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Lamiak

von

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Tauchstation

Arantxa schlief den gesamten Tag durch. Sie schlief als hätte man ihr jegliche Kraft geraubt von allein wieder aufzuwachen. Als der nächste Tag anbrach schlief sie immer noch. Lexi machte sich Sorgen und versuchte sie zu wecken. Sie hockte sich nehmen das Bett und strich ihrer Freundin das Haar aus dem Gesicht.

„Hey Dornröschen… Zeit aufzuwachen.“ lächelte sie. Arantxa rührte sich nicht. Lexi fasste sie an der Schulter und rüttelte sanft daran.

„Ara, wach auf.“ Noch immer regte das Mädchen sich nicht. Alexis bekam es mit der Angst zu tun und wurde lauter.

„Arantxa, steh auf!“ brüllte sie sie an. Die Lider der Baskin begannen zu zucken und Leben hauchte wieder über ihr Gesicht. Sie öffnete langsam die Augen. Sie fühlte sich schwindelig und durstig. Ihr Kopf pulsierte unangenehm.

„Lexi?“ fragte sie als ihre Augen begannen sich wieder zu fokussieren. „Was ist los?“

„Du hast mir einen ganz schönen Schrecken eingejagt.“ Sie schloss erleichtert kurz ihre Augen und stand wieder auf. Arantxa wirkte verwirrt, als ob sie sie fragte wie sie ins Zimmer gekommen war. Sie schaute sich ungläubig um und erblickte den Kamm auf dem Hocker neben ihrem Bett. Lexi folgte ihren Blicken.

„Du hast gestern eine ziemliche Szene veranstaltet wegen dem Ding. Ich weiß, er ist von deiner Mutter, aber…“ Arantxa unterbrach sie.

„Ich habe was…?“ sie verstand nicht auf was ihre Freundin anspielte. „Was redest du da?“ sie schaute Lexi mit zusammengekniffenen Augen an und richtete ihren Oberkörper auf.

„Ich denke du schuldest Jente und Luken eine Entschuldigung.“ Gestand sie ihrer verwirrten Mitbewohnerin. Sie packte ein paar Bücher zusammen und verließ das Zimmer. Arantxa ließ sich zurück ins Bett fallen und schnaufte genervt.

Nach einer Weile konnte sie sich überwinden sich aus ihrem Bett zu schälen. Sie machte sich fertig und nahm am Unterricht teil. Den gesamten Tag fühlte sie sich erschöpft, ausgelaugt und müde. Ihr Gedächtnis wies Lücken über die Geschehnisse der letzten Tage auf, was sie beunruhigte. Am Ende des Schultages hatte ihr Kopf das Gewicht einer massiven Bleikugel. Und immer noch fühlte sie sich durstig. Als würde sie vertrocknen. Auch beim Abendessen stand sie noch neben sich. Nael erkundigte sich nach ihrem Befinden und erzählte ihr was passiert war. Doch keine Erinnerungen kamen zurück. Sie log und entschuldigte sich bei ihm. Sie gab vor, dass ihr nichts fehlte. Von diesem Tag an trug sie den Kamm ihrer Mutter immer bei sich. Nicht im Haar, einfach in ihrer unmittelbaren Nähre. Als sie am Ende des Tages wieder in ihrem Bett lag musterte sie den Kamm eindringlich.

„Was hat es mit dir auf sich…?“ flüsterte sie nachdenklich und begutachtete die eingravierten Muster auf ihm. Alexis schlief schon eine Weile. Arantxa konnte kein Auge zu machen. Und immer noch fühlte sie sich unwohl. Sie beschloss einen Spaziergang zum Flügel zu machen.

Zur selben Zeit saß Luken noch wach auf seinem Bett und schaute aus dem Fenster. Auch ihn ließ nicht los was passiert war. Er hielt sich noch fern von Arantxa, er war enttäuscht von ihrem Verhalten. Aber auch er bemerkte, dass etwas ungewöhnlich an ihr war. Er bemerkte, dass im Unterrichtsflügel ein Licht brannte. Er ahnte, dass es Arantxa war, ging aber nicht zu ihr. Stattdessen legte er sich in sein Bett und schlief. Es war ein unruhiger Schlaf.

