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Glücksverfluchte

Die Champions von Asteria
von

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Die größte Stadt der Welt

Severa hatte in ihrem ganzen Leben nur wenig außerhalb des Kesseltals gesehen. Sie kannte zwar den riesigen Magierturm, der aus unerfindlichen Gründen sich dazu entschieden hatte, über dem Abgrund zu schweben, aber die verworrenen, stufenartigen Gassen Lynasas und die dekadente Architektur von Elblessa waren ihr nur aus Büchern bekannt. Doch jene detaillierte Beschreibungen begeisterter Besucher reichten aus, um ein gutes Bild für die Größe dieser beiden Giganten aus Stein, Holz und Stahl zu bekommen, wie sie wohl auf der ganzen Welt ihresgleichen suchten.
 

Und dennoch war sie sich mehr als sicher, dass selbst die größten Städte in ganz Lyn'a'Tishal kaum größer als Dörfer wirkten, verglich man sie mit dem, was sie gerade sah. Auf dem Meer sah es bereits aus wie eine nie enden wollende Ansammlung von Häusern, die sich auf ein, für ihr Verhältnis, viel zu kleines Fleckchen Land drängten und nach außen wuchsen wie die Äste eines ausladenden Baumes.

Fast konnte sie gar nicht glauben, dass diese ganze Insel nur aus einer einzigen Stadt bestand. Und doch gab es keine ersichtlichen Grenzen, während sie in einer rostigen Kutsche mit fächerartigem Dach, welche von Ezra als Rikscha bezeichnet wurde, durch die Straßen des Hafens in Richtung Innenstadt gefahren wurden. Waren die hölzernen Häuser mit den seltsam kurvigen Dächern aus rostigem Blech zu Beginn noch ein- maximal zweistöckig, wuchsen sie, je weiter man ins Landesinnere kam, zu immer schwindelerregenderen Höhen an, sodass die Zwergin fast schon dachte, sie würden gar nicht mehr enden; ganz zu schweigen davon, wie viele Einwohner wohl in nur einen dieser Türme passen würden. Natürlich gab es dazwischen auch viele kleinere Gebäude, doch diese verschwanden fast gänzlich in den Schatten der großen Brüder, oder saßen, wie Wurzeln an einem Stamm, direkt an deren Füßen, sodass sie sich oftmals gar nicht sicher war, ob es sich um ein eigenständiges Haus handelte.
 

Aber es ging nicht nur in die Höhe, wie ihr schnell auffiel: Die Seitengassen führten über Treppen in unbekannte, aber belebte und hell erleuchtete Tiefen und unter den zahlreichen Brücken erkannte sie entlang der kleinen Bäche und Kanäle viele Bewohner, die aus Türen in den Seitenwänden kamen. Wie viele Stockwerke es tatsächlich nach unten ging, wagte sie nicht zu behaupten, doch sie konnte sich gut vorstellen, dass unter ihnen ein lebendiges Netz aus Gängen existierte, auch wenn sie sich nur wenig vorstellen konnte, warum jemand freiwillig an einen Ort hausen wollte, an dem kein Licht schien.
 

Sah man auf die Architektur, entpuppte sich diese ebenso als undurchsichtiger Wildwuchs. Die Häuser trugen Elemente, die eins zu eins aus Lyn'a'Tishal kopiert zu sein schienen, wie die eisernen Schornsteine, oder den stufenartigen Aufbau mit vorgesetzter Veranda, behielten jedoch zugleich einen Charakter, der kaum fremder sein konnte.

Weiterhin überraschte sie, dass die meisten Häuser aus Holz und Lehm gebaut waren. Stein gab es nicht und Metall wurde, nebst den Dächern, nur zur Stabilisation und für Regenrinnen benutzt. Die Beleuchtung bestand zum Großteil aus einfachen, kreisrunden Papierlaternen, die unter das Dach gehangen wurden, in der Regel je eine an jeder Hausecke. Doch es gab auch diese großen, dunklen Schilder und Röhren, welche die Zwergin zunächst nicht bemerkte, bis eines von Ihnen sie dann in den knalligsten Farben anstrahlte und Worte wie „Casino“ oder „Markt“ bildete, wobei die Schrift stark geschwungen war und nur allzu oft in ausladenden Spitzen endete – ähnlich der Schrift, die Ezra bei der Papiermagie nutzte.

Die Türen waren nicht an Angeln befestigt, sondern wurden einfach zur Seite geschoben und aus den gekippten Fenstern krochen fremde Gerüche – von süß bis würzig wurde jeder Duft bedient – gepaart mit dem Klanggewitter eines eigenartigen Dialekts, und verspielter, minimalistischer Musik. Vor den Häusern fand sie oftmals kleinere Dekorationen: Kleine Brunnen aus Stein und seltsame, säulenähnliche Pflanzen, die viel größer als Menschen wurden, sowie kleine Statuen von Menschen und Elfen, aber auch Tieren und anderen Kreaturen aus Messing oder Gold mit großen, seltsam eckigen Köpfen, die ein wenig wirkten, wie die Schnitzereien in Cirdans Kleiderschrank.

Bäume und Sträucher gab es nicht viele, aber wenn, dann waren sie ausladend und blühten – ganz zum Kontrast zu den rauen, dunklen Hölzern der Gebäude – in weichen Pastelltönen und auf ihren Zweigen saßen kunterbunte Singvögel mit extravaganten Kämmen und riesigen Schwingen, die dem allgemeinen Lärm der Straße eine eigene Note hinzufügten.

