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SPACE 2064 - 01

Die Grauen Falken
von

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Niemandsland

Auf dem Trägerschlachtschiff GRS BISMARCK stand Carina Lerach, im Halbdunkel des Kommandozentrums, beugte sich leicht über das Geländer, das den Bereich des Kartentisch von den Kontrollkonsolen des Trägers trennte, und warf einen Blick über die Schulter von Oberleutnant Julian Körner, dem Navigator des Trägers. Etwas, das ihr in Fleisch und Blut übergegangen war, seitdem dieser Träger und seine zwei Geleitschiffe, der Schlachtkreuzer BLÜCHER und das Kanonenboot ARCONA, hinter die feindlichen Linien verschlagen wurde.

Während der Schlacht bei Ixion.

In ein paar Stunden, so wusste sie, würde Oberst Gernot Kiesewetter, der sehr erfahrene Kommandant dieses Trägers, der ihr als Flaggschiff diente, sie ablösen, und während ihrer Abwesenheit stellvertretend den Verband leiten.

Die Rangabzeichen, goldenes Eichenlaub mit einem ebenfalls goldenen Stern, funkelten auf den rot umrandeten Schulterstücken von Lerachs nachtblauer Uniformjacke. Niemand auf der BISMARCK hatte Carina Lerach, während sie Dienst tat, jemals in Hemdsärmeln gesehen. Selbst im größten Durcheinander einer Raumschlacht erweckte sie stets den Eindruck, eben erst ihre Garderobe gerichtet zu haben. Eine Konstante auf diesem Trägerschlachtschiff. So, wie ihre unerschütterliche Ruhe im Gefecht.

Einen Moment lang sah die Siebenundvierzigjährige grübelnd auf die Anzeigen und fragte den jungen Mann an den Navigationskontrollen, mit klarer Stimme: „Sind Sie sicher, dass wir Kurs auf Planet 2063-Y halten? Immerhin sind unsere Instrumente, während der letzten Schlacht, ziemlich in Mitleidenschaft gezogen worden.“

„Ich bin mir sicher, General“, gab Körner zurück, ohne seinen Blick vom Monitor abzuwenden. „Wenn die lateralen Sensoren wieder arbeiten, dann wissen wir es genau.“

Ein leichtes Schmunzeln überflog die geschwungenen Lippen der Frau bei dem versteckten Hinweis des Oberleutnants, dass er ihr heute nicht mehr sagen konnte, als in den letzten fünf Tagen. Sie richtete sich auf, straffte ihren schlanken Körper, und schritt zum Kommandeur der Jagdgeschwader, der drei Schritt hinter ihr stand. Kaum kleiner gewachsen, als der 1,84 Meter große, kräftige Mann sah sie in seine blauen Augen und meinte, beinahe amüsiert. „Der Oberleutnant hat Recht. Wenn man in den Kessel sieht kocht das Wasser nie.“

Oberstleutnant Frank von Wedel grinste offen, so wie es Carina Lerach von ihm gewohnt war. Sie selbst hatte ihn für die BISMARCK angefordert, als sie das Kommando über diesen Träger und seine Geleitschiffe, am 17. September 2061, übernahm. Schnell hatte sich herausgestellt, dass sie sich sehr gut mit dem schwarzhaarigen Mann verstand. Auf dienstlicher, wie auf menschlicher Ebene. Über Letzteres war sie erfreut, denn sie mochte keine dieser rein dienstlichen Beziehungen zu Personen, die sie im Grunde nicht mochte. Gerade in Bezug auf den Geschwader-Kommandeur wäre das ungünstig gewesen, da sie mit ihm, im täglichen Dienstalltag, sehr eng zusammenarbeitete.

Als Carina Lerach sich mit der Rechten durch das schulterlange, braune Haar strich und den Oberstleutnant fragend musterte, erwiderte der Geschwader-Kommandeur: „Ich verstehe was Sie umtreibt, General. Auch ich fühle mich nicht besonders wohl dabei, dass unsere drei Schiffe hier im Helios-System herumschleichen, das von den verdammten Chigs kontrolliert wird.“

„Mir auch nicht“, gab die Frau leise zurück. „Aber ich bin überzeugt davon, dass dies der sicherste Weg zurück zu unseren Truppen ist. Nach meinen letzten Informationen wollte die 15. Flotte, unter dem Oberkommando von General Granville Weirick, wieder nach Demios zurückkehren, sobald die Kämpfe bei Ixion beendet sind. Da von Ixion seit Tagen kein Signal mehr eingegangen ist, bedeutet das entweder, dass Ixion in unsere Hände gefallen ist und nun Funkstille hält, oder aber, dass Weirick aufgeben hat und sich zurückziehen musste. In beiden Fällen werden wir bei Demios auf Schiffe unserer Verbündeten treffen.“

„Falls die Amis nicht komplett vernichtet worden sind“, gab der Oberstleutnant zu bedenken und erkannte den Unmut, wegen dieser Äußerung, in den grün-braunen Augen seiner Vorgesetzten. Beschwichtigend fügte er hinzu. „Aber von diesem schlimmsten, vorstellbaren Szenario gehe ich nicht aus, General.“

Etwas verstimmt gab Carina Lerach mit gedämpfter Stimme zurück: „Das will ich hoffen, Oberstleutnant. So etwas dürfen sie gerne denken, aber halten Sie sich bitte zurück es laut auszusprechen. Fatalismus ist in unserer Lage das Letzte, was wir brauchen.“

