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Lichter in der Finsternis

von

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Letzte Sonnenstrahlen warfen Schatten auf die Felsen. Die Luft, angenehm würzig, aber bereits ersten Frost verkündend. Vogelgezwitscher in den Baumwipfeln. Kein Rascheln vom Wind in den Blättern. Der Schnitt war sauber. Blutflecken auf dem Boden, die bald eingetrocknet sein würden. Bürger, die wieder friedlicher schlafen konnten, einfache Bauern, ungebildet, aber arbeitsam. Das Messer wanderte zurück an seinen Platz. Geralt von Riva erhob sich und betrachtete sein Werk.

Dieser Basilisk wird keine unschuldigen Bäuerinnen mehr holen‘, dachte er. Der Hexer hatte den schuppigen Schäden feinsäuberlich vom Torso getrennt. Trophäen zu sichern war nie besonders appetitlich, aber die Arbeit war nötig, um seine Auftraggeber vom Erfolg der Jagd zu überzeugen. Allzu häufig schon hatten sie versucht, ihn um seinen Lohn zu prellen. Fadenscheinige Ausreden, um nur das wenige Ersparte nicht auch noch abgeben zu müssen. Geralt konnte ihre Beweggründe zwar verstehen, musste jedoch auch von etwas leben. Vor allem jetzt in einer Zeit, in der Anderlingen mit noch mehr Misstrauen begegnet wurde.

Der Hexer stieß einen Pfiff aus. Plötze, sein treues Pferd, war nie weit. Gemächlich trottete es zwischen Bäumen und Büschen hervor und blieb einige Meter entfernt stehen.

„Brav“, lobte Geralt und tätschelte die Nüstern des Tiers.

Er band die Trophäe mit Seilen am Sattel des Pferdes fest und saß dann auf. Das Gehöft, in dem seine Auftraggeber lebten, war nicht weit entfernt. Er schätzte, dass er es bis zum Abend erreicht haben würde.

„Vielleicht lässt sich auch noch eine warme Mahlzeit und ein Bier heraus schlagen“, murmelte er. „Wenn ich etwas mit dem Preis runter gehe.“ Dann, lauter: „Los, Plötze!“

Das braunweiß gescheckte Pferd tat einen Satz und lief dann in leichtem Galopp weiter. Dunkle Wolken türmten sich am Horizont auf. Sie kündeten einen der ersten Herbststürme für dieses Jahr an. Geralt verstand sich den Umständen entsprechend auf Wettervorhersagen. Während der jahrelangen Ausbildung zum Hexer hatten sie sich auch darin üben müssen. Aber verglichen mit Schwertkampf, Tränkebrauerei und Herstellung von Ölen waren Sonne, Wind und Regen nur am Rande besprochen worden. Ein Hexer war für gewöhnlich bei jedem Wetter unterwegs, egal, ob Tag oder Nacht, bei brütender Hitze oder wenn die Kälte selbst die tiefsten Flüsse einfror. Geralt und die anderen seiner Schule wussten so einige Tricks, wie man sich im tiefsten Winter warm hielt. Trotzdem war ihm ein warmer Platz selbst in einem Schuppen allemal lieber, als draußen in freier Wildbahn nächtigen zu müssen.

Plötze trug ihn aus dem Dickicht heraus, das der Basilisk als sein Versteck auserkoren hatte. Zielsicher fand das Pferd den Weg. Der Hexer lenkte es gen Osten, weg von den Regenwolken, die nun auch die letzten Sonnenstrahlen verschluckten. Einige wenige Sterne erschienen am östlichen Nachthimmel. Sie würden bald verschwunden sein. Geralt versuchte, an gar nichts zu denken, seinen Körper und Geist vom Kampf zu erholen. Jederzeit bereit zu sein, zehrte auf Dauer doch an seinen Kapazitäten. So hatte er es sich schon vor langer Zeit angewöhnt, zu ruhen, wo immer es nur möglich war.

Der Hexer wollte gerade wieder wegdösen, als seine Sinne Bewegungen in weiter Ferne wahrnahmen. Schlagartig öffnete er die Augen. Sein Pferd schien noch nicht bemerkt zu haben, dass sie bald Gesellschaft haben würden. Wie auch, der Wind kam aus Westen, wehte ihnen in den Rücken und trug ihre Gerüche geradewegs zu dem Wolfsrudel.