Aus den Gassen dazwischen krauchten hingegen deutlich grauere Tiere hervor: ausgemergelte Hunde mit zerrupftem Fell; streunende Katzen, die scheinbar nur noch aus Haut und Knochen bestanden; dürre Füchse mit kaputten Zähnen; und nicht zuletzt auch gelbäugige Kreaturen, die teilweise so fremdartig und unheimlich wirkten, dass es der Zwergin den ein oder anderen Schauer über den Rücken jagte.
 

Doch genauso fremd wie die Architektur, die Flora und Fauna, oder die Gerüche und Klänge waren die Einwohner.

Zwar sahen die meisten Leute den Menschen und Elfen aus Lyn'a'Tishal recht ähnlich, doch es gab einige deutliche Unterschiede.

So trugen alle Asterier einen sonnengereiften Teint, der von Gelb über Bronze bis hin zu Rotbraun reichte und dementsprechend dunkel war auch ihr Haar: Die meisten waren brünett bis rabenschwarz. Es gab zwar auch den ein oder anderen hellbraunen Schopf und mit dem Alter kamen auch grau oder gar schlohweiß hinzu, doch einen Ansatz von auch nur annähernd blondem Haar suchte man vergebens – sah man mal von Ezra selbst ab.

Was beide Rassen gemeinsam hatten, war, dass sie ein gutes Stück kleiner als ihre tishalischen Brüder und Schwestern und beiderseits relativ zart gebaut waren.

Beide Rassen trugen die gleiche Kleidung: Lange Gewänder, die mit einem großen Stoffgürtel festgemacht wurden und mit viel Liebe zum Detail bestickt waren – in etwa so wie Ezras Mantelrücken – doch es gab auch einige, die Kleidung trugen, welche auch aus Severas Heimat stammen konnte: Hemden, Hosen und Jacken oder Mäntel, sogar richtige Kleider tauchten hier und dort auf, wenn auch bedeutend seltener und wenn sie jemand trug, dann unterschied sie sich im Bereich Schnitt und Gestaltung doch sehr von der Mode ihres Heimatkontinenten – aber es war nicht zu verleugnen, dass man sich von dort inspirieren gelassen hatte.

Was Severa nirgendwo fand, waren Zwerge und sie fragte sich, ob es sie in dieser Welt schlicht und ergreifend nicht gab, oder sie auch hier in irgendwelchen Minen versklavt wurden und daher nicht in der eigentlichen Gesellschaft zu sehen waren.

Stattdessen fanden sich aber in regelmäßigen Abständen scheinbar menschliche Männer und Frauen, die jedoch auf ihrem Kopf ein Paar großer, spitzer Ohren aus Fell trugen und an deren Becken hinten ein buschiger Schwanz hinunterhing. Zunächst war sie sich nicht sicher, ob es sich hierbei nicht nur um Kostüme handelte, doch diese Illusion verwarf sich, als einer der Bestaunten ihren Blick wahrnahm und erwiderte – mit zwei so durchdringenden, animalischen Augen, dass Severa sich schnell wieder in ihren Sitz drückte und für sich entschied, ihre Neugierde etwas zu begrenzen.
 

Ein Blick zur Seite verriet ihr aber, dass Cirdan nicht minder fasziniert von dieser fremden Welt war. Mit Interesse und Skepsis gleichermaßen verfolgte der kleinwüchsige Elf seine Umwelt, war auf der einen Seite begeistert von den eigenartigen Leuchtröhren und den beeindruckenden Wohnriesen, aber zugleich angewidert von den schmutzigen Bettlern am Straßenrand und den verdreckten Seitengassen – Dinge, die Severa zunächst gar nicht aufgefallen waren.

Doch so langsam bemerkte auch sie, was ihren Herrn wohl am meisten beunruhigte: Die lebhaft gestalteten Geschäfte und Restaurants waren mittlerweile mit immer mehr zwielichtigen Hinterläden und verdächtigen, in Schatten gehüllten Gestalten bestückt worden, die in der Gasse und ihren langen Mänteln allerlei verstecken konnten. Die Leute schauten mit Interesse oder gar Ehrfurcht zu der Rikscha, was vielleicht auch daran lag, dass diese Gefährte immer seltener geworden waren, je weiter sie in die Stadt fuhren.

Ezra hingegen schien nicht davon beunruhigt zu sein, im Gegenteil: Auf seinen Lippen lag ein entspanntes Lächeln, während er gedankenverloren am Geländer lehnte. Eines war klar: Der Mensch war nicht von hier, dafür war er zu groß und zu blond und sprach noch dazu nicht diesen eigenartig weichen Dialekt. Seine Wurzeln waren eindeutig tishalisch, aber er musste schon eine sehr lange Zeit in Asteria gelebt haben, denn dieses Lächeln sang unzählige Loblieder von der Erleichterung, endlich wieder zuhause zu sein.
 

„Wir sind gleich da“, sprach er nach einer langen Zeit des Schweigens, in denen er nur auf die Fragen seiner Mitfahrer knapp geantwortet hatte und zeigte auf einen überdimensionalen Gebäudekomplex vor ihnen, der sich wie ein gigantischer Berg aufrichtete und auf den ersten Blick wirkte, als hätte jemand unzählige Häuser aufeinander geschichtet, bis sie mitsamt einiger Bäume zu einem großen Haufen verschmolzen waren. Sogar ein kleiner Bachlauf führte entlang der Dächer aus Blech und stürzte oftmals – direkt an Fenstern vorbei – einige Schritt in die Tiefe, bevor er in einen kleinen Teich platschte, in dem sich ein paar Personen gemütlich räkelten. Auch sonst herrschte um das ganze Gebäude reger Betrieb: Frauen und Männer aller Rassen schritten durch die gewaltige Eingangstür, auf den Balkonen standen Personen mit umgebundenen Handtüchern – besonders mutige sogar splitterfasernackt -, rauchten genüsslich oder unterhielten sich angeregt und aus jedem Fenster hörte man ein lebhaftes Durcheinander unterschiedlichster Stimmen, die von lauten Befehlen, bis zu lockeren Gesängen jeden Aspekt abdeckten.