„Verstanden, General.“

Die Augen der Frau begannen zu funkeln, doch sie erwiderte nichts auf den etwas übertrieben zackigen Tonfall des Mannes. Stattdessen wechselte sie das Thema und erklärte dem Oberstleutnant: „Sobald die Entfernung zu 2063-Y unter einhunderttausend Kilometern liegt, werden Sie eine Staffel in die Nähe des Planeten entsenden, die sicherstellen soll, dass uns nicht irgendwelche Feindverbände im Planetenschatten auflauern. Sollte sich der Planet und dessen Umgebung als feindfrei erweisen, so werden hingegen wir uns, für die notwendigen Reparaturen an Bord, in den Planetenschatten begeben und dort verbleiben, bis unsere Systeme wieder zufriedenstellend funktionieren. Ich wünsche, dass Sie die Grauen Falken mit dieser Aufgabe betrauen.“

„Ich werde Hauptmann Oberleitner informieren“, bestätigte Frank von Wedel. „Sie rechnen also mit Schwierigkeiten.“

Die Befehlshaberin des deutschen Verbandes nickte knapp. „Ja, ich traue dem momentanen Frieden nicht. Wenn ich ein Kommandeur der Chigs wäre, dann würde ich dieses Sternensystem nicht unbeobachtet lassen.“

Dabei beließ es Carina Lerach und warf dem Oberstleutnant einen vielsagenden Blick zu, der ihn dazu veranlasste, sich in Bewegung zu setzen, um die Führerin der 47. Staffel aufzusuchen. Mit raumgreifenden Schritten eilte er durch die schmalen Gänge des Trägers.

Platz war auf diesem Träger ein Luxus, obwohl er mit einer Länge von 525,6 Metern, einer Breite von 245,1 Metern und einer lichten Höhe von 185,4 Metern alles andere als klein zu bezeichnen war. Dennoch wurde jeder noch so kleine Raum in diesem Träger effektiv genutzt und war bis zum Bersten mit moderner Technik angefüllt, die nur einem Zweck diente. Den Feind zu vernichten und gleichzeitig das Leben der Besatzung zu schützen. An Luxus oder Bequemlichkeit war da nicht an erster Stelle gedacht worden.

Eine Tatsache, an der sich nichts durch den Einbau der neuen Überlichtaggregate – vor rund sechs Monaten – geändert hatte. Im Gegenteil. Zwar waren die terranischen Raumschiffe, seit dem Einbau dieser Maschinen, nicht mehr allein von natürlich entstehenden Wurmlöchern abhängig, um von einem Sternensystem zum anderen zu reisen, doch der freie Raum an Bord hatte sich dadurch noch einmal verkleinert.

Frank von Wedel wusste, dass AEROTECH diese Aggregate, mit denen die terranischen Raumschiffe Überlichtkapazität bekommen hatten, nur deshalb hatte entwickeln können, weil terranische Pioniere, nach der Schlacht bei Jupiter, das Wrack eines Chig-Trägers geborgen hatten. In der Folgezeit hatten die Ingenieure von AEROTECH rund um die Uhr gearbeitet, um die Überlichttechnik der Aliens zu verstehen und für die terranischen Kriegsschiffe zu modifizieren. Hätten sie keinen Erfolg gehabt, so wäre die terranische Offensive namens Operation ROUNDHAMMER nie möglich gewesen.

An der nächsten Gangkreuzung wich der Oberstleutnant einer Gruppe von Raumlandesoldaten aus und setzte anschließend seinen Weg fort.

Vor dem Schlafraum der 47. Staffel verharrte er kurz vor der Tür, klopfte zweimal und öffnete sie. Von Wedel hatte es in früheren Jahren gehasst, wenn Vorgesetzte ohne irgendeine Ankündigung hereinplatzten, und so hatte er sich dieses Klopfen angewöhnt, bevor er das Quartier von untergebenen betrat.

Noch bevor der Oberstleutnant ganz in den Raum eingetreten war hatte einer der anwesenden Piloten Achtung! gebrüllt. Vier Männer und drei Frauen im Raum nahmen Haltung an.

„Rühren!“, befahl der Schwarzhaarige schnell und blickte sich um.

Melanie Oberleitner, die eben erst ihre hochgewachsene, schlanke Gestalt aus dem oberen Etagenbett, zu seiner Rechten, gewuchtet hatte, richtete schnell ihre oliv-grüne Flieger-Kombi und straffte sich.

Ein Schmunzeln unterdrückend kam Frank von Wedel gleich auf den Punkt: „Hauptmann, Sie und der Rest der Staffel bereitet sich auf eine Fernpatrouille vor. In zwanzig Minuten erwarte ich Sie im Briefingraum der Staffel. Essen Sie vorher etwas, denn dieser Einsatz könnte etwas länger dauern. Die Einzelheiten gibt es beim Briefing.“

„Verstanden, Herr Oberstleutnant!“, bestätigte die blonde Frau mit ihrer gewohnt etwas rauchigen Stimme, verzichtete dabei jedoch auf den Salut.

Bereits vor einigen Jahren war man beim Militär zu der Überzeugung gelangt, dass ein Salutieren bei den beengten Verhältnissen auf Raumschiffen nicht gesundheitsförderlich war. Darum wurde dies an Bord von Raumschiffen nur noch zu besonderen Anlässen getan. Stattdessen beließ sie es bei einem feinen Lächeln.

Sie und Frank von Wedel standen sich kameradschaftlich sehr nahe, seit ihr Vater, zu Beginn des Krieges gegen die Außerirdischen, abgeschossen worden war. Er war, so wie sie, Militärpilot, und ihr großes Vorbild gewesen – und das in jeder Hinsicht.

Frank von Wedel wusste dies. Damals hatte er sich ganz besonders um Melanie Oberleitner gekümmert. Sie war, neben der Tatsache eine hervorragende Jagdpilotin zu sein auch ein sehr liebenswerter Mensch.