Arantxa konnte in dieser Nacht halbwegs gut schlafen, fühlte allerdings wieder dieses Verlangen nach Flüssigkeit, Wasser. Sie erwachte viel zu früh an diesem Morgen. Sie verließ das Internatsgebäude als der Morgen noch grau und nebelig war. Die Sonne stand noch nicht sehr hoch am Himmel. Sie wanderte gedankenverloren durch die Nachbarschaft, hinunter zum See. Der Ullíbarri-Gamboa war ein wunderschöner Fleck in der Landschaft. Still und unberührt lag er dort. Keinen Laut konnte man vernehmen. Die Oberfläche des Sees war dunkel und spiegelglatt. Ein paar Felsen und vereinzelte Bäume zierten seine Ufer. Arantxa trat näher heran bis ihre Füße fast das Wasser berührten und starrte nachdenklich in die Ferne. Sie verspürte den Drang das Wasser zu berühren. Sie hockte sich hin und tauchte ihre Hände in das angenehm kühle Nass. Sie schloss ihre Augen und genoss das Gefühl. Es war als würde ihr Körper das Wasser einziehen. Ihr Durst stillte sich allmählich. Sie stand auf und blickte um sich. Es war sehr früh, niemand war zu so einer Zeit unterwegs. Sie begann sich die Sachen vom Körper zu streifen und auf dem nächstgelegenen Felsen abzulegen. Nackt stand sie am Ufer des Sees und schob ihre Fußspitzen langsam in den matschigen Sand. Sie trat immer weiter in den See. Das Gefühl des kühlenden und samtenen Wassers auf ihrer Haut war einzigartig in diesem Moment. Noch einmal blickte sie sich um. Niemand war zu sehen. Sie ging weiter in den See bis sie bis über die Hüften im Wasser stand. Ihre langen offenen Haare berührten fast die Wasseroberfläche. Dann tauchte sie hinein.

Wenn Arriola nicht mehr schlafen konnte, ging er manchmal joggen. So wie auch an diesem vernebelten Morgen. Noch immer hatte er kein Wort zu Arantxa gesprochen. Jente meinte zu ihm, dass Ibarra nicht mehr alle Tassen im Schrank habe. Wahrscheinlich sei sie nur aus Eifersucht so geplatzt und es hatte nichts mit dem Kamm zu tun. Warum sollte man deshalb so durchdrehen? Sie war überzeugt Arantxa gefiel es nicht, dass sie und Luken Zeit miteinander verbrachten. Er dachte während des Laufens über ihre Worte nach. Da konnte unmöglich was dran sein, Ibarra ignorierte ihn so oft. Er lief an einer Baumreihe nahe des Sees entlang und erblickte aus der Ferne den herrenlosen Klamottenhaufen von Arantxa. Er wunderte sich kurz, lief aber vorbei. Nach etwa zwanzig Minuten passierte er dieselbe Stelle. Wieder sah er den kleinen Haufen an Kleidung. Er stoppte langsam und ging etwas näher heran. Er zog die Kopfhörer aus seinen Ohren und lauschte. Da war ein Plätschern. Erst ein leichtes, dann wurde es immer lauter. Er ging vorsichtig einen Schritt näher und hielt sich hinter einigen Bäumen versteckt. Arantxa tauchte auf und schnappte nach Luft. Luken erschrak. Was tat sie da? Sie wirkte als rang sie nach Luft, hustete, rieb sich Wassertropfen von den Augen um sehen zu können. Sie gelangte näher ans Ufer. Luken traute seinen Augen nicht, hielt sich aber weiterhin bedeckt. Je weiter sie aus dem Wasser trat, erkannte er, dass sie vollkommen nackt war. Die langen Haare hingen ihr über die Brust. Er schluckte und spürte die Hitze in seinem Kopf aufsteigen. Er schaute sie mit leicht geöffnetem Mund und erweiterten Augen an. Sie war unbeschreiblich. Sein Gesichtsausdruck spiegelte pure Sprachlosigkeit wider. Er vergaß alles um sich herum. Er schluckte noch einmal und zwang sich zum Wegsehen. Arantxa bemerkte von alldem nichts. Sie zog sich seelenruhig an und wrang ihre Haare mit den Händen aus. Dann setzte sie sich auf den Felsen, der zuvor ihre Kleidung beherbergte, zog den Kamm ihrer Mutter aus der Hosentasche und begann ihre wallenden dunkelbraunen Haare damit zu entwirren. Sie fühlte sich erfrischt und wesentlich wohler in ihrer Haut. Luken schaute erneut zu ihr. Aufmerksam beobachtete er wie sie sich mit dem Erbstück kämmte. Es wirkte fast hypnotisch. Nach einer Weile verließ sie den See. Luken rannte ebenfalls zurück. Auf dem Weg begegneten sie sich nicht erneut.

Nach dem Unterricht an diesem Tag ging Ibarra zum Raum ihres Bruders und dessen Klassenstufe. Sie trat würdevoll hinein und ging auf Jente zu die sich mit Luken unterhielt. Jente erschrak und verkrampfte als sie vor ihr stand. Luken stockte der Atem.

