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Der Held von Aranor

Der König von Kalaß
von

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Teil 2: Keine Gnade

Barbas dritte Tochter Hidda begleitet Nico, den sie nun für ihren offiziellen Verlobten hält, zum Tor zurück. Er hatte sich das zwar ein wenig anders vorgestellt, aber immerhin verlief alles ohne Blutvergießen was ihn milde stimmt. Nun wird es ihm allerdings ein wenig unwohl, denn sie kommen dem Tor immer näher, ohne dass Nico auch nur einen seiner beiden Begleiter ausmachen kann. Sowohl Dariel, als auch Zav, haben Anweisung ihren Posten nicht vor Sonnenuntergang zu verlassen und doch ist es erst früher Nachmittag und keiner von ihnen ist zu sehen. Erst als der Offizier und das Nordmädchen näher an das Tor heran kommen, erkennt Nico zwei am Wall in sich zusammen gesunkene Männer in Uniform. Es gibt keinen Zweifel daran, dass es sich um seine beiden Gefolgsleute handelt und ebenso wenig gibt es eine Erklärung dafür, dass sie ihn noch immer nicht freudig in Empfang genommen haben, außer…

„Was ist hier los?“

brüllt Nico unvermittelt mit einer sehr schlechten Vorahnung, bevor er seinen Gang beschleunigt.

„Du lebst ja noch.“

schallt es ungläubig lautstark von einem der fünf Wachmänner zurück, der seinen Speer zur Hand nimmt um ihn im Anschluss dem Offizier drohend entgegen zu halten, was ihm zwei der vier anderen Männer ebenfalls gleichtun. Oref hingegen, der seinen Speer hinter sich an den braunen Erdwall gelehnt lässt, geht ein paar Schritte zur Seite, um etwas zu holen.

„Untersteht euch, er ist jetzt Harad!“

schreit Hidda ihren Leuten wütend zu, die hinter Nicos Schritt zurück bleibt. Dieser erkennt inzwischen aus geringer werdender Entfernung die Schwere der Verletzungen seiner Kameraden, die ganz offensichtlich tödlich waren. Noch im Lauf zu ihnen bekommt er von Oref seinen Waffengurt zugeworfen, den er nicht in Gänze fängt, sondern nur den Griff seines Schwertes ergreift. Das Schwert zieht sich von selbst, während der Rest, die Scheide sowie der daran befestigte Gürtel, auf den sandigen Boden fallen. Einer der fünf großgewachsenen und muskulösen Nordmänner geht darauf hin direkt auf den nach vorn stürmenden Nico los, der dem Speerhieb behände ausweicht, jedoch zunächst ohne ihn zu Kontern, ob wohl er es hätte tun können. Das laute Klirren des aufeinander treffenden Stahls, lässt Hidda entsetzt von der schnellen Eskalation zusammenzucken.

„Wir werden sehen, ob er dem Rang des Harad würdig ist“,

provoziert Oref, der damit auf Hiddas Warnung eingeht.

Als noch ein zweiter Mann beginnt Nico zu attackieren, wird ihm klar, dass dies ein Kampf auf Leben und Tod wird.

„Verdammtes Kriegervolk!“

Fluchend entwischt er gerade noch so zwei weiteren Speerhieben seiner Angreifer und geht diesmal zum Konter über, durch den er einen seiner Gegner mit dem Schwert verletzt.

„Smiet!“,

brüllt ein Dritter, der nun emotional hoch aufgeladen ins Kampfgeschehen eintritt und auch der Vierte macht sich bereit. Nicos hohe Bewegungsgeschwindigkeit macht ihn gegenüber einem Einzelgegner überlegen, doch ihre wachsende Anzahl stellt ihn vor Probleme und drängt ihn zunehmend zurück.