Nach Außen oft sehr hart wirkend, war diese junge Frau im Grunde ihres Herzens deutlich anders. Dessen war sich Frank von Wedel sicher. Seit damals, kurz nach dem Tod ihres Vaters. Sie hatten lange Gespräche miteinander geführt, bei denen der Oberstleutnant den Eindruck gewann, dass Melanie Oberleitner in ihm so eine Art großen Bruder sah. Zu seiner Erleichterung war die Pilotin nicht am Tod ihres Vaters zerbrochen. Im Gegenteil nach einer Phase tiefer Trauer, war sie damit fertig geworden und Frank von Wedel war sich sicher, dass sie daran gewachsen war.

Der Oberstleutnant wandte sich an alle Piloten. „Bis in zwanzig Minuten dann, Siebenundvierziger.“

Damit verließ der Schwarzhaarige den Schlafraum der Grauen Falken, die Stirn in Falten gelegt, und machte sich auf den Weg zum Briefingraum. Er wollte die Raumkarten dieses Gebiets vor der Besprechung nochmal genau studieren.
 

* * *
 

Sechzehn Minuten später machten sich Melanie Oberleitner und ihr Kamerad, Hagen Gronau, als letzte der Grauen Falken, von der Offiziersmesse aus auf den Weg zum Briefingraum der Staffel. Unterwegs sah der dunkelblonde Oberleutnant fragend zu seiner Kameradin, die mit ihren 1,78 Metern Körpergröße gerade mal zwei Zentimeter kleiner gewachsen war, als er selbst. „Was denkst du? Wofür braucht der Graf, in dieser von Gott verlassenen Ecke des Universums, eine Fernpatrouille?“

Ein amüsierter Zug lag auf dem Gesicht der Frau, als Hagen Gronau den Titel ihres Vorgesetzten erwähnte. Gleich darauf erwiderte sie: „Der schickt dich nur wieder hinaus, weil du ihm den letzten Nerv stiehlst. Das Blöde daran ist, dass wir Anderen mit müssen.“

Eine düstere Miene aufsetzend ging Hagen auf den gutmütigen Spott der Blondine ein. „Danke auch. Habe ich etwa schon wieder Gotteslästerung begangen, oder warum nimmst du den Geschwader-Kommandeur so schnell in Schutz?“

Der warnende Blick seiner Kameradin sagte dem Oberleutnant, dass er eben dabei gewesen war, eine Grenze zu überschreiten, die sie bereits vor einem Jahr gezogen hatte. Zwischen ihm und Melanie - und das von ihr. Ihre nächsten Worte fielen dem entsprechend unwillig aus. „Hör zu, Hagen, das Thema ist seit mehr als einem Jahr durch. Der CAG ist lediglich ein guter Kamerad für mich, und das war es auch schon. So, wie du auch.“

Hagen Gronau schluckte den schlecht versteckten Hinweis darauf, dass sie ihm vor einem Jahr einen Korb gegeben hatte, als er ihr gestand, mehr als nur Freundschaft für sie zu empfinden. Er hatte das akzeptiert, aber es nagte immer noch gelegentlich an ihm.

Entschuldigend die Hände hebend erwiderte der Pilot, der knapp zwei Jahre jünger war, als Melanie Oberleitner: „War nur Spaß, okay? Ich hab´s ja kapiert.“

„Wer´s glaubt...“, murrte die Frau spöttisch und zwinkerte ihrem Begleiter dabei zu, um ihren Worten die Spitze zu nehmen. Spontan das Thema wechselnd meinte sie dann: „Ich werde froh sein, wenn wir endlich nicht mehr in Chig-Territorium herum schleichen. Hoffentlich sind die Amis wirklich bei Demios. Wäre nämlich ziemlich unangenehm dort stattdessen auf eine überlegene Flotte der Chigs zu stoßen.“

„Ja, so etwas kann einem echt den ganzen Tag versauen“, grinste Gronau, der die vorangegangenen Worte seiner Kameradin bereits vergessen hatte. „Aber du weißt ja, wie es heißt: Viel Feind – viel Ehr´.“

Auf seinen Ton eingehend gab Melanie Oberleitner, auf den Tonfall des Kameraden eingehend zurück: „Du bist zu vergnügungssüchtig, Hagen. Langsam hege ich ernsthaft den Verdacht, dass du deine Worte, zu Beginn des Krieges, ernst gemeint hast.“

Hagen Gronau erinnerte sich an seine betont humorvollen Worte, als er damals behauptet hatte, er würde die achtzig Abschüsse des Manfred von Richthofen einstellen, bevor der Krieg vorbei sei. Nun, immerhin hatte er bereits die Hälfte davon.

„Du liegst immer noch drei Abschüsse vor mir“, erinnerte Hagen Gronau die Kameradin. „Also wer von uns Beiden ist vergnügungssüchtig?“

Melanie Oberleitner winkte ab und betrat vor Gronau den Briefingraum, in dem der Rest der Grauen Falken bereits Platz genommen hatte. Während Melanie auf ihren Sessel zu steuerte überflog sie die Mienen ihrer Kameraden.

In der hinteren Reihe hatten sich Fredrick Reimers, Lars Ulrich und Melissa Kilic niedergelassen. Davor saßen Jörn Harbeck und Leonie Benning, zwischen denen noch zwei Plätze frei waren. Die von Hagen und ihr. Es gehörte, seit dem Beginn des Krieges, zu ihrem Ritual, genau in derselben Anordnung zu sitzen, und nur die totale Vernichtung des Trägers hätte die Mitglieder der 47. Staffel dazu bewegen können, dieses Ritual abzuändern. Wobei es in dem Fall vermutlich ohnehin egal gewesen wäre.

Melanie Oberleitner hob kurz grüßend die rechte Hand. Beim Hinsetzen überlegte sie, dass das Verhalten von ihr und ihren Kameraden schon als etwas verschroben bezeichnet werden konnte. Doch immerhin hatte sich die 47. Staffel, innerhalb der letzten achtzehn Monate, einen beinahe legendären Ruf erworben, und da konnte man sich die ein oder andere Verschrobenheit sicherlich leisten.