„Verlaustes Pack!“, fluchte Geralt.

Als er am Vormittag diesen Weg gekommen war, hatte nichts auf Wölfe in dieser Gegend hingedeutet. Seine Auftraggeber wohnten wirklich in einer abgeschiedenen Gegend, weit und breit kein Militär zu sehen, weder seitens Redanien, noch Soldaten des Nilfgaarder Imperiums. Kein Wunder, der nächste strategische Posten lag meilenweit entfernt. Wohl auch deshalb hatten sich die Bauern hier niedergelassen.

„Ihre Abgeschiedenheit soll ihnen nicht zum Verhängnis werden“, befand der Hexer und zog sein eisernes Schwert.

Er trieb Plötze weiter an, mitten in das Rudel hinein und köpfte den ersten Wolf im Galopp. Doch hier endete sein Überraschungsmoment. Das restliche Pack wich vor Hexer und Pferd zurück und begann, beide einzukreisen. Geralt fluchte und sprang von Plötzes Rücken.

„Los jetzt!“, rief er mehr zu sich selbst, nachdem er sich auf dem Boden abgerollt hatte. Soweit er es überblickt hatte, handelte es sich nur um ein einfaches Rudel. Trotzdem blieb der Hexer vorsichtig, denn trotz allem konnte sich ein Warg in der Nähe aufhalten und durch Wolfsgeheul angelockt werden.

Geralt sprach Igni, woraufhin Flammen aus seiner linken Hand sprangen und das Fell eines der Wölfe sowie das trockene Gras entzündeten. So gut wie alle Wesen hassten das Feuer. Das Tier versuchte, die Flammen durch Wälzen auf dem Boden zu löschen. Der Hexer wollte ihm gerade den Garaus machen, als ein anderes Rudelmitglied ihn schräg von hinten ansprang.

„Verflucht noch eins!“

Der Wolf wollte sich in seiner Schulter festbeißen, bekam diese aber nicht richtig zwischen die Kiefern. Jeder einfache Mensch würde trotzdem vor Schmerzen auf die Knie sinken. Gut möglich, dass kampferprobte Soldaten mit einer solchen Attacke noch zurechtkamen. Zumindest würden sie das Tier abschütteln können. Geralt seinerseits versuchte, dem Wolf die Schulter ins Maul zu rammen. Mit einem Jaulen wich sein Gegner zurück und schlug sich ins Dickicht.

Der Hexer schlug nach einem anderen Wolf und verletzte diesen an der Seite. Er hatte nicht die Möglichkeit, sich auf eines der Tiere zu konzentrieren. Wie eigentlich immer. Selten traf er ein Rudel an, das weniger als fünf Tiere umfasste. Große Kampfkunst konnte er den Biestern daher nicht bieten, sondern musste zusehen, möglichst viele von ihnen gleichzeitig zu beschäftigen.

Ein erneutes Igni wehrte zwei weitere Wölfe ab. Derjenige, den er als erstes mit dem Zauber erwischt hatte, beäugte ihn nun aus respektvollem Sicherheitsabstand. Geralt schlug nach einem anderen Tier und erwischte dessen rechten Vorderlauf. Erneut gellte ein Heulen durch die Luft, doch von einem antwortenden Warg war nach wie vor nichts zu hören. Der Hexer bezweifelte mittlerweile, dass dieses Rudel über einen solchen Wolfsführer verfügte. Sie waren zwar stark und ausdauernd, andererseits aber wirkte das Rudel zu unerfahren, Er schnellte nach vorne und hieb dem Wolf in die Seite, den er als erstes mit seinem Zauberspruch in Flammen gesetzt hatte.

„Lieber schnell beenden, ehe das Tier leiden muss.“

Der Wolf blieb leblos auf der Seite liegen. Seine Artgenossen schienen nicht so recht zu wissen, was vor sich ging. Zwei Weitere attackierten den Hexer, der eine von links, der andere von rechts. Sie fletschten die Zähne.