Hidda kann nicht fassen, dass ihre Leute auf den Offizier los gehen und dann auch noch alle gleichzeitig. Sie war so glücklich endlich jemanden gefunden zu haben, der mit ihr zusammenarbeiten wollte und der Aufgabe gewachsen zu sein scheint. Keiner ihrer Leute begreift wie wichtig es ist, Fürsprecher beim hiesigen Militär zu haben.

„Hört sofort auf, ihr Idioten! Oref, pfeif sie zurück! Kapierst du es denn nicht?“,

schreit sie inzwischen hysterisch.

„Halt dich da raus, Mädchen!“,

wird sie schroff von Oref belehrt, der den kämpfenden Nico mit der Waffe im Anschlag scharf beobachtet. Der geschickte Offizier hat zwar große Mühe dabei, doch er bringt einen der behäbigen, starken Nordmänner nach dem anderen zu Boden, was Hidda in ein Dilemma stürzt. Sie weiß nicht auf wessen Seite sie stehen soll. Sie kann Kämpfe nicht ausstehen und ist somit eines der wenigen Mitglieder ihres Stammes, die für ihre eigene Kultur kein wirkliches Verständnis aufbringen können.

„Gegen mich wirst du fallen, Harad!“,

schreit Oref aggressiv, aber siegessicher seinem Gegner entgegen.

„Du bist Astrias Verlobter, oder nicht? Ich will nicht mit dir kämpfen."

keucht Nico, der sich immer noch Mitten im Kampfgeschehen befindet, denn die kampflustigen Männer stehen trotz diverser Verletzungen immer wieder auf. Nico, der selbst noch keine einzige Wunde erhalten hat, gibt alles, denn er wird stark unter Druck gesetzt. Kaum ist er einem Speerstich ausgewichen, bedroht ihn ein Hieb von der anderen Seite. Der Kampf gegen so viele Speerkämpfer fordert seine Kreativität. Er hat ein Problem mit der geringen Reichweite seiner eigenen Waffe, denn die Nordmänner bleiben auf Distanz. Er wartet ein paar Angriffe ab, denen er ausweicht, bis er ein Muster in ihren Angriffswellen ausmachen kann, dann geht er zum Konter über. Er lenkt einen Hieb ab, der statt dem Offizier einen anderen Nordmann trifft und macht dies ganz kurz darauf mit noch einem Speerstich, den er von sich ablenkt, direkt in die Brust eines anderen. Die zwei verbleienden Männer sind so fassungslos ihren eigenen Kameraden verletzt zu haben, dass Nico sie mit nur je einem schwungvollen Schwerthieb aus dem Rennen nimmt. Erregt vom Rausch des Sieges, blickt er zu ihrem Kommandanten Oref. Der große hellhaarige Nordmann stellt sich dem Offizier, der angeblich Harad sein soll, in seiner Kampfgrundstellung, mit seinem in der Sonne schimmerndem Speer gegenüber und startet im Anschluss seine Attacke. Er ist ein sehr viel besserer Krieger als die anderen vier und bringt Nico an seine Leistungsgrenzen. Das Blut des jungen Offiziers brodelt vor Übermut. Er ist vollständig dem Kampf verfallen und sein Körper bewegt sich fast wie von selbst. Violett leuchten seine Augen auf, kurz bevor er plötzlich auf dem sandigen Boden wegrutscht und einen Hieb des langen Speers nicht mehr parieren kann. Nur knapp schrammt die Klinge an Nicos Brust vorbei. Sie durchschneidet einen Teil seiner Uniform, prallt jedoch, wenn auch sehr schmerzhaft, am Metall seines Verdienstabzeichens ab, welches ihm wohl gerade das Leben gerettet hat. Damit hatte Oref nicht gerechnet, denn er lässt dadurch eine Lücke in seiner Verteidigung, die sofort vom immer noch voll konzentrieren Nico ausgenutzt wird. Von schräg unten sticht er in den Bauch des Angreifers, der unvermittelt in sich zusammenbricht.