Vorne, am Smart-Board, auf dem der Raumsektor um die momentane Position der BISMARCK herum wiedergegeben wurde, wartete Oberstleutnant Frank von Wedel bis Ruhe eingekehrt war, bevor er sich auf die Kante des seitlich stehenden Schreibtisches setzte und mit gewohnter Sachlichkeit das Briefing begann.

„Siebenundvierziger – es geht für Sie in das naheliegende Sternensystem, in dem der Planet 2063-Y liegt. Wir haben das System mit den Langstrecken-Scannern abgetastet und nicht das Geringste festgestellt. Doch Sie wissen, dass unserem Einsatzverband, im Ortungsschatten des Planeten, eine ganze Feindflotte auflauern könnte. Ihre Aufgabe wird es sein, diese für unsere Scanner blinden Bereiche aufzuklären und sicherzustellen, dass wir beim Anflug auf dieses System keine unliebsamen Überraschungen erleben werden.“

Melanie Gerlach nutzte die kleine Pause, die der Oberstleutnant einlegte, um zu fragen: „Welches Interesse haben wir an diesem System, oder besser gesagt: Welches Interesse haben wir an dem Planeten, Oberstleutnant?“

Frank von Wedel lächelte dünn. Er kannte den Hauptmann mittlerweile gut genug, um mit einer entsprechenden Frage gerechnet zu haben. „Sollte sich der Sektor als feindfrei erweisen, so wird Brigadegeneral Lerach unseren Einsatzverband in den Ortungsschutz des Planeten zurückziehen. Dort werden wir dann die Zeit nutzen um die dringendsten Reparaturen am Träger und an den Begleitschiffen durchzuführen.“

„Wie lange wird das minimal dauern, Herr Oberstleutnant?“, warf die dunkelhaarige, etwas beleibte, Melissa Kilic, Rufname: Buntfalke, ein.

Wie immer, wenn Frank von Wedel keine exakten Daten zur Verfügung hatte, kratzte er sich am Hinterkopf. „Das steht nicht genau fest. Als Minimum würde ich aber etwa drei Tage veranschlagen, rechnen Sie aber eher mit einer Woche. In diesem Falle wird die Hälfte des Geschwaders permanent auf Patrouille sein, innerhalb der Systemgrenzen.“

Ein unterdrücktes Aufstöhnen ging durch die Reihen der Grauen Falken, denn nichts war so langweilig, wie der Patrouillendienst innerhalb eines fest vorgegebenen Raumsektors. Außer, es kam zum Feindkontakt, doch das war auch nicht gerade das, was sich die Piloten momentan wünschten.

Frank von Wedel unterdrückte ein Schmunzeln bei dieser Reaktion der anwesenden Männer und Frauen. Er selbst hätte an ihrer Stelle vermutlich nicht anders reagiert. Doch er war nicht an ihrer Stelle, und deshalb erinnerte er eindringlich: „Sie wissen, dass auch diese Einsätze dazu gehören, also keine Klagen und kein Jammern, bitte. Kommen wir lieber zu den Einzelheiten: Hauptmann Gerlach, Sie werden mit Ihrer Staffel direkten Kurs auf 2063-Y nehmen und ihn dann weitläufig umfliegen. Seien Sie dabei auf der Hut und ziehen Sie sich umgehend zurück, falls sie dort auf überlegene Feindverbände stoßen sollten. Halten Sie während des Einsatzes weitgehend Funkstille, außer es ergeben sich Umstände, die ein anderweitiges Vorgehen erforderlich machen. Sollte sich der Sektor als feindfrei erweisen so werden Sie umgehend zur BISMARCK zurückkehren und Bericht erstatten. Bei Feindkontakt brechen Sie die Funkstille und alarmieren den Verband. Falls Sie keine weiteren Fragen haben bemannen Sie jetzt ihre Jagdmaschinen und machen sich auf den Weg.“

Es blieb für Sekunden still und Frank von Wedel machte eine auffordernde Geste in Richtung der sieben Anwesenden. „Dann weggetreten und gute Jagd.“

Die vier Männer und drei Frauen erhoben sich und verließen geordnet den Briefingraum, in Richtung des nebenan liegenden Hangar-Bereichs, in denen die Cockpits ihrer Jagdmaschinen darauf warteten, in die darunter befindlichen Jäger, vom Typ SA-43 eingekoppelt zu werden.

Bei ihrem Eintreffen herrschte die übliche Betriebsamkeit, wie sie bei jedem anstehenden Einsatz einer Jagdstaffel herrschte. Letzte Checks der Instrumente und Bordsysteme wurden von einem Teil der Hangar-Crew vorgenommen. Andere Mitglieder dieser Crew warteten mit den Flughelmen und diversen anderen Ausrüstungsgegenständen auf die Piloten der 47. Staffel.

Behände kletterte Melanie Oberleitner ins Cockpit das zu ihrer Jagdmaschine gehörte und rückte ihren Körper im Sitz zurecht, so wie sie es vor jedem Start tat. Eine junge Frau zu ihrer Rechten setzte ihr den Helm auf, während ein Mann zu ihrer Linken die Gurte des Sitzes um ihre Schultern legte.

Sie dankte den beiden Crewmitgliedern, ohne sie wirklich zu sehen. Mit einem schnellen Blick zu ihren Kameraden stellte sie fest, dass bei ihnen ebenfalls die letzten Vorbereitungen zum Start beendet wurden. Im nächsten Moment konzentrierte sie sich bereits wieder auf ihre Instrumente, die sie stets in derselben Reihenfolge kontrollierte. Gott bewahre, dass sie dieses Ritual einmal vergessen, oder schlimmer, die Reihenfolge abändern sollte. Das wäre undenkbar gewesen.