Über dem Eingang stand in gigantischer, typisch asterischer Leuchtschrift etwas geschrieben, was Severa mit einiger Anstrengung entziffern konnte: Willkommen im Fuchsbau hieß es dort in großen Lettern.
 

Darunter stand rechts vom Eingang, die Arme hinter dem Rücken verschränkt, einer jener seltsamen Tiermenschen mit schlohweißen Haar – oder sagte man hierzu Fell? Sein Ausdruck war steif und fest, besaß jedoch zugleich eine schwache Melancholie.

Auf der anderen Seite lehnte an den Rahmen eine hübsche, schwarzhaarige Elfin im jungen Erwachsenenalter, die sich eine Art Schürze umgebunden und die Ärmel ihrer weiten Bluse bis über die Ellbogen gekrempelt hatte. Anders als ihr Wachpartner wirkte sie äußerst freundlich und einladend, was vielleicht auch ihrer Begleitung geschuldet war. Denn an ihre linke Hand klammerte sich ein Menschenkind von vielleicht zehn Lenzen, von dem Severa – der Distanz sei es geschuldet – nicht genau sagen konnte, ob es ein Junge oder ein Mädchen war. Sie bezweifelte, dass es sich tatsächlich um Mutter und Kind handelte, dennoch schien sich das Balg an die Elfin geradezu anzukuscheln, als würde sie genau jene gefragte Rolle in Anspruch nehmen. Doch seine Aufmerksamkeit kippte, als es die Rikscha erkannte.
 

Der Kutscher hielt sein Pferd an und nahm dankend ein kleines Säckchen von Ezra entgegen. Erst dachte Severa, es würde sich dabei um Goldmünzen oder eine andere Art von Währung handeln, doch weit gefehlt: Der Kutscher öffnete die Schlaufe und betrachtete zufrieden einige kleine Kugeln aus Metall, welche die Zwergin noch nie zuvor gesehen hatte.

Der blonde Mann sprang daraufhin aus dem Gefährt und half zuerst seinem Geschäftspartner, wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen, bevor er um die Rikscha lief und der Zwergin die Hand anbot.

Sie hatte sich schon früh darüber gewundert, mit welch vornehmer Art sie von Ezra behandelt wurde, obwohl ihm ihr Stand offensichtlich nicht unbekannt war. Er hatte auch nicht aufgehört, sie mit „Miss Severa“ anzusprechen, und das 'Miss' war nun wirklich keine Bezeichnung, welcher eine Zwergin würdig war – immerhin galt es schon fast als Privileg, dass man sie in Lyn'a'Tishal beim Vornamen genannt hatte.

In der Regel hießen die meisten Zwerge nur „Hey“, oder „Du da“; wahlweise grüßte man sie auch, indem man die Schuhsohle in ihr Gesicht drückte oder sie anspuckte – was den hohen Herren halt so einfiel.

Vielleicht... nein, sehr wahrscheinlich war dies auch der Grund, warum sie sich durch Sterlinsons unnatürliches Verhalten eher angegriffen als beflügelt fühlte. Mit Hass wurde sie fertig, aber diese Freundlichkeit war ihr mehr als suspekt, obwohl sie keine explizite Abneigung gegen den Menschen hegte. So oder so machte Cirdan keine Anstalten, das Treiben seines Geschäftspartners zu unterbinden und damit war Severa fast schon verpflichtet, es zu erdulden.
 

Kaum, dass sie die wackelige Rikscha verlassen und zum zweiten Mal seit ihrer Ankunft die Füße auf asterischen Boden gesetzt hatten, zeigte Ezra auf das Gebäude vor ihnen:

„Lord vei Brith, Miss Severa, wenn ich es nun einmal ganz offiziell sagen darf: Willkommen in Shinju, der größten Stadt der Welt. Vor ihnen liegt mein bescheidenes Heim, der Fuchsbau; die wohl bekannteste und schönste Freizeiteinrichtung der ganzen Stadt, auf mehreren Etagen ausgestattet mit einem Thermalbad, einem Theater, einem Restaurant mit Bar und einem Casino. Der Ort dient in den kommenden Wochen als Euer Wohnquartier und solltet Ihr den Wunsch nach Unterhaltung hegen, steht Euch selbstverständlich das gesamte Haus zur Verfügung. Ich hoffe, dass unser Angebot Euren hohen Ansprüchen gerecht wird.“

Die beiden Besucher standen mit großen Augen vor diesem riesigen Berg aus Lehm, Metall und Holz, waren absolut fasziniert von der eigensinnigen Architektur, der Verschmelzung aus Stadt und Natur, die an manchen Stellen frisch gebaut und an anderen schon hundert Jahre alt zu sein schien. Auf seine ganz eigene Art und Weise, war der Fuchsbau wunderschön.

„Ich weiß wirklich nicht, was ich erwartet habe, Sterlinson, aber ganz sicher nicht, dass Euch ein ganzer Freizeitpark gehört“, gab Cirdan anerkennend und zugegeben beeindruckt zu – etwas, was er nur selten war... und noch seltener so offen zeigte. Vermutlich hatte er gerade etwas mehr Vertrauen in den Mann erlangt, dem er so überstürzt aus Lyn'a'Tishal gefolgt war.

„Zugegeben, das alles gehört mir nicht allein. Ich teile mir die Leitung mit drei engen Partnern. Mir gehört der gesamte kulinarische Bereich, der – ohne angeben zu wollen – absolut ausgezeichnet läuft.“

„Und dann braucht Ihr tatsächlich noch einen zweiten Geschäftszweig?“, gab Cirdan verschmitzt zu denken.