„Oref!“,

brüllt Hidda geschockt, die ihn aufgrund seiner Verlobung mit Astria als Familienmitglied betrachtet. Sie läuft sofort zu ihm und hockt sich neben den schwer verwundeten Nordmann, wobei ihr schnell klar wird, dass für ihn jede Hilfe zu spät kommen wird.

„Warum musstest du sie alle umbringen, Nico? Warum?!“,

schreit sie verzweifelnd den Kopf des toten Nordmanns auf ihre Knie hebend. Dicke Tränen laufen ihr übers Gesicht, als sie auf ihm niedersinkt.

Nico beginnt langsam wieder zu sich zu finden und blickt sich um. Fast ein wenig ungläubig stellt er fest, dass er allen fünf in seiner Raserei tödliche Wunden zugefügt hat. Das war keinesfalls seine Absicht, denn er wollte sie nur kampfunfähig machen, doch musste er alles geben, um sie zu besiegen.

Schweigend wendet er sich von der tragischen Szene ab und verlässt den See. Hiddas verzweifelte Schreie hinter sich ignoriert er und je weiter er sich entfernt, desto weniger unangenehm klingen sie in seinen Ohren. Auch seine Kameraden lässt er hinter sich zurück, denn was sollte er jetzt schon noch für sie tun können. Sieben Leben sind aufgrund seiner Entscheidung genommen worden. In seinem Kopf herrscht vollkommene Leere. Er kann nicht darüber nachdenken, ob sein absoluter Sieg über die Wachmänner gut oder schlecht für seine Rangordnung im Nordstamm war. Er zittert immer noch vor Kampfeswut und Aggression. Wäre Hidda auf ihn los gegangen, anstatt sich um ihren Schwager zu kümmern, hätte Nico vielleicht sogar auch sie niedergemetzelt, genau so wie er Kalja und Landra getötet hat. Die heftige Prellung an seiner Brust spürt er im Moment gar nicht mehr. Auch wenn er nicht weiß was zwischen den fünf Nordmännern und seinen beiden Soldaten vorgefallen sein könnte, seine Rache hat den Konflikt mitsamt aller Beteiligten ausgelöscht. Dieser Gedanke lässt ihn kurz verzweifelt lächeln.

Auf dem Rückweg begegnet Nico seinem Streckenposten, der überrascht ist seinem Kommandanten lebend zu begegnen.

„Herr Oberleutnant, Sie sind noch an einem Stück? Ich habe …Dariel und Zav am Tor sitzen sehen und das Militär alarmiert, so wie im Protokoll vorgesehen.“

Mit leeren Augen sieht Nico ihn an, ohne zu antworten. Er geht einfach an ihm vorbei, weiter den Weg entlang zum Westtor der Stadt. Noch eine viertel Stunde wird er bis dort hin brauchen. Der Soldat läuft etwas irritiert neben Nico her.

„War das korrekt, Herr Oberleutnant? Ich will diese Hunde bluten sehen für ihren feigen Mord an meinen Freunden!“

„…ich weiß es nicht“,

antwortet der Angesprochene mit dünner Stimme. Es kommt nur sehr selten vor, dass Nico auf etwas keine Antwort weiß. Auf der einen Seite steht er kurz davor den Stamm der Renid in ein anderes Gebiet umsiedeln zu können, auf der anderen Seite hat er gar keine Lust mehr sich für die Leute einzusetzen, die grundlos seine Kameraden meucheln.
 

Vor dem Tor sammeln sich inzwischen schon die Männer, die für diesen Einsatz in Bereitschaft versetzt wurden. Es sind mehrere Hundert, die das Lager des Nordstammes ohne Zweifel überrennen könnten, doch ebenso wie Nicos Kameraden Dariel Harash und Zav Nasgal, würden viele der unerfahrenen Soldaten gegen die dortigen Krieger fallen. Hauptmann Ghidir, der die Truppen anführt, kommt überrascht auf den Überlebenden Nico zu gelaufen.