„Kommt schon!“, forderte Geralt sie auf. Der Linke sprang in die Höhe und schnappte nach seinem Gesicht, doch er wich leichtfüßig nach hinten weg und schlug in die Richtung des anderen Wolfs, ohne direkt nach ihm zu zielen. Dies lenkte das Tier soweit ab, dass der Hexer dem ersten den Garaus machen konnte.

Knurren aus den Gebüschen verriet Geralt, dass der Kampf noch nicht vorbei war. Noch mindestens drei Wölfe schlichen in respektvollem Abstand um ihn herum.

„Was jetzt?“

Anstatt auf seine Gegner zu warten, ergriff der Hexer die Initiative und wirkte Aard in das Gebüsch, in dem er die restlichen Wölfe vermutete. Viele Blätter fielen zu Boden herab und durch die entstehende Lücke konnte Geralt sehen, dass ein Wolf bewusstlos am Boden lag. Doch anstatt sich als Erstes um ihn zu kümmern, wandte er sich den beiden anderen zu. Das Tier, das gerade rechts aus dem Dickicht hervor geschossen kam, hatte Brandflecken im Fell. Der Kämpfer musste es also zweifelsohne bereits zuvor mit Igni versengt haben. Ohne sich darum zu kümmern, wo sich der dritte Wolf befand. Er stürzte sich auf das Tier mit dem versengten Fell und köpfte es, noch ehe es reagieren konnte. Danach nahm er kurz seine Umgebung in Augenschein, ehe sich der Hexer dem noch bewusstlosen Wolf zuwandte. Ohne Zögern stieß er diesem sein Schwert in den Rumpf. Kein Mucks, das Tier starb von allen seinen Artgenossen wohl am friedlichsten.

Etwas weiter entfernt ertönte ein Heulen.

„Nicht gut...“

Geralt war sich zunächst nicht sicher. Wie ein Warg hörte es sich nicht an und die Wölfe, die er gerade eben getötet hatte, hatten kein Heulen ausgestoßen. Andererseits fehlte vom letzten Mitglied des Rudels jede Spur. Der Hexer vermutete, dass es vielleicht das Weite gesucht haben könnte. Der Wolf überlebte den heutigen Tag und würde sich bald einem anderen Rudel anschließen.

Geralt machte sich nicht einmal die Mühe, die Kadaver der Wölfe nach Verwertbarem abzusuchen. Er hatte genügend Proviant und das Fell einfacher Wölfe war auf dem Markt nicht viel wert. Wenn es weiße Wölfe gewesen wären...

Er steckte das Eisenschwert zurück in die Scheide und streckte sich einmal. Hier und da hatten ihn die Tiere erwischt, einige blutende Wunden hier, ein paar Schrammen und blaue Flecken da. Nichts, was er nicht selbst würde behandeln können. Mehr ärgerte ihn die Tatsache, dass ihn der Kampf aufgehalten hatte. Die Regenwolken, die er zuvor im Westen gesehen hatte, waren inzwischen bedrohlich nähergekommen. Nur noch im Osten konnte er vereinzelt Sterne ausmachen. Wenn er sich nun nicht beeilte, würde der Hexer nass bis auf die Knochen sein, ehe er das Dorf erreichte.

Anstatt nach Plötze zu pfeifen, wie er es zuvorgetan hatte, wandte er sich Richtung Trampelpfad. Das Reittier hatte die Angewohnheit, sich zu Weggabelungen zurückzuziehen. Geralt schätzte, dass es lediglich seinem Instinkt folgte. Gabelungen bedeuteten verschiedene Richtungen, in die man notfalls flüchten konnte. Andererseits wurden dadurch Ganoven leicht auf scheinbar unbeaufsichtigte Tiere aufmerksam. Und ein Pferd zu besitzen, war nicht selbstverständlich.

Der Hexer trat auf den Weg und sah seinen Gefährten unter einer Eiche stehen und grasen.

„So unaufmerksam.“ Manchmal verstand Geralt Plötze nicht. Doch anstatt sich weiter Gedanken darum zu machen, saß er erneut auf und ritt Richtung Gehöft. Wind kam auf und ließ die Blätter in den umliegenden Baumwipfeln rauschen. Er trieb Plötze zum Galopp an, denn langsam wurde es tatsächlich ungemütlich. Einzelne, dicke Regentropfen landeten auf seinem Kopf. Der Hexer ritt, was das Zeug hielt. Weit konnte es schließlich nicht mehr sein.