„Ein kleines Polster tut doch immer gut“, antwortete Ezra mindestens genauso verschmitzt.
 

Die Neuankömmlinge hatten sich an dem Bau kaum satt gesehen, da erklang ein aufgeregtes „Meister Hunter!“ aus einer glockenhellen Jungenstimme vor ihnen.

Das Kind hatte sich von der Hand der Elfin gelöst und war auf die Gruppe zugelaufen. Aus der Nähe wurde Severa schnell klar, warum sie den Jungen nicht als solchen aus der Entfernung hatte erkennen können. Der Knirps besaß zwar eine eindeutig jungenhafte Statur, doch sein weites Obergewand verschleierte diese und sein offenes Haar, das ihm bis weit über die Schultern reichte, glänzte so wundervoll, dass so manche Frauen in seiner Umgebung sicherlich neidisch werden konnten. Er grinste über beide Ohren zu dem großen Mann hoch, der sich ohne weiteres zu ihm nach unten kniete und ihm über den Kopf streichelte, wobei er mindestens genauso viele Zähne zeigte als würden die beiden um das breiteste Lächeln wetteifern.

Severa ertappte sich dabei, dass sie den Anblick der beiden als liebenswert empfand und sich vorstellte, dass es sich um Vater und Sohn handelte, auch wenn sie keine Ähnlichkeit zueinander aufwiesen und Ezra auch nicht der Mensch zu sein schien, der Kinder hätte.

„Grüße dich Touma! Schickt deine Mutter dich voraus?“, fragte Ezra und kniff dem Jungen kurz in die Wange, bevor er sich wieder aufrichtete. Der Junge nickte aufgeregt, dass sein Haupthaar mitwippte und lehnte sich vor, während er einen Zettel übergab.

„Ich soll Euch vom schwarzen Tisch ausrichten, dass es eine Willkommensfeier im kleinen Kreise gibt.“

„Ach wirklich? Kann mir kaum vorstellen, dass die drei mich tatsächlich so sehr vermisst haben“, bemerkte Ezra lachend, doch seine Miene wurde schlagartig ernst, als er das Schreiben überflog. Touma schien das nicht bemerkt zu haben und sprach unbekümmert weiter.

„Naja, Mutter sagte etwas über eine Krise und Ihr müsstet Euch dringend erklären für die Sache im Ödland. Aber bitte erzählt mir doch, wie war es auf der anderen Seite des großen Sees? Was habt ihr gesehen?“

„Touma, Schätzchen!“, rief eine Stimme hinter dem Jungen. Die Elfin war ihm hinterhergelaufen und hielt den Jungen an der Schulter. Ihr Haar glänzte mindestens genauso sehr, wie das des Jungen und ihr schüchterner, aber liebevoller Blick, gepaart mit dem spitzen Lächeln, verlieh ihrem Gesicht einen gewissen Zauber, auch wenn sie ansonsten zwar durchaus hübsch, aber dennoch reichlich unauffällig war.

Nichtsdestotrotz konnte sich Severa nicht erklären, warum, doch auch bei ihrem Gesicht wirkte etwas unnatürlich oder seltsam, ähnlich wie es ihr bereits bei Ezra am Abend ihrer Begegnung aufgefallen war.

„Magst du denn nicht wieder zu deiner Mutter? Sie vermisst dich doch ganz sicher.“

„Aber Tante Mikki, sie ist bestimmt noch mitten in ihrer Arbeit versunken. Wenn ich sie bei den Vorbereitungen für das Theater störe, schimpft Mutter bestimmt wieder. Darf ich nicht noch ein wenig bei Euch bleiben? Ich helfe auch beim Gemüse schneiden!“

„Vielleicht später. Geh jetzt erstmal spielen, ja? Lass Meister Hunter in Ruhe wieder zuhause ankommen.“

Missmutig verabschiedete sich Touma mit einer kurzen Verbeugung und trottete wieder zurück, an dem weißhaarigen Tiermenschen vorbei, der sich langsam der Gruppe näherte, die Augen auf den Boden gerichtet und die Hände beschämt vor dem Schoß gefaltet – eben jene Position nahm auch die Elfin ein und sah dabei äußerst traurig aus. Die beiden konnten sich wahrscheinlich denken, was in dem Brief stand.

Severa wagte es nicht etwas zu sagen und auch Cirdan, der das Ganze zwar argwöhnisch beobachtete, ließ dennoch jeden Kommentar bei sich, denn es war mehr als offensichtlich, dass sein zukünftiger Geschäftspartner gerade keine Störung hören wollte.

Wenn man es schaffen könnte, nur durch seine bloße Kraft ein Blatt Papier weiter zu zerdrücken, Ezra war in diesem Moment wohl sehr nah dran. Seine Hand zitterte vor Wut, während die Knöchel bleich hervortraten und man fast das Knirschen seiner Zähne vernehmen konnte.

„Meister Hunter....“, fing die Elfin in traurigem Ton an, wurde jedoch umgehend vom Angesprochenen unterbrochen, der sofort seine fröhliche Miene aufsetzte und sich nicht anmerken ließ, was sich hinter jener „Sache im Ödland“ befand. Mit einer ausladenden Bewegung zeigte er auf die Elfin, während er sich lächelnd an seinen Besuch wandte:

„Wo bleiben denn meine Manieren? Wenn ich vorstellen darf: Die beiden vor Euch sind meine treuesten Untergebenen und engsten Vertrauten. Zu Eurer Rechten, meine bezaubernde Hausdame Mikalia. Das Geschäft schlägt bisweilen auf den Magen, aber Mikki ist eine hervorragende Köchin. Außerdem hält sie Haus und Hof besenrein und kümmert sich um jeden Gast mit absoluter Hingabe. Der Herr in weiß hingegen ist mein Stellvertreter Shiro und bevor Ihr fragt: Ja, die Ohren und der Schweif sind echt. Er gehört zu den Kitzune, einer Mischrasse aus Mensch und Fuchs.“

„Ein... Kitzune?“, fragte Cirdan skeptisch und hob die linke Braue. Verständlicherweise, immerhin gab es dergleichen nicht in Lyn'a'Tishal.