Draußen auf dem von Licht überfluteten Deck des Hangars ertönte das akustische Warnsignal und gleich darauf kam die Aufforderung an das Technische Personal zum Räumen des Decks. Die Hangarcrew beeilte sich, dieser Aufforderung Folge zu leisten, während zusätzlich die roten Warnsignale aufflammten. Hinter dem letzten Mann senkte sich das Schott herab und isolierte die Piloten.

Mit einer fast automatisierten Bewegung aktivierte Melanie Oberleitner das Funksystem und nahm Kontakt mit dem Hangarleiter, auf der Brücke, auf, während sich die Cockpit-Kanzel automatisch schloss. Auf einem anderen Kanal kamen die Klarmeldungen ihrer Kameraden herein.

„BISMARCK, hier Silberfalke. Sauerstoffkontrollen – Okay. Bordcomputer – Okay. Waffenhauptschalter sind gesichert. Automatische Navigationssysteme – Okay. Staffel ist bereit zum Start.“

Die Antwort kam prompt: „Hangarleiter an Staffelführer. Starterlaubnis erteilt.“

„Roger, Graue Falken fertig zum Einkoppeln!“

Aus der Kanzel heraus warf Melanie Oberleitner einen schnellen Blick zu den Scheiben des Hangardecks, hinter denen sie den CAG stehen sah. Wie vor jedem Start lächelte sie ihm zu und hob zuversichtlich ihren Daumen. Ebenfalls wie jedesmal gab Frank von Wedel dieses Zeichen zurück. Auch das gehörte zu dem Ritual vor jedem Start der Staffel, wenn der CAG nicht selbst in einem der Jäger saß.

Melanie Oberleitner spürte den unverkennbaren Ruck, als sich die Klammern unter dem Cockpit lösten. Nacheinander versanken die Cockpits der 47. Staffel im Boden des Hangardecks. Unterwegs packten die Klammern zu, die das Cockpit weiter hinunter bis zum Jäger führten und sich erst dann lösten und wieder anhoben, wenn die Verriegelung der Cockpits einrastete und der Automatik Status Grün übermittelte.

Der Herzschlag der blonden Frau beschleunigte sich, wie jedesmal, als sie das leichte Vibrieren spürte, mit denen sich die Systeme des Cockpits mit denen des Jägers verbanden. Das Alles geschah innerhalb einer Sekunde.

Der Sauerstoff wurde mir Turbopumpen aus dem Hangar gesaugt und vor dem Jäger des Hauptmanns öffnete sich das gewaltige Schott des Hangars. In schneller Reihenfolge wurden die Jäger, mit Hilfe der elektromagnetischen Katapulte: EMALS, in den Weltraum katapultiert. Erst dort durften die bordeigenen Antriebe der Jäger aktiviert werden, um eine Beschädigung der Hangars zu vermeiden.

Melanie Oberleitner atmete tief durch und beschleunigte ihren Jäger – wissend, dass sich ihre Kameraden recht und links hinter ihr formierten. Wegen der befohlenen Funkstille verzichtete sie darauf, wie sonst üblich, Kontakt zu ihren Kameraden aufzunehmen. Stattdessen ließ sie ihren Blick erneut über die Instrumente schweifen. Am automatischen Kalender blieb ihr Blick hängen. Er zeigte den 02. Dezember 2064 an. Dann lehnte sie sich im Sitz zurück und ließ ihren Gedanken freien Lauf, während sie auf das kalte Glitzern der Myriaden Sterne hinaus sah.

Wie immer, wenn sie durch die Unendlichkeit des Weltalls flog überkam sie eine besondere Stimmung. In der letzten Zeit stärker, als früher. Vielleicht lag das daran, dass ihre letzte intime Beziehung bereits über drei Jahre zurück lag. Unglaublich, aber leider wahr. In Momenten, wie diesen, in denen sie ganz bei sich war, spürte sie, dass ihr etwas fehlte. Während des Dienstes konnte sie dieses Gefühl verdrängen, doch sobald sie zur Ruhe kam drängte sich dieses Gefühl machtvoll in ihr Herz und in ihre Gedanken, ohne dass sie es verhindern konnte.

Vielleicht kriege ich jetzt endgültig einen Rappel, dachte sie frustriert. Als ob ich diese Probleme momentan zusätzlich gebrauchen könnte. Vielleicht ist es ja besser, sich um Niemanden sorgen zu müssen, außer um sich selbst und um seine Kameraden.

Melanie wusste, dass dies nicht die Wahrheit war, und spöttisch grinsend musste sie an einen Ausspruch ihres Vaters denken, als sie noch zur Schule gegangen war.

Die Wahrheit offenbart sich einem Menschen nur aus einer friedlichen Stimmung, und aus der absoluten Ruhe heraus.

„Na, klasse“, murmelte die Frau leise zu sich selbst. „Der Einzige Typ, der es hier Draußen mit einer durchgeknallten Jagdpilotin aushalten würde, wäre ein ebensolcher, durchgeknallter Jagdpilot. Aber mit einem meiner Kameraden zu schlafen ist keine Option, das steht mal fest. Also, woher nehmen, und nicht stehlen, Melanie, altes Mädchen?“

Sie horchte kurz ihren Worten nach und dachte aufstöhnend: Oh Gott, jetzt fange ich schon an mit mir selbst zu reden. Ich krieg wirklich einen Vogel.

Die junge Frau konnte jedoch nicht verhindern, dass sich ihre Gedanken an dieses Thema festklammerten. Ihre letzte, länger andauernde Beziehung hatte sie zu Schulzeiten geführt. Ab dem Zeitpunkt ihrer militärischen Ausbildung hatte sich ihr Liebesleben auf kurze, flüchtige Beziehungen belaufen. Das entsprach im Grunde rein gar nicht ihrem Wesen, doch zu mehr war in den letzten Jahren keine Zeit gewesen. Oder besser gesagt, zu mehr hatte sich in den letzten Jahren nicht der richtige Partner gefunden.