Er kam an einem Markierungsstein vorbei, der ihm am Morgen schon aufgefallen war. Nur noch vorne die Biegung um die Felsen und er würde da sein. Der Wind peitsche ihm inzwischen den Regen in den Nacken. Geralt zog den Kopf ein. Er ritt um kahlen Stein herum und bremste Plötze dann ab. Es wechselte von hartem Galopp zu weichem Trab, ehe der Hexer es ganz anhielt. Doch nicht etwaige Dorfbewohner mitten auf dem Weg hatten ihn zu dem abrupten Stopp gezwungen. Ihn verwunderte mehr, was sich seinen Augen bot. Er überblickte die Szenerie kurz und sah einmal den Weg zurück, den er gekommen war.

„Falsch abgebogen bin ich nicht“, murmelte er. Trotzdem hatte er den Eindruck, sich an einem ganz anderen Ort zu befinden, nicht in dem Dorf, in dem er am Morgen den Auftrag angenommen hatte. Vor ihm befanden sich Häuser, die eigentlich eher schon Ruinen glichen. Das übliche Bild, wenn Menschen ihre Heimat verlassen mussten und Wind und Wetter freie Hand bekamen. Teilweise eingestürzte Dächer, aus den Angeln hängende Fensterläden und Türen, von denen sich einzelne Bretter gelöst hatten. Ein Anblick, der Geralt vertraut war, den er aber hier nicht erwartet hätte.

Dichter Regen fiel inzwischen aus dunklen Wolken herab. So verwirrt der Hexer war, so sehr sehnte er sich nach einem Ort, an dem er sich vor dem Wetter schützen konnte. Anstatt Wurzeln zu schlagen, stieg er also von Plötze ab und führte es an dessen Zügeln näher zu den Ruinen. Sicher konnte er in einer von ihnen die Nacht verbringen, ohne am nächsten Morgen triefend nass zu sein.

Rechts sieht vielversprechend aus‘, dachte er.

Er wollte sich gerade umwenden, als er aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahrnahm. War es ein heller Lichtblitz gewesen? Geralt drehte den Kopf wieder um.

„Nein.“

Es zuckten zwar Blitze über den Himmel, aber was er gesehen hatte, glich mehr einem länger anhaltenden Schimmer. Noch dazu war er grün gewesen. Blitze waren nicht grün, soweit der Hexer wusste.

Geralt überlegte. Sollte er dem seltsamen Phänomen nachgehen und sich womöglich noch stundenlang in diesem Platzregen aufhalten? Oder sollte er sich und Plötze einen Gefallen tun und eine der Ruinen mit noch halbwegs intaktem Dach für das Nachtlager aufsuchen? Er entschied sich für Letzteres.

„Du magst es schließlich auch nicht, im Regen zu stehen“, meinte er zu seinem Pferd und führte es zu der Ruine hinüber, die er zuvor ins Auge gefasst hatte. Die klapprige Tür hatte er schnell eingetreten und trat alles beiseite, was Plötze im Weg stehen könnte. Halb verfaulte Möbel befanden sich in dem großen Hauptraum, klapprige Bretter, die früher vielleicht als Regal zusammengenagelt an der Wand gehangen haben mochten, kleinere und größere Kisten in den Ecken. Der Boden war stellenweise durchgeschimmelt.

Als sein Pferd halbwegs sicher stand, verkrümelte Geralt sich in eine Ecke im Nebenzimmer und kniete nieder, um zu meditieren.

 

* * *

 

Etwas weckte ihn, ein Geräusch. Kein Wiehern, so viel stand fest. Das Pferd stand noch genau so, wie er es zuvor platziert hatte, und ließ den Kopf hängen. Pferde schliefen im Stehen, das wusste jeder.

Schnell war der Hexer auf den Beinen. Er lauschte. Der Sturm vom Abend hatte sich inzwischen gelegt, was gut war. Ihn musste also etwas anderes geweckt haben. Wie auf Samttatzen schlich er zu der Tür und horchte erneut. War es Vogelgezwitscher gewesen? Geralt glaubte, hier und da schon einen Piepmatz zu vernehmen, war aber trotzdem unschlüssig. Vögel stellten in der Regel keine Gefahr dar, nichts, worauf seine Hexersinne während des Meditierens reagieren würden. Und es war schließlich selbstverständlich, dass Vögel bereits in den frühen Morgenstunden zu singen anfingen. Er lugte durch den Türspalt hindurch.