„Meine Güte, Herr Oberleutnant, machen Sie Meldung!“

Die vier Verbleibenden aus Jankas kleiner Einsatztruppe bemerken Nico ebenfalls und kommen zu ihm gerannt. Immer noch leeren Blickes entgegnet Nico ausdruckslos:

„Zu Beginn lief alles wie geplant. Ich bin rein gegangen und habe den Anführer besiegt, aber nicht getötet. Erst am Tor wurde ich angegriffen. Gefreiter Nasgal und Hauptgefreiter Harash sind gefallen sowie einige gegnerische Wachmänner. Die Renid sind wahrlich ein Kriegerstamm, trotzdem sind viele Frauen und Kinder unter ihnen, die nicht kämpfen können.“

„Wir müssen ganz klar eingreifen.“

Hauptmann Ghidir dreht sich zu seinen Truppen um und verkündet lautstark:

„Männer, in der Stellung befinden sich auch Frauen und Kinder, die verschont werden sollen. Macht euch kampfbereit. In zehn Minuten rücken wir aus.“
 

„HALTET EIN!“,

ruft eine entferne, klare Frauenstimme laut. Eria Laminger, die rote Rose, kommt eilig, in einem eleganten roten Kleid auf einem weißen Pferd angeritten. Ihr glattes, offenes Haar ist bei dem eiligen Ritt ein wenig durcheinander geraten, doch sie wirkt auf die Soldaten wie eine Göttin.

„Gott sei Dank, dass ich Sie alle noch erwische.“

keucht sie, ganz so als habe sie die Strecke zufuß zurückgelegt, anstatt auf dem Rücken ihres Pferdes.

„Vaters Assistent, Cristan Hungland, berichtete mir von diesem Irrsinn. Mit Verlaub, Herr Hauptmann, was wollen Sie mit den überlebenden Siedlerinnen und deren Kindern denn bitte anstellen, wenn Sie all Ihre Männer getötet haben? Ins Armutsviertel schicken? Lassen Sie diese Menschen siedeln! Wir besitzen genug Land, das wir nicht bewirtschaften und würden es gern zur Verfügung stellen! Mehr wollen sie doch gar nicht, oder Nico? Nico!“

Da der junge Offizier erst jetzt so langsam wieder zu sich findet, wo er die schöne Rote Rose sieht, beginnt er langsam wieder einschätzen zu können was er für richtig und was für falsch hält. Mit einiger Verzögerung antwortet er:

„Das korrekt.“

„Das war auch die einzig sinnvolle Erklärung nach allem was ich hörte. Ich spreche jetzt in offizieller Vertretung meines Vaters, dem königlichen Stadthalter von Aranor, Herzog Egat Laminger, Generalleutnant des Königlich Rosheanischen Militärs: Die Offensive wird ausgesetzt und statt dessen diplomatische Verhandlungen aufgenommen. Hier ist das entsprechende, von ihm ratifizierte, Dekret.“

verkündet sie selbstbewusst und rollt ein Blatt Papier vor allen aus, das sie recht schnell wieder zusammenfaltet. Nun steigt sie vom Pferd ab und eilt zu Nico, der verletzt zu sein scheint. Seine Kleidung ist auf der linken Seite zerrissen und er fasst mit der rechten Hand unter seine Uniformjacke, als würde er sich die Rippen halten.

Schulterzuckend befielt Hauptmann Ghidir seiner Einheit:

„Ihr habt es gehört, Männer. Abbruch und Einfinden auf euren Posten zur geregelten Dienstzeit.“

Er wendet sich an Nico:

„Sie auch, Dugar. Ich erwarte bis morgen Mittag einen vollständigen Bericht von Ihnen. Lassen Sie Ihre Verletzung versorgen und ruhen Sie sich bis dahin aus!“

„Verstanden.“

entgegnet dieser etwas geistesabwesend.
 