Der junge Mann nickte nur kurz, sagte jedoch kein Wort. Auch wenn er längst nicht so groß wie Ezra war, konnte man seine Statur durchaus als überdurchschnittlich bezeichnen, verglichen mit der Elfin neben ihm. Seine Kleidung - eine weite Hose und ein Hemd mit tiefem Ausschnitt und offenen Ärmeln, beide in einem dunklen Mitternachtsblau gehalten – saß, trotz aller Lockerheit, strengstens präzise und wurde durch einige Schnüre und Gürtel im Zaum gehalten. Sein aschblondes Haar war kurz geschnitten und auch das Fell, was anderen Vertretern seiner Art stellenweise deutlich aus den Ohren wuchs, war bei ihm auf ein Minimum reduziert worden. Auch dem schlanken Schwert an seinem Gürtel gewährte man keinen Spielraum, so präzise saß es am Bund, in perfekter Position, um jederzeit schnell gezogen zu werden.

Severa schaute den Kitzune weiter an, verlor sich in den Details seines Gesichts, den zuckenden Barthaaren, den dichten Koteletten, die aus dem Haar bis zum Kiefer reichten und den durchdringenden animalischen Augen, die stur versuchten, geradeaus zu starren. Sie verlor sich in seinem Anblick sehr, dass sie gar nicht bemerkte, wie sie langsam vorangegangen war und die Hand nach ihm ausstreckte.
 

„Sevvi!“

Mit dem Ruf ihres Namens verspürte sie zeitgleich einen festen Schlag auf dem Kopf und eine Kraft am Schopf, die sie ruckartig nach hinten zog und ihr große Schmerzen am Haupt verursachte.

„Was fällt dir ein, so unverfroren vor unseren Gastgebern zu sein?! Entschuldige dich gefälligst“, zischte Cirdan und umfasste fest ihr Gesicht mit einer Hand. Sofort verfiel die Zwergin in ihre einstudierte Rolle der Unterwürfigen und legte die Hände vor den Schoß.

„Entschuldigt, Master... ich war nur so neu-“

„Nicht bei mir, du dumme Nuss, sondern bei dem jungen Herrn, den du betatschen wolltest!“

Beim jungen Herrn? Severa sah auf und machte einen kurzen Knicks, wobei ihr nicht entging, dass die Elfin über das Geschehene doch etwas verunsichert, um nicht zu sagen geschockt aussah. Der Kitzune blieb hingegen unbekümmert, als habe er es gar nicht so direkt mitbekommen.

„Bitte verzeiht mein frevelhaftes Verhalten, Herr Shiro. Ich wollte Euch sicher nicht bedrängen. Es ist nur... Eure Ohren...“

„Wollt Ihr sie vielleicht einmal berühren?“, fragte er darauf in einem, für sein strenges Erscheinen, erstaunlich sanften Ton, als hätte Severas Wunsch gar nichts Unhöfliches, obgleich es schien, als hätte er nur widerwillig jenen Vorschlag gemacht. Einen Moment zögerte die Zwergin, schaute erst zu ihrem Herrn, der nur genervt mit den Schultern zuckte und darauf zu Ezra.

„Keine falsche Bescheidenheit, Miss Severa“, lud er sie lächelnd ein: „Kitzune wandeln erst seit zweihundert Jahren auf dieser Welt. Selbst in Asteria gibt es noch immer abgelegene Orte, in denen noch nie einer von ihnen vorbeigekommen ist. Mögt Ihr es nicht auch einmal versuchen, Lord vei Brith?“

Cirdan schüttelte kurz den Kopf: „Lasst gut sein, ich glaube das auch so. Aber wenn dir der junge Herr bereits so ein großzügiges Angebot macht, dann solltest du es auch annehmen, Sevvi. Beeil dich nur ein wenig!“

Das sagte er so leicht. Severa hatte in ihrem ganzen Leben kaum Tiere berührt geschweige denn einen Tiermenschen, wie er vor ihr stand. Eine neue Erfahrung, verbunden mit einer Aufregung, wie sie sie nicht mehr seit ihrer Entjungferung so klar und stark gespürt hatte.

Seit sie von Lyn'A'Tischal aufgebrochen waren, hatte sie unzählige Male versucht sich vorzustellen, wie es auf einem anderen Kontinenten aussehen konnte, doch in ihren Träumen unterschied sich Asteria nur wenig von ihrer Heimat, was in ihr auch eine gewisse Ernüchterung hervorrief. Das änderte sich schlagartig mit dem ersten Fuß, den sie auf fremden Boden gesetzt hatte: Es war überwältigend, um nicht zu sagen übermannend. Die wenige Eindrücke, welche sie in den ersten Augenblicken aufgenommen hatte, überstiegen ihre kompletten vorherigen Erfahrungen ihres 120 Jahre langen Lebens. Und von all jenen Momenten, die sie mit Augen, Ohren und Nase aufgenommen hatte, war dieser hier eine ganz neue Stufe: Denn zum ersten Mal würde ihr die Fremde direkt durch die Finger gleiten.