Ein Baumwipfel hob sich sichtbar gegen einen dämmerigen Himmel ab. Der Tag brach also schon an, anderen Orten würden bereits Leute unterwegs sein, um ihrem Tagwerk nachzugehen. Der Hexer schob sich einen weiteren Schritt vor und zog dabei die Tür etwas nach innen. Das Quietschen der Angeln war deutlich zu hören. Er nahm wahr, dass aus einem Busch in der Nähe ein Schwarm Vögel aufstieg. Vermutlich hatten sie sich erschrocken.

Doch sie waren nicht der Grund, warum Geralt ein kalter Schauer über den Rücken lief. Er sog scharf die Luft ein Bies. Diese Biester konnten furchterregend sein, vor allem für unerfahrene Burschen, wie sie damals gewesen waren.

Draußen auf dem Weg in das Gehöft waren Menschen unterwegs. Einfache Bauersleute, die um diese Zeit anfingen, Kühe zu melken oder Brot zu backen. Erst war es ihm nicht aufgefallen, doch auf den zweiten Blick hatte der Hexer bemerkt, dass der dunkle Schatten gegenüber keine Ruine war, sondern ein ganz normales Wohnhaus, in dem schon Licht brannte und wo scheinbar einfache Leute dabei waren, sich für den kommenden Tag zu wappnen.

„Was geht hier vor?“, fragte er sich.

Geralt glaubte, durch ein Fenster in eine ganz andere Welt hinaus zu blicken. War er von einem Zauber befallen worden? Es wäre nicht das erste Mal, dass mächtige Magie seine Sinne täuschte. Die Wilde Jagd hatte ihn diesbezüglich einiges gelehrt. Aber hier so weit draußen in einer Wildnis, die Velen als Zentrum der Zivilisation erscheinen ließ? Wenngleich es gut möglich wäre, schloss der Hexer Magie aus. Sein Bauchgefühl sagte ihm, dass er es mit etwas anderem zu tun hatte. Er wusste nur noch nicht was.

Eine Berührung an seinem linken Oberarm riss ihn aus seinen Überlegungen. Plötze war unbemerkt zu ihm herangetreten. Eine wirklich seltsame Situation, in der er sich befand. Das Pferd hatte sich noch nie erfolgreich an ihn anschleichen können. Geralt verfluchte sich innerlich. Was ging hier vor? Das musste er schleunigst heraus finden. Und auch, ob es gefährlich war.

Langsam wurde es heller. Vereinzelt blitzten Sonnenstrahlen durch dunkle Wolken im Osten hindurch. Das musste dieses verfluchte Gewitter vom Abend zuvor sein. Ein Wetterphänomen vielleicht, das nicht nur die üblichen Begleiterscheinungen wie Regen, Wind, Blitz und Donner mit sich brachte?

„Dafür hat es aber zu normal gewirkt“, befand er.

Plötze stupste ihn erneut an.

„Willst du, dass ich hinaus gehen?“

Das Pferd warf den Kopf auf und ab. Manchmal hatte Geralt das Gefühl, dass es genau verstand, was er sagte. Trotzdem zögerte er. Der Tag zog langsam herauf und draußen spielte sich eine Szenerie ab, wie sie etliche Male in dieser Welt vorkam. Und wie er sie am Abend zu vor an genau diesem Ort in der Welt nicht für möglich gehalten hätte. Wohin sind die Ruinen des Vortages verschwunden? Plötze wieherte laut. Es hatte noch immer den Schädel des Basilisken an die Seite gebunden und schien nun das dringende Bedürfnis zu haben, nach draußen zu kommen.

Warum eigentlich sah dieses Gebäude innen noch immer wie ein vor ein paar Jahren verlassener Weiler aus, während draußen das Leben begann? Vielleicht doch ein Zauber? Geralt hatte keine Zeit mehr, sich noch weiter Gedanken darüber zu machen, denn sein Pferd rückte ihm mittlerweile so sehr auf die Pelle, dass er hintenüber stürzen würde, wenn er keinen Schritt zurücktrat.