Eria geht mit Nico aus dem Gedränge am Stadttor heraus, an den Rand des Weges. Einige Soldaten, die sich bei ihm nach dem Status erkundigen wollen, weist er ab. Die beiden setzten sich auf zwei niedrige Steine, wobei Erias schickes, rotes Seidenkleid auf dem sandigen Boden aufliegt, was ihr nichts ausmacht. Erleichtert atmet sie durch und erklärt:

„Gar nicht so einfach deine Aktionen vorauszuahnen. Ich hoffe das war in deinem Interesse. Ich bin froh, dass sich der Hauptmann das Dekret nicht näher angesehen hat. Das habe ich in Eile nämlich selbst verfasst. Meinem Vater bringe ich das schon irgendwie bei.“

„Du bist unglaublich, Eria“,

haucht Nico stirnrunzelnd, dem es schwer fällt nachzuvollziehen, wie sie aus den Informationen, die ihr zur Verfügung standen, so viel vorhersehen konnte. Sie ist schon die zweite Frau, die ihn an diesem Tag enorm verblüfft und er muss seine Idee revidieren, dass er der einzige sei, der mitdenken würde.

„Ich weiß und du bist ein Esel. Erzähl mir was du vor hast, dann kann ich dir auch helfen. Wir sind schließlich Geschäftspartner.“
 

Nico berichtet ihr was vorgefallen ist, lässt auch nicht aus, dass einer der von ihm getöteten Wachmänner der Verlobe der zweiten Tochter des Stammesführers war, doch er verschweigt seine schweren Gewissensbisse. Seine Gefühlswelt geht sie schließlich überhaupt nichts an.

Er gibt sich die Schuld daran, dass all diese Männer heute sterben mussten. Würde er eine Schwerttechnik beherrschen, die das Leben des Gegners verschont, selbst wenn er in einen Rausch verfällt, könnten sie noch leben. Dabei hätte er fast sogar Barbas umgebracht, als er ihm das Messer an die Kehle hielt. Um ein Haar hätte er zugedrückt. Er spürte die Macht Herrscher über Leben und Tod zu sein und es beflügelte ihn. Jetzt findet er es nur noch abstoßend. Wie soll er diesen Selbstzweifel nur verarbeiten?

„Besprich morgen mit dem Hauptmann wie es weitergeht! Ich bringe dich jetzt ins Lazarett.“

schlägt sie vor, doch er schüttelt, mit noch immer in Falten gelegter Stirn, den Kopf.

„Lass nur! Die Prellung heilt von selbst. Aber Eria, ich möchte heute nicht alleine sein. Ich fühle, dass ich…“

„Du rückfällig wirst?“

vervollständigt sie betroffen seinen Satz. Ohne darauf zu antworten läuft er, seine linke Seite haltend, schweigend in Richtung Stadt.
 

Erst am Abend beginnen die beiden wieder miteinander zu reden, denn während des Rückweges waren Nicos Schmerzen zu groß, um zu sprechen. Eine Weile ruht er sich mit angezogenen Beinen, auf der Sitzbank bei der Bühne in „Rosheas Rose“ liegend, aus. Eria hat sich neben seinen Kopf gesetzt, den sie beginnt zu kraulen. Erst seit sie dies tut, ist er fähig sich ein wenig zu entspannen. Er fragt zunächst nach, ob sie das auch nicht falsch verstehe und sie antwortet:

„Ich weiß, Nico. Ruh dich einfach aus. Kaede erzählte mir davon, dass dich das entspannt.“

Danach wird es erneut still, doch nach einiger Zeit bricht er das Schweigen:

„Wenn das Problem mit dem Nordstamm gelöst ist, nehme ich Urlaub und widme mich der Forschung, wenn du noch mit mir zusammen arbeiten willst.“

„Wenn du meine Nähe noch weiterhin erträgst?“

entgegnet sie schmunzelnd.