„A-Arantxa… was…“ Er begann zu stottern und hatte Mühe sich zu sammeln.

„Jente.“ Sagte sie emotionslos. „Verzeih meinen Ausbruch neulich.“ Diese nickte ihr nur ungläubig zu. Dann verließ Arantxa das Klassenzimmer. Nael und Colin schauten etwas irritiert zu Luken, erkannten ihre Entschuldigung jedoch an. Arantxa war zu stolz um einen Fehler einzugestehen, besonders wenn sie sich nicht daran erinnerte. Also log sie um die Stimmung in der Gruppe wiederherzustellen.

Am Abend verspürte sie keinen Hunger, begleitete die anderen also nicht zum Abendessen. Stattdessen ging sie in das Musikzimmer. Sie schloss die Tür hinter sich und setzte sich an den wunderschönen Flügel. Bezaubernd traditionelle Melodien entlockte sie dem Instrument. Beim Essen bemerkte Luken ihre Abwesenheit.

„Hey Lexi, wo ist denn Arantxa?“ erkundigte er sich.

„Die hatte keinen Hunger. Sie ist bestimmt in unserem Zimmer. Soll ich ihr was ausrichten?“

„Nein schon okay.“ Er stocherte in seinem Essen und dachte darüber nach was er am Morgen sah. Nach ein paar Minuten stand er auf und verließ die Gruppe die sich noch bei ihrem Essen unterhielt. Eilig räumte er sein nur halb gegessenes Mahl beiseite. Er ging die Treppe hinauf und bog in den Mädchengang. Er erreichte die Zimmertür von Alexis und Ibarra. Er klopfte an. Nervös kaute er auf seiner Unterlippe als niemand öffnete. Dann machte er kehrt und ging auf das Musikzimmer zu.

Dort vor der geschlossenen Tür angekommen, hörte er das Mädchen spielen. Er legte die Hand auf den Türgriff und öffnete leise. Sie sah beinahe friedlich und zufrieden aus, wenn sie spielte. Die untergehende Sonne, die durch das Fenster eindrang, legte einen warmen goldigen Schleier auf ihr dunkles Haar. Leichtfüßig glitten ihre schmalen Hände über die schwarz-weißen Tasten und drückten sanfte Melodien aus dem Körper des Instrumentes. Ganz genau prägte er sich diesen Anblick ein. Er fror das Bild in seinem Kopf ein. Sie bemerkte ihn und unterbrach das Spiel.

„N-Nicht aufhören.“ bat er und schaute sie an. Der Moment entglitt allmählich. Er war zu schön um ihn jetzt schon vergehen zu lassen. „Was willst du hier?“ Sie wirkte nicht zornig. Eine samtweiche Art begleitete ihre Stimme. Sonst erschien sie immer etwas schroff und spitz, aber nicht jetzt. Die südländisch gebräunte Haut um ihre Augen lag glänzend und entspannt, keine Zornesfalten erkennbar. Er schloss die Tür hinter sich und trat näher.

„Ich habe nach dir gesucht.“ Er versuchte eine Ausrede zu finden um das Gespräch zu starten. Er fasste sich mit einer Hand an den Hinterkopf und fuhr mit den Fingern durch seine kurzen schwarzen Locken. „Nett, dass du heute bei Jente warst.“

Ein unangenehmes leichtes Kribbeln machte sich in ihrer Brust breit. Ein ganz schwaches Drücken in dem Moment als seine Stimme auf sie eindrang. Sie wurde etwas ungeduldig und schaute von ihm weg in der Hoffnung auch das drückende Kribbeln loszuwerden.

„Was…eh…hast du heute Morgen eigentlich am See getrieben?“ Das Kribbeln kehrte mit einem spontanen Impuls wieder zurück. Sie drehte sich ruckartig um und schaute ihn mit weiten Augen an.

„Woher weißt du davon?! Spionierst du mir nach?“ Sie kniff ihre Augen zu schmalen Schlitzen. Arantxa war verunsichert, dennoch blieb sie ruhig. Neugier war es die nun großer war als Empörung oder Schuldzuweisungen.

„N-Nein! Ich war joggen und sah dich auf einem Stein sitzen… d-du hast dir die Haare gekämmt.“ Die Region um ihre Augen entspannte sich nun wieder etwas.

„Und?“ fragte sie. Die Neugier wuchs ins Unermessliche, wurde aber hinter einer Fassade ihrer gespielt emotionslosen Stimme verborgen.

