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Byte Blossom

— Talon Tales
von
Koautor:  Daelis

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if (trapped)

Mit einem kläglichen Stottern erstarb Matthew Mercers Stimme mitten im Satz und ließ das Schicksal der aktuellen Folge Critical Role in der Luft hängend zurück — das erste unheilverheißende Omen. Ein farbiges Rädchen deutete darauf hin, dass Chrome fleißig versuchte den Link zu laden bevor der Bildschirm komplett ausging.

Sie spürte, wie ihr das Herz bis zum Hals klopfte, die Finger blitzartig von Tastatur und Maus gehoben als würde sie sich andernfalls daran verbrennen.

„Oh nein, nein, nein…“

Seit ihr Computer einen Monat nach Inbetriebnahme spontan den Geist aufgegeben und die Reparatur sie viel Energie gekostet hatte, wurde jedes Anzeichen für einen Systemcrash sofort mit leiser Panik begrüßt. Seufzend hob die junge Frau die Hände und strich sich über das Gesicht, als ob die Geste womöglich ihr Unwohlsein verscheuchen könnte.

„Ruhig Blut. Vielleicht ist es gar nicht so schlimm“, murmelte sie und versuchte die nervösen Tränen aus den Augen zu blinzeln. Ein kurzer Blick aufs Handy bestätigte, dass ihre Augen laut Uhrzeit ohnehin nichts mehr können müssten. 03:21 Uhr war für jeden Menschen, der zwischen sechs und acht Uhr morgens aufstand bereits klar Schlafenszeit.

 

Bevor jedoch ein letzter verzweifelter Versuch gestartet werden konnte, den Computer doch noch vor dem Zubettgehen zu retten flackerte der Bildschirm von selbst wieder auf.

Für einen Augenblick huschte ein Logo über das Retina-Display, elegant und an einen Vogel im Flug anmutend, Silber, Rot und Schwarz, dann wurde die Sicht auf eine etwas verpixelte, blaustichige Videoaufnahme frei.

Sie erkannte die Küche augenblicklich, trotz der tiefen Qualität der Kamera und der späten Stunde. Keine fünf Sekunden später huschte ihr Abbild über die Szenerie, zog Schnittbrett und Messer hervor, pendelte zwischen Kühlschrank und dem Küchentisch mit den Armen voller Gemüse für–

Kichererbsen, Cherrytomaten, Gurke und Karotten. Das war ihr Abendessen gewesen, notdürftig in der Küche zusammengesucht als ihr erst viel zu spät eingefallen war, dass Leute normalerweise bevor sie Hunger bekamen, mit dem Kochen anfingen.

Etwas schien die Frau auf der Aufnahme von ihrem Vorhaben abzulenken (sie erinnerte sich, es hatte an der Tür geklingelt) und nach kurzem Zögern verschwand sie wieder.

Die Angst darüber, sich plötzlich mit eins-A Stalking-Material konfrontiert zu finden hätte ihr auch ohne die nächsten Sekunden des Videos genug Schlaf für eine Woche geraubt, aber scheinbar war das noch nicht genug.

Scheinbar aus dem nichts materialisierte sich vor der Salatschüssel eine Figur. Auch diese war trotz farblicher Einschränkungen des Mediums und der tiefen Bildauflösung unverkennbar: ein langer, schwarzer Mantel, eine Kapuze die eine große Mehrheit der skelettalen Maske verdeckte— die Hellfire Shotguns am Halfter an der Hüfte.

 

Die junge Frau verschluckte sich an ihrer eigenen Spucke und rollte sich instinktiv hustend in sich zusammen. Als sie mit tränenden Augen aufsah, erwischte sie gerade noch den Rest von Reapers Geste wie er einen kleinen Papierumschlag über der Salatschüssel ausschüttelte, wieder zusammenfaltete und in den Untiefen seines Mantels verschwinden ließ. Die Assoziation mit Drogen war zu naheliegend um nicht wenigstens an die Realität heranzukommen.

Mit Realität musst du eigentlich nicht anfangen“, höhnte eine trockene Stimme in ihrem Kopf. „In Realität kriechen Videospielfiguren nämlich nicht aus dem Bildschirm und vergiften dein Abendessen.“

Der Missetäter atmete einmal tief ein und dann, als wäre er nie dagewesen, zersetze er sich in Rauch und war weg. Einen Augenblick war die Küche wieder leer, Messer und Gemüse verlassen auf den Arbeitsflächen, dann kehrte die Dame des Hauses zurück.

An der Tür war niemand gewesen, nur ein Päckchen, das scheinbar eigentlich für ihre Nachbarn bestimmt gewesen war und sie daher gleich an die eigentlichen Besitzer gebracht hatte. Sie erinnerte sich, am Vorabend über die Inkompetenz des Postboten den Kopf geschüttelt zu haben (die Uhrzeit hätte sie eigentlich daran erinnern sollen, dass Postboten zu der Zeit gar nicht mehr arbeiteten) aber natürlich hatte sie sich danach nichts weiter dazu gedacht. Wo sie jetzt die Überwachungsaufnahme ansah, wurde schnell klar, dass sie die Intelligenz des armen Postboten wohl vollkommen zu Unrecht angezweifelt hatte.

 

„Nein, probier nicht…“

Sie seufzte schwach und sah sich selbst zu, wie ihr vergangenes Ich die Salatsauce abschmeckte, etwas mehr Senf in die Mischung kippte und dann ihre Arbeit für gut befand.

„… von der Sauce. Das ist ja wie in einem schlechten Horrorstreifen…“

Der Bildschirm flackerte erneut und erneut erschien ein Logo darauf, dieses Mal altbekannt. Als selbsternannte Sombra-Main wäre es ein kleines Sakrileg gewesen, den stilisierten Schädel nicht zu erkennen.

„Damit hast du bestimmt nicht gerechnet, hm?“

Die Stimme war unverkennbar die von Sombra („Carolina Ravassa“, korrigierte der Pedant in ihr hartnäckig, obschon sie sich dessen mittlerweile auch nicht mehr so sicher war).

Mala suerte, chica. Aber wir zwei werden uns bestimmt super verstehen.“

Sie wusste nicht, ob ihre Schwierigkeit damit, einen klaren Gedanken zu fassen daran lag, dass ihre Müdigkeit sie endlich überkam oder die aufkommende Panikattacke schlichtweg jegliche Hirnaktivität unterband, aber bevor sie sich wirklich damit befassen konnte, dass ihr scheinbar von einer fiktionalen Terroristengruppe ein Besuch abgestattet worden war, wurde ihr schwarz vor Augen.

 

 

----- · -----

 

 

Sie erwachte mit Kopfschmerzen vor ihrem Computer.

Der Raum, in dem sie sich befand war jedoch neu, dürftig durch Neonröhren beleuchtet, kahl und komplett schwarz bemalt. Es fühlte sich an, als würden die Wände und Decke jegliches Licht schlucken und in ein ewiges Dämmerlicht tauchen.

Ihre Fingerspitzen fühlten sich taub an und vielleicht war die Benommenheit das, was ihr im ersten Moment die ungewohnte Klarheit im Kopf verschaffte.

Suchend tasteten ihre Finger über ihre Kleidung — sie trug noch immer den violetten Hoodie mit dem Fleur-de-Lis-Aufdruck aus Florenz und ihre etwas zu großen Jeans, ihre Brille auf dem Kopf statt vor den Augen als wären sie nur zur Dekoration da. Ihre Füße waren kalt, Schuhe hatte sie im Schlafzimmer keine angehabt. Scheinbar hatten ihre Entführer sich da keine Mühe gemacht, etwas daran zu ändern.

In der Bauchtasche ihres Pullovers fand sie ihr Handy, der Akku-Ladestand bei 74 Prozent (kein Empfang, natürlich) und einen Fineliner den sie am Abend vom Boden aufgehoben und scheinbar nicht mehr an den angestammten Ort zurückgelegt hatte. Davon abgesehen hatte sie nichts.

 

Nichts war nicht ganz korrekt. Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass sie tatsächlich einen festen Körper hatte und angezogen war, fiel ihr Blick zurück auf den Schreibtisch vor sich, ebenso leergefegt wie der Rest des Raumes, von einem einzelnen iMac und einer Dose Cola abgesehen.

 

Sie stellte das Gerät an und stand während der Wartezeit auf, um die Ecken ihrer Zelle näher in Augenschein zu nehmen. Gegenüber ihrem Schreibtisch befand sich ein Bett und darüber eine seltsam altmodisch anmutende Überwachungskamera mit einem kleinen, filigranen Talon-Logo. Während sie keine Lore-Spezialistin für Overwatch war, wusste sie, dass sie ihrem Geburtsjahr nach älter als jeder spielbare Charakter in-game war. Wenn sie hier wirklich in der Zukunft war, dann sollte Talon vielleicht darüber nachdenken, neue Sicherheitskameras für ihre Gefängniszellen zu organisieren.

Andererseits, wenn sie hier in der Zukunft war, sorgte wahrscheinlich ein ausgeklügeltes Sicherheitssystem dafür, dass sie, auch wenn sie einen Ausgang fand, nicht viel damit anfangen konnte. Ihre Befürchtung stellte sich als wahr heraus; der einzige Weg aus ihrem Gefängnis war eine Tür am Fußende des Bettes.

 

Der Raum und die spartanische Einrichtung erinnerte sie unangenehm an ihre Erfahrungen mit dem Quarantäneraum mit dem sie in ihrem kurzen (und einzigen) Psychiatrieaufenthalt Bekanntschaft gemacht hatte. Die Assoziation schien sie endlich aus ihrer Benommenheit zu schrecken und die junge Frau zwang sich so gut wie es das Zittern und das innerliche Schreien zuließen, ordentlich zu atmen.

„Weitermachen“, murmelte sie und drehte sich wieder zum Schreibtisch um. Dieser stand neben einem schlichten Schrank, klein und so schwarz wie die vier Wände.

Befinden tat sich darin sich nichts außer Drahtbügeln.

 

Frustriert ließ sich die Gefangene wieder auf den Stuhl vor dem Computer fallen, der mittlerweile wieder zum Leben erwacht war. Bootcamp hatte sie automatisch auf Windows eingeloggt und sie beschloss, dass sie auch gerade so gut von dort aus Zugriff auf ihre Festplatte hatte.

Schnell stellte sich heraus, dass zwar die Mehrheit ihrer Dateien noch immer unversehrt existierten, trotz des Crashes in der Nacht, aber ihr Hintergrundbild ausgewechselt worden war. Statt dem sterilen Standardbild zierte nun eine Skizze von ihr selbst und ihrem Freund den Desktop.

„¿Tu novio?“ Stand in lila Handschrift unter dem jungen Paar, daneben ein kleiner Totenkopf als Unterschrift.

„Du fragst, als ob du das nicht schon wissen würdest…“

Missmutig öffnete sie ihre Dateien und ging hastig weiter ihren digitalen Bestand durch. Eigentlich war ihr nicht besonders danach, sich damit auseinanderzusetzen, dass Sombra Zugriff auf ihr gesamtes digitales Leben zu haben schien, von ihren Fanarts bis hin zu ihren Browserverläufen. Bevor sie die Festplatte auf Mac wechselte versuchte sie vergebens, Overwatch zu starten — das Spiel schien komplett von ihrem Gerät gelöscht zu sein und Battlenet wollte sich ohne Internet auch nicht zum Leben überreden lassen.

 

Auf ihrer Apple-Partition erwartete sie ein sehr ähnlicher Zustand. Dieses Mal war ihr Wallpaper von Rakan und Xayah zu einem Familienfoto geändert worden, das Sombra mit scheinbar viel Gusto dekoriert hatte. Heilig war hier scheinbar nichts außer Talons Wi-Fi.

Madre mia, bei so vielen Namen weiß ich gar nicht, wie ich dich nennen soll. Tut’s Antônia?“ Fragte ein digitales Post-It in der rechten oberen Ecke des Desktops.

Es sollte sie eigentlich gar nicht erst erstaunen, kannte Sombra den Namen auf ihrer ID. Eine erneute schnelle Kontrolle ergab, dass wieder, alle Dateien vorhanden waren — nur alles, was irgendwie in Verbindung mit Overwatch (dem Spiel, nicht der Organisation; so langsam musste sie wohl eine Unterscheidung zwischen den zwei Dingen machen) stand war wieder wie vom Erdboden verschluckt.

 

Für einen sehr langen Augenblick saß die junge Frau vor dem Computer und starrte stumm auf den Bildschirm, ohne wirklich etwas zu tun. Dann wurde etwas panisch geweint und sich selbst bemitleidet, bevor sie endlich aufstand und sich mit dem Ärmel notdürftig das Gesicht abtrocknete.

Sie steckte fest. Wenn das hier ein Traum war, dann war’s einer der ziemlich scheußlichen Sorte und sie wollte aufwachen. Wenn es keiner war, dann schuldete sie es sich selbst, wenigstens versucht zu haben, etwas gegen ihre missliche Lage zu unternehmen.

So oder so würde es nicht viel bringen, sich der dumpf lauernden Panik in ihrem Hinterkopf hinzugeben. Dafür blieb hoffentlich später Zeit.

Ein letztes Mal holte sie tief Luft, dann drehte sie sich um und trat näher an die Überwachungskamera.

 

„Hallo“, grüßte sie auf Englisch und winkte.

„Ich bin wach. Ich weiß nicht, was ihr von mir wollt, aber es wäre sehr nett, wenn ihr mir das vielleicht erklären könntet.“

Ihr Lächeln war aufgesetzt und schmerzte in den Wangen aber je naiver und harmloser sie sich wahrscheinlich gab, desto besser. Sie saß in einem Talon-Versteck fest, ihr Glück leichtfertig herauszufordern wäre im besten Fall dumm und im schlimmsten Szenario tödlich.

 

„Und…“

Für einen Augenblick zögerte sie — Antônia; wenn das der Name war, den die Leute hier verwenden wollten, durfte sie sich gerade so gut auch wieder daran gewöhnen — dann seufzte sie.

 

„Ehrlich gesagt wäre Wechselkleidung echt nett.“ 


Nachwort zu diesem Kapitel:
Wer kapiert, wieso ich nach einem ganzen Tag Critical Role-Lauschen fand, dass Matt Mercer unbedingt erwähnt werden muss, kriegt einen Keks. Und McCrees Poncho, sobald ich den erfolgreich geklaut hab.

Der Titel dieses Kapitels ist an ActionScript-Code angelehnt. Ich hab aber ActionScript schon ewig nicht mehr angefasst und musste entsprechend googeln gehen, aber pssst: ihr wisst das nicht von mir.
;o

Göttliche Vorgaben:

— Blöd gelaufen, möchte ich sagen. Denn du hast absolut keine Ahnung, wie Talon überhaupt real sein kann. Dein Leben war doch ganz normal! Und spielt Overwatch nicht auch in der Zukunft? Das war doch gar nicht möglich! Doch zumindest war das Gift wohl nicht dazu da, dich zu töten, wenn du dich auch noch eine weile groggy fühlen wirst, als du in dem kleinen Raum aufwachst, der neben Schrank, Schreibtisch und Stuhl nur ein Bett aufweist und den Charme eines Krankenzimmers versprüht.
— Deinen Laptop hast du bei dir - und sonst leider nur, was du am Leib trugst. Die Mühe, etwas von deinem Kram außer des Laptops mitzunehmen, hat sich offenkundig niemand gemacht. Dafür steht auf dem Schreibtisch neben dem Laptop eine Dose Cola.
— Du hast natürlich all dein Fandom-Wissen und kannst es auch nutzen. Aber kommt das gut an? Sei vorsichtig, was du preisgibst!
— Deine schmutzigsten Geheimnisse liegen offen. Für Sombra war dein Laptop ein Kinderspiel. Aber seltsamerweise scheinen alle Sachen Overwatch betreffend von der Festplatte verschwunden zu sein.
— Aus einem dir nicht bekannten Grund glaubt Talon scheinbar, du würdest über wertvolle Informationen verfügen - ohne sie herausfoltern zu wollen. Den Grund kennst du nicht und niemand wird ihn dir nennen. Vielleicht hast du auch nur Glück, denn Sombra scheint dich unter ihre Fittiche nehmen zu wollen.
— Gegebenenfalls werden weitere Regeln folgen. Brich sie und du wirst dafür bezahlen. ;) Komplett anzeigen

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