„Und du die meine?“,

lächelt er mit geschlossenen Augen, was Erias Herz zum Schmelzen bringt, denn das ist wie ein Zugeständnis dafür, dass der er sich ihr gegenüber arrogant verhalten hat.

„Weißt du was ich mich die ganze Zeit frage? Auf was für Frauen stehst du eigentlich, Nico?“

hört sie sich fragen, was sich wiedermal so dumm wie ein Schulmädchen anhören muss, wofür sie sich sofort hasst, doch zu ihrer Überraschung beantwortet er die Frage sehr reflektiert.

„Schwer zu sagen. Ich mag in sich widersprüchliche Eigenschaften. Naivität und Intelligenz, Erotik und absolute Treue, Abhängigkeit und Eigensinn, Schönheit und Schüchternheit. Wenn es so eine Frau wirklich gibt, dann ist sie wahrscheinlich ziemlich verrückt im Kopf.“

Eria gleicht diese Attribute mit sich ab und findet einige Schnittstellen.

„Oh, das glaube ich nicht. Menschen sind sehr widersprüchlich. Bist du denn je einem Mädchen begegnet, das bis in der Herz vordringen konnte?“

fragt sie ihn weiter aus, während sie seinen Kopf massiert.

„Wenn ich dir das erzähle, dann hältst du mich für verrückt,“

will er das Thema beenden, doch lachend beschwichtigt sie:

„Ich weiß, dass du es bist. Was hast du also noch zu verlieren?“

„Das ist wahr. Oh Mann, das habe ich noch nie jemandem erzählt. Also es gibt da ein Mädchen, das ich in meiner Heimatstadt zurück ließ. Sie war, nein, sie ist immer noch in meinem Herzen. Sie ist erst sechzehn. Ich muss oft daran denken was aus ihr geworden ist“,

schwelgt er in Erinnerungen.

„Du meinst sie war sechzehn, als du sie verlassen hast?“

korrigiert sie, doch er verneint, worauf sie schnell im Kopf nachrechnet. Das Mädchen muss noch ein Kind gewesen sein, als er fortging, was wirklich wunderlich ist und seine Annahme Eria könne ihn dann für noch verrückter halten, bestätigt sich.

„Besuch sie, wenn sie dir nicht aus dem Kopf geht!“,

empfiehlt sie schroff und er brummt entspannt:

„Das mach ich, wenn ich dazu bereit bin.“

Das unbeschwerte Gespräch ruft plötzliche Gewissensbisse hervor. Er hat es nicht verdient sich hier so zu entspannen, nach allem was er heute getan hat. Bilder des Tages kehren in seinen Geist zurück und lassen ihn wieder die Stirn runzeln. Eria kann sich das schon denken und fragt nicht weiter nach. Er legt seine Hand über die Augen, um seine Tränen zu verbergen, während sie ihm unablässig durch das volle Haar streichelt. Was soll sie auch sonst für ihn tun?
 

Am nächsten Tag geht es Nico, dank Eria, ein wenig besser und das trotz des Verzichts auf den sonst so trostspendenden Alkohol. Nico erstattet vollständigen Bericht bei Hauptmann Ghidir und Eria überzeugt ihren Vater von ihrer Meinung bezüglich des Stück Landes auf der Nosrama Ebene. Dort werden die Siedler aus dem Norden niemanden stören und sie sind es ohnehin gewohnt schwierige Äcker zu bewirtschaften.