„Was hast du so früh dort getrieben?“

„Wenn du es wissen musst…“ Ihre Stimme nahm einen leicht vorgegaukelt überheblichen Ton an. „Ich war schwimmen.“ Sie zog ihre Augenbrauen hoch als sei es völlig normal für sie und wandte sich wieder dem Flügel zu. Ihre Handflächen wurden etwas feucht und ein trockener Geschmack legte sich auf ihre Zunge. Ein Kloß steckte ihr im Hals bei dem Gedanken Arriola wisse was sie dort getrieben hatte. Ganz im Gegensatz zu ihr selbst. Sie legte ihre Finger auf die Tasten des Klaviers und setze die Melodien fort. Das Lied das ihre Mutter ihr beibrachte. Aus Unsicherheit und Nervosität spielte sie dieses vertraute Stück. Arriola hielt einen Moment inne und lauschte den ruhig fließenden Noten. Sie weckten längst vergessene Kindheitserinnerungen. Er war 7 Jahre alt gewesen als er das erste Mal von dieser Geschichte hörte.

„Mein Vater ist bei der Marine. Er erzählte mir von einer Legende über espiritu die im Wasser lebten und manchmal Männer anlockten. Sie kämmten sich die Haare an der Küste, genau wie du heute Morgen. Es hat mich daran erinnert.“ Sie wusste nicht was die darauf hätte antworten sollen, oder ob die Geschichte sich noch fortsetzte, also spielte sie weiter ohne auf seine Bemerkung einzugehen. Was wollte er damit sagen?

„Lamiak.“ sagte er kurz darauf. „Das selbe Lied, dass du schonmal gespielt hast, oder?“ Sie sagte nichts und spielte einfach nur die wunderbare Melodie. Manchmal glitt ein Lächeln dabei über ihre Lippen. Arriola saß mit angewinkelten Beinen auf dem Boden neben dem Piano und schaute ihr zu. Die Arme um die Knie geschlungen, manchmal legte er das Kinn auf ihnen ab. Sie sah bildschön aus in diesem Moment. Ihre Haare fielen in einem langen geflochtenen Zopf über ihre rechte Schulter, Strähnen hingen ihr im Gesicht. War es ein Zufall, dass sie die Erinnerung an diese Kindheitsgeschichte weckte oder hatte es keinerlei Bedeutung? Es war als läge eine mystische Aura um sie herum, als wäre sie darin eingebettet. Wie eine übernatürliche Schutzschicht war sie davon umgeben und diese öffnete sich in nur raren Momenten wie diesem. Das Lied endete. Sie nahm die Hände von den Tasten des Instruments und schaute auf ihre Knie. Neugier siegte über ihren Stolz.

„Arriola?“ Er sah zu ihr auf. „Ich kann mich nicht mehr erinnern.“

Er blickte sie fragend und verwundert über ihre Offenheit an. Die Aura war fort. Keine Schutzschicht mehr.

„Erinnern, woran?“

„Heute Morgen.“ Noch immer blickte sie auf ihre Knie, dabei ballte sie ihre Hände zu Fäusten. Ihre Stimme wirkte so zart auf einmal. „Ich weiß, dass ich an den See ging. Ich wollte ins Wasser. Ich fühlte mich nicht wohl…wie…ausgetrocknet.“ Die Schutzschicht war vollkommen aufgelöst in diesem Moment. Sie ließ es zu und suchte nach einer Antwort, bei ihm. Vielleicht hatte er mehr gesehen als er zugab.

„Ich verstehe nicht. Willst du mir sagen du weißt nicht mehr, dass du schwimmen warst…oder dir am Ufer die Haare gekämmt hast?“ Er wurde stutzig und runzelte misstrauisch die Stirn. „Wie soll das gehen?“

„Ich weiß es nicht. Es war dasselbe am Tag nach dem Septemberfest. Jente…“ sie zögerte kurz. „Ich kann mich nicht daran erinnern.“ Sie wirkte plötzlich etwas verunsichert. Sie verstand nicht was mit ihr passierte. Luken sah sie schweigend mit einem besorgten Gesicht an. Er wusste nicht was er sagen sollte, nur dass er rausfinden muss was passiert war.

„Ich glaube ich verliere den Verstand… wie meine Mutter.“ Der junge Mann mit den Locken rutsche etwas dichter zu ihr und legte tröstend eine Hand auf ihr Knie.

„Du bist nicht verrückt.“ Ein sanfter Blick spiegelte sich auf seinem Gesicht wieder. Er war weich und stützend, keinerlei Verurteilung, Spott oder Unglaubwürdigkeit lag in ihm. Aufrichtigkeit und Vertrauen lagen in ihm und schauten direkt zu ihr. Sie schaute ihn an und registrierte zum ersten Mal, dass seine Augen braun waren. Kein helles, goldiges braun, eher ein dunkles, tiefes Mahagoni umrandet von tiefschwarzen Wimpern.



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