Der Kitzune lehnte sich vor und hielt seine Ohren hin. Langsam, mit zitternden Fingerspitzen, streckte sich die Zwergin nach oben und berührte das helle, buschige Fell an dessen Spitze. Wie aus Reflex zuckte das Ohr kurz und Severa zog erschrocken die Hand zurück, schaute sich um.

„Macht Euch keine Sorgen. Ihr könnt Shiro nicht wehtun, solange ihr ganz sanft seid“, beruhigte sie Ezra, der ihre Aufregung wohl deutlicher vernommen hatte, als ihr eigener Herr, von dem sie nicht einmal wusste, ob dies fremde Land überhaupt eine Regung in ihm ausgelöst hatte.

Langsam näherte sie sich wieder und berührte diesmal nicht die Spitze sondern umfasste direkt die breite Muschel. Obwohl es recht kurz geschnitten war, fühlte sich das Fell unfassbar weich und angenehm an, nicht so seltsam strohig wie das des ausgestopften Bären im Musikzimmer zuhause. Außerdem spürte sie sofort den warmen Hauch des Lebens, welcher durch jede einzelne Faser pulsierte, als könne sie im Fell selbst Shiros Puls erfassen. Sie konnte kaum begreifen, was dort zwischen ihren Fingern lag, hielt es fast noch für einen Traum, doch tatsächlich: Es war real. Eine reale andere Welt, die sie gerade in ihrer Hand hielt. So bemerkte sie es nicht, wie ruckartig Shiro sich wieder aufrichtete und seine Ohren massierte, während er ein genervtes „Das reicht dann aber auch“ murmelte.

„Tut mir leid. Shiro kann manchmal etwas grob werden, denn eigentlich mag er gar keine Frauen...“, versuchte Ezra zu erklären, da fiel ihm bereits sein Stellvertreter ins Wort.

„Das hat doch damit überhaupt nichts zu tun!“

„Und womit dann?“

„Es... es kitzelt, in Ordnung?“

Kurzes Kichern bei allen Beteiligten, bevor Sterlinson in die Hände klatschte und vorschlug, endlich das Gebäude zu betreten, bevor man noch anfinge Wurzeln zu schlagen. Severa schaute auf ihren Herrn und atmete erleichtert aus: Die Steifheit der letzten Tage und das grimmige Gesicht waren einem zwar nur sehr schmalen, aber dennoch unübersehbaren Lächeln gewichen. In einer Welt, die sie nicht kannte, schätzte sie sein präzises Gespür und so war auch das kleinste Zeichen von Entspannung für sie ein Symbol dafür, sich an diesem doch so komplett fremden Ort sicher zu fühlen.
 

Jedoch sollte ihre Laune nur alsbald vergehen, als sie einen starken Zug an ihrem Halsband bemerkte, der ihr die Luft raubte. In den Augen der Anwesenden erkannte sie noch den Schrecken da wurde sie bereits nach hinten gezerrt, von einem Arm umgriffen und spürte kurz darauf etwas dünnes Kaltes, das gefährlich nah an ihren Hals gepresst wurde. Schlagartig wurde alles positive der letzten Momente, die Neugier und Freude in Angst und Panik umgekehrt. Sie fühlte sich wie gelähmt, bekam kaum Luft durch ihre Kehle gepresst.

Severa hörte den feuchten Atem ihres Angreifers hinter sich. In ihre Nase stach eine Mischung aus fauligem Schweiß und brennendem Alkohol in unterschiedlichsten Nuancen, als habe jemand unzählige Liköre wahllos zusammengemischt und diesen Cocktail in einem Zug gestürzt – wahrscheinlich entsprach diese Vorstellung auch der Wahrheit. Doch trotz des bissigen Gestanks, der ihr die Galle hochtrieb, brachte sie es nicht fertig, zu würgen, dafür war ihre Angst zu groß, sich an der Klinge zu schneiden. Plötzlich wurde jeder Moment in eine unerträgliche Länge gezogen. Ihr Blick sackte nach unten und sie nahm ihre Begleiter nicht mehr bewusst wahr, lediglich die sich nähernde Stimme Ezras hallte in ihrem Bewusstsein wider.

„Tetsuro...“, fing er an und ihr fiel auf, wie ruhig er klang. Sie sah hoch und erkannte, dass der kurze Schock aus dem Gesicht des Menschen gewischt worden war und seine Augen fest die Person hinter Severa fixierten – und dabei nicht einmal blinzelten. „Du bist sicherlich hier, um deinen Sohn zu rächen, nicht wahr?“

„Also wisst Ihr schon Bescheid?“ Die Stimme des Angreifers war rau und verzerrt, knirschte wie ein Ast und brach zugleich weg, wie ein furchtbar verstimmtes Instrument.

„Ich habe es gerade erfahren. Der ganze Vorfall... Sunnys Tod war eine Tragödie.“

„Redet keinen Mist! Ihr wart nicht da, deswegen ist er tot! Ein toller Anführer seid Ihr ja! Einer Ladung unfähiger Hunde habe ich mein Kind anvertraut!“

Dann redete er sich weiter in Rage, wurde immer beleidigender und ausfallender, was sich auch in seiner Aussprache widerspiegelte: Mit jedem Wort sammelte sich scheinbar mehr Speichel in seinem Mund, welches in einem großen Schwall heraustrat und Severas Gesicht benetzte.

Ezra indes ließ den Mann pöbeln, ohne ihm auch nur einmal in die Parade zu fahren. Er verschränkte die Arme vor der Brust und wartete in aller Ruhe, bis der Mann mit seiner Tirade abgeschlossen hatte.