Gemeinsam mit Eria, die darauf bestand als Vertreterin des Königshauses mitzukommen, gehen die beiden zunächst am halbfertigen Damm vorbei zum Wall des Unterschlupfes, der heute wieder von fünf großen Nordmännern bewacht wird, welche den Posten für Ihre gefallenen Stammesgenossen übernommen haben. Die beiden Soldaten Zav und Dariel sind vorher weggebracht worden, so auch wie die anderen fünf getöteten Krieger. Nico wird ehrfürchtig mit seiner Begleitung in das Gelände eingelassen und von Barbas persönlich empfangen. Eria erkennt er zwar nicht als ebenbürtige Verhandlungspartnerin, allerdings als Assistentin des Harad an. Unter den Bedingungen niemanden mehr zu überfallen oder anzugreifen und mindestens fünfzig Männer und Frauen in den umliegenden Städten in die Lehre zu schicken, erhalten die Renid ein Stück Land auf der Nosrama Ebene. Da das alles ist, was Barbas immer wollte, willigt er ein.

„Leider gibt es da noch ein Problem, denn es gibt noch eine weitere Bedingung, Barbas“,

kündigt Nico an und erläutert weiter:

„Sie werden für die Vergehen Ihres Stammes stellvertretend strafrechtlich belangt. Der König wird Sie Hinrichten lassen.“

„Euer König hat mich nicht besiegt. Nur du kannst mich hinrichten, Harad“,

antwortet dieser unerwartet kooperativ und Nico fährt sich nervös durchs Haar.

„Ich?“

Eria sieht zu ihm hinüber, der seine Stern erneut in Falten legt. Sie würde ihn gern zum Trost berühren, doch sie muss sich kontrollieren. Sie will schließlich nicht wie seine Partnerin wirken, denn das könnte Probleme verursachen. Nico weiß, dass ihn Astria und wahrscheinlich auch Hidda ohnehin schon hassen und nach der Exekution an ihrem Vater wird sich das noch weiter verschärfen, aber ist das überhaupt wichtig? Das einzige was zwischen ihm und diesem Plan steht, ist sein eigenes Gewissen. Henker zu sein ist wie ein feiger Mörder zu sein.

„Du bist der Harad. Du kannst sagen wie lange ich noch der Stammesführer bin.“

Nico steht auf und geht hinaus aus Barbas‘ Arbeitszimmer, durch die Höhle an die Luft. Ein wunderschöner und nicht zu hitziger Tag strömt ihm entgegen. Eria kommt ihm nach, die ihn nur zu gut verstehen kann.

Die vier Schwestern beäugten ihren Harad skeptisch aus der Ferne. Noch keine hat ihn begrüßt oder ihn anderweitig angesprochen, was Janka nun ändert. Sie kommt nun zu ihm und fragt ohne einen Groll in der Stimme:

„Schon fertig mit der Beratung?“

„Noch nicht. Kannst du mir eine Frage beantworten, Janka? Kann ich als Harad eigentlich bestimmen wer den Stamm anführen soll, oder muss ich das selbst machen?“

fragt er sie über ihre fremde und schwierige Kultur aus. Etwas verunsichert, ob sie es diesmal richtig macht, beginnt sie zu beschreiben:

„Oh, klar kannst du einen oder viele bestimmen. Seit wann ist der Stärkste auch der Klügste, oder? Bei Papa passt das allerdings alles zusammen. Aber als ich noch ein Kind war, gab es einen Harad und einen Sagdia, der uns anführte. Papa besiegte den Harad und wurde selbst zum Anführer. Hilft das? Hidda sagt immer meine Erklärungen seien für die Katz.“

„Nein, das war sehr gut erklärt. Vielen Dank, Janka“,

dankt er ihr, geht zurück zu Barbas und setzt sich ihm erneut gegenüber.

„Es geht nicht anders“,

sagt der blaubärtige Riese und Nico antwortet widerwillig, aber ohne einen anderen Weg erkennend:

„Sie sind der tapferste Mann, den ich jemals getroffen habe, Barbas. Morgen zum Sonnenuntergang komme ich wieder und kämpfe erneut gegen Sie. Sie werden verlieren und ich werde Ihre Töchter als Sagdias einsetzten!“,

und Barbas antwortet:

„Ja, Harad. So machen wir es.“



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