der sich auf einen Stock stützte und ihnen als Lehrmeister der höheren Klasse vorgestellt wurde, Guilin, der oberste Heeresführer, der anders als die anderen Elben ein Kettenhemd unter seiner Kleidung zu tragen schien, und Oropher, ein Elb mit so heller Haut und Haaren, dass man ihn für ein Wesen aus Schnee hätte halten können.

Den Jungen wurden Plätze am Ende der Tafel zugewiesen, gegenüber eines noch leeren, deutlich größeren Stuhls neben dem Guilin und Círdan saßen. Nachdem Círdan den letzten Anwesenden vorgestellt hatte, öffnete ein Page die Tür hinter dem leeren Platz und die Elben erhoben sich erneut, als Gil-galad den Raum betrat. Diesmal trug er keine Krone und auch sein Gewand war etwas einfacher, wenn auch deutlich aufwendiger bestickt, als das jedes anderen im Raum. Er schritt zu dem leeren Platz, ließ sich nieder, blickte in die Runde und erlaubte ihnen mit einem Nicken, sich ebenfalls zu setzen.

Daraufhin öffneten sich eine weitere Tür an der Seite der Tafel und mehrere Diener brachten Teller mit Suppe und weitere mit Brot hinein, während einige die Gäste fragten, welchen Wein sie zum Essen wünschten. Als letztes wurden auch die Zwillinge gefragt, die sich unsicher ansahen. Bei Maglor hatten sie nie Wein bekommen, lediglich von dem wässrigen Bier durften sie trinken und auch dies nur in Maßen.

„Nehmt den Rosé“, riet ihnen eine Elbin zu ihrer Rechten lächelnd.

Die Jungen hörten auf sie und schon bald nach der cremigen Suppe folgte ein Zwischengang mit etwas Tatar auf einem einzelnen Salatblatt. Die Gespräche am Tisch hatten sich zunächst um die Aussaht gedreht, dann die Frage, wie schnell man eine bestimmte Kompanie von Fußsoldaten zu berittenen Streitkräften ausbilden konnte und ob dies sinnvoll sei, doch schließlich wandte sich die Aufmerksamkeit den Zwillingen zu. Sie wurden gefragt, wie sie nach Balar gelangt waren und sie berichteten über ihre Schifffahrt den Gelion hinab bis zum Meer und letztendlich wieder hinauf nach Balar.

„Die Feanorer müssen eine recht große Flotte haben, wenn sie ihr gesamtes Volk mit ihr aus dem Gebirge evakuieren konnten“, stellte Guilin fest.

Gil-galad nickte und sah die Jungen ernst an. „Wie groß ist die Flotte der Feanorer?“

Elros, der bis vorhin noch hauptsächlich berichtet hatte, schwieg nun. Er war sich nicht sicher, ob sie so etwas verraten sollte, doch Elrond hielt es für klüger, dem König eine Antwort nicht völlig schuldig zu bleiben: „Groß genug.“

Ein Elb atmete scharf ein, ein anderer, der bisher tief in seinem Sitz zurückgelehnt gesessen hatte, setzte sich auf, um Elrond besser sehen zu können, der rasch begriff, dass seine Antwort durchaus frecher klingen konnte, als sie gemeint war.

Gil-galad sah den jungen Elben einen Moment überrascht an, dann lächelte er anerkennend. Er sah aus, als wollte er etwas erwidern, wurde jedoch von den sich öffnenden Türen unterbrochen, durch die die Diener nun den Hauptgang brachten, Lachsfilet auf Zitronenreis.

Als alle ihre Speisen bekommen hatten, richtete Annael das Wort an die Jungen. „Wie seid ihr bisher unterrichtet worden?“

„Maglor hat uns unterrichtet und manchmal hat Maedhros mit uns trainiert, wenn er zu Besuch kam“, berichtete Elros.

„Und was habt ihr gelernt? Welche Fächer hattet ihr?“

„So ziemlich alles eigentlich.“ Unsicher sah Elros zu Elrond, der sich ebenfalls nicht sicher war, was Annael mit Fächern meinte. „Wir lernten Lesen und Schreiben, Musik, Reiten, Kämpfen und vieles anderes Nützliches“, fügte er hinzu.

„Was ist mit Rhetorik? Geschichte? Kriegsführung? Diplomatie?“

Die Zwillinge sahen sich unsicher an. Hätten sie das alles lernen sollen? Was war überhaupt Rhetorik? Und wie erlernte man Diplomatie?

„Also... wir haben Geschichtsbücher gelesen...“, Elros blickte in die Runde und kam sich auf einmal sehr fehl am Platz vor, zwischen den feinen Elben in ihren weiten Gewändern mit den kleinen Portionen auf den blanken Tellern. Er wollte wieder zu Maglor und die wunderbar gegarten Hirschrippchen mit bloßen Händen am Kamin verputzen.

Elrond betrachtete lieber sein Weinglas. Er mochte den Wein nicht besonders, doch jetzt spürte er auf einmal, wie er ihm die Hitze auf die Wangen trieb, oder war es nur das Gefühl, viel dümmer zu sein, als alle anderen im Raum, die ihm die Schamesröte ins Gesicht malte? Am liebsten wäre er gegangen.