Der Hexer drehte sich um und sah noch einmal auf die Szenerie vor sich. Wie um sich selbst Mut zu machen, atmete er einmal tief ein und setzte dann vorsichtig einen Fuß über die Türschwelle. Geralt glaubte, ein Kribbeln zu spüren, so verunsichert war er schon lange nicht mehr gewesen. Was geschah hier? Er schob sich langsam durch den Türrahmen, das flaue Gefühl ebbte nicht ab. Stattdessen verstärkte es sich noch weiter, gerade so, als würde es erst durch das Durchschreiten der Tür ausgelöst. Anstatt zu verweilen, trat er nun ganz in den Morgen hinaus. Die Gedanken rasten nur so in seinem Kopf. Hinter ihm kam sein treuer Gefährte auf den Weg hinaus, ganz so, als würde es diese mystische Situation gar nicht erfassen. Wieso sollte Plötze auch? Das Pferd wandte sich nach links, in die Richtung, aus der sie am Abend zuvor gekommen waren und trat zu dem saftigen grünen Gras hin, das dort so üppig am Wegesrand wuchs. Sorglos begann es, die Halme zu fressen.

„Guten Morgen“, sagte jemand.

Geralt wandte sich von Plötze ab und sah einen jungen Mann mit freundlichem Gesicht an ihm vorbei gehen. Er blieb nicht stehen, um ein Gespräch zu beginnen, sondern ging hinaus auf eines der Felder. Der Hexer hätte ihm eh nicht geantwortet. Zu verwirrt war er.

Warum wuchs dort saftiges Gras? Es war schon seit längerer Zeit Herbst. Selbst weit im Süden waren die heißesten Tage des Jahres seit langem vorbei. Jedoch wirkte hier alles so, als befänden sich die Natur und die hier lebenden Menschen gerade mitten im Frühling.

„Wer seid ihr?“

Der Hexer wirbelte herum und sah ein etwa neun Jahre altes Mädchen vor ihm stehen. Als sie seine Augen sah, drehte sie sich um und lief schreiend davon. So geheimnisvoll die Situation war, manche Dinge änderten sich doch nie.

Geralt ging dem Mädchen einige Schritte hinterher, blieb dann aber wieder stehen. Den Alten da hinten beim Brunnen kannte er. Es war gerade gestern gewesen, als er seine Belohnung für das Erlegen des Basilisken mit ihm ausgehandelt hatte. Alfrid, der Bauer.

Das Mädchen war zu ihm hinüber gelaufen, es musste seine Enkelin sein. Ganz aufgeregt erzählte sie ihm etwas und deutete dann in die Richtung des Hexers. Alfrid folgte ihrem ausgestreckten Finger. Als er erkannte, warum das Mädchen so verstört war, stellte er den Eimer, den er in der Hand gehalten hatte, auf den Boden.

„Wir haben nicht mehr mit euch gerechnet, Hexer“, sagte er, als Geralt nach langem Zögern doch zu ihm hingegangen war.

„Ja...“, sagte er lahm.

Alfrid musterte ihn einmal von oben bis unten.

„Ihr habt euch nicht verändert.“

Der Hexer schwieg. Sollte er dem Alten wirklich sagen, dass seine Haare nun noch grauer waren als am Morgen zuvor? Alfrid würde es nicht verstehen. Er selbst verstand es ja auch nicht. Und verglichen mit Bauersleuten war er gebildeter in vielerlei Hinsicht.

„Ihr wart wohl erfolgreich?“, fragte der Bauer.

„Wie man’s nimmt. Der Basilisk wird euch keine Schwierigkeiten mehr machen.“

Alfrid legte den Kopf schief. Geralt wusste nicht, was er ihm damit sagen wollte.

„Ja, da habt ihr Recht“, meinte er schließlich. „Wir hatten schnell Ruhe, nachdem Ihr uns für die Jagd verlassen habt. Ich frage mich nur, warum Ihr erst so spät wieder gekommen seid.“

„Wie meint Ihr das?“

Nun war es an dem Hexer, verwundert dreinzuschauen.