Die anderen hatten es nicht gewagt, näher zu kommen und obwohl Cirdan gerne eingreifen wollte – in seinem Blick blitzte eine ungeheure Empörung – hielt Shiro ihn vehement zurück. Sie erkannte, dass er sich Sorgen um sie machte und versuchte mit einem schmalen Lächeln, diese zu verwischen. Doch es wollte nicht über ihre Lippen kommen, dafür saß die Furcht noch immer einfach zu tief.

Seit einigen Momenten war Stille eingekehrt. Der Angreifer hatte aufgehört, wüste Beschimpfungen loszulassen, atmete nun jedoch schwer. Ezra hatte sich in Mimik und Gestik nicht verändert und man hätte tatsächlich meinen können, dass er wirklich nicht ein einziges Mal geblinzelt hätte. Einige Schaulustige waren auf den Tumult Aufmerksam geworden, hielten jedoch einen äußerst großen Abstand vom Geschehen und wagten es nicht, sich einzumischen. Die allermeisten Passanten taten hingegen so, als würden sie nichts sehen.

„Und? Sagt schon! Wie gedenkt Ihr das wieder gut zu machen?“, fragte der schmierige Morast hinter ihr und drückte mit dem umschlungenen Arm noch fester zu. Severa fühlte sich wie angekettet und spürte wie sie langsam die Kräfte verließen. Das Messer presste sich in ihr Fleisch und sie merkte, wie ein warmer, dünner Blutfilm heraustrat und die kalte Klinge hinunterlief.

„Was soll ich wieder gutmachen, Tetsuro? Unser Trupp wurde von Harpyien überfallen. Und keine gewöhnlichen, sondern Celicas Elite. Samt Harpyienmutter höchstpersönlich.“

„Warum sollte mich das kümmern“, gab der Angesprochene mit einem süffisanten Lachen zurück. Für einen Moment lockerte er kurz den Griff und lehnte sich weiter vor, dass die Zwergin im Augenwinkel ein wenig ausgeblichene lederne Haut erkennen konnte. Der Gestank wurde so nah bei ihr nur noch unerträglicher.

„Tatsache ist, dass Sunny tot ist, oder nicht? Also gehe ich zu seinem Meister und verlange nicht mehr als Genugtuung! Ich habe noch zwei andere Kinder zuhause! Die müssen auch ernährt werden!“

Zum ersten Mal verzog Ezra das Gesicht voller Missfallen, bevor er seine Antwort gab: „Und wenn Sunny stattdessen hier in Shinju auf offener Straße abgestochen worden wäre... was hättest du dann gemacht? Wärst du zum Gouverneur gegangen und hättest ihn um 'Genugtuung' gebeten?“

„Verflucht, was spielt das für eine Rolle?! Pass auf, Hunter, ich verlange umgehend als Ausgleich nicht weniger, als zwei von Sunnys Löhnen! Das steht mir zu! Andernfalls wandert auf die Liste derer, die wegen deinem Unvermögen gestorben sind, auch dieses unschuldige kleine Mä-“

Mädchen wollte er wahrscheinlich sagen, doch in genau diesem Moment griff er unter seinem Herumgefuchtel mit der Klinge und weiterer ausladender Gestiken versehentlich an Severas pralle Brust. Schlagartig wurde ihre angsterfüllte Leichenblässe in knallige Schamesröte verwandelt. Die Tatsache, dass ihr Entführer auch noch seine neue Entdeckung begutachten und fester kneten musste, trug auch nicht für ein besseres Wohlbefinden bei – immerhin war sie mit derlei Begrapschungen vertrauter als mit lebensgefährlichen Drohungen.

„Sag mal“, fragte Tetsuro verwundert und linste tief in das Dekolleté der Zwergin: „Ist das überhaupt ein Kind?“
 

Eine Antwort bekam er nicht. Stattdessen nutzte Ezra die Sekunde der Ablenkung und sauste auf die beiden zu – schneller als irgndjemand hätte reagieren können – griff mit der linken Hand nach dem bewaffneten Arm und riss mit der rechten zugleich Severa vom Mann weg. Tetsuro wusste kaum, wie ihm geschah, da schoss die Faust bereits in sein Gesicht. Der Aufprall riss ihn von den Füßen und die Gestalt segelte in einem hohen Bogen zu Boden, wo sie mit einem schmatzenden Geräusch aufklatschte.

Cirdan war zu seiner Sklavin gelaufen, sobald sie befreit wurde und presste sein Taschentuch auf die dünne Schnittwunde. Zum ersten Mal erkannte Severa ihren Angreifer; sie hatte sich vorgestellt, dass es ein boshaftes Monster gewesen sein musste, doch nun - stöhnend auf dem Rücken liegend und nur mit viel Mühe überhaupt fähig aufzustehen – stellte sich heraus, dass es sich dabei um ein dürres, ungepflegtes Männlein in schmutziger, liderlicher Kleidung und mit fahler Haut handelte. Die einzige Farbe im Gesicht hatte er von seiner Nase, die vom Schnaps geradezu glühte – vielleicht lag es aber auch am Schlag.

So oder so war vom bissigen Ton zu Beginn nicht mehr viel übrig. Der Mann wimmerte noch ein heiseres „Verzeiht mir, Meister Hunter“, bevor Ezra ihm einen Tritt in die Magengrube verpasste, dann seinen Schopf packte und das Gesicht mit voller Wucht auf das schmutzige Pflaster rammte. Beim Aufschlag entwich aus dem Mund des Gepeinigten ein kurzes Aufheulen. Ezra kniete sich ganz nah das Gesicht seines Opfers und sprach ruhig mit rauer Stimme:

„Also... du hast mich in aller Öffentlichkeit denunziert, wolltest den Tod deines Sohnes missbrauchen, um mich zu erpressen und hast noch dazu meine Gäste bedroht... Wie gedenkst du denn, das wiedergutzumachen?“ In jenem Moment versprühte Ezra eine Aura, so kalt, dass es einen das Blut in den Adern gefrieren ließ.