Sie lenkte sich ab indem sie die Navigationskarte auf ihrem MFD einblendete. Die taktische Abbildung auf dem Multi-Funktions-Display studierend überlegte sie, wo sie einen Kampfverband stationieren würde, wenn sie ein Chig wäre.

Zwei Möglichkeiten boten sich an. Die abgewandte Seite des Planeten 2063-Y selbst, oder aber auf der anderen Seite der Sonne, entweder hinter dem äußeren Gasplaneten, oder der Sonne selbst. Letzteres schien ihr wahrscheinlicher. Sie nahm sich vor, diese Sektoren besonders im Auge zu behalten, während sie wieder auf sah. Sich im Sitz langsam entspannend versuchte sie, an das zu denken, was vor ihr und ihren Kameraden lag, während sie auf Autopilot schaltete. Was würde sie in dem Sternensystem erwarten?

Melanie Oberleitner begann darüber zu sinnieren, dass das, was man keinem Piloten während der Ausbildung vermitteln konnte, die grenzenlose Langeweile war, die während eines Einsatzes wie diesem weitgehend herrschte. Selbst die hoch kniffligen und komplizierten Einsätze bestanden meistens zu 2 Prozent aus Aufregung, und zu 98 Prozent aus Eintönigkeit. Dabei war die Schwierigkeit, dass man trotzdem zu 100 Prozent auf dem Kiwief sein musste, um nicht vom Feind überrascht zu werden. Ein Schmunzeln überkam Melanie bei dem Wort Kiwief, dessen Wurzeln im französischen Qui vive lagen. Sie mochte solche angestaubten Begriffe und benutzte sie auch im täglichen Gebrauch dann und wann.

Die blonde Frau seufzte und tröstete sich mit dem Gedanken daran, dass es ihren Kameraden nicht anders erging, als ihr selbst. Außerdem nahm selbst der langweiligste Einsatz irgendwann sein Ende.

Das dieser Einsatz alles Andere werden würde, als langweilig, dass ahnte sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
 

* * *
 

Zehn Stunden später hatte sich die 47. Staffel so weit dem Planet 2063-Y genähert, dass die Piloten und Pilotinnen mit der Umkreisung beginnen konnten. Endliche etwas Abwechselung, nach den zermürbend ereignislosen Stunden.

Hagen Gronau, der sich wie üblich an der rechten Flanke seiner Staffelführerin hielt, richtete seine Aufmerksamkeit nun verstärkt auf sein MFD. Denn dort würde sich zuerst eine drohende Gefahr abzeichnen. Schräg links vor ihm wackelte der Jäger von Melanie mit den Flügeln – das Zeichen, die Formation auseinander zu ziehen.

Die Flügelpiloten gaben das Zeichen nach hinten weiter und begannen damit, die Abstände zu einander zu vergrößern. Dieses Manöver hatten sie einige Dutzend Male schon durchgeführt und dementsprechend zügig und reibungslos klappte es nun.

Eine Minute später war vor Hagen die Jagdmaschine seiner Staffelführerin nur noch als kleiner, blitzender Punkt, im Licht der fernen Sonne des Systems, zu erkennen. Die anderen Maschinen konnte er optisch nicht mehr ausmachen, doch sie zeichnet sich weiterhin auf dem MFD ab. Währenddessen blieb das Head-Up-Display auf der Frontscheibe leer. Keinerlei Feindkontakt zeichnete sich dort ab, was Hagen nicht beruhigte, denn hinter dem Planet konnte sich eine Flotte verstecken, und sie würden sie erst entdecken, wenn sie den Planet weit genug umrundet hatten. Also war weiterhin Vorsicht geboten.

Was Hagen Gronau im Moment am meisten störte war dabei nicht der Gedanke daran, eventuell auf überlegene Feindkräfte stoßen zu können, sondern viel eher die Ungewissheit, ob es hier Chig-Verbände gab, oder nicht. Zustände von Ungewissheit machten ihn stets nervös, egal ob nun im Kampf, oder aber privat.

Wird Zeit, dass etwas Bewegung in die Sache kommt. Bloß kein Moos ansetzen.

Der Pilot wurde abgelenkt, als ein piependes, akustisches Signal seine Kanzel erfüllte. Hastig justierte Hagen Gronau die Einstellung der Scanner und noch bevor er damit fertig war knackste es im Funkempfänger. Einen Moment später drang ein schwaches, automatisches Funksignal an seine Ohren.

Der Pilot triangulierte das Signal, stellte seinen Bordsender auf die geringste Reichweite ein und brach ohne weiter zu zögern die Funkstille.

Silberfalke, hier Graufalke. Ich empfange ein automatisches Notsignal. Es kommt von der Oberfläche des Planeten. Der Kennung nach, ein Militärtransporter.“

Die Antwort kam umgehend: „Verstanden Graufalke. Kannst du die ungefähre Position ermitteln.“

„Das Signal ist nur sehr schwach, doch es sieht so aus, als käme es aus der Nähe der südlichen Polregion des Planeten.“

Bevor eine Antwort von Melanie eintraf, krachte die Stimme von Leonie Benning aus dem Empfänger: „Hier Gerfalke. Feindkontakt auf 327 zu 079. Drei Chig-Jäger kommen aus dem Planetenschatten. Niedriger Orbit. Vielleicht haben die dasselbe Signal aufgefangen.“

„Verstanden, Leo“, kam die ruhige Erwiderung von Melanie Oberleitner. „Formiere dich, mit Jörn, als Rückendeckung an unserer hinteren Flanke. Der Rest schließt auf, aber zackig, denn wenn die Chigs unseren Anflug zu früh bemerken und Verstärkung rufen, dann haben wir ein Problem. Funkstille bis Feindkontakt!“

Wegen des letzten Befehls bestätigte Hagen nicht, sondern formierte sich wieder näher an der Maschine seiner Staffelkameradin. Mit maximaler Beschleunigung stießen die Jagdmaschinen vom Typ SA-43 HAMMERHEAD auf den Planeten hinunter, dessen milchig grüne Oberfläche bereits die Hälfte des Sichtfeldes einnahm.