„Ich meine, wenn Ihr erfolgreich bei der Jagd wart, wieso seid Ihr nicht eher gekommen, um Eure Belohnung einzufordern? Versteht mich nicht falsch, selbstverständlich sind wir ehrliche Leute, wir wollen keinen Ärger. Weder mit Euresgleichen, noch mit Soldaten oder anderen. Aber Ihr versteht sicherlich, dass wir ein halbes Jahr später nicht mehr damit gerechnet haben, dass Ihr noch einmal aufkreuzt“, erklärte Alfrid und kratzte sich verlegen am Hinterkopf. „Eure Belohnung...“

Geralt blieb stumm. Was ihm der Alte da erzählte, konnte nur ein schlechter Witz sein. Oder ein sehr schlechter Traum. Es war erst gestern gewesen, dass er dieses Biest von einem Basilisken erlegt hatte. Und der Alte faselte nun etwas davon, dass es schon ein halbes Jahr her war. Es konnte nur ein Traum sein. Anders konnte sich der Hexer diese seltsamen Merkwürdigkeiten nicht erklären, die sich hier aneinander reihten. Anstatt etwas zu erwidern, drehte er sich um und ging zu Plötze. Alfrid hielt ihn nicht einmal auf. Als er bei seinem Pferd ankam, hing die Basiliskentrophäe noch frisch wie am ersten Tag am Sattel. Geralt blickte einige Momente darauf und zuckte dann die Schultern. Schnell war er aufgesessen und ritt von dem Weiler fort.

 

~ FIN ~



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  Vegetasan
2019-06-12T17:00:53+00:00 12.06.2019 19:00
Ich glaube ich habe die Geschichte schon einmal gelesen, sie kommt mir auf jeden Fall bekannt vor, keine Ahnung warum ich kein Review hier gelassen habe. 🤷‍♀️

Mich hätte es schon interessiert, wie diese Zeitreise zu Stande gekommen ist, aber ein offenes Ende ist auch gut.
Antwort von: Calafinwe
12.06.2019 21:16
^^ Danke für's nachträgliche Kommi <3
Von:  Kohanir
2018-02-06T21:28:27+00:00 06.02.2018 22:28
Ich kann nur sagen das ich meine Wichtelstory liebe, nicht nur hat sie einen meinen Lieblingscharaktere aller Zeiten der auch noch gut getroffen wurde und dazu noch nicht erklärte magische Ereignisse. Ich persönlich findes es besser wenn mysteriöse Ereignisse nicht ganz aufgeklärt und nur angedeutet werden, oft ist einfach die Auflösung nicht so gut wie das Gefühl einer Lösung näherzukommen.
Ohh und Plötze die beweist das sie mehr als nur ein Pferd sein könnte (und das ohne Pilze).
Ich hoffe ich habe genug geschwört vielen vielen Danke für die tolle Story!=D
Antwort von: Calafinwe
07.02.2018 09:48
Basst scho, wie wir in Bayern sagen :D
Ich muss gestehen, ich hab ja nur deshalb mitgemacht, weil ein paar mehr Leute Witcher auf der Liste hatten und ich zum Zeitpunkt meiner Anmeldung grad wieder in einem Flash war XD~

Finde es aber irgendwie traurig, dass ich bisher die einzige bin, die du richtig erraten hast .___.'

LG
Antwort von:  Kohanir
07.02.2018 19:57
Warum ich Geralt und Plötze im Timetravelland bekommen habe ist nicht so wichtig, wichtig ist nur das ich es habe=D

Warum traurig? Ich bekomm nur aufgrund meines Geschmackes meistens Orginale da rät es sich halt sehr schwer (außer das Szenaria ist sehr spezifisch)
Antwort von: Calafinwe
14.02.2018 18:41
Ok gut. Das ist auch heftig, wenn du bisher immer nur Originale bekommen hast. Hätte gedacht, dass zumindest auch Noragami mehr ziehen würde :/
Antwort von:  Kohanir
14.02.2018 22:46
Nicht immer ich hatte einmal Bleach und einmal Log Horizon (soweit ich mich jetzt erinnere) und ich hab auch kein Problem damit das ich Orginale bekomme, mir ist klar das meine Interessen sich einfach ein wenig unterscheiden, es mach nur einfach das Raten schwerer=)


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