„M-Meister Hunter ich wollte nicht...“, wollte Tetsuro noch anfangen, doch wurde zur Strafe wieder in den Dreck gepresst.

„Sieh dich nur an, du liederlicher Säufer! Nur solange du jemanden unterdrücken kannst, fühlst du dich stark nicht wahr?! Kein Wunder, dass deine Frau vor dir geflohen ist! Und deine Kinder?! Tetsuro, ich weiß, nur allzu gut wie es um Sunnys Geschwister steht, immerhin gab er einen großen Teil seines Lohns dafür aus, ihnen etwas zum Essen und Anziehen zu kaufen, weil ihr nichtsnutziger Vater seine erschnorrten Groschen lieber für Alkohol ausgegeben hatte! Ich soll Sunny getötet haben?! Wenn Sunny nicht zu uns gekommen wäre, hätte er schon lange unter der Erde gelebt.

Und du! Wagst es! Mich! Einen! Versager! Zu nennen!“

Mit dem letzten Satz hämmerte Ezra die Visage immer wieder auf das Pflaster. Das Klatschen hallte mit jedem Male lauter von den Wänden der nahen Gebäude wider, gemischt mit dem Stöhnen des Prügelknaben und die rote Spur auf dem grauen Stein wurde immer tiefer, während Tetsuro sein Gesicht auf dem Boden vergrub,das mittlerweile mehr an eine eingedellte Kartoffel erinnerte, die man gerade aus einem Schweinetrog gefischt hatte, sah man mal von dem Mix aus Tränen, Rotz und Blut ab.

Knurrend griff Ezra wieder den Schopf, nachdem er ihm eine kurze Auszeit gegönnt hatte und reckte ihn noch höher als zuvor, streckte ihn gar in die Unendlichkeit. Tetsuro winselte etwas Unverständliches, flehte wahrscheinlich um Gnade, doch in den Augen seines Peinigers suchte er diese vergeblich. Und wenn er so weitermachte, dann war sicher, dass Ezra diesen Mann töten würde.

Severa hielt sich vor Schreck beide Hände vor den Mund und wich zurück. Es war, als wäre von dem feinen Herrn der sich ihnen bei der Feier einst vorgestellt hatte, nichts mehr übrig gewesen. Vor ihr saß stattdessen ein blutrünstiges Raubtier – aber auch die wären wahrscheinlich weniger grausam. Während alles darauf wartete, dass Ezra den finalen Schlag ansetzen würde, vergrub sie angsterfüllt das Gesicht. Sie wollte es nicht sehen.
 

„Das reicht, Mister Sterlinson!“

Kaum donnerte Cirdans Stimme über den Platz, herrschte völlige Ruhe. Die letzten Schaulustigen, die dieser Kampf noch nicht abgeschreckt hatte, wandten sich nun schnell ab, als wollten sie nicht hier gesehen werden.

Ezra, der sich gerade noch wie eine wilde Bestie benahm, setzte augenblicklich eine Miene des Bedauerns auf und beugte sich zur Entschuldigung nach unten.

„Lord vei Brith, ich bin für diesen Vorfall wirklich untröstlich...“, wollte er schon beginnen, doch der kleinere Elf unterbrach ihn harsch.

„Ich würde vorschlagen, dass Ihr den heutigen Tag dazu nutzt, die Versäumnisse Eurer langen Abwesenheit aufzuarbeiten! Ich muss mich nach diesem 'Vorfall' auch erstmal um mein verstörtes Freudenmädchen kümmern. Und außerdem... habe ich gerade das Gefühl, dass ich nicht in Eurer Nähe sein möchte.“

„Natürlich... das verstehe ich“, murmelte der blonde Mann handzahm. Er wirkte wie ausgewechselt, bedachte man seinen vorherigen Ausbruch. Stumm, kontrollliert richtete er seine Jacke und fuhr durch seinen Schopf, bevor er sich an seine Untergebene richtete:

„Shiro, begleite Tetsuro nach Hause und gib ihm einen Obulus für seinen Schaden... und besorge etwas Obst für seine Kinder. Und Mikki, zeige meinen Gästen doch das Haus. Wenn sie einen Wunsch haben, tu alles, diesen zu erfüllen. Lord vei Brith, Miss Severa, ich entschuldige mich zutiefst für die Unannehmlichkeiten. Bitte fühlt Euch trotzdem wie zuhause. Wir sehen uns dann morgen.“
 

Schweigend verabschiedeten sich Gäste und Untergebene in verschiedene Richtungen und ließen Ezra alsbald allein. Severa schaute über ihre Schulter noch einmal ins Gesicht des blonden Mannes, der versuchte sie freundlich anzulächeln, doch schreckte sofort zurück.

Ezra atmete noch einmal tief durch, versuchte seine Gedanken zu sortieren. Aus seiner Tasche holte er einen silbernen Schlagring, betrachtete ruhig das glänzende Metall und die kerbenlosen Kanten, bevor er ihn anlegte.

Dann schrie er wütend aus und schlug gegen eine nahe Steinwand. Unter einem krachenden Laut und einer weißen Staubwolke, machte er kurz darauf kehrt und schlich, die Hände missmutig in den Taschen vergraben in die Stadt zurück, vorbei an Passanten die einen deutlichen Bogen um ihn machten. Zu guter Letzt blieb als Zeuge jener Ereignisse nur die kleine Blutlache zurück, welche langsam im Rinnsal vertrocknete, sowie ein faustgroßer Einschlag in der Wand, der ein paar lange Risse durch die Fassade zog.



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