Kaum eine Minute später klang das akustische Warnsignal des Freund-Feind Scanners auf und das Head-Up-Display von Hagen Gronaus Jäger zeigte die typischen Silhouetten von drei Standard-Chig-Jägern an. Weitere Informationen wurden auf dem HUD eingeblendet und informierten den Pilot darüber, dass die drei Feindmaschinen in wenigen Sekunden in Schussweite sein würden. Noch hatten sie ihren Kurs nicht geändert.

Hagen vermutete, dass sich die atmosphärischen Störungen der oberen Atmosphäre bereits auf die Scanner der drei Chig-Jäger auswirkten, denn sie befanden sich bereits innerhalb von deren äußerer Grenze.

Hagen betätigte den Hauptwaffenschalter und sah, wie sich Melanie hinter der Führungsmaschine positionierte und Melissa Kilic dessen linken Flügelpiloten aufs Korn nahm. Er selbst visierte den verbleibenden Jäger der Chigs an.

Als Melanie das Feuer eröffnete drückte er ebenfalls auf den Feuerknopf am Steuerhorn seines Jägers. Nur wenige Augenblicke später explodierte die Führungsmaschine der Chigs, gefolgt von zwei weiteren Explosionen.

Das war fast schon zu leicht, durchzuckte es Hagen, als sein Jäger nah an einem der davon wirbelnden Trümmer, der vernichteten Feindschiffe, vorbei raste. Im nächsten Moment bereute er diesen Gedanken, als eine vertraute Stimme aus den Empfängern des Funkgeräts drang. Sie gehörte dem CAG, an Bord der BISMARCK.

Graue Falken, hier Goldener Stern. Unsere Tiefenscanner haben, außerhalb Ihrer Scanner-Reichweite, ein anfliegendes Trägerschiff der Chigs geortet. Wenn es Kurs und Geschwindigkeit beibehält, dann wird es den Planeten erreichen, wenn unser Flottenverband eintrifft. Anflug aus 345 zu 089. Ziehen Sie sich in den Ortungsschatten von Planet 2063-Y zurück und halten Sie die Stellung, bis unser Verband da ist. Da wir den Planet zwischen uns und dem anfliegenden Feindschiff halten wollen könnte es aber knapp werden, Ende.“

Es war Melanie Oberleitner, die auf den Anruf antwortete: „Verstanden, Goldener Stern. Wir haben von 2063-Y das automatisches Notsignal eines unserer Truppentransporter empfangen. Schicken Sie einen Rettungstransporter mit einem Aufklärungs-Team, das feststellt, ob es möglicherweise Überlebende gibt. Ende und Aus.

Frank von Wedel bestätigte knapp.

In demselben Moment dachte Hagen Gronau, in seiner Maschine, an das Sprichwort nach dem man vorsichtig mit seinen Wünschen sein soll, weil sie sich möglicherweise erfüllten. Unterwegs hatte er sich etwas Abwechselung gewünscht, und nun sah es ganz so aus, als würde es davon hier bald reichlich geben.

Er wurde aus seinen Gedanken gerissen, als sich Melanie erneut über Funk meldete.

Graue Falken, hier Silberfalke. Funkstille aufgehoben, denn wie ihr gehört habt wird es hier ohnehin bald bunt und lustig. Wir ziehen uns bis dicht an den Rand der Atmosphäre zurück und halten den Planet zwischen uns und dem anfliegenden Trägerschiff der Chigs. Jörn, du schnappst dir Fredrick und Melissa. Ihr drei werdet zur Oberfläche des Planeten hinunter stoßen und die Stelle überfliegen, von der das Notsignal kommt. Aber seid auf der Hut, denn ich halte es für möglich, dass es eine Falle der Chigs sein könnte. Stellt nach Möglichkeit fest, ob es wirklich Überlebende gibt. Falls ja, dann ermittelt ihr deren Position und du machst mir umgehend Meldung, verstanden?

Jörn Harbeck bestätigte, und wenige Sekunden später scherten drei Jäger aus der Formation aus um in der dichten Atmosphäre des Planeten zu verschwinden.

Über die rechte Schulter hinweg sah Hagen Gronau den Kameraden, durch das Panzerglas der Kanzel hinterher und murmelte: „Viel Glück, Leute.“
 

* * *
 

Geschwächt hob Shane Vansen ihren Oberkörper an und peilte über dem Grad eines großen Felsens herum auf die Ebene hinunter, Auf der vor wenigen Augenblicken ein längliches, schwarzes Transportraumschiff gelandet war. Sie hatte diesen Typ von Landeschiff bereits einmal gesehen. Damals auf Tellus, nachdem sich Nathan unerlaubt von der Truppe entfernt hatte, um auf eigene Faust dort nach dem Verbleib seiner Freundin, Kylen Celina, zu ermitteln. Es war unschwer zu erraten, dass die Chigs das Notsignal empfangen hatten und nun hofften, einen oder mehrere Gefangene machen zu können.

Shane Vansen hatte zwar seit Tagen weder Nahrung noch Flüssigkeit zu sich genommen, doch in einem Teil ihres Verstandes rührte sich immer noch der Wille, sich nicht kampflos zu ergeben. Doch konnte sie das überhaupt? Die elenden Chigs mussten sich nur Zeit genug lassen, dann würden sie die bewusstlosen Körper von ihr und Vanessa einfach aufsammeln können. In den letzten zwölf Stunden war Vanessa immer wieder bewusstlos gewesen. Sie würde ihr also keine Hilfe sein. Vansen fürchtete um das Leben der Freundin.

Der Blick der Pilotin trübte sich zwischenzeitlich, und zunächst glaubte sie, einer Sinnestäuschung zu erliegen. Doch dann klärte sich ihr Blick und ihr wurde bewusst, dass sie sich nicht getäuscht hatte. Gepanzerte Gestalten, die sie unschwer als Chigs identifizieren konnte, näherten sich langsam ihrer Position. Die Form der Helme war typisch für die Aliens.

Shane Vansen stieß die Freundin heftig an, doch sie rührte sich nicht.

„Na toll!“, fluchte die Pilotin erbittert. „Wenn die uns entdecken kann ich mich ganz allein mit denen herumschlagen!“

Doch noch war es nicht soweit. Der Weg, den die Chigs zum Wrack einschlugen führte nicht unmittelbar an ihrer jetzigen Position vorbei. Darum zog sich Shane Vansen vorerst hinter den Felsen zurück. Für einen Moment glaubte sie ihren eigenen Herzschlag hören zu können.

Die Zeit schien sich ins Unendliche zu dehnen. Vielleicht drei Minuten vergingen, die Vansen vorkamen, wie eine Ewigkeit, bevor sie den Kopf wieder aus der Deckung schob.

Zu allem Unglück sah genau in diesem Moment einer der Chigs, der sich vielleicht fünfzig Meter von ihr entfernt befand, geradewegs in ihre Richtung. Im nächsten Moment hob er seine Waffe und ein Plasmaschuss schlug dicht neben ihrem Kopf in den Felsen ein.

„Na, dann!“, keuchte die Frau und erwiderte das Waffenfeuer aus ihrer M-70 Pistole, der Standard-Faustwaffe der Marines. Dank des Griffstücks aus dem sehr leichten, wasserkonditionierten PA-66, einem Polyamid vom Nylon-Typ, mit geringem Gewicht und ausgezeichneter Rückstoßdämpfung, lag die Hälfte ihrer Schüsse, selbst auf diese Distanz, im Ziel. Der anvisierte Chig ging zu Boden. Sie traf einen zweiten, bevor des gegnerische Waffenfeuer so heftig wurde, dass sie sich in Deckung zurückziehen musste. Um sie herum blitzte es grell auf, und innerlich schloss Vansen mit dem Leben ab.

Doch dann horchte sie auf. Die Außenmikrophone des Helms hatten ein Geräusch an ihr Ohr weitergeleitet, das sie aufhorchen ließ. Zunächst wollte sie es auf ihre überreizten Nerven schieben, doch dann wurde das Geräusch klarer vernehmlich.

Aus dem blass-grünen Himmel heraus jagten zwei Raketen, mit flammenden Antrieben hinunter, scheinbar direkt auf sie zu.

Verzweifelt rollte sich Vansen dichter an den Felsen heran und schloss, in Erwartung eines fürchterlichen Schlages, nach dem nichts mehr sein würde, die Augen.

Fürchterlicher Donner brüllte auf und selbst durch die geschlossenen Augenlider drang das Licht der Explosionen. Doch wie durch ein Wunder lebte sie noch.

Fassungslos ob dieser Tatsache öffnete Vansen ihre Augen, gerade früh genug um die drei Jäger vom Typ SA-43 zu erkennen. Alle drei Maschinen eröffneten nun auch aus ihren Bordgeschützen das Feuer über ihre Stellung hinweg. Vansen konnte sich ausmalen, wo die Geschosse einschlugen.

Im nächsten Moment waren die drei Maschinen über sie hinweg georgelt, und Shane Vansen wagte einen Blick um die Felskante herum. Von den sich nähernden Chigs war nichts mehr zu erkennen. Im nächsten Moment blitzte es dort auf, wo das Transportschiff der Chigs gelandet war. Das Donnergrollen einer weiteren Explosion folgte kurz darauf.

„Ja!“, rief die Frau heiser aus. Im nächsten Moment aktivierte sie den Funksektor an ihrem Anzug und ließ den Frequenzpeiler laufen. Nach einem kurzen Piepton sprach sie, alle Kraft die sie noch besaß zusammennehmend, in ihr Mikrofon: „Hier spricht Captain Shane Vansen, von der SARATOGA. Ich und meine Kameradin brauchen dringend Hilfe. Bitte kommen, Ende.“

Es blieb still in ihrem Empfänger. Vansen wollte die Meldung schon wiederholen, als es in ihrem Helmempfänger knackste und eine kräftige, männliche Stimme, in hart akzentuiertem Englisch, antwortete: „Hier Oberleutnant Fredrick Reimers, von der BISMARCK. Haben verstanden. Halten Sie noch etwas aus, wir schicken so schnell es geht Hilfe. Ende und Aus.“

Einen Moment später jagten die drei Jagdmaschinen dicht über ihre Stellung hinweg und die Führungsmaschine wackelte mit den Flügeln. Im nächsten Augenblick verschwanden sie aus ihrem Blickfeld.

Der kurze Funkkontakt verlieh Shane Vansen ungeahnte neue Kraft. Sie schleppte sich zu Vanessa Damphousse und rüttelte sie heftig an der Schulter. Als die Kameradin nicht darauf reagierte, aktivierte sie den Funksektor an ihrem Raumanzug und schrie aufrüttelnd in ihr Mikro: „Lass mich jetzt nicht allein zurück, Vanessa! Komm schon, mach hier nicht auf Leiche, hast du verstanden?!“

„Ich bin nicht taub“, kam endlich eine leise Antwort, mit wankender Stimme. „Was schreist du denn hier herum, ich dachte wir halten Funkstille.“

„Ein paar Deutsche treiben sich im System herum. Ich habe deren Kokarden an ihren Jägern erkannt“, versetzte Vansen erleichtert. „Halt noch etwas durch, Vanessa, die haben versprochen uns Hilfe zu schicken.“

Ein schwaches Seufzen erklang. „Das wurde auch Zeit.“



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