„Nun, vielleicht könnt ihr vieles von dem schon, ohne es zu wissen.“ Círdans Stimme war mild und hatte etwas Beruhigendes, umso mehr, als er das Thema auf etwas Anderes lenkte: „Wo wir gerade von Schiffen redeten, unsere drei Flaggschiffe brauchen neue Takelagen und ich fürchte, dass der Rumpf der Morgenröte zu große Schäden genommen hat, um noch repariert zu werden.“

Während der nächsten beiden Gänge wurden die Zwillinge nicht weiter beachtet, während es um irgendwelche kleineren Staatsprobleme ging. Erst als sie den Nachtisch beendet hatten, wandte sich Círdan wieder an sie: „Elros, Elrond, es ist spät. Ab morgen werdet ihr die Schule besuchen. Geht nun zu Bett.“

Dankbar, keine weiteren Fragen beantworten zu müssen, verabschiedeten sich die beiden Jungen, so wie Círdan es ihnen vorher erklärt hatten.

Gil-galad blickte wieder in den Rat, als sich die Tür hinter ihnen schloss. „In welche Klasse sollen wir sie schicken?“

Die Lehrerin der jüngsten Elblinge räusperte sich: „Sie sind vom Alter her eigentlich in der untersten Stufe aufgehoben, doch sind sie deutlich schneller gealtert, als es Elbenkinder für gewöhnlich tun und wären wohl wenig begeistert, mit halb so großen Elblingen zu lernen. Auch die mittlere Stufe wirkt jünger als sie, doch scheint ihnen Erhebliches an Wissen zu fehlen, um sie in die oberste Stufe zu schicken, auch wenn sie äußerlich dorthin gehören.“

„Es ist schwierig mit ihnen“, stimmte Annael zu. „Doch ich glaube, sie würden sich mit Elblingen, die ihrem äußeren Alter entsprechen ernst genommener fühlen, als wenn wir sie zu den jüngeren schicken. Natürlich müssten sie viel nachholen, doch die Art, wie der eine von ihrer Fahrt berichtete, scheint mir durchaus auf Potential zu deuten. Ich unterrichte die oberste Klasse und bin gerne bereit, mich ihrer anzunehmen, wenn sie gewillt sind, hart zu arbeiten und ihre Lücken zusätzlich zu füllen.“

„Ist es nicht schon schwierig genug für sie, hier neu anzukommen? Sollten wir sie dann wirklich mit noch mehr Inhalten, als die oberste Klasse ohnehin schon hat, beladen?“, warf ein anderer Elb ein.

„Und wir vergessen etwas Entscheidendes“, begann Guilin. „Die oberste Klasse wird in nicht allzu ferner Zeit soweit sein, dass auch sie in den Krieg ziehen können. Die beiden mögen mit Maedhros trainiert haben, doch würde es mich wundern, wenn sie mit Klassenkameraden, die drei Jahrzehnte länger trainieren konnten, mithalten können. Zudem wäre es nicht klug, sie in den Krieg ziehen zu lassen, sie sind immerhin die einzigen Erben nach euch, Eure Gnaden.“

„Aber ist nicht genau das eine Chance?“, warf Círdan ein. „Wenn ihre Klassenkameraden in den Krieg ziehen, können die beiden in der Zeit alles nachholen, was sie sich bis dahin nicht erarbeiten konnten. Die mittlere Klasse wird dann noch nicht soweit sein, dass Meister Annael sie übernimmt, und er kann selbst nicht mehr kämpfen, er hätte somit die Zeit sich um sie zu kümmern und wüsste bereits, wo die beiden stehen, wenn sie seine Klasse zuvor schon besucht haben.“

Gil-galad dachte über die Vorschläge und Einwände nach, stimmte aber letztendlich Círdan zu. „Die beiden werden in die oberste Klasse gehen, aber nicht mit ihr kämpfen, wenn sie soweit ist. Círdan, teilt dies den Jungen mit.“ Er erhob sich und der Rat tat es ihm gleich. „Das genügt für heute.“ Verabschiedete er sich und verließ den Raum in Richtung seiner Gemächer, in Gedanken noch immer bei den Zwillingen. Sie waren ihm sympathisch. Elros konnte interessant erzählen, auch wenn er dabei, für den Geschmack einiger Ratsmitglieder, etwas zu gefühlsbetont gewesen war. Er wirkte ungestüm und irgendwie wild, doch hatte er anscheinend bereits gelernt, wann er besser schwieg, als das Falsche zu sagen. Sein Bruder war völlig anders, auch wenn die beiden sich äußerlich ähnelten, wie zwei Schalen eine Walnuss. Elrond war ruhiger und zunächst hatte er ihn für eingeschüchtert gehalten, doch hatte er nun das Gefühl, dass Elrond vielleicht einfach lieber nur dann sprach, wenn er es für nötig hielt, was neben einem recht gesprächigen Bruder einfach seltener der Fall war. Wenn er die Zeit fand, wollte er morgen sehen, wie sie sich beim Waffentraining schlugen. Er war gespannt darauf zu sehen, ob Maedhros' Training sie nicht doch ihren Klassenkameraden ebenbürtig gemacht hatte.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu dieser Fanfic (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück