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Ai no Scenario

von

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Shinichi starrte gedankenversunken aus dem Fenster. Die Stimme der Lehrerin war eintönig, monoton, sodass die Verlockung einfach abzudriften und in anderen Sphären zu schweben viel zu groß war. Zudem war es eine der wenigen Unterrichtsstunden, in der die Lehrerin keinen Druck machte, wenn es um die Zukunft der Schüler ging.

Alle waren erpicht darauf die Schüler dazu zu drängen sich für einen Zukunftsweg zu entscheiden. Die Probe-Examen für die Aufnahme an den Universitäten würden bald beginnen und die Lehrer steckten mitten in der Vorbereitung. Für den Oberschülerdetektiv war das alles jedoch nebensächlich.

Seine Aufnahmeprüfung wäre an einer Universität in London und Shinichi hatte keine Zweifel daran, dass er die Prüfung mit Leichtigkeit bestehen würde. Natürlich musste er, trotz allem, das Probe-Examen an der Teitan Oberschule ablegen, so wie es auch seine Klassenkameraden tun würden.

Sein Blick wanderte zu Ran, welche Schräg vor ihm saß. Sie war eine gute Schülerin und passte genau auf was die Lehrerin sagte, schrieb auch eifrig mit. Ein schwaches Lächeln schlich sich auf seine Lippen als er in ihrem Profil sah welche Probleme sie teilweise hatte zu verstehen, was die englischen Vokabeln bedeuteten, die die Lehrerin verwendete.

Sie war so ein liebes, hübsches Mädchen. Er hoffte, dass sie sich einen netten Mann suchen würde. Jemanden, der ihrer würdig war.

Shinichi senkte den Blick. Die Seite in seinem Block war nur zur Hälfte gefüllt, er hatte mittendrinnen aufgehört mitzuschreiben.

Würde es einen Mann geben, dem er Ran anvertrauen könnte? Liebe, gütige, treue Ran? Würde er denjenigen, der an ihre Seite trat, akzeptieren können?

Er versuchte es sich vorzustellen. Wie Ran mit einem jungen Mann sprach. Gut gebaut, sportlich, vielleicht sogar interessiert an Karate? Vermutlich würde er dunkle Haare haben, ein wenig zerzaust. Er würde viel Lachen. Ran brauchte keinen seriösen Mann, sondern einen, der Humor hatte.

Und strahlende, blaue Augen. Augen, so tiefblau wie der Ozean an einem sonnigen Tag. Er würde aus seinem Ärmel eine Blume zaubern, wie durch Magie und sie Shinichi reichen.

Shinichi blinzelte leicht. Dann schüttelte er den Kopf.

Wie von selbst waren seine Gedanken von Ran zu Kaito gewandert. Der Schülerdetektiv seufzte schwer auf und fuhr sich mit einer Hand durch die Haare. Er musste aufhören an den Jungen zu denken. Musste aufhören, sich nach ihm zu verzehren. Natürlich wusste er, dass er nur bedingt etwas dafürkonnte. Da war uralte Magie am Werk, eine Magie die er selbst nicht verstand. Aber alles würde ein Ende finden. Akihito würde das Band für sie lösen und dann würde er nicht mehr andauernd an ihn denken müssen.

And sein freches Grinsen. Seine geschickten Hände. Seine tiefblauen Augen. Die Geräusche, die er von sich gab, wenn man die richtigen Stellen an seinem Körper berührte. Der Geschmack seiner Lippen.

Shinichi schluckte hart und versuchte seine Konzentration auf die Stimme der Lehrerin zu lenken. Es war so schwer nicht daran zu denken wie schön Kaito gewesen war, als er unter ihm gelegen hatte. Die Geräusche, die er von sich gegeben hatte.

Schon als er noch im Körper von Conan festgesteckt hatte, hatte der Magier ihn fasziniert. Kaitou KID’s elegantes Auftreten, seine überhebliche Art, sein Bedürfnis danach aus jedem Diebstahl eine Show zu machen. Aber auch die Fähigkeiten, die er besaß, die Fertigkeiten, die er in jeder Show einsetzte. Shinichi erinnerte sich an einen Raubzug, der ihm besonders gut im Gedächtnis geblieben war.

Blue Wonder.

Als Kaitou KID über den Köpfen der Menschen gemütlich durch die Luft auf den großen Kristall zugeschritten war. Shinichi wusste inzwischen, dass der Magier von seinem Assistenten, der im Helikopter über ihm gesessen hatte an einer Halterung durch die Luft bewegt worden war.

Aber alleine die Körperbeherrschung, die KID an den Tag gelegt hatte. Die Eleganz, mit der er sich durch die Luft bewegt hatte. Die perfekte Haltung, das selbstischere Grinsen. So als wäre das etwas, dass er jeden Tag tat.

Ein Schaudern lief durch Shinichi’s Körper. Der Magier faszinierte ihn, immer schon. Er verblüffte Shinichi jedes Mal aufs Neue, forderte ihn immer und immer wieder heraus. Und Shinichi genoss diese Herausforderungen. Genoss es durch die Magie zu blicken, genoss es den Schleier der Illusion herunterzureißen und die Tatsachen auf den Tisch zu legen.

Und er würde es vermissen. Er würde es vermissen die Herausforderungen des Magiers anzunehmen, seine Kunststücke zu durchschauen. Ihn in die Enge zu drängen, ihn zur Flucht zu treiben nur um ihn später als Kaito Kuroba aufzusuchen, mit ihm Zeit zu verbringen. Es war eine seltsame Beziehung, die er mit dem Magier aufgebaut hatte, aber er mochte diese Beziehung. Er würde Kaito wohl am meisten vermissen, wenn er erst in London war.

Aber so war es besser. Auch, wenn der Gedanke Kaito zu verwandeln immer noch unglaublich reizvoll war, Shinichi konnte ihm das nicht antun. Und er konnte es nicht riskieren den Jungen für immer zu verlieren. Die Chance, dass etwas schiefgehen könnte war zu hoch.

Die Glocke, welche die Stunde beendete riss Shinichi aus seinen Gedanken. Er hob den Kopf und sah, wie seine Klassenkameraden begannen die Unterlagen vom Unterricht wegzupacken. Schweigend tat er es ihnen gleich und schloss das Notizbuch in welchem kaum brauchbare Notizen standen. Er wollte sich gerade erheben und die paar Minuten bis zur nächsten Stunde nutzen um etwas frische Luft zu schnappen als die Englischlehrerin an seinem Pult erschien.

„Kudo-kun“, er konnte den schwachen, englischen Akzent hören, den sie immer noch hatte. Sie lebte schon sehr lange in Tokyo, aber soweit der Detektiv wusste war ihre ursprüngliche Heimat Schottland gewesen.

„Ich habe Unterlagen für dich von deiner Wunschuniversität aus London. Hier, bitte.“

Sie reichte Shinichi einen Stapel an Unterlagen und auch eine Liste mit Büchern. Er ließ seinen Blick kurz über die Blätter wandern und nickte dann leicht: „Dankeschön, Sensei.“

„Ich habe ein zusätzliches Probe-Examen für dich beantragt, aber da es sich um eine Schule in Europa handelt weiß ich nicht ob ich dir eine alte Prüfung vorlegen kann. Ansonsten wirst du wohl oder übel eine von mir verfasste Prüfung durchführen müssen, wobei ich versuchen werde mich gut an den Stoff, der bei der Aufnahmeprüfung gefordert wird, zu halten.“

Shinichi nickte erneut. Er wusste, dass sein Wunsch nach Europa zu gehen alles ein wenig komplizierter machte, aber er war froh, dass seine Lehrerin trotz allem ein sehr bemühter Mensch war.

„Solange du dich beim Lernen an die Unterlagen hältst, die ich dir gegeben habe, solltest du aber eigentlich keine Probleme mit der Aufnahmeprüfung haben“, meinte sie und Shinichi stellte überrascht fest, dass ihre Stimme fröhlicher klang als sie es im Unterricht tat. Sie hatte ihre Eintönigkeit verloren und klang jetzt tatsächlich jung und voller Leben, obwohl sie gar nicht mehr so jung war.

„Ich werde mich bemühen, Sensei. Versprochen.“

Die Englischlehrerin nickte zufrieden und wandte sich ab. Shinichi seufzte leise und verstaute die Unterlagen in seiner Schultasche. Dann erhob er sich und streckte sich.

Sonoko’s und Ran’s Fährten verrieten die beiden, noch bevor er sie überhaupt sehen konnte. Dennoch reagierte er erst als die junge Erbin ihn ansprach: „Heeeeh? Shinichi geht also tatsächlich nach London?“

Der Detektiv drehte sich leicht zur Seite um Sonoko direkt ansehen zu können und hob fragend eine Augenbraue: „Warum so überrascht? Das sage ich dir doch schon seit Wochen.“

„Ja, aber wer hätte denn annehmen können, dass du das tatsächlich ernst meinst? Ich meine, du warst ewig lang unterwegs wegen irgendwelchen komischen Fällen und hast dich in der Weltgeschichte rumgetrieben. Ich dachte ja eigentlich, dass du jetzt endlich mal anfängst die Füße hochzulegen und seßhaft zu werden.“

Shinichi sah, wie Sonoko’s Blick aus den Augenwinkeln zu Ran wanderte, doch diese schien nichts davon zu bemerken. Und Shinichi war froh darüber.

Sonoko wusste natürlich, dass Shinichi Ran einen Korb gegeben hatte. Aber sie war immer noch der Meinung, dass die beiden ein süßes Paar wären. Natürlich versuchte sie immer wieder mal Shinichi in Richtung ihrer besten Freundin zu drängen. Verbal, nicht körperlich natürlich aber Shinichi ignorierte diese Versuche geflissentlich.

Er würde Ran nicht in sein Chaos zerren, das hatte sie schlichtweg nicht verdient.

„Ich werde dich vermissen, wenn du nach England gehst“, wisperte Ran leise und Shinichi verzog leicht das Gesicht. Er machte einen kleinen Schritt auf sie zu und legte eine Hand auf ihre Schulter.

„Ran“, seine Stimme war sanft, beruhigend, „Ich bin doch nicht aus der Welt, nur, weil ich in Europa bin. Wir können uns doch trotzdem Mails schreiben.“

„Richtig!“, mischte sich plötzlich Sonoko ein, „Und glaub ja nicht, dass wir uns die Chance entgehen lassen Shinichi zu besuchen! Wenn er sich erstmal eingelebt hat ist er verpflichtet dazu uns herumzuführen und uns alles zu zeigen!“

Ran sah von Sonoko zu Shinichi und ihre Augen füllten sich mit Hoffnung. Der Schülerdetektiv spürte, wie sich sein totes Herz verkrampfte, doch er zwang ein Lächeln auf seinen Lippen und nickte leicht: „Natürlich könnt ihr mich besuchen. Und dann zeige ich euch alle Highlights, von der Baker Street über das Shakespeare Theater bis hin zum London Eye.“

Ran’s Miene hellte sich auf. Shinichi hasste es sie anzulügen.

 

Der Treffpunkt, den er mit Kaito ausgemacht hatte lag nicht bei den Docks, wo Akihito’s Wohnung lag, sondern in einem ruhigeren, abgelegenen Teil der Stadt. Akihito war nicht Zuhause, er hatte eine wichtige Besprechung mit Shigure und Miyoko, weswegen er sich in der tagsüber geschlossenen Bar Carpe Noctem aufhielt.

Und genau dorthin würde Shinichi Kaito bringen um die Vampirhochzeit rückgängig zu machen.

Er wartete etwa eine halbe Stunde beim Aufgang der U-Bahn als er Kaito’s Fährte bemerkte. Der süße Geruch seines Blutes gemischt mit einer ganz eigenen Note, die nur er verströmte drang durch die Mengenmenge wie ein Messer durch warme Butter. Shinichi entspannte sich und wartete mit einem Lächeln bis Kaito aus dem Untergrund ins Tageslicht trat.

Das Lächeln erstarb als er die ernste Miene des Magiers sah. Mit zwei schnellen Schritte trat er an den Jungen heran und berührte ihn zart an der Schulter: „Kaito.“

Der Magier zuckte leicht zusammen und sah Shinichi erschrocken an. Dann erkannte er den Vampir und entspannte sich. Ein Lächeln schlich sich auf seine Lippen doch Shinichi ahnte bereits, dass es nur gespielt war. Ein perfektes Pokerface.

„Du hast mich erschreckt.“

„Tut mir leid“, entschuldigte sich Shinichi, besorgt, „Ist alles okay? Du hattest so einen ernsten Blick.“

Das Lächeln wurde etwas breiter und der Magier winkte ab: „Nur Schulzeug. Sie drängen uns die ganze Zeit, dass wir uns für einen Zukunftsweg entscheiden und das ist, um ehrlich zu sein gerade das Letzte, worüber ich nachdenken möchte.“

Shinichi erwiderte das Lächeln nicht. Er wusste, dass Kaito ihm was vorspielte, dass die Schule nicht der einzige Grund für seinen Blick gewesen war. Wortlos umfasste er Kaito’s Hand mit seiner eigenen und drückte sie leicht.

„Dann kümmern wir uns lieber um unser aktuell größtes Problem, damit du mehr Zeit hast dir um deine Zukunft Gedanken zu machen“, erwiderte Shinichi neckend und wandte sich ab, Kaito hinter sich herziehend.

Der Oberschüler folgte ihm wortlos und für einen kurzen Moment rechnete Shinichi damit, dass Kaito sich aus dem Griff lösen würde. Doch Kaito holte lediglich auf sodass er Schulter an Schulter mit Shinichi gehen konnte und drückte seine Hand noch fester, so als würde er nach Halt suchen.

Der Vampir spürte den Instinkt in sich aufwallen einfach stehen zu bleiben und den Jungen fest in seine Arme zu ziehen, ihn zu halten und zu stützen und ihm zu zeigen, dass er nicht alleine war, doch Shinichi wehrte sich gegen den Drang, wollte ihm nicht nachgeben. Es wäre nicht gut, wenn die beiden so gesehen werden würden. Stattdessen verflocht er seine Finger mit Kaito’s und erwiderte den festen Druck.

Schweigend liefen sie nebeneinander her, durch die Straßen und Gassen, bis sie schließlich vor dem dunklen und unbeleuchteten Neonschild einer Bar standen, die alles andere als einladend auf den Magier wirkte.

„Und du bist sicher, dass wir hier richtig sind?“, fragte Kaito zögerlich, doch Shinichi nickte nur. Er ließ Kaito’s Hand los, welche er immer noch in der seinen hielt, und klopfte an die scheinbar verschlossene Tür. Es dauerte nicht lange, da öffnete eine junge Frau mit feuerrotem Haar, ein Lächeln auf den Lippen.

„Shinichi. Und Kaito-kun. Wie schön euch zu sehen.“

Die beiden Jungs begrüßten Miyoko kurz ehe sie die Bar betraten. Kaito ließ sofort seinen Blick durch den Raum wandern. Es war nichts Besonderes, eine heruntergekommene Bar mit altem Tresen und einem Billard-Tisch, der auch schon bessere Tage gesehen hatte. Hinter dem Tresen erhob sich ein Regal welches gefüllt mit den verschiedensten Spirituosen war.

Kaito sah auch einen Mann hinter der Bar stehen, hochgewachsen, breite Schultern, strähnige Haare, die ihm ins Gesicht hingen. Er trug eine Wollmütze und einen langen, tiefroten Mantel.

Kaito kannte ihn. Sein Name war Shigure, er war einer der beiden gewesen, die Shinichi von seinem Körper gezerrt hatten als er sich auf Kaito gestürzt hatte. Als die ganze Sache mit Bram einfach komplett eskaliert war und er Shinichi erschießen musste.

„Schön dich bei Bewusstsein zu sehen, Junge“, begrüßte Shigure Kaito und dieser nickte ihm nur leicht zu. Dann folgte er Shinichi zur Bar, wo sich Akihito langsam von einem der Barhocker erhob.

„Ich bin froh zu sehen, dass ihr beide wieder in Ordnung seid“, begrüßte Akihito die Jungs und deutete ihnen, dass sie neben ihm Platz nehmen sollten. Kaito und Shinichi taten wie geheißen und setzten sich.

„Wollt ihr was trinken?“

Shigure’s Tonfall klang harsch, aber Kaito ahnte bereits, dass es nett gemeint war. Er sah aus dem Augenwinkel wie Shinichi den Kopf schüttelte. Dann grinste der Magier den Barkeeper an: „Ich glaube nicht, dass du was hast das ich mag.“

Shigure hob eine Augenbraue an, sein Gesichtsausdruck hatte etwas von Soll das eine Herausforderung sein, Jungchen?

„Falls du es noch nicht bemerkt haben solltest“, sprach er mit langsamer, ruhiger Stimme, „Das hier ist eine Bar. Ich habe auch antialkoholische Getränke, die kein Blut sind.“

„Oh, nun, dann nehm ich eine Limonade!“

Shigure nickte nur und fischte aus einem Kühlschrank, der sich direkt unter dem Tresen befand eine Flasche Limonade hervor. Er schenkte Kaito ein Glas voll ein und stellte es vor ihm ab. Der Magier nahm einen Schluck von dem Getränk und schenkte dem Barkeeper ein weiteres, freches Grinsen.

„So, und jetzt sagt schon, warum seid ihr hier“, hakte Akihito nach und nahm wieder auf seinem Barhocker Platz. Kaito hatte beschlossen das Reden dem Vampir zu überlassen. Er wollte sich in Dinge einmischen, von denen er kaum eine Ahnung hatte. Auch, wenn er sich ziemlich sicher war, dass Shinichi sich bei der Vampirhochzeit genauso wenig auskannte wie er selbst.

„Du hattest doch gesagt, dass man das Band, dass Kaito und mich aneinander kettet lösen kann“, begann Shinichi das Gespräch und Akihito nickte bestätigend.

„Wir sind hier, weil wir es gelöst haben wollen.“ Der Blick des Detektivs war ernst. „Es ist einfach zu gefährlich, für uns beide. Es lässt uns nachlässig und unvorsichtig werden und weder Kaito noch ich können uns das leisten. Darum bitte, Akihito, wenn es eine Möglichkeit gibt diese Vampirhochzeit rückgängig zu machen, sag uns wie.“

Akihito tauschte einen kurzen Blick mit Miyoko und Shigure aus. Shinichi wusste, dass die drei Vampire alt waren, älter als er vermutlich ahnte. Sie bildeten den Kern des Clans und auch, wenn Akihito der eigentliche Anführer war, so waren Shigure und Miyoko nicht weniger wichtig. Sie waren seine rechte und seine linke Hand.

Shinichi gefiel es nicht, wie die drei einen Blick austauschten. Es gefiel ihm ganz und gar nicht.

„Wenn man eine Vampirhochzeit lösen will muss man das eigentliche Ritual umdrehen“, begann Akihito vorsichtig zu erklären. „Shinichi, du hast Kaito ein stummes Versprechen gegeben, für ihn da zu sein, ihn zu beschützen. Du hast ihm die Unsterblichkeit angeboten gegen einen Preis, und Kaito hat diesen Preis gezahlt.“

„Was war der Preis?“, mischte sich Kaito ein, der ein ungutes Gefühl bei der Sache hatte. Es war Miyoko, die Kaito eine Hand auf die Schulter legte und antwortete: „Dein Leben. Du hast Shinichi dein Leben gegeben, als Preis für die Ewigkeit.“

„Aber ich lebe noch“, erwiderte der Magier und zog eine Augenbraue hoch.

„Du musst nicht sterben um dein Leben zu geben“, erwiderte Shigure und zuckte mit den Schultern. „Es reicht schon, wenn du ihn zubeißen lässt und dich nicht wehrst. Wenn du ihn trinken lässt bis er satt ist und das Risiko eingehst zu sterben. Wenn du dich von seiner Gnade abhängig machst. Es ist mehr… deine geistige Einstellung als ein körperlicher Akt des Sterbens.“

Shinichi wandte den Kopf und starrte Kaito überrascht und entsetzt zugleich an. Natürlich wusste er genau, wovon Shigure sprach. Der Moment als Kaito sich ihm hingegeben hatte, als er ihn hatte trinken lassen ohne sich zu wehren, nachdem Kaito einen Silberbolzen aus Shinichi’s Körper gezogen hatte.

„Du wolltest sterben?!“, er klang entsetzt. Kaito wandte den Blick ab und zuckte leicht mit den Schultern. „Ich wollte nicht sterben“, erwiderte er ruhig, „Ich wusste, dass du aufhören würdest. Ich habe dir vertraut.“

Der Oberschülerdetektiv wirkte nicht zufrieden mit der Antwort, aber er sagte nichts mehr dazu. Stattdessen wandte er sich an den Anführer seines Clans und fragte: „Und wie genau drehen wir dieses Ritual jetzt um? Was müssen Kaito und ich machen?“

„Ihr beide müsst gar nichts machen“, erwiderte Akihito leicht überrascht. Shinichi runzelte leicht die Stirn: „Und wie lösen wir dann das Band?“

Erneut sah der Detektiv, wie Akihito einen Blick mit den anderen Vampiren austauschte. Es schien allgemeine Verwirrung zu herrschen, doch schließlich erklärte der weißhaarige Vampir die Sache: „Shinichi, ihr müsst das Band nicht mehr lösen, verstehst du? Es ist bereits gelöst. Die Vampirhochzeit wurde rückgängig gemacht, es gibt keine Magie mehr zwischen euch beiden.“

Shinichi schwieg. Und, was ihn überraschte, Kaito schwieg ebenfalls. Der Schülerdetektiv des Ostens wandte den Blick nicht von seinem Anführer, fixierte ihn mit saphirblauen Augen. Sein Blick war kühl, distanziert, er wollte den Worten nicht glauben, wollte aber Akihito auch nicht als Lügner darstellen.

„Wann und wie soll das passiert sein?“, fragte Shinichi schließlich langsam. „Weder Kaito noch ich wissen etwas davon, dass das Band gelöst wurde. Willst du etwa sagen, dass ich das schon wieder instinktiv gemacht habe? So wie ich das Band zuvor schon instinktiv geformt habe?“

„Das hatte nicht viel mit Instinkt zu tun“, erwiderte Shigure und verschränkte die Arme vor der Brust. „Du hast es doch laut ausgesprochen. Das Band war ein Fehler, es hätte nie passieren dürfen. Das waren deine Gefühle, oder?“

Shinichi sah den Barkeeper an und nickte leicht: „Schon… aber das kann doch nicht alles sein. Ich meine, wenn Kaito einen Preis zahlen musste und wir das Band nur durch umkehren lösen können, würde das nicht heißen, dass ich einen Preis an ihn zu zahlen hätte?“

„Den hast du ja auch gezahlt“, erwiderte Shigure und zuckte mit den Schultern, „Und es war kein kleiner Preis.“

Was war dieser Preis?!“

Shinichi wurde ungehalten, das wusste er. Er konnte den Zorn aufwallen spüren, die Wut auf diese ganze Situation, auf die Vampire, die Frustration darüber, dass ihm niemand erklärte was hier abging und auch die Angst über Kaito’s Schweigen. Warum sagte der Magier nichts zu dem Ganzen?

Als hätte er seine Gedanken gehört antwortete der Magier plötzlich mit monotoner Stimme: „Dein Leben.“

Überrascht wandte Shinichi sich um und sah Kaito an. Der Junge war blass und seine Augen fixierten das halbleere Glas in seiner Hand. Shinichi sah wie sich die Mundwinkel des Magiers verzogen, so als hätte er Schmerzen die er versuchte zu verbergen. Er sah, dass die Schultern des Jungen leicht zitterten und er spürte den Drang in ihm aufkeimen seine Arme um ihn zu legen und ihn festzuhalten.

„Kaito…“

„Ich habe dich erschossen“, es war fast ein wenig unheimlich wie fest seine Stimme klang, wo Shinichi doch genau wusste, dass es Kaito nicht gut ging, dass er immer noch unter der Erinnerung litt seinen Freund durchlöchert und einen Menschen getötet zu haben. Doch gegenüber der anwesenden Vampire ließ sich der Magier keine Schwäche ansehen.

„Ich habe dich erschossen und dir damit dein Leben genommen. Ich habe mir zurück geholt was mir gehört. Damit wurde die ganze Hochzeit umgekehrt und… und das Band gelöst.“

Shinichi war fassungslos. Sein Blick wanderte von Kaito, welcher den Kopf hängen ließ zu Akihito, welcher lediglich leicht nickte.

„Kaito hat recht“, bekräftigten seine Worte sein Nicken, „Das Band ist nichtig. Ihr seid frei.“

Shinichi sagte nichts dazu. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Er war frei? Er war nicht an Kaito gebunden gewesen, die letzten Tage?

„Das ist unmöglich“, murmelte er leise. Akihito seufzte: „Du musst es doch gespürt haben. Wie eine Leere… etwas, dass da war und jetzt weg ist.“

Shinichi fasste sich an die Brust. Er erinnerte sich an das Gefühl einer gähnenden Leere nachdem er aus seinem Tiefschlaf aufgewacht war, nachdem Kaito ihn erschossen hatte. Er hatte sich keine Gedanken darüber gemacht und das Gefühl einfach beiseitegeschoben, hatte sich darauf rausgeredet, dass es lediglich Nachwirkungen des Schusses waren.

Das Geräusch eines Glases, welches ein kleinwenig zu hart auf dem Tresen abgestellt wurde riss ihn aus den Gedanken. Er brauchte sich nicht umzudrehen um zu wissen, dass es Kaito gewesen war. Er konnte hören wie der junge Magier von seinem Barhocker glitt und sich abwandte.

„Wenn sich das mit dem Band erledigt hat“, seine Stimme klang amüsiert, unbekümmert, „dann kann ich mich ja auf den Heimweg machen. Ich hab noch ziemlich viel zu Büffeln für die kommenden Prüfungen und Kaitou KID’s Raubzüge planen sich auch nicht von selbst.“

Shinichi atmete tief durch, sog Kaito’s Fährte ein letztes Mal tief ein doch er sagte nichts als der Magier sich verabschiedete.

„Ich melde mich bei dir… Kudo.“

Und dann verließ Kaito die Bar.

Shinichi rührte sich nicht, er war wie erstarrt auf seinem Hocker. Miyoko war es, die sich langsam näher an den Jungen heranwagte und ihm behutsam eine Hand auf die Wange legte.

„Shinichi, mon chéri… hey.“

Der Oberschüler wandte den Kopf etwas und sah die Vampirin an. Er wusste nicht, was seine Augen für Geschichten erzählte, aber er sah wie Miyoko’s Gesichtsausdruck sich änderte, von besorgt und ängstlich zu überrascht und schließlich zu einem Blick voller Mitleid.

„Was ist passiert?“, fragte sie mit sanfter Stimme und versuchte, mit ihrer mütterlichen Art eine Antwort aus dem jungen Vampir zu bekommen. Doch Shinichi schüttelte nur den Kopf. Er spürte, wie die Starre seinen Körper verließ. Seine Schultern begannen zu beben, seine Hände ballten sich zu Fäusten. Er spürte den Drang nach Luft zu schnappen, tiefe Atemzüge zu tun doch er verbat es sich selbst, verbat es sich Kaito’s Fährte, die er doch so verzweifelt inhaliert hatte loszulassen.

„Shinichi!“, auch Akihito war jetzt auf den Beinen und packte den Jungen an den Schultern, suchte den Blick in sein Gesicht doch Shinichi konnte nicht sprechen, wollte nicht. Er spürte den Schmerz und die Verzweiflung in sich aufsteigen und wandte seinen Blick hilfesuchend an Miyoko.

Die Vampirin verstand sofort. Sie legte Akihito beruhigend eine Hand auf den Oberarm und zwang ihn mit sanfter Gewalt den Jungen loszulassen: „Akihito. Es ist genug.“

Akihito sah seine Gefährtin an. Er wollte sie zurechtweisen, die Sorge über den Jungen überhandnehmend, doch als er den entschlossenen Blick der jungen Frau sah entspannte er sich und trat einen Schritt zur Seite, gab ihr den Raum den sie benötigte. Miyoko stellte sich vor den Oberschülerdetektiv und umfasste seine Wangen mit beiden Händen.

„Zeig es mir“, wisperte Miyoko sanft und beobachtete wie Shinichi seine Augen schloss und sich in die Berührung der Vampirin lehnte. Als Shinichi seine Augen wieder öffnete brachen die Erinnerungen über die rothaarige Schönheit herein wie eine Welle nach einem Dammbruch.

Sie spürte die Leere im Körper des Jungen, spürte wie Shinichi sich nach Kaito verzehrte. Sie sah wie der Magier vor der Teitan Oberschule auftauchte und wie er Zaubertricks vorführte. Sie sah, wie Shinichi und er verschwanden und Augenblicke später hielt Shinichi den zitternden Jungen im Arm, fest, beschützend, Kaito’s Duft seine Sinne umnebelnd, der Drang ihn zu verwandeln so stark, so übermächtig. Und dann küssten sie sich.

Shinichi’s Erinnerungen spielten sich so schnell ab, dass Miyoko schwummrig wurde, aber sie konzentrierte sich, sie wusste das sie sehen musste was Shinichi so sehr am Herzen lag das er nicht mal Sprechen konnte.

Und dann verstand sie. Shinichi erinnerte sich an die weiche Haut des Magiers, an die süßen Geräusche, die er von sich gab, wenn Shinichi nur die richtigen Stellen berührte. Shinichi erinnerte sich an den Geschmack seiner Haut und an das Gefühl der Lippen des Magiers auf seinem eigenen Körper. Und er erinnerte sich an ihre Worte, an die Sorge des Vampirs ob das wirklich okay war, ob Kaito das wirklich wollte, und oh Gott, Kaito wollte es, das konnte Shinichi spüren.

Die Erinnerung riss ab, gerade als die zwei sich schworen, dass es das erste und das letzte Mal war, dass nach der Trennung des Bandes alles anders sein würde, und als Miyoko die Verbindung trennte, als sie der Meinung war genug gesehen zu haben hörte sie noch einmal klar und deutlich, wie Kaito Shinichi als seinen Meister anerkannte.

Die Vampirdame atmete tief durch, etwas, dass sie selten tat, aber nach den intensiven Erinnerungen des Jungen waren die fremden Fährten, die sich in Shigure’s Bar sammelten eine willkommene Abwechslung. Sie schlang instinktiv ihre Arme um den Oberschüler und zog ihn in eine schützende Umarmung. Sie spürte, wie Shinichi’s Körper schlaff gegen ihren sank und seine Hände sich im Saum ihrer Bluse vergruben. Sie spürte, wie der Körper des Jungen unter ihren Händen bebte, wie er das Gesicht an ihrer Schulter versteckte und sie festigte ihren Griff noch mehr, wollte ihm halt geben wo der Junge doch so Angst hatte zu fallen.

Als Akihito und Shigure sie fragend ansahen schüttelte sie nur wortlos den Kopf und bedeutete ihnen zu schweigen.

 

Als Akihito, Miyoko und Shinichi die Bar verließen war die Sonne bereits dabei unter zu gehen und Shigure begann mit den Vorbereitungen für seine Gäste. Der Anführer des Clans hatte beschlossen, dass er Shinichi nicht alleine zu Hause sein liess, weswegen der Oberschüler die Nacht bei ihm verbringen würde. Es war nicht das erste Mal, dass Shinichi in seinem Gästebett schlafen würde. Er hatte das früher schon öfter getan.

Miyoko verfiel sofort in ihre Mutterrolle, kaum, dass sie das Apartment des Anführers betreten hatten. Sie schaffte den Jungvampir, der definitiv viel zu bleich war, ins Gästezimmer und drängte ihn dort sich hinzulegen. Sie brachte ihm auch eine Konserve um etwas zu trinken bevor er schlafen ging und wachte anschließend an der Bettkante bis er tatsächlich eingeschlummert war.

Miyoko beobachtete den Jungen ein paar Minuten lang, dankbar dafür, dass Vampire einen traumlosen Schlaf hatten. So sehr sie es manchmal vermisste zu Träumen, so dankbar war sie dafür verschont zu werden, wenn traumatische Erlebnisse sie heimsuchten. Zu wissen, dass man den Schlaf nicht zu fürchten brauchte, dass es ein erholsamer und traumloser Schlaf war wurde von den Vampiren viel zu selten wertgeschätzt.

Erst als sie sicher gegangen war das Shinichi nicht sofort wieder aufwachen würde verließ die Vampirin das Gästezimmer und kehrte zurück ins Wohnzimmer, wo Akihito bereits auf der Couch saß und wartete.

Die Ungeduld stand ihm ins Gesicht geschrieben. Miyoko wusste, dass es ihm schwer fiel nicht sofort nachzufragen was passiert war, dass es ihn störte nicht sofort erfahren zu haben was sich im Kopf des Detektivs abgespielt hatte. Aber er wartete, bis Miyoko sich zu ihm gesetzt hatte, ehe er zu sprechen begann: „Ich versteh es nicht. Ich dachte, die beiden wären froh darüber zu erfahren, dass sie nicht mehr aneinandergebunden sind. Und was haben wir jetzt? Der Junge ist abgehauen und Shinichi ist in eine Art Schockzustand verfallen.“

„Shinichi wird es morgen wieder besser gehen“, beruhigte Miyoko ihren Gefährten und sah ihn besorgt an, „Was ich gesehen habe… ich denke, die beiden stecken in einem Gefühlschaos.“

„Gefühlschaos?“

Miyoko nickte. „Sie habe miteinander geschlafen. Und sie haben sich darauf rausgeredet, dass sie es nur tun, weil das Band sie zueinander zieht.“

„Ah“, Akihito verzog leicht das Gesicht, „Und jetzt habe ich ihnen eröffnet, dass das Band schon seit einer Woche nicht mehr existiert. Was die beide in eine Krise wirft, weil sie von sich aus miteinander geschlafen haben? Junge Liebe ist so kompliziert…“

Miyoko konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen, doch sie stimmte ihrem Partner zu: „Junge Liebe ist immer kompliziert. Erinnerst du dich nicht an uns?“

Akihito wandte den Blick ab und tat so, als würde er eines der Bilder an der Wand sehr interessant finden: „Vielleicht. Ein bisschen erinnere ich mich.“

Miyoko schmunzelte erneut, doch ihr Ausdruck änderte sich als Akihito das Gespräch zurück zum eigentlichen Thema brachte: „Ich hatte gehofft, es würde nicht passieren. Dass sich die beiden ausgerechnet jetzt in einander verlieben wo Shinichi beschlossen hat nach England zu gehen und alle Bande zu den Menschen die er kennt zu durchtrennen…“

„Ich denke nicht, dass sie sich erst jetzt verliebt haben“, erwiderte Miyoko und lehnte sich an Akihito’s Schulter. Überrascht sah sie der Weißhaarige an: „Wie meinst du das?“

„Du weißt doch selbst wie Shinichi von ihm redet. Von Kaitou KID. Seinem Erzfeind, der ihn jedes Mal aufs Neue zu Höchstleistungen treibt. Denkst du wirklich, das war nur Bewunderung für einen guten Magier? Für einen Dieb?“

Akihito blinzelte überrascht: „Etwa nicht?“

Miyoko lachte: „Ihr Männer seit so verklemmt, wenn es um Gefühle geht. Der Junge war von Anfang an mehr für Shinichi als nur ein Feind. Erinnere dich doch daran, was er uns von seiner Verwandlung erzählt hat. Er ist KID gegenüber getreten ohne ihn zu beißen. Und dann die beiden Angriffe. Takashi und der Söldner. Er riskiert sein Leben für den Jungen, obwohl er doch angeblich sein Gegner ist? Hättest du dein Leben für Bram riskiert? Oder für die Vampire der alten Zeit?“

„Eher nicht“, murmelte Akihito und betrachtete Miyoko’s Gesicht. Er schlang behutsam einen Arm um sie: „Und was machen wir jetzt mit den beiden?“

„Nichts.“

Das überraschte ihn. „Nichts?“

Doch Miyoko schüttelte den Kopf: „Die Gefühle für einander müssen sie selbst auf die Reihe bekommen. Das ist ihre Geschichte. Wir sind nur die Zuschauer.“

Akihito seufzte und zog seine Gefährtin näher: „Ich hasse zusehen.“

„Ich weiß.“

 

Kaito erinnerte sich nicht daran, wie er seinen Weg nach Hause gefunden hatte, oder wie er es in sein Bett geschafft hatte, geschweige denn wie er es geschafft hatte sich aus seiner Kleidung zu schälen. Das einzige, das er mit Sicherheit wusste war, dass er nicht bereit für den neuen Tag war.

Die Sonne strahlte in sein Zimmer, direkt in sein Gesicht um ihn zu begrüßen und auf den neuen Tag vorzubereiten doch Kaito hatte sich die Decke über den Kopf gezogen und den großen Balkontüren neben seinem Bett den Rücken zugewandt. Er hatte die Augen fest zusammengepresst in der Hoffnung, noch einmal in Tiefschlaf zu verfallen, doch sein Telefon, welches zum dritten Mal innerhalb der letzten halben Stunde klingelte verhinderte das. Er ignorierte den Anruf, wusste, dass es nur Aoko war, die versuchte ihn aufzuwecken. Er war nicht, so wie sonst immer, zum Frühstück erschienen, hatte aber auch nicht Bescheid gegeben, dass er fernblieb. Natürlich würde seine beste Freundin sich nach seinem Wohlergehen erkundigen, gerade weil Kaito in letzter Zeit sooft krank gewesen war und die Schule geschwänzt hatte.

Doch Kaito hatte nicht reagiert. Nicht beim ersten Anruf, nicht beim zweiten und er würde auch nicht beim dritten reagieren. Der Klingelton seines Telefons verstummte bald und als Kaito den Kopf unter der Decke hervorstreckte und auf den kleinen Bildschirm sah war da das Zeichen für einen weiteren verpassten Anruf.

Zusammen mit dem Chatverlauf mit Shinichi und der Nachricht, die er dem Oberschüler vor etwa einer Stunde geschrieben hatte.

 

Ich brauche Zeit um über alles Nachzudenken, was wir gestern erfahren haben.

Ich muss meine Gedanken sortieren.

Ich melde mich bei dir sobald alles klar ist. Versprochen.

 

Kaito zog die Decke wieder über den Kopf und schloss die Augen. Shinichi hatte ihm nicht geantwortet. Vermutlich würde der Vampir selbst noch schlafen, vielleicht war er aber auch schon am Weg in die Schule.

Kaito wusste, dass er zur Schule gehen musste. Er wusste aber auch, dass er keine Lust dazu hatte und deshalb vermutlich einfach schwänzen würde. Langsam öffnete er die Augen wieder und starrte in die Dunkelheit seiner Höhle.

Die Nachricht, dass das Band längst gelöst war, war keine wirkliche Überraschung für ihn. Akako hatte es ihm bereits gesagt, hatte ihn darauf hingewiesen, dass die Magie verschwunden war.

Es war nicht schwer rauszufinden wie es passiert war, nicht nachdem er Akihito’s Erklärung gelauscht hatte. Aber es warf neue Probleme auf.

Kaito vergrub das Gesicht in den Händen. Er hatte mit Shinichi Kudo geschlafen. Hatte sich ihm vollends hingegeben. Hatte ihn Meister genannt.

Kaito hatte gedacht, er hätte es nur wegen des Bandes gemacht. Weil dieses Band ihn zu Shinichi drängte, weil das Band ihn dazu verfluchte von Shinichi berührt werden zu wollen, ihn berühren zu wollen.

Aber wenn das Band längst gelöst war, wenn die Magie nichts damit zu tun hatte, wieso hatte er es dann getan? Und wieso jagte ihm der Gedanke an Shinichi, wie er über ihn gebeugt war, keuchend und erregt, immer noch heiße Schauer über den Rücken.

„Das ist doch irre“, wisperte der Magier zu sich selbst. Eine weibliche Stimme, die seinen Namen rief, riss ihn aus den Gedanken und er schob die Decke ein Stück zur Seite um die Rufe besser zu hören. Tatsächlich hatte er erst angenommen, dass die Stimme von draußen kam, dass es Aoko war, die an ihrem Fenster stand und seine Balkontür anschrie, aber jetzt, wo die Decke über seinem Kopf verschwunden war stellte er fest, dass sie sich bereits einen Weg in seine Wohnung gebahnt hatte. Er ahnte, dass es nicht lange dauern würde bis sie in seinem Schlafzimmer auftauchte und tatsächlich, gerade als er der Tür den Rücken zugedreht und sich die Decke erneut über den Kopf gezogen hatte flog die Tür zu seinem Schlafzimmer auch schon auf und Aoko’s fröhliche, jedoch strenge Stimme ertönte: „Was soll das?! Hörst du mich nicht, wie ich nach dir rufe, Bakaito?! Und was fällt dir eigentlich ein meine Anrufe zu ignorieren?“

„Ich schlafe“, murrte der Magier und machte keinerlei Anstalten sich zu erheben oder anderweitig zu bewegen. Er hörte, wie Aoko näherkam und spürte kurz darauf auch schon wie an seiner schützenden Decke gezogen wurde. Doch sein Griff war eisern und er ließ nicht los.

„Sei doch nicht so kindisch!“, murrte seine beste Freundin und zog weiter, „Du musst in die Schule!“

„Ich schwänze.“

Kaito spürte, wie der Zug an der Decke verschwand. Vermutlich war Aoko überrascht, dass Kaito keine dumme Ausrede erfand. Dafür sah der Magier einfach keinen Grund mehr.

„Warum willst du denn Schwänzen?“

„Mir ist nicht nach Schule.“

Kaito spürte, wie Aoko sich auf die Bettkante sinken ließ. Sein Verhalten musste sie beunruhigen und es tat ihm auch leid, dass er ihr nicht sagen konnte, was los war. Aber er verstand es ja selbst nicht. Wusste nicht, was in ihm vorging, was mit ihm los war. Er war verwirrt und fühlte sich erschöpft und unruhig. Er wollte fliehen, wollte vor alledem weglaufen. Er hatte Jii-chan am Tag zuvor angerufen und um ein neues Ziel gebeten, er hatte das unstillbare Bedürfnis sich hinter der Maske von KID zu verstecken und einfach zu verschwinden.

Aber das konnte er Aoko nicht sagen.

„Kaito… ist irgendwas passiert, dass dich bedrückt?“

Der Magier verzog das Gesicht. Sie kannte ihn so gut, wusste immer genau was mit ihm los war. Selbst wenn er sein Pokerface trug, Aoko erkannte die Zeichen, wenn ihn etwas belastete, und sie wusste immer was sie tun oder sagen musste um ihn aufzuheitern.

„Vielleicht.“

Sie war ein schönes, liebes, aufmerksames Mädchen und er war ein Idiot, dass er sie immer so schlecht behandelte. Sie kochte für ihn, kümmerte sich um ihn, sah nach ihm, damit er nicht einsam war. Seit dem Tod seines Vaters war Aoko immer da gewesen. Auch davor schon war sie nie von seiner Seite gewichen.

Sie war das Beste, das ihm je passiert ist.

„Kann ich irgendwas tun um dich aufzuheitern?“

Kaito war wütend auf sich, dafür, dass er sich sämtliche Chancen mit ihr ruiniert hatte, darauf, dass er sie ständig nur belog und betrog. Das hatte sie nicht verdient, dafür war sie einfach zu rein, zu ehrlich. Sie verdiente einen guten Mann, aber Kaito wusste, dass es niemanden gab, der seiner Meinung nach gut genug war für Aoko, der sie richtig wertschätzen konnte.

Niemand außer ihm.

„Ja… ja, das kannst du.“

Kaito konnte sich das Lächeln auf Aoko’s Gesicht bildlich vorstellen. Sie freute sich immer so sehr, wenn sie anderen Menschen zur Hilfe eilen konnte.

Der Magier bewegte sich schnell. Er hatte seinen Körper bereits unter der Decke angespannt, wie die Sehne eines Bogens, die bereit war einen Pfeil abzuschießen. Seine Bewegungen waren fließend, elegant, und viel zu schnell, als das Aoko ihnen folgen konnte.

In einer anmutigen Bewegung riss er die Decke von sich, einen hohen Bogen beschreibend über sich und Aoko hinweg, während er sich, den Schwung der Bewegung nehmend, in eine aufrechte Position brachte. Seine freie Hand, welche nicht die Decke hielt, fand ihren Weg zu Aoko’s Taille und schlang sich darum. Er zog das junge Mädchen näher und lehnte seinen Kopf leicht zur Seite, ihre Gesichter einander annährend. Kaito spürte Aoko’s Atem auf seinem Gesicht als sie erschrocken aufkeuchte. Er konnte schon fast ihre süßen, weichen Lippen auf seinen Schmecken, aber noch bevor es zum Kuss kam hatte Aoko beide Hände gehoben und presste sie gegen Kaito’s Gesicht, sodass dieser den Kopf in den Nacken legen musste.

„Hmpfh!“, machte der Junge erschrocken als sein Plan, seine Jugendfreundin zu küssen, abgeblockt wurde.

„Was soll das, Aoko?!“, maulte er beleidigt und lehnte sich etwas zur Seite, um den Händen des Mädchens zu entkommen. Diese war tiefrot angelaufen und starrte Kaito entsetzt an. Dann realisierte sie was sie getan hatte und schlug erschrocken die Hände vor den Mund.

„Kaito…“, ihre Stimme war voller Mitleid und Kaito musste alle Selbstbeherrschung zusammennehmen um nicht angewidert das Gesicht zu verziehen. Er hasste es, wenn man Mitleid mit ihm hatte. „Es tut mir so leid, Kaito. Ich… ich kann das nicht!“

Kaito verzog nun doch leicht das Gesicht, enttäuscht, aber er lächelte.

„Wieso? Gibt es einen anderen?“

Aoko errötete erneut und wandte beschämt den Blick ab. Also hatte er direkt ins Schwarze getroffen.

„Ist es Hakuba?“

Aoko versteckte ihr Gesicht hinter den Handflächen. Wow, er hatte die falsche Karriere eingeschlagen. Er hätte Detektiv werden sollen.

„Seit wann?“

„E-Es ist nichts Ernstes. Ich weiß nicht mal, ob das was wird mit uns. I-Ich meine, ich weiß nicht ob ich… ob ich ihn…“

„Ob du ihn liebst?“

Aoko nickte. Sie ließ ihre Hände sinken und sah Kaito verlegen an. „Hakuba-kun hat mich gebeten mit ihm auf ein Date zu gehen und ich… ich habe zugesagt. Ich weiß, wie er für mich empfindet, er hat es mir gesagt, aber ich… ich bin mir nicht sicher ob ich dasselbe für ihn empfinde wie er für mich. Ich weiß nicht, ob ich seinen Gefühlen gerecht werde.“

Kaito senkte den Blick. Aoko schien so besorgt darüber zu sein, Hakuba zu enttäuschen, dass sie seine Gefühle nicht erwiderte. Sie ging mit ihm auf ein Date um rauszufinden was sie für ihn empfand. Ob sie seine Gefühle erwidern konnte oder nicht. Sie stellte sich dem Problem anstatt einfach davon zu laufen.

Kaito fühlte sich schlecht. Er hatte Shinichi von sich geschoben anstatt auf ihn zuzugehen. Hatte ein Kontaktverbot erhoben anstatt mit ihm zu reden. Es war ihm peinlich wie anhänglich er gewesen war, nach dem Zwischenfall mit Bram, wie sehr er sich an Shinichi gedrängt hatte, wie er ihn Meister genannt hatte.

Er fragte sich die ganze Zeit, was Shinichi wohl von ihm halten würde, jetzt, wo sie wussten, dass es nicht das Band war das Kaito zu diesem Verhalten trieb.

Aber er hatte nie daran gedacht, was Shinichi fühlte. Er war es gewesen, der den Kuss initiiert hatte, dort in der Seitenstraße. Er war es gewesen, der Kaito mit nach Hause genommen hat, der ihn berührt und liebkost hatte. Kaito hatte Shinichi zwar die Führung überlassen aber Shinichi hatte sich bemüht es für sie beide gleichermaßen schön zu machen, hatte sich bemüht auch Kaito auf seine Kosten kommen zu lassen.

Und das ohne jegliche Form von Magie.

Was war das zwischen ihnen?

„Kaito?“, Aoko’s zerbrechliche Stimme und eine federleichte Berührung an seinem Handrücken ließen ihn den Kopf heben. Wann hatte er sein Gesicht in den Händen vergraben? Er erinnerte sich nicht.

„Ist alles in Ordnung?“

Kaito schüttelte den Kopf und lächelte, ein trauriges Lächeln. „Ich glaube“, seine Hals war trocken und seine Stimme rau, „Ich glaube ich habe mich verliebt, Aoko. In jemanden, mit dem ich nicht zusammen sein kann.“

Er sah ihren erschrockenen und schuldbewussten Blick und hob sofort abwehrend die Hände: „NEIN!! Nein, nicht du Aoko, ich meine nicht dich!“

Erleichtert atmete das Mädchen auf. Dann schenkte sie ihrem besten Freund ein sanftes Lächeln: „Ach, Kaito. Wieso solltest du mit ihr nicht zusammen sein können?“

„Weil es… es ist… kompliziert?“ Wie sollte er auch die ganze ‚er ist ein Junge, mein Erzfeind und ein Vampir‘-Geschichte erklären?

„Ich bin sicher, dass es gut gehen wird. Du musst nur rausfinden, was ihr beide für einander empfindet. Wenn sie ein netter Mensch ist wird sie dich nicht abweisen, sondern dir eine Chance geben.“

„Du meinst, so wie du Hakuba eine Chance gibst?“

Aoko errötete erneut, nickte dann jedoch leicht. Kaito seufzte schwer, konnte jedoch ein plötzliches Auflachen nicht verhindern.

„Ich versuch‘s“, gab er sich schließlich geschlagen, „Ich versuch‘s. Und jetzt, raus hier! Ich muss mich für die Schule anziehen.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  vampiergirl-94
2020-10-09T08:37:12+00:00 09.10.2020 10:37
Oh ha na ob die beiden Pfeifen das hinbekommen wird interessant und bestimmt für uns lustig, während es für die bestimmt peinlich wird. xD
Bin gespannt wie es weitergeht.
Von:  Yuna_musume_satan
2020-10-09T08:06:27+00:00 09.10.2020 10:06
Aww ich glaube es nicht man warum sind Männer immer so verblendet wenn es um ihre Gefühle geht. Mal ernsthaft das ist doch so klar das die beiden sich lieben und nur die beiden sehen es nicht. Hach ich könnte verrückt werden aber auch schmelzen denn das Kap ist sooo Kawaii.

Freu mich schon aufs nächste


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